John Sandford – Kaltes Fieber

Sandford Kaltes Fieber TB 2007 Cover kleinDas geschieht:

Ein Serienmörder treibt im Umfeld der Doppelstadt Minneapolis/St. Paul sein Unwesen. Mindestens drei Menschen sind ihm bereits zum Opfer gefallen, als Lucas Davenport, der das „Amt für Regionale Ermittlungen“ des US-Staates Minnesota leitet, und sein Kollege und Freund Detective Sloan von der Mordkommission Minneapolis den Fall übernehmen.

Als an einem der Tatorte Hautfetzen des Täters gefunden und die DNA entschlüsselt werden kann, scheint der Fall seiner Lösung nahe. Identifiziert wird Charlie Pope, ein unverbesserlicher Frauenschänder, der bereits diverser Morde verdächtigt wird. Vor kurzer Zeit ist er aus dem Gefängnis entlassen worden, aber es sollte einfach werden, ihn zu schnappen, denn Pope ist ebenso dumm wie brutal.

Leider stellt sich Charlie beim Untertauchen unerwartet geschickt an. Schlimmer noch: Neue Leichen werden gefunden, nachdem sich der Gesuchte an die Presse wendet und mit seinen Untaten prahlt. Als Davenport erfährt, dass Charlie seine letzte Strafe ausgerechnet in einer Anstalt abgebrummt hat, in der drei der gefährlichsten Psychopathen der Gegenwart einsitzen, keimt in ihm die Vermutung auf, dass sie, die nicht mehr damit rechnen dürfen, jemals entlassen zu werden, den tumben Charlie zum Serienmörder ‚ausgebildet‘ haben.

Im Wettlauf mit der Zeit werden die Ermittlungen fortgesetzt, denn Charlie hat just ein neues Opfer entführt und kündet dessen Ermordung an. Hektik bestimmt die Situation – und Davenport wird misstrauisch: Sollen die Fahnder in die Irre geführt werden? Ist es wirklich Charlie Pope, der sie narrt? Dass die Wahrheit noch wesentlich bizarrer aussieht, erkennt Davenport erst, als es zu spät ist und er in einem Todesspiel um sein Leben kämpft …

Alte Hunde und neue Tricks

Läuft eine Serie so prächtig wie die Thriller um den ebenso genialen wie rabiaten Ermittler Lucas Davenport – in „Kaltes Fieber“ löst er bereits seinen 16. Fall -, wird der Verlag, der sie auf den Buchmarkt bringt, auf neue Bände solchen vorab prima kalkulierbaren Lesefutters drängen. Den Verfasser zwingt dies unter Umständen zum Festhalten an einer Figur, die ihm längst Routine oder gar lästig geworden ist, was der Leser durchaus registriert, das Geschäft aber nicht zwangsläufig schmälern muss.

John Sandford, ein „professional writer“ durch und durch, kann Ermüdungserscheinungen nicht verhehlen; im Gedächtnis haftet z. B. noch „Kalter Schlaf“ (2004), ein Davenport-Thriller zum Abgewöhnen. Aber Sandford überrascht seine treuen Fans: „Kaltes Fieber“ ist wieder ein richtig guter Reißer, den man bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen mag.

Das liegt zum einen am Plot, für den das Adjektiv „aberwitzig“ wie geschaffen scheint. Schon in der Inhaltsskizze liest sich bizarr, was Sandford beeindruckend logisch in Szene setzt: Drei gefangene Killer-Mabuses erschaffen einen Killer, der sich in der Welt frei bewegen kann und dort nicht nur teuflisch metzelt, sondern seinerseits ‚Stellvertreter‘ kreiert, mit denen er die Polizei in die Irre führt. Diese Story kann beim besten Willen nicht als „Whodunit“ durchgehen, denn kein Leser hat die geringste Chance, dem Verfasser beim Entwirren dieses Falls auf die Spur zu kommen. Man kann sich nur zurücklehnen und die Handlung genießen; vor allem das ebenso spektakuläre wie glorreich absurde Finale lässt einen mit offenem Mund zurück!

Ganz entspannt und trotzdem spannend

Die Story ist wie in jedem Davenport-Thriller reich an Action und Gewalt. Gleichzeitig hat der Autor die moderne Ermittlungsarbeit der Polizei gut recherchiert und lässt sie geschickt ins Geschehen einfließen (wobei er nicht mit ironischen Seitenhieben gegen die Wunder wirkenden „CSI“-Spürnasen der TV-Konkurrenz spart). Auch im 21. Jahrhundert bleibt eine Fahndung vor allem Kopf- und Fußarbeit, die außerhalb von Hightech-Labors stattfindet und reich an frustrierenden Sackgassen ist.

Wie üblich spielen Rivalitäten zwischen diversen Ermittlergruppen eine große Rolle; gern nutzt Sandford den dramaturgischen Kniff, eigentlich schon überführte Schurken wegen juristischer Formfehler oder zwischenbehördlicher Kommunikationsprobleme entkommen zu lassen. Nie fehlt darüber hinaus die sarkastische Vorführung von Politikern und Massenmedien, deren Publicitysucht bzw. skrupellose Gier nach Schlagzeilen sorgfältig konstruierte Polizeipläne zum Scheitern bringen.

Die spannende Geschichte wird in einem entspannten Stil erzählt, die den Profi verrät. Sandford schreibt ökonomisch, schielt nicht nach literaturkritischem Lob, sondern nennt die Dinge beim Namen. Er präsentiert manche rüde Szene, die er jedoch nie genüsslich ausmalt, sondern nüchtern schildert. Actionszenen gelingen ihm so meisterhaft, dass sie hinter des Lesers Auge quasi Gestalt annehmen. Zwischendurch geht Sandford vom Gas, nimmt sich die Zeit uns Neues über seine Hauptfigur mitzuteilen, denn die Davenport-Serie ist längst auch zur Lebensgeschichte ihres Helden geworden.

Mit recht schwarzem Humor knausert Sandford nie; er nimmt seine Story Ernst, ohne dies verbissen zu sehen. Zynische Cop-Sprüche haben die Übersetzung überlebt. Sogar völlig der Handlung enthobene Running Gags bilden keine Brüche: Dieses Mal brütet Davenport über einer Liste der 100 besten Rocksongs aller Zeiten. Wir werden kontinuierlich über seine Fortschritte informiert, wobei sich Freunde, Kollegen und sogar Verbrecher einmischen. Als der Roman endet, finden wir als Anhang die fertiggestellte Liste.

Alter Held mit neuem Schwung

Nach 15 turbulenten, mit brenzligen Momenten gespickten Abenteuern ist ziemlich klar, dass Lucas Davenport zwar wieder ordentlich durchgeschüttelt aber nicht umgebracht werden wird. Er begann seine Laufbahn als mental ziemlich instabiler Mensch mit ausgeprägtem Hang zur Selbstjustiz. Inzwischen ist Davenport in seinen mittleren Jahren und privat zur Ruhe gekommen. Er hat geheiratet und ist Vater geworden. Dieser Aspekt seines Lebens gehört nicht zu den wirklich gelungenen Einfällen des Verfassers. Man gönnt Davenport seinen sicheren Hafen, doch die schöne Weather bremst seinen Einsatzeifer nachhaltig.

Dieses Mal weilt sie samt Kind im fernen London, ist nur telefonisch präsent – und sofort dreht Lucas wieder auf. Er ist kein Familienmensch, sondern ein leidenschaftlicher Spürhund; diesen Gedanken verdrängt er gern, denn er könnte ihm Ungemach bescheren: Seine Freunde und Mitarbeiter, aber auch Weather wissen, dass er süchtig nach dem Adrenalin ist, das ihm seine Arbeit so unkonventionell, wie er sie ausführt, zuverlässig beschert.

Vom Mann an seiner Seite zu seinem Spiegelbild entwickelt sich Davenports alter Kumpel Sloan. Viele Jahre haben sie gemeinsam Gangster gejagt und sich zu einem dieser gern bespöttelten “Buddy”-Paare entwickelt, die sich wie alte Eheleute aufführen. Bei Sloan findet Davenport jenen Rückhalt, den ihm Weather nicht geben kann und will. Deshalb ist er aufrichtig entsetzt, dass Sloan seinen Job an den Nagel hängen will. Davenport versteht die Beweggründe des Freundes nicht, der genug Gewalt und Grauen gesehen hat und sich nach Ruhe und Frieden sehnt, denn er wird stets auf Neue dem Bösen hinterher jagen.

Böse oder Wichte?

Die Darstellung dieses Bösen ist unter medizinischen und kriminalistischen Aspekten wohl kaum korrekt, sondern zielt auf den Effekt. Sandfords Schurken sind freilich keine charismatischen Gestalten vom Schlage eines Hannibal Lecter, sondern durchaus krankhafte, sogar schäumende Irre. Oberflächlich verhalten sie sich so, wie uns emsig schriftstellernde FBI-Profiler sowie das Fernsehen Serienkiller vorgestellt haben, doch nur damit könnten sie nicht den von Sandford beabsichtigten Rollen füllen. Er stattet sie deshalb mit einer planerischen Intelligenz aus, die eines Fu-Manchu würdig wäre – und genauso ‚realistisch‘ wirkt.

Muss noch erwähnt werden, dass auch Sandfords Nebenfiguren sich harmonisch ins erfreuliche Gesamtbild fügen? Wenn „Kaltes Fieber“ ärgert, so höchstens durch den nichtssagenden deutschen Titel (der im Original leider auch nicht besser klingt).

Nachdem die Davenport-Romane lange als Taschenbücher erschienen waren, kam „Kaltes Fieber“ versuchsweise gebunden daher, was dieser Roman, der so manches unter enormem Werbeaufwand in die Bestsellerlisten gehievte Machwerk alt aussehen lässt, verdient hat! Genutzt hat es wenig; heute ermittelt Lucas Davenport wieder im Taschenbuch.

Autor

John Sandford, geboren 1944 als John Camp im US-Staat Iowa, studierte zunächst Geschichte, leistete dann seinen Militärdienst in Korea und ging anschließend an die Universität zurück. Mit einem „Master‘s Degree in Journalism“ in der Tasche arbeitete Camp zwischen 1970 und 1978 für die „Miami Herald Tribune“, wo er Seite an Seite mit seinen inzwischen ebenfalls als Thriller-Autoren zu Bestsellerruhm gekommenen Kollegen Carl Hiaasen und Edna Buchanan arbeitete. Seine journalistische Laufbahn gipfelte Mitte der 80er Jahren eindrucksvoll im Gewinn des Pulitzer-Preises für eine Artikelserie, die ein Jahr im Leben einer modernen Farmer-Familie beschrieb.

Einige Jahre später begann Camp Romane zu schreiben – gründlich wie stets debütierte er gleich mit zwei Büchern, von denen „Rules of Prey“ (dt. „Die Schule des Todes“), veröffentlicht unter dem Pseudonym „John Sandford“, den ersten Auftritt von Lucas Davenport schilderte. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks ließ Camp/Sandford pro Jahr einen weiteren Davenport-Roman folgen (die im amerikanischen Original immer das Nomen „prey“ – gleich „Opfer“ oder „Beute“ – im Titel tragen).

Seine flott geschriebenen Romane um den Polizisten Lucas Davenport erobern seit Jahren regelmäßig die Bestsellerlisten. Der Autor lebt heute mit seiner Frau, die er nach einer freundschaftlichen Scheidung inzwischen ein zweites Mal geheiratet hat, in der Nähe von Minneapolis.

John Sandfords Website

Taschenbuch: 476 Seiten
Originaltitel: Broken Prey (New York : G. P. Putnam’s Sons/Penguin Putnam, Inc. 2005)
Übersetzung: Manes H. Grünwald
http://www.randomhouse.de/heyne

eBook: 862 KB
ISBN-13: 978-3-89480-495-4
http://www.randomhouse.de/ebook

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