Spannender Frauenkrimi in Island und Finnland
Im Glanz der Polarlichter bereiten sich die Bewohner der isländischen Westfjorde auf das Weihnachtsfest vor. Auf einmal taucht in einem Fischgehege vor der Küste eine mysteriöse Leiche auf. Hildur und Jakob übernehmen den Fall, der schon bald ungeahnte Kreise zieht. Überall auf der Insel kommt es zu Gewalttaten, und Hildur stellt fest, dass ihre Schwester ihr offenbar etwas verschweigt. Unterdessen wird Jakob in seiner Heimat Finnland in einen Mord verwickelt und benötigt dringend ihre Hilfe. Unversehens muss Hildur mehr als einen Fall lösen. (Verlagsinfo)
Die Autorin
Die Finnin Satu Rämö zog vor zwanzig Jahren für ein Auslandssemester nach Island, um isländische Kultur und Literatur zu studieren. Heute arbeitet sie als Autorin, Bloggerin und Mentorin und lebt mit ihrem isländischen Mann und ihren zwei Kindern in der Kleinstadt Ísafjörður im Nordwesten Islands. Nach zahlreichen erfolgreichen Sachbüchern, in denen sie über ihre Wahlheimat schreibt, gelang ihr mit »Hildur – Die Spur im Fjord« auf Anhieb der Durchbruch als Krimiautorin.
Der Auftakt der Reihe um die außergewöhnliche Kommissarin Hildur Rúnarsdóttir begeisterte die Leser*innen in ihrer Heimat und stand wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. (Verlagsinfo)
Die Hildur-Reihe
Die Spur im Fjord
Das Grab im Eis
Der Schatten des Nordlichts
Handlung
Dezember 2021. Im Glanz der Polarlichter bereiten sich die Bewohner der isländischen Westfjorde auf das Weihnachtsfest vor. Auf einmal taucht in einem Fischgehege vor der Küste eine mysteriöse Leiche auf. Die Kommissare Hildur Runarsdottir und Jakob Johannsson fahren in den Fjord hinaus, der nun, im Dezember nur wenige Stunden von der Sonne erhellt wird. An Bord des Wartungsbootes befindet sich der Wartungstaucher, der die Gehege inspiziert. Beim letzten Kontrollgang hat er die Leiche entdeckt. Hildur und Jakob lassen sie an Bord bringen, um sie zu inspizieren. Jakob, der Finne, muss sich sofort übergeben und auch Hildur kämpft mit ihrem Mageninhalt: Die nackte Männerleiche wurde von den Lachsforellen ganz erheblich angefressen. Ein Zwölf-Kilo-Gewicht hielt sie aufrecht. Aber was sollen die beiden massiven Stahlhaken, die aus dem Rücken des Körpers ragen?
Die beiden Polizisten – Jakob ist eine Aushilfskraft – übernehmen den Fall, der schon bald ungeahnte Kreise zieht. Denn die Anwohner des Fjords mit den Fischzuchtanlagen liegen im Clinch mit den Behörden und den Umweltaktivisten. Letztere sind der Ansicht, dass die Fäkalien der Lachsforellen das Wasser verunreinigen. Die Anwohner sind unzufrieden, dass der Löwenanteil des Gewinns, den die Zuchtanlagen bringen, nach Norwegen fließt, wo die Firmen der Besitzer ihr Hauptquartier haben. Und der Gemeinderat versucht beide Seiten auseinanderzuhalten. Damit scheint nun Schluss zu sein.
Ihr neuer Chef Jonas präsentiert Hildur unter vier Augen die neuesten Erkenntnisse. Der getötete Mann im Fjord hieß Luka und kam aus Slowenien. Bekanntlich breite sich derzeit einen slowenische Drogenbande auf Island aus, und das legt den Verdacht nahe, dass es sich bei Lukas um einen Drogenkurier handle. Er lebte auf einem abgelegenen Bauernhof an den Westfjorden. Hildur verspricht, dorthin zu fahren, will aber Jakob mitnehmen. Dem Finnen solle sie nichts von seinem verdacht erzählen, befiehlt Jonas. Er ist offenbar ein Kontroll-Freak und will alle Lorbeeren selbst einheimsen.
Eine Botschaft
Eine der Ü-Kameras am Fjord hat keine Aufnahmen geschickt. Als Hildur und Jakob nachschauen, fehlen die zwei installierte Kameras: abgerissen. Stattdessen finden sie ein Blatt Papier, auf dem ein Weihnachtsgedicht gedruckt ist. Es handelt von 13 wilden Gesellen, die zu den Feiertagen aus den Bergen kamen, um den Menschen einen Schabernack nach dem anderen zu spielen. Jakob meint, dass auch der Tote im Fjord gefunden werden sollte, genau wie dieses Blatt Papier. Steckt ein Plan dahinter, fragt sich Hildur.
Als der Rechtsmediziner meldet, im Magen des toten Slowenen vier Kokaineier gefunden zu haben, wird klar, dass Chef Jonas recht hat: Hier läuft eine Drogengeschichte. Jakob hinterfragt diese Theorie: Wer hat Luka dann mit Schlachterhaken so am Fischgehege angebracht, dass er gefunden werden musste, statt ihn spurlos verschwinden zu lassen? Etwas passt hier nicht zusammen.
Ein Fund
Der Bauernhof Seli liegt verlassen da, denn das Besitzerehepaar macht in Spanien Golfurlaub. Aber es gibt etliche Pferde und Schafe. Lisa Weber aus Deutschland ist die einzige, die hier arbeitet. Luka aus Slowenien hatte sie eingewiesen und angelernt, doch sie vermisst ihn seit acht Tagen: Er sollte sie nach seiner Rückkehr aus Dänemark ablösen. Seli ist ein sogenannter Ferienbauernhof: Schulklassen und Pflegekinder machen hier Ferien. Als Jakob in Lukas Zimmer 200.000 Kronen in kleinen Scheinen sowie viele kleine Tütchen findet, scheint dies den Drogenverdacht zu erhärten. Aber was hat Luka acht Tage lang gemacht?
Am nächsten Tag muss Jakob nach Helsinki fliegen, um an einem Sorgerechtsprozess teilzunehmen. Gegner ist seine Exfrau Lena. Er will sich das Sorgerecht für seinen siebenjährigen Sohn Matias sichern. Doch stattdessen wird er selbst unter Anklage gestellt: Doppelmord! Die Opfer sind ausgerechnet Lena und ihr neuer Ehemann. Doch wo ist Matias?
Angesengt
Unterdessen wird Hildur von anderen Kollegen als Ermittlerin eingespannt, denn qualifiziertes Personal ist knapp. Ein Frau wird in einer Kneipe durch K.o.-Tropfen betäubt, dann versengt jemand ihr draußen vor der Tür die Haare. Hildur entdeckt, dass an dieser Geschichte etwas nicht stimmt. Der nächste Fall betrifft einen Fitnessportler, der mit einem Baseballschläger niedergeschlagen wird. Wie sich herausstellt, war er zu Lebzeiten ein beliebter Tierarzt, selbst wenn er sich mal mit den lokalen Viehzüchtern anlegte.
Die Verbindung
Als sie sich mit ihrer ehemaligen Chefin Beta und dem Kollegen Tumi von der Kindersuche in Reykjavik trifft, erfährt sie, dass auch die angesengte Frau mit Tieren zu tun hatte: Sie war eine Aktivistin für Tierschutz und Tierrechte. Zwar spielt das alte Weihnachtsgedicht über die Hexensöhne vom Berg eine Rolle, doch diese Verbindung wegen der Tiere ist nicht zu ignorieren. Dreizehn Weihnachtsrüpel kommen in Gedicht vor, und insgesamt passen bereits fünf Fälle in dieses Schema, wie Tumi berichtet, so dass noch acht folgen dürften. Soll man die Bevölkerung warnen? Nein, entscheidet Beta, und auch sonst niemand soll von dieser Ermittlung erfahren.
Zwei Spuren
Hildur und ihre Schwester Björk haben noch eine Schwester, die kriminelle Rosa, über die sie nie sprechen dürfen. Eine Spur führt von den Faröer-Inseln bis nach Island, wo sie sich verliert. Hildur hat durch einen dänischen Kollegenmehr Infos erhalten und geht damit zu ihrer Tante, der blinden Tinna. Die erzählt ihr, dass sie seit etwa einem Jahr Postkarten von Ivar bekäme, der anscheinend Lastwagenfahrer ist. So schöne Motive! Aus allen Ecken des Landes. Hildur wird stutzig und nimmt klammheimlich die aufbewahrten Posten mit: Wie erwartet decken sich die Daten vom Poststempel annähernd mit den Tagen, an denen die fünf bekannten Verbrechen begangen oder gemeldet wurden. Ist also Ivar, Tinnas Verehrer, ein brutaler Verbrecher?
Erwischt
Die investigative Journalistin Hlín Jonsdottir, eine von Hildurs Freundinnen in Reykjavik, hat von dem verstorbenen Slowenen Luka einen heißen Tipp bekommen: Hlín fährt hinaus in die einsame Pampa und legt sich an einem erwähnten Gestüt auf die Lauer. Sie bringt gerade die Fotokamera mit dem Teleobjektiv in Stellung, als sie jemanden zwischen den Pferden entdeckt. Was macht der da, fragt sie sich und knipst los. Auch ein paar Videoclips lassen sich leicht anfertigen und per Funk in die Cloud hochladen.
Allerdings ist das Gesicht der Gestalt wegen des Schneegestöbers kaum zu erkennen. Als sie genug Material im Kasten hat, schleicht sie wieder zu ihrem Auto, gegen Wind und Schnee gebeugt. Da erhält sie einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf und stürzt zu Boden. Schon bald deckt der geduldige Schnee ihre reglose Gestalt zu.
Sie ist Nummer sechs…
Mein Eindruck
Sechse am Boden, bleiben noch sieben? Diese Rechnung ist allzu offensichtlich, als dass sich die Autorin die Mühe gemacht hätte, sie Stück für Stück auszuführen, als handle es sich um eine Zirkusattraktion. Vielmehr erscheint es Hildur und ihrer Interimschefin Beta viel angebrachter, nach Finnland zu fliegen und dort dem armen Jakob beizustehen. Denn erstens ist Personal auf der Insel knapp und Jakob wird dringend auf Island gebraucht. Zweitens wäre es verdammt unfair, einen so wertvollen Mitarbeiter einfach hängen zu lassen, zumal die Anklage des Doppelmords völlig absurd erscheint: Jakob brächte so eine Bluttat niemals fertig. Und es gibt noch einen Grund…
Die Falle
Während Beta mit Tumi jeder Spur nachgeht und den LKW-Fahrer Ivar in die Mangel nimmt, ergeben sich weitere Verdachtsmomente, die direkt in die Familie von Hildur Runarsdottir führen. Hildur wäre viel zu befangen und dürfte daher gar nicht an der Ermittlung teilnehmen. Hlin Jonsdottir hatte eine Kamera, die jedes Bild und Video automatisch per Funk in die iCloud hochlud, so dass nun Beta in der Lage ist, die verdächtigen Vorgänge, die Hlin fotografiert hat, unter die Lupe zu nehmen. Sie braucht nicht lange, um zu dem Schluss gelangen, dass hier illegal Stutenblut abgezapft wird. Sie beschließt, den Bluträuber eine Falle zu stellen. Sie braucht nur einen Tag zu warten, bis die Falle zuschnappt.
In Lappland
Hildur ist in Kolari, wo Jakob in U-Haft sitzt, wenig willkommen. Die Leiterin der lokalen Polizeistation reagiert abweisend und misstrauisch. Hildurs Tarnung fliegt bald auf, aber das macht ihr nichts aus, denn sie kann trotzdem weiterhin herumschnüffeln. Insbesondere die einzige Zeugin, die Jakob am Tatort vor dem Krämerladen gesehen haben will, hat einiges zu verbergen, spürt sie. Und zu erzählen, wenn man sie nur zum Erzählen bringen könnte. Denn es scheint, als ob irgendetwas sie mit Jakob verbindet, aber was könnte das sein? In Rückblenden erfährt der Leser, um wen es sich handeln könnte.
Aber warum mussten Lena und ihr neuer Mann Filip überhaupt sterben, fragt sich Hildur. Das Lappland von heute ist nicht mehr das der Rentierzüchter, sondern wird von mächtigen Bergbaugesellschaften angegriffen. Folglich steigt der Wert des Bodens, auf dem geschürft und gebaut werden soll. Dieser Boden, so entdeckt sie in Zeitungsausschnitten, ist umkämpft: Die alteingesessenen Rentierzüchter kämpfen gegen die Minengesellschaften, die wiederum neue Gegner in den Umweltschützern finden. Es ist das reinste Kriegsgebiet, kommt es Hildur vor.
Filip steht auf der Seite der Minenkonzerne, und als solcher winkt ihm ein stabiles Einkommen, was wiederum ein Anreiz für Lena gewesen sein könnte, die Zukunft ihrer Familie in seine Hände zu legen – eine fatale Fehlentscheidung, wie es Hildur scheint. Erst hat sie Jakob den Sohn geraubt und nun verliert sie auch noch das Leben. Kein Wunder, dass alle ihren früheren Mann Jakob für schuldig halten, hatte er doch eindeutig ein Rachemotiv. Hildur kämpft gegen Windmühlen, doch sie entdeckt einen Schlüssel zum Rätsel, den die Polizisten bislang übersehen haben…
Die Übersetzung
S. 86: „Sie einigten sich auf ihre übliche Prozedur“: Gemeint ist eine Vorgehensweise, hier bei einer Befragung oder Vernehmung.
S. 176: „Für Pferdehöfe… hatte sich die Bezeichnung Vampirfarm[en] eingebürgert…“: Meiner Ansicht nach sollte auch „Vampirfarmen“ im Plural stehen.
Unterm Strich
Ich kenne die beiden Vorgängerkrimis mit Hildur Runarsdottir nicht, aber wie sich bei der Lektüre erwies, ist diese Kenntnis keine Voraussetzung, um auch den vorliegenden dritten Band zu verstehen. Alles andere wäre ja kontraproduktiv gewesen. In den Rezensionen, die im Internet zu finden sind, wurde die Verzweigung der beiden Ermittlungen nicht verstanden. Das finde ich ziemlich verwunderlich, denn es handelt sich um eine Verlagerung auf das richtige Thema, nämlich den Fall Jakob. Hildur in Sachen der eigenen Familie ermitteln zu lassen, wäre absurd gewesen: Sie hätte das gar nicht tun dürfen. Selbst Hollywoods Drehbuchautoren wissen das. Warum sollte also eine Expertin wie Satu Rämo dies ignorieren?
Hinzukommt, dass Hildurs Ermittlung in Lappland mindestens genauso spannend gestaltet ist wie Betas Ermittlung in Island. Wie schon Karin Smirnoff in ihrem MILLENNIUM-Krimi von 2023 eindrucksvoll geschildert hat, spielen sich in Lappland regelrechte Dramen ab: Umweltschützer und Rentierzüchter setzen sich gegen Bergbau-Konzerne und deren Handlanger zur Wehr. Diese Handlanger sind alles andere als zimperlich, wenn es um illegale Mittel geht.
Front- und Back-Story
In Hildurs Ermittlung spielt die Gegenwart eine ebenso wichtige Rolle wie die Vergangenheit. Die Front Story spielt wie in so vielen Krimis eine ebenso wichtige Rolle wie die Back Story. In den Rückblenden, die Jakobs vergangenen Konflikt mit Lena schildern, spielt die Mutter seines Sohnes Matias eine sehr finstere Rolle. Eine derart negative Frauenfigur auftreten zu lassen, kann sich vielleicht nur eine weibliche Autorin erlauben, ohne großen Unmut hervorzurufen.
Andererseits ist auch Jakob kein Unschuldslamm, sondern wird mehr als einmal schwach, als er einer anderen Frau begegnet, nämlich seiner Jugendliebe. Diese Anhaltspunkte muss der Leser aus den Rückblenden zusammentragen, um sich einen Reim darauf zu machen, warum Jakob derart in der Bredouille steckt. Wohl dem Leser, der sich alle Namen merken und die Vorgeschichte mit der Gegenwart verbinden kann. Denn das ist genau die Leistung, die Hildur vollbringt. Da sieht die Leiterin der Kripo von Kolari am Schluss ganz schön alt aus.
Eine Verbindung zwischen den illegalen Bluträubern auf Island und den Bergbaukonzernen hätte mich nicht im geringsten gewundert. Solche multinationalen Konzerne schrecken vor nichts zurück, wenn es um die Steigerung des Profits geht. Nur die unerwünschte Publizität, die Hlins Fotos und Videos auf Island hervorrufen, bringen die skrupellosen „Vampire“ dazu, von ihrem Tun abzulassen. Im Epilog fügt die Autorin noch eine boshafte Pointe hinzu.
Zauber der Landschaften
Eine Stärke der Hildur-Krimis soll nicht unerwähnt bleiben: die wunderbaren Landschaftsbeschreibungen. Ist schon Island mit Eis und Feuer aufregend, so ist es das verschneite Lappland mindestens ebenso, wenn es seinen speziellen Zauber entfaltet. Offenkundig kennt sich die Autorin, die ja aus Finnland stammt, in dieser Gegend bestens aus und versteht es, den besonderen Zauber dieser Winterlandschaft zu evozieren.
Ich war selbst einmal in Rovaniemi, einer Großstadt am Polarkreis, und hatte Gelegenheit, mit per Rentierschlitten durch den Tiefschnee kutschieren zu lassen. Das muss wohl 1995 oder 1997 gewesen sein. Dort sieht es bestimmt inzwischen ganz anders aus. Aber das Nordlicht, die Rentiere und die Sami gibt es immer noch, wie den Nachrichten zu entnehmen ist. Daher ist der Titel des Romans vollauf gerechtfertigt.
Taschenbuch: 400 Seiten
O-Titel: Jakob, 2023.
Aus dem Finnischen von Gabriele Schrey-Vasara.
ISBN-13: 9783453428195
www.heyne.de
Der Autor vergibt: