Die Weltraumkriege der Zukunft werden von körperlich regenerierten Greisen geführt. Sie lernen schnell zu kämpfen, um nicht als Kanonenfutter verheizt zu werden, denn die Aliens des Alls kennen keine Diplomatie … – Robert A. Heinlein lebt bzw. wurde offenbar als John Scalzi wiedergeboren: „Krieg der Klone“ präsentiert nicht dumpfe „Military-SF“, sondern erzählt ein rasantes und irritierend unterhaltsames Garn für die Freunde des autoritären Denkens.
Das geschieht:
In einer zeitlich nicht näher definierten Zukunft hat die Menschheit die intergalaktische Raumfahrt entwickelt. Den meisten Bewohnern der Erde wird der Flug ins All indes verwehrt. Die „Koloniale Union“ hat im Weltraum das Sagen. Nur Siedler und Soldaten dürfen reisen, doch nie zur Erde zurückkehren. Die technische Überlegenheit der KU sichert diesen Zustand.
Trotz der Unkenntnis über das Leben als Weltraum-Soldat leidet die „Koloniale Verteidigungsarmee“ der KU nie unter Nachwuchsproblemen. Sie findet ihre Rekruten unter den Alten und Einsamen, die sie mit dem Versprechen lockt, ihnen neue, junge und starke Körper anzupassen. Davon angelockt wurde auch John Perry, der mit seinen 75 Jahren das Alter fürchtet und vom Abenteuer träumt.
Mit vielen ähnlich motivierten Greisen beiderlei Geschlechts mustert er bei der KVA an und erfährt endlich, was im All vor sich geht: Die Kolonien der Erde werden ständig von außerirdischen Intelligenzen bedroht und müssen verteidigt werden. Neue Planeten gilt es für menschliche Siedler wenn nötig mit Waffengewalt zu ‚säubern‘. Es ist ein harter und schmutziger Job, für den sich Perry und seine Kameraden haben anheuern lassen. Die meisten Rekruten können sich nur kurze Zeit ihrer zweiten Jugend erfreuen, denn acht von zehn Sternenkriegern werden garantiert fallen.
Perry fügt sich gut ein in sein neues Leben. Als Soldat zeigt er ungeahnte Qualitäten, was ihm sehr hilfreich ist, denn stets scheint man ihn dorthin zu schicken, wo es brennt und besonders blutig zugeht. Diverse Scharmützel später steht Perry vor seiner größten Bewährungsprobe: Besonders fiese Aliens haben eine Methode entwickelt, die KVA-Schiffe zu orten und zu vernichten. Gemeinsam mit der gefürchteten „Geisterbrigade“ rückt er zum praktisch aussichtslosen Kampf gegen einen grenzenlos überlegenen Gegner aus …
Heinleins Epigonen
Schon bevor Robert A. Heinlein, der unbestrittene Altmeister der „harten“, aber neben der Technik den politischen, kulturellen und sozialen Alltag einer zukünftigen Menschheit nicht ausblendenden Science Fiction, 1988 starb, fehlte es nicht an Versuchen, seinen zwar oft kritisierten, dabei jedoch einzigartigen, weil klar formulierten und kompromisslosen Blick in die Zukunft zu kopieren. Beide Aspekte schienen sich im 21. Jahrhundert nicht mehr kombinieren zu lassen. Vor allem die von Heinlein sowohl propagierte als auch begründete Existenz eines starken Militärs als Garant einer stabilen Gesellschaft polarisierte. Leider verstanden auch Heinleins Anhänger ihren Meister in diesem Punkt falsch. Dem ‚verdanken‘ wir eine hässliche Variante der Science Fiction: die „Military SF“ mit ihrer Konservierung verkrusteter ‚Werte‘, die stets den deutlichen Mief von Kadavergehorsam ausströmen.
Auch Heinleins Weltraumsoldaten wurden geschliffen. In „Star Ship Troopers“ verstieg sich der Autor gar zu der Prämisse, nur denjenigen Bürger das Wahlrecht zuzugestehen, die „gedient“ hatten. Dennoch blieben seine Protagonisten Individuen, denen auch innerhalb des Systems ausdrücklich zugebilligt wurde, das eigene Hirn einzuschalten. Oft wurde ein Abweichen von der Norm sogar der Schlüssel zum Erfolg.
Über allem schwebte Heinleins grundsätzliche Weltsicht, die er so zusammenfasste: „Auf dieser Welt gibt es keine freie Mahlzeit“. Soll heißen: Für alles, das du dir wünscht oder dir gegeben wird, wirst du bezahlen müssen, sonst bekommst du es nicht. Vor allem im Zeitalter der Globalisierung ist das eine populäre Ansicht, die indes eine unschöne Wahrheit einschließt, die Heinlein nie geleugnet hat: Seine Welt teilt die Menschen in Gewinner und Verlierer, in Angepasste und Außenseiter. Wer den Arsch nicht hochkriegt, bleibt liegen. Ob er (oder sie) dem Wettbewerb nicht gewachsen ist oder ihn ablehnt, ist nebensächlich: Das Leben nach Heinlein gehört den Tüchtigen, die es meistern, ihm seine angenehmen Seiten abringen und es deshalb verdienen.
Papier ist geduldig – und tolerant
Gegen diese Haltung lässt sich vieles einwenden. Als Grundlage für spannende Unterhaltung taugt sie freilich gut. Das gilt vor allem, wenn mit der für Heinlein typischen Prosa erzählt wird: mit seinen knappen aber deutlichen Worten, mit seiner Fähigkeit, Komplexes durch einprägsame Bilder zu verdeutlichen, mit seiner Furchtlosigkeit, auch in einer restriktiven Welt Gefühle und Zweifel ausdrücklich zuzulassen.
John Scalzi hat seinen Meister sichtlich gelesen, verinnerlicht und ihn dann nicht kopiert, sondern neu interpretiert. „Krieg der Klone“ – ein blöder, den Sinn-Kern des Romans ignorierender Deutsch-Titel übrigens – ist ein Buch, dessen Autor mit selten gewordener Verve, doch stets unter Wahrung der nur scheinbar kunstlosen Form sein Garn spinnt. Er verliert sich nicht in Abschweifungen, Nebensträngen und sinnfreiem Schwelgen in Beschreibungen, die für das Geschehen unerheblich sind, sondern schreibt ökonomisch. Was Scalzi schildert, hat seinen Platz in der erzählten Geschichte. Wenn diese ihr Ende erreicht, sind 400 (recht großzügig bedruckte) Seiten förmlich an den Leseraugen vorbeigeflogen. Bei viel zu vielen SF-Titeln der Gegenwart stecken wir da noch in der Einleitung, welcher mindestens fünf Bände à 1000 Seiten folgen werden. „Krieg der Klone“ hätte Scalzi durch das Einfügen weiterer Feldzüge gegen aufmüpfige Aliens problemlos verlängern können. Er verzichtet und hat uns erst recht am Kanthaken.
Politisch korrekte Leser werden dabei wohl ein schlechtes Gewissen haben. Darf man Spaß empfinden, wenn längst entlarvte militärische Tugenden zu neuem Leben erweckt werden? Rau ist der Umgangston in der Weltraumarmee, und der dort übliche ‚Humor‘ wird sicherlich von alten Landsern erkannt und goutiert. Ansonsten wird nicht nachgedacht, sondern gehorsam geschossen und anschließend besser nicht gefragt.
Vergnügen als moralisches Problem
Damit Waffengeklirr und Kommandogebrüll nicht gar zu bedrohlich klingen, geht es in den Krieg gegen überaus feindselige Außerirdische. Sie haben die Erdlinge höchstens zum Fressen gern und behandeln sie ansonsten so, wie es uns Regisseur Paul Verhoeven 1999 in der Uncut-Filmversion von „Starship Troopers“ am Beispiel der „Bugs“ gezeigt hat. Somit bleibt den KVA-Kriegern keine andere Wahl, als noch härter zurückzuschlagen, was detailreich und farbenfroh geschildert wird.
Gegenargumente bringt Scalzi geschickt selbst ins Spiel. Jawohl, die KVA ist eine Angriffsarmee, die nichts von Diplomatie hält. Ihre Soldaten sichern kompromisslos und brutal KU-Interessen. Damit passen sie gut in eine Welt, in der allzu ausgeprägte Verhandlungsbereitschaft und der Verzicht auf militärische Vergeltung als Schwäche ausgelegt wird. Rechtfertigt Scalzi womöglich die US-Kanonenboot-Politik des 21. Jahrhunderts? Wer so argumentiert, billigt diesem Roman eine Vielschichtigkeit zu, die er nicht besitzt. Man kann den Teufel in allem erkennen, wenn man es will.
Scalzi verschweigt oder verklärt keineswegs die negativen Aspekte der KVA. Sie bestimmt, wie der Mensch im All auftritt, und maßt sich unter der Prämisse, dass der Weltraum kein Ort für Demokratie ist, das alleinige Recht dazu an. Die Soldaten der KVA sind keineswegs immun gegen solche Kritik oder die Vorstellung, dass ‚von oben‘ allzu einseitig der Krieg befohlen wird. Der daraus resultierende Kampf ist nie glorreich, sondern stellt sich als Versuch dar, ihn möglichst unverletzt zu überleben, was selten gelingt.
Überlebenskampf als sportliche Herausforderung
Trotzdem bleibt offener Widerstand aus. Er ist nicht Thema dieses Romans. Das System bleibt unangetastet. Scalzi präsentiert uns John Perry als Identifikationsfigur. Perry ist der Heinlein-Held par excellence – ein kluger, findiger und empfindungsfähiger aber gleichzeitig pragmatischer und anpassungsfähiger bzw. -williger Zeitgenosse. Wie rigoros er mit seinem ersten Leben auf der Erde abschließt, liest sich zwar schlüssig, kann aber nicht überzeugen. Erschreckend glatt gleitet er in seine neue Existenz als Kampfmaschine. Hier und da lässt Scalzi die Fragen und Vorbehalte eines 75-jährigen Mannes anklingen, doch nie begehrt Perry auf. Systemkonform steigt er auf und wird belohnt, weil er zur rechten Zeit am rechten Ort ist, das Rechte tut und trotzdem ein ganz bescheidener Mensch bleibt, der nur bei seinen Kumpels, den Frontschweinen, sein möchte, weil er das als seine Pflicht verinnerlicht hat. Denjenigen, die wirklich gegen das System aufbegehren, ergeht es schlecht, denn Befehle werden nicht zum Spaß gegeben, sondern sind stets sinnvoll. Meckerer und Dissidenten enden schnell unter den Fängen besonders grausamer Aliens.
Mit dieser Weltsicht muss man nicht übereinstimmen und kann dennoch sein Vergnügen haben: „Krieg der Klone“ ist eine fiktive Geschichte, die gut nach den Regeln funktioniert, die ihr Schöpfer erfunden hat. Er will kein militärdiktiertes Utopia propagieren, sondern unterhalten. Selbst die dämonischen Aliens entpuppen sich bei näherer Betrachtung als nicht böse, sondern fremd: Ihr ‚unmenschliches‘ Handeln ist Teil ihrer Natur. Die Welt ist, wie sie ist, und muss als solche genommen werden.
Anmerkung
2005 veröffentlichte Scalzi „Fragen an einen Soldaten“, eine als Kurzgeschichte bzw. fiktive Rede John Perrys aufgemachte Einführung in die KVA-Welt, die der deutschen Ausgabe von „Old Man‘s War“ als „Bonusmaterial“ angefügt ist.
Autor
John Scalzi (geb. 1969) begann schon als Collegestudent zu schreiben und arbeitete in den 1980er Jahren als Filmkritiker. In den folgenden beiden Jahrzehnten verfasste er, wofür man ihn bezahlte; u. a. jene kurzen Zusammenfassungen, die auf Buchdeckel- oder Einbandrückseiten zu lesen sind. Ab 2000 schrieb er CD- und DVD-Kritiken für das „Official US Playstation Magazine“. Für „America Online“ führt er einen Blog.
Mit „Old Man’s War“ versuchte sich Scalzi 2005 höchst erfolgreich als Romanautor. Sein Debüt wurde für den „Hugo Award“ als bester Science-Fiction-Roman des Jahres, für den „Locus Award“ als besten Romanerstling sowie für den „John W. Campbell Award“ als bester Jungautor nominiert; diesen Preis hat er 2006 gewonnen.
Mit seiner Familie lebt John Scalzi in der Kleinstadt Bradford, Ohio. Über seine zahlreichen Aktivitäten informiert er auf seiner Website.
Taschenbuch: 430 Seiten
Originaltitel: Old Man’s War (New York : Tor Books 2005)
Übersetzung: Bernhard Kempen
http://www.randomhouse.de/heyne
eBook: 611 KB
ISBN-13: 978-3-641-02950-0
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Hörbuch-Download (ungekürzt): 615 min. (gesprochen von Matthias Lühn)
www.audible.de
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Der Autor vergibt: