Schneider, Frank Apunkt – Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW

_Inhalte:_

„Als die Welt noch unterging. Von Punk zu NDW“ beschreibt, wie der Titel bereits andeutet, die beiden Begriffswelten Punk und NDW nicht als geographische, zeitliche oder ideologische Gegensätze, sondern als Kontinuum; wobei Frank Apunkt Schneider den Begriff NDW im weitesten Sinne auslegt, sodass zwischen |030| und |ZZZ HACKER| dort alles seinen Platz findet: von Unbekanntem mit mehr oder weniger gewollt banalen bis seltsam-lustigen Namen (|ARMUTSZEUGNIS|, |B. TRUG|, |THE DIESE HERREN|, |DIN-A-TESTBILD|, |DON CAMILLO UND DIE SCHILDBÜRGER|, |ERSTE WEIBLICHE FLEISCHERGESELLIN NACH 1945|, |WAFFELSCHMIEDE|, |KNUSPERKEKS|) über jazzig Angehauchtes (|ES HERRSCHT UHU IM LAND|, |HUBA HUBA HOPP|), die mit den krassen Namen (|ERTRINKEN VAKUUM|, |BRUTAL VERSCHIMMELT|, |KOTZEN UND ERHÄNGEN|, |SÄUREKELLER|, |MASSENMORD|, |ROTZKOTZ|, |BLITZKRIEG|), Elektro-Experimentelles (|KRAFTWERK|, |DIG IT AL(L)|, |CONRAD SCHNITZLER|, |MONOTON|) und Bekanntes (|ABWÄRTS|, |DAF|, |EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN|, |IDEAL|, |DIE KRUPPS|, |FISCHER Z|, |FEHLFARBEN|, |NORMAHL|, |OHL|, |PALAIS SCHAUMBURG|, |SLIME|, |SOILENT GRÜN|, |BOSKOPS|, |DIE ÄRZTE|, |FOYER DES ARTS|, |CHUZPE|, |FALCO|, |THE BUTTOCKS|, |HANS-A-PLAST|, |NEONBABIES|, |DER PLAN|, |DIE TÖDLICHE DORIS|, |TOXOPLASMA|) bis hin zu allzu Bekanntem (|NINA HAGEN BAND|, |IXI|, |NENA|, |HUBERT KAH MIT KAPELLE|, |DIE TOTEN HOSEN|).

Frank Apunkt Schneiders grundlegende Hypothese ist die, dass Punks und Neue-Deutsche-Welle-Macher, egal ob am Untergrund oder am Kommerz interessiert, ob als Alternativgesellschaftler, Gesellschaftsfeinde oder Subversive, ja sogar als im Mainstream verhaftete Spötter, Anfang der Achtziger vor allem durch das Damoklesschwert der nuklearen Totalvernichtung geprägt waren: |“Dieses Szenario wurde von der zeitgenössischen Popmusik verarbeitet, sei es in der Bettina-Wagner-und-Nicole-Fassung oder in der „Osten währt am längsten“-Version von |DAF|. Selbst in Markus‘ „Ich will Spaß“ schwingt mit, dass das Projekt „Menschheitsgeschichte“ jeden Moment vorbei sein konnte. Auf dieses Faktum konnte mit penetrantem Mahnverhalten oder eben mit Hedonismus reagiert werden.“|

Die Generation, die Punk & NDW hervorbrachte, war somit politisch geprägt, selbst wenn sie dezidiert keine Politik mehr machen wollte. Schneider schreibt: |“Vor diesem also doch verdammt realen Weltende-Hintergrund waren Punk und New Wave politisch. Nicht weil sie oft dieselben überflüssigen Kommentare dazu abgaben wie Kirchentage, sondern weil Punk und New Wave das mögliche Ende ab den späten 1970ern als Realitätsmaterial akzeptierten, mit dem gespielt werden konnte. Sie waren keine systemimmanente Instanz, sondern Opposition um der Opposition willen. Und die erste, der alles erlaubt war, weil sie selbst keine Utopie mehr aufbieten wollte. Die Pershing- und SS-20-Raketen machten es leicht, alle zu hassen und zu verachten, die dafür verantwortlich waren. Und sie dabei aus Spaß und Überaffirmation in einer von diesen wahrscheinlich zu keinem Zeitpunkt bemerkten Weise zu umarmen. Identifikation mit dem Aggressor, aber als Aggression! ‚Wir sind die Bomben von Hiroshima‘ sangen |ABWÄRTS| 1980. Punk und New Wave akzeptierten den (kalten) Krieg, der sie umgab, und fochten dementsprechend an zwei Fronten: gegen die Herrschenden und gegen eine ältere Gegenkultur, die sich aus ihrer radikalen Gegnerschaft gelöst hatte und ihrerseits nun mitherrschte.“|

Das Diktum „No Future“ wirkte dabei befreiend, ermöglichte es doch, aus starren Konventionen auszubrechen, ohne sich dafür – so wie die Hippies – erst auf eine lange Reise ins Innere begeben zu müssen, um „sich selbst zu finden“; dafür blieb ja ohnehin keine Zeit mehr! „No Future“, das bedeutete auch: keine Angst mehr haben zu müssen, sich selbst die eigene Zukunft verbauen zu können oder sie sich von der Gesellschaft verbauen lassen zu müssen, wenn man sie öffentlich bespuckte. Denn wenn die Doomsday Clock ohnehin die letzten Minuten vor Mitternacht vertickt, dann sind Konformität und Konventionen hinfällig. Dann ergibt sich daraus allerdings auch kein Anlass mehr, noch für höhere (utopische) Ziele, für Ideen und Sinngebung zu kämpfen.

Frank Apunkt Schneider: |“Auch ‚Sinn‘ ist eine solche moralische Übereinkunft. Die Sinnlosigkeit, die Punk und New Wave zelebrierten, kappte den Dialog mit der moralisierenden Diskussionskultur. Es war zunächst noch keine existenzialistische Weinerlichkeit um den toten Sinngott – die kam erst später auf im düster klagenden Proto-Dark-Wave -, sondern eine Sinn-Orgie; ein Gelage mit den freigesetzten Sinnbruchstücken. Ein ‚Fest der vielen Sinne‘, so der Titel der zweiten |GEISTERFAHRER|-LP.“| Punk und New Wave waren demnach die ersten populären Subkulturen der Postmoderne.

Doch nachdem er sein Feld abgesteckt hat, beschäftigt sich Schneider erst einmal mit der Geschichtsschreibung und Rezeption der NDW – verstärkt vor allem seit Jürgen Teipels ‚Doku-Roman‘ „Verschwende Deine Jugend“ (2001) – und stellt damit heute gängige Wahrnehmungsmuster infrage, indem er Ursachenforschung betreibt. Diesen Wahrnehmungsmustern stellt er dann seine eigene Sicht auf Punk und New Wave als popinterne Jugendrevolte entgegen. Dabei weist er darauf hin, dass Jugend seinerzeit gesellschaftlich vor allem als zu überwindende Übergangsphase gerahmt wurde – eine Sichtweise, gegen die sich der Punk mit seiner Verweigerung eines ernsthaften, reifen, erwachsenen Diskurses gestellt habe.

In einem solchen Diskurs verortet er auch die Vorgeschichte von Punk & NDW als deren Ausgangslage: Rockmusik in Deutschland sei bis dato in der Regel „als Bandsein nur in einer langfristigen, existenzgründerischen Perspektive“ verstanden worden. Schneider spricht in diesem Zusammenhang von unumgänglichen Anpassungs- und Institutionalisierungsprozessen, die zu Ergebnisähnlichkeit und einem leblosen Virtuositäteneintopf geführt hätten – „zumindest, wenn man/frau den deutschen Rockmainstream aus |JANE|, |ELOY|, |BIRTH CONTROL| oder |LAKE| zum Maßstab nimmt und die zahlreichen experimentellen Krautrockgruppen außer Acht lässt“. Auch die „Technologiespirale“ immer günstigerer Synthesizer habe musikalisch keine Innovation, sondern im Gegenteil zu Herzeige- und Vorführeffekten und damit „zu immer armseligeren Platten“ geführt. Das „technologische Downsizing“ in Punk und Wave habe demgegenüber ein hohes Maß diverser kreativer Energie freigesetzt.

Als Deutsche Punkübernahmen bezeichnet Schneider die stilistische Ausrichtung früher Bands im Lande wie |PACK|, |MANIACS|, |STRASSENJUNGS|, |BIG BALLS & THE GREAT WHITE IDIOT|, |PVC| und |RIZZO|, die einige Merkmale der britischen oder us-amerikanischen Avantgarde für sich nutzbar gemacht hätten, allerdings integriert in bestehende deutsche Rocktraditionen. Verortet hätten sie sich eher auf der Streetpunk-Seite der in den Ursprungsländern bereits zerfallenden, bzw. sich ausdifferenzierenden Szene.

Eine solche Fraktionierung der Punk-Szene macht Schneider dann auch in Deutschland aus, wobei er mit der eigenen Subjektivität nicht hinter dem Berg hält: |“Dass für mich die Art-School-Tradition von Punk zu Post-Punk bedeutsamer ist, ist eine rein subjektive Entscheidung, bedingt durch meinen bürgerlich-akademischen Hintergrund. Man/frau hätte die Geschichte von Punk und New Wave in Deutschland aus einer |BUTTOCKS-NORMAHL-CHAOS Z|-Perspektive erzählen können, was unbedingt erwähnt werden muss, da sich die Art-School-Perspektive spätestens mit ‚dem Teipel‘, eigentlich aber schon vorher, eingebildungsbürgert hat, trotz oder gerade wegen der zu plumpen Gegensteuerungsversuche in bestimmten Punkfanzines.“|

Nach den bereits erwähnten Urpunks mit ihrem proletarischen Image hätte die zweite Phase der deutschen Bewegung jedoch ebenfalls eher in die Richtung Art-School-Punk tendiert. Der Unterschied zwischen der ersten und zweiten Generation habe sich teils auch im Bandnamen niedergeschlagen – genannt sei hier nur ein Beispielpaar: |RABID| versus |MUSELMANISCHES TÜRKMENEN BATAILLON DER SS BEI GEBETSÜBUNG|. Die Fraktionsbildung in diese beiden Sub-Szenen führt Schneider in erster Linie auf Vereinnahmungsversuche durch die unterschiedlichen Klassenmilieus von ArbeiterInnen (mit Betonung auf Tradition – Folge: stilistisches Einfrieren) und BürgerInnen (mit Betonung auf Progression – Folge: Distinktions-Spiele) zurück. Beide Extreme des Spektrums hätten sich damit jedoch vom „Energiezentrum des Punk“ abgekoppelt: „nichts zu wollen, wie im wichtigsten Programmsatz von Punk verlautbart, dem ‚I don’t know what I want‘ der |SEX PISTOLS|.“ Das rein destruktive Spiel des willkürlichen und ziellosen Herausbrechens und Gegenüberstellens von Sinnbruchstücken scheint demnach ein Kernelement des Apunkt Schneiderschen Ursprungsmythos‘ von Punk zu sein.

Sobald das also geklärt ist, arbeitet er sich an den diversen Veröffentlichungslandschaften ab – zunächst einmal geographisch; beginnend mit Düsseldorf und seiner stark künstlerisch geprägten Szene um den Ratinger Hof (u. a. |CHARLEY’S GIRLS| / |MITTAGSPAUSE|, |MINUS DELTA T|, |WELTENDE| / |WELTAUFSTANDSPLAN| / |DER PLAN|, Chrislo Haas von |DAF| und |LIAISONS DANGEREUSES|), anhand der einwohnerstärksten Städte jener Zeit weiter über Berlin (u. a. |PVC|, |STUKA PILOTS|, |NEONBABIES|, |IDEAL|, |SPLIFF|), Hamburg (u. a. |BUTTOCKS|, |SCREAMER| / |SLIME|, |FRONT|), München (u. a. |FREIWILLIGE SELBSTKONTROLLE|, |SPIDER MURPHY GANG|, |TOLLWUT|, |FKK STRANDWIXER|), Köln (u. a. |CHARLEY’S GIRLS|, |ZLOF|, |REIZENTZUG|, |ZELTINGER BAND|, |DUNKELZIFFER|), Essen (u. a. |RAABS BALLA BALLA|, |GESUNDES VOLKSEMPFINDEN|, |DIE REGIERUNG|), Frankfurt/Main (u. a. |STRASSENJUNGS|, |BÖHSE ONKELZ|, |BILDSTÖRUNG|), Dortmund (u. a. |KONEČ|, |ST 42|, |THE IDIOTS|), Stuttgart (u. a. |NORMAHL|, |CHAOS Z|, |MANNSCHRECK|, |PETER SCHILLING|), Bremen (u. a. |OH 87|, |A5|, |ORGANBANK|, |AGM|), Duisburg (u. a. |LOUIS PASTEUR|, |PROFIL|, |LA DOLCE VITA|), Hannover (u. a. |HANS-A-PLAST|, |ROTZKOTZ|, |BLITZKRIEG| / |BOSKOPS|), Nürnberg (u. a. |STAUBSAUGER|, |GASHAHN AUF!|, |FIT & LIMO| / |SHINY GNOMES|), Bochum (|VORGRUPPE|, |EIN JAHR GARANTIE|), Wuppertal (u. a. |MATERIALSCHLACHT|, |ARMUTSZEUGNIS|, |DIE ALLIIERTEN|, Gabi Delgado-Lopez von |DAF|), Saarbrücken (u. a. |ALTES EISEN|, |CHAOTIC BROTHERS|, |SINALCO FLUOR S|, |SYNTHENPHALL|), Bielefeld (u. a. |DER WAHRE HEINO|, |ZZ HACKER|, |NOTDURFT|), Mannheim (diverse Undergroundbands), bis hin zur Bundeshauptstadt Bonn (|ACHMED UND DIE ARSCHKRIECHER|, |CANALTERROR| u. a.), dann quer durch die bundesdeutsche Provinz (u. a. |EXTRABREIT| und |NENA| aus Hagen, |THE NOTWIST| aus Weilheim, |THE WIRTSCHAFTSWUNDER| und |DIE RADIERER| aus Limburg), durch Österreich (u. a. |NOVAK’S KAPELLE|, |DRAHDIWABERL|, |CHUZPE|, |MINISEX|, |ROSACHROM|, |MORDBUBEN AG|, |ANDRÉ HITLER|, Ronnie Urini von |STANDARD OIL| u. v. m.), Schweiz (u. a. |NASAL BOYS| / |EXPO|, |GLUEBEAMS|, |SPERMA|, |MOTHER’S RUIN|, |FRESH COLOUR| / |FRISCHE FARBE|, |GRAUZONE|) und DDR (u. a. |DIE ART|, |REGGAE PLAY|, |SCHESELONG|, |KEKS|, |PANKOW|, |AG GEIGE|, |SAUKERLE| / |SCHLEIM-KEIM|, |L’ATTENTAT|) werden alle möglichen Band-Projekte auf Vinyl und Kassette durchgehechelt.

Hier gibt sich der Autor ganz der manchmal schon etwas trockenen Chronistenpflicht hin; wobei man fairerweise sagen muss, dass er damit zum einen Pionierarbeit geleistet, zum anderen dazwischen immer wieder einige interessante oder doch zumindest auflockernde allgemeine Betrachtungen sowie Anmerkungen zu regionalen Strukturen, Stilistiken, Befindlichkeiten, auch zu Labels, Fanzines, Läden, wichtigen Szenepersonen und deren Netzwerken eingestreut hat. Besonders die (leider etwas kurz geratenen) Anmerkungen zum Punk-Regionalismus im Spannungsfeld zwischen teils fast schon kryptischem Individualismus („Kassettentäter“ mit Kleinstauflagen), mitunter kreativem Crossover aus globaler und regionaler Kultur und nicht zuletzt auch (manchmal gar als Widerstand verstandener bzw. verkappter) Identitätspolitik sind interessant zu lesen.

Danach geht es ans Eingemachte: Der Autor weist darauf hin, dass in der Popkultur Rezeptionsfragen für die Künstler ebenso wichtig sind wie die traditionellen Formen des Ausdrucks, ja dass beides zu einer Einheit verschmilzt: „Über Michael Jackson oder David Bowie nur als Musiker zu reden, ist ein Ding der Unmöglichkeit“, und die Aufarbeitung ihres Schaffens in diversen Medien deshalb unauslöslicher Bestandteil ihrer Gesamtwahrnehmung.

Auch das Phänomen Punk & NDW wurde so von den Medien mitgestaltet. Einerseits bezeichnet Schneider die zeitgenössischen Vereinnahmungsversuche seitens der bürgerlichen Kultur als gescheitert („Das Kultur-Establishment kapierte nicht mal ansatzweise, was da vor sich ging“), andererseits hätten gerade deren massenmedial-vulgärsoziologische Erklärungs-Versuche der Szene erst richtig Zustrom beschert (Schneider schreibt etwa über den |Spiegel|-Artikel „Punk: Nadel im Ohr, Klinge am Hals“: „Für die Verbreitung von Punk in Deutschland dürfte dieser Artikel von entscheidender Bedeutung gewesen sein, nicht zuletzt in den Zahnarztwartezimmern der Nation.“). Mainstream-Medien von |Bild| bis |Die Zeit|, aber auch etablierte Musik-Fachblätter (|Sounds|, |Musik Express|, |Spex|) und beispielhaft auch die Masse der Fanzines nimmt Schneider in den Blick, aber auch unabhängige Labels.

Dies alles jedoch ist lediglich der Vorlauf für das, was dem Autor offenbar besonders am Herzen liegt, was aber auch den großen, heute – zumindest in der massenmedialen Wahrnehmung – weitgehend in Vergessenheit geratenen Löwenanteil ausmacht, nämlich subkulturelle Massenmedien: die Kassettenszene. Schneider spürt dem gesamten Umfeld nach: Klein- und Kleinstauflagen bis hin zur Kinderzimmerproduktion, Vernetzungen, zeitgenössische Besprechungen in Zines und Radiomitschnitte von Sendungen zur Szene, Analysen von dazumals – alles wird zitiert und kommentiert. Auf Bootlegs wird am Rande eingegangen, auf Vertriebe etwas ausführlicher, und natürlich dürfen Namen wie die des Kritikers Alfred Hilsberg oder des |Rough Trade|-Labels nicht fehlen, auch wenn das Gros der Privatproduktionen und Briefkastenvertriebe besonders gewürdigt wird. Dazwischen finden sich immer wieder Cover, Anzeigen, Fotos usw. der Protagonisten aus allen Größenordnungen – natürlich schwarzweiß. Aber auch die LP kommt zu ihrem Recht, wie auch das Filmformat Super-8.

Unter dem Stichwort ‚Niedrigschwellige Ästhetik‘
wird abgehandelt, worin auch ein wesentlicher Unterschied zwischen straightem Rock / Rock ’n‘ Roll und seiner Gegenbewegung lag: „Das Masseninstrument der Neuen Wellen schlechthin“, der Synthesizer, „befreite von der Entfremdung durch Arbeit am Bandsein.“ Der Künstler als Einzelperson rückte in den Vordergrund, was sich szenedynamisch auch auf Gruppen auswirkte, die gar nicht mit ihm arbeiteten: Es genügte, dass die Vorherrschaft der Vorstellung vom zünftigen Bandmitglied gebrochen war. Ähnlich ermöglichte die Loslösung von traditionellen Instrumenten und ihrer vordem zwingend notwendigen, mühselig zu erlernenden Beherrschung nicht nur das Sampeln von synthethisch erzeugten Tönen, sondern bewirkte auch eine „ungerichtete Aggression der befreiten Geräusche“ insgesamt. Hierin hoben sich die neuen Wellen von jener Art des Punk ab, der mehr oder weniger traditionelles Musikantentum lediglich mit einer programmatischen Anti-Haltung verband; dessen Feindbildtexte auch bloß Negative des Altbekannten waren, und der musikalisch bieder dann eben doch wieder (wenn auch limitiertes) Können und Virtuosität-als-ob einforderte.

Frank Apunkt Schneider formuliert es ganz radikal: |“Das Politische von Punk lag nie in seiner mal besser (CRASS), mal schlechter (DAILY TERROR) durchdachten Institutionenkritik begründet, sondern darin, organlos, unkontrollierbar, streuend und giftig Geräusch zu produzieren, das keinen bekannten diskursiven Spielregeln folgte, aber auch nicht völlig willkürlich war, sondern in zahllosen möglichst fremden, seltsamen und schwachsinnigen Konzepten organisiert war, die sich kraft ihrer Fremdheit dem Zugriff der bürgerlichen Welterklärungsinstanzen, dem Sinnknast entzogen. ‚Alien Culture‘ hieß dieses Geräusch bei THROBBING GRISTLE.“|

Da kommt die Rede auf den „Kleister, der die Kunst zusammenhält: Dilettantismus als Kulturbewegung“ – was sich nicht wie im Punk bereits in der DIY-Idee erschöpfte, sondern das Element des Unkontrollierten bewusst zum Programm erhob. Exemplifiziert und versinnbildlicht wird das am Beispiel der Künstlergruppe |Geniale Dilletanten| (sic!) um Blixa Bargeld, bei der die Falschschreibung im Namen bereits von Anfang an zum Konzept gehört haben könnte. |EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN|, |HERVÉ & KILOWATT|, |SPRUNG AUS DEN WOLKEN| und |DIE TÖDLICHE DORIS| werden ebenso vorgestellt wie auf die weitaus größere Zahl kurzlebiger Projekte, Sessions oder Einmal-Festivalauftritte verwiesen, bei denen wenige Protagonisten in ständig wechselnden Konstellationen miteinander experimentierten. Der Autor betont, dass Gruppen wie die |NEUBAUTEN|, obwohl auch sie – etwa in |TON STEINE SCHERBEN| – Vorbilder haben konnten, mit einer Sache konsequent brachen: „utopischem Gehalt“. Und das auch bei |EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN| von Anfang an, wo es schon zu psychedelischen Ursprungszeiten statt ‚LSD ins Trinkwasser‘ ‚Bakterien für eure Seele‘ geheißen hat.

Dem gegenüber stellt Schneider eine Reihe von UmsattlerInnen, gestandenen Musikern bzw. angestaubten Deutschrockern, die sich Punk als Parfüm aufgetragen hätten, „um den eigenen Verwesungsgeruch zu übertünchen und um sich einen Hauch von Gefährlichkeit zu verleihen.“ Hier nennt er einige Namen, die im Mainstream bis heute als Aushängeschilder gelten: Nina Hagen, die für „ihr mit Abstand punkigstes Stück“ ‚Pank‘ Schützenhilfe im Schreiben von SLITS-Sängerin Ari Up benötigte und deren |NINA HAGEN BAND| er als gefundenes Feindbild der im Aufbau befindlichen Szene tituliert; ihre Mitmusiker von SPLIFF, die für ihn zwar „eine gelungene Rockaktualisierung“ repräsentieren, aber eben der durch New Wave vorangebrachten Popgeschichte zuzurechnen seien, und nicht der wild blühenden Subkultur; schließlich auch |IDEAL|, die mit ihrer unterstellten Orientierung „an der einzigen deutschen Pop-Tradition der Nachkriegszeit, dem Schlager,“ das offizielle NDW-Bild geprägt hätten: ein Schlager-Tanzkapellen-Image. Sie hätten damit den Startschuss für die Talentschnüffler der Plattenindustrie und für eine Reihe an Epigonen, Klonen und Kalkülbands gegeben – namentlich |ZEITGEIST|, |FISCHER Z|, |PETER GORSKI BAND|, |EXTRABREIT|, |DR. KOCH VENTILATOR|, |CAT’S TV| und |FEE|.

Gleichzeitig sei es aber auch zu wunderschönen Rückkopplungen zwischen Rockavantgarde und Punk gekommen, die sich gegenseitig stark beeinflusst hätten, und so mancher NDW-Avantgardist hätte Jazzrockwurzeln gehabt. Gerade in der Provinz sei es oft zu – wenn auch instabilen – Verbindungen von Altrock- und Punk-Musikern zu Bands gekommen, die auch vom Spielniveau her unterschiedliche Hintergründe aufwiesen. Als dann auch von gestandenen Rocker erkannt worden sei, dass die Zeit für den neuen Minimalismus reif war, habe die Stunde von |TRIO| geschlagen, die mit „maximaler Perfektion und Präzision“ ihren Stil entschlackten und auf rudimentäre Basisakkorde zurückschraubten und daraus funktionierende Popsongs entwickelten, die irgendwo zwischen Punk-Verschrägung und Musikclownerie-Kleinkunst-Tradition Erfolge feierten, die zwar – erst einmal auf die Bühnen gebracht – spontan wirkten, hinter denen sich jedoch „ein perfekt durchgestyltes Programm“ verbarg.

Dann kippt die Bewegung in Schneiders Chronik auch schon in ihre Selbstzerfleischungsphase, in der sich Punk zum einen die Klassenfrage stellt, zum anderen aber – teils deckungsgleich – die Frage, ob nun Art School oder Hard School die wahren Bannerträger stellten. Für die einen war die Revolution quasi erfolgreich abgeschlossen, sodass Punk als ein Genre unter – bzw. in der eigenen Wahrnehmung über – anderen fortan so auszusehen hatte, wie man sich das seither vorstellte. Kollektive Identität war ihnen wichtig, und die erforderte eben auch einen kollektiv verbindlichen Formenkatalog – im Zweifel Hardcore. Diese Sichtweise fasst der Autor treffend unter das Schlagwort „Punkrockismus“. Die anderen begriffen Punk als Strategiemodell, als Mittel und Ausdruck einer permanenten künstlerischen Revolution und einer möglichst individuell-authentischen Selbstverwirklichung. Die Anhänger dieses Ideals liefen, wenn sie allzu individualistisch bzw. experimentell wurden, schließlich Gefahr, von den Punkrockisten als bürgerliche Avantgardisten verschrien und ausgegrenzt zu werden. Der Autor nennt in diesem Zusammenhang |MATERIALSCHLACHT| und |GEISTERFAHRER| als Objekte eines regelrechten Hasses. Sowohl unter den Punk-als-Rock-Betreibern als auch im Avantgarde-Flügel kam es zu einer weiteren Zersplitterung der Szenen.

Was freilich in dieser Phase auch nicht fehlen durfte, waren (teils völlig haltlose) Unterstellungen wie „Industriescheiße“; Frank Apunkt Schneider: |“Dem Kommerzverdacht liegt in der Regel keinerlei andere ökonomische Analyse zugrunde als: ‚Schweinesystem‘.“| Im Extremfall konnte er jedoch auch schon einmal der Legitimierung eines Raubüberfalls unter dem Schlagwort ‚Kommando gegen Konsumterror‘ gegen die verhasste Konkurrenz dienen. Schließlich hatte sich die Neue Deutsche Welle, dem Autor zufolge spätestens 1982, so weit gebrochen, dass selbst „aus dem Boden gestampfte NDW-Kapellen, deren einzige Existenzberechtigung in diesen drei Buchstaben zu finden wäre,“ sich von ihr zu distanzieren begannen. Was blieb, war ein neuer Markt.

Dass Schlagworte wie ‚Kommerzialisierung‘, ‚Ausverkauf‘ und ‚Verrat‘ der Realität nicht gerecht wurden, obwohl die kommerzielle Verwertung für das diffuse Verebben der Neuen Deutschen Welle durchaus eine Rolle spielte, wird im Kapitel „Die Enden der NDW“ aufgedröselt. Zur kommerziellen Ausschlachtung des Phänomens bedurfte es auch der Massenmedien. 1980 hievten die Sounds Gruppen wie |ABWÄRTS|, |MITTAGSPAUSE|, |DAF|, |FEHLFARBEN|, |MANIA D.|, |S.Y.P.H.|, |RAZORS| und |DER PLAN| in ihre neu ins Magazin aufgenommenen Alternativ-Charts, welche freilich nur die Verkaufszahlen einiger großstädtischer Szeneläden widerspiegelten.

Ungefähr zeitgleich begannen sich auch die Großen der Musikindustrie für die Erfolge der Indie-Label im neugeborenen Sektor zu interessieren. Man erhoffte sich wohl, ein Potenzial an steady sellers wie |TALKING HEADS|, |DEVO|, |BLONDIE| oder |XTC| nun auch aus dem deutschen Band-Pool für den deutschsprachigen Markt abschöpfen zu können, woran die hauseigenen ProduktentwicklerInnen bisher allerdings gescheitert waren. Statt Investitionen in mögliche (falls überhaupt) One-Hit-Wonder zu verbraten, hieß die neue Strategie nun: Indie-Bands abwerben und/oder Indie-Strukturen simulieren; Letzteres beispielsweise durch das neugegründete |Phonogram|-Sublabel |Konkurrenz|. Allerdings warb dieses sogleich die |GEISTERFAHRER| von Alfred Hilsbergs Zick Zack-Label ab und machte so seinem Namen alle Ehre. Doch auch die |Phonogram| selbst kaufte Bands wie |PALAIS SCHAUMBURG| ein. Schneider betont, dass es für die NDW-Bands durchaus unterschiedliche Beweggründe zu einem solchen Schritt in Richtung Plattengroßkonzern geben konnte. |DAF| wollten erklärtermaßen immer schon die Massen erreichen, und für |ABWÄRTS| fallen dem Autor gleich vier unterschiedliche mögliche Gründe ein.

Die größten Erfolge feierte die Plattengroßindustrie jedoch nicht mit den experimentelleren bzw. avantgardistischen Bands aus dem Stall ihrer auf die neue Welle spezialisierten Sublabel, sondern mit von deren Entwicklungen lediglich beeinflussten Pop- und Rock-Updates wie |TRIO| (|Phonogram|) und |EXTRABREIT| (|Reflektor Z / Metronome|). Da hinein flossen nun die Investitionen, während die ursprüngliche Klientel auf derlei finanzstarke Studio- und PR-Unterstützung verzichten musste. Vertriebs-Kooperationen mit Indie-Labels steckten noch in den Kinderschuhen; und wenn sich ein Sublabel in Konkurrenz zu den Indies aus Sicht eines Majors nicht mehr rentierte, konnte es sogar auch schon einmal an eine bei ihm unter Vertrag stehende Band abgestoßen werden. Andersherum konnte ein bandbegründetes Label wie |Welt-Rekord| (|FEHLFARBEN|; dann: |GRAUZONE|, |RHEINGOLD|) von der |EMI| als ihr neues Sublabel erworben werden – dessen Geschäftspraktiken von ROTZKOTZ dann schon bald im Lied ‚Tante Emi‘ kritisiert wurden.

Erst 1982, zu der Zeit, für die Schneider bereits die „Selbstzerfleischungsphase“ der Graswurzelszene konstatiert, hätten die Majorlabel ihre Strategie wieder geändert und eigene Phantasiegruppen auf den Markt geworfen, die sich allerdings bereits mit der ersten Single als überlebensfähig hätten erweisen müssen, da sie sonst nicht weiter gefördert worden seien. Dies habe die weitere Spaltung der Szene in Sell-Out-Gruppen und Untergrundtümler begünstigt. Allerdings dürfe man auch nicht übersehen, dass die Auslösesummen der Majors an die Indies die von denen geleistete Aufbauarbeit in erwähnenswertem Umfang mitfinanziert hätten.

Ironischerweise fällt der Niedergang der Szene als solcher laut Schneider mit den Verkaufs-Erfolgen des Phänomens NDW zusammen: Erste NDW-Charts-Hits waren 1981 ‚Blaue Augen‘ (|IDEAL|), ‚Eisbär‘ (|GRAUZONE|), ‚Polizisten‘ (|EXTRABREIT|), ‚Dreiklangdimensionen‘ (|RHEINGOLD|), ‚Ein Jahr (Es geht voran)‘ (|FEHLFARBEN|), ‚Der Goldene Reiter‘ (|JOACHIM WITT|). Anfang 1982 folgten ‚Da Da Da‘ (|TRIO|), ‚Rosemarie‘ (|HUBERT KAH|) und ‚Taxi‘ (|JAWOLL|). Einzig |GRAUZONE| konnte von diesen Kapellen auf eine eigene Punkvergangenheit zurückblicken. Im Laufe des Jahres ’82 sei dann das letzte bisschen Profil der NDW in der großen Flut des „Neuen Deutschen Schlagers“ abgeschliffen worden und die Anspielung des Begriffs auf die ursprünglichen New Wave-Formationen für die Rezeption völlig unwichtig geworden, sodass selbst |NOVALIS| mit ‚Was ist Zeit?‘ auf einem der vielen NDW-Sampler erschien, die fortan das Bild dessen, was NDW war, maßgeblich prägten . Als symptomatisch für den ‚Genre‘-Spagat führt Schneider das „Neue Deutsche Welle Special“ des |Musik Express| vom Sommer 1982 an, welches weitgehend zusammenhanglos aus Insider-Städteberichten zur (Untergrund-)Szene, Pop-Star-Portraits auf PR-Agenturtext-Basis und Bravo-für-Erwachsene-Niveau sowie wahllosen Auflistungen von (teils sogar falsch abgeschriebenen) Bandnamen zusammengestoppelt worden sei.

Am Beispiel der |Bravo| selbst und ähnlicher Magazine wie |Popcorn| macht Schneider fest, wie die Umdeutung der Neuen Welle in eine „Rock mit“-Ästhetik erfolgte, die sich in erster Linie durch Attribute wie „verrückt“, „ausgeflippt“, „deutsch“ und „bizarr“ auszeichnete. Diese Berichterstattung habe zum einen in einer „sensationalistisch und freakwhoistisch motivierten Medientradition“ gestanden, zum anderen (ähnlich wie der Genre-Spagat des |Musik Express|) dazu beigetragen, die Trennung zwischen Mainstream und Untergrund für die Teenager-Zielgruppe zu verwischen. Im Vermarktungskontext der nebenstehenden Anzeigen, die auf ein eher biederes Weltbild schließen ließen, habe die grellbunte Ästhetik dieser NDW zwar als Kontrast, letztlich aber nicht als Opposition, sondern auch nur als andere Seite einundderselben Medaille gewirkt: |“Die oft als Bildgeschichte verkappte und auf den ersten Blick von den Foto-Lovestories nicht unterscheidbare Werbung zeigte in ihren Geschichten aus dem Alltag homöopathisch upgedatete Jugend, in Frisurschlenkern der Moderne nicht verschlossen, aber dennoch den gereiften Lebensernst der Tampon-, Berufsvermittlungsbehörden- und Bundeswehr-Zielgruppen transportierend.“| Die NDW war als solche medial von der Anti-These zur Synthese entschärft und damit im konventionellen Sinne vermarktbar geworden.

Die Schlagernähe der neuen NDW zeigt sich laut Schneider unter anderem auch im Popfilm „Gib Gas – Ich will Spaß“ des Regisseurs Wolfgang Büld („Brennende Langeweile“, „Women in Rock“, „Berlin Now“, „Japlan“, „Go Trabi Go“, „Manta Manta“ u. a.), der den Paukerfilm „Plem Plem – Die Schule brennt“ aus dem gleichen Jahr 1983 im Subversionsgehalt kaum überrage. „Jedenfalls ratifiziert ‚Gib Gas‘ den Verlust der subkulturellen Basis dadurch, dass außer dem Freund des Protagonisten, einem Punker, der immer Hunger haben muss, um als Running Gag erkennbar zu bleiben, nichts mehr davon – auch nicht negativ – zu sehen war“, und „Plem Plem“ ist dem Autor zufolge ebenfalls nurmehr eine Aktualisierung des altbekannten Schlagerfilms und relativierte „den Rest-Subversions-Gehalt des |EXTRABREIT|-Stücks (Anm. d. Red.: ‚Hurra Hurra, die Schule brennt‘), dem noch Züge einer Teenage-Riot-Hymne anhafteten, ins Feuerzangenbowleske.“ Auch zwei andere zeitgenössische Filme mit NDW-Bezug werden von Schneider in diesem Kontext kurz vorgestellt und bewertet: „Drei gegen Drei“ von Dominik Graf und „Der Fan“ von Eckhart Schmidt. Mag man dem Autor in seinen weiteren Darlegungen folgen, so zeigt sich jedoch, dass sich selbst das Schlagerhafte in der NDW noch aus dem Harmlosen ins Provokative kippen ließ, obschon sich dieser Ansatz letztlich als Strohfeuer erweisen sollte:

Mit „Schlager als Waffe“ schien die NDW kurzfristig noch einmal punkistische Relevanz zurückzugewinnen. Jedenfalls berichtet Frank Apunkt Schneider unter diesem Zwischentitel davon, wie das Schlagerhafte der neuen NDW von denen gepriesen oder zumindest toleriert werden konnte, denen es aus Prinzip ums Gegen-den-Mainstream-Sein ging. Als vom Bildungsbürgertum verachtetes, scheinbar ’sinnentleertes‘ Genre besaß der Schlager im Gegensatz zu den als ’sinnhafte‘ (oder zumindest ’sinnkritische‘) Kunst zunehmend vereinnahmten Punk-Strömungen noch kulturpolitisches Spreng-Potenzial. Schlagermutationen konnten folglich subversiv gedeutet werden. Die poptheoretischen Verrenkungen und feinsinnigen (subjektiven) Gegeneinanderabgrenzungen, die Gurus wie Diedrich Diederichsen in diesem Zusammenhang machten und die Schneider hier anführt, lesen sich allerdings aus der heutigen Distanz in ihrer verbissenen Ernsthaftigkeit fast schon wie Realsatire.

Schneider aber macht eine interessante Anmerkung zur Funktion des Schlagers für den seinerzeit in Deutschland etablierten Kulturbetrieb: Sowohl Bildungsbürgertum als auch Rock(ismus) diente er als negative Abgrenzungsschablone; hierin konnte man sich – jenseits bestehender Gräben auf anderem Gebiet – noch einig sein, dass Schlager per se ‚verlogen‘ war beziehungsweise „das, worüber sich Klaus Lage mit |Rockpalast|-Moderator Albrecht Metzger abendfüllend aufregen konnte, wozu sie den Segen von Rudolf Augstein und Günter Grass hatten. Mit den publizistischen Mitteln von Kritik musste er immer wieder aufs Neue niedergemacht werden. Hierbei handelte es sich um einen Reflex, der – völlig entleert von der ursprünglichen Funktion – zum ritualisierten, bedeutungslosen kulturellen Wiederholungszwang wurde.“ Warum? „Erst in Abgrenzung zum ‚verlogenen‘ Schlager ließ sich sinnvoll Rockidentität herstellen. Er diente damit der Subkulturhygiene und war ein wichtiges Selbstvergewisserungsmoment. Seine stereotype Kritik hatte auch den Sinn, eigene Widersprüche zu verschleiern und damit die allseits gefürchteten Dissoziationskräfte der Selbstreflexion abzuwehren.“ Sich den Schlager als gegenkulturelles Zitat zunutze zu machen, bedeutete also nicht einfach dessen Umkehrung ins Gegenteil (im Sinne einer schlagerkritischen Ironisierung), sondern vielmehr das Ausschöpfen seines Potenzials als Provokationsmittel gegen den vermeintlich aufklärerischen, ritualisierten Kulturbetrieb des Establishments. Ob dies dann auch so verstanden wurde, ist eine andere Frage …

Weil derlei Konzepte nicht eindeutig angelegt waren, markieren sie laut Schneider „ein Dazwischen, das Platz ließ für alles Mögliche“. Dieses Dazwischen machte anscheinend nicht nur eine klare Abgrenzung unmöglich, sondern sorgte wohl zumindest ansatzweise auch für das tatsächliche Aufweichen der Grenzen zwischen Mainstream und Subkulturen. Jedenfalls sollen in den Archiven der |Ariola| noch unveröffentlichte Aufnahmen eines gemeinsamen Projekts von Gitte Haenning und Walter Thielsch liegen. Die Idee von Schlager als Waffe jedoch sei „an sich selbst zugrunde“ gegangen, so der Autor.

Geschäftliches beleuchtet Schneider ebenfalls schlaglichtartig. So zeigt sich, dass die NDW bei aller kommerziellen Prägung des Medien-Phänomens kommerziell nicht unbedingt so erfolgreich war, wie man hätte vermuten können. Dies lag zum einen am One-Hit-Wonder-Charakter vieler Acts, zum anderen aber auch daran, dass für deutschsprachige Musik der (internationale) Markt begrenzt blieb. Schon der vergleichsweise hohe weltweite (Achtungs-)Erfolg einiger Krautrockbands aus dem Untergrund hatte in den 1970er Jahren einen kurzlebigen Boom ausgelöst, bei dem die großen Plattenfirmen dem Autor zufolge verwirrt und kriterienlos einiges weggesignt hatten, was dann die erste Kleinkrise des deutschen Popmarktes produziert hätte. Ähnlich sei es auch mit der NDW gelaufen: „Die Industrie tat im Prinzip nichts anderes als die Szene selbst: ungehindert und zum Teil ungefiltert produzieren.“

Auch durch die Abwerbesummen teils hohe Investitionskosten hätten die Gewinnmarge reduziert, vor allem wenn ein Produkt sich dann nicht als steady seller bewährt habe. Hinzu kam später das Kleinstlabelsterben, welches durch Restpostenverkäufe die Preise an den Plattenbörsen stark gesenkt habe. Spätestens im Sommer 1983 sei dann sowohl im Mainstream wie auch im Untergrund ein Rückgang der Produktion und Präsenz der NDW zu spüren gewesen, und auch die Berichterstattung über die NDW habe Züge von Nachrufen angenommen.

Allerdings könne man bei genauerem Hinsehen ohnehin nicht von der Flut der NDW-Artikel sprechen; Schneider macht mehrere zeitlich verschobene Phasen aus: Hochzeit der Gruppengründungen und Fanzines; Single-Flut; LP-Flut; Kassettenflut; Hochzeit der Kassettenfanzines; danach – immer schneller – Städtesampler, Kleinstadtsampler, Samplerparodien, Labelsampler; das Ganze begleitet von einer Flut an Deutschrockgruppen, die auf der NDW mittels stilistischer Anverwandlungen mitsurfte. Und heute die Flut der Re-Releases.

Als der Katzenjammer jener Fluten verebbt war, blieb quasi als Strandgut das Erbe der NDW zurück: Deutsche Sprache in der Popmusik war verhältnismäßig normal geworden und auch im Mainstream angekommen. Schneider unterscheidet explizit zwei Post-NDW-Szenen: Zum einen prägt der Autor dafür den Begriff „Neuer deutscher Pop-Mainstream und GAL-Pop“ (Anm. d. Red.: GAL = Grüne/Alternative Liste), wozu er Acts wie |HERBERT GRÖNEMEYER|, |GEIER STURZFLUG|, |INA DETER BAND|, das Projekt |BAND FÜR AFRIKA| und – davon etwas abgesetzt – wohl auch die „Hamburger Schule“ zählt. Gemeinsam sei diesen, dass sie moderne Stilelemente und teils auch modernen Umgang mit der deutschen Sprache mit einer Rückkehr zur konventionellen, Message-artigen Sinnhaftigkeit und einem Stück Liedermachertradition verbunden hätten. Die meisten Protagonisten der Hamburger Schule mit Bands wie |BLUMFELD|, |DIE STERNE|, |TOCOTRONIC|, |DIE GOLDENEN ZITRONEN| oder |HUAH!| hätten dabei allerdings eine gewisse Distanz zum ‚Deutschen‘ und vor allem ‚Deutschtümelnden‘ gewahrt, indem sie sich eines strategisch entfremdeten, abstrakten, brüchigen, jargonhaften und intellektualisierten Textdeutsch bedient hätten.

Zum anderen spricht Schneider von „Neo-Underground-NDW“, worunter er Gruppen wie |DAUERFISCH|, |HOLZ OLIBER| oder |MARTIN & ICH| versteht. Diese zeichneten sich durch merkwürdig-absurde Texte und einen NDW-Referenzrahmen aus, der an die frühe dadaistische New Wave erinnere, und fände in der typischen Nischenöffentlichkeit eines informierten Publikums von jeweils bis zu 500 Leuten statt. Im Vergleich mit der ehemaligen NDW-Avantgarde sei diese Szene jedoch noch stärker „in und auf sich selbst kontextualisiert“ und dringe nicht in tiefere, unvorbereitete Publikumsschichten vor.

Im letzten Kapitel „Trau keinem über 68“ räumt Frank Apunkt Schneider mit einigen Popgeschichtsmythen auf und wagt einen Blick hinter das längst zum Ritual erstarrte ’68er-Bashing in Mainstream und Subkultur. Zwischen diesen beiden Bereichen, genauer gesagt: zwischen der (heutigen) ‚Neuen Mitte‘ und dem (ursprünglichen) Punk & New Wave, wird hier genauer differenziert. Denn, so Schneider: |“Vieles, was ich auf den vorangegangenen Seiten geschrieben habe, funktioniert vermutlich auch als Wasser auf die Mühlen derjenigen, die meinen, im Feuilleton immer noch ihre Anti-68er-Prägung spazieren führen zu müssen, egal ob als Punk-Sozialisierte, Pseudopunk-Sozialisierte (der |MARILLION|-sozialisierte Florian Illies) oder Alt- bzw. Post-68er. Letztere haben längst gelernt, ihre nicht nostalgisierbaren schlechten Gewissensreste und alles, was nicht in den Rahmen der eigenen Humankapitalbildung (‚Erfahrungen mit der Führung von Menschen konnte ich 1973 im Scheitern von hierarchielosen Wohnraumsituationen sammeln …‘) passen will, öffentlich immer noch einmal zu exekutieren.

Der dabei durchgesetzte feixende und behagliche Tonfall hat gewissermaßen liturgische Funktion: den Glauben zu zelebrieren, dass die Welt, wie sie ist, eben doch die bestmögliche sei. Im Unterschied dazu warf Punk den Ex-68ern ihr Scheitern noch vor und zerrte sie aus ihrer Eingerichtetheit ins Bestehende vor ein Tribunal. Dazu brauchte es Polemik und eine dezidierte Antihaltung. Anders als die bürgerliche Schlussstrich-Routine war diese Verabschiedung aber eine Fortführung. Punk spielte an diesem Punkt die Dialektik von Kritik und Kontinuität aus – einer Kontinuität des Bruchs, der Überwindung und des Angriff auf ein Establishment, zu dem längst die Alt-68er befriedet worden waren, zumindest in den Weltausschnitten, wo Punk etwas Neues wollte.

Jenseits der Gegnerschaftsmythen und ihrer Inszenierung waren die Themen und Fragestellungen oft genug die gleichen und beide Pop-Revolten in vielfacher Weise miteinander verwoben. […] ’68 und ’76 waren Poprevolten. Beide stellten weltweite Umwälzungen dar, einen politischen und lebensästhetischen Aufruhr, nicht nur der Jugend. Sie waren nicht so sehr die nationalistischen Generationsphänomene, als die sie neoliberale Rhetorik und kapitalistische Erfolgsmythologie vereinnahmt hat, sondern international vernetzte Unruheherde. Sie waren kontinuierlicher Ausdruck einer weltweiten Erosionsbewegung am Bestehenden.“|

In diesem Sinne habe die Hippie-Schelte der Punks nicht diejenigen treffen wollen, die 1968 ein anderes Leben propagiert hatten, sondern das, was aus ihnen geworden war: Weltflüchtige oder Resignierte. Zugespitzt gipfelt das in Schneiders Aussage: „Die Hippiekritik des Punk war strategische Kritik.“ Der Punk-Hippie-Konflikt sei eine „innerlinke Angelegenheit“ gewesen, der von Punk-Seite aus zudem noch aus dem kulturellen Abseits gegen eine Position mit Stammplatz im Feuilleton geführt worden sei. Punk-Strategie als Strategie lässt sich freilich auch von denen instrumentalisieren, die ansonsten mit Punk überhaupt nichts am Hut haben. Doch nicht immer stimme die selbstdarstellerische Underdog-Stilisierung der Protagonisten mit ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Situation überein:

|“Heute ist dieser Kampf schon deswegen ein Anachronismus, weil es seinen Gegenstand (Anm. d. Red.: den Linksliberalismus, der inzwischen zum heute dominanten Rechtsliberalismus ‚mutiert‘ sei) nicht mehr gibt. Der Krieg des Mainstreams gegen eine angeblich linke Meinungshegemonie hat den Relevanzgehalt historischer Schlachtendarstellungen. Die publizistischen Sondereinsätze gegen eine nirgends definierte ‚Political Correctness‘ (zumal in Deutschland ohne historisch gewachsene ‚p.c.‘-Bewegung) sind ein Kampf gegen einen Pappkameraden, gegen ein inhaltsloses Klischee, dem kein realer Gegenstand entspricht, abgesehen von einer publizistisch bedeutungslosen Hand voll links-akademischer Kleinstzirkel und einigen versprengten Restautonomen. Die neue Pop-Mitte markiert eine Konsenshaltung, die sich subversiv wähnt und aus Punk-Unkorrektheitstechniken ein bisschen Radical Chic einzuheimsen meint, die sie aus eigenen Kräften nicht hinbekommt.“|

Punk dagegen sei als Jugendkultur eine bewusste „pubertäre Trotzreaktion“ gegen Werte gewesen, die sich aus eigener Anschauung als in der modernen Welt nicht mehr haltbar erwiesen hätten, vom heuchlerischen Establishment und einigen weltflüchtigen Träumern aber weiter aufrechterhalten wurden. Darum sei zum Beispiel der Natur- und Natürlichkeitskult der Hippies von den Punks abgelehnt worden. Diese „als ‚Menschennatur‘ aufoktroyierten kulturellen Identitätsmuster“ hätten die Punks verächtlich abgestreift und sich stattdessen in einer die Auswegslosigkeit der Entfremdung trotzig bejahenden „Kuschelkälte“ des Zynismus mehr oder weniger behaglich eingerichtet. Provokative Parolen wie „Zurück zum Beton“ kann man also sowohl als Strategie der Verweigerung (eben jener als von der Realität überholt angesehenen Werte und Normen) wie auch als Coping-Strategie (Protest gegen die, die diese als unverrückbar empfundenen Realitäten geschaffen hatten) deuten.

Demnach wäre es ein gründliches Missverständnis, solche Parolen als freies Bekenntnis zu tiefsten, ureigensten Wünschen zu deuten. Sie sind – folgt man Schneider – vielmehr ein Ausdruck der Verzweiflung am eigenen apokalyptischen Weltbild des ernsthaft so empfundenen „no future“. Anders als vor der vom Autor eingangs eingeführten Folie der massiven nuklearen Bedrohung mit ihren durchaus als realistisch wahrgenommenen Endzeitszenarios ist eine solche Haltung auch gar nicht zu verstehen. Dieser ’80er-Jahre-Zynismus‘ diente weitaus weniger der Gewissensberuhigung als vielmehr und in erster Linie der emotionalen Panzerung gegen die tägliche existenzielle Bedrohung. |“Die Entfreumdungs- und Untergangs-Angstlust führte zudem den Zynismus als ein Gefühl zweiter Ordnung ein: nicht mehr Euphorie, Liebe, Trauer, Angst, Hass, sondern gewissermaßen das alles multipliziert mit dem Wissen, dass Gefühle einstudierbare soziale Handlungen sind, also auch vereinnahmbar. Zynismus meinte strategische Gefühlskomplexität, die sich einfachen Empfindungen verwehrte.“|

Dem gegenüber stellt der Autor einen mittlerweile daraus fort-entwickelten Zynismus, der „heute als neoliberale Staatsraison verehrt und mittels einer Zynismus-Industrie kulturell durchgesetzt“ sei: |“Heute können sich Berufs-Tabubrechende, selbst ernannte Gutmenschen-JägerInnen und passionierte Schlechtmenschen sowie andere Peergroupies am ’80er-Jahre-Zynismus‘ abarbeiten, ohne dazu auch nur den Hauch eines wirklichen Wagnisses eingehen zu müssen. Ihre Pseudo-Provokationen ohne wirkliches Objekt sind systemstabilisierend und die neue Subjekttechnik für eine deregulierte Zukunft. Sie lösen jedenfalls nichts mehr auf, und ihr ‚Zurück zum Beton‘ meint nur noch den Beton der Bauspekulation.“|

Auch das Thema „Deutsche Identität“ wird angesprochen. So habe die NDW die deutsche Sprache im Pop selbstverständlich gemacht, allerdings mit unterschiedlichen (Sinn-Hinter-)Gründen. Teils sei es um eine direktere, genauere Kommunikation gegangen, teils um bewusste Abgrenzung gegenüber dem Angloamerikanischen, und teils auch um eine dezidiert nationale Identitätsstiftung. Ersteres hält der Autor für vertretbar; doch bereits die Abwehr des Angloameriakanischen sieht Schneider ambivalent: Ihre Motive verortet er im kulturellen Grenzland zwischen politisch-situativ abgrenzungsstrategischer und essentialistisch-nationalistischer Kulturpolitik, wobei die Differenzierung zwischen beidem nicht immer leicht fiele. Letzterem erteilt er eine Absage und zitiert Diederichsen: |“Wer ohne primäre Not Identität verlangt, stiftet oder verehrt, ist ein Faschist. Da, wo Identitäten ohne primäre Not angehäuft werden, hat jemand etwas vor. Und zwar nichts Gutes.“|

Gegenüber solcher Identitätsproduktion sieht Frank Apunkt Schneider in der Wiederaneignung des Deutschen in der NDW jedoch „in den besten Fällen“ eine mehrfache Entfremdung, ein Fremdwerden in der eigenen Sprache. Gleichzeitig habe die NDW – neben dieser paradoxen, gebrochenen, entfremdeten „‚deutschen Pop-Identität‘ […] des Nicht-Identitären, die freier Fall war, lustvoller Sturz ins Blut- und Bodenlose und performatives Ringen mit Identität um des Ringens willen“ – jedoch auch einen „Nistplatz für Identitätsgewinnler aller Art, die sich Identität als Stärke wünschen. Identisch zu sein wie Krupp-Stahl“ hervorgebracht. Dieses Spektrum reiche, so Schneider, von |PUR|, die (statt „Pop, wo es traditionell um Widersprüche, Defizite und Deterritorialisierungen“ gehe) „‚deutsche‘ Musik als starke Selbstidentität, als ‚Rock'“ spielten, über den in die „rechtsliberale Grünen-WählerInnen-Mitte“ einzuordnenden |HEINZ-RUDOLF KUNZE| bis hin zum „postrechten Einzelkampf-Machorock der [BÖHSEN] ONKELZ.“ Ebenso diffus sei das Spektrum jener, die eine deutschtümelnde Sprach-Quote im Sendebereich forderten; gemeinsam sei ihnen allenfalls die „Mitwirkung von kaltem Kaffee“, der „außerhalb von dessen unkalkulierbarer Trash-Ebene“ nichts mit Pop zu tun habe. Hier zeigt sich der Autor streitbar: |“Im Prinzip sind das die Leute, die bei Deiner Geburtstagsparty die Polizei anrufen, genauso wie sie es bei Hitparaden-Überfremdung tun. […] Ein Gutes hat die ‚deutsche Pop-Identität‘ allerdings: Sie stiftet eine klare und eindeutige Trennlinie für die nächste Zukunft. Zwischen denen, die sich entschließen, daran zu glauben, und denen, die das nicht tun.“|

_Bewertung:_

Für alle, die sich Punk als zeitgeschichtlich-popkulturellem Phänomen annähern wollen, bietet die Darstellung „Als die Welt noch unterging“ einen guten (subjektiven, aber auch theoretischen) Einstieg ins Thema; wer sich insbesondere mit der Neuen Deutschen Welle beschäftigen will, wird um das Werk ohnehin kaum herumkommen. Denn hier wird erstmals eine (wenn auch nicht erschöpfende, so doch zumindest breit aufgestellte) Szene-Geographie in Ergänzung zum interviewlastigen Teipel-Standardwerk „Verschwende Deine Jugend“ vorgelegt.

Über diese Chronistenleistung hinaus ist es Frank Apunkt Schneider aber vor allem hoch anzurechnen, dass es ihm nicht an einer glatt gebügelten subkulturellen Allerweltserklärung gelegen war, sondern dass er die Szene(n) mitsamt ihren Brüchen, Widersprüchen, Kontroversen, Dialektiken und Grauzonen präsentiert, dass er Komplexes nicht bis zur Nichterkennbarkeit des (scheinbar) Identischen und einfach Schubladisierbaren eindampft, sondern im Gegenteil Mut zum Stehenlassen von Fragen auch um der Gefahr des Schwammigbelassens bewiesen hat.

„Als die Welt noch unterging“ ist insofern ein Buch, das den Leser zum eigenen Fragen, Hinterfragen, Weiterforschen und vielleicht sogar zum Widerspruch einlädt. Die bisweilen in wissenschaftlichen Termini kompliziert theoretisierende Sprache des Werks wird immer wieder durch Vergleiche, Zitate, umgangssprachlichen Jargon und dezidierte Meinungsäußerungen aufgelockert, sodass sich das Buch auf mehreren Ebenen lesen lässt. Schneider bietet mithin gleichermaßen unterhaltsamen wie auch anspruchsvollen Journalismus, der in erster Linie die popkulturell und poptheoretisch breiter interessierte Leserschaft, mit seinen Städteszeneportraits sowie den ausführlichen Diskografien im Anhang vermutlich aber auch eingefleischte Kassettenszene-Nerds und begeisterte Punk/NDW-Tonträgersammler anspricht.

|385 Seiten, kartoniert
mit zahlreichen Abbildungen
ISBN-13: 978-3-931555-88-7|
http://www.ventil-verlag.de