Schulte von Drach, Markus Christian – Furor

Michael Crichton und Dan Brown haben Konkurrenz bekommen! Endlich wagt sich ein promovierter Biologe an das Schreiben eines Wissenschaftsthrillers, endlich müssen wir uns nicht mehr die naturwissenschaftlichen Ideen und Phantasien von Medizinern und Englischlehrern durchlesen, die nicht selten ziemlich abstrus und undurchdacht wirkten. Markus Christian Schulte von Drach hat mit „Furor“ einen rasanten Thriller vorgelegt, der reale Wissenschaft mit (noch?) fiktiven Ideen mixt und daraus eine äußerst brisante Mischung erschafft.

_Furiose Wissenschaft_

In den letzten Minuten vor seinem Tod spricht der berühmte Hirnforscher Christian Raabe seinem Sohn Sebastian auf die Mailbox und bittet ihn, bestimmte Daten auf seinem Institutsrechner ungelesen zu löschen. Kurze Zeit später wird Christian Raabe mit zerquetschtem Hirn auf dem Dach des Fahrstuhls im Wilder-Penfield-Institut gefunden. Da sein Herz noch schlägt, wird er zunächst ins Krankenhaus gebracht, wo sein Körper am Leben erhalten wird.

Als Sebastian Raabe die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, ist er geschockt und kann nicht an den angeblichen Selbstmord unter Alkoholeinfluss seines Vaters glauben. Schnell findet Sebastian heraus, dass sein Vater seinen Rechner durch ein Passwort geschützt hat, welches er nicht kennt und auch nicht durch den kryptischen Spruch zu entziffern weiß, den der Computer ihm verrät. Er bittet seinen guten Freund Mato um Hilfe, doch kommt er dem Rätsel nicht auf die Spur. In der Wohnung seines Vaters fällt Sebastian das Tagebuch seines Vaters in die Hände, in welchem dieser zwei seiner engen Kollegen beschimpft. Außerdem findet er dort einen Brief, den sein Vater an seine Frau geschrieben, aber offensichtlich nicht abgeschickt hat. Im Brief berichtet Christian Raabe von einer schrecklichen Katastrophe, von der Sebastian bislang nichts gewusst hatte, sodass der unvollendete Brief an seine verstorbene Mutter ihm Rätsel aufgibt. Als Sebastian den Freund seines Vaters Wallroth auf den Brief anspricht, erzählt dieser ihm eine wenig glaubwürdige Geschichte, die Sebastian nicht zu überzeugen vermag.

Mit der Hilfe seiner Freunde schafft Sebastian es schließlich, das Passwort seines Vaters zu entschlüsseln und findet auf dem Rechner brisante Forschungsergebnisse, an deren Existenz Sebastian kaum glauben mag. Doch allzu schnell muss er realisieren, dass das Wissen um diese Ergebnisse ihn in höchste Gefahr bringt …

_Technik, Spannung, Action – Was will man mehr?_

Im gleichen Stil wie beispielsweise auch Dan Brown stellt Schulte von Drach den mysteriösen Tod des renommierten Wissenschaftlers Christian Raabe an den Anfang seines Buches und lässt damit sogleich die Spurensuche beginnen. Raabes Sohn Sebastian kann nicht an den Selbstmord seines Vaters glauben und sucht nach Motiven und auch nach dem Passwort für den Institutscomputer. Viele Fragen werden aufgeworfen, die nach Antworten verlangen. So kommt von Anfang an kein bisschen Langeweile auf, das Buch beginnt von der ersten Seite an rasant und geheimnisvoll.

In einem zweiten Handlungsstrang lesen wir Ausschnitte aus dem Protokoll der Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Spezialkräfte“, in der ein Massaker im Sudan, ausgeübt durch deutsche Soldaten, geklärt werden soll. Die Soldaten können sich gar nicht mehr wirklich an das Geschehen erinnern oder an mögliche Gründe für ihr aggressives Verhalten. Verschiedene Gutachter werden um ihre Meinung gebeten und bringen schlussendlich etwas Licht in das Dunkel, sodass im Laufe des Buches ein immer klareres Bild von den Ereignissen im Sudan entsteht. Auch dauert es nicht lange, bis der Leser die Verbindung zwischen beiden Handlungssträngen erahnt.

Der Spannungsbogen ist fast durchweg gut gelungen, nahezu die gesamten 343 Seiten hält der Autor das Tempo seiner Handlung hoch, doch zwischendurch gibt es leider kleine Hänger, die dem Leser unerklärlich bleiben. Beispielsweise schaut sich Sebastian nicht sofort die vom Rechner seines Vaters kopierten Daten an, obwohl er doch vorher so intensiv nach dem Passwort geforscht hatte. Und als Sebastian sich mit seinen Freunden zusammen in zwei fremde Rechner gehackt hat, interessiert er sich anschließend kaum für die gewonnenen Dateien, die doch Aufschluss hätten geben können über die falsch spielende Person und die Hintergründe für den möglichen Mord an seinem Vater. An diesen Stellen lässt die Spannung etwas nach, da man sich beim Lesen über Sebastians Verhalten wundert.

Ganz anders ist dies im letzten Viertel, wenn Schulte von Drach in die Trickkiste greift und ein paar zu viele Actionelemente einbaut, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Romans aufkommen lassen. Allerdings ist hier die Handlung dermaßen rasant und fesselnd, dass man das Buch auf den letzten hundert Seiten nicht mehr zur Seite legen kann.

_Mustergültiger Wissenschaftsthriller_

Diesem Roman merkt man deutlich an, dass der Autor selbst viel liest, speziell im Thrillergenre, denn er bedient sich sämtlicher typischer Elemente, die für dieses Genre üblich sind. So lässt Schulte von Drach seine Leser kaum verschnaufen, da immer neue Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen Christian Raabe und seinem mysteriösen Tod auftauchen. Auch die Wechsel zwischen zwei Handlungssträngen, die auf den ersten Blick nichts miteinander gemeinsam haben, am Ende allerdings zusammengeführt werden und einen Sinn ergeben, kennt man von anderen Thrillern. Am Ende des Buches steht ein actionreiches Showdown, welches wiederum an zwei unterschiedlichen Schauplätzen stattfindet, sodass hier schnelle Wechsel von einem Ort zum anderen immer mehr Spannung aufkommen lassen.

Natürlich darf auch nicht die übliche Liebesgeschichte zwischen dem männlichen Protagonisten und einer hübschen und intelligenten Frau fehlen, deshalb entwickelt sich zwischen Sebastian und der Journalistin Sareah Anderwald eine leidenschaftliche Affäre, wodurch auch Sareah in das Zentrum der Gefahr gerückt wird. Von außen erhalten die guten Figuren wieder Hilfe, wobei auch hier einer falsch spielt und Böses im Schilde führt. Nebenbei hat Sebastian einige Rätsel zu lösen, die sein Vater und dessen Tagebuch sowie der gefundene Brief ihm aufgegeben haben.

Umrahmt wird diese rasante Geschichte durch interessante wissenschaftliche Details, die zwischendurch immer wieder erörtert und dem unkundigen Leser erklärt werden. Doch erst im Nachwort erfährt der Leser, wo an dieser Stelle die Phantasie des Autors einsetzt und wissenschaftlichen Fortschritt erfindet, den es noch gar nicht gibt. Die Ausführungen über die aktuelle Hirnforschung nehmen dabei nie überhand, als naturwissenschaftlich interessierter Leser hätte man sich durchaus noch mehr Informationen gewünscht, aber Schulte von Drach schafft es, sein Wissen überzeugend und interessant vorzutragen, sodass er auch diejenigen ansprechen dürfte, die sich für Hirnforschung eher weniger begeistern können.

Auch sprachlich orientiert sich Schulte von Drach an seinem offenkundigen Vorbild Michael Crichton, denn seine Sprache ist einfach zu verstehen und flüssig zu lesen, selbst die wissenschaftlichen Erörterungen bleiben stets verständlich. Nirgends tauchen komplizierte Satzkonstrukte auf, über die man beim Lesen stolpern könnte und wenn am Ende das Erzähltempo angezogen wird, werden die Sätze sogar noch übersichtlicher und kürzer. All dies führt dazu, dass „Furor“ zu einem rasanten Leseerlebnis wird.

_Nichts ist unmöglich_

Für seinen Erstlingsroman hat Markus Christian Schulte von Drach sich ein hochbrisantes Thema herausgesucht. In „Furor“ ist es Hirnforschern nämlich gelungen, die Erinnerungen von Toten auf Film-CDs zu speichern, die man sich später ansehen und nachfühlen kann. Die Wissenschaft ist hier nicht mehr weit davon entfernt, das Hirn von Probanden zu manipulieren, Erinnerungen zu beeinflussen und sich diese Kenntnisse für gefährliche Zwecke zu Nutze zu machen. Die Thematik fasziniert von der ersten Seite an, denn auch die aktuelle Forschung hat schon viele Teile des Hirns und seine Aktivitäten entschlüsselt, sodass die Handlung dieses Thrillers gar nicht mehr so weit hergeholt erscheint, wenn es denn den hier erwähnten „Raab’schen Kanal“ wirklich geben würde, durch welchen fast alle Informationen laufen müssen. In seinem Nachwort macht der Autor noch mal deutlich, was heutzutage möglich ist und an welchen Stellen er selbst für seinen Roman hinzugedichtet hat.

Die hierdurch möglichen Konsequenzen werden in einem zweiten Nachwort des Wissenschaftlers Christof Koch vom California Institute of Technology in Pasadena/USA diskutiert. Durch diese Hinweise wirkt das Buch nach und regt den Leser selbst zum kritischem Hinterfragen an, denn die hier vorgestellten Möglichkeiten könnten wahrlich erschreckende Folgen nach sich ziehen. Wieder einmal wird deutlich, dass die immer weiter voranschreitende Wissenschaft nicht nur positive Konsequenzen hat, sondern auch große Gefahren mit sich bringt, wenn das neue Wissen von den falschen Mächten missbraucht wird.

_Figuren und ihre Klischees_

Bei der Charakterzeichnung konzentriert Schulte von Drach sich speziell auf Sebastian Raabe, der von Anfang an alle Sympathien auf sich vereinigt, da er der Idealtypus des netten und erfolgreichen Medizinstudenten ist, der den Tod seines Vaters zu verkraften und dessen Hintergrund zu enträtseln hat. Obwohl Sebastian doch wenige Eigenschaften aufweist, die ihn vom typischen Romanhelden abheben, fühlt man doch stets mit ihm mit und wünscht sich, dass er den bösen Kräften auf die Spur kommen wird. Seelisch-moralische Unterstützung erhält Sebastian von seiner neuen Freundin Sareah, die wirklich alle Klischees auf sich vereinigt. Selbstverständlich ist sie jung, hübsch und intelligent und steht ihrem Freund in allen Gefahren bei.

Erst in Sebastians Freundeskreis taucht eine etwas gescheiterte Figur in Form seines Freundes Hobbes auf, der eine dunkle und undurchsichtige Vergangenheit verlebt hat. Ein wenig hat es den Eindruck, dass die hollywoodtypischen Charaktere verwendet werden, die eine Verfilmung dieses Romans stark erleichtern würden. Dennoch fällt dieser Punkt nicht wirklich negativ ins Gewicht, da die Geschichte an sich zu überzeugen weiß und der Leser angesichts dieser Figuren doch ein Auge zudrücken mag.

_Unter dem Strich_

Mit nur kleinen Schönheitsfehlern ist Markus Christian Schulte von Drach ein fulminanter Wissenschaftsthriller gelungen, der sich nicht hinter Werken von Michael Crichton verstecken muss und auf dem Buchdeckel zurecht Werbung mit diesem Vergleich macht. Die Thematik des Buches ist faszinierend und regt zum Nachdenken über wissenschaftsethische Fragen an, auch schafft der Autor es überzeugend, den tatsächlichen Stand der Forschung mit seinen eigenen Ideen zu vermischen. Einzig die Figurenzeichnung überzeugt nicht wirklich, allerdings mindert das den Gesamteindruck des Buches nicht, da authentische Charaktere in Thrillern meist Mangelware sind. Auch der Spannungsbogen versteht es mitzureißen, nur zum Schluss trägt Schulte von Drach etwas zu dick auf und fügt zu viele Actionelemente ein, sodass „Furor“ zwar nicht durchweg zu überzeugen weiß, aber doch ein unterhaltsames und interessantes Lesevergnügen verspricht, das ich jedem Fan von Wissenschaftsthrillern nur empfehlen kann.