Robert S. Sennett – Traumfabrik Hollywood. Wie Stars gemacht und Mythen geboren wurden

Werbung und Film scheinen seit jeher siamesische Zwillinge im Geiste der Übertreibung bzw. der Lüge zu sein. Autor Sennett belegt, wie diese Verbindung Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, um in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ein pseudo-reales Eigenleben zu entwickeln … – Das hochinteressante Thema wird weniger tiefschürfend als breit dargestellt. Trotzdem ein fesselndes Sachbuch, das zudem reich und kundig bebildert ist.

Als Werbung noch Information war

In der Gegenwart spielt die Werbung eine so gewichtige Rolle, dass sie aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken ist. Mehr noch: Die Penetranz, mit der Werbung omnipräsent im Leben jedes Menschen geworden ist, lässt den Gedanken daran, dass dies einmal anders gewesen sein könnte, nur schwer aufkommen. Doch es gab Zeiten, in denen „Werbung“ nicht das Synonym für Übertreibung, Verkaufsoptimierung und schlichte Lüge war. Die Werbung ist ein Kind der Information; die Feder sträubt sich förmlich gegen diese Worte, doch so ist es in der Tat gewesen. Werbung plus Film, und Film = Hollywood – dies sind Welten, die sich wahrlich gesucht und gefunden haben. Mit der unwiderstehlichen Anziehungskraft fusionierender Atomkerne reagierten sie, die Druckwelle der daraus resultierenden Explosion ließ das ‚Wissen‘ um die Wunderwelt der Stars und Sternchen um den gesamten Erdball rasen; sie ist bis heute nicht zum Stillstand gekommen.

Die ersten fünf Jahrzehnte dieser Geschichte erzählt der Filmhistoriker Robert S. Sennett (geb. 1955). „Traumfabrik Hollywood“ ist – so viel sei an dieser Stelle vorweggenommen – eine angenehme Abwechslung im eher drögen Einerlei der (deutschen) Filmbuch-Szene, die sich besonders in den großen Verlagshäusern in bunt bebilderten aber inhaltsschwachen Star-‚Biografien‘ oder Hintergrund-‚Berichten‘ mit der Wahrheitsgehalt nordkoreanischer Regierungsbulletins erschöpfen.

Sennett beginnt seinen knappen aber umfassenden Überblick mit einer Rückschau in Hollywoods Zeit vor dem Sündenfall – die Jahre kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert, als der Film – man lese und staune – nur ein Nebenprodukt der jungen Filmindustrie war, das dazu diente, die eigentliche Ware zu verkaufen: die Projektoren, die in Vergnügungsparks, Varietés oder finsteren Nickelodeons aufgebaut wurden, um dort als Jahrmarktsattraktion bestaunt zu werden!

Der Sündenfall …

Sobald ab 1910 der moderne Film entstand, wie wir ihn kennen, kehrte sich dies bekanntlich um. Findige Mitarbeiter der jungen Studios – Werbefachleute und Marketingstrategen konnte man sie noch nicht nennen – fanden bald heraus, dass das Publikum auch einen Blick in die Welt jenseits der Leinwand werfen wollte: Der Mensch interessiert sich am meisten für den Menschen und hier (aus sicherer Entfernung) für jene Zeitgenossen, die ‚anders‘ sind.

Das Faszinierende daran war, dass sich dieses Interesse nicht nur finanziell nutzen ließ, sondern völlig unabhängig von der Realität existieren konnte! Rasch waren folglich die Zeiten vorüber, als sich Hollywoods Journalisten den Wahrheitsgehalt ihrer Meldungen noch von denen, über die sie berichteten, bestätigen ließen (!). In den 1920er Jahren setzte sich eine Maschinerie in Gang, die sich in ihren besten Zeiten selbst speiste und trotzdem ihre Aufgabe perfekt erfüllte: das Perpetuum Mobile der Filmwerbung, das Stars und Trends ‚machte‘ und dem Publikum vorschrieb, was es zu mögen und zu fühlen hatte.

Hollywoods „Goldene Jahre“, die in dieser Ära begannen und etwa vier Jahrzehnte dauerten, profitierten von einer aus heutiger Sicht ebenso genialen wie infamen wirtschaftlichen Konstellation: Die großen Filmstudios besaßen eigene Kinoketten, die ausschließlich eigene Produktionen zeigten. Unter dieser Voraussetzung ließen sich Soll und Haben auf der Basis einiger Erfahrungswerte praktisch im Voraus berechnen. Dreh- und Angelpunkt der Studiopolitik musste es folglich primär sein, die ‚eigenen‘ Kinobesucher bei Laune zu halten und in die Kinos zu locken – und das waren um 1935 USA-weit stolze 16000 Spielstätten!

Die in den 1930er Jahren schon in Bataillonsstärke besetzten Werbeabteilungen ließen sich einiges einfallen, um dieses Ziel zu erreichen. Mit Informations- und Werbematerial – die Übergänge waren schon damals fließend – wurde nicht gegeizt. Hinzu kamen allerlei Aktionen, wie Preisausschreiben und Gewinnspiele, die den verblüfften Teilnehmer plötzlich in den Besitz der Seemannsmütze bringen konnte, die Frank Sinatra 1949 in dem MGM-Streifen „On the Town“ („Heut‘ gehn wir bummeln“) getragen hatte.

Dienst nach Drehschluss

Hinzu kam der Einsatz der ‚Ware‘ Filmstar – und das in einem Umfang, der nur wenige Jahre später den Gedanken an moderne Sklaverei laut werden ließ. Filmstudios ‚besaßen‘ Schauspielerinnen und Schauspieler, die nur in den hauseigenen Produktionen auftreten durften bzw. profitabel an andere Studios vermietet wurden. Der Dienst endete nicht mit dem Drehschluss: Nun wechselten die Darsteller in die Tretmühle der Werbemaschine über und drehten pflichtschuldig ihre Runden: Fotos, Live-Auftritte, Reisen kreuz und quer durch das Land. Diese Pflichten waren vertraglich festgeschrieben und konnten sich nicht selten ebenso lange hinziehen wie die eigentlichen Dreharbeiten: Solange die Hollywood-Studios regierten, wurden Filme nur in geringer Kopienzahl eingesetzt. Sie wanderten von den wichtigen in die weniger wichtigen Kinos, was einige Monate dauerte. Gute Publicity war deshalb wichtig und konnte einen Film bis zum Ende seiner natürlichen Laufzeit am Leben halten. Auch am Abend hatten die Stars nicht frei. Sie mussten sich in der Öffentlichkeit sehen lassen, sich dort ihrem vom Studio sorgfältig entworfenen Image gerecht zeigen und Hof halten.

Der Aufwand, der hier getrieben wurde, war ungeheuerlich. Autor Sennett erzählt von Werbeaktionen, die man kaum für möglich halten möchte. Eine ganze Folge-Industrie lebte von Hollywood, ohne selbst mit dem Film zu tun zu haben. Sennett berichtet von einer fremden Zeit, in der die Stars vor Klatschkolumnisten wie Hedda Hopper und Louella Parsons zittern oder kuschen mussten; eine Zeit, in der juristische Termini wie „üble Nachrede“ oder „Verleumdung“ für die (Hollywood-) Presse praktisch nicht existierten.

Auf der anderen Seite standen die Agenten, eine Spezies, die erst mit dem Ende der Stummfilmzeit aufkam, dann aber rasch Macht und Einfluss gewann und den geplagten Stars gegen eine 10- oder 15-prozentige Gagenbeteiligung die ungeliebten Gagen- und Vertragsklausel-Gefechte abnahmen, oder die Studio-Fotografen, die mit Licht und Schatten zauberten und denen so manche Hollywood-Legende ihren Status erst verdankt. Ihnen und anderen, die sonst nicht ins Rampenlicht gelangen, widmet Sennett breiten Raum, und es ist interessant, seinen Ausführungen zu folgen.

Das Ende des (Lügen-) Traums

„Traumfabrik Hollywood“ endet folgerichtig mit dem Ende der Goldenen Jahre. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das Kinomonopol der Studios zerschlagen; bis dieses Urteil in die Realität umgesetzt und die Trennung endgültig vollzogen war, vergingen noch einmal anderthalb Jahrzehnte. Als es schließlich soweit war, standen die Studios vor einem anderen, ebenso gefährlichen Gegner: dem Fernsehen.

Der Tod der klassischen Film-Metropole zog sich über mehr als ein Jahrzehnt (ab ca. 1950) hin. Hollywood überlebte bekanntlich – wenn auch nur knapp -, aber es sollte ein völlig anderes Gesicht bekommen. Die perfektionierte Mythen-Maschine Hollywood war endgültig zum Halt gekommen. Nie wieder sollten Stars vom Kaliber eines Gary Cooper, einer Marlene Dietrich oder einer Greta Garbo ‚gemacht‘ werden. (Wer dies nicht glauben mag, sollte einmal die Halbwertszeiten der genannten Darsteller mit denen ihrer modernen Nachfahren vergleichen.)

Sennett bietet einen guten Überblick zum gewählten Thema. Mehr ist es aber nicht. Selbst hier in Deutschland, wo den Leser ein ganzes Weltmeer von den Archiven trennt, in denen der Autor arbeitete, merkt man bei der Lektüre rasch, dass Sennett nicht besonders tief geschürft haben kann. Bestimmte Namen tauchen wieder und wieder auf, bis man sich wünscht, auf das so eifrig zitierte Originalwerk zugreifen zu können.

Dagegen gibt das Bildmaterial zu keiner Klage Anlass. Hochglanzpapier und Riesenformat gibt es nicht, aber die gewählten Motive illustrieren anschaulich, was Sennett im Text anspricht; sie werden in der sowohl schön aufgemachten als auch kostengünstigen deutschen Ausgabe in guter Qualität wiedergegeben.

Paperback mit Klappenbroschur: 173 Seiten
Originaltitel: Hollywood Hoopla. Creating Stars and Selling Movies in the Golden Age of Hollywood (New York : Billboard Books 1998)
Übersetzung: Wolfgang J. Fuchs

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