Wolf Serno hat lange als Werbetexter in großen Agenturen und 20 Jahre lang als Creative Director in einer großen Hamburger Agentur gearbeitet. 1997 beschloss Wolf Serno, nicht mehr für andere, sondern für sich selbst zu schreiben. Das Ergebnis war der Bestseller „Der Wanderchirurg“, dem später noch der Folgeband „Der Chirurg von Campodios“ und ganz aktuell „Die Mission des Wanderchirurgen“ folgen sollten. Der Autor lebt heute mit seiner Frau und seinen Hunden in Hamburg.
Die Geschichte:
Weil der zuständige Beamte aufgrund einer Krankheit gerade nicht verfügbar ist, ruft das Gericht den Alchemisten und Gelehrten Lapidius zu einer peinlichen Befragung, bei der die Angeklagte Freya Säckler der Hexerei für schuldig erklärt werden soll. Obwohl für den anwesenden Richter und diverse Zeugen das Urteil eindeutig scheint, äußert Lapidius Bedenken. Bei genauer Betrachtung der jungen Dame fällt ihm dabei auf, dass die vermuteten ‚Hexenmale‘ Anzeichen für eine Syphilis-Erkrankung sind, mit der Lapidius vor Jahren bei einer Spanienreise auch einmal zu kämpfen hatte. Damals wurde er von einem ortsansässigen Freund während einer dreiwöchigen Kur unter Schmerzen und Qualen geheilt und hinterließ als Dank das Versprechen, in einer vergleichbaren Situation ebenfalls die betroffene Person zu heilen.
Nun bekommt er hierzu Gelegenheit und nimmt die junge Freya in seine Obhut. Die ist erst wenig angetan von der seltsamen Zuwendung des Alchemisten, lässt sich aber schließlich doch auf das Heilverfahren in der Hitzkammer ein. Zwanzig Tage muss sie dort verbringen, und es sollen zwanzig ereignisreiche Tage werden, die sowohl Lapidius als auch die Angeklagte nie mehr vergessen werden …
Es sind nur wenige Stunden vergangen, da findet ein alkoholiserter Alter des Nachts mitten auf dem Marktplatz die Leiche einer Frau, in welche die beiden Buchstaben F und S eingeritzt wurden. Natürlich fällt der Verdacht sofort auf die Säckler, jedoch gelingt es Lapidius, das Getuschel im Keim zu ersticken. Als jedoch dann ein Frauenkopf an seinem Haus baumelt und die Meute infolgedessen sein Haus stürmt, um der mutmaßlichen Hexe den Garaus zu machen, gehen dem Gelehrten die Argumente aus, um die offensichtliche Unschuld zu beweisen.
Lapidius ermittelt auf eigene Faust weiter und begibt sich auf die Suche nach Hinweisen, welche die junge Dame entlasten könnten. Dabei fällt ihm schnell auf, dass seine Schnüffelei nicht erwünscht ist, aber trotzdem ermittelt er beharrlich weiter.
Die zurückhaltende und teils barsche und abweisende Haltung seiner Gesprächspartner lässt schließlich jeden Bewohner der kleinen Kirchengemeinde Kirchrode verdächtig erscheinen. Nach und nach findet der Alchemist heraus, dass eine Gruppe, die sich als „Die Söhne des Teufels“ bezeichnet, für die Taten verantwortlich ist und auch Freya zu meucheln versucht hat. Jetzt gilt es nur noch, die Verantwortlichen hinter den Teufelsmasken zu entlarven, doch das ist schwieriger als vermutet, denn einerseits muss Lapidius als verdeckter Ermittler seine Tarnung bewahren, und andererseits sind einfach zu viele Leute verdächtig, als dass er hinter das Geflecht aus Intrigen und Korruption blicken könnte. Doch die Zeit rennt ihm Tag für Tag davon, denn nach der dreiwöchigen Kur soll Freya wieder vors Gericht gestellt werden und ihr Urteil entgegennehmen …
„Hexenkammer“ fängt im Prolog bereits sehr mysteriös an. Die Rede ist von drei Söhnen des Teufels, die eine Frau schänden wollen, welche ihnen aber aus unbekannten Gründen kurz vor der Tat entflohen ist. Dann erst beginnt die eigentliche Geschichte, und zwischendurch versucht man recht häufig, den Zusammenhang zwischen dem Treiben in Kirchrode und dieser schwarzen Messe zu sehen. Nach und nach löst Wolf Serno das Geheimnis um die Teufelsanbeter und die mysteriöse Frau in der Anfangssequenz auf.
Doch bis man als Leser diesen Durchblick hat, befindet man sich schon mittendrin in einer Geschichte voller böswilliger Gestalten, korrupter Kirchgänger und Pfarrer, irrational agierender Gerichtsdiener und vieler ängstlicher Leute, denen die bloße Vorstellung von Hexen, schwarzen Messen und dem Gehörnten höchstpersönlich einen ordentlichen Schauer über den Rücken jagt.
Diese Angst ist quasi der Leitfaden, der die Leute zu dieser Zeit auch charakterisieren soll. „Hexenkammer“ spielt im Jahre 1547 in einer sehr gläubigen und somit auch leicht beeinflussbaren Gemeinde, die sich am liebsten aus all den verworrenen Geschehnissen heraushalten möchte, durch ihre Betroffenheit und die fehlende Transparenz der dort lebenden Menschen aber nicht mal ansatzweise aus der Realität entfliehen kann. Doch bei den Bemühungen, sich bloß nicht verdächtig zu machen und eine weiße Weste zu wahren, werden sie vom Hauptcharakter Lapidius ertappt, was ihre Unsicherheit wiederum nur noch wachsen lässt und ihre Position wieder in ein ganz anderes Licht rückt.
Zur Mitte der Erzählung hin hat der Autor es jedenfalls geschafft, bis auf Lapidius und Freya selbst jeden einzelnen Mitwirkenden verdächtig erscheinen zu lassen, sei es nun durch kurz eingefügte Andeutungen oder aber Handlungen, mit denen Serno den Leser gleichzeitig auch leicht in die Irre führt. Bis zum Schluss lässt sich Wolf Serno nicht in die Karten schauen, und das nicht wegen eventueller unerwarteter Wendungen in der Handlung – die zweifelsohne auch in einer beachtlichen Zahl enthalten sind – sondern eher schon wegen der zunächst unzulänglich erscheinenden Beschreibungen der Dorfbewohner von Kirchrode. Aber das macht ja gerade auch einen guten Krimi aus; der Leser tappt bis kurz vor Schluss im Dunkeln und malt sich selber die hanebüchensten Theorien aus, muss diese aber dann zumeist wieder verwerfen – nur um zum Ende hin richtig überrascht zu werden.
Dem Autor ist es zudem wirklich gut gelungen, die Handlung in den geschichtlichen Kontext einzubauen. Die bedingungslose Furcht vorm Teufel und das strikte Vorgehen gegen vermutlich Ungläubige stehen hier auf der einen, das intrigante Handeln der Oberen und der Missbrauch ihrer vom Geld herrührenden Macht auf der anderen Seite. Gleichsam hat Serno beim einfache Volk Fragmente der frühneuhochdeutschen Sprache eingebaut und die Sache so noch authentischer wirken lassen. Aber im Mittelpunkt steht hier in vielerlei Hinsicht eben die Angst und diese auch in den verschiedensten Erscheinungsformen, und mit Hilfe dieses Mittels ist es dem Autor schließlich auch gelungen, ein durchweg spannendes, der entsprechenden Zeit gemäßes und äußerst lesenswertes Buch zu verfassen, dessen 350 Seiten man sehr rasch durchgeackert hat. Meine Empfehlung an Wolf Serno und „Hexenkammer“.
Anmerkung: Das Buch ist unter dem Titel „Die Hitzkammer“ bereits 2002 im Bertelsmann-Club und 2004 bei Droemer erschienen.
Taschenbuch: 368 Seiten
www.droemer-knaur.de