Charles Sheffield – Feuerflut. SF-Roman

Im Jahr 2026 erstrahlt am Südhimmel der Erde eine zweite, ebenso helle Sonne: die Alpha-Centauri-Supernova. Ein kosmisches Schauspiel von seltener Schönheit für den entfernten Betrachter, diese explodierende Sonne. Doch die harten Gammastrahlen der gigantisch aufgeblähten Nova unseres nächsten Nachbarsystems lösen auf der Erde nicht nur Naturkatastrophen aus, sondern schalten die gesamte Elektronik der Welt aus. Der Elektromagnetische Puls (EMP) schaltet alle Chips aus – das Ende der technischen Zivilisation, wie wir sie kennen.

Der Autor

Der renommierte Autor Charles Sheffield (siehe unten: Der Autor) ist ein Vertreter der naturwissenschaftlich ausgerichteten so genannten „Hard-Science-Fiction“. Anhand seiner Kompetenz in Physik, Elektronik, Astronomie usw. schafft er es spielend, dem Leser die besonderen Umstände, Ursachen und Folgen dieser Katastrophe nahe zubringen und verständlich zu erklären. Das ist nicht alles: Anstatt einen kalten Essay abzuliefern, erzählt er mehrere menschliche Dramen, die er kunstvoll miteinander verknüpft.

Der Originaltitel „Aftermath“ bedeutet Nachwehen, Nachspiel. Und darum geht es im Grunde, um die Frage „Wie geht es nach dem Ende der technischen Kultur weiter?“ Diese Frage haben Niven/Pournelle einmal eindrucksvoll und sehr erfolgreich in ihrem Schmöker „Luzifers Hammer“ anhand eines Meteoreinschlag beantwortet. Aber auch wenn die Natur verrückt spielt und Stürme und Flutwellen ganze Kontinente verwüstet haben, so existiert in Sheffields Geschichte doch noch ein funktionierendes Fundament an Technik, jedenfalls in den Vereinigten Staaten. Dadurch hat der Überlebenskampf ein anderes Niveau als bei Niven/Pournelle.

Drei Handlungsstränge

Da sind zum einen die Alten, die sich rechtzeitig vor dem drohenden Chaos nach dem Erscheinen der Nova und dem Zuschlagen des EMP in ihre Berghütten zurückgezogen haben. Aber nicht nur ihr vor-elektronisches Wissen ist wichtig, sondern auch der Umstand, dass an ihnen eine neuartige Krebstherapie durchgeführt wurde. Als sie den Verlauf des Krebses nicht mehr mit Elektronik überwachen können und auch bei den Medizinern niemand mehr am Leben ist – ein brutaler Überlebenskampf ist überall entbrannt – da müssen sie sich an den Erfinder der Gentherapie wenden. Das Dumme ist nur: Doktor Oliver Guest befindet sich als verurteilter Serienmörder in künstlichem Tiefschlaf in einem Hochsicherheitsgefängnis …

Der zweite Handlungsstrang hat den amtierenden US-Präsidenten zum Mittelpunkt. Saul Steinmetz hat zwar ein schweres Amt in dieser Katastrophenzeit, aber er arbeitet hart und versucht es mit Humor zu nehmen. Sein großes Vorbild ist Benjamin Disraeli. Diese Szenen aus der Hauptstadt Washington gehören mit zum Intelligentesten, was ich in der Science-Fiction über diesen Politzirkus gelesen habe.

Eines Tages will seine Stabsoffizierin Yasmin Lopez das Hochsicherheitsgefängnis Q-5 inspizieren, wo nicht nur Dr. Oliver Guest, sondern auch ihr Bruder Raymond Lopez in künstlichen Strafschlaf versetzt wurde. Da aber die Technik ausgefallen ist, macht sie sich Sorgen – mit Steinmetz‘ Erlaubnis darf sie nachsehen, doch sie kommt wegen Schnees nicht durch. Als Steinmetz ihr per Schiff nachreist und sie trifft, kommen sich die beiden beträchtlich näher. Im Hochsicherheitsgefängnis dürften unterdessen bereits die Massenmörder entweder tot oder schon ausgebrochen sein …

Der dritte und letzte Handlungsstrang erzählt vom tragischen Schicksal der zurückkehrenden Marsexpedition. Die sieben Raumfahrer dachten, sie hätten für alles vorgesorgt. Nie im Traum dachten sie daran, einmal mit ihrem Raumschiff „Schiaparelli“ im Raum über der Erde zu stranden, das Ziel vor Augen.

Denn natürlich hat der EMP auch die zwei Raumstationen ISS-1 und -2 völlig außer Gefecht gesetzt; deren Besatzung, so entdecken die Astronauten, ist gefriergetrocknet, alle Systeme sind ausgefallen. Lediglich zwei Shuttles funktionieren noch, die sofort bemannt werden. Da sich aber die Atmosphäre unter der verdoppelten Hitzeeinstrahlung verändert hat, ist der manuell gesteuerte Kurs verhängnisvoll: Beim Eintritt in die Lufthülle verglüht der erste Orbiter in einem weißen Hitzeball. Wird es der zweite Shuttle schaffen?

Wer sich jetzt fragt, was das mit den ersten beiden Handlungen zu tun hat, sollte mal überlegen: Irgendwo muss die Kiste, falls sie es schafft, ja wieder runterkommen …

Weitere Informationen zur Vorgeschichte liefert das „Geheime Tagebuch von Dr. Oliver Guest“. In seinen Formulierungen versucht er vergeblich zu verbergen, dass er eine Art „Hannibal Lecter“ der Gentechnik ist. Ebenso wie Hannibal ist er intelligent und kultiviert, doch leider ist damit keinerlei Mitgefühl für seine Mitmenschen verbunden. Bis zur letzten Buchseite bangen wir daher um das Leben von Art und Dana und ihren Freunden.

Mein Eindruck

Es ist geradezu eine Erleichterung, zur Abwechslung mal einen so gut und unterhaltsam geschriebenen Science-Fiction-Roman zu lesen. Die Menschen, die hier auftauchen, sind glaubwürdig, beinahe lebendig. Sie sind keine Pappnasen und Rollenträger, sondern werden mit all ihren liebenswerten Fehlern, Mängeln und verborgenen Stärken vorgestellt.

So entwickelt sich beispielsweise nicht nur zwischen der schönen, aber ehrlichen Yasmin Silvers und dem tapferen Präsidenten eine intime Beziehung, sondern auch zwischen Art und Dana auf ihrer Expedition zum Q-5-Gefängnis. Diese Geschichte ist nicht nur mit Humor und Frozzelei verbunden, sondern auch mit Menschenkenntnis und dem Wissen, dass die Drei jederzeit scheitern können. Solche Souveränität bei Menschenbeschreibungen habe ich in letzter Zeit nur noch bei den Besten des Feldes gelesen: Ursula K. Le Guin, Poul Anderson, Robert Silverberg und ein paar anderen.

Techniklaien brauchen keine Angst zu haben: Sobald die Wörter „Relativität“ oder „Entropie“ fallen, gehen beim Präsidenten die Lichter aus und er verbittet sich jedes weitere Wort in dieser Richtung. Und so kommt es, dass selbst ein kindliches Genie wie der Marsastronaut Wilmer Oldfield die nächste kosmische Katastrophe (bislang schickte die Nova ja nur Strahlung, aber die Teilchen folgen noch) in einfachsten Worten erklären muss – eine köstliche Szene. Es dürfte klar sein, dass der Autor hier sein Licht unter den Scheffel stellt: Er hat eindeutig mehr drauf, als er zeigt.

Die drei Handlungsstränge plus Guest-Tagebuch sind einigermaßen spannend. Allerdings kommen Battletech- und Shadowrun-Fans hier nicht auf ihre Kosten, denn die Action beschränkt sich meist auf politische oder private Wortgefechte, witzige Badeszenen oder Bootsdiebstähle (Seths Spezialität). Hier sollte man Geduld und Sinn für Humor mitbringen, sich zurücklehnen und die Show genießen.

Der Autor

Der 1935 in England geborene und seit den Sechzigern in den USA lebende Charles Sheffield (1935-2002) studierte Mathematik und Physik in Cambridge, England, und gilt als eine Kapazität auf dem Gebiet der Astronomie – er war Präsident der |American Astronautical Society| und Vizepräsident der |Earth Satellite Corporation|.

Sheffield veröffentlichte 1977 seine erste Story im Magazin „Galaxy“, im Jahr darauf erschien sein erster Roman „Sight of Proteus“, der Auftakt seiner Proteus-Trilogie. Er vertritt darin optimistisch den Gedanken, dass mit Hilfe von Maschinen Menschen und andere Lebewesen ähnlich wie der antike Gott Proteus ihre Form verändern können, um zu den nahen Sternen zu fliegen. Es gehört zu Sheffields Markenzeichen, dass er das Universum (auch das mikroskopisch kleine) stets interessant findet und mit Vorfreude auf Entdeckungen wartet – selbst wenn sich diese als weniger angenehm herausstellen sollten. Er ist auch ein Meister in der Verwendung von Ironie.

In seinem zweiten Roman „The Web between the Stars“ (1979) beschrieb er einen „Fahrstuhl“ in die Erdumlaufbahn. Fast gleichzeitig verarbeitete Arthur C. Clarke den gleichen (sowjetischen) Gedanken in „Fountains of Paradise“. Beide gelangten unabhängig voneinander zur gleichen Idee. Kim Stanley Robinson griff diese Idee wieder in seinem Roman „Roter Mars“ auf, der mit dem katastrophalen Absturz eines solchen Fahrstuhls auf die Marsoberfläche endet.

Weitere interessante Romane sind „zwischen den Schlägen der Nacht“ (1985) mit seiner universumweiten Sicht à la Greg Bear – sowie „Die Nimrod-Jagd“, eine Space-Opera mit interessanten Aliens und Cyborgs. Zuletzt erschienen bei uns noch „Die Welt der Handelsfahrer“ (1988, dt. 1996), in der sich eine Post-Holocaust-Menschheit einer Alien-Invasion gegenübersieht, „Sternenfeuer“ (dt. 2002) und „Kalt wie Eis“ alias „Eismond“ (dt. 2005).

Taschenbuch: 671 Seiten
Originaltitel: Aftermath, 1998
Aus dem US-Englischen übertragen von Christine Strüh

www.heyne.de

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