Sheila Radley – Das Unheil in Person (Douglas Quantrill 3)

Als in einer englischen Kleinstadt ein Skelett entdeckt wird, rührt die Polizei eine sorgfältig vertuschte aber nie überwundene Tragödie auf, die nun ihre gnadenlose Fortsetzung findet … – Der dritte Fall für Chief Inspector Quantrill bietet makelloses englisches Krimi-Handwerk. Die meisterlich dargestellte Dorf-Idylle, die gleichzeitig Gefängnis ist, ist die Ideal-Kulisse für eine ebenso schauerliche wie traurige Geschichte, die von der Verfasserin nichtsdestotrotz humorvoll präsentiert und gebührend überraschend aufgelöst wird: ein zeitloses Lektüre-Vergnügen.

Das geschieht:

Breckham Market ist eine Kleinstadt im östlichen England. Im Schatten der immer noch den Ort dominierenden Pfarrkirche St. Botolph kämpft die Tradition mit der Moderne, was sich u. a. in der Kriminalitätsstatistik niederschlägt: Die Gegenwart hat das Städtchen längst erreicht. Aktuell muss sich Detective Chief Inspector Douglas Quantrill, der die örtliche Kriminalpolizei leitet, nicht nur mit einem schier endlosen, eisigen Winter, sondern auch mit der unangenehmen Tatsache herumschlagen, dass ausgerechnet sein Sohn als Mitglied einer Gruppe gelangweilter Vandalen identifiziert wurde, die das Gemeindezentrum verwüstet hat.

Mit dem Hut in der Hand wird Quantrill im Pfarrhaus vorstellig, wo ihn das Schicksal vor weiterer Demütigung bewahrt: Beim Rodeln auf dem Hang der Wiese hinter dem Pfarrhaus sind just zwei Kinder im Gebüsch auf einen Menschenschädel gestoßen. Da Pfarrer Robin Ainger und Gattin Gillian nicht nur ahnen, auf wessen Hals dieser einst gesessen hat, wechselt Quantrill, dem diese Reaktion keineswegs entgeht, in die Offensive, ohne das Paar jedoch in die Enge treiben zu können.

Der Polizeiapparat nimmt seine Arbeit auf. Wer war der Mann, dessen Restleiche aus dem erwähnten Gebüsch geborgen werden kann, und wie kam er zu Tode? Die Forensik muss passen, die Überreste geben die Ursache nicht preis. Wenigstens kommen die Aingers aus ihrer Deckung. Zögerlich eröffnen sie Quantrill, dass es sich bei dem Toten um den australischen Studenten Athol Garrity handeln könnte, der im Sommer des Vorjahrs auf der bewussten Wiese sein Zelt aufgeschlagen hatte.

Der junge Mann war kein Kind von Traurigkeit und oft betrunken, was den Kreis der Verdächtigen einerseits vergrößert. Andererseits ermitteln Quantrill und sein Team, dass die ebenfalls aus Australien stammende Studentin Janey Randolph Garrity kannte und für Turbulenzen in der Ainger-Ehe gesorgt hat. Was ist im Pfarrhaus und auf der Wiese geschehen? Die Auflösung bringt Klarheit, enthüllt jedoch eine Tragödie, die noch ein weiteres Opfer fordern wird …

Zünder für eine ohnehin schwelende Lunte

„Wieder ein Fuchs und kein Gewehr“, lautet einer jener ‚witzigen‘ Sprüche, die sich Träger einer roten Haarpracht noch heute anhören müssen. Rot ist nun einmal eine Signalfarbe, weshalb jene, die auf Gipfelhöhe ihres Körpers damit markiert sind, erst recht herausstechen, wenn sie die Grenzen von Gesetz und Moral übertreten. Solches Fehlverhalten wird verallgemeinert, wobei die Haarfarbenübereinstimmung mit dem Fuchs keinesfalls hilft, wird dieses Tier doch seit alters als „schlau“ bzw. „durchtrieben“ und „hinterlistig“ gebrandmarkt.

Politisch korrekt sind entsprechende Verunglimpfungen natürlich nicht (mehr), was Sheila Radley keineswegs abhält, die für den deutschen Titel verantwortliche Figur Janey Randolph mit ganz besonders rotem Haar auszustatten; der Roman erschien bereits 1982, wo dies womöglich etwas lockerer gesehen bzw. tugendboldfrei als wertneutrales Stilmittel erkannt wurde, um genannte Janey als Auslöserin einer Kettenreaktion herauszuheben, die spielerisch mehrere Menschen ins Unglück stürzt, was für mehrere Todesfälle sorgt.

Diese Tragödie spielt sich in einer jener englischen Kleinstädte ab, die talentierte Kriminalschriftsteller immer wieder als Hort des wahrhaft Bösen darzustellen wussten. Breckham Market gibt es nicht, trotzdem liegt die Realität stets wie ein erstickendes Tuch über einer scheinbar friedlichen, tatsächlich jederzeit explosiven Szenerie. Trügerisch idyllisch und humorvoll führt die Autorin ihre Leser langsam in den Dorfalltag ein, weshalb es dauert, bis diese merken, dass überall Fußangeln und Widerhaken lauern. Der Pfarrer steckt in einer Glaubens- und Ehekrise, seine Gattin fühlt sich als unfreiwilliges Gemeindevorbild überfordert und wird vom senilen Vater terrorisiert, und Chief Inspector Quantrill muss feststellen, dass ausgerechnet sein Sohn kriminell geworden ist.

Kleine Ursache – tödliche Wirkung

„Das Unheil in Person“ ist in drei Großkapitel unterteilt, denen ein Epilog folgt. Autorin Radley erzählt zunächst vom Fund der Leiche und den sich anschließenden Ermittlungen. Es folgt eine Rückblende in das Vorjahr, die uns eine Sicht auf Ereignisse ermöglicht, die präzise jene Kettenreaktion schildern, die genannte Janey zwar absichtlich aber ahnungslos bezüglich der Folgen in Gang setzt, bevor die Handlung in die Gegenwart zurückkehrt, um die Auflösung des Falls zu verfolgen. Der Epilog spielt jenseits des Atlantiks, wo die gelangweilte Janey ihr böses Spiel ein weiteres Mal einfädelt.

In Breckham Market hat sie einen Scherbenhaufen bzw. mehrere Gräber hinterlassen, ohne jemals die Hand gegen ihre Opfer erhoben zu haben. Stattdessen war Janey die Füchsin, die sich ein wenig Spaß im Hühnerstall verschafft hat. Schon vor ihrer Ankunft gab es Risse im scheinbar stabilen Gefüge der Dorfgemeinschaft. Mit traumwandlerischer Sicherheit hat Janey im Ehepaar Ainger eine echte Sollbruchstelle entdeckt. Sie wird zum Katalysator einer Entladung, die schon lange nach einem Ventil gesucht hatte. Dabei kommt es zu Kollateralschäden, die weitere Bürger ins Unglück stürzen.

Radleys Kunst liegt in der in der Konstruktion einer Handlung, die dem Mechanismus einer Zeitbombe gleicht. Jedes Teil wird an der vorgesehenen Stelle montiert, bis daraus eine Höllenmaschine entstanden ist. Sie wird sorgfältig positioniert, dann scharf gestellt und gezündet, wobei jeder dieser Schritte von der Autorin verfolgt und beschrieben wird. Da Radley Sorge getragen hat, uns die Protagonisten dieser Tragödie ans Herz zu legen, verfolgen wir gebannt, wie das Unheil seinen höchstmöglich fatalen Lauf nimmt.

Eher banal als böse

‚Richtige‘ Kriminelle gibt es hier nicht. Es sind ganz normale Menschen, die unter eine Lawine aus Lüge und Mord geraten. Niemals hätten sie gedacht, sich in einer Situation wiederzufinden, die sie ins Gefängnis oder gar ins Grab bringen wird. Auch hier gelingt Radley die Schilderung einer plausiblen Zuspitzung. Der Leser kann sich leicht an die Stelle der Betroffenen setzen und wird deshalb gespannt verfolgen, wie hinterrücks und heimtückisch das Schicksal zuschlagen kann.

Da dieser Roman in England entstand, vertändelt sich die Autorin nicht in schmalzigen Sentimentalitäten. „Das Unheil in Person“ entstand, bevor Kriminalromane zu ziegelsteindicken Seifenopern degenerierten. Radley hält den roten Faden fest in der Schreibhand und die Auflösung im Blick. Ihre Figurenzeichnungen sind prägnant, obwohl sie scheinbar klassischen Vorgaben folgen, die englische Dorfbewohner als ‚Originale‘ überzeichnen.

Doch Radley verfügt über die Gabe des echten Humors, der Seite an Seite mit der Tragödie existieren kann. Vor allem das erste Großkapitel ist dafür ein Musterbeispiel (sowie ein Plädoyer für die kundige Übersetzung auch eines ‚simplen‘ Kriminalromans, der dadurch zum Lektüregenuss wird). Feine Ironie entschärft keineswegs die kritische Sicht auf gesellschaftliche Missstände, die ihren Weg auch nach Breckham Market als Platzhalter für quasi jede beliebige englische Landstadt gefunden haben.

Dazu passt die zurückhaltende Charakterisierung des DCI Quantrill, der mehr Zeuge als Ermittler ist, obwohl Radley die Polizeiarbeit keineswegs ausklammert. Quantrill ist betont alltäglich, weshalb ihm die Autorin Kollegen zur Seite stellt, die deutlich kantiger sind und komische Einlagen bieten können, ohne dadurch jene Integrität zu gefährden, die Quantrill in seiner Eigenschaft als Chronist beibehält und die ihn durch sechs weitere (lesenswerte) Fälle begleiten wird.

Autorin

Sheila Radley wurde als Sheila Mary Robinson am 18. November 1928 in Cogenhoe, einer Landstadt im englischen Northamptonshire, geboren. Sie studierte Geschichte in London und war nach ihrem Abschluss neun Jahre als Dozentin für die Women‘s Royal Air Force tätig. Später arbeitete Robinson als u. a. als Lehrerin, Verkäuferin und in der Werbung.

In den 1960er Jahren eröffnete sie mit ihrem Lebensgefährten ein Geschäft mit Poststelle in Norfolk. Parallel dazu begann Robinson zu schreiben. Als „Hester Rowan“ debütierte sie 1976 mit dem Liebesroman „Overture in Venice“, dem sie in den nächsten beiden Jahren zwei weitere Romanzen folgen ließ.

Noch 1978 erschien – nun unter dem Pseudonym Sheila Radley – ein erster Kriminalroman um Chief Inspector Robert Quantrill aus der (fiktiven) Landstadt Breckham Market. Bis 1994 erschienen acht weitere Bände dieser Serie, bevor Radley 1998 mit dem Historien-Krimi „New Blood from Old Bones“ (dt. „Im Angesicht des Kreuzes“) in den Ruhestand ging.

Douglas-Quantrill-Serie

(1978) Death in the Morning/Death and the Maiden
(1980) Viele Neider sind der Schönen Tod (The Chief Inspector’s Daughter)
(1982) Das Unheil in Person (A Talent for Destruction)
(1985) Warnung in Blutrot (Quiet Road to Death/Blood on the Happy Highway)
(1986) Schlimmer als der Tod (Fate Worse Than Death)
(1988) Wer sah ihn sterben? (Who Saw Him Die?)
(1989) Mord ist der Ausweg (This Way Out)
(1992) Cross My Heart and Hope to Die
(1994) Leichte Beute (Fair Game)

Taschenbuch: 190 Seiten
Originaltitel: A Talent for Destruction (London : Constable & Robinson 1982)
Übersetzung: Elke Bahr
http://www.rowohlt.de

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