Sherlock Holmes – Eine Frage der Identität (Folge 14)

Die Verdopplung des Erbschleichers

Die verzweifelte Mary Sutherland wendet sich Hilfe suchend an Sherlock Holmes, denn ihr ist auf dem Weg zur kirchlichen Trauung ihr Bräutigam abhanden gekommen! Bisher konnte sie keine Spur von ihm finden. Nun hofft sie, dass ihr der Meisterdetektiv weiterhelfen kann… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 12 Jahren.

Der Autor

Sir Arthur Conan Doyle lebte von 1859 bis 1930 und gelangte mit seinen ca. 60 Erzählungen um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes zu Weltruhm. Dabei begann der Mediziner, der eine eigene Praxis hatte, erst 1882 mit dem Schreiben, um sein Einkommen aufzubessern. Neben mystischen und parapsychologischen Themen griff er 1912 auch die Idee einer verschollenen Region (mit Dinosauriern und Urzeitmenschen) auf, die von der modernen Welt abgeschnitten ist: „The Lost World“ erwies sich enorm einflussreich und wurde schon 13 Jahre später von einem Trickspezialisten verfilmt. Schon 1913 ließ Doyle eine Fortsetzung unter dem Titel „The Poison Belt“ (dt. als Im Giftstrom, 1924) folgen.

Marc Gruppe ist der Autor, Produzent und Regisseur der erfolgreichen Hörspielreihe GRUSELKABINETT, die von Titania Medien produziert und von Lübbe Audio vertrieben wird. Genau wie dort erscheinen auch „Die geheimen Fälle des Meisterdetektivs“ meist im Doppelpack.

Folge 1: Im Schatten des Rippers
2: Spuk im Pfarrhaus
3: Das entwendete Fallbeil
4: Der Engel von Hampstead
5: Die Affenfrau
6: Spurlos verschwunden
7: Der Smaragd des Todes
8: Walpurgisnacht
9: Die Elfen von Cottingley
10: Der Vampir von Sussex / Das gefleckte Band / Der Fall Milverton / Der Teufelsfuß (Neuausgabe)
11: Das Zeichen der Vier (4/2014, Neuausgabe)
12: Ein Skandal in Böhmen (4/2014)
13: Der Bund der Rotschöpfe (5/14)
14: Eine Frage der Identität (9/14)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen

Joachim Tennstedt: Sherlock Holmes
Detlef Bierstedt: Dr. John Watson
Regina Lemnitz: Mrs. Hudson
Johannes Steck: Mr. Windibanks
Solveig Duda: Mary Sutherland
Kathrin Ackermann: Mrs. Windibanks
Manfred Lehmann: Kutscher

Regie führten die Produzenten Marc Gruppe und Stephan Bosenius. Die Aufnahmen fanden in den Planet Earth Studios statt. Alle Illustrationen – im Booklet, auf der CD – trugen Ertugrul Edirne und Firuz Askin bei.

Handlung

Miss Mary Sutherland wendet sich an Sherlock Holmes, den John Watson wieder mal besucht. Mary arbeitet als Tippse an der Schreibmaschine, obwohl sie äußerst kurzsichtig ist. Das sagt ihr der Meisterdetektiv gleich auf den Kopf zu. Ihr Anliegen: Er soll ihren Verlobten Hosmer Angel suchen, der ihr auf der Fahrt zum Traualtar abhanden gekommen ist. Watson wundert sich.

Holmes fragt nach den Lebensumständen der jungen Dame, die verständlicherweise sehr unglücklich. Man wird nicht jeden Tag vor der Kirche sitzengelassen. Sie lebt noch bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater Mr. Windibanks, der nur fünf Jahre älter ist als sie. Der ist ein Handelsvertreter in Sachen Wein und häufig in Frankreich unterwegs. Er verweigert ihr jede Unterstützung in Sachen Hosma Angel, weshalb sie sich an Holmes wendet.

Marys finanzielle Verhältnisse bringen ein wenig mehr Licht ins Dunkel dieses Rätsels. Ihr leiblicher Vater hat für sie ein Treuhandvermögen angelegt, aus dem sie jährlich stattliche 100 Pfund Zinsen erhält. Dieses hübsche Sümmchen behält sie aber nicht etwa für sich, sondern liefert es brav ihrem Stiefvater und ihrer Mutter ab. Mary selbst lebt nur von dem mageren Lohn ihres Tippens: 2 Pence pro Seite. Ein Pfund, auch „Guinee“ genannt, ist zu dieser Zeit 105 Pence wert, so dass sie 52,5 Seiten tippen muss, um ein Hundertstel der abgelieferten Zinsen zu verdienen. Es macht ihr nichts aus, sagt sie. Holmes und Watson sehen das etwas anders und beschließen, ihr zu helfen.

Doch wer ist dieser Hosmer Angel überhaupt, fragen sie. Ein höchst mysteriöser junger Mann, stellt sich heraus. Er trägt getönte Brillengläser, scheint stets heiser zu sein und zeigt sich nie in Gegenwart von Marys Eltern. Er korrespondiert mit ihr nur per Briefen, die mit Schreibmaschine geschrieben wurden. Sogar die Unterschrift wurde getippt. Sie kann ihm ihre Briefe nur postlagernd an sein Büro in der Leadenhall Street schicken, wo er auch wohnt. Wie überaus sonderbar.

Mary Sutherland weigert sich, Hosmer Angel zu vergessen, denn sie habe ihm auf die Bibel Treue geschworen, komme, was da wolle. Holmes beruhigt sie und schickt sie nach Hause. Dann schickt er zwei Briefe ab. Schon bald stellt sich ein Herr ein. Aber ob dies der Gesuchte ist, muss sich noch erweisen.

Mein Eindruck

Eigentlich erfüllt Holmes seinen Auftrag gar nicht. Er rät ihr nämlich, den Gesuchten komplett zu vergessen. Sie werde ihn nie wiedersehen. Was so herzlos klingt, ist indes purer Realismus. Wie schon der Fall des aus der Kutsche zur Kirche entsprungenen Bräutigams gezeigt hat, hat dieser „Engel“ keine Absicht, sich mit Mary zu vermählen.

Doch worin besteht nun die wahre Absicht Hosmer Angels, falls es ihn je gegeben hat? Könnte das nicht unbeträchtliche Vermögen Marys, das noch bis zu ihrer Volljährigkeit auf Eis liegt, eine Rolle gespielt haben, überlegen Holmes und Watson. Der Doktor darf seine grauen Zellen anstrengen und selbständig „deduzieren“. Leider kommt er dabei auf keinen grünen Zweig, wie ihm sein Freund Holmes reichlich unverblümt bescheinigt.

Wie auch immer dieser Fall ausgehen mag, so hat doch der gewiefte Krimifreund keinerlei Mühe, das Rätsel schon nach spätestens 15 Minuten zu knacken. Der Rest ist im Grunde Routinearbeit. Holmes und Watson mühen sich redlich, die restliche Handlung dieses „Falls von falscher Identität“ halbwegs spannend zu gestalten.

Alternativlösung

Aus der Wikipedia ist zu erfahren, dass die Lösung, zu der Doyles Meisterdetektiv gelangt, keineswegs die einzige sein muss. In der Version von Colin Dexter, dem Autor der LEWIS- und INSPEKTOR-MORSE-Krimis, ist Sherlocks Bruder Mycroft mit der Deduktion befasst und kommt zu folgendem Schluss:

Mycroft betrachtet ‚Hosmer Angel‘ als eine Fiktion, die Mutter Windibanks und ihre Tochter erfunden haben, um den Stiefvater zu eliminieren. Doch Watson offenbart, dass ‚Hosmer Angel‘ tatsächlich eine reale Person ist, die aufgrund einer Krankheit einen Schwächeanfall erlitt, als sie zum Traualtar kutschiert wurde. Diese Person sei von Watson behandelt worden, kurz bevor Mary den Fall Holmes präsentierte. Dexters Version erscheint übertrieben kompliziert, wenn auch nicht undenkbar.


Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Dr. Watson nimmt die Stelle des zweifelnden gesunden Menschenverstandes gegenüber Holmes ein, welcher ein getriebener Junkie der Vernunftarbeit zu sein scheint. Watson ist der Gemütsmensch, ein Jedermann mit dem Herz auf dem rechten Fleck.

Es gibt vier Hauptfiguren, die auch stimmlich herausragen. Am besten gefällt mir J. Tennstedt als Sherlock, denn was er in diese Figur hineinlegt, ist sehr sympathisch und humorvoll – so als würde ein strahlender John Malkovich völlig entspannt aufspielen (liegt’s am Koks?). Holmes‘ einziger Fehler ist seine Ablehnung des weiblichen Geschlechts oder vielmehr des Umgangs mit dessen Vertretern. Das soll aber weniger an latenter Homosexualität liegen, als vielmehr an seiner Abneigung gegen jede Art von emotionaler Sentimentalität. Lang lebe der reine Geist.

Watson

Dr. John Watson, 36, ist das genaue Gegenteil seines Freundes: jovial, höflich, frauenfreundlich und durchweg emotional, außerdem glücklich verheiratet. Leider sind seine logischen Schlüsse von dementsprechend unzulänglicher Qualität. Das war zu erwarten. Seine wachsende Liebe gilt seiner Frau Mary Morstan, die selbst ein patentes Frauenzimmer zu sein scheint. Leider tritt sie in dieser Episode nicht auf.

Hudson

Bemerkenswert wie immer ist der Auftritt von Regina Lemnitz als Mrs. Hudson. Wie jeder Sherlock-Fan weiß, ist sie das moralische Gewissen, an dem jeder Fall gemessen wird – und ganz besonders ihr Mieter Holmes. Sie ist auch eine gute Seele. Schade, dass ihre Auftritte immer so kurz sein müssen. Hier darf sie nur noch die Besucher ankündigen.

Mary Sutherland

Solveig Duda spricht die ziemlich unerfahrene Mary Sutherland, die um ihr Vermögen geprellt werden soll. Bei so viel Leid, das Mary erdulden muss, darf Duda schon mal herzhaft seufzen und schluchzen. Nur wenn es um ihren Bibelschwur geht, schleicht sich Härte und Entschlossenheit in ihre Stimme.

Mr Windibanks

Johannes Steck hat hier die seltene Pelegenheit, in Personalunion zwei Rollen spielen zu dürfen. In den Rückblenden spielt er ‚Hosmer Angel‘, aber wenn er Holmes besucht, tritt er natürlich als windiger Weinhändler Windibanks auf. Seine tiefe Stimme vermag auch einen Holmes einzuschüchtern. Und da Windibanks nichts Ungesetzliches getan hat, kann der Detektiv ihm auch nicht am Zeug flicken.

Die Musik

Dies ist kein Remake alter Folgen, sondern eine neue Folge. Zu hören ist Musik, die einem kleinen Spielfilm angemessen ist: niemals aufdringlich, sondern meist unterstützend. Die Musik wird vom Piano sowie einer traurigen Oboe geprägt. Der Klang ist klar und deutlich definiert. Die tiefen Bässe, etwa des Pianos, werden immer dann eingesetzt, wenn Gefahr im Verzug ist. Das Intro, eine Art flott-dezente Teemusik, bildet den heiter-beschwingten Auftakt zur Handlung.

Die Geräusche

Eine schier unglaubliche Vielfalt von Geräuschen verwöhnt das Ohr des Zuhörers. Der Eindruck einer real erlebten Szene entsteht in der Regel immer. Vogelgezwitscher, gebell, Kutschen, Papier, Tassen, Kaminfeuer, Uhrenticken, Türenquietschen – all diese Samples setzt die Tonregie sattsam ein, um einer Szene eine Fülle von realistisch klingenden Geräuschen zu vermitteln. Sogar „Holmes“ pafft vernehmlich an seiner großen Pfeife. Mit einem Wort: Der Holmes-Fan kann sich in dieser gemütlichen Tonkulisse bequem niederlassen. Der Rest ergibt sich von selbst.

Das Booklet

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS verzeichnet sowie Werbung für den verstorbenen Illustrator Firuz Askin zu finden. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Hinweise auf die nächsten Hörspiele ab 16. September 2014:

Nr. 90: H.P. Lovecraft: Die Farbe aus dem All (siehe meinen Bericht)
Nr. 91: J.M. Barrie: Mary Rose (siehe meinen Bericht)
Nr. 92: M.R. James: Zimmer 13
Nr. 93: N. Hawthorne: Das Haus der sieben Giebel
Nr. 94: Charles Rabou: Tobias Guarnerius
Nr. 95: Henry S. Whitehead: Die Falle
Nr. 100: Lovecraft: Träume im Hexenhaus

Unterm Strich

Mittlerweile zeichnet sich ab, dass Marc Gruppe die HOLMES-Fälle, die sich Doyle ausdachte – es gibt ja noch viele weitere Autoren – in chronologischer Reihenfolge veröffentlicht. Der vorliegende Fall wurde ursprünglich in der gleichen Sammlung wie „Der Bund der Rothaarigen“, „Das Zeichen der Vier“ und „Ein Skandal in Böhmen“ veröffentlicht. Daher muss als nächster Fall die Ermittlung in Boscombe Valley folgen, einem der besseren, kniffligeren Aufträge für den Meisterdetektiv. Die Verfilmung mit Jeremy Brett in der Titelrolle ist mir noch in bester Erinnerung.

Der vorliegende Fall gehört allerdings zur Mittelklasse. Schon nach kurzer Zeit hat der Krimikenner messerscharf kombiniert, wie der Häse läuft beziehungsweise wer hier wessen Identität übernommen hat oder gar vorspiegelt. Nichts weiter darf natürlich verraten werden, um die Spannung nicht zu zerstören.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen.

Die Sprecherriege für diese neue Reihe ist höchst kompetent zu nennen, handelt es sich doch um die deutschen Stimmen von Hollywoodstars wie John Malkovich (Tennstedt), Manfred Lehmann (Bruce Willis), Johannes Steck (Mark Strong) und George Clooney (Bierstedt).

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich, wirkungsvoll inszeniert, und die Stimmen der Hollywoodstars vermitteln das richtige Kino-Feeling.

Der Autor vergibt: (3.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Audio-CD mit 51:52 Minuten Spieldauer
Info: A Case of Identity, 1892

www.titania-medien.de