Simmons, Dan – Eiskalt erwischt (Joe Kurtz 1)

_|Kurtz-|Trilogie_:

1) Eiskalt erwischt (Hardcase, 2001);
2) Bitterkalt (Hard Freeze, 2002);
3) Kalt wie Stahl (Hard as Nails, 2003)

_Der Detektiv zwischen allen Fronten: schlau und eiskalt_

Joe Kurtz ist ein entlassener Sträfling und ehemaliger Privatdetektiv, der versucht, ein halbwegs ehrliches Leben zu führen. Das ist aber in einer Stadt wie Buffalo im Bundesstaat New York gar nicht so einfach. Denn nur die Mafia kann Joe einen lukrativen Job geben. Und die hat bekanntlich eine Menge Feinde.

Dan Simmons ist bekannt geworden mit dem Horror-Roman „Sommer der Nacht“, der auch für „A Winter Haunting“ den Hintergrund bildet. Noch erfolgreicher wurde er allerdings mit Science-Fiction-Romanen: „Hyperion“ und „Hyperions Sturz“ sowie „Endymion“ und „Endymion – Die Auferstehung“ fanden ein großes Publikum. Diese Tradition setzte er im Herbst 2003 mit seinem Roman „Ilium“ fort, in dem griechische Götter eine wichtige Rolle spielen. (Die Fortsetzung trägt den Titel „Olympos“ und kommt Mitte 2005 auf den Markt.)

Außerdem ist Dan Simmons ein Verfasser exzellenter Kriminalthriller (z.B. „Darwin’s Blade/Schlangenhaupt“) und Kurzgeschichten (z. B. „Styx“ bei Heyne). Mit „Hardcase“ hat er eine Krimireihe um den „gefallenen“ Privatdetektiv Joe Kurtz gestartet, die mit „Hard Freeze“ und „Hard as Nails“ fortgesetzt wurde.

|Buffalo, N.Y.|

Simmons wuchs selbst in Buffalo, dem Schauplatz der drei Kurtz-Thriller, auf, bevor er 1974 nach Boulder in Colorado umzog. Buffalo, im Norden des Bundesstaates New York gelegen, eignet sich nicht von ungefähr hervorragend für die Serie. Die Stadt liegt an den Niagara-Fällen, einem mächtigen Symbol. Außerdem ist die kanadische Grenze gleich um die Ecke, was Buffalo für Drogen- und andere Schmuggler sehr interessant macht.

_Handlung_

Joe Kurtz ist ein harter Brocken. Er hat kein einfaches Leben als früherer Privatdetektiv und langjähriger Gefängnisinsasse, der sich nun mit einer Webfirma für Datenrecherche über Wasser halten will. Mittlerweile plagt ihn chronischer Geldmangel, und so nimmt er doch wieder einen Fall an.

Die Mafiafamilie der Farinos hat Joe durch deren Sprössling Steven kennengelernt, der von allen nur geringschätzig Little Skags genannt wird. Joe stellt sich bei Stevens Paps vor, dem Paten. Leider ist dieser Don schon über siebzig und seit einem Anschlag auch noch auf einen Rollstuhl angewiesen. Von seinen vier Kindern scheint nur die rassige Sophia seine Nachfolge antreten zu können. Sohn Nr. 2 hat bereits das Zeitliche gesegnet, und Tochter Nr. 2 hat sich in ein italienisches Kloster verabschiedet.

Don Farino hat ein kleines Problem mit seinem Buchhalter: Buell Richardson ist seit einer Woche verschwunden. Gründe und Verbleib sind unklar. Außerdem gibt es da noch ein weiteres „kleines Problem“ an der nahen Grenze zu Kanada: Farinos Schmuggeltransporte werden in letzter Zeit von Unbekannten angegriffen und geplündert. Joe würde sich gerne auch dieses Problems annehmen, gegen ein kleines Honorar, versteht sich. Das einzige Detail, das ihn beunruhigt, ist der Umstand, dass sich Farinos Anwalt Lawrence Miles vehement gegen Joe Kurtz‘ Verpflichtung einsetzt. Dieser Typ hat offenbar Dreck am Stecken.

Und ob! Kaum ist Kurtz aus dem Haus, trifft sich Miles mit einem Killer namens Malcolm Kibunte, der in Buffalo ein kleines Drogenimperium aufgebaut hat. Miles ahnt nicht, von wem die Drogen stammen, aber dieses Yaba, das Kibunte vertickt, ist verheerender für die Jugend in den Ghettos als Crack oder Crystal Meth. Und das will was heißen. Kibunte setzt sich mit einem durchgeknallten Albino mit dem sprechenden Namen „Cutter“ auf Kurtz‘ Fährte …

_Mein Eindruck_

Dies ist ein klassischer Hardboiled-Thriller, und zwar derart klassisch, dass man schon nach wenigen Seiten weiß, dass der Autor alles richtig macht. Sein Kniff besteht natürlich darin, die dadurch geweckten Erwartungen zu unterlaufen und am Schluss noch einen draufzusetzen, genau dann, wenn der Leser meint, erleichtert aufatmen zu können. Dann erwischt ihn die neueste Story-Wendung eiskalt und der Autor schleppt seinen Leser bis zum Abgrund …

|Die Schwächen des harten Helden|

Manchmal erinnert der schweigsame und kaltblütige Joe Kurtz an Mike Hammer, den ebenso kaltblütigen und gewaltbereiten Serienhelden, den Stacy Keach kongenial in den Detektivfilmen verkörperte. Dann aber erweist sich, dass Kurtz keineswegs aus Stein besteht, der die Schurken gnadenlos zur Strecke bringt, sondern dass er auch ein Herz besitzt – er kann es nur nicht zeigen.

So bangt er beispielsweise um seine zwölfjährige Tochter Rachel, die bei ihrem Stiefvater als Halbwaise aufwächst. Der Grund: Rachel hat vor elf Jahren, kurz bevor Joe in den Knast einfuhr, ihre Mutter Samantha verloren. Und Sammy war Joes geliebte Partnerin in dem gemeinsamen Detektivbüro. Joe tötete daraufhin den Killer Levine. Levines Bruder hat ihm seinerseits Rache geschworen.

Nun tut sich Joe mit Arlene, seiner früheren Sekretärin, zusammen und macht eine Agentur für die Internetsuche nach früheren Schulkameraden (besonders weiblichen) auf. Arlene kümmert sich fürsorglich um Joes Wohl, aber nicht im Bett. Um dieses Detail kümmert sich Farinos Tochter Sophia, wenn auch nur für eine Nacht.

Und Joe hat noch eine schwache Stelle: Er besucht regelmäßig die Stadtstreicher, wo sich ehemalige College-Professsoren bei eisiger Kälte um eine Feuerstelle kauern und sich lateinische und griechische Zitate um die Ohren hauen. Einer der beiden war sein geistiger Mentor. Der brachte ihn dazu, die Story über die Eroberung Trojas zu lesen. Und das zahlt sich bei Joes neuestem Auftrag aus.

|Comedy, Babe!|

Aber Malcolm Kibunte geht zu Plan B über und engagiert vier Neonazis aus Alabama, die Beagle Brothers, um Joe kaltzumachen. Dieser Abschnitt ist pure Komödie. Die vier Brüder, allesamt Ex-Knackis aus dem tiefsten Süden, sind völlig unterbelichtet und radebrechen ein schauderhaftes Kauderwelsch. Doch als Kibunte ihnen Knarren und Gadgets vom Feinsten und Modernsten („Laserscheiß, Mann!“) anbietet, wenn sie ihm „einen kleinen Gefallen“ täten, fangen sie an zu sabbern.

Als das Quartett dann mit Nachtsichtbrillen, Kevlarwesten und Maschinengewehren in dem verlassenen Lagerhaus, wo sich Joe häuslich eingerichtet hat, aufkreuzt, wird es bereits erwartet. Nun zeigt sich, wer über a) gesunden Menschenverstand und b) Kenntnisse in Kampftaktik verfügt. Als einer der Beagle Brothers meint, eine gigantische Fledermaus stürze sich aus dem sechsten Stockwerk auf ihn, bricht das Chaos aus.

Dies ist die vielleicht am filmischsten geratene und effektvollste Episode in einem von solchen Szenen vollen Thriller. Allerdings handelt es sich dabei doch nur um solides Handwerk, denn es mangelt doch ein wenig an Originalität. Ähnliche Szenen sind auch in „Hard Freeze“ zu finden.

|Vorbilder|

Auch eine andere Szene gemahnte mich an Vorbilder. In Robert Redfords Agententhriller „Die drei Tage des Kondor“ taucht Max von Sydow als ein schwedischer Auftragskiller auf. Er macht nur seinen Job, mehr nicht, je nachdem, wer ihn bezahlt. Bei Simmons heißt dieser ausländische Killer „Der Däne“. Er arbeitet im Auftrag der Farinos, aber nur bis zu einem gewissen Punkt, wie sich in einem immens spannenden Showdown zeigt.

Die Szene, als Arlene in ihrem Büro von einem verwundeten Killer gesucht wird und fummelnd zu einer unvertrauten Nachtsichtbrille greifen muss, erinnerte mich an den Showdown von „Das Schweigen der Lämmer“. Clarice Starling muss sich eines unsichtbaren Gegners erwehren, der den Vorteil hat, sie durch eine Nachtsichtbrille sehen und auf sie zielen zu können. Natürlich kennt auch Simmons diese Szene und unterläuft die Erwartungen des Lesers, indem er seine Szene ganz anders enden lässt.

_Unterm Strich_

Wer einen hammerharten Thriller ohne Faxen sucht, wird mit „Eiskalt erwischt“ kompetent bedient und bestens unterhalten. Wie in jedem Hardboiled-Thriller seit Dashiel Hammett und Mickey Spillane („Mike Hammer“) wird auch hier nicht lange philosophiert und gequasselt, sondern gehandelt. Wo gehobelt wird, fallen Späne, und wo wie hier grob gehobelt wird, fallen die Späne reihenweise. Dan Simmons ist ein erprobter und gewiefter Autor. Er kennt alle Tricks des Erzählens, und so ist auch „Eiskalt erwischt“ gespickt mit Überraschungen, die die Spannung gehörig anheizen.

Dass sich Simmons nach Themen aus dem Bereich des Futuristischen, Mystischen und Übernatürlichen nun dem Krimi zugewandt hat, tut dem Genre gut und nützt dem Leser. Das war schon in dem genialen „Schlangenhaupt“ festzustellen, das hoffentlich bald verfilmt wird. Zwar gehorchen im Vergleich dazu die Kurtz-Romane allen Vermarktungsregeln des Genres, doch hier und da blitzen typisch Simmons’sche Elemente auf, wie etwa philosophische Killer, diebische Mafiaprinzessinnen und als Penner lebende Princeton-Professoren.

Der ironische Humor ist extrem trocken und unterkühlt. Das dürfte so manchem Leser gar nicht auffallen, und wenn doch, muss es ihm nicht mal gefallen. Aber wie die Klingonen zu sagen pflegen: Rache ist ein Gericht, das man am besten kalt serviert. Und wie die Klingonen taucht auch hoffentlich bald auch Joe Kurtz in einem Film auf. Das hat „Jack Reacher“ hat inzwischen auch geschafft – der kommt ab Januar in Gestalt von Tom Cruise in unsere Kinos.

Das Titelbild, das der Festa-Verlag hat anfertigen lassen, ist stilistisch an Comic Books angelehnt, wie mir scheint. Man hätte ja auch ein Foto von einem kalten Wintermorgen nehmen können. Der Tropfen Blut an Kurtz‘ Klinge sollte dem zartbesaiteten Leser zur Warnung dienen.

|Taschenbuch: 333 Seiten
Originaltitel: Hardcase (2001)
ISBN 978-3-86552-186-6|
http://www.festa-verlag.de

_Dan Simmons bei |Buchwurm.info|:_
[„Terror“ 4278
[„Ilium“ 346
[„Olympos“ 2255
[„Sommer der Nacht“ 2649
[„Im Auge des Winters“ 2956
[„Kinder der Nacht“ 4618
[„Lovedeath“ 2212
[„Die Feuer von Eden“ 1743
[„Das Schlangenhaupt“ 1011
[„Welten und Zeit genug“ 790
[„Endymion – Pforten der Zeit“ 651
[„Fiesta in Havanna“ 359
[„Hardcase“ 789
[„Hard Freeze“ 819
[„Hard as Nails“ 823
[„Drood“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5906