Philip Sington – Das Einstein-Mädchen

Die Handlung:

Berlin 1932. Eine junge Frau wird im Wald bei Caputh bewusstlos, verletzt und halb nackt aufgefunden und in die psychiatrische Abteilung der Charité eingeliefert. Als sie aus dem Koma erwacht, kann sie sich an nichts erinnern, nicht einmal an ihren Namen. Bei ihr findet man nur einen Programmzettel von einem Vortrag Albert Einsteins.

Martin Kirsch, der zuständige Psychiater, ist fasziniert von diesem ungewöhnlichen Fall und entwickelt Gefühle für seine Patientin. Wer ist diese Frau? Gibt es eine Verbindung zu Einstein? Seine Nachforschungen führen ihn nach Zürich und bis nach Serbien. Währenddessen ergreifen in Deutschland die Nazis die Macht … (abgewandelte Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Anfängliche Verwirrung

Alles beginnt mit einem Brief an eine „Elisabeth“, in dem der namenlose Absender ihr ein ebenso namenloses Buch übersendet, mit der Bitte um eine Veröffentlichung nach seinem Tod.

Dann folgen wir Alma Siegel, die im Mai 1933 auf der Suche nach ihrem verschwundenen Verlobten, dem Psychiater Martin Kirsch, ist. Ob der Brief, den wir gerade vorher gelesen haben, irgendetwas mit den beiden zu tun hat, oder ob er in der Zukunft, der Gegenwart oder der Vergangenheit dieses Handlungsstrangs angesiedelt ist, erfährt der Leser nicht. Lediglich, dass Kirsch vor seinem Verschwinden der behandelte Arzt des „Einstein-Mädchens“ war. Sie hatte ihren Namen von der Presse verliehen bekommen, nachdem bekannt wurde, dass man neben ihrem Fundort im Wald einen Programmzettel einer Veranstaltung gefunden hatte, an der auch Albert Einstein teilgenommen hatte.

Eine Rückblende führt den Leser jetzt in den Oktober 1932. Hier erfahren wir mehr über die Differenzen, die Kirsch mit den brutalen und mittelalterlich anmutenden Praktiken bei der Behandlung der Patienten durch seinen Kollegen Dr. Mehring hat. Als das „Einstein-Mädchen“ eingeliefert wird, erinnert sich Kirsch, dass sie sich bereits vorher kurz getroffen hatten und sie ihm erzählt hatte, dass ihr Name „Elisabeth“ sei. Mit fortschreitender Genesung aber gibt sie an, dass sie Mariya heiße.

Ein Psychiater auf Reisen

Fasziniert von dieser Frau, will Kirsch ihrem Geheimnis auf den Grund gehen und findet in ihrer Wohnung ein Notizbuch mit komplexen mathematischen Berechnungen. Diese Art von einsteinschen Berechnungen anzustellen, sei laut Professor Max von Laue nur zwei Frauen auf dieser Welt möglich: Marie Curie und Mileva Maric, der ersten Frau von Albert Einstein.

Kirsch macht sich auf den Weg nach Zürich und besucht Mileva Maric. Jetzt stellt sich die Frage, ob Mariya „Elisabeth“ vielleicht sogar die verlorene Tochter von Maric und Einstein sein könnte.

Die Komplexität

Die Handlung des Buches ist tiefgründiger und komplexer, als man es von einem Plot, den man mit einem Satz beschreiben kann, vermuten würde: „Ein Psychiater erforscht die Vergangenheit eines Mädchens, das sein Gedächtnis verloren hat.“ Aber so einfach ist das Ganze nicht, und das ist auch gut so, sonst wärs ja auch langweilig.

Der Autor versteht es, das Leben und Leiden in und um die Stadt Berlin in den 1930er-Jahren so intensiv zu beschreiben, dass der Leser das Gefühl hat, selbst dort zu sein. Als Kirsch dann in Zürich ankommt, atmet der Leser durch, weil er den Unterschied zwischen den Städten förmlich fühlen kann.

Die Hauptcharaktere, besonders Martin Kirsch, und deren Motivation sind scharf gezeichnet und der Leser kann mit ihnen mitfühlen, wenn er sich auf den Zwiespalt zwischen Genie und Wahnsinn (oder Wahnvorstellung) einlassen möchte. Die Handlungsstränge sind interessant und spannend erzählt, so dass keine Langeweile aufkommt, auch wenn der Roman kein echter Page-Turner ist. Das Setting ist düster und beklemmend. Deutschland war zu jener Zeit kein Sonnenstaat, und das ist auch zu spüren. Die „Behandlungsmethoden“ einiger Ärzte waren schlichtweg Verbrechen und lassen den Leser wütend werden. Kirsch entwickelt sich zum Sympathieträger, dessen Schicksal schließlich ebenso interessant wird wie das des „Einstein-Mädchens“.

Fazit:

Die Idee zu dem Buch entstammt dem tatsächlichen Schriftwechsel zwischen Albert Einstein und Mileva Maric. Sington hat ihn zum Grundstein für einen spannenden Roman werden lassen, der teilweise etwas viel Technobabble enthält, aber dennoch nicht abgehoben wirkt. Das Ganze ist zudem in einem ungewöhnlichen Setting angesiedelt und bereitet dem Leser so eine gute Unterhaltung.

Taschenbuch: 464 Seiten
Originaltitel: The Einstein Girl (2009)
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
ISBN-13: 978-3-423-24783-2
www.dtv.de