Ian Smith – Der innere Zirkel

Das geschieht:

Wieder einmal wird Professor William Bledsoe, Naturwissenschaftler und Dozent am Dartmouth College zu Hanover im US-Staat New Hampshire, mit einem hohen Preis ausgezeichnet. Der bescheidene Mann schätzt das Rampenlicht wenig. So stiehlt er sich früh davon, als er gefeiert werden soll, und fährt zu seinem einsam gelegenen Haus im Wald, wo seine Frau auf ihn wartet. Kurz vor dem Ziel, fällt Bledsoe ein am Straßenrand liegengebliebener Wagen auf. Er bietet seine Hilfe an – und erkennt zu spät, dass er in eine Falle geraten ist: Rednecks wollen ihn entführen. Bledsoe kann fliehen, wird jedoch gestellt und umgebracht.

In New York wird Sterling Bledsoe vom Verschwinden seines Bruders informiert. Der FBI-Agent bricht sofort in den Norden auf, um sich in die Ermittlungen der örtlichen Polizei einzuschalten. Als wenig später Williams Leiche gefunden wird, scheint alles auf eine rassistisch begründete Bluttat hinzuweisen: Die Bledsoes sind Afro-Amerikaner, und eine entsprechende Verunglimpfung wurde der Leiche tief in die Brust geschnitten.

Während die Polizei in dieser Richtung ermittelt, fragt sich Agent Bledsoe, ob die Schändung als Ablenkung inszeniert wurde. Der Tod seines Bruders könnte mit einem geheimen Projekt in Verbindung stehen, dessen Abschluss William kurz vor seinem Tod angekündigt hatte. Ein Forscherkollege zeigt Sterling eine riesige Sammlung von Vogelkadavern, die William im Wald fand: Jemand testet dort ein verbotenes Gift. Wer dieser das Licht der Öffentlichkeit meidenden Gruppe auf die Schliche kommt, lebt gefährlich bzw. wie William nicht mehr lange. Um Sterling auszuschalten, wählen die Giftspritzer ein subtileres Vorgehen: Sie fälschen Beweismaterial, so dass Sterling plötzlich als Mörder dasteht. Die Polizei und seine FBI-Kollegen dicht auf den Fersen, ermittelt er im Alleingang weiter. Als er einer monströsen Verschwörung auf die Spur kommt, werden die Verursacher nervös und nehmen an der landesweiten Jagd auf den vogelfrei gewordenen Ex-Agenten teil …

Spannung ohne Hirnansprüche

Bücher gibt es, die lesen sich wie auf Autopilot. Es ist gleichgültig wie müßig der Blick über die Zeilen schweift, man versäumt nichts, denn die Handlung – einsamer Gutmensch klärt im Wettlauf mit der Zeit ein Kapitalverbrechen auf, während ihm eine Meute schier übermächtiger Feinde im Nacken sitzt – lässt sich auch im Halbschlaf verfolgen. „Der innere Zirkel“ ist wahrlich keine literarische Offenbarung, sondern will nichts als mit einer spannenden Story unterhalten.

Diese Rechnung geht vor allem in den ersten beiden Dritteln auf, wenn noch unklar bleibt, wieso Professor Bledsoe sterben musste, nachdem ihm Singvögel in Schwärmen tot zu Füßen sanken. Natürlich stecken skrupellose Munkelmänner dahinter, doch was treiben sie genau, und was wollen sie damit erreichen? Ian Smith lässt uns stets genau das wissen, was auch Sterling Bledsoe in Erfahrung bringt. Dessen Suche schildert er unterhaltsam; er hat sich über polizeiliche Ermittlungsmethoden gut genug informiert, um diese überzeugend darzustellen und in seine Geschichte zu integrieren.

Die Handlung nimmt einen merklich anderen Verlauf, als Bledsoe das Geheimnis endlich lüftet. Dies soll an dieser Stelle selbstverständlich nicht verraten werden; der Rezensent kommt allerdings nicht umhin anzumerken, dass Verfasser Ian Smith für seinen Plot eine eher kuriose als überzeugende Auflösung eingefallen ist. Immerhin liefert er ein Komplott, auf das kein Schriftstellerkollege bisher kam.

Tempo statt Inhaltsspannung

Ist die Katze erst einmal aus dem Sack, wird aus dem Rätsel eine recht beliebige Hetzjagd durch Städte und Wälder. In diesem letzten Drittel gewinnt man als Leser mehrfach den Eindruck, Smith dresche Seiten, indem er einfach noch eine Flucht vor Polizei, FBI oder oben erwähnten Munkelmännern einschiebt. Hier tritt die Handlung auf der Stelle, Action ersetzt sie nicht; das klappt in einem Film besser. Smith ist zudem kein Magier der Feder; sein Stil ist einfach und geradlinig, während er die wenig überraschenden Haken, die Bledsoe schlägt, viel zu umständlich und ausführlich beschreibt.

Das Finale bildet erwartungsgemäß ein großer Showdown aller Beteiligten. Die Bösen haben sich freundlicherweise an einem Ort versammelt; sie nehmen sich gern die Zeit, Bledsoe (und dem Leser) jene Fragen zu beantworten, die bisher offen blieben, bevor sie den lästigen Mitwisser beseitigen wollen. Das geschieht natürlich nicht, so viel sei verraten, ohne sich eines Spoilers schuldig zu machen; ein mächtiges, klärendes & filmreifes Feuergefecht setzt ein, dem ein Happy-End folgt – oder ein neuer Fall für Sterling Bledsoe?

Kain & Abel im Geiste

„Es waren zwei Königskinder, / die hatten einander so lieb; / sie konnten zusammen nicht kommen, / das Wasser war viel zu tief.“ Dieses deutsche Volkslied von 1807 beschreibt den inneren Konflikt, der für die Handlung von „Der innere Zirkel“ von großer Bedeutung ist (und außerdem jene literarische Tiefe suggeriert, die seitens der Kritik der reinen Action stets vorgezogen wird). Der Konflikt zwischen ungleichen Brüdern, die einander ebenso lieben wie ablehnen, bot immer schon Stoff für dramatische Geschichten. Ian Smith verschafft seinem Agenten Sterling Bledsoe auf diese Weise eine prägnante Persönlichkeit. Dieser fühlt sich sein Leben lang von seinem Bruder zurückgesetzt. William war klüger, erfolgreicher, wurde von den Eltern vorgezogen. Die in der Kindheit entstandene Kluft zwischen den Brüdern hatte sich niemals wirklich geschlossen.

Mit Rückblicken in diese konfliktreiche Vergangenheit, füllt der Verfasser viele Seiten seines Buches. Ansonsten ist Sterling Bledsoe kein interessanter Zeitgenosse. Er liebt schöne Frauen, PS-starke Autos, Jogging am Morgen und glücklicherweise seinen Job, denn dieser Bereich seiner Aktivitäten interessiert wirklich, da hier die Handlung vorangetrieben wird. Anders ausgedrückt: Autor Smith hält seine Hauptfigur im Halbdunkel, was einerseits ein Makel sein könnte, der auf den Debütanten-Status ihres geistigen Vaters zurückgeht, während es andererseits auch mit Blick auf eine mögliche Serie von Agent-Bledsoe-Romanen geschehen mag. Für eine schärfere Konturierung der Figur und ihre Entwicklung bliebe Smith zukünftig mehr Freiraum.

Funktionstüchtig aber simpel

Das übrige Figurenpersonal erregt weder im Positiven noch im Negativen besonderes Aufsehen. Polizisten sind eifrig aber ein bisschen beschränkt, FBI-Agenten schlauer jedoch unsympathisch. Bledsoes Freundin taucht etwas motivationslos genau dann im Geschehen auf, als der Agent mit seiner Flucht beginnt: Mit einer hübschen Frau im Schlepptau wirkt das sowohl gefährlicher als auch attraktiver. Außerdem bietet es Anlass für ein sexreiches Intermezzo, das man bisher nicht vermisste und von Smith so plump & peinlich in Szene gesetzt wird, dass kein Leserauge trocken bleibt.

Wer Schurke ist, wird schon früh klar; Smith winkt ein wenig zu heftig mit dem Zaunpfahl. Freilich überrascht er angenehm, wenn sich im Finale Figuren in die Schar der Finsterlinge einreihen, die man – in diesem Punkt getäuscht durch die simple Struktur der Story – dort nicht erwartet hätte. Ob das ausreicht, den Namen „Ian Smith“ im Gedächtnis Ihres Rezensenten haften zu lassen, muss sich herausstellen.

Ihm fehlt noch das gewisse Extra im Plot, im Stil oder in der Figurenzeichnung. Als Autor schlägt sich Smith trotzdem deutlich besser als andere schreibende Neulinge, die auf eine ahnungslose Leserschaft losgelassen werden. Ihm gelang mit „Der innere Zirkel“ ein durchschnittlicher aber lesenswerter Thriller, wie ihn sich auch der Freund anspruchsvollerer Romane dieses Genres ja auch gern einmal zu Gemüte führt.

Autor

Ian K. Smith wurde in Danbury im US-Staat Connecticut geboren. Er studierte am Harvard College sowie an der Columbia University, besuchte die Dartmouth Medical School und schloss seine medizinische Ausbildung an der University of Chicago ab. Anschließend arbeitete er als Experte für medizinische Fragen für das NBC News Network und für NewsChannel 4. Daneben schrieb er Artikel für Zeitschriften wie „Time Magazine” oder „Newsweek“. Noch heute verfasst er eine Kolumne über Gesundheitsfragen für die „New York Daily News“ und das „Men’s Health Magazine“. Darüber hinaus schrieb er diverse Sachbücher über medizinische Themen.

2004 legte Smith mit „The Blackbird Papers” seinen ersten Roman vor, dem er mit „The Ancient Nine“ (dt. „Der geheime Orden“, Bastei-Lübbe-TB Nr. 15588) rasch einen zweiten Thriller folgen ließ, dessen Plot viel den aktuellen Bestsellern von Dan Brown verdankte. Dr. Ian Smith lebt und arbeitet derzeit in Manhattan. Er gibt auf dieser Website Auskunft über sich und sein Werk, das inzwischen über die Thriller-Schriftstellerei weit hinausgeht bzw. sie ersetzt; Smith ist ein energischer Vorkämpfer für ein schlankes, gesundheitsbewusst ernährtes Amerika.

Taschenbuch: 463 Seiten
Originaltitel: The Blackbird Papers (New York : Doubleday Books 2004)
Übersetzung: Peter A. Schmidt
http://www.luebbe.de

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