Die „Feindbild Christentum im Islam“ herausgebende Professorin lehrt Islamwissenschaften an der Universität Marburg und hatte zuvor bereits mit „Muslime in Deutschland“ das wohl beste Werk über die ausländischen Islam-Angehörigen in unserem Land vorgelegt. In diesem Band hat sie nun eine ganze Reihe von Fachleuten versammelt, die sich dem interreligiösen Dialog widmen, der seit dem 11. September 2001 mit größerem Interesse als zuvor in der Bevölkerung wahrgenommen und beobachtet wird.
Der Islam ist aufgrund des Terrorismus ein Feindbild geworden, aber dies gilt seit dem Einmarsch von George W. Bush in Afghanistan und dem Irak auch umgekehrt. Die Muslime fühlen sich – nicht einmal zu Unrecht – vom Christentum bedroht. Die im Sammelband vertreten Ansichten sind sehr unterschiedlich, aber es zeichnet sich durchweg eine kritischere Betrachtung und Einschätzung des Dialoges zwischen den Kulturen ab, als dies gegenwärtig stattfindet. Vor allem die evangelische Kirche, welche seit Anfang der achtziger Jahre den Dialog aufgrund der „islamischen Revolution“ im Iran vorantreibt, geht sehr realitätsfremd mit den Wirklichkeiten um. Blauäugig wird alles ausgeklammert, was Konflikte darstellen würde. Der Dialog ist sehr einseitig, denn die Christen beginnen in unserer Zeit eigentlich erst mit dem Dialog. Für die Muslime ist dieser längst abgeschlossen und wurde schon im Koran geführt.
Demnach sind Christen wie Juden zwar durchaus Anhänger des „Buches“ und stehen in der Tradition der Gottesgläubigen, aber dennoch sind sie auch zu verurteilende Ungläubige. Nur in der Anfangszeit Mohameds war dieser christenfreundlich, da die christlichen Gemeinden, mit denen er in direktem Kontakt stand, seine Lehre sogar als eine christliche Splittergruppe einstuften. In späteren Zeiten Mohameds galten Christen aber bald als die gleichen Ungläubigen wie Juden und Heiden. Ein gläubiger Moslem ist nicht bereit, sich auf eine Wahrheit im Christentum einzulassen. Auch ist es nicht erlaubt, mit Christen zu verkehren, außer im Sinne der Missionierung. Und der Dialog gilt im Islam als Missionierung. Dies betrifft nicht die Gestalt Jesus selbst, dieser gilt als Prophet (der nicht am Kreuz gestorben sei und schon gar nicht Gottes Sohn sein konnte) und er ist auch tatsächlich im Koran derjenige, welcher am Ende aller Zeiten kommen wird, um zu richten. Trotz dieser Tatsachen lehnen die Autoren den Dialog nicht ab. Zwar ist kein wirklicher Dialog möglich, solange jede monotheistische Religion fundamentalistisch die eigene als alleinig Gültige betrachtet – aber deswegen nicht zu kommunizieren, empfinden auch sie dennoch als den „verkehrteren“ Weg.
Konflikte und Tabus dürfen dann aber nicht – wie es der Fall ist – ausgeklammert bleiben. Die Evangelisten unterstützen viel Islamisches und sehen nicht, dass umgekehrt nichts Derartiges vonstatten geht. Wenn man einen Dialog führt, muss geprüft werden, ob beide Seiten unter den benutzten Begriffen überhaupt das Gleiche verstehen, z. B. der Begriff „Frieden“ ist bei uns mit Harmonie und Gewaltlosigkeit und Abwesenheit von Kriegen verbunden. Wenn Islamisten von „Frieden“ sprechen, meinen sie damit allerdings etwas ganz Anderes, nämlich die Ausweitung des Islams auf die ganze Welt. Im bisherigen Dialog werden von muslimischer Seite nur Anklagen und Forderungen erhoben. Die deutschen Protestanten akzeptieren das widerstandslos aus ihren Schuldgefühlen heraus, aufgrund ihrer Rolle im „Dritten Reich“. Nie wieder will man andere Religionen diskriminieren. Ein wenig Angst vor Machtverlust spielt sicherlich auch eine Rolle. Wenn nämlich der Anspruch des organisierten Islam, alle Muslime im Rahmen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu vertreten, zurückgewiesen wird, bliebe das im Sinne der Gleichbehandlung nicht ohne Folgen für die Kirchen. Wer den Monopolanspruch der orthodoxen Muslime bestreitet, gefährdet das entsprechende christliche Monopol.
Kaum beachtet werden die vielen unterschiedlichen Strömungen des Islams. Man unterscheidet weder die Hauptgruppen der Sunniten und Schiiten noch die diversen Strömungen letzterer Gruppierung und begreift auch nicht, dass ein islamischer Religionsunterricht in den deutschen Schulen schon aus diesen Unterschieden heraus überhaupt nicht möglich ist. Der Dialog wird gnadenlos durchgezogen, ohne die Möglichkeiten der Information über die Personen und Organisationen, die sie vertreten, zu nutzen. Alles, was den Dialog behindert könnte, wird ganz bewusst übersehen und eliminiert. Es kann aber doch nicht wirklich die Aufgabe christlicher Pfarrer sein, dafür zu sorgen, dass Moscheen errichtet werden. Islamisten dürfen in christlichen Kirchen predigen, umgekehrt findet so etwas nicht statt.
Verhandelt wird mit Organisationen, die als zwei verschiedene Zentralräte der Muslime in Deutschland auftreten, aber diese als solche anzuerkennen, ist eigentlich realitätsfern. Denn beide vertreten Minderheiten (nach Schätzung nur drei bis fünf Prozent) und stehen nicht für die Mehrheit der islamischen Glaubensbewegungen der in Deutschland lebende Muslime. Und eine ganze Reihe dieser dem Zentralrat angehörenden Gruppen, mit denen man kritiklos interkulturelle Aktionswochen zelebriert, wird vom Verfassungsschutz beobachtet und wie beispielsweise „Milli Görüs“ als rechtsradikal eingestuft. Man kann nicht – wie vertreten wird – die Menschenrechte und die Behandlung der Christen in islamischen Ländern ausklammern, diese Betrachtungsweise gehört zum Dialog.
Und da sieht es überall düster aus – von wenigen Lichtblicken abgesehen. Erstaunlicherweise werden im einzigen Staat mit islamischer Verfassung – dem Iran – andere Religionen anerkannt und diese können sogar Vertreter in die Regierung entsenden. Saudi Arabien bezieht sich in seiner Verfassung auch auf den Islam, aber mit dem Iran ist diese nicht vergleichbar. Dort ist wie in den meisten arabischen Ländern die Situation der Christen die einer in ständiger Gefahr befindlichen Minderheit. Wenige Lichtblicke gibt es in Ägypten, wo der Islam mit den koptischen Christen tatsächlich im Austausch und in gegenseitiger Anerkennung existiert.
Das Buch bietet sehr interessantes Wissen über die unterschiedliche Situation in islamischen Ländern, die man kennen sollte. Den christlich-islamischen Dialog aufgrund dieses Wissens zu verwerfen, wäre dennoch nichts anderes als Propaganda für den als unvermeidlich hingestellten Kampf der Kulturen. Aber wir brauchen dafür keine interreligiösen Schmusestunden und auch keinen Austausch von Beweihräucherungen oder verlogenen Zusicherungen des guten Willens. Ehrlichkeit gibt es nur, wenn man ohne Selbstzensur, ohne Tabus und ohne Duckmäuserei miteinander reden kann.
Taschenbuch: 189 Seiten
HERDER spektrum
Januar 2004
ISBN 3-451-05437-X