Stanley G. Weinbaum – Die besten Stories von Stanley G. Weinbaum


Umfassende Best-of-Sammlung

Stanley G. Weinbaum wurde nur 35 Jahre alt (1900-1935), hat aber in nur ca. 18 Monaten in der Science Fiction neue Maßstäbe gesetzt. Als erster baute er ab 1934 in seine Erzählungen eine einfühlsame Schilderung fremder Lebewesen in ihrer natürlichen Umwelt ein. Seine erste Kurzgeschichte „A Martian Odyssey“ war eine Sensation und wurde 1968 von seinen SF-Kollegen auf den zweiten Platz ihrer Liste der besten Stories aller Zeiten gesetzt. Weinbaum war einer der ersten Autoren überhaupt, der sich ernsthaft mit Exobiologie und fremdartigen Ökologien beschäftigte.

Der Autor

Stanley G. Weinbaum (geboren 1900 in Louisville. Kentucky, nach anderen Quellen 1902, bis 1935) studierte an der Universität Milwaukee, Wisconsin, Chemie und arbeitete eine Zeitlang als Chemiker, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. 1935 starb er im Alter von erst 33 Jahren an Kehlkopfkrebs, wie Sam Moskowitz verrät. Offenbar war Weinbaum wie viele seiner Figuren Raucher.

Auf Deutsch erhältlich sind die Werke:

1) Mars-Odyssee (Erzählungen, 1970, 06/3168 und 06/3558 und 06/64)
2) Der neue Adam (Heyne SF Classics, 06/3542)
3) Die schwarze Flamme (Heyne SF Classics, 06/3387)
4) Der dunkle Doppelgänger (Heyne SF Classics, 06/3424)

Die Erzählungen

1) Mars-Odyssee (A Martian Odyssey, 1934)

Vier Pioniere der Raumfahrt landen auf dem Mars, doch nur Dick Jarvis hat eine gute Geschichte zu erzählen. Puck, der Ingenieur, Leroy, der französische Biologe, und Harrison, der Astronom und Expeditionsleiter. Jarvis hat ein außerirdisches Wesen kennen und schätzen gelernt. Nachdem er es vor einem grausamen Tod in den Tentakeln einer Hydra der Marswüste bewahrt hat, ist ihm das straßenförmige Wesen sehr dankbar. Die Tatsache, dass es eine Tasche bei sich trägt und Wörter lernt, belegt seine Intelligenz.

Nun, die Kommunikation lässt ein wenig zu wünschen übrig. Tweel lernt die Wörter Eins, Zwei, Vier, Sechs, Stein und Ja bzw. Nein sowie Dicks Namen: „Tick“. Wie sich zeigen sollte, so Jarvis später an Bord, reichte dieser bescheidene Wortschatz vollständig aus, um beide bei ihren Abenteuern auf der Marsoberfläche und darunter am Leben zu erhalten. Von Tweels Gezwitscher und Getriller verstand Jarvis jedenfalls nichts.

Während Puck den verlorengegangenen Jarvis mit der Landefähre sucht, irrt Jarvis auf einem Nordkurs durch die Wüsten des Mars. Er will natürlich zum Raumschiff. Doch gewisse Bewohner sind wirklich heimtückisch, so etwa der Traumschwindler. Plötzlich sieht Jarvis seine Freundin Fran vor sich lächeln und winken. Er wankt bereits wie betört auf sie zu, als Tweel ihm sich entgegenstellt und mit einer Giftpistole auf die Erscheinung feuert. Sie verwandelt sich augenblicklich in die Wüstenhydra, und Jarvis wäre ihren Fangarmen fast in die Arme gelaufen.

Doch das ist noch nichts im Vergleich zu den seltsamen Bewohnern, die unter den Oberfläche in einem Labyrinth aus Bergbaustollen leben, gegen die Moria wie ein heimeliger Kindergarten wirkt….

Mein Eindruck

Anno 1934 bestand die amerikanische Technik-Fiktion entweder aus technischen Anleitungen oder aus Pulp Fiction. Das Vorwort vom Kenner Sam Moskowitz macht dies sehr schön deutlich. Vor diesem Hintergrund hob sich Weinbaum Geschichte von einem außerirdischen Freund und Gefährten in allen Fährnissen wohltuend ab. Selbst die Monster sind anders: Die fassförmigen Verwandten der Zwerge grüßen beispielsweise mit dem Spruch, den ihnen Jarvis beigebracht hat: „Wir sind Wreunde!“ Derweil rasen sie links und rechts an den beiden Gefährten vorbei. Und sie sagen es immer noch, als sie ihn nach einem Missverständnis ans Leben wollen. Dieser groteske Widerspruch dürfte so manchen Leser erheitern, der für schrägen Humor empfänglich ist.

Diese Geschichte wurde von Weinbaums Kollegen immer wieder zu der zweitbeliebtesten Story in der Science Fiction gewählt.

2) Das Tal der Träume (1934)

Jarvis und der französische Biologe Leroy machen sich mit einer Hilfsrakete erneut auf die Suche nach Twiel, doch sie kehren ziemlich lädiert zurück. Leroy hat sogar seinen Arm in einer Schlinge. Was passiert ist, will Kapitän Harrison wissen, und auch der Ingenieur Karl Putz stellt die Lauscher auf. Also muss Jarvis die ganze Story von vorn erzählen. Doch die Schlussfolgerungen, zu denen er gelangt, sorgen für Empörung.

Nachdem er Leroy all die merkwürdigen Phänomene gezeigt hat, auf die er und Twiel seinerzeit gestoßen waren, gelangt das Forscherpaar in die Ruinen einer toten Stadt. Sie gehörte offenbar den ausgestorbenen Marsianern, aber wie haben die ausgesehen, fragt sich Jarvis. Am Rande der Stadt stoßen sie Wesen, die genauso aussehen wie Twiel. Sobald er dessen Namen korrekt „Trrwirrl“ ausgesprochen hat, lässt sich der Gesuchte finden. Das Wiedersehen mit seinem Freund ist sehr herzlich, aber die Verständigung immer noch minimal.

Mit Twiels Hilfe gelangen sie in eine Bibliothek, die tausende von Bänden beherbergt, die sie natürlich nicht lesen können. Twiel verjagt ein kleines Wesen mit einer Teufelsfratze, das auf einem dieser Bücher saß – um es zu lesen? Er ist jedenfalls ziemlich zornig. Und es gibt Wandgemälde, aber was für welche! Auf der vierten Wand ist ein Mensch dargestellt: Er hat als einziges Wesen fünf Finger! Leroy ruft: „Thoth! Wie in Ägypten!“ Auf diesen Namen reagiert Twiel enthusiastisch: „Ja, Thoth, ja!“ Die Theorie, dass die Marsianer vor über zehntausend Jahren den Protoägyptern die Schrift gebracht haben könnten, will der übrigen Crew überhaupt nicht schmecken.

Aber es kommt noch schlimmer. Die Twiel-Marsianer und die Fassleute, die im vorhergehenden Abenteuer Jarvis fast das Leben gekostet hätten – sie sind Symbionten! Zusammen erbauen und erhalten sie nämlich die Kanäle, die das Schmelzwasser vom Südpol Richtung Äquator leiten. Die Marsianer haben auch ein Solarkraftwerk gebaut, das ihnen saubere Energie liefert. Und wie konnten die beiden Spezies so erfolgreich zusammenarbeiten, fragt Jarvis: Weil sie Anarchisten sind. Da platzt den Crewmitgliedern endgültig die Hutschnur.

Und die Verletzungen, woher kommen die, will der Kapitän wissen. Tja, unglücklicherweise widersetzten sich die beiden Forscher dem ausdrücklichen Widerstand Twiels und betraten das Tal der Träume. Dort wären sie um ein Haar erneut dem Traummonster zum Opfer gefallen, wie schon im ersten Abenteuer. Nur gut, dass Twiel sie davor bewahrte, in ihrem eigenen Utopia gefangen zu werden…

Mein Eindruck

Obwohl diese Fortsetzung von „Eine Mars-Odyssee“ etwas geschickter erzählt ist, bietet sie doch nur sehr wenig Neues. Tatsächlich nutzt der Autor sie, um die Wunder, denen Jarvis und Twiel damals begegneten, rational zu erklären oder gar zu wiederholen. Auch die Expedition ins Tal der Träume ist nur eine Wiederholung, und wieder tauchen Visionen schöner junger Frauen in einem grünen Paradies im geist der beiden Opfer des Traummonsters auf.

Wirklich neu sind hingegen das Solarkraftwerk, die Bibliothek und die These, die Erde könne vom Mars aus kolonisiert worden sein – von einer Rasse von Anarchisten, pfui Deibel! Dieser Teil erinnert an H.P. Lovecrafts Phantasien von zwei Rassen Außerirdischer: die Großen Alten unterwarfen sie und versklavten die Humanoiden, die ihre Nachfolgen, die Alten Götter, bekämpften und verjagten sie. In mehreren Erzählungen lässt Lovecraft diese Geschichte nacherzählen, so etwa in „Berge des Wahnsinns“: Galerien von Wandgemälden und Friesen bilden eine Art Bibliothek, die nicht nur zurückblickt, sondern auch vor der Wiederkehr der Großen Alten warnt: „Denn das ist nicht tot, was ewig liegt.“

Gedanklich liegt diese Story also zwischen Burroughs‘ Mars-Abenteuern um John Carter, Lovecrafts Phantasmagorien und den Ingenieursphantasien der Campbell-Ära ab 1937/38. Heroisch schenkt der Chemiker Jarvis seinem Freund Twiel die neueste Errungenschaft der irdischen Wissenschaft: Atomkraft! Kann es eine sauberere Energiequelle geben?

3) Die letzte Anpassung (The Adaptive Ultimate, 1935)

Dr. Daniel Scott hat ein Wundermittel hergestellt, mit dem er Soldaten von ihren Wunden heilen will. Er eilt zu seinem Professor Hans Bach, der über ein Labor in seiner geräumigen Villa verfügt, und gemeinsam stellen sie Versuche an Tieren an. Die Heilwirkung ist verblüffend. Scott will die Erlaubnis für einen Menschenversuch, doch die kriegt er nur nach langen Diskussionen und widerwillig. Bach bietet ihm einen hoffnungslosen Fall an: Kyra Zelas.

Bleich, abgezehrt, tuberkulös ist die etwa 18-jährige Kyra das Inbild des nahen Todes. Doch Scotts Wundermedizin stoppt ihren Verfall, und schon nach ein paar Tagen kann sie die Intensivstation verlassen. Doch kaum hat sie die Klinik verlassen, kommt es zu einem erschreckenden Zwischenfall: Sie schlägt einen älteren Mann nieder, um sich das Geld in seiner Brieftasche zu beschaffen. Sie landet umgehend im Knast, während ihr Opfer stirbt. Als Scott sie befragt, sagt sie, es sei ein Unfall gewesen. Sie lügt wie gedruckt. Allmählich beginnt sich Scott Sorgen zu machen.

Tage später erscheint sie vor Gericht, damit ihr der Prozess wegen Mordes gemacht wird. Doch sie hat sich inzwischen derart verändert, dass keiner der Zeugen sie mehr identifizieren kann. Der Fall wird geschlossen. Scott hat sich in Kyras wechselndes Haar, ihre alabasterweiße Haut, ihre katzenartigen Bewegungen verliebt. Sie darf ebenso wie er bei Prof. Bach einziehen. Man muss Kyra zweifellos im Auge behalten.

Als sie verschwindet, beruhigt Bach seinen Partner: „Wir werden bald von ihr hören.“ In der Tat: Die Washingtoner Zeitungen tönen, dass der junge, aufstrebende US-Finanzminister Callan, der bislang als Junggeselle galt, nun an der Seite dieser Schönheit auftaucht und offenbar von ihr hingerissen ist. Ihr Name sei Kyra Zelas. Doch die Göttin, die herausgefunden hat, dass sie unverwundbar und unsterblich ist, strebt nach Höherem: nach der Weltherrschaft. Und dorthin führt nur der Krieg…

Von Grauen gepackt versuchen Scott und Bach die Göttin zu töten, um sie in einer Operation am Gehirn ihrer Macht zu berauben. Doch wie betäubt man eine Unsterbliche?

Mein Eindruck

Tatsächlich ist Kyras wunderbarer Körper in der Lage, die allermeisten Bedrohungen abzuwehren. Ja, wie um die beiden Männer zu verhöhnen, stößt sie sich einen Brieföffner in die wohlgeformte Brust – doch die Wunde verheilt sofort wieder. Erst nach langem Überlegen kommen Scott und Bach auf die Lösung. Doch die soll hier nicht verraten werden.

Das Thema der Anpassung taucht ja spätestens bei Charles Darwin in seinem Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten“ (ca. 1859) auf. Sein Satz, der immer wieder missbraucht wurde, lautet: „Survival of the fittest.“ Doch mit „fittest“ ist keineswegs der stärkste Organismus gemeint, sondern der anpassungsfähigste. Da sich die Umweltbedingungen mitunter rasch ändern können – siehe den Klimawandel – überleben nur diejenigen Arten, die sich am schnellsten daran passen können.

Anpassung funktioniert aber, wie Prof. Bach darlegt, auf zwei Ebenen. Durch Mutationen – wie Kyra – entstehen Ausreißer aus der Hauptreihe, doch ist der Selektionsdruck entsprechend hoch, überleben nur sie und ihre Nachkommen. Arten ohne überlebensfähige Nachkommen verschwinden ganz einfach.

Die zweite Ebene, auf der Anpassung wirkt, ist die geistige. Kyra wird sich bald ihrer übermenschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten bewusst. Sie ist die weibliche Verführung in Person, wie sie an Scotts Reaktion auf sie nur zu gut ablesen kann. Da sie unverwundbar und potentiell unsterblich ist, ist ihr Weg vorgezeichnet.

Um sich zu vermehren, schnappt sie sich sowohl ein potentes Exemplar unter den Männer und zugleich eines, das ihr Macht verschafft. Ein ganzer Absatz schildert, wie ihr Einfluss in Washington, D.C. die gesamte Presse durchdringt und natürlich auch alle Kreise der Lobbyisten, Berater und schließlich Politiker. Die nächste Phase ist konsequenterweise die Übernahme der gesamten Macht. Sie könnte eine Art schwarze Galadriel werden: „Alle werden mich lieben und verzweifeln!“

Dass sie bei Bach und Scott auf Widerstand stößt, ist nicht selbstverständlich. Schließlich ist bereits die halbe Welt den Diktatoren Stalin, Mussolini und Hitler zum Opfer gefallen. Warum also nicht an Populisten und ihren Heilsweg glauben? Zum Glück sind Scott und Bach Demokraten und wissen, wie sie die Demokratie zu verteidigen haben.

Diese Erzählung wurde insgesamt viermal verfilmt, berichtet Sam Moskovitz.

4) Der Parasiten-Planet (Parasite Planet , 1935)

(Hinweis: Die Bedingungen auf der Venus, die hier beschrieben werden, basieren wahrscheinlich auf veralteten Beobachtungen.)

Der Amerikaner Ham Hammond ist ein Abenteurer und Überlebenskünstler. Nur so gelingt es ihm, das Versinken seiner Blechhütte in einem Schlammloch zu überstehen und sich erfolgreich auf die Flucht zum US-Stützpunkt Erotia zu machen. Amerikaner und Briten haben sich die 500 Meilen breite Zwielichtzone zwischen der heißen Tagseite und der eisigen Nachtseite der Venus geteilt. Heimlich hat er sich auf britischem Territorium auf Schatzsuche gemacht. Gewisse Sporenbündel dienen auf der Erde als Verjüngungsmedikament und sind daher ihr Gewicht in Gold wert.

Allerdings ist fraglich, ob er den Tage entfernt liegenden Stützpunkt lebend erreichen wird. Zahllose Gefahren einer Welt, die sich auf giftige Schimmelpilze, fleischfressende Pflanze und riesige Proteinklopse spezialisiert hat, gilt es zu vermeiden. Nur auf den vereinzelten Exemplaren des Freundlichen Baums lässt sich schlafen. Und nur der Transkinanzug mit Schutzhelm hindert die Sporen daran, ihn von innen aufzufressen.

Endlich eine Schutzhütte! Ham ist erleichtert, denn er braucht eine Verschnaufpause. Doch die Hütte ist entgegen allen Gepflogenheiten der Venusier verriegelt. Eine Waffe wird ihm an den Kopf gehalten! Er hat den erstaunlich schlanken Kerl nicht kommen gesehen, aber er nennt ihn, Ham, voll Verachtung einen „Yankee-Schmuggler“, der sich sofort vom Acker machen solle. Ham gibt vor nachzugeben. Ein überraschender Handkantenschlag setzt der Bedrohung ein Ende. Die Handgelenke des Kerls sind ebenfalls überraschend schmal.

In der Hütte, deren Tür sie rasch wieder verschließen, nimmt der Kerl endlich seinen Schutzhelm ab: Es ist eine Frau! Und was für ein hübsches Exemplar. Sie nennt sich Patricia Burlingame und behauptet, als Expeditionsleiterin im Auftrag der Royal Society und des Smithsonian Instituts in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters, eines Pioniers der Venusforschung, zu treten und als Biologin Ruhm erringen zu wollen. Na, viel Glück dabei! Schon bald werde die kurze Venusnacht hereinbrechen und Temperaturen ins Bodenlose fallen, warnt sie Ham. Als ob sie das nicht selbst wüsste. Es steht eins zu eins.

Doch die Ankunft eines der riesigen Proteinklumpen wendet das Blatt. Seine zersetzenden Sporen verwandeln Patricias luxuriös ausgestattete Metallhütte in kürzester Zeit in eine Rostlaube, die schon in wenigen Stunden einzustürzen droht. Sie müssen sofort los, um Erotia zu erreichen, meint Ham, doch da beißt er auf Granit: Pat hat vor, die höchsten Pässe der Zwielichtzone zu überqueren und die britische Station Venoble zu erreichen. Doch schon nach kurzem gemeinsamem Weg reißt einer ihrer Schuhriemen und Ham muss sie durch die Gefahrenzone tragen.

Nicht, dass dies Anlass zu Dankbarkeit wäre. Sie revanchiert sich, indem sie ihn vor einem „Pharisäer“ warnt, einem falschen Freundlichen Baum. „Wir sind quitt, klar!“ Doch dann macht sie einen Fehler: Sie behauptet, sie haben seinen Schatz aus Verjüngungssporen in den Sumpf fallen lassen. Da wird er stocksauer und verlässt sie. Als sie ihm folgt, um ihm etwas zu sagen, zieht er im Zorn davon. Dann besinnt er sich eines Besseren. Die Kleine würde es nie im Leben über die schneebedeckten Berge schaffen. Kaum hat er kehrtgemacht, als er auch schon ihre Hilferufe hört…

Mein Eindruck

Dies ist der Auftakt zur Ham & Pat-Reihe bei Weinbaum, die nicht nur mit einer lebhaft imaginierten Venus-Umwelt aufwartet, sondern auch mit einer witzigen Beziehungskiste. Denn zunächst muss Ham seine künftige Frau ja für einen Kerl halten, einen Briten, der ihn nicht nur der Poli8zei aufliefern, sondern ihm auch noch den hart erkämpften Schatz an Sporen abnehmen will. Weil der Leser schon ahnt, dass es sich um eine Frau handelt, ist das Spiel mit der irrtümlich unterstellten Identität recht amüsant.

Was zunächst wie ein Jack-London-Abenteuer in der ekligsten und gefährlichsten Umwelt, die man sich vorstellen kann, beginnt, wird als Geschlechterkampf weitergeführt und endet in einem gemeinsamen Überlebenskampf und einer Versöhnung. Das ist eine runde Sache. Es lassen sich für den Leser mehrere Lehren daraus ziehen, so etwa die, dass, wie bei Jack London, das Überleben nur gemeinsam mit einem Gefährten oder einer Gefährtin gelingt. Die tausend Gefahren auf der Venus sind mit brillanten Einfällen gespickt, die einem irdischen Dschungel – siehe so manches TARZAN-Abenteuer – zur Ehre gereichen würden.

Hinweis:

Die Reihe um Ham und Pat wird fortgesetzt in „Die Lotusesser“. Dort erfährt der Leser mehr, was es mit den Triopten in der Zwielichtzone auf sich hat.

5) Pygmalions Brille (Pygmalion’s Spectacles, 1935)

Dan Burke stößt im New Yorker Central Park auf einen Gnom, der sich Professor Ludwig nennt. Der Gnom behauptet, dass Traum und Wirklichkeit eins sein können – wenn man einen Trick anwendet. Dan wird neugierig und lässt sich in Ludwig Hotelapartment führen. Dort zeigt ihm der Professor seine neue Erfindung, die leider von den Kameraleuten von Westman abgelehnt worden war: eine VR-Brille mit Gerucherzeuger. Dan lässt sich überreden, sie mal auszuprobieren und setzt sich in einen Stuhl vor dem Fenster.

Allmählich verschwindet die Umgebung und eine neue zeigt sich: ein paradiesischer Wald. Da erscheint eine silberne Gestalt mit weiblicher Form, eine Waldnymphe. Sie nennt sich Galatea. Sie kennt Dans Sprache und nennt ihn einen Schatten aus dem Schattenland. Für sie ist ihre Welt Paracosma natürlich die einzige wirkliche Welt. Sie sagt ihm, dass seine Zeit in Paracosma bis zum Abend des zweiten Tages begrenzt sei.

Durch den Wald der singenden Blumen und geschwätzigen Bäche führt sie ihn zum Haus des Grauen Webers. Leucon hat Galatea in seiner Obhut. Dan lernt schnell, dass alles in dieser Welt vorherbestimmt ist und Gesetzen unterliegt. So sei etwa Galatea einem Freier versprochen, mit dem sie ein einziges Kind haben könne. Am zweiten Tag erfährt er, dass ihre Mutter das Gesetz gebrochen habe, indem sie sich in einen Schatten verliebt habe. Nach seinem Verschwinden musste sie ruhelos durch die Welt wandern. Galatea ist entschlossen, es nicht dazu kommen zu lassen, doch als der Moment des Abschied kommt, ist sie sogar noch rebellischer als ihre Mutter…

Mein Eindruck

Die Binnengeschichte mutet wie eines jener viktorianischen Fantasy-Epen an, wie sie von William Morris, George MacDonald, Lord Dunsany und anderen zuhauf geschrieben wurden. Anders ist jedoch, dass hier „das Gesetz“ anonym und unerbittlich ist, dass Ereignisse vorherbestimmt sind. Diese Ebene der Autorität wird meist von einem alten König oder Zauberer eingenommen, quasi als Über-Ich.

Doch die Liebe auf der Ebene des Es ist viel stärker als das Über-Ich und bricht das Gesetz, wo sie nur kann. Denn nur in der Erfüllung der Liebe kann das Ich die Ergänzung finden, die es zum Wachsen benötigt. Nur die Liebe stärkt die Hoffnung, die Zukunft schafft – doch in Paracosma ist alles in der Gegenwart erstarrt. Daher ist „Das Land jenseits der Welt“, so die direkte Übersetzung, auch eine Warnung an Dan, sich nicht an Phantasie zu verlieren, die nur statisch sein kann.

Nach seiner „Rückkehr“ in das Hotelzimmer Prof. Ludwig sieht er sich verlassen und einsam. Nur der Zufall führt die beiden wieder zusammen – und als der Prof von seiner Nichte Tea, der Schauspielerin, erzählt, erblickt Dan quasi einen Hoffnungsschimmer am Ende eines langen Tunnels der Hoffnungslosigkeit.

6) Die Welten des Wenn (Worlds of If, 1935)

Dixon Wells ist dazu verflucht, immer zu spät zu kommen. Als Millionärsbengel kann er es sich leisten, die Schnellrakete von New York City nach London zu nehmen, aber schafft er es vielleicht, die Rakete auch rechtzeitig zu erreichen? Natürlich nicht. Sie fliegt ihm vor der Nase davon. Es ist kaum ein Trost, später zu lesen, dass sie auf ihrem Flug einen britischer Obstfrachter streifte, der sie zum Absturz brachte. Nur 100 von 500 menschen an Bord überlebten das Unglück. Aber was wäre gewesen, wenn die Maschine die erbetenen fünf Minuten auf ihn gewartet hätte?

Dixon erinnert sich an seinen alten Physikprofessor Haskel van Manderpootz. Natürlich kennt er sich bestens mit solchen kniffligen Zeitproblemen aus, schließlich kann ihm nicht einmal Einstein das Wasser reichen. Was noch mehr ist: Der alte Prof hat eine Art Zeitmaschine erfunden, mit der man SEIT-wärts in der Zeit reisen kann – zu allen Welten des Wenn. Er nennt den Apparat seinen Subjunktivisor. Es ist eine VR-Brille mit eingebauter Zeitmaschine.

Der Testlauf ist vielversprechend: Das Ding funktioniert. Dixon begegnet seiner verflossenen Verlobten Whimsy (= launisch) White wieder. Sofort fangen sie an, miteinander zu streiten. Tja, die gute alte Whimsy ist immer noch die alte. Aber dann wagt Dixon den richtigen Einsatz: Was wäre gewesen, wenn die Maschine die erbetenen fünf Minuten auf ihn gewartet hätte? Der Prof gewährt ihm ein Zeitfenster von zehn Stunden, also genug für den Sieben-Stunden-Flug non New York City nach London.

Auf dem Konjunktivflug lernt Dixon die bezaubernde Joanna Caldwell mit den silberblauen Augen kennen, die in Paris ein Jahr Kunst studieren will – ah, Paris, die Stadt der Liebe! Er verliebt sich unsterblich in sie, und als die Rakete die Kollision hat und abstürzt, versucht er, sie zu retten – doch das Zeitfenster schließt sich… Fortan ist Dixon liebeskrank und zum Entsetzen seines Vaters sogar pünktlich. Er muss herausfinden, ob die virtuelle Joanna das Unglück überlebt habt. Leider hat der Prof sein „Spielzeug“ bereits abmontiert. Doch es gibt ja auch noch die Tageszeitung…

Mein Eindruck

Diese kleine, romantische Story hatte ungeahnte Folgen für das Genre. Erstens wurde ein Magazin nach ihr benannt: „Worlds of If“ wurde in den 1950er Jahre mit GALAXY verschmolzen. Zweitens wurde ein bis heute vergebener Literaturpreis ins Leben gerufen: der „Sidewise Award“. Na, und drittens zeichnet sich die kleine Geschichte durch einen herrlich verschmitzten Humor aus, der typisch für Weinbaums leichtere Seite ist.

7) Der irre Mond (The Mad Moon, 1935)

Cal Calthorpe ist ein Pflanzenhändler auf dem Jupitermond Io. Dort ist es dschungelmäßig heiß wie auf der Sonnenseite der Venus [auch diese Beschreibungen sind veraltet] und es herrschen sehr gewöhnungsbedürftige Tag- und Nachtabschnitte, so gibt es etwa eine Jupiter-Europa-Nacht (benannt nach dem Jupitermond Europa). Wie im Dschungel ist es auch mit der hiesigen Flora und Fauna bestellt: Alles will fressen. Sogar die Fledermäuse, die „Schleicher“, sind gierig, wenn auch halbintelligent: Sie bauen kleine Städte im Blutgras.

Grant erntet ein Kraut, das auf der Erde die gleiche Funktion wie Opium hat: Rauschgift. Aufgrund der geschilderten Bedingungen braucht er Helfer, die sog. „Bengel“. Kleine, relativ „ungefährliche“ Wesen von niederer Intelligenz, denkt Grant. Da hat er sich aber getäuscht. Als Haustier hält er eine Parkatze mit dem schönen Namen Oliver, die sich aber verhält wie ein Papagei: Was sie spricht, sind Zitate von Gesprochenem. Und das kann zuweilen ganz schön peinlich sein.

Eines Tages, als Grant wieder mal vom Weißen Fieber heimgesucht wird, vermeint er, eine weibliche Gestalt über sich gebeugt zu sehen. Sie muss eine Halluzination sein. Dummerweise denkt sie genau das gleiche, und so dauert es eine Weile, bis Oliver zitieren kann: „Ich bin echt, du bist echt.“ Wundersamerweise ist Lee Neilan die unternehmungslustige Tochter seines Arbeitgebers, des Unternehmers, der den Pflanzenhandel auf Io unter seine Kontrolle bringen will. Wie es Lee in diese Ecke des Dschungels verschlagen hat, ist eine ganze besondere Geschichte. Grant ist sofort in sie verschossen und opfert ihr seine letzten Fiebertabletten.

Doch das hilft nichts gegen den Angriff der Schleicher, den er provoziert hat. Er und Lee mit in die Idiotenberge fliehen. Dort stoßen sie auf eine uralte Ruinenstadt, die von den Bengeln gegen die Schleicher verteidigt wird. Es kommt zu einem actionreichen Showdown – und zu einer wundersamen Rettung…

Mein Eindruck

Im Aufbau erinnert die Story stark an „Parasite Planet“, ebenso im Verlauf und Showdown. Die Hauptfigur ist wieder mal ein Sammler von wertvollen Rohstoffen, die auf der Erde ein Vermögen wert sind. Der Leser muss sich jedoch an die Präsenz sehr merkwürdiger Lebewesen gewöhnen: Schleicher, Bengel und eine sprechende Katze. Diesmal ist die Frauenfigur, ein Oberklassen-Tussi, jedoch hilflos und auf Grants Unterstützung angewiesen, ganz im Gegensatz zu Patricia Burlingame.

Wie auf der Venus ist auch auf Io die Umgebung sehr anschaulich geschildert. Die astronomische Umgebung mit den verschiedenen Tag-Nacht-Abschnitten scheint plausibel zu sein; hier hat der Autor sicher genau hingeschaut. Alles andere ist jedoch überholt. So ist etwa mittlerweile bekannt, dass Io der Mond mit den meisten Vulkanen im Sonnensystem ist – und keinerlei Dschungel aufweist.

8) Der rettende Steinmann (Redemption Cairn, 1936)

Jack Sands ist ein ausgemusterter Raketenpilot, der Trübsal bläst. Seit der Bruchlandung, die er auf Long Island hingelegt hat, will ihn keiner mehr engagieren. Er ist pleite und steht kurz vorm Rauswurf aus seiner Wohnung. Da klopft Kapitän Harris Henshaw an seine Tür, um ihm einen Job anzubieten – und ihm seine Fluglizenz zurückzugeben. Nachdem ihm Jack erklärt hat, dass seine Entlassung auf dubiosen Umständen basierte, kann Henshaw endlich zur Sache kommen: Interplanetary Corp. will für sich werben, indem sie eine Forschungsexpedition veranstaltet.

Es gibt nur einen klitzekleinen Haken: Claire Avery, ein Medienstar, muss Jacks Kopilotin sein. Damit wird das erwünschte Medieninteresse gesichert. Jack hat jede Menge Einwände gegen diese superblonde Amateurin, die sich „Golden Flash“ nennt, muss aber nachgeben. Mit von der Partie sind auch zwei Wissenschaftler namens Coretti und Gogrol, wobei letzterer Jack irgendwie bekannt vorkommt. Seltsam, dass Gogrol als angeblicher Chemiker kein Wort über Chemie verliert.

Schon der Start mit der Blondine am Steuer ist für Jack furchterregend: Die Rakete gerät ins Rollen und Torkeln. Das vermittelt ihm eine erste Ahnung davon, wie schlecht es um die Pilotfähigkeiten von „Golden Flash“ bestellt ist. Nachdem er das Flugobjekt stabilisiert hat, hält er mit seiner Verachtung nicht hinterm Berg. Sie beginnt zu schluchzen, aber erst viel später erfährt er den wahren Grund für ihre Teilnahme an dieser seltsamen Reise.

Diese Reise birgt ihre Geheimnisse: Es geht zurück zum Jupitermond Europa, auf dem Jack mit Kapitän Gundersons Rakete schon einmal gelandet ist, um einen bestimmten Energiebrennstoff zu suchen. Während jeder weiß, dass Europa mit Eis bedeckt ist, so hat doch noch niemand die Rückseite gesehen, die stets Jupiter zugewandt und folglich ziemlich hell und relativ warm ist. Man kann hier sogar ohne Sauerstofftank atmen, und es gibt sowohl essbare Vegetation als auch schwebende Tiere, sogenannte Ballonsäcke. Jack ahnt nicht, dass diese seltsamen Wesen ihm bald das Leben retten werden.

Während Jack und Claire versuchen, sich wieder zu vertragen und Nahrung zu suchen, fällt ein Schuss, dann ein zweiter. Sie sehen entsetzt, wie Kapitän Henshaw tot zusammenbricht, gleich darauf folgt ihm Coretti. Es ist Gogrol, der geschossen hat. Aber was zum Teufel will er hier auf Europa? Mit vorgehaltener Pistole zwingt der angebliche Chemiker, der Jack immer bekannter vorkommt, ihn und Claire zur Kooperation…

Mein Eindruck

Diese Story ist eine ausgefeilte Kombination aus Agenten-Action, Exo-Wissenschaft auf Europa und der obligatorischen Romanze. Wie bei Weinbaum üblich, erscheint die Frau dem erlebenden Mann, der die Handlung trägt, zunächst als wertlos und kontraproduktiv, bevor er ihre wahren Werte offenbartbekommt und sich in sie verliebt. Soweit, so schön. Was die Agenten angeht, so ist natürlich Gogrol ein alter Feind Jacks. Und dass er für einen Rivalen von Interplanetary Corp. arbeitet, dürfte auch bald klar sein. Der MacGuffin, um den es hier geht, ist die Formel für die Nutzbarmachung des Energiebrennstoffs (Element 91), den es angeblich auf Europa gibt.

Jack bleibt in aussichtsloser Lage zurück und muss sich echt was einfallen lassen. Sein Job ist klar; Überleben, den Schurken überwältigen und das Mädchen retten. Mehr darf nicht verraten werden.

9) Das Ideal (The ideal, 1935)

Prof. van Manderpootz hat wieder mal ein „Spielzeug“ gebaut. Diesmal nennt er es den Idealisator, und er will ihn in seinen neuen Roboter Isaak einbauen. Das Funktionsprinzip fußt auf der Interaktion zwischen den kleinsten Teilen von Zeit, Raum, Gedanken und Licht. Kurz gesagt, kann damit ein Nutzer seine Vorstellungen zu jedem beliebigen Gegenstand einem ideal annähern. Als Dixon Wells, der Schwerenöter und Millionärssohn, dazu eingeladen wird, den Apparat auszuprobieren, denkt er natürlich sofort an das ideale Mädchen.

Zu seinem Erstaunen erscheint sie ihm tatsächlich: Sie vereint die idealen Merkmale seiner verflossenen und erhofften weiblichen Bekanntschaften. Die Augen, Nase, Liebe, Beine und sonstigen Merkmale – alle zusammen sind sie perfekt. Auf der Stelle verliebt er sich in dieses Ideal, ist aber sofort bei dem Gedanken niedergeschlagen, dass er es nie kennenlernen wird. Wirklich, zweifelt der Prof. Denn er zeigt auf, dass Dixon von einem real existierenden Vorbild geprägt worden ist: von de Lisle d’Agrion, genannt „die Drachenfliege“ (= Libelle). Ist es wirklich ein Zufall, dass diese Dame einst die Geliebte des Professors war – und dass sie eine Tochter namens Denise hat, die in der folgenden Woche zu besuch kommt?

Wie auch immer: Die reale Denise verschlägt Dixon den Atem. Zusammen verbringen sie eine wunderbare gemeinsame Zeit, wie sie Dixon selten genossen hat. Bis zu dem Tag, an dem er ihr von dem Idealisator erzählt. Als experimentierfreudige Schriftstellerin will sie ihn sofort ausprobieren. Den Rest kann man sich denken: Sie stellt sich den idealen Mann vor – und erblickt ihn, aber nur im Idealisator. Dagegen verblasst Dixon. Für ein paar Stunden wird er von Prof in beschlag genommen, so dass Denise unbeobachtet bleibt. Als er – wie üblich mit Verspätung – zurückkehrt, ist sie vor Angst und Entsetzen wie gelähmt, als ob sie die Hölle erblickt hätte. Leider macht Dixon einen großen Fehler: Er schiebt sein Gesicht zwischen diese Höllenvision und Denises Blick – und wird so zu ihrem Teufel…

Mein Eindruck

So nah liegen also Ideale und ihr Gegenteil beisammen, scheint der Autor anzudeuten. Der Haken ist nämlich der besondere Aufbau der menschlichen Psyche. Sie ist nicht ein- oder zweidimensional, sondern aus zahlreichen Schichten, die teils von der Evolution, teils von der Sozialisation herrühren und Schicht für Schicht aufgebaut worden sind. Daher unterscheidet sich jeder Mensch vom anderen. Und Denise hat ein ganz anderes Ideal als etwa Dixon. Das wäre nicht so schlimm, aber dann hat sie durch den Apparat unwillentlich auch einen Zugang zu ihren tiefsten Ängsten bloßgelegt. Wird sie jemals von diesem Trauma geheilt werden? Sie hat eine Therapie dringend nötig, das steht fest. Die Geschichte endet mit einer bittersüßen Pointe.

10) Die Lotus-Esser (The Lotus Eaters, 1935)

Das Forscherehepaar Patricia und Ham Hammond ist mit seiner Rakete wieder mal auf der Venus gelandet. Als Expeditionsleiterin im Auftrag der Royal Society und des Smithsonian Instituts will Patricia, geborene Burlingame, in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters, eines Pioniers der Venusforschung, treten und als Biologin Ruhm erringen. Ihr Mann Ham ist „bloß“ Ingenieur, hat ihr aber auf der vorigen Expedition das Leben gerettet. Mit den dreiäugigen Monstern der Venus ist nicht zu spaßen.

Das Zielgebiet ist wieder die gemäßigte Zwielichtzone, die die eiskalte Nacht- von der brennendheißen Tagseite der Venus, die sich nicht um sich selbst dreht, trennt. Wieder werden sie von den Triopten, den Dreiäugigen, mit Steinen und Schreien vertrieben. Als nächstes wagen sie sich zu den Eishöhlen der Nachtseite. Vor jeder Höhle befindet sich eine Pflanze, die zu ihrer Verblüffung sprechen kann – auf Englisch.

Mit wachsendem Erstaunen unterhalten sich die Eheleute mit dem Busch, den sie „Oskar“ nennen. Als sie wiederkommen, nennen sich alle Büsche Oskar. Bestürzt beobachtet Pat, wie einer der Triopten einen der Büsche davonschleppt. Aber das versetzt „Oskar“ weder in Angst noch in Bewegung. „Es besteht keine Notwendigkeit“, sagt er immer wieder. Was kann er damit bloß meinen?

Mein Eindruck

Ham und Pat geraten auf ihrem dritten Besuch der „Lotosesser“ unversehens in Lebensgefahr. Beide sind wie gelähmt, als stünden sie unter dem Einfluss einer betäubenden Droge. Zu spät erkennen sie, dass die Schoten, die die Lotosesser von sich schießen, um ihre Sporen zu verbreiten, aus einem starken Narkotikum bestehen…

Der Autor warnt hier vor mehreren Phänomenen. Rauschgift war auch anno 1935/36 keineswegs unbekannt, wie jeder weiß, der sich mit der Ausbreitung des Drogenhandels in den USA beschäftigt hat. Die sizilianische Mafia und später die French Connection aus Marseille transportierten tonnenweise Rauschgift wie Kokain und Heroin über die Häfen in die USA. Erst nach dem 2. Weltkrieg machten ihnen die südamerikanischen Kartelle diese Herrschaft streitig. Ich will dem Autor aber keine Drogenerfahrung unterstellen.

Zweitens geht es um Selbstzufriedenheit, die so weit geht, dass der eigene Tod gleichmütig in kauf genommen wird. Deshalb nennt Patricia die intelligenten Pflanzen nach dem homerischen Vorbild (in der „Odyssee“) Lotosesser. Was sie nicht ahnt: Diese Pflanzen erzeugen ihren eigenen Lotos, also die Droge, die sie willenlos macht. Pats These: Pflanzliche Intelligenz ist willenlos, tierische Intelligenz (und somit menschliche) aber trachtet dank Neugier, Willens- und Vorstellungskraft nach Veränderung (und Anpassung, s.o.).

Dass es sich dabei um einen Bezug zur Gesellschaftsstruktur der dreißiger Jahre handeln könnte, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Man bedenke aber die Eloi in H.G. Wells‘ Roman „Die Zeitmaschine“. Diese selbstgenügsamen, dem Vergnügen ergebenen künftigen Menschen dienen der anderen menschlichen Spezies, den Morlocks, als Futter. Ähnlich wie die Lotosesser den Triopten als Futter dienen.

Dürfen wir daraus schließen, dass der Autor seine Zeitgenossen davor warnt, in willenlose Selbstgenügsamkeit zu verfallen? Immerhin herrschte seit 1930 die Große Depression, und erst ab 1933 versuchte Präsident F.D. Roosevelt, mit dem New Deal die USA wieder auf die Beine zu bringen. Der SF-Herausgeber und -Autor Hohn W. Campbell jr. zeigte denn auch Ingenieure und Erforscher, die selbst mit schlimmsten Gegnern wie dem außerirdischen Monster Coeurl (1939) fertigwurden.

Einleitung von Isaac Asimov: „Die zweite Nova“

Asimov, 1920 in Russland geboren und in den USA aufgewachsen, kennt die frühe Phase der amerikanischen SF aus eigener Erfahrung. Er nennt drei „Novae“ in diesem Literaturgenre: E.E. Smith anno 1928 und Heinlein ab 1939. Zwischen diesen beiden erschien als Sternexplosion also Stanley G. Weinbaum, doch wie unterschied er sich von diesen beiden Wegbegleitern?

Smith war laut Asimov der erste, der dem Leser den ungehinderten Blick ins Universum erlaubte (was Stapledon total ignoriert) und ihn zugleich mit dem Raumschiff „Skylark“ auf Abenteuerreise schickte. Der Herausgeber John W. Campbell holte seine Autoren, darunter Heinlein, auf den Boden der technisch-wissenschaftlichen Tatsachen, und Heinleins erste Story „Lifeline“ entsprach dieser Vorgabe nur sehr bedingt: Hier spielen Wirtschaft und Gesellschaft die Hauptrolle. Aber in späteren Geschichten machte Heinlein Technologie (und leider auch Militär) zu einer treibenden Kraft gesellschaftlicher Veränderung. Die Revolution auf dem Mond in „Der Mond ist eine herbe Geliebte“ (1966) wäre ohne die Künstliche Intelligenz nicht möglich gewesen.

Weinbaums Spezialität bestand im Unterschied dazu darin, fremdartige Lebenssysteme ernstzunehmen und in allen Details in ihren Interaktionen vorzuführen. Die je zwei Venus- und Mars-Erzählungen belegen Asimovs These. Für den Venus-Teil würde ich Asimov recht geben, denn die Vielfalt dieser Kreaturen, die miteinander in Interaktion stehen und zum Teil intelligent sind, bedrängt die Menschen, die ihnen gegenübertreten, auf eine sehr glaubhafte und bedrohliche Weise. Der Mensch ist nicht der Meister des Universums, sondern nur ein weiterer Kämpfer, der sich durchbeißen muss. Weinbaums spezielle Botschaft: Wer sich allein durchschlagen will, sei es Ham, sei es Pat, hat schlechte Karten, und nur gemeinsam kann man es schaffen zu überleben.

Die Übersetzung

S. 9: „Pupliziert“ statt „publiziert“.

S. 13: „Sience-fictoren-Freunde“. Dreimal darf man raten, was hier gemeint ist.

S. 66: „Meteroiten“ statt „Meteoriten“.

S. 81: „Wolfspack“ ist eine 1-zu-1-Übersetzung. Gemeint ist ein „Wolfsrudel“.

S. 129: „Schlammsee, in der Gebäude versinken…“: Da der See maskulin ist, muss es nicht „in der“, sondern „in dem“ heißen.

S. 149: „huntert“ statt „hundert“.

S. 155 + 166: „Un[d]endlichkeiten“: Das D ist überflüssig.

S. 182: „Solche Wort[e] hab ich noch nie gehört.“ Das E fehlt.

S. 191: „Sie stellt[e] ihre last ab“: Das E fehlt.

S. 204: „Subjunktivisor“ ist abgeleitet vom englischen Wort „subjunctive“, der dem deutschen Konjunktiv entspricht. Passend wäre es also, vom einem “ Konjunktivisor“ zu sprechen.

S. 238. „eine Chance, dem Fieber auszukommen“. Das ist wohl Bajuwarisch-österreichisch für „entgehen“.

S. 239: „Pensionsgeld“: gemeint ist aber in dem Kontext nicht die Rente, sondern „the rent“, also die Miete. Die kann der arbeitslose Jack nämlich nicht mehr aufbringen.

S. 266: „Landfall“: eine 1-zu-1-Übersetzung aus dem Englischen. Gemeint ist Landung oder Landgang.

S. 315: „Ma[n]derpootz“: Das N fehlt.

S. 320: „Drachenfliege“: 1-zu-1-Übersetzung von engl. „dragonfly“ = Libelle.

Unterm Strich

Ich habe diese interessanten Erzählungen in nur wenigen Tagen gelesen (für ungestörte Leser reichen sicher auch Stunden). Man merkt zwar in „Mars-Odyssee“, „Parasite Planet“ sowie „Lotosesser“, dass die astronomischen Annahmen nicht ganz der Realität entsprechen (aber wenigstens werden auf der Venus keine Sümpfe geschildert, wie es später Heinlein tat). Aber anno 1934 waren die Entdeckungen von Neptun, Uranus und v.a. Pluto erst wenige Jahre her. Das gleiche gilt natürlich auf für Mars, Io und Europa. Immerhin versteht es der Autor, seine Figuren realistisch in einer Umgebung agieren zu lassen, die 1934 für die meisten Leser noch sehr weit weg war.

Die Titel-Story ist teils von Action, von Einsichten, teils von Freundschaft geprägt, eine Kombination, die man zwischen Menschen und Aliens nicht allzu häufig findet. In „Die letzte Anpassung“, einer vier Mal verfilmten Erzählung, steht das Drama und die Tragödie der Über-Frau im Vordergrund. In „Die Lotosesser“ kabbeln sich die Eheleute Hammond aufs freundschaftlichste und amüsanteste, aber die Botschaft ist eindeutig eine Warnung vor der Passivität in Krisenzeiten, die die USA bereits im 1. Weltkrieg gezeigt hatten und nun – bis zum 7.12.1941 – wieder an den Tag legten. (Allerdings ist inzwischen erwiesen, dass die Amis schon eine Woche vor diesem „Überfall“ ein japanisches U-Boot versenkt hatten.)

„Das Ideal“ und „Pygmalions Brille“ sind konventionelle Geschichten um einen genialen Erfinder und einen schusseligen Ex-Studenten und Schwerenöter. Sie stehen ganz in der damaligen Tradition eines wagemutigen oder tollkühnen Mannes, der einer idealen Frau begegnet und sich in sie verliebt, was mehr oder weniger tragische Foglen zeitigt. „Der irre Mond“ ist eine Variation zu „Parasite Planet“ und „Das Tal der Träume“ nur die weniger gelungen Fortsetzung zu „Mars-Odyssee“. Kurzum: Es gibt die genialen Stories und die weniger genialen, die mehr vom gleichen bieten. Da Weinbaum ca. 23 Erzählungen hinterlassen hat, sind auf Deutsch etwa ein Dutzend verfügbar: zehn in dieser Sammlung, zwei weitere in der Heyne-Auswahl. Es gibt noch weitere Übsetzungen, u.a. 1988 in Ostberlin „Die Welten des Wenn“.

Asimov liefert Informationen zum Autor, steuert aber auch seine persönliche Einordnung des rangs von Weinbaum bei: Die zweite (literarische) Nova, neben E.E. Smith und Robert Heinlein. Das Nachwort, das in der Heyne-Auswahl „Mars-Odyssee“ zu finden ist, fehlt dem Leser. Es liefert kenntnisreiche Informationen zu Autor und Werk, so dass der Leser die vorliegende Auswahl einordnen kann. Die Illustrationen, die man hier vergeblich sucht, findet man ebenfalls nur in der Heyne-Ausgabe. Schade, dass es so viele Druckfehler gibt. Das gibt einen halben Punkt Abzug.

Taschenbuch: 368 Seiten
Originaltitel: The best of Stanley G. Weinbaum, 1974
Aus dem Englischen von Leni Sobez.
ISBN-13: 9783811867109

www.vpm.de

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