Stanley G. Weinbaum – Mars-Odyssee. SF-Erzählungen

Evolution auf Speed, die Über-Frau und andere Schrecken

Stanley G. Weinbaum hat in nur ca. 18 Monaten in der Science Fiction neue Maßstäbe gesetzt. Als erster baute er ab 1934 in seine Erzählungen eine einfühlsame Schilderung fremder Lebewesen in ihrer natürlichen Umwelt ein. Er war einer der ersten Autoren überhaupt, der sich ernsthaft mit Exobiologie und fremdartigen Ökologien beschäftigte. (aus der Verlagsinfo)

Der Autor

Stanley G. Weinbaum (geboren 1900 in Louisville. Kentucky, nach anderen Quellen 1902, bis 1935) studierte an der Universität Milwaukee, Wisconsin, Chemie und arbeitete eine Zeitlang als Chemiker, bevor er sich dem Schreiben zuwandte. 1935 starb er im Alter von erst 33 Jahren an Kehlkopfkrebs, wie Sam Moskowitz verrät. Offenbar war Weinbaum wie viele seiner Figuren Raucher.

Auf Deutsch erhältlich sind die Werke:

1) Mars-Odyssee (Erzählungen, 1970, 06/3168 und 06/3558 und 06/64)
2) Der neue Adam (Heyne SF Classics, 06/3542)
3) Die schwarze Flamme (Heyne SF Classics, 06/3387)
4) Der dunkle Doppelgänger (Heyne SF Classics, 06/3424)

Die Erzählungen

1) Mars-Odyssee (A Martian Odyssey, 1934)

Vier Pioniere der Raumfahrt landen auf dem Mars, doch nur Dick Jarvis hat eine gute Geschichte zu erzählen. Puck, der Ingenieur, Leroy, der französische Biologe, und Harrison, der Astronom und Expeditionsleiter. Jarvis hat ein außerirdisches Wesen kennen und schätzen gelernt. Nachdem er es vor einem grausamen Tod in den Tentakeln einer Hydra der Marswüste bewahrt hat, ist ihm das straßenförmige Wesen sehr dankbar. Die Tatsache, dass es eine Tasche bei sich trägt und Wörter lernt, belegt seine Intelligenz.

Nun, die Kommunikation lässt ein wenig zu wünschen übrig. Tweel lernt die Wörter Eins, Zwei, Vier, Sechs, Stein und Ja bzw. Nein sowie Dicks Namen: „Tick“. Wie sich zeigen sollte, so Jarvis später an Bord, reichte dieser bescheidene Wortschatz vollständig aus, um beide bei ihren Abenteuern auf der Marsoberfläche und darunter am Leben zu erhalten. Von Tweels Gezwitscher und Getriller verstand Jarvis jedenfalls nichts.

Während Puck den verlorengegangenen Jarvis mit der Landefähre sucht, irrt Jarvis auf einem Nordkurs durch die Wüsten des Mars. Er will natürlich zum Raumschiff. Doch gewisse Bewohner sind wirklich heimtückisch, so etwa der Traumschwindler. Plötzlich sieht Jarvis seine Freundin Fran vor sich lächeln und winken. Er wankt bereits wie betört auf sie zu, als Tweel ihm sich entgegenstellt und mit einer Giftpistole auf die Erscheinung feuert. Sie verwandelt sich augenblicklich in die Wüstenhydra, und Jarvis wäre ihren Fangarmen fast in die Arme gelaufen.

Doch das ist noch nichts im Vergleich zu den seltsamen Bewohnern, die unter den Oberfläche in einem Labyrinth aus Bergbaustollen leben, gegen die Moria wie ein heimeliger Kindergarten wirkt….

Mein Eindruck

Anno 1934 bestand die amerikanische Technik-Fiktion entweder aus technischen Anleitungen oder aus Pulp Fiction. Das Vorwort vom Kenner Sam Moskowitz macht dies sehr schön deutlich. Vor diesem Hintergrund hob sich Weinbaum Geschichte von einem außerirdischen Freund und Gefährten in allen Fährnissen wohltuend ab. Selbst die Monster sind anders: Die fassförmigen Verwandten der Zwerge grüßen beispielsweise mit dem Spruch, den ihnen Jarvis beigebracht hat: „Wir sind Frreinde!“ Derweil rasen sie links und rechts an den beiden Gefährten vorbei. Und sie sagen es immer noch, als sie ihn nach einem Missverständnis ans Leben wollen. Dieser groteske Widerspruch dürfte so manchen Leser erheitern, der für schrägen Humor empfänglich ist.

Diese Geschichte wurde von Weinbaums Kollegen immer wieder zu der zweitbeliebtesten Story in der Science Fiction gewählt (nach Asimovs „Einbruch der Nacht“).

2) Die letzte Anpassung (The Adaptive Ultimate, 1936)

Dan Scott hat ein Wundermittel hergestellt, mit dem er Soldaten von ihren Wunden heilen will. Er eilt zu seinem Professor Hans Bach, der über ein Labor in seinem geräumigen Villa verfügt, und gemeinsam stellen sie Versuche an Tieren an. Die Heilwirkung ist verblüffend. Scott will die Erlaubnis für einen Menschenversuch, doch die kriegt er nur nach langen Diskussionen und widerwillig. Bach bietet ihm einen hoffnungslosen Fall an: Kyra Zelas.

Bleich, abgezehrt, tuberkulös ist die etwa 18-jährige Kyra das Inbild des nahen Todes. Doch Scotts Wundermedizin stoppt ihren Verfall, und nach ein paar Tagen kann sie die Intensivstation verlassen. Doch kaum hat sie die Klinik verlassen, kommt es zu einem erschreckenden Zwischenfall: Sie schlägt einen älteren Mann nieder, um sich das Geld in seiner Brieftasche zu beschaffen. Sie landet umgehend im Knast, während ihr Opfer stirbt. Als Scott sie befragt, sagt sie, es sei ein Unfall gewesen. Sie lügt wie gedruckt. Allmählich beginnt sich Scott Sorgen zu machen.

Tage später erscheint sie vor Gericht, damit ihr der Prozess gemacht wird. Doch sie hat sich inzwischen derart verändert, dass keiner der zeugen sie identifizieren kann. Der Fall wird geschlossen. Scott hat sich in Kyras wechselndes Haar, ihre alabasterweiße Haut, ihre katzenartigen Bewegungen verliebt. Sie darf ebenso wie er bei Prof. Bach einziehen. Man muss Kyra zweifellos im Auge behalten.

Als sie verschwindet, beruhigt Bach seinen Partner: „Wir werden bald von ihr hören.“ In der Tat: Die Washingtoner Zeitungen tönen, dass der junge, aufstrebende US-Finanzminister Callan, der bislang als Junggeselle galt, nun an der Seite dieser Schönheit auftaucht und offenbar von ihr hingerissen ist. Ihr Name sei Kyra Zelas. Doch die Göttin, die herausgefunden hat, dass sie unverwundbar und unsterblich ist, strebt nach Höherem: nach der Weltherrschaft. Und dorthin führt nur der Krieg…

Von Grauen gepackt versuchen Scott und Bach die Göttin zu töten, um sie in einer Operation am Gehirn ihrer Macht zu berauben. Doch wie betäubt man eine Unsterbliche?

Mein Eindruck

Tatsächlich ist Kyras wunderbarer Körper in der Lage, die allermeisten Bedrohungen abzuwehren. Ja, wie um die beiden Männer zu verhöhnen, stößt sie sich einen Brieföffner in die wohlgeformte Brust – doch die Wunde verheilt sofort wieder. Erst nach langem Überlegen kommt Scott und Bach auf die Lösung. Doch die soll hier nicht verraten werden.

Das Thema der Anpassung taucht ja spätestens bei Charles Darwin in seinem Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten“ (ca. 1859) auf. Sein Satz, der immer wieder missbraucht wurde, lautet: „Survival of the fittest.“ Doch mit „fittest“ ist keineswegs der stärkste Organismus gemeint, sondern der anpassungsfähigste. Da sich die Umweltbedingungen mitunter rasch ändern können – siehe den Klimawandel – überleben nur diejenigen Arten, die sich am schnellsten daran passen können.

Anpassung funktioniert aber, wie Prof. Bach darlegt, auf zwei Ebenen. Durch Mutationen – wie Kyra – entstehen Ausreißer aus der Hauptreihe, doch ist die der Selektionsdruck entsprechend hoch, überleben nur sie und ihre Nachkommen. Arten ohne überlebensfähige Nachkommen verschwinden ganz einfach.

Die zweite Ebene, auf der Anpassung wirkt, ist die geistige. Kyra wird sich bald ihrer übermenschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten bewusst. Sie ist die weibliche Verführung in Person, wie sie an Scotts Reaktion auf sie nur zu gut ablesen kann. Da sie unverwundbar und potentiell unsterblich ist, ist ihr Weg vorgezeichnet.

Um sich zu vermehren, schnappt sie sich sowohl ein potentes Exemplar unter den Männer und zugleich eines, das ihr Macht verschafft. Ein ganzer Absatz schildert, wie ihr Einfluss in Washington, D.C. die gesamte Presse durchdringt und natürlich auch alle Kreise der Lobbyisten, Berater und schließlich Politiker. Die nächste Phase ist konsequenterweise die Übernahme der gesamten Macht. Sie könnte eine Art schwarze Galadriel werden: „Alle werden mich lieben und verzweifeln!“

Dass sie bei Bach und Scott auf Widerstand stößt, ist nicht selbstverständlich. Schließlich ist bereits die halbe Welt den Diktatoren Stalin, Mussolini und Hitler zum Opfer gefallen. Warum also nicht an Populisten und ihren Heilsweg glauben? Zum Glück sind Scott und Bach Demokraten und wissen, wie sie die Demokratie zu verteidigen haben.

Diese Erzählung wurde insgesamt viermal verfilmt, berichtet Sam Moskovitz.

3) Die Lotus-Esser (The Lotus Eaters, 1935)

Das Forscherehepaar Patricia und Ham Hammond ist mit seiner Rakete wieder mal auf der Venus gelandet. Als Expeditionsleiterin im Auftrag der Royal Society und des Smithsonian Instituts will Patricia, geborene Burlingame, in die Fußstapfen ihres berühmten Vaters, eines Pioniers der Venusforschung, treten und als Biologin Ruhm erringen. Ihr Mann Ham ist „bloß“ Ingenieur, hat ihr aber auf der vorigen Expedition das Leben gerettet. Mit den dreiäugigen Monstern der Venus ist nicht zu spaßen.

Das Zielgebiet ist wieder die gemäßigte Zwielichtzone, die die eiskalte Nacht- von der brennendheißen Tagseite der Venus, die sich nicht um sich selbst dreht, trennt. Wieder werden sie von den Triopten, den Dreiäugigen, mit Steinen und Schreien vertrieben. Als nächstes wagen sie sich zu den Eishöhlen der Nachtseite. Vor jeder Höhle befindet sich eine Pflanze, die zu ihrer Verblüffung sprechen kann – auf Englisch.

Mit wachsendem Erstaunen unterhalten sich die Eheleute mit dem Busch, den sie „Oskar“ nennen. Als sie wiederkommen, nennen sich alle Büsche Oskar. Bestürzt beobachtet Pat, wie einer der Triopten einen der Büsche davonschleppt. Aber das versetzt „Oskar“ weder in Angst noch in Bewegung. „Es besteht keine Notwendigkeit“, sagt er immer wieder. Was kann er damit bloß meinen?

Mein Eindruck

Ham und Pat geraten auf ihrem dritten Besuch der „Lotosesser“ unversehens in Lebensgefahr. Beide sind wie gelähmt, als stünden sie unter dem Einfluss einer betäubenden Droge. Zu spät erkennen sie, dass die Schoten, die die Lotosesser von sich schießen, um ihre Sporen zu verbreiten, aus einem starken Narkotikum bestehen…

Der Autor warnt hier vor mehreren Phänomenen. Rauschgift war auch anno 1935/36 keineswegs unbekannt, wie jeder weiß, der sich mit der Ausbreitung des Drogenhandels in den USA beschäftigt hat. Die sizilianische Mafia und später die French Connection aus Marseille transportierten tonnenweise Rauschgift wie Kokain und Heroin über die Häfen in die USA. Erst nach dem 2. Weltkrieg machten ihnen die südamerikanischen Kartelle diese Herrschaft streitig. Ich will dem Autor aber keine Drogenerfahrung unterstellen.

Zweitens geht es um Selbstzufriedenheit, die so weit geht, dass der eigene Tod gleichmütig in kauf genommen wird. Deshalb nennt Patricia die intelligenten Pflanzen nach dem homerischen Vorbild (in der „Odyssee“) Lotosesser. Was sie nicht ahnt: Diese Pflanzen erzeugen ihren eigenen Lotos, also die Droge, die sie willenlos macht. Pats These: Pflanzliche Intelligenz ist willenlos, tierische Intelligenz (und somit menschliche) aber trachtet dank Neugier, Willens- und Vorstellungskraft nach Veränderung (und Anpassung, s.o.).

Dass es sich dabei um einen Bezug zur Gesellschaftsstruktur der dreißiger Jahre handeln könnte, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Man bedenke aber die Eloi in H.G. Wells‘ Roman „Die Zeitmaschine“. Diese selbstgenügsamen, dem Vergnügen ergebenen künftigen Menschen dienen der anderen menschlichen Spezies, den Morlocks, als Futter. Ähnlich wie die Lotosesser den Triopten als Futter dienen.

Dürfen wir daraus schließen, dass der Autor seine Zeitgenossen davor warnt, in willenlose Selbstgenügsamkeit zu verfallen? Immerhin herrschte seit 1930 die Große Depression, und erst ab 1933 versuchte Präsident F.D. Roosevelt, mit dem New Deal die USA wieder auf die Beine zu bringen. Der SF-Herausgeber und -Autor Hohn W. Campbell jr. zeigte denn auch Ingenieure und Erforscher, die selbst mit schlimmsten Gegnern wie dem außerirdischen Monster Coeurl (1939) fertigwurden.

4) Insel des Proteus (Proteus Island, 1936)

Alan Carver erreicht endlich das berüchtigte Austin Island, vor dem ihn seine beiden Maori-Ruderer so eindringlich gewarnt haben. Es sei tabu und ein böser Geist treibe hier sein Unwesen. Und tatsächlich: Kaum hat er ihnen mal den Rücken zugewandt, um nach Süßwasser zu suchen, haben sie sich mit dem Segelboot aus dem Staub gemacht und nur seine kleine Ausrüstung zurückgelassen, denn die braucht er als Zoologe. Mit seiner Pistole schickt er ihnen eine Kugel hinterher, und obwohl er es nicht ahnt, wird dieser Schuss, der einen der Ruderer trifft, schon bald seine Rettung sein.

Austin Island ist anders, ganz anders, wie er rasch erkennt: Kein Baum gleicht dem anderen, und was fliegt, ist mitnichten ein Vogel. An einem Wasserlauf erblickt er ein menschenähnliches Wesen, das aber gleich wieder im dichten Dschungel verschwindet. Schließlich stößt er auf eine Meute intelligenter Tiere, die sich wie Hunde verhalten. Und sie gehorchen einem Mädchen, das er mit einem Schuss von einem Felsen holt. Zum Glück ist es nur ein Streifschuss, doch der Sturz hat das etwa 20 Jahre alte Mädchen betäubt.

Er verbindet die Schusswunde und lehrt das furchtsame Mädchen seinen Namen und ein paar Wörter seiner Sprache. Er nennt es Lilith, denn das war in der Bibel die erste Frau, die Adam im Garten Eden antraf, bevor Eva erschaffen wurde. Sie zeigt ihm, welche Früchte auf der Insel essbar sind und welche man meiden sollte. Dabei ist sie stets wachsam. Auf dem höchsten Felsen erkennt Carver, dass unten im Tal die Ruine einer Hütte steht. Diese wird sein nächstes Ziel. Lilith warnt ihn eindringlich davor. Sie sagt: „Le scha!“

Tatsächlich verläuft am Bach, der zur Hütte führt die Grenze zum Revier der Katzen. Kaum hat Carver in der Hütte neben einem Skelett das Tagebuch eines Biologen geborgen, werden er und Lilith von einem Rudel Raubkatzen bedrängt. Jetzt muss er seinen Fund verteidigen, doch Lilith ruft ihre Meute zu Hilfe. Ob dieser Beistand ausreicht?

Mein Eindruck

Wer des Französischen mächtig ist, wird in „Le scha“ gleich „les chats“ erkannt haben: die Katzen. Offenkundig ist die Sprecherin, die als Fünfjährige zusammen mit ihrem Vater auf Austin Island strandete, französischer Herkunft. Sie ist quasi das weibliche Gegenstück zum Affenmenschen Tarzan. Deshalb mutet der Kampf im Inseldschungel sehr nach einem Tarzan-Abenteuer an.

Allerdings dauert es eine ganze Weile, bis es zu dieser Action kommt. Denn das Thema ist ja nicht Tarzan, sondern die Manipulation der Kräfte der Evolution. Liliths Vater war Ambrose Callan, und Carver hat sein Tagebuch geborgen. Was er anfangs mit Verwunderung beobachtet hat, findet durch Callas Aufzeichnungen im Epilog seine Erklärung: Callan hat – nicht ganz wie ein gewisser Dr. Moreau bei H.G. Wells – Experimente mit den Chromosomen angestellt, um quasi Evolution auf Speed hervorzubringen. Der durchschnittliche Mensch hat bescheidene 48 Chromosomen (XX oder XY) als Erbgutträger. Wie toll wäre es doch, ihm 480 davon zu geben! Oder wenigstens den Katzen und Hunden?

Nun, das Ergebnis dieser Evolution auf Speed kann Carver am eigenen Leib erleben. Intelligente Raubkatzen findet er genausowenig erbaulich wie intelligente Hunde, die Lilith aufs Wort gehorchen. Aber es gibt einen Bonus: Diese Mutanten sind nicht fortpflanzungsfähig. Die Evolution wird selbst dafür sorgen, dass die „Normalos“ über kurz oder lang die Oberhand gewinnen. Und das war’s dann mit der Insel des Proteus.

Carver fragt sich allerdings, was er mit Lilith anstellen soll. Bleiben kann sie hier jedenfalls nicht. Das wäre viel zu riskant. Aber sie hat sehr schöne bernsteingelbe Augen…

5) Am Rande der Unendlichkeit (Brink of Infinity, 1936)

Der Statistiker und Mathe-Berater Abner Aaron wird in New York City zu einem Gespräch mit einem Interessenten eingeladen. Der Mann ist ein Krüppel und zückt unversehens einen Revolver. Er will sich Aaron als Vertreter des Standes der Mathematiker rächen. Ein anderer Mathe-Heini habe sich um eine Dezimalstelle vertan, so dass sein chemisches Experiment schiefging. Die Explosion habe ihn zu einem entstellten Krüppel gemacht.

Aaron versucht verzweifelt, einen kühlen Kopf zu bewahren und bittet, dass Mr. Strawn ihm eine Chance gebe, seinen Stand zu rehabilitieren. Immerhin hat ihn Strawn noch nicht über den Haufen geschossen. Der Mann geht darauf ein, aber die Bedingungen für die Chance sind hart. Er denke sich eine mathematische Größe aus, und Aaron müsse versuchen, sie mit nur zehn Fragen zu erraten. Aber nur zwei Fragen pro Tag, wenn’s recht ist. Also muss Aaron im Haus des Krüppels übernachten. Flucht ist zwecklos, wie Aaron ein Blick auf die Zelle und das vergitterte Fenster klarmacht.

Neun der zehn Antworten gehen fehl, doch die zehnte hat es in sich. Die Reaktion folgt sofort…

Mein Eindruck

Was zunächst nach einem Thema aussieht, das nur Mathe-Cracks interessieren dürfte, entpuppt sich als Kriminalfall, in dem der Entführte sein Leben nur durch eine geniale Lösung retten kann. Das klingt schon fast nach einer Grusel-Story von Edgar Allan Poe, beispielsweise „Die Grube und das Pendel“.

Der Titel deutet den Kern des Rätsels bzw. der Lösung bereits an: Es geht um Unendlichkeit bzw. den mathematischen Umgang damit. Wie man mit Nullen umgeht, weiß jeder Grundschüler, doch Unendlichkeit ist eine ganz andere Sache. Mehr darf nicht verraten werden. Ganz nebenbei erhält der Leser einen Grundkurs in Zahlentheorie, einen Bonus, den man vielleicht irgendwann mal gebrauchen kann.

Einleitung von Sam Moskovitz: „Das Wunder Weinbaum“

Der Branchenkenner Moskovitz beleuchtet des Autor Weinbaum in seinem Werdegang und in der Wirkung seines Werkes. Außerdem würdigt er jede einzelne Story der vorliegenden Ausgabe. Wertvoll fand ich den Hinweis, dass Rauchen, Krebs und v.a. ein Heilmittel für Krebs in mehreren dieser Erzählungen als Motiv auftaucht, so etwa als Pointe in der Titel-Story.

Die Übersetzung

S. 25: „für eine[n] starken Mann“. Das N fehlt.

S. 36: „Qui, mon cher“ statt korrekt „Oui, mon cher“.

S. 120: „kart[h]ographisch“. Das H ist überflüssig.

S. 135: „…keine zwei Lebewesen, die [in]einander in allen wesentlichen Merkmalen glichen!“ Die Vorsilbe „in-“ ist überflüssig.

S. 158: „le[s] chats“: Das Plural-s fehlt.

Dafür ist aber jede einzelne Mathe-Formel in „Am Rande der Unendlichkeit“ fehlerlos wiedergegeben.

Die Illustrationen

…stammen von Johann Peterka. Sein etwas überbordender Stil ist unverkennbar. Bemerkenswert sind v.a. die Darstellungen der Frauengestalten, wie etwa Kyra Zelas oder Patricia Hammond (deren weibliche Attribute der Künstler übertrieben hervorgehoben hat).

Unterm Strich

Ich habe diese interessanten Erzählungen in nur wenigen Tagen gelesen (für ungestörte Leser reichen sicher auch Stunden). Man merkt zwar in „Mars-Odyssee“ sowie „Lotosesser“, dass die astronomischen Annahmen nicht ganz der Realität entsprechen (aber wenigstens werden auf der Venus keine Sümpfe geschildert, wie es später Heinlein tat). Aber anno 1934 waren die Entdeckungen von Neptun, Uranus und v.a. Pluto erst wenige Jahre her.

Die Titel-Story ist teils von Action, von Einsichten, teils von Freundschaft geprägt, eine Kombination, die man zwischen Menschen und Aliens nicht allzu häufig findet. In „Die letzte Anpassung“, einer vier Mal verfilmten Erzählung, steht das Drama und die Tragödie der Über-Frau im Vordergrund. In „Die Lotosesser“ kabbeln sich die Eheleute Hammond aufs freundschaftlichste und amüsanteste, aber die Botschaft ist eindeutig eine Warnung vor der Passivität in Krisenzeiten, die die USA bereits im 1. Weltkrieg gezeigt hatten und nun – bis zum 7.12.1941 – wieder an den Tag legten.

Die „Insel des Proteus“ zeigt die Auswirkungen von Evolution auf Speed, mutet aber stellenweise wie eine Mischung aus „Castaway“ (mit Tom Hanks“), „Robinson Crusoe“ und „Die Insel des Dr. Moreau“ an. Die Dschungelszenen sind pures Tarzan-Abenteuer. Der Kontrast zur letzten Erzählung könnte nicht größer sein. Statt wilder Emotionen regiert hier der kühle Verstand. Dabei geht es doch um Leben und Tod.

Das Nachwort liefert kenntnisreiche Informationen zu Autor und Werk, so dass der Leser die vorliegende Auswahl einordnen kann. Die Illustrationen, die man in anderen Ausgaben vergeblich suchen würde, passen eher in einen Prachtband, so überbordend und detailreich ist hier die Darstellung. Schade, dass es so viele Druckfehler auf so wenigen Seiten gibt. Das gibt einen halben Punkt Abzug.

Hinweis

Diese Auswahl bietet nur einen kleinen, aber feinen Ausschnitt aus Weinbaums Werk. Eine umfangreichere Auswahl bietet der Moewig-Band „Die besten Stories von Stanley G. Weinbaum“, der in der Reihe „Playboy SF“ erschien.

Taschenbuch: 172 Seiten
Originaltitel: A Martian Odyssey, ca. 1970
Aus dem Englischen von Walter Brumm.
ISBN-13: 9783453313491

www.heyne.de

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