Stephan Orth – Couchsurfing in Russland

Die Handlung:

Eine Diamantenmine in Jakutien, eine Datscha mitten in der Großstadt, das Dorf einer Weltuntergangssekte in Sibirien: Es sind Orte wie diese, an denen Stephan Orth nach dem wahren Russland sucht. Zwischen Moskau und Grosny, zwischen Sankt Petersburg und Wladiwostok lebt er zu Hause bei Einheimischen, diskutiert mit ihnen über Politik, Propaganda und Pelmeni und lässt sich von ihnen ihre Welt zeigen. Dabei trifft er nicht nur Putin-Versteher, Wodkatrinker und Waffennarren, sondern auch herzliche Musiker, einen intellektuellen Pedanten und die schönste Frau des Landes. Er erfährt, was Pfannkuchen mit dem Gefühlsleben der Russen zu tun haben, wie grüne Männchen auf der Krim landeten – und entdeckt sogar das Geheimversteck der sagenumwobenen russischen Seele. Von Gastgeber zu Gastgeber ergibt sich ein persönliches Bild dieses riesigen Landes, das derzeit ein zweifelhaftes Comeback auf der weltpolitischen Bühne feiert. Und gleichzeitig auf der Suche nach sich selbst ist. (Klappentext)

Inhalt und Einrücke:

Wieder einmal war Autor Stephan Orth unterwegs und hat Quartiere und Kontakte vorab über die Seite www.couchsurfing.com herausgesucht – eine Plattform, auf der jedermann die eigene Couch für Gäste anbieten oder aber selbst eine Übernachtungsmöglichkeit suchen kann. Das Besondere dabei: Sowohl die Anmeldung im Portal, als auch die Schlafgelegenheiten sind kostenfrei, ein weltweites Netzwerk für Gastfreundschaften also.

Nachdem Orth bereits den Iran via Couchsurfing bereist hat, war er diesmal in Russland unterwegs und hat das riesige Land in zehn Wochen bereist. Die Reiseroute inklusive verwendeter Fortbewegungsmittel ist auf einer größeren ausklappbaren Karte vorne und hinten im Umschlag des Buches eingezeichnet und der Leser bekommt an dieser Stelle zumindest eine Idee davon, wie wahnsinnig groß dieses Land ist.

Das Buch enthält entsprechend der bereisten Orte und Regionen ganze siebzehn Kapitel, die jeweils überschrieben sind mit interessanten Details wie z. B. der Einwohnerzahl oder Fläche. Auf einer kleinen Russlandkarte ist jeweils eingezeichnet, wo genau sich der Ort befindet.

Der Autor beginnt seine Reise in Moskau, besucht Grosny, die Krim und St. Petersburg. Aber er reist sogar weiter in die Altai-Republik und ins tiefste Sibirien, endet schließlich in Wladiwostok, sieben Zeitzonen von Moskau entfernt.

Seine Gastgeber sind Männer und Frauen verschiedenen Alters, manchmal auch Familien, die der Autor bereits vorab über die couchsurfing-Seite kontaktiert hat. Alle haben sie ein Profil auf der Online-Plattform, offenbar aber auch ganz unterschiedliche Motivationen dafür. Manche sind selber gern via Couchsurfing gereist und bieten es deshalb an. Andere sind einfach neugierig und freuen sich, auf diese Weise Besucher aus fernen Ländern zu bekommen.

Einige nehmen sich Zeit, ihrem Gast etwas von der Umgebung zu zeigen und haben Lust auf einen Plausch oder gemeinsame Unternehmungen. Manche beschränken sich aber auch auf das Bereitstellen des Schlafplatzes. Alles kann, nichts muss. Sicher liegt genau hier der besondere Reiz dieser Art zu reisen: Im Vorfeld weiß man nie genau, was einen erwartet und so verschiedenartig die Gastgeber, so abwechslungsreich sind auch die angebotenen Quartiere: auf der Luftmatratze in einer Mietwohnung, in Gästezimmern, in einer Datscha, in einem Zelt – auch hier ist vieles möglich.

Das Interessante ist aber, dass ganz normale Menschen dem Autor einen Einblick in ihr Leben gewähren und bereitwillig auch ihre Weltanschauung und Sicht auf die politische Lage Russlands teilen. Wie leben junge Menschen im Tschetschenien der Nachkriegszeit? Welche Zukunftsträume hat ein junges Paar in der Republik Jakutien im Fernen Osten, wo die Regierung derzeit einen Hektar Land pro Person verschenkt, um Ansiedelung zu unterstützen? Wie spielt sich das Leben in einer Selbstversorger-Kommune auf dem Land ab, die einen gewissen „Wissarion“ als wiedergeborenen Jesus verehren? Wo wird Präsident Putin verehrt ( und warum eigentlich genau?) und wo eher kritisch betrachtet? Welche Ansichten über Deutschland erfährt der Autor?

All diese Fragen finden Antworten auf den etwa 250 Seiten des Buches. In einem angenehm unaufgeregt und witzigem Stil erzählt Orth von der Reise und seinen Gastgebern, baut aber auch immer wieder historische Gegebenheiten und Kuriositäten mit ein. Die aktuelle weltpolitische Lage zum Zeitpunkt seiner Reise beschäftigt nicht nur ihn selbst, sondern ist auch zum Teil Thema in den Gesprächen.Von A wie Alkohol bis Z wie Zapoi gibt es über das Buch verteilt kurze Erklärungen zu ausgewählten Begriffen, mal kurzweilig, mal informativ. Geistreich und witzig sind außerdem die insgesamt einundzwanzig Wahrheiten, die Orth für sich aus verschiedenen Situationen und Erlebnissen ableitet.

In allen Kapiteln gibt es unterdessen einige Fotografien in schwarzweiß, während an zwei Stellen in der Mitte des Buches auch tolle Farbfotos von Gastgebern und Stationen der Reise die Geschichte wunderbar ergänzen. Die Umschlaggestaltung ist an das Vorgängerbuch angelehnt (Wiedererkennungswert!)und sehr ansprechend gemacht.

Stephan Orth auf der Leipziger Buchmesse

Der Besuch einer Buchmesse an sich ist für den Bücherfreund schon ein echtes Erlebnis. Für mich gab es am 24.03. in Leipzig zusätzlich aber ein ganz besonderes Highlight: Autor Stephan Orth sollte auf dem Stand des Piper-Verlages am Nachmittag eine Signierstunde geben. Mit dem quasi druckfrischen Exemplar von „Couchsurfing in Russland“ war ich natürlich pünktlich vor Ort, holte mir eine persönliche Widmung ab und hatte außerdem Gelegenheit, ein paar Sätze mit dem sympathischen Autor zu wechseln.

Auf diese Weise erfuhr ich unter anderem, dass noch ein weiterer Band von „Couchsurfing in …“ geplant ist, wobei das Ziel der Reise für den dritten Teil der Trilogie derzeit noch nicht feststeht.
Bis dahin lohnt aber ein Besuch auf der Homepage des Reporters, der das ganze Jahr auch mit Lesungen quer durch Deutschland (und Europa) unterwegs sein wird – vielleicht auch in ihrer Nähe!

Mein Fazit:

„Couchsurfing in Russland“ ist ein spannender und unterhaltsamer Reisebericht und zugleich das starke Porträt eines faszinierenden Landes und seiner Bewohner. Orth findet in seinen Erzählungen genau die richtige Balance zwischen Politik und Gesellschaft und sein feiner Humor zieht sich mit einem Spritzer Ironie durch den gesamten Text.

Die Porträts der Menschen, denen er auf der Reise begegnet, zeigen ein wirklich interessantes Bild von Russland. Nicht nur Stereotype, die natürlich bedient werden, sondern auch ganz Erstaunliches kommt dabei zutage. Zwar war zum Beispiel der Baikalsee schon durch die Reportagen von Gert Ruge als einzigartiges Naturparadies im Gedächtnis. Dass die dortige Insel Olchon quasi ein Zentrum der schamanischen Heilkunst Russlands darstellt, finde ich kurios und es war mir gänzlich neu.

Gänsehaut erzeugte die Tatsache, dass just beim Lesen des Kapitels über St. Petersburg eben dort ein Anschlag in der Metro passierte. Mein Mitgefühl gehört den Angehörigen der Opfer dieses Anschlages.

Ein allgegenwärtiges Risiko offenbar, was uns trotz allem nicht die Lust am Reisen verderben darf! Wie schon beim Vorgänger-Buch „Couchsurfing im Iran“ bekam ich tatsächlich auch bei der Lektüre dieses Buches direkt Lust, meine Tasche für eine Reise zu packen – kann es eigentlich ein schöneres Kompliment für einen Autor geben?

Broschiert: 256 Seiten
ISBN-13: 978-3890294759

www.malik.de

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