Stephen King – Der Buick. Roman

Das Monster ist immer das Kult-Auto

Ein alter Buick steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Stephen King – ein Straßenkreuzer, der genau wie sein Eigentümer vom Himmel gefallen zu sein scheint. Der Fahrer, ein geheimnisvoller Mann in einem schwarzen Mantel, verschwindet, und schließlich erweist sich, dass der Wagen genauso wenig ein Buick, wie der Typ im schwarzen Mantel ein Mensch ist. Der Wagen wird von den Männern der State Police beschlagnahmt und in einem Schuppen abgestellt, wo der Buick bald ein ungewöhnliches Eigenleben entwickelt… (Verlagsinfo)

Der Autor

Stephen King, geboren 1947 in Portland, Maine, ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller. Schon als Student veröffentlichte er Kurzgeschichten, sein erster Romanerfolg, „Carrie“ (verfilmt), erlaubte ihm, sich nur noch dem Schreiben zu widmen. Seitdem hat er weltweit 400 Mio. Büchern in mehr als 40 Sprachen verkauft. Im November 2003 erhielt er den Sonderpreis der National Book Foundation für sein Lebenswerk. (Verlagsinfo) Er lebt in Bangor, Maine, und Florida. Seine Erstleserin ist immer noch seine Frau Tabitha King. Inzwischen schreibt auch sein Sohn Joe Hill erfolgreich: „Blind“ (bei Heyne).

Sein Hauptwerk, das zeigt sich immer deutlicher, ist der Zyklus um den dunklen Turm. Er besteht bislang aus folgenden Romanen:

Schwarz (ab 1978); Drei; Tot; Glas; Wolfsmond; Susannah; Der Turm (2005), Wind (2013).

Stephen King wurde bei der Erschaffung der Saga um den Dunklen Turm maßgebend von dem Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower Came“ von Robert Browning inspiriert („Herr Roland kam zum finstern Turm“), welches sich wiederum unter anderem auf Edgar’s Song in Shakespeares Drama „König Lear“ bezieht. Dieser Hinweis ist der Wikipedia entnommen, die nicht nur einen Spezialartikel zum Zyklus enthält, sondern auch jeden einzelnen Roman vorstellt.

Handlung

Wie das Monster in die Welt kam

Genau wie der Golem oder irgendein anderes unheimliches Wesen kam auch die Buick irgendwann in die hiesige Dimension. Das war 1979, an einer Tankstelle, und so erzählte es der Tankwart, Brad. Ein Mann in wehendem langem schwarzen Mantel und schwarzem Hut verlangte, dass sein Wagen betankt werden, während er zum Austreten ging – ein typischer „niederer Mann“, wie er im King-Buch (in „Atlantis“) steht.

Nur kam der unbekannte Finsterling nie wieder zurück, als der Tank des Wagens voll war (die Tankanzeige stand zu Anfang auf null – wie also war der Wagen überhaupt gefahren?). Und so mussten ihn die Jungs von der Pennsylvania State Police abschleppen. Ihr Maskottchen, der Hund Mister Dillon, merkt gleich, dass mit dem Wagen etwas nicht stimmt: Er rastet komplett aus und muss weggesperrt werden.

Das Monster macht Geschichten

Rund 20 Jahre später steht die Karre immer noch im Schuppen B der Zentrale, wo die Abteilung Troop D eben jener Polizeitruppe ihr Hauptquartier und ihre Leitzentrale hat. Nun wird ein neuer Polizeianwärter in das Geheimnis um den Buick 8 eingeweiht. Es ist Ned Wilcox, der Sohn von Trooper Curtis Wilcox, der sich über die Jahre am besessensten und am wissenschaftlichsten mit dem Buick 8 befasste. Ned will herausfinden, warum sein Vater sterben musste. Der starb genau ein Jahr zuvor sinnlos auf der Landstraße, über den Haufen gefahren von eben jenem Tankwart Brad, bei dem der Buick 8 gelandet war.

Nun ist aber die Troop D eine „große Familie“, wie die Erzähler selbst von sich sagen. Und jede Familie hat mindestens ein Geheimnis. Ihres ist der Buick. (Es gibt keinerlei Akten über das Auto.) Und der hat wohl Curtis, Neds Vater, auf dem Gewissen. Wieso? Weil das Vehikel natürlich kein Auto, sondern ein außerirdisches Lebewesen ist: Es übt eine psychische Anziehungskraft aus, die sich bereits für so manchen Trooper verhängnisvoll erwiesen hat. In dieser Hinsicht hat der Buick viel mit ES gemeinsam, dem Monster unter Derrys Straßen, das sich als Clown verkleidet, um kleine Kinder zu entführen. Und genau wie in „ES“ ist auch eine verschworene Gemeinschaft nötig, um das Monster zu besiegen.

Die Erzählungen, die der junge Ned von der Polizeitruppe reihum hört, lassen ihn mit den Ohren schlackern. Es ist offensichtlich, dass der Buick kein Auto ist: Nicht nur sind alle Armaturen quasi Filmattrappen und das Lenkrad viel zu groß, sondern auch die ungeheuren elektromagnetischen Energieausbrüche, die „das Ding in Schuppen D“ regelmäßig produziert, sind wohl keines irdischen Ursprungs. Sie lassen jedoch den Funkverkehr zusammenbrechen. Und machmal gebiert das Monster andere Monster.

Der Buick 8 ist nicht nur „ein Rätsel, ein Mysterium, ein Wunder“, das jeden fasziniert, sondern auch ein Tor in eine andere Dimension, zu einer anderen Welt. Schon bald verschwindet ein Polizist, Ennis, später ein Delinquent, Brian Lipps – beide spurlos. Experimente mit dem selbsttätig sich öffnenden und schließenden Kofferraum ergeben, dass man nicht nur Sachen wegschicken kann; es kommen auch welche zurück. Curtis Wilcox, der Amateurwissenschaftler, seziert sie. Zu den Höhepunkten des Grauens gehört seine Obduktion eines fledermausartigen Wesens mit nur einem Auge. Und da auch die Leute am anderen Ende der Pipeline neugierig sind, taucht schließlich ein Außerirdischer höchstpersönlich auf…

Die Folgen der Geschichte(n)

Das ist natürlich das Ende vom Lied. Denn nachdem alle Geschichten erzählt sind, bleiben die Folgen nicht aus. Niemand kann solche Enthüllungen spurlos wegstecken, und ein junger Mensch wie Ned erst recht nicht. Es kommt zu einem zweiten Finale. Durch das Geschichtenerzählen wird die Vergangenheit wieder lebendig, mit Sinn erfüllt und so für jeden Zuhörer gerettet. Nun muss in Gestalt von Ned auch die Zukunft gerettet werden. Denn wie der Chef der Truppe, Sergeant Commanding Sandy Dearborn, eingangs sagt, besteht jedes Leben aus einer Kette – und am Ende wartet eine Schlinge…

Mein Eindruck

Der Einbruch des Grauens ins Alltägliche

Auf Seite 376 verrät uns King, um was es im Grunde geht: Um „den Einbruch des Grauens ins Alltägliche“. Dieses Grauen geht von einem faszinierenden, im Grunde verehrungswürdigen Kult-Auto der fünfziger Jahre aus: „Rätsel, Geheimnis, Wunder“, kurzum: Mysterium. Es ist die Aufgabe des Horrorschriftstellers, wahrscheinlich sogar jeden Autors, der auf sich hält, den Einbruch dieses Grauens ins Alltägliche so darzustellen, dass die Geschichte über das Wunder und das Grauen geglaubt wird, sondern dass der Leser sogar mit-leidet, wenn die Helden der Geschichte leiden, sterben oder siegen.

Der Kampf gegen den Unglauben des Lesers

Doch das mit dem Glauben an das Wunder ist nie einfach: Die meisten Leser waren nie in Pennsylvania und viele gab es im Jahr 1979 noch gar nicht. Also erklärt King vieles, beschreibt vieles, bis sich schließlich dem Gewebe des Erzählten und der verschiedenen Erzähler (die von sich selbst in der 3. Person berichten, was zunächst recht ulkig wirkt) ein „Eindruck“ von Wahrheit entsteht: Ja, so könnte es gewesen sein.

Der John Updike des Schauerromans

King macht aber nicht bei gewöhnlichen Fakten wie etwa der Lektüre eines Tankwarts halt. Nein, er grabbelt im Fundus der Populärkultur der weißen Mittelschicht: welche Musik man hörte (Sinatra), welche Zukunftspläne man hat (Uni, Job, Ehe, Kinder usw.) und vor allem welchen Slang man spricht. Hier hat King ausgezeichnet recherchiert und ist dabei zu einem John Updike des Schauerromans geworden.

Science Fiction in kleinen Dosen

Der Horror ist in kleinen Dosen zu verabreichen, weiß jeder Profi. Doch damit die Wirkung anhält, muss die Dosis stetig gesteigert werden. Und so werden die Dinge, die das Monster gebiert immer größer und unheimlicher, bis zur Ankunft des Aliens. Das ist eigentlich auch Science Fiction, und doch Horror in Reinkultur. Wichtiger ist aber die Spiegelung des Horrors in den Figuren, die mit ihm konfrontiert sind. Diese Polizisten sind meist schon abgebrühte Burschen und von Unfällen auf den landstraßen bereits einiges gewöhnt. Daher ist es umso interessanter mitzuerleben, was diese Jungs wirklich umhaut: fledermausähnliche Viecher zum Beispiel. Und in dieser Reflexion des Horrors erahnt der Leser das wahre Ausmaß dessen, was der „Einbruch des Horrors in das Alltägliche“ wirklich in den Seelen und Köpfen derer, die damit konfrontiert werden, anrichtet. (Ich denke unter anderem an die Terroranschläge vom 11. September 2001 in New York City).

Das Ende des Romans zeigt: Das Grauen endet ja nicht damit, dass der Buick wieder mal eines seiner ensetzlich faszinierenden Blitzgewitter beendet, sondern dass derjenige, der den Horror erlebt hat, umkommt. Es mag wie ein Unfall oder wie Freitod aussehen, doch Sandy & Co. wissen: Es war das Monster.

Über Erzählkunst

„Der Buick“ mag als Horrorroman taugen oder auch nicht – einerlei. Mir hat das Buch gefallen, denn es vermochte mich stets zu interessieren und zu fesseln, bis zum Schluss. Man kann viel Schlechteres über ein Buch sagen.

Aber das ist nicht alles. King hat auch ein Buch über die Erzählkunst geschrieben und demonstriert seine Thesen, die er bereits in „Das Leben und das Schreiben veröffentlichte, anhand einer packenden Story. Immer wieder erinnert das Konzert der Stimmen an die uramerikanische Erzählsituation: Man sitzt um das Feuer – im Cowboylager, zu Weihnachten im Familienkreis, in irgendwelchen Camps im Ausland oder in Vereinshinterzimmern – und erzählt einander die hochstapelndsten Stories, die einem einfallen: „tall stories“ ist der Fachausdruck dafür.

Mehrmals bezeichnet Sandy Dearborn, das alter ego des Autors, das Konzert der Stimmen als „Theaterstück“. Und am Schluss könnte das Stück „Warten auf Godot“ heißen. Ned Wilcox ist stets der Zuhörer, der Empfänger, und die älteren Herrschaften sind der griechische Chor: „Junge hör auf uns“, sagen sie unterschwellig, „lass die Finger vom Monster – denn wir wissen, was es anrichtet.“

In dieser archetypischen Situation reicht eine Generation den Stab weiter an die nächste. Aber damit dies auch wirklich gelingt, reicht es nicht, nur zu erzählen. Wie das zweite Finale zeigt, muss die ältere Generation handfest zupacken, ja sogar ihr eigenes Leben riskieren, um die Zukunft, die jüngere Generation zu retten. Denn wozu hätte man sonst gelebt und erzählt?

Unterm Strich

Ich brauche nicht auf alle Erzähltricks einzugehen, die King anwendet, all die unscheinbaren Verzögerungen, Beschleunigungen und Steigerungen, mit denen er den Leser packt und steuert. Das hat jeder seiner Leser schon x-mal unterschwellig erlebt.

Feststeht für mich, dass „Der Buick“ durchaus ein annehmbarer Horrorroman ist, der mit einem ungewöhnlichen Monster aufwartet, aber im bekannten Fahrwasser von „ES“, „Christine“ und den B-Movies der 50er-Jahre-Science Fiction dahinschippert – und der dennoch am Schluss zu überraschen weiß. Für mich ist das nicht zu wenig.

Hardcover: 496 Seiten
Originaltitel: From a Buick 8, 200
Aus dem Englischen von Jochen Schwarzer;
ISBN-13: 9783550083532

www.ullstein-buchverlage.de

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