Nick Stone – Voodoo

stone-voodoo-cover-kleinPrivatermittler Max Mingus sucht auf der Karibik-Insel Haiti nach dem verschollenen Sohn eines reichen Mannes. Er gerät in eine düstere Welt, in der sich das Verbrechen mit dem Übernatürlichen mischt und ausschließlich das Recht des Stärkeren regiert; lästige Fragensteller werden hier entsetzlich einfallsreich zum ewigen Schweigen gebracht … – Bedrückend realistischer Thriller, der die Hölle in der menschlichen Seele zum Schauplatz hat. Die Story ist spannend, der Spannungsbogen bruchfest, die Figurenzeichnung hervorragend: „Voodoo“ ist ein Roman, der über die gesamte Distanz fesselt.

Das geschieht:

1996 wird Max Mingus, Ex-Polizist und ehemaliger Privatdetektiv in Miami, nach sieben Jahren Haft entlassen wird. Im Zorn hatte er drei Mitglieder einer mörderischen Kidnapper-Bande erschossen. Seine Ehefrau ist inzwischen gestorben, die Detektei ging ein. Zu seinem Entsetzen muss Mingus zudem von seinem ehemaligen Partner und Freund, Lieutenant Joe Liston, erfahren, dass die US-Regierung seinen Todfeind Solomon Boukman begnadigt und in seine Heimat Haiti abgeschoben hat. Der selbst ernannte Teufelspriester hatte im Rahmen seines Terrorregimes Kinder entführt und geopfert, bis Mingus ihn stellen konnte, wofür ihm Boukman ewige Rache schwor.

Mingus hat Grund zur Sorge, denn nach Haiti wird auch er reisen: Er ist wieder als Ermittler tätig. Sein Auftraggeber ist der Milliardär Allain Corver, dem große Teile Haitis quasi gehören. Vor zwei Jahren wurde sein Söhnchen Charlie dort entführt. Es gab keine Lösegeldforderung und nie ein Lebenszeichen. Die Familie schickte seither schon mehrere Detektive auf die Suche nach dem Kind; sie kehrten entweder gar nicht oder grausam misshandelt zurück von der Karibikinsel zurück.

Haiti ist ein Land im Ausnahmezustand. Wirtschaftlich ist es ruiniert, politisch zerfallen. Präsident Aristide hält sich nur mit Hilfe von US-Truppen an der Macht, die 1994 Haiti besetzten. Die eigentliche Macht üben Warlords auf. Unter ihnen gilt Vincent Paul als König. Nichts geschieht in den Slums der Hauptstadt Port-au-Prince ohne sein Wissen oder seinen Willen. Die Corvers beschuldigen ihn, hinter Charlies Entführung zu stecken. Aber ist Paul wirklich „Tonton Clarinette“ – Onkel Klarinette -, wie man auf Haiti den Schwarzen Mann nennt, der in der Nacht Kinderseelen raubt? Mingus weiß nicht, wem er Glauben schenken kann – und darf, denn groß ist die Gefahr, dass auch er sich in die Kette seiner unglücklichen Vorgänger einreiht …

Hochspannung mit Widerhaken

Nicht gerade oft gelingt es heutzutage, aus einem Meer beliebiger Möchtegern-Thriller und Kuschel-Krimis einen richtigen guten Roman zu fischen. „Voodoo“ ist trotz des (deutschen) Titels, der völlig in die Irre führt, kein Crossover zwischen Krimi und Horror, obwohl viele phantastische Elemente in die Handlung einfließen. Diese erweisen sich indes nicht als übernatürlich – das sollen sie auch gar nicht -, sondern als sehr real.

„Voodoo“ packt seine Leser schon auf der ersten Seite. Wieder einmal erfindet ein junger Verfasser das Genre keineswegs neu, aber er weiß, wie er sein Garn zu spinnen hat, und variiert Bekanntes, ohne sein Blatt zu überreizen, was angesichts des exotischen Schauplatzes nahe läge. Stil und Wortwahl verraten: Hier bist du gut aufgehoben, hier darfst du neugierig werden, ohne letztlich mit Hauruck-Action, Schema-F-Finale & Pseudo-Twist aus der Geschichte gestoßen zu werden. Stattdessen präsentiert Stone einen fesselnden, gut durchdachten Plot, der weit mehr als Reißbrett-Routine zu bieten hat.

Geschickt verpackt Nick Stone gleich mehrere bittere Pillen, die sogar den nicht auf literarische Experimente geeichten Leser einnehmen. „Voodoo“ dreht sich nicht nur um einen spannend geschilderten Kriminalfall. Es geht es auch um Verbrechen in, aber vor allem um Verbrechen an der Dritten Welt – kein Thema, das die nicht betroffene Allgemeinheit normalerweise interessiert. Brutal-Kapitalismus, Neo-Kolonialismus und globalisiertes Ausbeutung sind heiße Eisen, die leicht verbrennen, wo man sich ihrer in platter Gutmenschen-Manier annimmt. Stone verdeutlicht schreiendes Unrecht, indem er schildert, ohne zu kommentieren oder gar zu lamentieren. Als ‚halber‘ Haitianer (s. u.) weiß er zudem genau, wie die Insel-Gesellschaft ‚tickt‘. Solches Insiderwissen teilt sich den Lesern deutlich aber eben nicht aufdringlich mit.

Das komplizierte Thema Voodoo weiß Stone ebenfalls zu meistern. Er schildert eine Religion, die in christlichen und deutlich nicht-christlichen Ursprüngen wurzelt und wie alle Religionen verändert und instrumentalisiert wurde. Solomon Boukmans Voodoo ist deshalb ein selbst gebrautes Gemisch aus einseitig interpretierter Tradition, Cäsarenwahn und Terror. Geschickt beschwört er etablierte Voodoo-Klischees und integriert sie in seine wahnhafte Idee, als Herrscher auserwählt zu sein. Die schwer fassbare Variationsbreite von Voodoo als ‚weiße‘ und ‚schwarze‘ Magie und die daraus resultierende Mischung aus Religion, Einschüchterung und Betrug ist Teil des Humus‘, in dem die haitianische Gesellschaft wurzelt.

Bedrängt von allen Seiten

Der sich zynisch gebende Idealist scheitert in seinem Kreuzzug gegen das Böse und verliert seine geliebte Gattin, seinen Job, seine Freiheit und somit sein Leben. Ihm wird die Gelegenheit zur Wiedergeburt geboten, doch diese erweist sich als neuerliche Prüfung, der unser Idealist zwar mit neuen körperlichen und seelischen Wunden entkommt, aber doch die Kraft zum Neubeginn findet: Uralt ist dieser Plot nicht nur im Krimi. Der Leser liebt es, vom sicheren Lesesessel aus zu verfolgen, wie jemand tüchtig auf die Schnauze fällt und sich wieder aufrappelt.

Max Mingus ist glücklicherweise eine Figur, die man dabei in der Tat gern beobachtet. Zwar leidet er mächtig, aber er macht kein Drama daraus, mit der er sein Publikum seitenlang behelligt. Was Mingus bedrückt, hat unmittelbar Folgen für die Handlung und muss daher nicht übersprungen werden. Zudem ist Mingus kein tragischer Held ohne Fehl und Tadel. „Sie sind nicht hier, um Charlie zu finden. Und auch nicht wegen des Geldes … Sie sind hier, um vor Ihren Geistern zu fliehen und vor den Schuldgefühlen und dem Schmerz, den sie mit sich herumtragen …“: Chantale bringt es auf den Punkt. Mingus hat seine Ecken und Kanten. Das schafft Raum für Überraschungen, denn nie weiß man vorab genau, wie er reagieren wird.

Vincent Paul ist ein Kapitalverbrecher, der sich – so definiert es der zynische Mingus – im letzten Stadium seiner Karriere befindet: Nachdem er es an die Spitze der kriminellen Machtpyramide gebracht hat, will er nicht mehr gefürchtet, sondern geliebt werden. Deshalb richtet er Armenküchen ein und sorgt in den Slums für ärztliche Versorgung. Unter der dünnen Tünche des Wohltäters lauert allerdings weiterhin der Gewaltherrscher: Paul allein entscheidet, was gut ist für seine ‚Untertanen‘, für die niemand – vor allem nicht die US-Besatzer oder die tatenlosen UN-Truppen – einen Finger rührt.

Schöne Insel als Hölle aus Menschenhand

Auf seine Art ist Paul freilich ehrlicher als die vornehmen Corvers. Die haben ihr Vermögen und ihren gesellschaftlichen Status vielleicht subtiler aber womöglich noch brutaler an sich gerissen. Nur eine Generation trennt den wohl erzogenen Allain vom rücksichtlosen Gustav, der aus demselben Holz geschnitzt ist wie Vincent Paul. Allain macht sich die Finger zwar nicht blutig, ist aber keineswegs ‚besser‘ als sein Vater; er hat sich mit der unfeinen Vergangenheit seines Clans geschmeidig arrangiert, will gar nicht so viel darüber wissen und überlässt die Drecksarbeit angeheuerten Schergen.

Verfasser Stone zeichnet ein düsteres Bild von Haiti. Dass er Gewalt und Elend so plastisch in Worte zu fassen versteht, liegt u. a. in seiner Herkunft begründet; er wurde auf Haiti geboren, und auch wenn er schon als Kind nach England ging, kehrte er immer wieder dorthin zurück. Sein Status als ‚Einheimischer‘ und Reisender ermöglichte ihm eine objektive Sicht auf Haiti, auch wenn in „Voodoo“ immer wieder subjektiver Zorn durchschimmert: Zorn auf die Ausbeutung der Insel, die Hilflosigkeit der Haitinaner, die stets nur Spielball fremder Interessen waren und deren Wille zur geregelten Selbstregierung bis zur Anarchie gebrochen wurde, woran sich die Reichen und Mächtigen der Insel aktiv beteiligten: Eine machtlose Bevölkerung ist eine lenkbare Bevölkerung.

Der nackte Kampf ums Überleben verzehrt den Rest der Energie, der erforderlich wäre, um das Steuer aus eigener Kraft herumzureißen. Humanitäre Hilfe von außen wird dieses Vakuum nicht füllen, geht Stone noch einen Schritt weiter. Viel zu ausgeprägt sind inzwischen eine Schattenregierung und eine Scheinwirtschaft geworden, die ausschließlich das Recht des Stärkeren propagieren und denen sich die Haitianer beugen. Der Ausverkauf der eigenen Kinder ist dann nur noch ein Misston in einer Kakophonie des Unrechts, vor dem auch Max Mingus letztlich flieht und verschämt froh darüber ist, dass ihm trotz aller privaten Probleme diese Möglichkeit offen steht: Diese gelungene Verschmelzung von Krimihandlung und literarisch bearbeiteter Realität ist es, die „Voodoo“ zu einem Romankandidaten machen, den sogar das strenge Feuilleton mit Wohlwollen registrierte.

Autor

Nick Stone wurde am 31. Oktober 1966 als Sohn eines schottischen Vaters – des Historikers Norman Stone – und einer haitianischen Mutter aus vornehmer Familie im englischen Cambridge geboren. Die ersten vier Jahre seines Lebens verbrachte er auf der Karibikinsel, bevor er 1971 nach England zurückkehrte.

Der junge Nick Stone war ein hervorragender Sportler und boxte in der „National Amateur League“. Er studierte Geschichte, arbeitete später jedoch u. a. als Headhunter für diverse Konzerne sowie als Rechtsassistent. Parallel dazu versuchte sich Stone als Schriftsteller. Während eines längeren Haiti-Aufenthalts in den 1990er Jahren entstand die Idee für „Mr. Clarinet“, Stones Roman-Debüt um den Privatdetektiv Max Mingus. Eine erste Version dieses Buches hatte er bereits 1988 fast fertig gestellt.

„Mr. Clarinet“ wurde 2006 von der „Crime Writer’s Association“ mit einen „(Ian Fleming) Steel Dagger“ sowie mit weiteren Preisen ausgezeichnet. (Den Vornamen entlieh Stone einem bewunderten Schulfreund, den Nachnamen dem von ihm verehrten Jazzmusiker Charles Mingus.) 2007 folgte „King of Swords”, ein ‚Prequel‘ zu „Mr. Clarinet”, das im Miami der frühen 1980er Jahre spielt und diverse Handlungszüge aus der ersten und unveröffentlichten Fassung von „Mr. Clarinet“ aufgreift.

Nick Stone ist verheiratet und lebt in London. Über sein Werk informiert seine Website.

Taschenbuch: 606 Seiten
Originaltitel: Mr. Clarinet (London : Michael Joseph/Penguin Books Ltd. 2006 bzw. New York : HarperCollins 2007)
Übersetzung: Heike Steffen
http://www.randomhouse.de/goldmann

eBook: 1530 KB
ISBN-13: 978-3-641-20655-0
http://www.randomhouse.de/goldmann

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