Miriam Blaylock ist eine Hüterin. Ihr Herde – ihr Vieh – sind Menschen. Sie ist eine Jägerin, die das Blut des Viehs zum Überleben braucht. Mehr als viertausend Jahre schon. Paul Ward ist CIA-Agent. Seine Profession ist das Jagen. Seine Beute: Vampire.
Miriam will in Thailand die asiatische Konklave aufsuchen, eines jener Treffen von Hütern, die einmal im Jahrhundert stattfinden. Obwohl sie unter ihresgleichen als Außenseiterin gilt, treibt sie die Suche nach einen geeigneten Partner, mit welchem zusammen sie einen letzten leiblichen Nachkommen zeugen will. In Asien angekommen, muss sie feststellen, dass sämtliche Hüter des Kontinents vernichtet wurden. Überstürzt flieht sie nach Paris, den Urheber des Massakers – Paul Ward – dicht auf ihren Fersen. Dort kann sie ihm zum zweiten Mal knapp entkommen, während auch die Pariser Vampire vollständig vernichtet werden. Als geborene Kämpferin und Jägerin beschließt sie, Paul in ihrem Domizil in Manhatten eine tödliche Falle zu stellen. Doch auch Paul ist mehr als nur ein Mensch …
Schon nach wenigen Zeilen beginnen die Gedanken zu schweifen, träge treiben Assoziationsblasen an die Oberfläche des Bewusstseins: Ich sehe den modern-expressiven Vampir-Film „Begierde“ vor meinem geistigen Auge, glaube Delibes Oper Lacmé zu hören [wie im Fluge ziehen die ersten 60 Seiten vorüber]; ein braun gebrannter Mann mittleren Alters hämmert zwischen dem Besuch eines Fitness-Studios und einem Psychiatertermin stakkatoartig einen Roman in seinen Laptop [die nächsten 100 Seiten]; der Geist fängt an, in transzendentalere Gefilde zu entfleuchen, die Bedeutung der Zahl null im Universum nimmt immer mehr Raum ein [das Buch ist zu Ende]; auf dass mich das große Nichts umfange [Norman Spinrad] – 474 Seiten geballtes Nichts!
Die Kritik auf eine sachliche Basis zu stellen – mit Textstellen und Zitaten zu untermauern – bedeutete, den Rahmen dieser Rezension zu sprengen, da fast jede Seite ausreichend Material für ein „Traktat über schlechte Literatur zu Beginn des 21. Jh“ böte.
Hat er das Buch tatsächlich bis zum Happyend ertragen, erkennt der gequälte Leser, dass es sich keinem gängigen Genre zuordnen lässt. An sich wäre das ja nichts Negatives, wenn es aus jedem Bereich moderner Unterhaltung etwas böte. Leider zeichnet sich dieser Roman durch den Mangel an fast allem aus, was solch ein Buch lesenswert macht: Spannung, Horror, Erotik und die Freude an „schönen“ Formulierungen und wohlkonstruierten (Beziehungs-)Geflechten. Dass dem Leser über die reine Unterhaltung hinaus neue Erkenntnisse in Form von alternativen Sichtweisen der Welt und der Dinge vermittelt werden, konnte man von einem Whitley Strieber ohnehin kaum erhoffen; im Gegenteil: Striebers hurra-patriotische Ergüsse scheinen die Realität negieren zu wollen. Die CIA als eine der bewundernswertesten Organisationen der Welt darzustellen, die sich dem Kampf gegen das Böse – ob Vietkong oder Vampire – verschrieben hat, ist nicht nur blauäugig, sondern stellt eine gezielte Desinformation dar. Grotesk wird es, wenn er Miriam über unterschiedliche „Rassemerkmale“ von Menschen schwadronieren lässt: Germanen sind ordnungsliebend und arbeitswütig, Levatiner leidenschaftlich, Asiaten sexuell kompetent und Amerikaner wild und voller Überraschungen, … als hätten wir es nicht schon immer gewusst. Solcherlei tiefer gehende Erkenntnisse ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und stellen die Toleranz des Leser gegenüber der geistigen Simplizität des Autors auf eine harte Probe. Die Grenzen zur Lächerlichkeit testen Striebers plumpe Versuche, historische Fakten und Ereignisse auf das Wirken von Hütern zurückzuführen beziehungsweise damit zu verknüpfen. Auch diese Hürde meistert er „gekonnt“ und belohnt den Leser mit grenzenlosem Fabulieren, und sei es auch noch so weit hergeholt.
Zur Story: Auch wenn man von einer solchen „Was-auch-immer“-Geschichte nicht zu viel Realitätsnähe erwarten kann, so sollte ihr dennoch eine gewisse Plausibilität immanent sein. „Der Kuss des Vampirs“ ist weit davon entfernt, diesem Grundanliegen Rechnung zu tragen. Indem der Autor nur beschreibt und behauptet, nicht aber ausreichend durchdacht erklärt, argumentiert oder sogar in Frage stellt, sieht sich der – allein gelassene – Leser einer Vielzahl von logischen Brüchen, Widersprüchlichkeiten und Plausibilitätsdefiziten gegenüber.
Eine einzige absurde Annahme bildet die Basis der Geschichte; ohne diese würde das Konstrukt wie ein Kartenhaus zusammenbrechen: Die tausende Jahre alten Hüter sind als die geborenen Jäger und oberstes Glied in der Nahrungskette trotz ihrer überragenden geistigen und körperlichen Fähigkeiten völlig unfähig, sich an ändernde Umweltgegebenheiten anzupassen. Daher hausen die meisten der uralten Raubtiere, die noch im 19. Jahrhundert in Prunk, Protz und Reichtum gelebt haben, mittlerweile in Höhlen, sind verkommen, bilden Rudel, können wegen vermeintlicher Jagdgefahren kaum noch Nahrung finden. Diese Grundannahme entbehrt jeglicher Plausibilität. Derjenige, der sich dieses Machwerkes erbarmt, möge versuchen, die weiteren Defizite ohne meine Hilfe und eventuell im Wettstreit mit einem Leidensgenossen zu „evaluieren“, um so den Unterhaltungswert des Buches zu maximieren. Hier möchte ich dieses unerfreuliche Kapitel mit einem -zugegeben- kleinen aber feinen Zitat beenden, das als repräsentativ für das unpräzise Geplapper des Autors angesehen werden kann: „Sie [die Vampire] waren ihm [Paul Ward] immer einen Schritt voraus. Seine einzigen Waffen waren das Überraschungsmoment und die moderne Technologie.“(S. 163); als stünden sich „immer einen Schritt voraus sein“ und „überrascht werden können“ nicht diametral gegenüber.
Nun zu den Protagonisten: Man kann dem Schreiber nicht vorwerfen, mit Miriam und Paul zwei blasse und unscheinbare Charaktere entworfen zu haben, denn die beiden sind so karikaturhaft überzeichnet, dass sich der Leser ihrer zumindest einige Zeit erinnern wird/muss. Auch werden wegen Striebers scheinbar eingeschränkten Erkenntnishorizonts in Verbindung mit Unvermögen und mangelnder schriftstellerischer Sorgfalt die Motivationen der Charaktere so trivialpsychologisch abgeleitet (wenigstens dieses versucht Strieber), dass es fast schon wieder amüsant wäre, … würden die Figuren nur nicht reden: Die Dialoge sind ein einziger Erguss kaum erträglicher Plattitüden, belanglosesten Geschwafels und tausendmal gelesener Phrasen. Originalität bleibt für den Verfasser ein Mysterium.
Fazit: Dieses Buch gehört zu jenen seltenen Werken, bei den man unwillkürlich das Gefühl hat, das Schreiben könne nicht länger gedauert haben als das Lesen. Möge Miriam-„Ich-bin-Teil-der-Gerechtigkeit-auf-Erden“-Blaylock über Strieber kommen, damit uns weitere Bücher dieses „erfolgreichen“ Autors, der, wenn man den Gefälligkeitskritiken befreundeter Autoren glaubte, „fesselnde“ Romane schreiben soll, erspart bleiben.
Taschenbuch: 480 Seiten
Originaltitel: The Last Vampire
Aus dem Amerikanischen von Joannis Stefanidis
Frank Drehmel
Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins www.buchrezicenter.de veröffentlicht.