Jonathan Stroud – Bartimäus – Das Amulett von Samarkand (Lesung)

Der Dschinn Bartimäus, ein uralter orientalischer Geist, bekommt eines Tages den Auftrag, dem hochnäsigen Zauberschüler Nathanael zur Seite zu stehen: ein Auftrag, der Bartimäus zunächst alles andere als glücklich macht. Dann aber beginnt ein Abenteuer, das die zwei aneinander schweißt. Nathanael versucht, sich für den Tod seines Ziehvaters am mächtigen Zauberer Simon Lovelace zu rächen und ihm das berühmte Amulett von Samarkand zu stehlen. Mit Bartimäus‘ Hilfe gelingt das auch – aber es löst eine ganze Reihe von Problemen aus … (Verlagsinfo)

Ist dieser Jugendroman ein weiterer „Harry Schotter“-Klon? Zum Glück nicht, denn „Bartimäus“ ist weitaus respektloser, tiefgründiger und einfallsreicher als die Rowling-Blockbuster. Dennoch – oder gerade deswegen -wird die anstehende Verfilmung wohl nicht zu umgehen sein: Die Trilogie soll von Miramax, dem Studio von Harvey Weinstein („The Matrix 1-3“) verfilmt werden. „Das Amulett von Samarkand“ ist der erste Teil der Bartimäus-Trilogie. Die Fortsetzung wird demnächst im Original erscheinen: unter dem Titel „The Golem’s Eye“.

Der Autor

Jonathan Stroud wurde im englischen Bedford geboren. Laut Verlag schreibt er bereits seit seinem siebenten Lebensjahr Geschichten. Während er als Lektor für Kindersachbücher arbeitete, verfasste er seine ersten eigenen Kinderbücher. Nach der Publikation seiner ersten beiden Jugendbücher widmete er sich ganz dem Schreiben. Er wohnt mit seiner Frau Gina, einer Grafikerin und Kinderbuchillustratorin, und der gemeinsamen Tochter Isabelle in St. Albans nördlich von London.

Der Sprecher

Martin Semmelrogge arbeitete bereits mit zwölf Jahren beim Radio als Hörspiel-Sprecher. Seine Karriere als Schauspieler begann 1971, in der Krimiserie „Der Kommissar“ (mit Erik Ode in der Titelrolle).

Semmelrogge wirkte in zahlreichen legendären und heute als klassisch betrachteten Film- und Fernsehproduktionen mit. So etwa in „Tadellöser & Wolff“ (1975) von W. Kempowski, in Max von der Grüns „Die Vorstadt-Krokodile“, in Wolfgang Petersens Klassiker „Das Boot“ (1981) und in Steven Spielbergs Kinofilm „Schindlers Liste“

Semmelrogge gehört als Charakterdarsteller zu den wichtigsten deutschen Schauspielern, und er hat mit seiner unverwechselbaren Stimme bei zahlreichen Hörspiel- und Hörbuchaufnahmen mitgewirkt. (Verlagsinfo)

Handlung

Zauberlehrling Nathanael macht das, was alle übermütigen Zauberlehrlinge tun und unter allen Umständen unterlassen sollten: Er hext einen Dämon herbei. Dies ist der 5000 Jahre alte Bartimäus, der schon bei Ägyptern und Assyrern Unruhe stiftete und in der glorreichen Schlacht von El Arisch das Dämonenheer Pharao Thutmosis III. verstärkte. Doch Bartimäus, so viel muss man über die Hierarchie der Dämonen wissen, ist nur ein Dschinn der 14. Ebene, also nur von mittlerer Stärke. Er kann es keineswegs mit den mächtigen Afrits und Mariden aufnehmen, die mächtigeren Magiern zu Gebote stehen.

Es ist ein Wunder, dass der zwölfjährige Nathanael die Beschwörung überlebt, doch er hat sich gut geschützt. Das Pentagramm, in dem er steht, gehört zum Standard, er ist ja nicht blöd. Für sein Alter ist er schon ganz schön weit in seinen Fähigkeiten. Sein Meister, der Minister Arthur Underwood – alle 300 Minister der Regierung in London sind Magier -, unterschätzt ihn jedenfalls beträchtlich. Nathanael hat nicht mal einen offiziellen Magiernamen und muss sich gegenüber Bartimäus hüten, ihm nicht seinen wahren Namen, Nathanael, zu verraten, denn dieses Wissen verliehe dem Dämon Macht über ihn. Merke: In der Magie dreht sich alles um Macht.

Der Dschinn Bartimäus, der uns seine Sicht der Dinge erzählt, erhält einen schwierigen Auftrag: dem Magier-Minister Simon Lovelace das Amulett von Samarkand stehlen und herbringen. Leichter gesagt als getan, seufzt Bartimäus, der uns nun von seinem Versuch erzählt, das Amulett wohlbehalten und lebendig bei seinem Herrn abzuliefern. Schließlich gebietet Lovelace über zwei große Dämonen, ein mächtiges Schutzfeld und Dutzende von Suchkugeln, die nach dem Dieb Ausschau halten. Zu guter Letzt wollen Barti sogar gewöhnliche Menschen das Amulett entreißen, aber er belehrt sie eines Besseren. Nachdem der große Diebstahl gelungen ist, fängt jedoch der Ärger für Nathanael und Bartimäus erst richtig an.

Denn Simon Lovelace will nicht mehr nur stellvertretender Handelsminister sein. Sein Ehrgeiz gilt Höherem: dem Posten des Premierministers. Er lässt diverse magische Objekte von seinen Schergen stehlen, darunter das Amulett, über dessen Eigenschaften Nathanael noch nicht Bescheid weiß. Die ihres magischen Schutzes beraubten Ministerkollegen fallen unerklärlichen Anschlägen zum Opfer.

Der schlimmste davon findet allerdings direkt unter Nathanaels Augen statt: Im Londoner Parlament von Westminster lässt der Premierminister gerade eine Regierungserklärung zum Krieg vom Stapel, als ein junger Mann von der Terrasse hereinstürmt und eine Elementenkugel auf den Regierungschef schleudert. Während sich der Obermagier schützen kann, sind viele seiner Begleiter und Gäste nicht so glücklich.

Worauf hat sich Nathanael da nur eingelassen? Er wollte eigentlich nur seinem allzu gestrengen Meister Underwood und dem fiesen Lovelace eins auswischen. Nun wächst ihm die Sache allmählich über den Kopf. Schon bald gerät Bartimäus, der sich nach den Eigenschaften des Amuletts erkundigen soll, in Gefangenschaft der Polizei – diese verflixten Afriten!

Nach seiner unverhofften Befreiung lässt sich seine Spur, die direkt zu Nathanaels Heim führt, leicht verfolgen. Simon Lovelace taucht daher schließlich bei Arthur Underwood auf, der aus allen Wolken fällt. Dreimal darf man raten, was Lovelace zurückhaben will. Und was er mit dem Dieb machen wird …

Mein Eindruck

Doch dann ist natürlich noch lange nicht aller Tage Feierabend. Nach einer längeren Durststrecke, auf der Nathanael gar nicht gut aussieht, schlägt das dynamische Duo zurück – und versucht, die Herrschaft von Simon Lovelace dem Unbarmherzigen zu verhindern …

Eine Alternativwelt

Mit „Bartimäus 1“ etabliert Jonathan Stroud eine ausgetüftelte Alternativwelt, in der es zwar keine Hogwarts-Zauberschule gibt, aber viel fehlt nicht. Doch diese Welt ist grimmiger, weniger verspielt. Zauberer haben ständig mit Macht und Herrschaft zu tun. Dämonen und sämtliche sonstigen dienstbaren Geister, so glaubt Nathanael zunächst, sind alle hinter ihm her. Kein Wunder, dass er sich verfolgt glaubt, sich übernimmt und nur bei Mrs. Underwood trost und Verständnis findet.

Dennoch bietet diese Welt jungen Lesern ab zwölf Jahren mit Nathanael eine ideale Identifikationsfigur, denn sicherlich wollen auch sie die Welt zu einem besseren Ort machen, als sie selbst vorfinden. Dass das nicht so einfach ist, wie ihre wilden Träume ihnen vorgaukeln, demonstriert ihnen Nathanael anschaulich. Dieser Held muss einiges durchmachen, um schließlich Erfolg haben zu können.

Revolution im Reich der Zauberer

Wofür er am längsten braucht und was am wichtigsten ist: Er kann einen Dämon zum Freund haben. Das stellt alles, was er aus Underwoods Büchern gelernt hat – und von der Welt hat er praktisch nichts gesehen -, komplett auf den Kopf. Es widerspricht allen Lehrsätzen und natürlich auch Underwoods Lehren. Die anderen Instruktoren sind relativ unwichtig, lediglich eine Lehrerin, eine „Gewöhnliche“ zumal, vermag ihm etwas über die Welt der normalen Menschen beizubringen. Leider verschwindet sie sofort, sobald Underwood Nathanaels „Verrat“ aufgedeckt hat.

Es geht also um die Paranoia der Macht. Und ihr steht der Triumph gegenüber, den das Vertrauen bringt, das aus der Zusammenarbeit mit Bartimäus erwächst. Quod erat demonstrandum: Die Zaubererkaste und ihre Herrschaft sind menschenfeindlich und dem Untergang geweiht. Doch welche Alternative bieten der Gesellschaft dann individuelle Bündnisse wie zwischen Nathanael und Bartimäus? Wir wissen es noch nicht, werden es aber hoffentlich bald erfahren.

Die zweite Gegenwelt: Geister

Neben jener der Zauberer gibt es in „Bartimäus“ noch eine zweite Gegenwelt, und das ist natürlich die der Geister. Die Zauberer betrachten sie sozusagen als herrenlose Sklaven, die es sich gefügig zu machen gilt. Ihre Bücher und Hilfsmittel liefern ihnen das Wissen über die Geisterwelt, aber ist das etwa schon alles, was es über Geister zu wissen gibt? Die Befehle, die ihnen ihr Wissen verleiht, vermögen alle möglichen Geister zu bannen und herbeizurufen, aber die resultierende Machtbeziehung ist von Angst geprägt – siehe oben.

Bartimäus ist der erste Geist, der uns demonstrieren kann, wie es ist, ein Dämon aus der Anderswelt zu sein. Wenn ihn beispielsweise ein magischer Ruf erreicht, dann fühlt es sich an, als würden ihm die Eingeweide rückwärts herausgezogen. Sicher nicht angenehm. Und der Aufenthalt in einer körperlich Hülle scheint ebenfalls sehr unbequem zu sein. Schließlich sind Geister aus anderem Stoff gemacht. Geister wollen bekanntlich frei sein.

Dieser Dämon ist eine famose Erfindung des Autors. Damit ist er in der Lage, Zauberer und ihr Verhalten ebenso süffisant zu kommentieren wie andere Geister, und mit denen kennt sich ein so alter Dämon wie Barti hervorragend aus. Ständig kommentiert er Zauberer, magische Akte und vor allem andere Dämonen, die sich für was Besseres halten. Dass er bei seinen Kommentaren stets gut wegkommt, erklärt sich von selbst.

Ausblick

Was werden wohl die nächsten Bände bringen? Eine recht interessante Perspektive bietet der „Widerstand“ der Gewöhnlichen. Die Untergrundkämpfer haben sich ja schon als schlagkräftig erwiesen. Und sie erkennen etwas Magisches, wenn sie es sehen, beispielsweise Bartimäus in harmloserer Verkörperung. Außerdem wird es höchste Zeit, dass sich Nathanael verliebt …

Der Sprecher

Martin Semmelrogge kann eine richtig fies klingende Stimme haben – und die ist ausgezeichnet geeignet, wenn sich Bartimäus über jemanden lustig macht. Als Barti erstmals von Nathanael beschworen wird, klingt er spöttisch, ja, hämisch und sehr selbstsicher, wenn nicht sogar ein wenig aufgeblasen. Immerhin ist er ja auch schon über 5000 Jahre alt – und Nathanaels Alter beträgt nur einen winzigen Bruchteil davon. Diese Szene macht richtig Spaß.

Nathanael hat zunächst ein piepsiges Stimmchen, die leider allzu schnell tiefer wird, um schließlich normal zu klingen. Sein genaues Gegenteil ist der theatralische Brustton, mit der Simon Lovelace seine Sätze deklamiert – für wen bloß? Sein Koch, ein verkappter Dämon, krächzt jedenfalls nur.

Das alles klingt nach einem sehr guten Vortrag, doch aufgrund der zahlreichen längeren Erzählpassagen – zumindest am Anfang – kann Semmelrogge seine Stärken als Stimmenimitator nicht richtig ausspielen. Das ändert sich zum Glück später, als mehr Figuren auftauchen, insbesondere Dämonen. Ansonsten hätte sich der Sprecher um eine deutlichere Aussprache und kindgerechtere Intonation bemühen können. Das Hörbuch ist – ebenso wie das Buch – ausdrücklich für Kinder ab zehn Jahren empfohlen.

Wenn es auch keinerlei Musik zu hören gibt, so kommen doch wenigstens Soundeffekte vor. Eine Erinnerung an einen wichtigen Satz beispielsweise wird mit sattem Hall unterlegt. Aber ich hätte mir noch einige deftige Verstärkungen bei den zahlreichen Beschwörungen und Zaubersprüchen gewünscht. Ein Donnerschlag ab und zu wäre nett gewesen.

Unterm Strich

„Das Amulett von Samarkand“ etabliert als Startband einer Zauberer-Trilogie mehrere Gegenwelten, die sich von Universen wie dem eines gewissen Harry Schotter deutlich unterscheiden. Während Schotters Magiewelt von Angst dominiert ist, entwickelt der Zauberlehrling Nathanael bei Stroud etwas Revolutionäres: Freundschaft zu einem Dämon. Das kann ja heiter werden!

Bis es so weit ist, vergehen aber etliche Minuten spannenden und vergnüglichen Zuhörens. Nathanael und Bartimäus stehen abwechselnd im Blickpunkt des Geschehens, so dass für Variation gesorgt ist. Das Treiben dieses dynamischen Duos betrifft nicht nur ihren Privatbereich, sondern hat, wie sich allmählich zeigt, direkten Einfluss auf das Schicksal des Reiches und der Regierung. Na, wenn das keine hilfreiche Nutzanwendung von Magie ist!

Das Hörbuch mit seiner gekürzten Textfassung ist eine recht ordentliche, auf Aktion ausgerichtete Umsetzung des Buches und hat mit Semmelrogge einen kompetenten Sprecher, der die einzelnen Figuren zu charakterisieren weiß. Aber der Vortrag verlangt doch auch eine gehörige Portion Aufmerksamkeit, wenn nicht sogar Konzentration. Ich fände es schon eine eindrucksvolle Leistung, wenn ein Zehnjähriger eine ganze CD lang – also rund 70 Minuten – ohne Gähnen durchhalten würde. Man sollte also öfters eine Pause einlegen.

Bei einem Buch ergibt sich diese Schwierigkeit weniger, denn man kann jederzeit das Lesen unterbrechen, etwa am Ende eines Kapitels. Vor die Wahl „Buch oder Hörbuch?“ gestellt, würde ich wahrscheinlich zum Buch greifen.

430 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 9783898307963

www.randomhouse.de/Verlag/Random-House-Audio