Stuart MacBride – Die Stimmen der Toten (Ash Henderson 2)

Bizarre Serienmorde und ein Racheplan

Vor acht Jahren hat der „Inside Man“ vier Frauen ermordet, drei weitere Opfer überlebten schwer verletzt. Allen wurde der Unterleib aufgeschlitzt und eine Puppe eingenäht. Dann brach die Serie ab. Ash Henderson war als Detective Inspector bei den Ermittlungen dabei, doch der Killer entkam. Mittlerweile sind Hendersons Familie und seine Karriere zerstört, nachdem er zum Spielball der gefährlichsten Unterweltgröße im schottischen Oldcastle wurde. Als nun erneut eine Frau tot aufgefunden wird, eine Plastikpuppe im Unterleib, bekommt Henderson die Chance, den Mörder doch noch zu fassen. Und sich zu rächen. (Verlagsinfo)

Der Autor

Stuart MacBride war schon alles Mögliche: ein Grafikdesigner, dann ein Anwendungsentwickler für die schottische Ölindustrie und jetzt Kriminalschriftsteller. Mit seiner Frau Fiona lebt er in Nordostschottland. Seine Krimis um Detective Sergeant Logan McRae spielen in Aberdeen. Mehr Info unter www.stuartmacbride.com.

Werke:

1) Cold Granite (2005) = Die dunklen Wasser von Aberdeen
2) Dying light (2006) = Die Stunde des Mörders
3) Broken skin (2007; US-Titel: Bloodshot) = Der erste Tropfen Blut
4) Flesh House (2008) = Blut und Knochen
5) Blind eye = Blinde Zeugen (2009)
6) Halfhead (2009, SF, unübersetzt)
7) Dark Blood (2010) = Dunkles Blut
8) Shatter the Bones (2011) = Knochensplitter
9) Sawbones (Novelle, 2011)
10) Birthdays for the Dead (2012; Das 13. Opfer, 2013, Ash Henderson 1)
11) Die Stimmen der Toten (2015, A Song for the Dying, Ash Henderson 2)
12) Close to the bone (2013, Das Knochenband 2014)
13) Twelve Days Of Winter (Kurzgeschichten)
14) In Blut verbunden (The Missing and the Dead, 2015) – GTB 48336 (2016)
15) 22 Dead Little Bodies and other Stories (noch keine dt. Übersetzung) (2015)
16) In the Cold Dark Ground (noch keine dt. Übersetzung) (2016)

Handlung

Seit acht Jahren schon überlebt der ehemalige Kripo-Ermittler Ash Henderson seinen Aufenthalt im Knast, und das grenzt an ein Wunder. Denn jedes Mal, wenn sein Fall zur Prüfung vor der Bewährungskommission ansteht, tauchen zwei gedungene Mithäftlinge auf und schlagen ihn zusammen. So sieht es aus, als ob er, der sowieso nur aufgrund gefälschter Beweise hinter Gittern sitzt, von Natur aus gewalttätig sei. Sein Antrag wird regelmäßig abgelehnt, selbst wenn es seine Anhängerin, die Psychologin Alice MacDonald, ist, die sich vor der Kommission für ihn einsetzt.

Ash kann es daher fast nicht glauben, als ein Kripobeamter namens Jacobson auftaucht und ihn nach einer kurzen Unterredung rausholt – und sofort mit einer elektronischen Fußfessel versieht. Die Fußfessel ist direkt mit einem Sender an Alice MacDonald gekoppelt: Mehr als 100 Yards (= 90 m) darf sich Ash nicht von Alice entfernen. Da sie ein Liebespaar sind, hat weder Ash noch Alice etwas dagegen einzuwenden. Doch als er testet, was wohl passiert, wenn der Abstand überschritten wird, taucht ein Sondereinsatzkommando auf…

Die Ermittlung

Sein Job: Er soll als Mitglied der Beratergruppe namens LIRU an der Aufklärung einer wieder begonnenen Mordserie mitarbeiten. Zu Ashs Freude ist Alice MacDonald als Psychologin in der Gruppe, aber leider auch die Pathologin Dr. Constantine und der Forensiker Prof. Bernard Huntly. Ein medienverliebter Dr. Docherty schließlich sich ihnen an, gedeckt von der Leitung der Kripo.

Der Grund des trauten Kennenlern-Stelldicheins im Pub: Ein Serienmörder, den die Sensationspresse den „Inside Man“, hat nach acht Jahren sein blutiges Handwerk wieder aufgenommen. Seine Handschrift besteht unverkennbar darin, seinen weiblichen Opfern – allesamt Krankenschwestern – eine Plastikpuppe in den Bauch einzupflanzen und diesen zuzunähen. Was unsensible Leute wie Huntly und Jacobson Henderson immer noch ankreiden, ist die Tatsache, dass ihm der Inside Man damals, als er bei der Polizei von Oldcastle arbeitete, durch die Lappen gegangen ist. Seit damals hat Henderson immer noch Schuldgefühle.

Mittlerweile hat sich die Organisationsstruktur der schottischen Polizei grundlegend geändert. Den lokalen Cops spucken nun mobile Kommandos und „Spezialermittlungsteams“ in die Suppe, ganz zu schweigen von solch mysteriösen Beratern wie LIRU (Liaison Investigation and Review Unit). Das macht die Arbeit mühevoll und die Beschaffung von Beweisen und Indizien zu einem Eiertanz.

Der Racheplan

Aber Ash wäre nicht er selbst, wenn er sich an ein solches Dickicht von Regeln und Vorschriften anpassen würde. Zusammen mit Alice zieht er sein eigenes Ding durch – und kommt unverhofft z Resultaten und einem ziemlich ungewöhnlichen Partner. Unterdessen verfolgt er seinen eigenen geheimen Plan, und der hat Priorität 1AAA: Mrs Kerrigan, die ihn hinter Gitter gebracht hat, muss in Bälde einen möglichst langen, qualvollen Tod sterben. Der Haken dabei: Die knallharte Irin ist die rechte Hand des Gangsterbosses Andy Inglis und es würde wirklich auffallen, wenn sie noch am gleichen Tag, an dem Henderson freikam, ins Gras beißen würde. Er muss also Geduld haben – oder sie erwischt ihn zuerst.

Doch Geduld zahlt sich nicht immer aus. Kerrigan hat sein Verhalten vorausberechnet und schickt ihm zwei ihrer Schergen auf den Hals, die ihm einen Denkzettel verpassen sollen. Da sind sie aber an den Falschen geraten…

Mein Eindruck

Auch dieser Roman um Ash Henderson, den Anti-Helden der Kripo von Oldcastle, ist knallhart, schonungslos und nicht selten brutal. Aber er ist auch gewitzt, ironisch und voller überraschender Wendungen. Romantik köchelt hier auf Sparflamme, aber die Liebe der Schotten und Schottinnen ist nicht selten leidenschaftlich und ziemlich schräg. Der Leser sollte auf alles gefasst sein.

Der Himmel über Oldcastle hat entweder die Farbe geronnenen Blutes oder weint unablässig Tränen über die Verrücktheiten der Menschenwesen. In dieser bedrückenden Atmosphäre hangeln sich Ash Henderson und seine ständige Begleiterin Alice McDonald von Verdächtigem zu Verdächtigem, über Zeugen aus der Zeit vor einem Dutzend Jahren bis zu neuesten Datenquellen aus HOLMES, dem Kripo-Computer.

Zuweilen stoßen sie auf die schrägsten Gestalten, so etwa auf Wee Free McFee, dessen Tochter an jenem Krankenhaus arbeitet, das offenbar mit einem Opfer-Fluch belegt ist. Das Problem: McFee hat zwei große gefährliche Hunde – und ist ein fanatischer Bibel-Fan. Aber als dessen Tochter tatsächlich verschwindet, weiß Ash genau, wie sich McFee fühlt: Seine eigene Tochter Rebecca (vgl. Band 1) wurde entführt und getötet.

Die Ausführung von Ashs Racheplan ist eng mit der Ermittlung verflochten. Alice ahnt, was Ash vorhat, und es ist für sie OK. Denn sie braucht den starken Kerl, um ihre eigenen sozialen Schwächen auszugleichen. Sie ist zwar eine ausgezeichnete Profilerin, doch wenn sie mit Leuten reden soll, ist sie total nervös und plappert zeug, das nicht gerade zielführend ist. Na, wenigstens halten die Leute sie zwar für irre, aber wenigstens harmlos. Das ist indes eine Täuschung, die sich gerade für Mrs. Kerrigan bitter rächen wird.

Die Übersetzung

Die Übersetzung ist ausgezeichnet gelungen. Würde man das Original lesen, könnte man nur vor lauter Dialekt- und Jargonausdrücken nur die Hälfte verstehen. Das weiß ich aus eigener, leidvoller Erfahrung. So aber liest sich der Text flüssig und es gibt trotz zahlreicher Jargonausdrücke keine Verständnisschwierigkeiten. Druckfehler habe ich nur zwei gefunden, war für ein Buch dieses Umfangs unglaublich wenig ist.

Unterm Strich

Ich habe für diesen dicken Thriller eine ganze Weile gebraucht. Denn nach den ersten Überraschungen, die Ash mit Jacobson und Alice erlebt, scheint die Ermittlung bezüglich der missbrauchten Krankenschwestern nicht in Gang zu kommen. Ash kaut noch an seiner Vergangenheit herum und weiht uns in seine Rachepläne ein, wobei er reichlich herumphantasiert, was er mit Mrs. Kerrigan anstellen wird. Unterdessen tauchen weitere Opfer auf und ein kleiner Junge verschwindet spurlos.

Durch diese Phase der scheinbaren Ziellosigkeit und der Rekapitulation muss man durch. Danach geht alles Schlag auf Schlag, und Ashs reichliche private Ermittlung gewinnt zunehmend an Tempo und Zielstrebigkeit. Verabscheuungswürdige Dinge kommen ans Tageslicht, so etwa die sinistere Rolle von Dr. Docherty, die eines Medikamentenverwalters am Krankenhaus und schließlich, als schockierender Tiefpunkt, die Tätigkeit einer schwangeren Frau, die es auf Kinder abgesehen hat.

Doch wer ist der wahre Täter, der die Krankenschwestern „modifiziert“ und dann die Polizei ruft? Dieses Geheimnis wird erst ganz zum Schluss enthüllt und dürfte jeden Leser, der bis dahin durchhält, umhauen. Eben ein richtiger MacBride, dieser Thriller.

Taschenbuch: 540 Seiten
Info: A Song for the Dying, 2014
Aus dem US-Englischen von Andreas Jäger
ISBN-13: 978-3442482894
www.randomhouse.de/Verlag/Goldmann

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