Susan Shwartz (Hrsg.) – Hexengeschichten. Von zauberischen Frauen, ihren Taten, ihrer Macht und ihrer Liebe / Hecate’s Cauldron

Classic Fantasy: Unter dem Mond der Hekate

„Frauen mit magischen Kräften – verfolgt, verbrannt, verhöhnt, aber auch gefürchtet, geachtet und geliebt. Eine Sammlung phantastischer Geschichten um Magie und Macht von Hexen.“ (Verlagsinfo) Diese Beschreibung kommt dem Inhalt nicht einmal ansatzweise nahe. Denn Hexen treten in den seltensten Fällen auf, und solche europäischer Prägung schon gleich gar nicht. Das hat die Herausgeberin ihren AutorInnen vorgegeben.

Wie auch immer: Für diese Originalgeschichten hat die Herausgeberin einige der bekanntesten und erfolgreichsten Autorinnen – und Autoren – gewonnen, darunter C.J. Cherryh, Diana L. Paxson (Koautorin von Marion Zimmer Bradley), Jane Yolen, die unglaubliche Tanith Lee, die Veteranin Andre Norton sowie die (damaligen) Newcomerinnen Jean Lorrah, Jacqueline Lichtenberg und Jessica Salmonson, welche ihrerseits Amazonen-Geschichten bei Bastei-Lübbe herausgab.

Die Herausgeberin

Susan Shwartz, 1949 geboren, ist eine US-amerikanische Autorin, die seit 1979 regelmäßig veröffentlicht: Erzählungen und Romane, gerne auch in Zusammenarbeit mit Meisterinnen wie Andre Norton. Ein paar Romane über den Vulkanier Spock gehen auf ihr Konto. Außerdem hat sie eine ganze Reihe Anthologien wie „Hexengeschichten“ publiziert, denn auch Herausgeber erhalten Tantiemen. Die „Encyclopedia of Fantasy“ hat sie mit einem ganzen Artikel gewürdigt, die Wikipedia aber bislang nicht.

„Einführung : Der Kessel der Hekate“

Die Herausgeber zählt die populären Erscheinungsformen von Hexen und weisen Frauen auf, bis hin zu „Macbeth“, doch die Figur der verbannten und verachteten Frau ist weitaus älter. Sie geht zurück auf die Zeit der Abschaffung des Matriarchats und des Erscheinens der dunklen Seiten einer Göttin, sei es nun Venus oder Diana. Die Römer (und die Kelten) kannten drei Erscheinungsformen Dianas: Artemis, die jungfräuliche Jägerin, Selene, die den Mondzyklus der Frauen beherrscht, und schließlich die greisenhafte Hekate, die nicht nur über die Unterwelt, die Toten und Dämonen gebietet, sondern auch über das Schicksal. Ihr Auftritt in Diana Paxson Story ist sehr bemerkenswert.

Warum ist die Figur der Hexe zwiespältig, also sowohl gütig als auch strafend (wie die Figur Dianas belegt)? Da gibt es Galadriel, Glinda (aus dem „Zauberer von Oz“) und die Lady vom See als gütige Frauen, die dem jeweiligen Helden, der jeweiligen Heldin (Dorothy) beistehen, so etwa Artus oder Frodo. Die dunklen Frauen sind etwa Kirke, Medea, Artus‘ Halbschwester Morgan le Fay oder die dunkle Version Galadriels, die sich Frodo allein offenbart: Sie verkörpern die Schwiegermutter, die nicht nährt, sondern herrscht und Männer unterdrückt. „Alle werden mich lieben und verzweifeln!“

Historische Hexen weisen eine Reihe charakteristischer Merkmale auf. Anno 1324 wurde die Dame Alice Kyteler aus der Grafschaft Kilkenny in Irland von ihren Kindern aus erster Ehe bezichtigt, sie über Hexenkünste aus: Sie leugne die Autorität der Kirche, habe einen vielgestaltigen Schutzgeist bzw. Familiar namens Robin, verkehre mit Dämonen und missbrauche den Namen des Herrn. Der Hintergrund war schlicht der, dass Lady Alice all ihr Vermögen den Kindern aus zweiter Ehe vermachen wollte und die Kinder aus erster Ehe in die Röhre schauten. Doch dank einer Bibelstelle um 2. Buch Mose „“Du sollst keine Hexe am Leben lassen!“, siehe auch den ersten MILLENNIUM-Roman) konnte jeder x-beliebige Bürger als Hexe oder Hexer bezeichnet und verfolgt werden, insbesondere randständige Existenzen wie Bettler, Aussätzige oder Einsiedler.

Ab 1484 setzte ein Papst die Hexenverfolgung in Deutschland in Gang und entsandte zwei Inquisitoren, deren zwei Jahre später veröffentlichtes Buch „Der Hexenhammer“ dank des Buchdrucks rasche Verbreitung fand. Interessanterweise startete die Hexenverfolgung zuerst in rückständigen Bergregionen und auf dem Lande. Aber auch Königinnen warne nicht sicher. Anne Boleyn, Heinrichs VIII zweite Königin. Wurde nicht nur des Ehebruchs, sondern auch der Hexerei bezichtigt und zum Tode verurteilt. Königin Elizabeths I. Nachfolger, König James !., war besonders abergläubisch: Er verfasste seinen eigenen „Hexenhammer“, und als die drei Hexen mitsamt Hekate in „Macbeth“ anno 1623 auftraten, erschienen sie besonders hassenswert. Es gab jede Menge Hexenfinder, Hexenjäger – und einen „Witchfinder General“.

Erst in den Märchen der Brüder Grimm und H.C. Andersen traten Hexen wieder auf: Die Schneekönigin entführt Kinder in ihr eisiges Reich. Das englische Wort „witch“ ist von den alten Wörtern für Hexer und Hexe, nämlich „wicce“ und „wicca“ abgeleitet. In einer revisionistischen Umdeutung wird diese Rolle inzwischen als die einzige Rolle interpretiert, in die intelligente und wissende Frauen schlüpfen konnten, auf eigene Gefahr. Eine Vorreiterin dieser Revision muss wohl die US-Autorin Andre Norton gewesen sein, denn die Herausgeberin stellt sie mehrfach als leuchtendes Beispiel hin.

Dass es Hexen nicht nur in England und den USA gab, dürfte plausibel erscheinen. Einige Beispiele dafür finden sich in der vorliegenden Anthologie. Japanische Kami bzw. Geister oder afrikanische Geister. Tolkien sprach in seinem Aufsatz „Über Märchen“ von einem „Kessel der Geschichten“, aus dem alle Geschichtenerzähler schöpften. Sofort fällt der Herausgeber der Kessel von Mimir und der Kessel der walisischen Keltengöttin Cerridwen ein: Sie gebieten über Geschichten, aber auch über Orakel, so etwa die drei Hexen in „Macbeth“.

Dass die Anzahl der erzählenden Beiträge in dieser Sammlung genau dreizehn betrage, sei volle Absicht, so die Herausgeberin. Jeder sei eine Zauberformel. Der Leser jedoch muss sein Urteil selbst darüber fällen, ob der Zauber auch wirkt.

Die Erzählungen

1) Jane Yolen: Boris Chernevskys Hände (dito)

Boris Chernevsky arbeitet bei seinem Onkel im Zirkus, theoretisch als Jongleur, doch die Vorstellung am gestrigen Abend war ein Fiasko: Boris scheint zwei linke Hände zu haben. Ihm selbst ist das am peinlichsten, denn er möchte seinen Onkel nicht enttäuschen. Er würde ja auch viel lieber Computerprogramme mit seinen grobknochigen Fingern tippen. Aber es scheint, als sei seine Rechte immer ein wenig langsamer als die Linke. Er wünscht sich, er hätte neue Hände.

Da erscheint die Hexe Baba Yagá, um ihm ein Paar neuer Hände anzubieten, im Austausch für die Kleinigkeit, die man „Seele“ nennt. Boris fragt sie, was das sei, und sie verdreht die Augen. Dieser Boris Chernevsky ist schon ein schräger Vogel, aber die modernen Zeiten, sie sind halt so. Über kurz oder lang entführt sie ihn zu ihrer Hexenhütte. Diese steht, wie allseits – außer bei Boris – bekannt, auf Hühnerbeinen. Und innen ist die Hütte größer als außen.

Das trägt nicht gerade zur Beruhigung von Boris‘ Nerven bei, so dass er über seine eigenen Füße stolpert. „Vielleicht brauchst du davon auch ein neues Paar?“ fragt ihn die Hexe. In einem Schrank zeigt sie ihm ihren Vorrat an Händen. Sie anzuprobieren, ist etwas seltsam. Die ersten sind Liebhaberhände: Sie verführen ihn sogar selbst, und die verwelkte Großmutter Baba sieht auf einmal wie eine knackige junge Frau aus. Als nächstes probiert er Chirurgenhände, die an den Fingerspitzen Augen zu haben scheinen. Er möchte ihre Warze am Kinn entfernen, aber sie weigert sich. Nein, das ist wohl auch nicht das richtige für ihn. Was denn dann? Da kommt Boris die Erleuchtung…

Mein Eindruck

Dies ist eine Hans-im-Glück-Story, in der ein tumber Tor solange mit der Nase auf die Wahrheit gestoßen, bis selbst er kapiert, was er zu tun hat. Dass eine altgediente Hexenfigur wie die Baba Yagá hier auftritt, verstößt eigentlich gegen die Vorgabe, keine europäischen hexen auftreten zu lassen. Aber vielleicht zählt Russland für die Herausgeberin nicht zu Europa.

2) Tanith Lee: Das Haus der Spiegel (Mirage and Magia)

Als die Zauberin Taisia-Tua in die große Stadt Qon-Qoshen kommt, bezieht sie ein rosarotes Haus, das sie mit Dutzenden von Spiegeln dekoriert. Das finden die Bürger und Diebe aber erst heraus, als es bereits zu spät ist. Das erste Mal, als die Magia auf einem der vielen Plätze der Stadt maskiert erscheint, spricht sie zu dem schönsten und reichsten Adelssohn der Stadt und sagt nur: „Folge mir.“ Dann geht sie von dannen. Prinz Iye Linla spottet über dieses Ansinnen, sieht sich jedoch außerstande, dem Befehl NICHT zu gehorchen. Selbst seine Freunde und Verwandten können ihn nicht halten. Er verschwindet hinter den Toren und mauern des Anwesens der Magia. Als er am nächsten Morgen durch das äußere Tor tritt, ist seine Seele verschwunden. Doch einer der Freunde , der ganz genau hinschaut, entdeckt etwas Merkwürdiges in Iyes Augen: Man sieht nicht sich selbst gespiegelt, sondern das des Prinzen selbst – und es wendet dem Betrachter den Rücken zu.

Unterdessen steigt über der Stadt ein Drache empor, der ein Band zieht, auf welchem die Frage steht: „Gibt es einen größeren Zauberer als mich?“ Nachdem viele weitere Prinzen der Zauberin gefolgt und ohne Seele zurückgekehrt sind, wenden sich die Noblen an Gestalten, die weitaus weniger nobel sind. Der König der Diebe, Locust (Grille) lautet sein Name, wird entsandt, um das Geheimnis der Zauberin zu lüften. Doch auch er entdeckt nur, dass die Magia keinen Finger rührt, während sie darauf wartet, dass ihre Spiegel ihre Wirkung ausüben. Spätestens nach zwei Minuten verliert der Blick des jeweiligen Entführten jeden Glanz und wird der eines Idioten.

Alle Bitten nützen nichts, doch die Bürger beten, dass einer kommen möge, um sie von diesem Übel, das sie ihre männlichen Nachkommen kostet, zu erlösen. Und tatsächlich: Ein junger, ebenfalls maskierter Mann stellt sich unter einen großen Akazienbaum, spielt eine sonderbar geformte Flöte und führt Zaubertricks vor. Es dauert nur wenige Stunden, bis die Zauberin erscheint und ihm zuschaut, um ihn zu taxieren. Als sie sich zum Gehen wendet, folgt er ihr, ohne dass sie es ihm befehlen muss.

Er bittet sie, ihm ihre zwei Tore zu öffnen, und es geschieht. Im innersten Zentrum ihres spiralförmigen Labyrinths beginnt er zu sprechen. Ohne die vielen Spiegel auch nur eines Blickes zu würdigen, nähert er sich lediglich dem gesicht Taisia-Tuas, legt seine Maske ab und fordert sie auf, sich ihrerseits zu demaskieren. Als er endlich in ihre Augen schauen kann, enthüllt er ihr Geheimnis…

Mein Eindruck

Was vordergründig eine Geschichte um unbegründete Vergeltung aussieht, ist bei näherer Betrachtung ein Fall für den Psychotherapeuten. Es ist der junge Maskierte, der diese Rolle einnimmt. Er scheint über hellseherische Fähigkeiten zu verfügen – oder über viel Erfahrung mit psychopathischen Frauen. Das Geheimnis der Zauberin darf hier nicht verraten werden. Aber sobald ihr Bedürfnis erfüllt ist, wird der Fluch von der Stadt genommen, und die braven Bürger dürfen wieder aufatmen. Der Auftritt einiger Assassinen und Diebe würde diese Story für die Freistatt-Anthologien Robert Asprins qualifizieren.

3) C.J. Cherryh: Weide (Willow)

Dubhan*** ist in zehn Jahren Krieg, in dem er für seinen Herzog gekämpft und gelitten hat, von einem Jüngling zu einem Veteranen ohne Skrupel und Moral geworden. Auf seinem Weg durch die Wälder meidet er Ansiedlungen und deren Bewohner, denn solche wie er werden sofort verjagt. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Soldateska aus Mangel an Sold Höfe und Dörfer überfällt. Dabei halten sie sich auch an jungen Frauen schadlos, um wenigstens darin ein kleines Vergnügen zu finden.

Eines Nachts führt ihn sein Weg auf eine Lichtung, aus der Schreie erschallen, Frauenschreie. Ohne Zögern bewaffnet er sich und reitet mit seinem mageren alten Klepper auf die Lichtung. Er erschlägt zwei Soldaten und das Mädchen entkommt auf einen steilen Hang. Doch statt sich fangen und benutzen zu lassen, stürzt es sich lieber in die Tiefe und bricht sich den Hals. Bedauernd sucht er in den Habseligkeiten der beiden Soldaten nach Verwertbarem: Er findet zwei goldene Gegenstände und steckt sie ein. Erst dann entdeckt er, dass einer der beiden sein alter Freund Bryaut ist, und den anderen, jüngeren hatte er in der letzten Schlacht kennengelernt. Schuldbewusst reitet er weiter.

Es ist sein Pferd, das nun den Weg weist. So gelangt er durch sumpfiges Gelände auf eine Lichtung, wo er auf ein nacktes Mädchen stößt. Sie nennt sich Weide und zeigt ihm den Weg zu ihrem Heim, wo ihre Mutter warte. Er leiht ihr sein Hemd, damit sie bekleidet ist. Ihre Mutter erweist sich als sehr gastfreundlich und dankbar für die Rettung ihrer Tochter, die sie als „wahnsinnig“ bezeichnet. Doch als sie erwähnt, dass sie auf ihren Gatten Bryaut warte, muss sich Dubhan etwas einfallen lassen. Ja, Bryaut sei tot (er muss es ja wissen!), aber tapfer im Krieg gefallen.

Weides Mutter trägt nur ein Hemd, aber nichts drunter, so dass er ihren Schlanken Körper erahnen kann, als sie ihn die schmale Treppe hochführt, denn dort befindet sich ihr Schlafzimmer. Erregt will er sich auf sie stürzen, um sein Vergnügen zu haben, doch dann taucht ein drittes Frauenzimmer auf, und dessen Erscheinen bringt ihn von seinem groben Vorhaben ab. Es ist die Großmutter, denkt er, und so alt, dass sie wie ein Skelett aussieht. Ein Schlag schickt ihn ins Land der Träume.

Sobald er erwacht ist, packt er seine Sachen und macht, dass er fortkommt. Die drei Frauen lässt er zurück, doch die Erinnerungen verfolgen ihn…

***: Das Wort Dubhan ist keltischen Ursprungs und bedeutet im Gälischen „der Dunkle“. Dubh Linn, der erste Name von Dublin, bedeutet „dunkler Bach oder Fluss“.

Mein Eindruck

Wie die Herausgeberin ihrem Begleitwort ganz richtig schreibt, ist Diana, die Muttergottheit, bei den Kelten in drei Gestalten verkörpert: als Jungfrau, Mutter und Greisin (s.o.). Ihr keltisch-gälischer Name lautet Cerridwen. In Cherryhs Geschichte trifft der Mann der Gewalt, Dubhan, auf diese drei Verkörperungen, doch sie erweisen sich ihm als überlegen. Die Autorin verurteilt ihn nicht, weil er Weides Mutter vergewaltigen will, denn alle anderen Soldaten tun dies ja auch. Sie verurteilt indirekt den Krieg, der diese Männer hat verrohen lassen. Meines Erachtens ist die Geschichte zu schnörkellos erzählt. Sie entwickelt Anspannung, aber keine Spannung.

4) Andre Norton: Der Mondspiegel (Moon Mirror)

Alathi ist eine der letzten des Hügelvolks und eine Einzelkämpferin. Ihr Volk ist vom Volk des Unterlandes fast ausgerottet worden, und nun kommen schon wieder welche der verhassten Unterländer. Es sind nur wenige, aber sie werden von einem besonderen Mann angeführt, der anscheinend vorhat, das Dämonenland zu betreten. Alathi hat ihm bereits aus seinem Zelt einen Lederbeutel stibitzt. Darin befinden sich eine Landkarte, die sie nicht lesen kann, und ein Metallband mit Runen. Mit Haken und Öse kann sie es sich um den Hals legen, um richtig schick auszusehen.

Als sie dem Kaufmann in der folgenden Nacht folgt, hört sie mit, dass er Coultar heißt. Er tritt gar nicht wie ein Kaufmann auf, sondern eher wie ein Zauberer. Als er sich auf einer überwachsenen alten Straße einem See nähert und Anrufungen an die Göttin ausstößt, hält er einen runden Gegenstand hoch, der zu glänzen beginnt. Eine rätselhafte Magie ergreift Besitz von Alathi, und am Halsband wird sie direkt zum See geführt, als läge sie an einer Leine. Sie beginnt ihrerseits Anrufungen an die Göttin auszustoßen. Der See bewegt sich, und der volle Mond beginnt sich darin strahlend zu spiegeln…

Mein Eindruck

Also, ich konnte in dieser Geschichte keine hexe entdecken. Vielleicht liegt es an meiner Definition von „Hexe“: zauberkundig, aktiv, listenreich, ambivalent. Alathi, die einzige weibliche Figur in dieser Geschichte, ist all das eigentlich nicht. Sie ist lediglich eine Diebin, die in einen Akt der Zauberei buchstäblich hineingezerrt wird. Dann spricht die Göttin aus ihr, und es kommt zu einer Übereinkunft mit Coultar, dem Fremdling, den sie eigentlich hassen müsste. All dies geschieht unter dem zwingenden Einfluss der Mondgöttin – vermutlich Diana/Selene.

All dies hat mich wenig überzeugt, aber es ist mitreißend zu lesen.

5) Diana Wynne Jones: Der Weise von Theare (The Sage of Theare)

Die Welt von Theare ist wohlgeordnet: von den höchsten Göttern bis hinunter zu den unsichtbaren Flussdrachen weiß jeder, was er zu tun hat. Doch es gibt eine Prophezeiung: Dereinst werde der Weise kommen, der die Auflösung predigt. Das wäre der Ende der schönen Ordnung, und Obergott Zond ist entsprechend besorgt. Zuständig für Prophezeiungen ist der Sonnengott Imperion. Der wiederum hat seit Jahr ein Techtelmechtel am Laufen, und zwar mit der Sterblichen Nestara. Mit Nestara hat er einen kleinen Wonneproppen von Sohn gezeugt, einen gewissen Thasper, und der zeichnet sich durch unstillbare Wissbegier auf. Ständig stellt er Fragen. Das ist nicht nur einen Dreijährigen ungewöhnlich, sondern in Theare auch noch verboten: Thasper muss weg. Aber wohin?

Imperion ist entschlossen, seinen kleinen Sprössling in eine der vielen Parallelwelten zu bringen, doch es muss eine sichere sein. Seine Wahl fällt auf Terra. Er schließt Sohnemann in eine silberne Zeitkapsel ein und transportiert ihn so durchs Universum. Nach Ablage der Kugel verdünnisiert er sich, denn er muss ja täglich scheinen. Sein Sohn lebt bis zu seinem zehnten Lebensjahr als Dreijähriger, bis ihn schließlich jemand findet, der sich mit solchen seltsamen Dingen wie Zeitkapseln auskennt: der Zauberer Chrestomanci. Der bringt ihn flugs wieder dorthin, wohin Thasper gehört: nach Theare. Chrestomanci hinterlässt ihm einen Brief, in dem er ihm den Kontakt anbietet: Er brauche ihn bloß zu rufen.

Hier wächst der junge Weise bei der Pflegefamilie Altun auf, wissbegierig wie immer, was stets für Ärger sorgt. Er schließt sich den rebellisch denkenden Studenten des Untergrunds an, und eines Tages steht an einer Wand geschrieben: „Wenn die Regeln ein Gerüst schaffen, in dem der Geist herumklettern kann, warum sollte dann der Geist nicht aus ihm herausklettern können, fragt der Weise der Auflösung!“

Die Götter sind alarmiert, doch Thasper ist entzückt. Genau das wollte er schon immer mal ausdrücken. Er hetzt dem überall auftauchenden Weisen der Auflösung hinterher, erwischt ihn aber nie. Vielmehr gehen dessen letzte Aufenthaltsorte regelmäßig in Flammen auf oder explodieren. Erst als ihn nur noch eine Wand von dem Weisen trennt, fällt ihm auf, dass dies genau die Situation ist, die Chrestomanci in seinem Brief vorhergesagt hat. Kaum hat Thasper seinen Mentor herbeigerufen, als beiden klar wird, dass Theare nur um Haaresbreite von einer Katastrophe entfernt ist…

Mein Eindruck

Auch hier tritt keine Hexe auf, aber Chrestomanci lassen wir mal als Hexer gelten. Denn die äußerst flott erzählte Geschichte von seinen und Thaspers Heldentaten beruht an den entscheidenden Wendungen auf Chrestomancis Eingreifen, so etwa auf Terra (einer Alternativwelt), aber erst recht auf Theare. Worum es in Thaspers Geschichte geht, ist leicht auszumachen: um den Widerstreit zwischen der starren Ordnung der Götter und dem Chaos, verkörpert in Thasper, das einer der Götter klammheimlich in Gang gesetzt hat.

Thasper stellt nicht nur das Chaos dar, sondern auch die Wissenschaft, die ja bekanntlich alles hinterfragt (wenn man sie lässt) und so zum Umsturz einer jeweils bestehenden Ordnung beiträgt. Wandel ist jene Konstante, die die Götter von Theare nicht zulassen wollen. Diesen Wandel aber signalisieren die Explosionen und Brände, die in Theares Hauptstadt ausbrechen, sobald der Weise der Auflösung aufgetaucht ist. In welcher Beziehung Thasper zu diesem Weisen steht, darf hier nicht verraten werden, aber man kann es sich denken. Eine tolle Story, die vor Ironie nur so trieft.

6) Jessica Amanda Salmonson: Der harmonische Kampf (The Harmonious Battle)

Azo Hono-o ist eine Kriegerin mit einem Handicap: In einem Schwertkampf hat sie ihren linken Arm verloren. Im Tempel von Emura und dessen heißen Quellen ist es ihr gelungen, ihre körperliche Wunde zu heilen, doch die psychische Wunde schwärt weiter. Als sie in einer heißen Quelle sitzt, erblickt sie eine nackte Frau vom Berg Awa auf sich zukommen, die nichts als ein Handtuch auf dem Kopf trägt. Unverschämterweise ignoriert Azo die merkwürdige Dame und beleidigt sie. Als die Dame in den Pool steigt, ohne eine Welle zu verursachen, nimmt sie ihr Handtuch ab: Ihr Haar ist schneeweiß. Sie ist ein Kami, ein Geist, Dämon, Hexe.

Azo entschuldigt sich tausend Mal, und sie hat Glück: Die Dame vom Awa-Berg ist nachsichtig. Sie schickt sie weiter zu ihren Schwestern vom Miwa-See. Azo gehorcht. Nachdem sie sich vom erstaunten Priester des Tempels verabschiedet hat, gelangt sich nach einem Tagesmarsch zum Ufer des Miwa-Sees. Als Angehörige der Kriegerkaste hat sie Anspruch auf Verpflegung durch die Fischer am See. Dann begibt sie sich auf die bezeichnete Halbinsel hinaus, an deren Ende eine Steinlaterne leuchtet.

Mitten in der Nacht taucht ein rundes Boot auf, in dem zwei weißhaarige Damen sitzen. Sie laden Azo ein, das Boot zu steuern. Die Fahrt führt zu einer Steilwand mit einer schmalen Öffnung. Dahinter befindet sich das Geheime Land. Kaum sind die beiden Kami verschwunden, taucht ein Diener des Herrschers dieses geheimnisvollen Landes auf, der sie den Fluss entlang zwischen den Steilhängen führt – allerdings im Kreis. Als sie dies merkt, erscheint der Herrscher: Es ist der Dämon, der sich selbst Hidadité nennt oder „Linke Hand“. Sie muss ihn mit nur einem Schwertarm besiegen. Es wird ein Kampf auf Leben und Tod, doch beileibe nicht ihr letzter…

Mein Eindruck

Viele Kämpfe hat die Schwertkämpferin zu bestehen, doch wen oder was sie bekämpft, ist letzten Endes ihre eigene Angst vor der Unzulänglichkeit, die ihr der Verlust eines Arms verursacht hat. Alle Ereignisse im Geheimen Land spielen sich in ihrer Seele ab. Erst wenn ihr der Sieg über ihre Angst gelingt, wird sie vollkommen heißen. Dann erst kann sie sich bei der Lady vom Awa-Berg bedanken. Ihre letzte Ruhestätte findet sie zwischen Gräbern jener Ritter, die sie in respektvollem, harmonischen Kampf besiegen konnte.

7) Jacqueline Lichtenberg: Magie ist eine Wissenschaft für sich (Science Is Magic Spelled Backwards)

Mavrana kommt frisch vom College und wird bereits als Sicherheitsleiterin des Sterling Bridge Fusionskraftwerks eingestellt. Ihre Mutter versucht ihr klarzumachen, dass dies kein Zufall gewesen ist. sondern das Werk von Magierinnen wie ihr selbst. Mavrana hat damit ein Problem: Sie glaubt nicht an Magie und an Hexen schon gleich gar nicht. Zornig lässt sie ihr Mutter stehen, nimmt sich ein Hotelzimmer. Ihr Problem: Sie bekommt ihr ersten Lohn erst in vier Wochen. Die Mutter ihrer besten Schulfreundin nimmt sie auf – auf Kredit. Auch sie muss wohl eine Hexe sein.

Als Sicherheitsleiterin löst sie Alfred McCree ab, der sich fortan um die Beschaffung von IT-Geräten kümmert. Er gibt ihr die erste Führung. Sie will es sich nicht eingestehen, aber er ist ein hinreißender Mann. Sie lehnt alle Einladungen ab, aber als er zwei Karten für ihre Lieblingsband präsentiert, kann sie nicht nein sagen. Der Abend, an dem leider auch ihre Mutter zugegen ist, wird ein wunderbarer, um nicht zu sagen: wundersamer Erfolg. Die Bandmitglieder laden sie zur einer Privataudienz und – ist es zu fassen? – einem Partyabend ein. Sie revanchiert sich mit einer Einladung ins Kraftwerk. Wie wahrscheinlich ist das alles denn? Alfred, der gute Alfred kann es ihr auf die Zahl nach dem Komma sagen: über 4000 zu 1.

Der nächste Tag. Gerade als die Bandmitglieder – und auch ihre Mutter, ist es zu fassen? – anwesend sind, kommt es zu einem Super-GAU im Kraftwerk. Eines der Ventile für Kühlwasser will sich ums Verrecken öffnen, doch wer weiß Rat? Mami, ausgerechnet!

Mein Eindruck

Diese Story führt fort, was Lester del Rey 1940 mit der Erzählung „Nervensache“ und Robert Heinlein 1940 mit „Blow-ups happen“ angefangen haben: beide schildern Unfälle im Atomkraftwerk. Hat Magie ein Erdbeben verursacht? Mavrana hält es nicht für unmöglich. Und nun soll Magie helfen – ist das nicht ein bisschen viel Geprotze seitens der Hexen (falls es welche sind)? Wissenschaft trifft auf Zauberei, und der Mutter-Tochter-Konflikt sorgt für die emotionale Achterbahnfahrt.

Es bleibt dem Leser überlassen, ob er, wie Mavrana, findet, dass all diese Ereignisse ein bisschen zu unwahrscheinlich sind. Aber darin liegt ja gerade der Reiz bei der Lektüre.

8) Galad Elflandsson: Ein Akt des Glaubens (An Act of Faith)

Norwegen um das Jahr 1000. König Olaf Trygvasson befiehlt allen seinen Jarls und ihren Untertanen, dem alten Glauben abzuschwören und den weißen Christus als neuen Gott anzubeten. Viele Jarls weigern sich, manche Sippen wandern aus, bis nach Island und Grönland, doch etliche Sippen erleiden ein viel traurigeres Schicksal.

Astrid Arwensdottir ist eine Schamanin, die sich als Tochter der Göttin Freya betrachtet. Sie lebt unweit des Dorfes von Bjarne Einarsson in einer Kate und hofft, bald dessen Bruder Baard heiraten zu dürfen. Die Erlaubnis hat sie als freigelassene Sklavin vom Jarl selbst einholen müssen. Doch als sie vom herunterkommt und auf ihre Kate zugeht, sieht sie dicken dunklen Rauch emporwallen. Dann entdeckt sie ihren Verlobten Baard, der, durchbohrt von Pfeilen, im Sterben liegt. Es war ein Priester namens Frodi, dessen Krieger das Massaker an Bjarnes Sippe anrichtete: Keiner sei entkommen, sagt Baard. Doch das stimmt nicht. Sigvat, der Schmied, ist stark genug gewesen, seine Gegner zu besiegen und Astrids Kate zu erreichen.

Erst als Sigvat seine Geschichte vollständig erzählt und sie Freya befragt hat, weiß Astrid, worin ihre Aufgabe besteht: Vergeltung. Sie verfügt über drei Familiare, also Schutzgeister: einen Raben, ein Eichhörnchen und einen kleinen Bären. Sie führt das Ritual des Gestaltwandels aus, doch erst, nachdem sie Allvater und dessen Gattin Freya in Asgard befragt hat. So eine Geistreise ist anstrengend, doch mit der Berserkerstärke eines Riesenbären und von Sigvat unterstützt, gelingt es ihr, die Garnison der christlichen Soldaten des Königs unten im Dorf anzugreifen. Vor der Kirche des weißen Christus, der Frieden und Vergebung verspricht, aber in Wahrheit Tod und Verderben bringt, kommt es zum Showdown mit den Soldaten – und mit dem Priester Frodi…

Mein Eindruck

Thor steh mir bei, aber das ist eine Hammer-Story, die mich richtig mitriss. Natürlich sollte der Leser ein wenig Basiswissen über die altnordische Götterwelt mitbringen, aber wer die TV-Serie „Vikings“ gesehen hat, der hat eine Vorstellung davon, welche Götter, Riesen und Orakel (Mimir, die Nornen) es sind, mit denen Astrid, die Junghexe, es zu tun bekommt. Durch Beorn, den Gestaltwandler in Tolkiens Roman „Der kleine Hobbit“, ist der Leser auch mit der Vorstellung vertraut, dass bestimmte Menschen ihre Gestalt in die eines Tieres verwandeln können. Astrid wird buchstäblich ein Bär-Serker (siehe „Vikings“) und reißt ihre Gegner in Stücke. Erst als sie auch Frodi in den Klauen hält, erkennt sie in dessen geist einen Schrecken, der noch größer ist als sie selbst…

Der Leser sollte neben diesem Grundwissen auch einen robusten Magen und gute Nerven mitbringen. Eine eindringlichere Warnung vor dem Christentum und seinen bewaffneten Verfechtern lässt sich schwerlich vorstellen.

9) Jean Lorrah: Der Pakt mit dem Teufel (Witch Fulfilment)

Mary Sue Clyatt erkennt an ihrem 26. Geburtstag, dass sie hässlich ist: übergewichtig, pickelig und sogar noch jungfräulich. Also ganz anders als die Heldinnen in den Romanzen, die sie liest oder im Fernsehen vorgesetzt bekommt. Wo bleiben all die Prinzen und Magnaten, die eigentlich um sie werben müssten? Dieser Zustand muss ein anderer, beschließt sie und zeichnet daheim ein Hexagramm, das mit allen Vorsichtsmaßnahmen ausgestattet ist. Dann ruft sie den Teufel herbei, damit er ihr helfe.

Es ist nur irgendein armer Teufel, der erscheint und ihr den Standardvertrag überreicht. Sie verspricht ihm nach Ablauf von zehn Jahren ihre Seele, sofern sie Liebe und Abenteuer, Schönheit und Gesundheit geschenkt bekommt. Gebongt! Sie muss mit ihrem eigenen Blut unterschreiben, versteht sich, und das in siebenfacher Ausfertigung. (Merke: Bürokratie ist höllisch!)

Gleich am nächsten Morgen wird sie vor ihrer Haustür entführt. Das Abenteuer beginnt!

Mein Eindruck

Was für ein Absturz in Qualität und Spannung nach dem fulminanten Astrid-Abenteuer. Mary Sue Clyatt, die alsbald Mariamne heißen wird, erlebt ein abgedroschenes Abenteuer nach dem anderen, bekommt eine Tochter und landet nach zehn Jahren in der Hölle. Soviel dürfte vorhersehbar sein. Dass die zweite Ehe aber direkt aus Daphne du Mauriers Roman „Rebecca“, verfilmt von A. Hitchcock, entnommen ist, hätte ich nicht erwartet. Natürlich soll dies eine Parodie sein, aber jeder, der den Film gesehen hat, weiß, wie die Sache ausgeht: Manderley, pardon: Wonderly wird brennen! Wie gesagt: in jeder Hinsicht ein Tiefpunkt dieser Auswahl.

10) Charles Saunders: Ishigbi (dito)

Im heiligen Hain der toten Ahnen wird von einer älteren Frau ein krasser Frevel begangen. Die Folgen lassen nicht lange auf sich warten. Beim gleichzeitig stattfindenden Yam-Fest der Akana, einem Unterstamm der Ashanti, fällt der Medizinmann Kipchoge bewusstlos vornüber. Seine Frau und sein Sohn sind ebenso besorgt wie der Unterhäuptling Ekupanin und der Wahrsager. Als die Frau über Kipchoges Gesicht fährt, vermeint sie Blut zu spüren und schrickt zurück.

Stunden später kommt Kipchoge im Götterschrein zu sich und erzählt, was es mit seinem Zustand auf sich hat. Er und seine Zwillingsschwester Ishigbi wurden von ihrem Stamm verstoßend zu den Aussätzigen gebracht. Doch auch die wollten sie nicht und gaben sie zu den Zauberern von Kambui im Nyanza-See. Dort erlernten sie schreckliche Fähigkeiten wie etwa die, aus der Ferne zu töten. Im Unterschied zu seiner Schwester entwickelte Kipchoge Gewissensbisse und lernt nur weiße Magie, also Dawa, wohingegen Ishigbi aus Schwarze Magie, also Mchawi. Kambui entdeckte den Verrat und um sicherzugehen, verbannte er Ishigbi gleich mit. Sie flohen in der Gestalt heiliger Kraniche.

Ekupanins Vater fand lediglich Kipchoge, denn Ishigbi war von einem Blitz getroffen worden. Kipchoge hat sein Wissen über Weiße Magie zum Nutzen des Stammes angewandt, aber nun sieht es so aus, als sei Ishigbi zurückgekehrt – und mit ihr bereits die erste Anwendung Schwarzer Magie. Kurz darauf ist der erste durchdringende Schrei zu hören: Die Geister der wiedererweckten Ahnen fallen über die Lebenden her.

Jetzt muss sich Kipchoge etwas einfallen lassen. Er gesteht, dass ihm nichts anderes übrigbleibt, als ebenfalls Schwarze Magie anzuwenden, aber das werde ihn seine Heilkräfte kosten. Alle bitten ihn, etwas gegen die mörderische Angriffe der Geister zu unternehmen, während ein Bote zu den Ashanti gesandt wird. Es kommt zu einem erbitterten Showdown mit seiner Zwillingsschwester…

Mein Eindruck

Was wie eine überdrehte Geschichte aus der Feder von H. R. Haggard („Sie“, „König Salomons Minen“) klingt, ist grundsolide recherchiert und durchaus glaubwürdig geschildert. Schon die Saunders-Geschichte in Salmonsons Anthologie „Amazonen“ (siehe meinen Bericht) ließ aufhorchen, nun legt er ein weiteres Werk vor, das afrikanische Mythen und Glaubenselemente verarbeitet, als hätte es in Ostafrika nie europäische und arabische Invasionen gegeben.

Kipchoge und seine Schwester sind wie die zwei Hälften eines Ying-Yang-Symbols: die schwarze und die weiße Seite der Magie, Gut und Böse, vergebend bzw. rachsüchtig. Nun greift die Schwarze Magie die grenze zwischen den lebenden und den Toten an, und das Ergebnis ist sehr blutig. Aber Kipchoge weiß die lokale Magie zu nutzen: Sie besteht in der Verehrung des Zwillingspaars von Sonne und Mond. Das ergibt auf eine spezielle Weise durchaus Sinn. Wie der Zweikampf ausgeht, darf hier nicht verraten werden. Die Story ist eines der Highlights dieses Auswahl.

11) Katherine Kurtz: Bethane (dito)

Die alte Bethane lebt einsiedlerisch mit ihren Schafen auf der Heide. Keiner darf ahnen, dass sie eine der verfemten Deryni ist, eine Frau mit magischen Kräften. Eines Tages kommen vier adligen Kinder auf ihr Grundstück und jagen die Schafe auseinander, die sie gerade erst mühselig zusammengetrieben hat Sie schimpft sie aus, doch nur das Mädchen Bronwyn entschuldigt sich dafür.

Als sich einer der Jungs beim Herumtoben den Arm bricht, sind Bethanes Heilkräfte gefragt. Doch als sie merkt, dass der Junge ein Deryni ist, überwältigt sie die Erinnerung an jenen Tag, als ihr Verlobter Darrell, ein Deryni, sich vor den Leuten des Sheriffs für zusammengetriebene Deryni-Kinder einsetzte und dabei sein Leben opferte. Soll sie es jetzt diesem Jungen büßen lassen? Doch ein himmlisches Signal dient ihr zur Warnung und lässt sie ihren Groll unterdrücken. Der Junge erkennt mit seinen Deryni-Kräften, dass sie ihn vergiften wollte, doch nachdem sie ihn hat beruhigen können, erlaubt er ihr, seinen gebrochenen Arm zu richten und zu schienen.

Dass war nur klug, denn wenig später treffen die Soldaten der vier adligen Jugendlichen ein. Erst nachdem der Arzt die Arbeit Bethanes gutgeheißen hat, erlaubt ihr der Seneschall weiterzuleben.

Mein Eindruck

Auch die alte Kräuterfrau lässt sich nicht gerade als „Hexe“ bezeichnen, denn als Deryni sind ihr Gaben wie Gedankenlesen angeboren. Der Reiz liegt in der Frage, ob sie in der Lage sein wird, erlittenes Unglück zu vergeben oder ob sie dieses Leid weitergeben wird – an unschuldige Kinder. Weil die Deryni quasi die Juden von Gwynedd sind, ist Bethanes Entscheidung noch für den heutigen Leser von Bedeutung. Ganz besonders in Deutschland.

12) Diana L. Paxson: Das Rätsel der Hekaité (The Riddle of Hekaité)

Im antiken Lande Galia herrscht die erzählende Königin Anodea über das Volk, welches weiß, dass sie die Verkörperung der Macht der Göttin darstellt. Doch die Königin ist alt geworden und ihr Mann, Kadmos, hat ohne sie zu fragen mit dem Nachbarvolk der Kerinyoi einen Streit vom Zaun gebrochen. Blut ist geflossen, Vieh wurde gestohlen, es kommt zu blutigem Kampf und schließlich zur Invasion. Vor den Toren der Galia-Hauptstadt kommt es zur Schlacht. Kadmos führt die Krieger an, doch seine Linie schwankt. Da entsinnt sich Anodea der macht der Göttin, entblößt sich auf den Stadtmauern und bietet mit ihrem Goldschmuck einen ehrfurchtgebietenden Anblick. Ihre Gebete an die Göttin werden erhört. Kadmos kämpft wie ein Berserker und siegt, wird aber schwer verwundet.

Anodeas Trauer um den sterbenden geliebten Gatten ist groß, und deshalb geleitet ihre Seele seine Seele zu den Toren der Unterwelt, wo sie der Göttin in Gestalt der dunklen Hekaite begegnen. Sie bitte für Kadmos, sagt Anodea, doch die Göttin stellt eine Bedingung: Anodea muss Rätsel lösen und selbst Rätsel lösen. Verliert sie in diesem Wettstreit, wird dies üble Folgen haben. Und Anodea scheitert tatsächlich an dieser Aufgabe. Stattdessen geht die Macht der Göttin an ihre Tochter Tania über…

Mein Eindruck

Diana L. Paxson ist eine Könnerin. Das zeigte sie schon bei dem mit Marion Zimmer Bradley verfassten Artus-bestseller „Die Nebel von Avalon“ an den Tag, aber auch bei den vielen eigenen Romanen über kelto-britannische Frühzeit (siehe meine Berichte), über die Nibelungensage und viele weitere Romane stellte sie dieses Können unter Beweis.

Die vorliegende Geschichte beeindruckt nicht nur durch ihren plausiblen Detailreichtum, sondern auch durch das lebhaft und anrührend gestaltete Innenleben der Hauptfigur Anodea. Sie und ihr Mann Kadmos schlagen eine Armee in die Flucht. Anschließend nehmen sie es mit der Totengöttin Hekaite auf, die die älteste Verkörperung der Göttin darstellt (nach der Amazone und der Mutter). Na, wenn das keine Heldin ist!

13) Jayge Carr: Wiedervereinigung (Reunion)

Brancel ist ein Heiler, der mit der jungen Kira auf der Flucht vor dem Krieg ist, in dem er seine Seelenruhe eingebüßt hat. Seiner Familie musste er davor seine linke Hand opfern, die verbrannt wurde, um ein Mann zu werden. Es ist verständlich, dass er einer Pause auf der Reise zustimmt, als sie eine saftig-grüne Wiese passieren. Kira sammelt sofort begeistert Kräuter für ihren geliebten Heiler, während er sich ausruht.

Der idyllische Frieden wird jäh beendet, als sich der Boden öffnet, eine schwarze Kutsche hervorbricht und der Kutscher Kira kurzerhand entführt. Nachdem sich die Erde geschlossen hat, sieht alles wie vorher aus, doch Brancels Zukunftsträume sind zerstört. Als eine junge, unglaublich schöne Frau aus dem Nichts materialisiert, antwortet er auf ihre Begrüßung etwas unwirsch – ein schwerer Fehler. Sie hat ein entspanntes Verhältnis zu Bekleidung und trägt über ihrem weißen Astralkörper nur einen Umhang.

Zu seiner Verblüffung bietet sie ihm an, Kira zurückzuholen. Aus dem Schattenreich? Aber sicher doch. Zusammen ziehen sie los, Kira das Los der Toten zu ersparen. Dass seine Führerin die Liebesgöttin selbst ist, hätte ihn warnen sollen. Bekanntlich hat sie zum Gott der Unterwelt ein ganz spezielles Verhältnis…

Mein Eindruck

Diese witzige Erzählung à la Orpheus ist flott erzählt und weist, wie oben angedeutet, etliche Wendungen auf, die die nicht nur den Leser kalt erwischen. Brancel und die weiße Göttin machen einen Deal mit dem Herrn des Schattenreiches, der einiges zu wünschen übriglässt. Aber bis Brancel seine Kira wiederbekommt, bietet die Liebesgöttin ihm eine Spezialbehandlung an. Und wer würde schon einer Göttin widersprechen? Dieser Beitrag ist nicht nur der längste, sondern auch der einfallsreichste dieses Bandes.

Die Übersetzung

S. 25: „Da stand in romantischen Lettern“: Vielleicht in romanischen / römischen Lettern?

S. 39: „war er die die anderen, die es auch getan hatten.“ Ein einziger Buchstabe kann einen großen Unterschied ausmachen. Sinnvoller wäre: „“war er wie die anderen…“

S. 41: Die Menschen haben eine neue Fähigkeit entwickelt, will man der Übersetzung glauben: Telephatie! „…hatten sie bereits telephatisch seine nächsten Worte vorausgeahnt.“ Gemeint ist wohl „telepathisch“.

S. 42: „…bis hin zu wassergefüllten Scheiben und Scheiben aus schwarzem Onyx.“ Ich schlage vor, aus den einen Scheiben einfach „Schalen“ zu machen.

S. 82a: „dass [d]er König tot wäre und der Herzog…“ Das D fehlt.

S. 82b: „Dörfer, so sich die Menschen offen und furchtlos auf der Straße zeigten.“ Macht man „wo“ aus dem „so“, erhält der Satz einen Sinn.

S. 87: „dann es gab zu viele blutige Fehden…“. Dieser kausale Satz begründet einen Sachverhalt (Fehden), deshalb muss es statt „dann“ besser „denn“ heißen.

S. 91: „Das Feldband, dem sie nun folgte, war zerklüftete.“ Ich habe noch keine zerklüfteten Felder gesehen, wohl aber solche Felsen. „Felsband“ trifft den Sachverhalt wohl besser.

S. 164: „Dieses Werk ist so neu, dass noch nicht einmal Manuale geschrieben wurden.“ Unter „Manualen“ (engl. „manuals“) sind Handbücher zu verstehen.

S. 188: „bevor ich den gloriosen Weg der Freiheit gehe.“ Mit dem unüblichen Ausdruck „glorios“ ist vermutlich „ruhmreich“ gemeint.

S. 212: „sie konnte den veralterten Schriftgrad des Kleingedruckten nicht entziffern.“ Das Kleingedruckte hat meist einen kleineren Schriftgrad, das ist schon richtig. Aber um „veraltet“ zu sein, muss wohl eine Schrift-ART herangezogen werden, beispielsweise Times Roman.

S. 216: „[an] einen Kusin aus Österreich“: Dieser Vetter aus Dingsda wird hierzulande „Cousin“ geschrieben.

S. 219: Hier fehlt ein wichtiges Wort: „Mrs. Knightly tot? Das hat die Polizei behauptet, aber sie ist [nie] gefunden worden. Nein, sie ist nicht tot…“ Das „nie“ fehlt.

S. 275: „Die Männer werden ohne sich anfangen, wenn du nicht bald kommst.“ Offensichtlich ist hier ein Buchstabe vertauscht worden. Ersetzt man hingegen „sich“ durch „dich“, wird ein Schuh draus.

S. 304: „Machen sie auch dir auch einen Schild?“ Einmal „auch“ reicht völlig, also muss ein „auch“ sinnvoll ersetzt werden. mein Vorschlag: „Machen sie aus dir auch einen Schild?“

S. 321: „e[r]füllen“: Das R fehlt.

Unterm Strich

Die Auswahl dieser Originalgeschichten ist von gutem Durchschnitt, doch es gibt ein paar herausragende Beiträge. „Bethane“ und „Wiedervereinigung“ sind solche, vor allem aber „Ein Akt des Glaubens“ (von dem Kanadier Galad Elflandson). Ich könnte noch etliche weitere Beispiele aufzählen, aber auffällig ist, dass kein einziger Beitrag das Klischee der europäischen Hexe bedient, die auf dem Scheiterhaufen endet. Damit ist die Vorgabe der Herausgeber erfüllt.

Von 13 AutorInnen sind nur zwei männlich, was die Anthologie zu einer Frauenangelegenheit stempelt. Besonders die Routiniers wie Andre Norton, Diana Wynne Jones, Tanith Lee und C.J. Cherryh liefern gute Qualität ab. Aber es muss auch Grenzgänger und Tabubrecher geben. Dafür sind viele der anderen Beiträger zuständig, wie etwa Jacqueline Lichtenberg oder Charles Saunders (Kanada). Die Einleitungen zu diesen – wie allen anderen AutorInnen – sind für mich als Sammler mit das Wertvollste an diesem Band.

Ausfall

Der m.E. einzige Ausfall ist die Geschichte von Jean Lorrah. Schon der O-Titel „Witch Fulfilment“ deutet die Parodie an, die hier beabsichtigt war. Nirgendwo wir gesagt, woher die Hauptfigur ihre Hexenkräfte bezieht. Ihre Magie scheint eher darin zu bestehen, Gatte Nr. x indirekt ins Jenseits zu befördern, um ihn beerben zu können. Natürlich landet sie durch ihren Pakt mit dem Teufel in der Hölle, aber die ist auch nicht, was sie mal war. Ich habe versucht, darüber zu lachen, aber es hat nicht geklappt.

Hinweis

Die Titelillustration bedient v.a. männlich gepolten Voyeurismus, was Männer dazu verleiten sollte, diesen Band zu erwerben. Dem widerspricht der Inhalt: Von 13 Geschichten stammen elf von Frauen. Und die haben nicht vor, männlichen Voyeurismus zu bestärken. Die Käuferin sollte sich also nicht von der halbnackten Frau auf dem Cover irritieren lassen.

Taschenbuch: 328 Seiten
O-Titel: Hecate’s Cauldron, 1982
Aus dem US-Englischen von Rosemarie Ernsting-Heinemann.
ISBN-13: 978-3404130030

www.luebbe.de

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