Die USA im 23. Jahrhundert: Den Frauen wurden alle Rechte entzogen, die sie sich im 20. Jahrhundert erkämpft hatten. Es ist ihnen untersagt, gehobene Berufe auszuüben, ohne Einwilligung der Ehemänner Geldgeschäfte zu tätigen oder sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen. Sie werden von den Familienoberhäuptern wie Haustiere gehalten und eingesetzt.
Den Frauen der sogenannten Linguisten-Dynastie ergeht es nicht anders. Doch ihnen und ihren Kleinkindern kommt eine besondere Aufgabe zu: Sie sollen Kontakt zu den verschiedenen raumfahrenden Völkern herstellen, denn nur das Gehirn von kleinen Kindern im vorsprachlichen Alter ist noch formbar genug, um die fremdartigen Sprachmuster zu erlernen, sodass sie später als Dolmetscher arbeiten können. Diese mühselige und frustrierende Arbeit ist zugleich die größte Chance der Frauen, sich eine eigene Geheimsprache zu schaffen, um sich so ein winziges Stück Freiheit und Unabhängigkeit zu erkämpfen. (Verlagsinfo)
Die Autorin
Suzette Haden Elgin wurde am 18. November 1936 in Jefferson City, Missouri, als Patricia Anne Wilkins geboren. Um sich ihr Linguistikstudium an der University of California zu finanzieren, begann sie in den späten Sechzigerjahren mit dem Schreiben von Science-Fiction-Romanen und -Stories, die sich vor allem mit Themen wie Feminismus und Sprache auseinandersetzen. Elgin wurde schnell zu einer der prominentesten Vertreterinnern für feministische Science-Fiction, denn ihrer Ansicht nach könnten Schriftsteller nur in diesem Genre wirklich ausloten, wie eine Welt aussähe, in der die Frauen den Männern gleichgestellt wären. 1973 machte sie ihren Doktor in Linguistik und war die erste Studentin, die ihre Dissertation sowohl auf Englisch als auch auf Navajo schrieb.
Sie konstruierte eigens für ihr Science-Fiction-Universum Native Tongue, zu dem die beiden Romane „Amerika der Männer“ und „Die Judasrose“ gehören, die künstliche Sprache Láadan, um den Frauenfiguren eine eigene, feministische Ausdrucksform zu geben.
1985 veröffentlichte sie eine Láadan-Grammatik, die unter http://www.sfwa.org/members/elgin abgerufen werden kann. Elgin nahm 1972 eine Professur für Linguistik an der San Diego State University an, die sie bis zu ihrer Emeritierung 1980 innehatte. 1978 gründete sie die Science Fiction Poetry Association, um SF-Gedichte zu promoten. Mit ihrem zweiten Ehemann George Elgin lebte sie in Arkansas, wo sie am 27. Januar 2015 im Alter von 78 Jahren starb. (Verlagsinfo)
Die amerikanische Autorin war Linguistin und in San Diego Dozentin für Indianersprachen kein Wunder, das es in fast all ihren Romanen – dies ist beileibe nicht ihr erster – um Sprache, Rechte und Verstehen geht. Sie gehört wie Joanna Russ und Suzy McKee Charnas zu den feministischen Autorinnen in der Science Fiction.
Belletristik
Coyote Jones-Serie
1 The Communipaths (1970)
Deutsch: Der Q-Faktor. Fischer Orbit #17, 1972, ISBN 3-436-01639-X 1972.
2 Furthest (1971)
3 At the Seventh Level (1972)
4 Star-Anchored, Star-Angered (1976)
5 Yonder Comes the Other End of Time (1986)
For the Sake of Grace (1969, Kurzgeschichte)
Deutsch: Gnade für eine Eingeschlossene. In: Walter Spiegl (Hrsg.): Science-Fiction-Stories 36. Ullstein 2000 #67 (3046), 1974, ISBN 3-548-03046-7.
Communipath Worlds (1980, Sammelausgabe der Teile 1 bis 3)
Native Tongue-Trilogie
1 Native Tongue (1984)
Deutsch: Amerika der Männer. Heyne SF&F #4412, 1987, ISBN 3-453-00426-4.
2 The Judas Rose (1987)
Deutsch: Die Judasrose. Heyne SF&F #4651, 1990, ISBN 3-453-03915-7.
3 Earthsong (1994)
The Ozark-Trilogie
1 Twelve Fair Kingdoms (1981)
2 The Grand Jubilee (1981)
3 And Then There’ll Be Fireworks (1981)
The Ozark Trilogy (1982, Sammelausgabe)
Handlung
Frauen sind im erzkonservativen Amerika des 23. Jahrhunderts, wie es die Moral Majority unter Reagan anstrebte, fast vollständig diskriminiert. Den Frauen wurden alle rechte entzogen, die sie sich im 20. Jahrhundert erkämpft hatten. Es ist ihnen nun untersagt, gehobene Berufe auszuüben, ohne Einwilligung des Ehemanns Geldgeschäfte zu tätigen oder sich einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen.
Den Frauen der berühmten Linguisten-Dynastien geht es nicht anders. Auch sie werden von den Familienchefs wie Haustiere und Gebärmaschinen gehalten und eingesetzt. Den Frauen und ihren Kleinkindern fällt die schwierige Aufgabe zu, Kontakte mit den verschiedenen raumfahrenden Rassen herzustellen und auszubauen, mit denen die Erde Handelsbeziehungen pflegt.
Allein das Gehirn von Babys und Kleinkindern im Vorschulalter ist noch formbar genug, um die fremdartigen Denk- und Sprachmuster von Aliens zu erkennen und sie in eine Menschensprache zu übersetzen (eine gewagte These!), um dann später als Dolmetscher dafür tätig sein zu können. Für diesen Job müssen die Frauen sehr viele Babys gebären.
Frauensprache
Diese mühselige und frustrierende Arbeit ist zugleich die einzige Chance für die Frauen, eine Geheimsprache namens La’Adan zu schaffen. Diese wird von den Männern nicht verstanden, so dass die Frauen wenigstens ein winziges Stück Freiheit und Unabhängigkeit abknapsen können. So nimmt der Originaltitel „Native Tongue“ – Muttersprache – einen buchstäblichen Sinn an.
Schon nach einer Generation können die Frauen die Sprache ihren kleinen Töchtern beibringen. Die Männer registrieren zwar das veränderte Verhalten ihrer Frauen, aber nur das Oberhaupt der Familien erkennt schließlich den wahren Sachverhalt. Er wird von einer klugen und mutigen Frau zum Schweigen gebracht (Leben oder Streik!).
Eine Nebenhandlung dreht sich um die Versuche der Regierung, die Sprache eines Alien zu lernen. Den Linguisten wird nicht geglaubt, dass dieser Kontakt nicht möglich ist. Bei den Versuchen sterben die eingesetzten Kinder auf grausige Art und Weise…
Mein Eindruck
Der Roman ist, wie man sich denken kann, nicht unbedingt für Männer geschrieben. Reichlich schonungslos entlarvt die Autorin die „Überlegenheit“ der Männer als Fassade, denn ohne das Handeln und Reden der Frauen im Hintergrund wären die Männer arm dran. Leserinnen, die das männliche Verhalten eh schon aus der Realität kennen, finden wohl mehr Interesse an den linguistischen Aspekten der Handlung. Ob nun eine Frau oder ein Mann das Buch liest – es macht an einigen Stellen unweigerlich zornig.
Ob nun eine Frau oder ein Mann das Buch liest – es macht an einigen Stellen unweigerlich zornig und erinnert an den männlichen Chauvinismus eines Donald J. Trump, der eine Frau nach der anderen beleidigt und/oder ausnutzt. Nicht zuletzt sein beleidigendes Auftreten haben die #MeToo-Kampagne und -Debatte ausgelöst.
Zwar kommen trotz der deutlichen Botschaft die Originalität und die Unterhaltung nicht zu kurz, doch sind Schwächen im Handlungsaufbau, in der Prämisse – 1991 wird angeblich ein Verfassungszusatz verabschiedet, der die Frauen „aufgrund wissenschaftlicher Beweise“ auf eine Stufe unter die Männer stellt – und in der penetrant negativen Zeichnung aller Männer (ohne Ausnahme) unübersehbar. Aber er nimmt das Thema von Ted Chiangs Erzählung „Story of Your Life / Arrival“ vorweg.
Hinweise
Während das Klingonische, eine Sprache des Krieges, die die Wahrnehmungen von Kämpfern ausdrücken soll, eine große Anhängerschaft unter den Trekkies hat, ist Suzette Haden Elgins feministische Sprache Láadan aus ihrer Native-Tongue-Romanreihe kaum bekannt – obwohl sie die erste Kunstsprache seit der Hildegards von Bingen ist, die von einer Frau (und obendrein einer Sprachwissenschaftlerin) erschaffen wurde. Bezeichnend, nicht wahr?
In einem Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Dr. Kim Wells sagte Haden Elgin, dass es sie erstaune, dass die meisten Frauen keine Science-Fiction lesen würden. Science-Fiction sei das einzige Genre, in dem nicht nur die besten Romane von Frauen geschrieben worden seien, sondern diese Frauen (und einige Männer) auch die Möglichkeit hätten, eine Welt zu gestalten, in der es den Faktor [X] – gemeint ist jeder beliebige Faktor in unserer realen Welt, durch den Frauen unterdrückt und eingeschränkt werden – nicht gibt.
Dr. Kim Wells von womenwriters.net gegenüber erklärte Suzette Haden Elgin, dass sie mit der Kunstsprache Láadan, die sie 1984 eigens für ihre Native-Tongue-Romane geschaffen hatte, als linguistisches Experiment ansah. Ihre Hoffnung sei gewesen, dass nach zehn Jahren einer der beiden Fälle eintreten würde: (1) Frauen würden Láadan als die Sprache anerkennen, die das, was sie aussagen wollen, auch ausdrücken kann, oder (2) Frauen würden feststellen, dass Láadan nicht in der Lage ist, das auszudrücken, was sie aussagen wollen, und eine bessere feministische Sprache entwickeln. Da keiner der beiden Fälle eingetreten ist, kam Elgin zu dem Schluss, dass die existierenden Sprachen den Frauen offenbar genügten, um ihre Bedürfnisse auszudrücken. Allerdings sei sie mit zweiundsechzig erfahren genug, um zu vermuten, dass sprachökonomische Gründe dahinter steckten. Außerdem hätten sie wesentlich mehr Männer als Frauen auf Láadan, zu dem sie eine Grammatik und ein Wörterbuch veröffentlichte, die auf www.sfwa.org/members/elgin abgerufen werden können, angesprochen.
Das komplette Interview können Interessierte in englischer Sprache auf www.womenwriters.net/editorials/hadenelgin.htm lesen.
Seit 2016 sind beide Bände der Native-Tongue-Dilogie als kostengünstiges E-Book erhältlich.
Taschenbuch & E-Book: 474 Seiten
Originaltitel: Native Tongue, 1984
Aus dem Englischen von Horst Pukallus.
ISBN-13: 9783453004269
www.heyne.de
Der Autor vergibt: