Kôji Suzuki – Ring. Horror-Roman

Dies ist die Romanvorlage für die japanische und die US-amerikanische Verfilmung „The Ring“: ein Gruselschocker, der in Japan eine Renaissance des Psychohorrors auslöste und acht Millionen Exemplare von der Ring-Saga verkaufte. Die Unterschiede zur US-Verfilmung, die ich kürzlich gesehen habe, sind erheblich. Ich gehe in meinem Bericht darauf ein. Wer den US-Film kennt, wird die Unterschiede interessant finden.

Der Autor

Kôji Suzuki wurde 1957 in Japan geboren und studierte an der Keio University. Er gewann 1990 mit dem Roman „Rakuen“ den japanischen Fantasy Novel Award, bevor ihm ein Jahr später mit „Ring“ der Durchbruch gelang. Drei weitere Romane aus der Mystery-Saga – ein Prequel und zwei Sequels – um das verhängnisvolle Videoband machten ihn in Japan zum Erneuerer des Psychohorrors. Auf dieser Saga basieren bislang drei japanische Kinofilme, doch erst die Dreamworks-Verfilmung von Gore Verbinski im Jahr 2002 brachte den ersten Teil der Saga auf den Radarschirm des internationalen Publikums. Man muss selbst entscheiden, welche Version besser gelungen ist. Eingefleischte Horrorfans meinen, es sei die japanische.

Handlung

Der japanische Reporter Asakawa Kazuyuki erfährt zufällig von einem Tokioter Taxifahrer, dass an einer Ampel wenige Tage zuvor ein junger Mann einfach so von seinem Motorrad fiel – und natürlich das wertvolle Gefährt des Taxifahrers beschädigte. Etwas an diesem Vorfall macht Asakawa persönlich betroffen. Es ist die Uhrzeit: Zur gleichen Zeit, wohl auch am gleichen Tag, starb seine 17-jährige Nichte Tomoko Oishi. Noch eine weitere Übereinstimmung gibt es: Die beide jungen Menschen starben an Herzversagen.

Als noch zwei weitere Leichen mit den gleichen Übereinstimmungen gefunden werden, riecht Asakawa eindeutig eine Story. Aber da gibt es einen Haken. Zwei Jahre zuvor hat sich Asakawa bei einer Story über Okkultismus bis auf die Knochen blamiert. Daher verweigert sein Chef diesmal die Genehmigung für einen Artikel.

Seine persönliche Anteilnahme lässt Asakawa aber keine Ruhe. Er hat selbst Weib und Kind – was, wenn ein neuer Virus um sich greift? TBC und Pocken mögen ja schon 25 jahre lang ausgerottet sein, aber was ist mit AIDS oder einem neuen Virus des Militärs?

In Tomokos Kram findet er einen Mitgliedausweis für eine Ferienanlage in den Bergen. Er lautet nicht auf ihren Namen. Als Asakawa in der ordentlichen, absolut unverdächtigen Anlage eintrifft, mietet er die gleiche Blockhütte wie Tomoko und jene drei anderen „Opfer“. Opfer von was? Die Blockhütte ist absolut ohne Hinweise, und erst, als er überlegt, was sie wohl gemacht haben, um sich zu vergnügen, kommt er auf den Videorekorder. Aber normale Videos haben ja keine tödliche Wirkung. Daher sucht er beim Verwalter, und tatsächlich: ein absolutes No-name-Video steht im Regal.

Das Betrachten dieses Videos schockt und verwirrt den Reporter. Der Inhalt ist nur irritierend, doch die Warnung am Schluss beunruhigt ihn: Wer dieses Video sieht, muss binnen sieben Tagen sterben – nach einem Anruf. Und prompt klingelt auch das Telefon. (ring! ring!)

In Panik verlässt Asakawa die Ferienanlage und vertraut sich einem Jugendfreund an, Ryuji. Dies ist ein recht seltsamer Knabe: ein Philosophieprofessor, der allerdings Logik lehrt. Das ist schon ‚mal sehr förderlich für Asakawas Bemühungen, Licht in die rätselhafte Sache mit dem Todes-Video zu bringen. Allerdings hat Ryuji einen Haken: Er hat in der Oberschule gegenüber Asakawa zugegeben, eine Frau vergewaltigt zu haben. Vertraut man einem solchen Freund? Notgedrungen, ja.

Nachdem auch Ryuji eine Kopie des Videos bis ins Kleinste analysiert hat, stoßen sie auf merkwürdige Unstimmigkeiten: Es wurde nicht mit einer Kamera aufgenommen, sondern direkt in die Bildröhre des TV-Geräts gesendet, von dem der Videorekorder aufnahm. Nur ein Mensch mit übersinnlichen Fähigkeiten würde das fertigbringen, oder? Aber wozu? Und wer hat die Stelle auf dem Band gelöscht, die verrät, wie man den Fluch des Videos abwenden oder aufheben kann?

Die Antworten finden sich weit entfernt, sowohl geografisch als auch zeitlich. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt für die beiden Hobbydetektive. Und da inzwischen auch Asakawas Frau und Tochter das Video-Original gesehen haben, muss er auch um seine Familie bangen.

Mein Eindruck

In der Romanvorlage ist die Hauptfigur also ein Mann, im US-Film eine Frau: Rachel (Naomi Watts). Sein Helfer ist ein merkwürdiger Freund namens Ryuji, im US-Film ist es der Ex-Mann Rachels (Martin Donaldson). Beide Hauptfiguren haben ein Kind, aber nur Rachels Sohn Aidan ist ein Medium. Die Lösung des Rätsels finden beide in einer abgelegenen Region, in der sich eine Familientragödie zugetragen hat. Und beide müssen unter der Blockhütte, wo das Todes-Video entstand und erstmals wirkte, nach einem Brunnen suchen und hineinsteigen.

Doch die Wege, wie sie zu der Hintergrundgeschichte und zu diesem Brunnen gelangen, sind völlig verschieden. Die japanische Story ist viel stärker sexuell aufgeladen, was in der US-Version völlig verwässert, ja geradezu ostentativ ignoriert wird.

In beiden Fassungen ist die Urheberin des Todes-Video ein rachsüchtiges Mädchen, das noch aus dem Grab heraus Vergeltung verlangt. Wer nicht gehorcht, stirbt. Doch wodurch dem Fluch gehorchen? Asakawa und Rachel finden es beinahe zu spät heraus.

Das Mädchen starb in der Originalfassung nach einer Vergewaltigung. Sie beging quasi Selbstmord. Dieser Aspekt fehlt in der US-Fassung völlig, denn dort wird sie ermordet. In beiden Fällen besteht Grund zur Vergeltung. Ungewöhnlich ist die Methode: nicht Gedankenfotografie – das kennt man schon länger -, sondern ein per Gedankenenergie belichteter Videofilm. Die Pointe will ich hier natürlich nicht verraten.

Suzuki erzählt seine Geschichte relativ schnörkellos und ohne sich allzusehr um das Innenleben seiner Figuren zu sorgen. Lediglich die beiden Hauptfiguren Asakawa und Ryuji erhalten etwas mehr Tiefe. Asakawa als erstes Opfer zeigt beunruhigende Symptome geistiger Beklemmung, fast schon Umnachtung. Bei Ryuji sind die Symptome eher körperlicher Natur.

Was mir überhaupt nicht gefallen hat, ist der autoritäre und ruppige Umgang Asakawas mit seiner Frau Shizu (die Stille). Er scheißt sie regelrecht zusammen, teils aus Angst um sie, teils aus Wut über ihre Unbotmäßigkeit. Dennoch zeigt er eine erstaunliche Zärtlichkeit für seine kleine Tochter Yoko. Die amerikanische Rachel ist hingegen ganz anders. Sie hat für ihren Ex-Mann wenig Liebe übrig, kooperiert aber laufend mit ihm. Und für ihren Sohn Aidan hat sie viel Neugier und Liebe übrig. Normalerweise haben Reporter weniger Zeit zur Verfügung.

Unterm Strich

„The Ring“ (wörtlich: der Kreis, aber auch das Klingeln) ist ebenso wie der beste Stephen King ein detailliert recherchierter, vielschichtiger und höchst realistisch geschilderter Thriller um ein übernatürliches Phänomen. Das erinnert an Filme à la „Akte X“, doch das Grauen reicht weiter und endet auch nicht mit dem Schluss des Buches.

Wer will, kann noch mehr in die Geschichte hineininterpretieren: Videos als moderne Viren, die sich rasant ausbreiten – das steht schon im Buch. Ist damit eine Medienkritik verbunden? Oder Gesellschaftskritik? Das muss jeder für sich herausfinden.

Jedenfalls lohnt sich die spannende Lektüre. Ich habe das Buch in drei Tagen verschlungen. Die Übersetzung ist einwandfrei und gibt auch japanische Eigentümlichkeiten angemessen wieder.

Taschenbuch: 301 Seiten.
ISBN-13: ‎978-3453866799

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)