Suzuki, Kôji – Ring

Tokio 1989: Der Journalist Asakawa Kazuyuki stolpert durch einen Zufall über die Story seines Lebens. Ein Taxifahrer erzählt ihm von einem jungen Mann, der vor seinen Augen wie vom Blitz getroffen starb. Dasselbe Schicksal hat jüngst eine Nichte Kazuyukis getroffen – sie fand ihr Ende sogar in genau dieser Nacht. Ebenso traf es zwei weitere Jugendliche. Sie alle fürchteten sich offenbar zu Tode, und sie alle kannten sich!

Klar, dass der Journalist anbeißt. Er ermittelt, dass sich das Quartett in der Woche vor seinem Abgang in einer Ferienhauskolonie an der Küste eingemietet hatte. Kazuyuki schaut sich um in der kleinen Hütte, kann aber nur ein unscheinbares Videoband entdecken, das er sich selbstverständlich sogleich anschaut. Der Inhalt: eine Folge wirrer, unzusammenhängender, aber beängstigender Sequenzen, gefolgt von der Warnung, der Zuschauer sei binnen einer Woche tot, wenn er nicht … Genau an dieser entscheidenden Stelle bricht besagtes Video ab.

Kazuyuki ist beeindruckt, zumal er deutlich zu spüren bekommt, dass die gerade vernommene Drohung keineswegs leer ist. In seiner Not sucht er die Hilfe seines alten Freundes Ryuji Takahama, der ein genialer Philosoph und Gelehrter ist, welcher in seiner Freizeit gern junge Frauen vergewaltigt. Auch dieser betrachtet das Video und sitzt nun mit im Boot. Eine Woche bleiben ihm und Kazuyuki sich zu retten. Letzterer gerät in Panik, als er entdecken muss, dass seine neugierige Gattin heimlich den Rekorder in Gang gesetzt hat und dabei die Baby-Tochter auf dem Schoß hielt … Der Fluch wird auch diese Beiden treffen, wenn Kazuyuki nicht vor Ablauf der Frist des Rätsels Lösung findet.

Die unbarmherzig tickende Uhr im Nacken kommen Kazuyuki und Takahama der unglaublichen Geschichte der Sadako Yamamura auf die Spur. Das Drama um die hellseherisch begabte, aber vom Unglück verfolgte Frau liegt schon Jahrzehnte zurück, aber was ihr geschah, rechtfertigt durchaus einen Hass auf die Menschheit, den selbst der Tod nicht beenden kann …

Es war einmal … ein eigentlich gutes Mädchen, das die Schlechtigkeit der Welt in eine böse Hexe verwandelte, die einfach unkaputtbar ist; weil sie sich in Japan nicht ausgelastet fühlt, wechselt sie inkognito manchmal in die USA, wo sie als „Blair Witch“ ihr Unwesen treibt – nun, dieser letzte Teil ist eine Hypothese eures Rezensenten, den der vergleichbare Medienrummel um beide Spuk-Heroinnen darauf brachte.

Denn auch der Rummel um die „Ring“-Romane und vor allem -Filme ist vor allem ein Produkt der Werbung und der Medien. Wie immer stürzen sie sich wie die Geier darauf, was leichte Beute zu sein scheint und viel, viel Geld einbringen könnte. In diesem Fall war es die in Japan zum Horror-Tipp heranwachsende Geschichte eines verwünschten Videobandes, das den Kern zum Untergang der Menschheit beinhalten könnte. Die „Ring“-Saga ist inzwischen (welches Unwort!) „Kult“ geworden – und zwar ein echter, kein künstlich lancierter – und bewegt sich weiter auf die Endstation „moderner Mythos“ zu. Ist er erreicht (womöglich ist dies längst geschehen), läuft die „Ring“-Welt (und das Geschäft) à la „Star Trek“ von allein.

Dabei fragt man sich, was den „Ring“ so besonders werden ließ. Objektiv betrachtet, lesen wir „nur“ einen gut geschriebenen Gruselroman. Der Schauplatz mag uns europäischen Lesern etwas fremd sein, aber die Geschichte ist es sicher nicht. Rächender Spuk, verwunschene Grabstätten, tödliche Flüche – das ist wahrlich wenig originell.

Aber es sind Elemente des Horrors, die immer funktionieren, wenn man sie nur zu mischen weiß. Das gelingt Verfasser Suzuki sicherlich. Er geht ganz einfach vor (was stets eine gute Idee ist) und legt „Ring“ über weite Strecken fast dokumentarisch an. Die Suche nach der Geschichte hinter dem Videoband füllt viele Seiten. Wir verfolgen eine simple Suche, die immer wieder in Sackgassen endet, hier und da ein Puzzlesteinchen zum anderen trägt, bis sich schließlich das Gesamtbild fügt. Solche Detektiv-Geschichten fesseln immer; sie sind sogar interessanter als das Ergebnis, das zwangsläufig enttäuschen muss: noch’n böser Geist, der einen Dreh gefunden hat, es seinen Peinigern heimzuzahlen. Wäre da nicht Suzukis Gag, dem eigentlichen Spuk einen apokalyptischen Beifahrer aufzusatteln, hätte der „Ring“-Mythos wohl kaum eine Chance gehabt sich zu entwickeln.

Offen muss bleiben, was denn Suzuki zum „japanischen Stephen King“ machen soll. Anscheinend reicht es heute bereits, einen handwerklich sauber gedrechselten Horrorroman vorzulegen, um mit diesem Ehrentitel versehen zu werden. Die „Qualität“ der meisten Geschichten dieses Genres legen diesen Verdacht jedenfalls nahe.

Jedenfalls schießen „Ring“-Websites wie Pilze aus dem Boden. Manche sind sogar gut und führen den verwirrten Anfänger in das Sadako-Universum ein. Unter den von mir besuchten erfüllte diese hier ihre Informationspflicht am besten: http://ringworld.somrux.com ist außerordentlich ausführlich und wunderbar gestaltet. Hier kann man sich wirklich verlieren – und weiß anschließend auch noch mehr! So gab es in Japan wie in Europa zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen regelrechten Siegeszug des Okkultismus. Suzuki hat sich für seinen „Ring“ reichlich aus dieser Geschichte bedient, was ihre Stimmigkeit sicherlich unterstützt hat. Sogar für Sadako Yamamura gibt es eine historische Vorlage. Und wer glaubt, dass es ungebräuchlich ist, sich in einen Vulkan zu stürzen, darf sich wundern: Mehr als 300 Personen haben sich im Laufe der Zeit in den Krater des Mihara geworfen.

Japaner sind anders … Diese drei Worte bilden eventuell den Schlüssel zu einer Kritik, die man im Zusammenhang mit dem „Ring“-Roman immer wieder finden kann: Alle Beteiligten des Spektakels seien im Grunde ziemlich unsympathisch. Das trifft nicht nur auf den Feierabend-Frauenschänder Takahama zu (D i e s e s Detail ließ Hollywood bei der US-„Ring“-Verfilmung von 2002 besonders schleunigst unter den Tisch fallen), sondern fast noch mehr auf Asakawa Kazuyuki. Nicht nur, dass er seinen kriminellen Freund deckt – er ist auch sonst ein seltsamer Zeitgenosse. Seine Familie liebe er über alle Maßen, behauptet er mehr als einmal. Trotzdem ist er so gut wie niemals zu Hause bei Weib und Kind, selbst wenn er nicht von Dämonen gejagt wird. Niemand scheint dies für ungewöhnlich zu halten; besagtes Weib übrigens auch nicht. Die Arbeit geht halt vor im Land der aufgehenden Sonne!

Die liebe Gattin hinterlässt ohnehin – es sei an dieser Stelle politisch unkorrekt ausgesprochen – einen ziemlich trantütigen Eindruck. Dass Kazuyuki so um ihr Schicksal besorgt ist, kann man ihm kaum nachfühlen. Seinen Kumpel Takahama scheint er jedenfalls öfter (und lieber) zu sehen als die eigene Ehefrau.

Sehr gut hat Suzuki begriffen, dass er mit seinem Gespenst geizen muss. Sadako Yamamura greift niemals direkt in die Handlung ein. Wir erfahren nur Bruchstücke über ihr Leben, die uns aus den Mündern Dritter erreichen – ein kluger Kunstgriff, denn nichts ernüchtert in einer Horrorgeschichte normalerweise stärker als der Auftritt des Monsters, das unter Umständen auch noch langatmig seine Beweggründe erörtert. Sadako bleibt mysteriös, tragisch – und bösartig.

Erstaunen erregt beim westlichen Leser auch die noch heute offensichtlich ausgeprägte japanische Affinität zur Welt der Geister. Mr. King hätte viele hundert Seiten mit Text füllen müssen, bis seine aufgeklärten Landsleute begriffen und akzeptiert hätten, dass es irgendwo spukt. Kazuyuki und seine Gefährten, Kinder des aufgeklärten 20. Jahrhunderts, wissen sofort, dass es umgeht, und stellen sich darauf ein. Das irritiert bei der Lektüre, aber es drückt natürlich aufs Tempo – „Ring“ ist ein Roman ohne Langatmigkeit.

Wer ist Suzuki Kôji? Das hätte bis 1991 wohl auch in Japan kaum jemand beantworten können. Der 1957 geborene Schriftsteller rackerte da noch redlich um Lohn, Brot und Ruhm; für die ersten beiden musste für einige Jahre seine Ehefrau, eine Lehrerin, sorgen, was in einem Land, das Hausmänner kaum kennt, kein einfaches Los für Suzuki war.

Als Absolvent der Keio University in Tokio hatte er bereits 1990 einen „Fantasy Novel Award“ für seinen Roman „Rakuen“ gewonnen, aber erst „Ring“ gab seiner dahindümpelnden Karriere den ersehnten Schub. Aus dem Geheimtipp wurde Gruselvolkes Eigentum, als Regisseur Hideo Nakata 1998 den Roman verfilmte. Trotz vieler Veränderungen wurde „Ring“ zum internationalen Erfolg. (1995 gab es übrigens schon eine Fernsehfassung.)

Die „Ring“-Saga von Kôji Suzuki

Ring (1991, dt. „The Ring“)
Rasen (1995. dt. „Spiral – The Ring II“, Heyne TB Nr. 01/13918)
Loop (1998)
The Birthday (1999; Sammlung dreier Kurzgeschichten)