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Iain Banks – Welten

Science-Fiction-Romane erscheinen selten bis nie zwischen echten Pappdeckeln, doch um vom Kuchen überhöhter Buchpreise etwas abzuzwacken, verlegen sich die Verlage bei den Erstausgaben bekannter Autoren vermehrt darauf, sie in Form der sogenannten „Tradepaberbacks“ zu produzieren. Die Bücher erhalten dadurch die Maße und Ausmaße eines Hardcovers, ohne mit ihrem Inhalt diesem Umfang gerecht zu werden – die Täuschung des Kunden, der hier ein unhandliches Taschenbuch in Übergröße teuer bezahlen muss. Iain Banks‘ Romane eignen sich besonders für diese Art der Veröffentlichung, da man von ihm traditionell dicke und umfangreiche Romane erwartet. So hält sich die Augenwischerei in Grenzen.

Obwohl er sich mit der Space Opera „Der Algebraist“ in faszinierender Weise ein neues Universum schuf, kehrte er mit „Die Sphären“ in seine KULTUR zurück, konnte damit aber nicht überzeugen. Sein vorliegender neuester Roman entfaltet trotzdem nicht neue Facetten des Algebrauniversums, sondern entwirft erneut was eigenständiges, das zusammenhangslos in dem Kosmos Banks’scher Erzählungen steht. Trotz seines augenscheinlichen, paperbackinduzierten Umfangs ein schneller, intensiver Roman ohne die typischen ausufernden Längen Banks’schen Erzählstils.

Der Mann, dessen wahrscheinlichster und gebräuchlichster Name Temudschin Oh ist, hat ein besonderes Talent: Er kann mit Hilfe einer Droge zwischen den unendlichen Realitäten der Erde wechseln, in die Körper ausgesuchter Personen springen und dort eigenständig handeln. So erfüllt er im Auftrag des Konzerns (einer realitätsumfassenden Organisation) verschiedene Aufträge, deren Erfüllung Einfluss auf die Entwicklung der jeweiligen Realität nimmt und sie positiv lenkt. So denkt er.

Im Hintergrund arbeiten jedoch Strippenzieher, die neben der persönlichen Macht und Unsterblichkeit auch andere, den Forscherdrang der Menschen unterdrückende Ziele verfolgen und Temudschin und seinesgleichen für ihre Zwecke benutzen. Bis Tem eines Tages neue Talente entdeckt, die ihn der Kontrolle des Konzerns entziehen …

Adrian Cubbish hat offenbar gerade eine Glückssträhne: Er steigt vom gerissenen Drogendealer zu einem der mächtigsten Finanzmanager der Welt auf. Doch als sich ihm seine Mittelsmänner offenbaren, kann er es kaum glauben. Denn es gibt neben unserer Realität noch eine Vielzahl weiterer Welten, die von einem mächtigen Konsortium überwacht werden. Ehe sich Adrian versieht, ist er in ein weitreichendes Komplott zwischen diesen Welten verstrickt – und nicht nur sein Leben, sondern unsere gesamte Realität steht auf dem Spiel …
(Verlagsinfo)

Und wieder ein Beispiel für das ungeschickte Händchen, mit dem die Heyne-Redaktion die Klappentexte ihrer Romane gestaltet. Der erwähnte Adrian ist nicht viel mehr als eine Nebenfigur, die weder großen Einfluss auf die Geschichte nimmt, noch die im Klappentext suggerierte Erkenntnis der Zusammenhänge erlangt. Vielmehr thematisiert die Geschichte Intrigen, Machtgelüste, Geschlechtsverkehr in allen möglichen Spielarten, Folter, Solipsismus und Mord sowie den kleinen Menschen, der zwischen den Fronten steht und außergewöhnliche Leistungen erbringen muss, um nicht zerquetscht zu werden.

Banks nutzt in bisher unbekannter Ausführlichkeit sexuelle Begegnungen als erzählerische Untermalung für signifikante Dialoge, Stützpfeiler der Erzählung und Entwicklungs- und Wendepunkte. Selten sitzen die Entscheidungsträger und Protagonisten im stillen Kämmerlein zur Besprechung, sondern ergehen sich meist in ausschweifenden, durch die Realitätswechsel teils spektakulären Sexspielen, während ihre Unterhaltungen die Geheimnisse der Geschichte zu entschleiern suchen. Ob damit die Charaktere glaubwürdig geschildert werden, mag strittig sein, doch bezieht sich Banks dabei meist auf Temudschin Oh, der dadurch ja eine gewisse Charakterisierung erhält, die scheinbar auf beiden Seiten der Gegner bekannt ist und ausgenutzt werden soll. Andererseits erzählen sich die Figuren auch von ihren Erfolgen, die sie per Sex (in Hinsicht auf die Weltenwechsel) erzielten, sodass es ein Charakterzug des Konzerns wird und damit übertragbar auf jeden Angehörigen.

Banks zeigt aber mit den beiden wichtigsten Methoden zur Erzeugung starker Gefühle (Sex und Folter), wie in der Geschichte der Realitätswechsel funktioniert und beschreibt dadurch glaubwürdig, dass für dieses Talent die stärksten Gefühle nötig sind. Damit gewinnt der allgegenwärtige Sex eine neue Bedeutung, er ist quasi ein Resultat, eine logische Folge und Bedingung des Grundgedankens von „Welten“, denn wer würde sich für die andere Methode des induzierten Weltenwechsels entscheiden, wenn man es auch so kann?

Der Roman bewegt sich auf einigen unterschiedlichen Ebenen, die im ständigen Wechsel eine fast kaleidoskopische Reise durch die Erzählung darstellen und den Leser erstens rasch und intensiv in sich hinein ziehen (quasi den Realitätswechsel für uns erzeugen), zweitens von ihm auch geistige Beweglichkeit und Zusammenhangsgefühl fordern. So schleudert Banks den Leser zwischen den Ebenen hin und her und man kann nicht genau festlegen, auf welcher sich die Fäden endlich verbinden, um die Geschichte zum nötigen Zentrum zu leiten.

Es bleibt also überall gleichermaßen spannend und fordert beim Leser mehr Konzentration, um die oft angedeuteten Verbindungen zu erfassen und richtig einzuordnen. Gerade zum Ende muss man sich der Anfänge neuerlich gewärtig sein.

Während sich alles gut aus der Geschichte entwickelt, wirkt eine Figur fast wie ein Deus ex machina: die übermächtige, Realitäten kontrollierende und darüber verrückte Entität Bisquitine, derer sich der Konzern bedienen will, ohne die Folgen überblicken zu können. Zwar bemüht sich Banks um eine Einführung und man könnte sie als Produkt geheimer Forschungen sehen, doch in ihrer Wirkung drängt sich der leichte Verdacht einer Notlösung auf. Zum Glück gewinnt die Geschichte dadurch noch eine gute Seite: Sie lässt den Protagonisten nicht als Superhelden da stehen, sondern relativiert seine Talente wieder.

Trotz manchen abschreckender Dicke und unnütz aufgeblähtem Format als Tradepaperback einer der wertvollsten phantastischen Romane des Jahres. Banks hält seine Ausführlichkeit im Zaum zu Gunsten einer komplexen, faszinierenden Weltenschöpfung und intensiver Unterhaltung – eigenständig, einbändig und abgeschlossen.

Taschenbuch: 560 Seiten
ISBN-13: 978-3453527102
Originaltitel: Transition
Deutsch von Friedrich Mader

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Iain Banks – Die Sphären

Nach seinem letzten großartigen Roman »Der Algebraist«, der ein neues Universum mit Leben füllt, widmet sich Iain Banks mit dem vorliegenden Buch wieder seinem KULTUR-Universum. Der Heyne-Verlag preist diese Erzählung als »Opus Magnum« des Autors an und bietet mit dem Trade-Paperback eine schöne Plattform zwischen Taschenbuch und Hardcover. Die Titelbildgestaltung bedient sich eines Motivs aus dem Prolog des Romans und veranschaulicht wunderbar die Arbeit einer wichtigen Person des Geschehens.

Das war’s dann auch schon an Pluspunkten für den Verlag. Man schlägt das Buch auf und sieht große, angenehm lesbare Schrift auf dickem Papier, dem ein breiter unbedruckter Rand gelassen wird. Schon allein ohne diesen Rand bleibt die Größe eines Taschenbuchs, was sich natürlich im Preis widerspiegeln würde, denn mit 16 Euro ist er doch sehr hoch gesteckt.

Wie man bei der Lektüre feststellen wird, trifft der Klappentext in seinen wichtigen Aussagen daneben. Der Roman ist kein Trip durch die Galaxis in diesem Sinne. Wichtigste Bühne ist die Welt Sursamen. Die KULTUR, zu der auch die Menschen und ihre Modifikationen gehören, besteht keineswegs nur aus Menschen und widerlegt so die Behauptung, die Menschheit wäre bei ihrem Aufbruch ins All auf die Schalenwelten gestoßen. Und die Schalenwelten sind nach dem Tenor des Romans keinesfalls eine gigantische Falle für die menschliche Zivilisation.

Vielmehr handelt es sich um eine königliche Familiengeschichte voller Intrigen, Flucht und Suche nach Hilfe, in deren Begleitung eine äonenalte Gefahr für die ganze Welt befreit wird und bekämpft werden muss. Dabei entwickelt Banks neue interessante Facetten der Gesellschaftsform der KULTUR und der galaktischen Gemeinschaft und wirft neue Fragen auf, die nicht alle in dieser Geschichte beantwortet werden.

Trotz Banks‘ unbestreitbaren Hangs zu wortreichen Beschreibungen gibt es in Bezug auf technische Details keine unnötig pseudowissenschaftlichen Abhandlungen. Es wird nicht die Funktion beschrieben, sondern der Effekt, so dass von dieser Seite der Erzählfluss nicht verzögert wird. Anders ist es mit anderen Beschreibungen: Vor allem die Örtlichkeiten werden so detailliert und weitschweifig geschildert, dass man sich zeitweise gebremst fühlt und versucht ist, den Absatz zu überspringen. So wandern die Protagonisten mal durch einen endlosen Gang und verlieren sich in Gedanken über die Vergangenheit (teilweise wichtig zur Charakterisierung der Figur) oder komplett zusammenhangslosen Überlegungen. Hier hätte man sich einen rotstiftverliebteren Redakteur gewünscht.

An Sprache, Vokabular, Kreativität, Individualität und bewundernswerter Fantasie gibt es nichts zu kritteln. Es ist eine typisch Bankssche frische Erzählung von hohem Unterhaltungswert und mit diesem Adrenalin ausschüttenden Sog, der keine Müdigkeit zulässt.

Betrachtet man den Erzählungsverlauf, fällt Folgendes auf: Es läuft alles ganz zielgerichtet und flüssig und dreht sich auf zwei Ebenen um den Versuch der zwei Parteien, sich zu treffen. Hintergrund ist der Mord am König und Vater der beiden Personen. Der Weg dieser beiden Gruppen ist natürlich mit Problemen gepflastert. Ab dem Moment ihres Treffens strebt alles plötzlich dem Finale entgegen und wandelt sich in das kosmisch umfangreiche Thema, das nicht nur diese Familienkrise betrifft, sondern die ganze Galaxis. Es taucht ein unbemerkt eingeführter Gegner auf und fordert komplexen hochtechnischen Einsatz. Durch gnadenlose Vernichtung von Menschen löst sich der familiäre Konflikt auf und wandelt sich auf diesem letzten Abschnitt in den verzweifelten Versuch, diesen Gegner auszuschalten. Damit wird ein Großteil der erzählerischen Vorarbeit und Entwicklung des Romans in einem Schlag beiseite gewischt. Natürlich erhält das Ende durch seine kosmische Gültigkeit das wahre Flair der Science-Fiction-Erzählung gegenüber einem banalen Aufeinandertreffen von Mörder und Rächer. Aber der Weg dorthin liegt etwas zu sehr versteckt hinter dieser oberflächlichen persönlichen Geschichte.

Auf den Epilog kann man verzichten. Er dient nur als Rechtfertigung für die emotionale Entscheidung der Protagonistin im Prolog und die sich daraus ergebenden Konsequenzen. Dem Ende selbst fügt er keine spannende oder zu mehr Befriedigung führende Facette hinzu.

Insgesamt bietet der Roman ein sehr schönes, spannendes und befriedigendes Leseerlebnis in der grandiosen Welt von Iain Banks‘ KULTUR.

Originaltitel: Matter
Übersetzt von Andreas Brandhorst
Paperback, Broschur, 800 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52500-9

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)