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Moers/Meier/Bühring/Budéus – Die Beatles. Geschichte und Chronologie

Eine umfangreiche Beatles-Enzyklopädie

Dies ist die präzise und umfassende Chronologie des gesamten Schaffens einer Band aus Liverpool, die schließlich unter dem Namen „The Beatles“ doch noch recht bekannt wurde (statt unter „The Quarrymen“). Auf rund 700 Seiten Umfang liefert diese Chronologie eine Detailfülle, die den Leser schier erschlägt. Die Lust am Lesen kommt also erst am Detail. Man kann daher jede beliebige Seite außer dem Register aufschlagen und entdeckt interessante, kuriose oder einfach nur entdeckenswerte Informationen – und schon hat einen die Beatlemania am Wickel.
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Katherine V. Forrest – Töchter der Morgenröte (Band 1 von 3)

In einer recht nahen Zukunft bringt – entgegen eines Verbots – ein Raumfahrer eine Außerirdische mit auf die Erde. Die außerirdische Frau sieht umwerfend gut aus, gebärt viele Kinder und setzt ihren eigenen Kopf durch.

Viele Jahre später gibt es fast siebentausend weibliche Abkömmlinge, die mit den Genen ihrer Ahnin – liebevoll „Mutter“ genannt – versehen sind. Alle Frauen sehen gut aus, sind gebärfreudig und sehr intelligent. Die Mischung Mensch und Vernaerin führt auch dazu, dass nur Mädchen geboren werden und sämtliche Nachfahren einen starken lesbischen Trieb besitzen. Dazu kommt eine ungewöhnliche Langlebigkeit.

Die Welt ist nun im Wandel und kein Ort für solch eine Menschengruppe, die gleichzeitig auch das wertvollste Gut der Menschheit darstellt. Noch ahnt niemand etwas von dem intellektuellen Potenzial, doch handelt es sich dabei nur um eine Frage der Zeit. Mutter schart nun ihre Familie um sich und kann die meisten dazu bewegen, ihr zu folgen. Sie benennt die junge Megan zur Führerin und schon bald fliehen die meisten Frauen in den Weltraum.

Die Flüchtlinge haben eine neue Welt auserkoren, die es zu bewohnen gilt. Glücklicherweise gibt es nur wenige Gefahren. Schon bald entsteht ein weibliches Utopia in der Weite des Alls. Nur Megan ist unglücklich, da sie ein Mutter gegebenes Versprechen bindet. Doch als plötzlich ein irdisches Raumschiff mit vier Besatzungsmitgliedern erscheint, dreht sich auch für Megan das Liebeskarussell. Leider stellt die Besatzung auch eine große Gefahr für die Frauenkolonie dar…
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Sturgeon, Theodore – Ersten ihrer Art, Die

_Menschliche Evolution – nächster Schritt_

Ein Gruppenbewusstsein, das sich aus mehreren Menschen mit besonderen Talenten zusammensetzt, steht im Mittelpunkt dieses berühmten Romans, der 1954 mit dem |International Fantasy Award| ausgezeichnet wurde.

Nachdem die Ausgabe des |Heyne|-Verlags mit dem Titel „Baby ist drei“ schon längst vergriffen ist, besorgte der Hamburger Argument-Verlag eine lobenswerte Ausgabe mit einer ungekürzten und „völlig überarbeiteten“ Übersetzung. Dies ist ein wesentlicher Punkt, denn die Geschichte lebt zu einem großen Teil von der poetischen Sprache, in der Sturgeon sie verfasste.

_Handlung_

Zunächst werden im ersten Teil die verschiedenen Personen der Geschichte vorgestellt. Das ist einmal der „fabelhafte Idiot“, der dem Kapitel seinen Titel gibt. Er kennt kein Ich, hat keine Sprache, lebt wie ein Tier im Wald. Als er von einem wohlmeinenden kinderlosen Farmerspaar aufgenommen wird, erwirbt er einen Namen, Lein (von ‚allein‘), Sprache (er lernt aber nie Schreiben) und Liebe – was wohl das Wichtigste ist. Die Talente des Idioten Lein sind Telepathie und Empathie, also Übertragung von Gedanken und Empfindungen.

Er trifft auf ebenfalls empathiefähige Menschen. Evelyn, die Unschuld aus einem abgeschieden gelegenen Herrenhaus, stirbt nach Leins Einmischung in ihre Familie; doch später kommen die kleine Janie mit den telekinetischen Kräften (sie bewegt Dinge mit Gedankenkraft) und die beiden sprachgestörten farbigen Zwillinge Beanie und Bonnie, die teleportieren können: Sie bewegen sich selbst von Ort zu Ort per Gedankenkraft. Hinzukommen weitere Teile des entstehenden Gestaltwesens: ein mongoloides Baby, dessen Geist arbeitet wie ein Computer und das seine Ergebnisse telepathisch überträgt; und schließlich Gerry, ein Junge, der nur hassen kann.

Dieses Häuflein Menschen, das einsam und geschützt in einer Hütte im Wald lebt, entdeckt erst spät (eigentlich nur Lein, dann Gerry), dass es sich vom Rest der Menschheit erheblich unterscheidet. Einzeln sind die Kinder und Lein schwach, doch zusammen können sie mehr vollbringen als ein durchschnittlicher Mensch.

Im zweiten Teil findet eine Psychiatersitzung statt, die dazu dienen soll, dass Gerry herausfindet, was mit ihm nicht stimmt: Er hat einen Menschen getötet. Mal hält er sich für 15 (meistens), dann wieder für acht Jahre alt, dann ist er 33. Feststeht zumindest, dass er über telepathische und hypnotische Kräfte verfügt. Ein paar Jahre sind inzwischen vergangen, und er hat den verstorbenen Lein als Leiter der Gruppe abgelöst.

Der Satz „Baby ist drei“ – so der Titel dieses Buchteils – löst in seinem Geist eine Blockade aus, die die Frage auf die Antwort verschließt, warum er Miss Kew, die „Erzieherin“ des Gestaltwesens, getötet hat. Wie sich herausstellt ist Miss Kew die Schwester jener Evelyn, der Lein damals so verhängnisvoll begegnete, Alicia. Der Leser fragt sich die ganze Zeit, warum Alicia gegenüber Lein eine Verpflichtung hatte, seine Gruppe in ihrem Haus aufzunehmen – sie kannte ihn doch gar nicht, oder? Das Geheimnis hinter dem Satz „Baby ist drei“ ist für sie verhängnisvoll, zeigt aber Gerry, wer er in Wirklichkeit ist. – Diese Szenen sind extrem spannend und halten viele überraschende Erkenntnisse bereit.

Im dritten Teil, „Moral“, sind aus den jungen Mitgliedern der Gruppe Erwachsene geworden. Hip Barrows, den man schon aus dem ersten Teil kennt, ist so etwas wie ein junges Elektronik-Genie und zudem ein Opfer der Andersartigen, doch – nach einem sehr spannenden Selbstfindungsprozess – er schließt sich ihnen an und wird zu ihrem Gewissen.

Denn der |Homo gestalt| kann alles tun und sein, was er will; hätte er kein Gewissen, keine Moral, so würde er die Welt vernichten. Interessant, dass der Autor sehr genau zwischen Moral und Ethik unterscheidet. So gibt Hip dem allmächtigen Gerry keine Moral, die ihn seinesgleichen verpflichten würde – denn die gibt’s ja nicht. Sondern er gibt ihm eine Ethik, die ihn künftigen Generationen des Homo gestalt gegenüber verpflichtet. Und dies bedeutet eine Befreiung von überraschendem Ausmaß – jeder lese selbst!

_Mein Eindruck_

„Die Ersten ihrer Art“ gehört zu den zehn berühmtesten und wohl auch besten Science-Fiction-Romanen überhaupt. Es ist ein hervorragendes Beispiel für die Bearbeitung des Themas Homo gestalt, bei dem mehrere Mutanten ihre Talente kombinieren und so eine parapsychische Union und neue Daseinsform bilden.

Mich hat der Roman vor allem deshalb beeindruckt, weil Sturgeon es versteht, auf sprachlich wunderschöne und doch einfache Weise eindringlich klarzumachen, was jedes Mitglied der Gruppe ausmacht und worin ihre Besonderheit in der Koexistenz besteht: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Die stellenweise (besonders im ersten Teil) beinahe märchenhaft erzählte Handlung wirkt durch die dahinter stehende rationale, aber humanistische Philosophie realistisch.

„More than human“ ist eine Verbindung aus dieser Philosophie und wissenschaftlichen Erkenntnissen bzw. Theorien, die in den frühen Fünfzigern kursierten. Und wer weiß, vielleicht steht dem Menschen dieser psychische Durchbruch noch bevor. Stattdessen müht sich die Wissenschaft, Maschinen Intelligenz zu verleihen. Wie lächerlich, da noch nicht einmal der Mensch seine „Intelligenz“ sinnvoll einsetzen kann, indem er sich künftigen Generationen gegenüber verantwortungsbewusst erweist!

Vielleicht kann man die Forderung des Autors nach einer menschenwürdigen Zukunft verstehen, die auch einen Platz für die Andersartigkeit hat, für Mutanten. Man merkt der Erzählung Sturgeons weitreichende Psychologiekenntnisse und seine Liebe für Kinder an und dass er über ein tiefes Verständnis für sie verfügt. Und daher ist klar, dass er jedem Kind, und sei es noch so andersartig, eine Chance verschaffen möchte, mehr Glück, mehr Erfüllung zu finden, beispielsweise in der Gemeinschaft des Homo gestalt.
Leider sind wir heute im 21. Jahrhundert schon zu sehr desillusioniert: Solche Anliegen finden wir wohl nur noch hoffnungslos naiv, oder wie seht ihr das?

|Die Übersetzung|

Ich frage mich nur eines: Wenn diese Übersetzung „völlig überarbeitet“ wurde, warum findet sich dann auf fast jeder Seite mindestens ein Druckfehler?

_Der Autor_

Theodore Sturgeon (1918-1985) war einer der wichtigsten Story-Autoren der amerikanischen Science-Fiction nach dem Zweiten Weltkrieg. (Er begann zwar schon 1939 zu veröffentlichen, doch die meisten Storys schrieb er in den 15 Jahren nach 1946.) Aber auch seine Romane wie „More than human“ (1953) wurden preisgekrönt. Sogar ein wichtiger Science-Fiction-Preis ist nach ihm benannt.

Eines seiner Hauptmotive war die Weiterentwicklung des Menschen: Telepathen, Gestaltwandler, Telekineten und andere „strange people“ bevölkern seine Geschichten. Natürlich müssen sie sich, wie alle so genannten „freaks“ mit den Vorurteilen, ja, der Feindseligkeiten der „Normalen“ auseinandersetzen. Aus dieser Entfremdung führt der Weg zu einem transzendenten Aufgehen in einer höherwertigen Gemeinschaft dieser PSI-Begabten. So geschieht es in „More than human“, aber auch in „The dreaming jewels“, das 1950 erschien.

|Originaltitel: More than human, 1953
Aus dem US-Englischen übertragen von Birgit Will und Walter Brumm|

Shirley, John – Stadt geht los

Innovativer Cyberpunk

Rocksängerin Catz hat einen gewissen schrägen Ruf, und sie ist loyal ihren Freunden gegenüber. Dazu gehört der San Franciscoer Clubbesitzer Stu Cole, der als einer der Letzten der Mafia trotzt und seinen Club unabhängig zu halten versucht. Eines Nachts taucht während Catz Konzert ein unheimlicher, diffus bedrohlicher Mann in Stus Club auf. Während er durch die Menge geht, ändert sich seine Kleidung, seine Hautfarbe, seine Statur, nur eines nicht: die undurchsichtige Spiegelbrille, die ihm direkt aus den Schläfen wächst .. Er ist die fleischgewordene Persönlichkeit der Stadt. Und er hat die allgegenwärtige Korruption satt. Für Stu und Catz beginnt eine höllische Achterbahnfahrt durch die Halbweltmilieus der siechen Metropole: Stadt räumt auf! (Verlagsinfo)

Handlung

Die eigentliche Handlung beginnt nach einem kurzen Intro nur wenige Jahrzehnte in der Zukunft, im guten alten San Francisco. Da sind der Welt schon Öl und Benzin ausgegangen. Die gedankenlesende Rocksängerin Catz tritt im Club „Anesthesia“ („örtliche Betäubung“) auf, welcher Stu Cole gehört, einem aufrechten Vierzigjährigen, der als einer der Letzten den Pressionen der Mafia und der korrupten Polizei trotzt, um seinen Club unabhängig zu halten. Catz und Cole sind natürlich zwei der drei Hauptpersonen des Buches.

Eines Nachts taucht bei Catz‘ Rockauftritt ein unheimlicher Typ auf. Während er durchs saufende, koksende Publikum gleitet, ändert sich seine Kleidung, seine Hautfarbe, seine Statur, nur eines nicht: die undurchsichtige Spiegelbrille, die ihm direkt aus den Schläfen wächst: City.

City ist die fleischgewordene, nur nachts sichtbare Gestalt-Persönlichkeit der Stadt San Francisco. Auch die anderen US-Städte haben ihre Persönlichkeiten. City zeigt sich, wenn Cole an ihn denkt, tagsüber eben auf Fernsehschirmen oder als Stimme in Telefonen und Lautsprechern. City hat Cole auserwählt, mit ihm zu kämpfen.

Er hat nämlich die allgegenwärtige Korruption satt, deren massiver Einsatz von Datenkontrolle in Internet und EDV dazu führt, dass erstens die Mafia mit Hilfe der EDV die Bürger unterdrücken kann (schon bald findet Cole sein Konto aufgelöst – die gesellschaftliche Kastration) und zweitens, dass die Bürger sich außerhalb der Stadt niederlassen, weil sie in Heimbüros arbeiten können – die City droht buchstäblich auszusterben.

Catz ist dieser Kampf, in den ihr Freund Cole hineingezogen wird, nicht geheuer. Als Folge davon wendet sich City gegen die vermeintlich Illoyale, was nun Cole nicht besonders witzig findet: Er muss Catz nach einer Entführung befreien, wobei mehrere Menschen draufgehen. Cole kann kein Blut sehen.

Nach einer leidenschaftlichen Liebesnacht haut Catz nach Chicago, ihre Heimat-City, ab, so dass sich Cole allein gegen die Umzingelung durch die zahlreichen Arme der Mafia wehren muss. Schließlich lässt ihm City keine Wahl mehr und holt ihn zu sich … Das Buch endet mit einem knackigen Kehraus, der unter der amerikanischen Mafia das eine oder andere verdiente Opfer findet, als die jeweilige Stadt lebendig zu werden scheint.

Mein Eindruck

William Gibson nennt diesen Roman in seinem Vorwort „die proplasmische Mutter aller Cyberpunk-Romane“ und wahrscheinlich hat er damit Recht. Hier finden jedenfalls gegenüber der vorherigen Literatur wichtige Veränderungen statt, wie sie für den späteren Cyberpunk kennzeichnend sind: die Wahrnehmung ganzer elektronischer oder urbaner Systeme als Gestalt und Quasi-Organismus; die direkte Verbindung dieses Systems mit dem Menschen, was dessen Anverwandlung zur Folge haben kann; und schließlich die Wandlung des Low-Life-Bürgers zu einem kompletten Außenseiter der Gesellschaft, ja, letztlich zu ihrem Gegner, aufgrund seiner geänderten Wahrnehmung der Systeme, die sein Leben bislang bestimmt haben. Nun heißt es: low life gegen high tech (das gilt umgekehrt sowieso).

Es erübrigt sich fast zu erwähnen, dass ein einflussreicher Veteran wie John Shirley eine engagierte, interessante Geschichte spannend zu erzählen versteht und so flott, dass man das Buch kaum mehr aus der Hand legen möchte. Und die Perspektiven, die er aufzeigt, sind für uns wahrlich bedenkenswert. – Das Buch entstand zuerst Ende der 70er Jahre und erschien 1980, wurde aber 1996 überarbeitet.

Unterm Strich

Knallhart setzt sich dieser Roman gegen die (heute wie auch 1980) übliche Science-Fiction ab, die sich traditionellen Darstellungsweisen und Wertesystemen verpflichtet fühlt. Die Prosa ist hart und rhythmisch, wie guter Rock. Der Leser merkt, dass sich Shirley mit Rockbands selbst der abgefahrensten Sorte auskennt und sie ernst nimmt.

Genau wie die Musik, so wird auch die Stadt selbst lebendig gemacht: Ihre Straßen öffnen sich, ihre Unterwelt bewegt sich. Wie City die elektrischen Leitungen nutzt, so nutzt Cole, sein Mitstreiter, die Adern der Transportwege: Urbanität als Lebensform, die Stadt als Organismus. Und mittendrin fühlt City die neuen Computer-Systeme der Mafia als Krebsgeschwür. Dies ist nachvollziehbar, wenn man die Prämissen akzeptiert. Und der eifrige Cyberpunkleser wird nichts mehr Besonderes dabei finden, wenn sich die technische Realität in seltsamen, interessanten neuen Formen präsentiert. City ist lediglich die Vorstufe zum Cyberspace.

Was allerdings Shirley hier noch kritisch beäugt – die Elektronisierung aller Geldzahlungen und sogar der Postzustellung –, weil damit der illegalen Kontrolle Tür und Tor geöffnet werden, das sehen dann die Hacker-Outlaws des Cyberpunk als Gelegenheit, sich mit den Konzernen und ihren Supercomputern anzulegen und sich in die virtuelle Realität einzustöpseln. Als dieser Roman entstand, tauchten mit den Phonephreaks die ersten Hacker auf. Sie schlugen das System mit seinen eigenen Waffen. Auch in „Stadt geht los“ wird ein Anschlag auf den Zentralcomputer verübt.

Dem |Argument|-Verlag ist es zu danken, dass dieser Klassiker wieder zugänglich ist, in einer von Shirley überarbeiteten Fassung und einer neuen Übersetzung. Das dankbare Vorwort von Gibson, dem literarischen Enkel Shirleys, stimmt auf die Lektüre optimal ein.

Hinweis: Beim Verlag ist dieser Titel ebenso vergriffen wie viele weitere Titel aus der Reihe „Social Fantasies“.

Taschenbuch: 220 Seiten
Originaltitel: City come a-walking, 1980/1996
Aus dem US-Englischen übertragen von Hannes Riffel
ISBN-13: 9783886199549