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Bujold, Lois McMaster – Kadett, Der (Barrayar #3)

Halb Space-Opera, halb Militärkomödie – so lässt sich „Der Kadett“ kurz charakterisieren. Die „Vor“ auf dem Planeten Barrayar sind eine Militärdynastie, die sich ständig mit dem Nachbarreich Cetaganda in den Haaren liegt.

Miles Vorkosigan ist zwar Angehöriger dieser Dynastie, hat aber wegen eines Giftanschlags, dem seine Mutter während ihrer Schwangerschaft zum Opfer fiel, scheinbar nur geringe Überlebenschancen: Seine Knochen sind spröde wie Glas und er ist kleinwüchsig: gerade mal 1,45 m. Diese Mängel macht er durch Grips, Mut und ein flottes Mundwerk wieder wett.

Die wichtigste Prüfung legt Miles nicht an der Miltärakademie ab, sondern draußen im feindlichen Universum, wo man auf Leute, die von Barrayar kommen, gar nicht gut zu sprechen ist. Das gibt vielerlei Anlass zu komischen Situationen und drastischen Reaktionen.

_Die Autorin_

Lois McMaster Bujold, 1949 geboren, stammt aus Ohio, wo ihr Vater als Physiker und Ingenieur sowie als „Wetterfrosch“ arbeitete. Ihren ersten Roman schrieb sie 1983, konnte ihn aber erst 1986 veröffentlichen: „Scherben der Ehre“.

„Der Kadett“ ist ein Abenteuerlicher Space-Krimi aus Lois McMaster Bujolds SF-Welt, die sich als Barrayar-Universum in den Kanon der Science-Fiction eingeschrieben hat und sich bei den Lesern großer Beliebtheit erfreut. Allerdings halten sich die Schriftstellerkollegen mit Auszeichnungen deutlich mehr zurück als die Leser.

Zum Barrayar-Zyklus gehören die folgenden bislang publizierten Bände:

– Die Quaddies von Cay Habitat (Vorstufe zum Barrayar-Zyklus)
Band 1: Scherben der Ehre (1986, dt. 1994)
Band 2: Barrayar (1991, dt. 1993; Band 1 & 2 neu als [„Barrayar – Cordelias Ehre“ 865 bei |Heyne|)
Band 3: Der Kadett (1986, dt. 1993/99)
Band 4: Der Prinz und der Söldner (1990, dt. 1994)
Band 5: Ethan von Athos (1990, dt. 1995)
Band 6: Grenzen der Unendlichkeit (1989, dt. 1996; Episodenroman mit Miles-Abenteuern)
Band 7: Waffenbrüder (1989, dt. 1996)
Band 8: Spiegeltanz (1994, dt. 1997)
Band 9: [Cetaganda 883 (1996, dt. 6/1999)
Band 10: Viren des Vergessens (1998; 2001?)
Band 11: Komarr (1998; dt. 2002?)

Erst mit dem Roman „Cetaganda“ lieferte die erfolgreiche Autorin Lois McMaster Bujold eine kleine Chronologie, die es erlaubt, die Geschehnisse ihrer Romane zeitlich einzuordnen, da die Veröffentlichungen nicht immer dieser Reihenfolge entsprachen. Insbesondere „Grenzen der Unendlichkeit“ verteilt die Abenteuer von Miles Vorkosigan über die gesamte Frühphase seiner Entwicklung.

In „Der Kadett“ ist Miles 17 Jahre alt, in „Der Prinz und der Söldner“ 20 Jahre.

_Hintergrund_

Die „Vor“ auf dem Planeten Barrayar sind eine Militärdynastie, die sich ständig mit dem Nachbarreich Cetaganda in den Haaren liegt. Miles Vorkosigan ist zwar Angehöriger dieser Dynastie, hat aber wegen eines Giftanschlags, dem seine Mutter während ihrer Schwangerschaft zum Opfer fiel, scheinbar nur geringe Überlebenschancen: Seine Knochen sind spröde wie Glas und er ist kleinwüchsig: gerade mal 1,45 m. Diese Mängel macht er durch Grips, Mut und ein flottes Mundwerk wieder wett.

In einer Periode des Barrayar-Zyklus, der zur Zeit wieder neu aufgelegt wird, führt Miles seine private Söldnerflotte der Dendarii von Gefecht zu Gefecht – unter dem Decknamen Miles Naismith. Diese verdeckten Operationen sind von seinem Kindheitsfreund, dem Kaiser Gregor von Barrayar, abgesegnet. Es sind kaiserliche Söldner! Ansonsten arbeitet er meist für den kaiserlich-barayaranischen Geheimdienst.

_Handlung_

Miles Naismith Vorkosigan, der Sohn des kaiserlichen Bayarranischen Admirals, will trotz seiner schwächlichen Konstitution, auf Geheiß seines Vaters, des Oberbefehlshabers, und weil’s die Familientradition verlangt, die Militärakademie besuchen. Prompt bricht er sich bei der praktischen Aufnahmeprüfung beide Beine. Das wird wohl nichts. Doch welche Alternativen bietet das Leben auf Barrayar?

Während seiner Genesung lernt er Elena Bothari, die groß gewachsene Tochter seines Leibwächters, kennen und erfährt von ihr, dass ihre Mutter auf rätselhafte Weise den Tod gefunden hat. Warum schweigen alle über diese Zeit, und warum hat der kaiserliche Geheimdienst sogar die Computerdaten darüber gesperrt?

Nachdem er von seinem gerade verstorbenen Großvater den Titel „Lord“ und ein beträchtliches Stück Land geerbt hat, wirbt Miles auf Kolonie Beta, wo er seine Oma besucht, eine kleine Söldnertruppe von Deserteuren und Aussteigern an und bricht damit in die Galaxis auf. Sein Leibwächter Sergeant Bothari fasst sich mehrmals an den Kopf, in welche Schwierigkeiten sich Miles im Handumdrehen bringen kann.

Auf Kolonie Beta, der Heimat von Miles‘ Mutter und Großmutter, herrscht Demokratie und eine allmächtige Bürokratie, wie es scheint. Das Aufeinanderprallen von betanischer Demokratie und barrayaranischem Feudalismus gibt Anlass zu mehreren komischen Szenen. Aber auch Elena tut sich hervor: Erzkonservativ und behütet aufgewachsen, ist sie natürlich noch Jungfrau. Miles flüstert ihr ein, dass ihre Ohrringe für die freizügigen Betaner eine Aufforderung darstellen könnten, sie zu sexuellen Aktivitäten einzuladen. Prompt kommt es zu peinlichen Szenen, in denen sich die auf ihre Tugend bedachte Elena auf Beta recht unbeliebt macht.

Höchste Zeit, abzuhauen. Doch so ein Flug muss sich auch rentieren. Also braucht Miles eine Fracht. Doch welche Fracht lässt sich in eine Sperrzone um ein Kriegsgebiet schaffen? Natürlich nur Waffen! Diese lassen sich auf dem Frachtbrief (der laufend irrtümlich als „Manifest“ bezeichnet wird) zwar als „landwirtschaftliche Maschinen“ trefflich tarnen, doch sie entgehen keiner Kontrolle mit einem Massenspektrometer, wenn die Blockadewächter an Bord kommen.

Die Blockadewächter erweisen sich als stinknormale Plünderer und Piraten. Miles hat beschlossen, den Lammfrommen zu spielen. Alles geht zunächst gut. Die gut versteckten Waffen werden nicht entdeckt und die Piraten scheinen nur Geld zu wollen. Doch sie machen einen entscheidenden Fehler: Statt den Piloten wie ausgemacht als Geisel zu nehmen, verzichten sie auf ihn und „begnügen“ sich mit der hübschesten Fracht an Bord: Elena.

Das verstößt nun aber leider gegen sämtliche ritterlichen Lehenseide, die Miles geschworen hat. Er ist mit seinem Leben für seine Lehensleute – auch für den Piloten – verantwortlich, und dazu gehört auch die ihm anvertraute Elena. Mal ganz davon abgesehen, dass er sie auch noch liebt und ihr Vater an Bord ist. Am Ende eines kurzen Scharmützels bleibt von den Blockadewächtern nur eine Handvoll sehr bewusstloser Typen übrig.

Was jetzt, Miles? Der Plan mit dem Anschleichen ist wohl Makulatur. Da steckst du nun ganz tief in der Sch… Tinte.

_Mein Eindruck_

Dies ist der Auftakt zu einer übertriebenen Serie von Hochstapeleien, an deren Ende Miles rund 3000 Söldner kommandiert. Und für diese Erfolgsserie wird er in seiner Heimat des Hochverrats angeklagt: Er habe das Imperium stürzen wollen. So kann’s gehen: Es kann der Genialste nicht in Frieden siegen, wenn’s dem bösen Grafen nicht gefällt. Zum Glück erfährt Miles gerade noch rechtzeitig von dieser fiesen Intrige. Vorher aber muss er seinen idiotischen Vetter Ivan Vorpatril ausquetschen, der einfach nichts rafft. Nicht einmal, dass man ihn umlegen wollte.

|Eine Komödie|

„Der Kadett“ ist eine Komödie reinsten Wassers, und viele der entsprechenden Szenen verdanken ihre Wirkung den billigsten Dramen von Holo-Vids einerseits, aber auch dem Pomp und Zeremoniell, das man auf Barrayar nach alter Väter Sitte pflegt. So etwa auch die Sache mit der gegenseitigen Lehensverpflichtung. Funktioniert einfach viel besser als ein auf finanziellen Regelungen basierender Vertrag. Verträge kann man ohne Weiteres brechen, denn Papier und Elektronen sind geduldig. Doch wer sein Lehenswort bricht, ist des Todes. Und siehe da: Unter Miles klappt alles wie am Schnürchen – sobald ihm etwas eingefallen ist.

Miles ist ein großartiger Improvisator. Er plant nicht lange voraus, denn das wäre zwecklos. Deshalb vertraut er auf seine Geistesblitze, die mit zuverlässiger Regelmäßigkeit eintreten. Und wo Genie nicht mehr ausreicht, um eine verfahrene Situation zu retten, muss er seine diplomatischen Fähigkeiten einsetzen. Zu seinem schmerzvollen Erstaunen fällt auch die angebetete Elena Bothari in die Kategorie „extrem schwierig“. Sie hat nämlich das Geheimnis der Existenz ihres Vaters, Sergeant Botharis, erfahren, als sie ihre Mutter wiederfand.

|Eine Tragödie|

„Der Kadett“ ist somit nicht allein Komödie und Rummel, sondern auch auch ein Gutteil Tragödie. Leider basiert die Vorgeschichte dieser Tragödie auf den beiden Vorgängerbänden „Scherben der Ehre“ und „Barrayar“, zusammengefasst in [„Barrayar – Cordelias Ehre“. 865 Man muss sie nicht unbedingt kennen, um die Tragödie zu verstehen, aber es wäre eine große Hilfe. Mir ging es jedenfalls so, dass ich mich mehrmals fragte, wovon denn eigentlich die Rede ist. Warum wird Miles‘ Vater als „Schlächter von Komarr“ beschimpft? Warum wurde seine Mutter Opfer eines Giftgasanschlags?

Immerhin erfahren wir – mit Miles und Elena – , wieso sich Sergeant Bothari so seltsam verhält. Warum er stets wie der leibhaftige Tod in der Ecke gleich hinter seinem Schützling Miles steht und seinen Eltern mit Leib und Seele ergeben ist. Er hat sein Leben und – ebenso wichtig – seine Ehre verpfuscht durch das, was er Elenas Mutter angetan hat. Als diese Tätigkeit durch die Mutter ans Licht kommt, ist die Wirkung auf alle Anwesenden entsprechend dramatisch …

Es gibt viel zu lachen in dieser so genannten „Space Opera“, aber auch einige ernstere Aspekte sind zu entdecken.

|Die Übersetzung: nicht das Gelbe vom Ei|

Edda Petris Übersetzung aus dem Jahre 1999 weist einen inzwischen überholten Stand auf: Die Schreibweise von Namen und Welten wurde inzwischen angepasst und vereinheitlicht. Die Neuausgaben aller Barrayar-Romane und -Erzählungen, die |Heyne| inzwischen in chronologischer Reihenfolge veröffentlicht, bringt es an den Tag. Petris alte Übersetzung bietet beispielsweise solche Kuriositäten wie „Centaganda“ statt „Cetaganda“, und zwar nicht vereinzelt, sondern am laufenden Meter.

Das wäre noch zu verschmerzen, doch fehlen auch entscheidende Wörter wie ein „nicht“ hier und da und sogar ganze Sätze. So fand ich mich an einigen der dramatischsten Stellen plötzlich ratlos wieder, was denn nun gemeint sei. Erst ein Vergleich mit der Neuausgabe löste das Rätsel: Sätze fehlten!

_Unterm Strich_

Dieser Barrayar-Roman wurde zu Recht von den entzückten US-Lesern mit der höchsten Auszeichnung geehrt, dem |Hugo Gernsback Award|. Der Roman erschien beim Verlag |Baen Publishing|, der sich auf Militär-Science-Fiction und -Fantasy spezialisiert hat. (In der Neuausgabe erzählt die Autorin, wie es dazu kam.) Wahrscheinlich meinten die Leser, sie würden mit „Der Kadett“ ebenfalls Militaria geboten bekommen.

|Miles, der Zauberlehrling|

Doch genau genommen trifft es der Originaltitel viel besser: „The Warrior’s Apprentice“ ist eine Anspielung auf „the sorcerer’s apprentice“, den Zauberlehrling. Der 17 Jährchen junge Miles versucht sich als Führer einer kleinen Söldnertruppe und hofft, sich zu den Abnehmern seiner gefährlichen Fracht (Waffen) durchmogeln zu können. Doch wehe die Geister, wenn sie losgelassen! Nach wenigen Monaten hat er statt drei Leutchen eine mächtige Truppe von 3000 „Leutchen“ – darunter gestandene Generäle – zusammen, die ihn alle als „Admiral Naismith“ hochleben lassen! Wenn sie wüssten, dass er vom verhassten Planeten Barrayar stammt, wären sie viel leiser.

Das Besondere an dieser Variation auf den Zauberlehrling besteht darin, dass es keinen hilfreichen, weisen Zauberer à la Gandalf gibt, der Miles aus der Patsche hülfe. Das muss das junge Genie schon selbst leisten. Und wir schauen ihm mit Vergnügen dabei über die Schulter.

|Zwei Ausgaben – welche nehmen?|

Ansonsten kann ich nur dringend davon abraten, diese alte Textversion mit all ihren Fehlern anzuschaffen. Die Neuausgabe (als „Barrayar – Der junge Miles“, Januar 2005) ist zwar auch nicht ganz ohne Zweifelsfälle, aber wenigstens vereinheitlicht, ergänzt und korrigiert. Und sie hat ein erhellendes Nachwort der Autorin vorzuweisen, in dem sie sich ausführlich mit der komplexen Figur des Miles Vorkosigan beschäftigt. Nur weil er so vielschichtig ist, konnte er die restlichen Barrayar-Romane dominieren. Und davon sind ebenfalls etliche preisgekrönt, so etwa „Spiegeltanz“ (1995).

|Originaltitel: The Warrior’s Apprentice, 1986
Aus dem US-Englischen übersetzt von Edda Petri|

Bujold, Lois McMaster – Cetaganda (Barrayar-Zyklus)

„Cetaganda“ ist ein spannender Agentenroman aus Lois McMaster Bujolds SF-Welt, die sich als |Barrayar|-Universum nun schon dem vollen Dutzend Bände nähert.

Ausgewählte Bände aus dem Barrayar-Zyklus (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

– Die Quaddies von Cay Habitat (Vorstufe zum Barrayar-Zyklus)
– Scherben der Ehre (Band 1)
– Barrayar (2) (Band 1 & 2 neu als [„Barrayar – Cordelias Ehre“ 865 bei |Heyne|)
– Der Kadett (3)
– Der Prinz und der Söldner (4)
– Cetaganda (5)
– Ethan von Athos (6)
– Waffenbrüder (7)
– Spiegeltanz (8)
– Viren des Vergessens (9)
– Komarr (10)
– Die Grenzen der Unendlichkeit (Episodenroman mit Miles-Abenteuern)

Mit „Cetaganda“ liefert die erfolgreiche Autorin Lois McMaster Bujold nun netterweise eine kleine Chronologie, die es erlaubt, die Geschehnisse ihrer Romane zeitlich einzuordnen, da die Veröffentlichungen nicht immer dieser Reihenfolge entsprachen. Insbesondere „Grenzen der Unendlichkeit“ verteilt die Abenteuer von Miles Vorkosigan über die gesamte Frühphase seiner Entwicklung. Auch „Cetaganda“ ist der „frühen Miles-Phase“ gewidmet und spielt sechs Jahre vor den Ereignissen in „Spiegeltanz“. Miles ist 22 Jahre alt.

_Hintergrund_

Die |Vor| auf dem Planeten Barrayar sind eine Militärdynastie, die sich ständig mit dem Nachbarreich Cetaganda in den Haaren liegt. Miles Vorkosigan ist zwar Angehöriger dieser Dynastie, hat aber wegen eines Giftanschlags, dem seine Mutter zum Opfer fiel, scheinbar nur geringe Überlebenschancen: Seine Knochen sind spröde wie Glas und er ist kleinwüchsig. Diese Mängel macht er durch Grips, Mut und ein flottes Mundwerk wieder wett.

In einer Periode des Barrayar-Zyklus, der zur Zeit wieder neu aufgelegt wird, führt Miles seine private Söldnerflotte der Dendarii von Gefecht zu Gefecht – unter dem Decknamen Miles Naismith. Diese verdeckten Operationen sind von seinem Kindheitsfreund, dem Kaiser Gregor von Barrayar, abgesegnet. Ansonsten arbeitet er meist für den kaiserlich-barayaranischen Geheimdienst. In Elli Quinn wird er wohl seine Lebensgefährtin finden.

_Handlung_

Nach den immer wieder auftauchenden kleinen Bemerkungen oder Storys (siehe „Grenzen der Unendlichkeit“) war es an der Zeit, Näheres zu erfahren über den schlimmsten Feind der Barrayaner: Cetaganda. Miles Vorkosigan und sein Cousin Ivan Vorpatril stellen die barrayanische Delegation, die zu den Trauerfeierlichkeiten nach dem Tod der Kaiserinwitwe nach Cetaganda reist.

Zunächst wird ihre Fähre, die sie zum Planeten bringen soll, auf ein abgelegenes Terminal umgeleitet. Noch verwirrender erweist sich jedoch das Auftauchen eines Fremden in der Luftschleuse, der eine Nervendisruptor-Waffe bei sich trägt. Der agile Ivan stürzt sich auf den Fremden und entwaffnet ihn. Dabei verliert der Mann auch noch ein weiteres längliches Objekt, das Miles ebenfalls an sich nimmt. Danach verschwindet der Fremde. Von der Attacke gibt es keine Videoaufzeichnung, weil jemand die Monitore zuvor deaktiviert hat.

Danach werden Ivan und Miles mit ihrer Fähre zum korrekten Andockterminal geleitet. Dort hat man keine Ahnung von dem, was soeben passiert ist. Und obwohl Ivan Blut und Wasser schwitzt, macht Miles keine Andeutungen, das etwas Ungewöhnliches passiert sein könnte. Er ahnt, dass derjenige, der den Angriff in Auftrag gegeben hat, genauso gut auch Verbindungen zu den obersten Ebenen im cetagandanischen Sicherheitsdienst haben kann. Wie sich zeigt, liegt er damit völlig richtig.

Am Abend der Ankunft schnuppert Miles mal hinein in die hiesige Gesellschaft. Gastgeber der Party ist ein gewisser Lord Yenaro, der besonders stolz auf eine Multimediaskulptur ist. Da Ivan sie schon betreten hat, sieht auch Miles keine Gefahr für sich und seine zerbrechliche Konstitution. Er ist nur wenige Schritt gegangen, als seine stählernen Beinschienen zu glühen anfangen und ihm die Haut verbrennen. Mit Müh und Not schafft er es in Sicherheit. Offenbar trachtet man ihm nach dem Leben. Oder ist Barrayar das Ziel des Komplotts?

Am nächsten Tag soll der Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen werden. Vorwitzig tritt Miles aus der Reihe der Kondolenten heraus und entdeckt direkt neben dem Katafalk der Toten eine weitere Leiche: Es ist der vermeintliche Attentäter vom Vortag. Er hat sich angeblich selbst die Kehle aufgeschlitzt. Warum aber dann in solcher Öffentlichkeit?

Durch kriminalistische Nachforschungen gewinnt Miles bald ein klareres Bild von der Lage. Der Tote war Ba-Lura, und die Ba sind die Neutren innerhalb des herrschenden Volkes der Haud. Die Haudfrauen sind stets hinter Energieschilden verborgen, so dass kein Barrayaraner weiß, wie sie aussehen. Die Haudmänner – nun, der Kaiser Fletchir Giaja ist von schlankem, elfenhaftem Wuchs. Miles hat keine Hoffnung, ihn jemals aus der Nähe sehen zu dürfen.

Das Siegel auf dem geheimnisvollen Gegenstand, der ihm in die Hände gefallen ist, erweist sich als uralt. Es ist das Siegel der Sternenkrippe der Haud, dem geheimen Genomprojekt, das alle genetischen Daten der cetagandanischen Herrscherrasse beherbergt und zu verbessern sucht. Die Hüterin der Sternenkrippe war bis ihrem Tod die Kaiserinwitwe. Ba-Lura war ihr langjähriger Mitarbeiter und vielleicht auch Freund. Warum hatte ausgerechnet dieser Geheimnisträger zwei Ausländer kontaktiert? Steckt mehr dahinter?

Eines Abends wird Miles an einen geheimen Treffpunkt eingeladen. Er hat das Privileg, eine Haud-Frau von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Haud Rian ist so wunderschön, wie man sich Galadriel vorstellt, allerdings mit schwarzem Haar. Oja, und sie will das geheimnisvolle Objekt zurückhaben. Ob Lord Vorkosigan wohl die Güte hätte? Hat er nicht! Er will Infos.

Und er bekommt sie zur Genüge: Der kurze Einblick in das, was die Sternenkrippe vorhat und welche Rolle der Gegenstand darin spielt, kommt einem Blick in den Abgrund gleich. Und dieser Abgrund droht die Galaxis um Cetaganda zu verschlingen – und natürlich auch Barrayar …

Die schwer durchschaubaren Feinheiten der cetagandischen Gesellschaftsstruktur zwingen Miles, der nun extrem heikles Wissen erworben hat, zu riskanten Gratwanderungen auf dem diplomatischen Parkett und zu waghalsigen Improvisationen, die seinem Botschafter Vorob’yev den Angstschweiß und dem barrayaranischen Sicherheitschef Vorreedi die Zornesröte ins Gesicht treiben. Ob das wohl gut geht?

_Mein Eindruck_

Was mag wohl die Autorin dazu bewogen haben, solch einen Roman zu schreiben? Ich stelle ein paar begründete Vermutungen an. Bujold reizte wohl vor allem das Thema „alternative Methoden der Fortpflanzung in Herrscherhäusern“. Und darum dreht sich ja das Sternenkrippe-Projekt der Haud auf Cetaganda. Allerdings ist es nicht beschränkt auf eine Kaste, sondern betrifft die komplette Rasse der Haud. Kein Haud darf ohne Genehmigung der Sternenkrippe – welch passender Name! – sein Erbgut in eine geplante Verbindung einbringen. Nur so wird die Rasse als Ganzes optimiert.

Dazu muss man natürlich wissen, dass die seit Jahrmillionen bewährte Methode der menschlichen Forpflanzung schon längst abgeschafft worden ist, vor allem aus ästhetischen Gründen (Schwangerschaftsstreifen etc. sind unbekannt) , aber auch aus Gründen der besseren Planbarkeit der Gen-Kombinationen und der Manipulation des Erbguts selbst. Über die Trägerinnen des Haud-Gene, die Frauen, verschafft sich die Herrscherrasse auch Kontrolle über die Rasse der Ghem auf Cetaganda. Die Ghem sind vor allem Militärs und machen die Drecksarbeit für die Haud. Aber sie stellen auch die Gouverneure auf den acht Planeten der Cetagandaner.

Es dauert eine Weile, bis Miles kapiert hat, dass die Haud-Gemahlinnen der acht Gouverneure ihre Loyalität vor allem der Sternenkrippe schulden und sonst niemandem. Wenn also Lord X, der finstere Drahtzieher hinter den Anschlägen und dem Mord an Ba-Lura, etwas mit der Sternenkrippe vorhat, dann dürfte mit einiger Berechtigung angenommen werden, dass auch eine Haud-Gemahlin dieses Gouverneurs X darin verwickelt ist. Und noch jemand hoch oben in der Hierarchie des Sicherheitsdienstes. Miles wird klar: Hier wird hoch gepokert. Wenigstens ist die Haud Rian auf seiner Seite.

Das Thema „Fortpflanzung als Machtmittel“ ist natürlich für jede Frau, sprich: Leserin von gewisser Bedeutung. Das macht wohl zum Teil auch den Erfolg der Barrayar-Romane aus. Bujold hat das Thema daher erneut aufgegriffen, und zwar in Verbindung mit Klonprojekten (in „Waffenbrüder“ und „Spiegeltanz“).

Ein weiterer Grund, warum die Barrayar-Romane regelmäßig mit Leser-Auszeichnungen, den |HUGO Awards|, überschüttet werden, liegt in der bodenständigen Ironie, mit der Miles alle Dinge betrachtet. Das ist echter Yankee-Humor und zuweilen ziemlich schwarz. Kostprobe gefällig?

|Miles: „Ghem-General Estanis hat Selbstmord begangen – es war doch Selbstmord, nicht wahr?“
„Auf eine unfreiwillige Weise“ antwortete Vorb’yev. „Diese cetagandanischen politischen Selbstmorde können schrecklich blutig werden, wenn die Hauptperson nicht kooperieren will.“
„32 Stichwunden im Rücken, der schlimmste Fall von Selbstmord, den man je gesehen hat“, murmelte Ivan, sichtlich fasziniert von entsprechenden Gerüchten.| (Seiten 38/39)

Darüber hinaus macht Miles in Gedanken ständig defätistische Kommentare, die jedes Aufkommen von Pathos im Keim ersticken. Auch tabuisierte Körperzonen sind davon nicht ausgenommen. Ein prächtiges Kerlchen mit einem goldigen Humor, dieser Miles.

_Die Übersetzung_

Michael Morgental gelingt ein geradezu salopper Tonfall, um damit den Text aufzulockern, der doch mit schwierigen Sachverhalten gespickt ist. Aber auch er kann nichts gegen Fehler der Autorin ausrichten. So hat mich auf Seite 34 der Ausdruck „asymptotisch zunehmende Schärfe“ stutzig gemacht. Eine Asymptote ist eine Kurve, die nie ihr Ziel erreicht, sich ihm aber unendlich weit annähert. Das trifft für „Schärfe“ wohl weniger zu. Vielleicht hat die Autorin den Ausdruck „exponentiell“ gemeint, der weitaus passender ist: Wenn es um Geldstrafen, Gebühren usw. geht, erscheint ein exponentielles Wachstum durchaus plausibel. Aber kein asymptotisches.

Auf Seite 92 fehlt ein halber Satz: „(…), wenn seine anderen ehelichen Verbindungen vielleicht schon etwas an Frische.“ Was fehlt? Mögliche Fortsetzung: „… verloren haben.“

Auch auf Seite 192 kommt mir folgender Ausdruck seltsam vor: „(Ivan) verbeugte sich mit ächzender (!) Ironie und ging hinaus.“ Da es nicht Ivan ist, sondern Miles, der krank ist, erscheint „ächzend“ hier deplatziert. Ob es wohl „ätzend“ heißen sollte? Das würde hier einen Sinn ergeben.

Diese Fehler werden hoffentlich in der Neuausgabe im Sommer ausgebügelt oder wenigstens erklärt.

_Unterm Strich_

In bewährter Manier versteht es Lois McMaster Bujold, Kultur und politisches System des cetagandischen Imperiums vor den Lesern auszubreiten, verpackt in eine wie immer spannende Detektiv- und Agentenstory. Wieder einmal münzt Miles seine vermeintlichen Schwächen – dünne Knochen, geringe Körpergröße – bravourös in eine starke Vorstellung um. Seine ironischen Bemerkungen machen jeden Auftritt zu einem Vergnügen. Und der Showdown lässt schließlich auch nicht auf sich warten.

Der Barrayar-süchtige Leser wird die neuen Informationen sicher ebenfalls dankbar aufnehmen, denn damit rundet sich endlich das Bild des Barrayar-Universums ab. Dennoch wäre mir eine bessere oder offensichtlichere Einbindung in den Zyklus lieber gewesen, denn bislang ist nicht ersichtlich, dass Miles das Wissen, das er sich hier aneignet, später irgendwo verwendet hätte (vielleicht in „Viren des Vergessens“, aber das habe ich – noch – nicht gelesen).

|Originaltitel: Cetaganda, 1996
Aus dem US-Englischen übertragen von Michael Morgental|