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Bionda, Alisha / Kleugden, Jörg – Schattenkelch, Der (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 5)

Band 1: [„Der ewig dunkle Traum“ 1899
Band 2: [„Kuss der Verdammnis“ 1900
Band 3: [„Die Kinder der fünften Sonne“ 1949
Band 4: [„Blutopfer“ 1977

Antediluvian, Dilaras Förderer und Erzfeind, wurde am Ende von „Blutopfer“ recht spektakulär der Garaus gemacht. Das mag nun bei einer Romanserie (gerade einer mit vielen Rückblenden) nicht unbedingt viel heißen, doch zumindest ist Antediluvian für den Moment von der Bildfläche verschwunden. Das gibt dem Autorenteam Alisha Bionda und Jörg Kleudgen ausreichend Möglichkeiten, neue Charaktere und Handlungsstränge zu entwickeln. Und es gelingt ihnen mit Leichtigkeit, der Serie um die Vampirin Dilara neue Impulse zu geben!

Der Titel des fünften Bandes lässt es schon vermuten: In „Der Schattenkelch“ geht es um nichts Geringeres als die Gralssuche. Calvin, der bisher als Charakter hinter der schillernden Dilara zurückstehen musste, bekommt nun seine eigene Geschichte und seine eigenen Geheimnisse. Denn als die beiden sich kennen lernten, hatte er ihr lange nicht alles über sich erzählt. Tatsächlich hat sich seine Familie nämlich der Suche nach dem Gral verschrieben und Calvin, der sich von seinem Vater losgesagt hatte, wird nun von seiner Vergangenheit eingeholt. Denn auch Luna Sangue, der neue „Player“ in der „Schattenchronik“ ist scharf auf den Kelch; verspricht er doch den Vampiren tatsächliche Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit.

Und so werden in gewohnter Manier Vergangenheit und Gegenwart verwoben: Während nämlich im heutigen London Dilara und Calvin versuchen, die Spur des Schattenkelchs aufzunehmen, erinnert sich Dilara, dass sie es schon vor fast hundert Jahren mit dem Gral zu tun hatte: Damals nämlich wurde sie, kurz vor Ausbruch des I. Weltkriegs, in Frankreich zu einer Séance mit illustrem Klientel geladen. Doch das Medium, eine gewisse Geneviève Zaeppfel, wird entführt, um ihr durch Folter den Aufhaltsort des Grals zu entlocken. Dass der Name der Dame gerade Geneviève ist, ist sicherlich kein Zufall, und so ist zu erwarten, dass wir in zukünftigen Bänden noch einiges von ihr sehen (und vor allem lesen) werden.

Auch in Band fünf der Serie sind noch keine Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Im Gegenteil: Die Autoren nutzen Antediluvians furiosen Abgang dazu, die Handlung in eine neue Richtung zu wenden und den Schwerpunkt auf bisher vernachlässigte Charaktere zu lenken. So ist natürlich Dilara wie gewohnt die Protagonistin des Romans (schließlich hält sie, auch durch die Rückblende, die verschiedenen Handlungsstränge zusammen), doch sind vor allem die bisherigen Nebencharaktere Calvin, Guardian und Mick die Stars des Romans.

Alle drei bekommen ihre eigenen Geheimnisse, die es in den nächsten Bänden zu lüften gilt. Warum und wodurch is Calvin der Schlüssel in der Gralssuche? Was ist Guardians Masterplan? Und vor allem, was ist Micks düsteres Geheimnis? Der Cop scheint kein Vampir zu sein, und doch ist er auch kein Mensch. Auf welche Seite wird er sich schließlich stellen? Alles Fragen, die sich der Leser stellt, während er nervös an seiner Lippe kaut. Und alles Fragen, die die Autoren sicher genüsslich ausbreiten, aber nicht sofort beantworten werden!

Wie immer, gibt es auch in „Der Schattenkelch“ wunderbare und lebendige Schauplätze. Diesmal ist Frankreich an der Reihe und besonders die Rückblenden atmen die Atmosphäre der Zeit: Da gibt es geheimnisvolle Séancen, waberndes Ektoplasma, fliegende (und brennende) Zeppeline, Dreidecker, Zigeuner und Priester, die geheime Bibliotheken bewachen. „Die Schattenchronik“ ist international, global – eine Art Reiseführer für vampirbesessene Leseratten. Und wie immer schaffen es die gut recherchierten Schauplätze, die Handlung zu unterstützen anstatt vordergründig auf den Effekt aus zu sein. Auch die französischen Schauplätze der heutigen Zeit, St. Michel und Les Saintes-Maries-de-la-Mer, sind farbenprächtig und lebendig – und machen darüber hinaus sofort Lust auf Urlaub.

Die Handlung zieht also Kreise: Von der Jagd nach der Schattenchronik (die auch hier nicht ganz vergessen wird) zur Jagd nach dem Schattenkelch. Von der Jagd nach Calvins Vergangenheit zur Jagd nach Luna. Jeder jagt nach irgendetwas in dieser Romanserie und das macht wohl das hohe Tempo der Romane aus. Ständig passiert etwas Neues, sodass der Leser schon aufmerksam mitdenken muss, um am Ball zu bleiben. Doch das eigene Tüfteln und Kombinieren erhöht ja nur den Spaß an der Lektüre. Und der ist ohnehin schon hoch!

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Bionda, Alisha / Kleudgen, Jörg – Blutopfer (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 4)

Dilara ist schockiert. Was sie Calvin über ihre Reise nach Italien, über Gelophee und Cippico berichtet hat, sind Ereignisse, an die sie sich bisher gar nicht erinnern konnte! Sie vermutet zunächst ihren damaligen kleinwüchsigen Diener als Ursache dieses Übels, doch welche Motivation könnte er gehabt haben? Und dann stellt sich heraus, dass Dilaras Amnesie viel tiefer reicht …

Im vierten Band der „Schattenchronik“ mit dem Titel „Blutopfer“ reisen wir wieder zurück in die Vergangenheit, und langsam dürfen wir die ersten Blicke auf alte Hochkulturen werfen, die mit der Geschichte der Vampire scheinbar unlösbar verbunden sind. Diesmal geht es nämlich nach Mexiko, tief ins Reich der Atzeken.

1895 begleitete Dilara den Londoner Archäologen Roger Gallet auf seiner Expedition zu der geheimnisvollen Atzeken-Stadt Aztlan. Die erste Überraschung: Die verschollene Stadt existiert tatsächlich und ist immer noch bewohnt. Die zweite Überraschung: Dilara stellt verwundert fest, dass sie die Sprache der Einwohner nicht nur versteht, sondern auch fließend spricht. Könnte das mit dem geheimnisvollen Kind zusammenhängen, das einst in der Aztekenstadt geboren wurde? Was macht Dilara so besonders? Ist sie eine Schlüsselfigur in der ominösen Schattenchronik? Kann sie Prophezeiungen erfüllen, oder soll sie sie doch eher verhindern? All dies bleibt uns weiterhin verborgen – und so heißt es, weiterlesen!

Dilara hatte sich nach Mexiko begeben, um Antworten zu finden auf Fragen, die sie nicht genau formulieren konnte. Doch was sie schließlich an ihrem Ziel findet, soll all ihre Vermutungen übertreffen. Nicht zufällig wird nämlich in Aztlan der Blutopfer-Kult zelebriert. Man ahnt es schon: Dilara ist nicht der einzige Vampire dort. Und so landet sie bald Hals über Kopf in einem Abenteuer, bei dem es nicht nur ihr, sondern auch Gallet an den Kragen geht.

Die „Schattenchronik“ erweist sich mit jedem neuen Band – „Blutopfer“ ist schließlich schon der vierte – erneut als literarische Zwiebel. Alisha Bionda und ihre wechselnden Gastautoren verstehen es mühelos, mit jedem neuen Roman (und damit jedem neuen Abenteuer) eine Haut der Zwiebel abzustreifen und dafür eine neue Haut zu enthüllen, die auf neue, noch mysteriösere Geheimnisse schließen lässt: getreu dem Gesetz der Serie, immer mehr Fragen aufzuwerfen als beantwortet werden. Und so lösen sich zwar einige Fragen zu Dilaras Ursprung und der Mythologie der Vampire im Allgemeinen, doch sollte das nicht dazu verführen zu glauben, man wüsste nun, wohin die Reise geht! Mit Sicherheit hat die „Schattenchronik“ noch mehr in petto.

Wie auch schon in „Der Kuss der Verdammnis“ und „Die Kinder der fünften Sonne“ ist „Blutopfer“ sauber recherchiert. Man merkt der Romanreihe das Interesse an anderen Zeiten und Kulturen an, was der Handlung und den Charakteren die nötige Tiefe gibt, um auf lange Sicht interessant zu bleiben. Bisher durfte der Leser zusammen mit Dilara London, Italien und Mexiko erleben – da gibt es also noch einiges zu entdecken; die Welt ist schließlich groß!

Stilistisch unterscheidet sich „Blutopfer“ sehr vom Vorgängerband. Trotz der zwei Erzählebenen ist der Roman rein sprachlich weniger experimentell und bewegt sich auf eher bekannten Pfaden. Es geht also geradliniger voran, was allerdings nur für die Sprache gilt, nicht für die Handlung! Bionda/Kleudgen haben großes Vergnügen daran, durch die Jahrhunderte und Handlungsebenen zu springen, Verbindungen zu ziehen und Andeutungen zu machen. So wird natürlich Spannung aufgebaut, aber die „Schattenchronik“ verlangt auch einen aufmerksamen Leser. Schließlich macht die Lektüre ungleich mehr Spaß, wenn man die Andeutungen der bisherigen Bände in zukünftigen Romanen dann endlich zu deuten weiß.

Zugegeben, die Azteken haben mich weit weniger begeistert als beispielsweise Dilaras Fahrt durchs mediterrane Italien im letzten Band. Doch dies ist eine rein subjektive Präferenz und ich bin sicher, dass Fans der Azteken oder der Geschichte Mexikos an „Blutopfer“ besonderen Spaß haben werden. In jedem Fall war es eine originelle Idee, Dilara auf der Suche nach ihrer Geschichte gerade dorthin zu führen. Anne Rice verortete seinerzeit den Ursprung der Vampire ins Alte Ägypten. Mal sehen, wohin uns die „Schattenchronik“ in dieser Hinsicht noch führt!

Und da uns Bionda/Kleudgen am Ende von „Blutopfer“ mit einem ordentlichen Cliffhanger zurücklassen, empfiehlt es sich unbedingt, gleich in Band fünf weiterzulesen. Es kann dem BLITZ-Verlag nicht nachgesagt werden, seine Leser nicht bei Laune zu halten!

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E.-E., Marc-Alastor – Kinder der fünften Sonne, Die (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 3)

Eine Romanserie über eine Vampirin – die Idee ist so einfach wie genial. In Einzelbänden verschiedener Autoren verfolgt man so Dilaras (eben jene Vampirin) Reise durch die Jahrhunderte, ihre Abenteuer und ihre Bekanntschaften. Unter Wolfgang Hohlbeins schützender Hand erscheint genau diese Serie unter dem Titel „Schattenchronik“ im BLITZ-Verlag und verspricht nicht nur reichhaltiges (mittlerweile ist der sechste Band erschienen), sondern auch abwechslungsreiches Lesefutter.

Marc-Alastor E.-E. zeichnet für den dritten Band, „Die Kinder der fünften Sonne“, verantwortlich und enthüllt auf 330 spannenden Seiten mehr von Dilaras Vergangenheit, wobei – in guter Serientradition – mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet werden. Wir befinden uns im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dilara und ihr zwergenwüchsiger Diener Cippico versuchen, in einem urigen Hotel in Avignon auszuspannen. Doch dieser Plan wird schnell von Antediluvian vereitelt, der Dilara zu sich ruft, um sie zu beauftragen, den Codex Vaticanus aus einem römischen Geheimarchiv zu beschaffen. Was bleibt Dilara anderes übrig als zuzustimmen – wäre jede andere Entscheidung ihrer Gesundheit doch kaum zuträglich. Selbst so kann sie nur knapp mit ihrem (Un)Leben entkommen.

Zurück im Hotel, wird sie von der so geheimnisvollen wie schönen Gelophee Roche davor gewarnt, sich mit Antediluvian einzulassen. Doch enthüllt die Rosenkreuzerin auch, dass sie Informationen besitzt, wie man an den ominösen Codex Vaticanus gelangen kann. Und so begibt sich eine Zweckgemeinschaft, bestehend aus Dilara, Cippico und Gelophee (zunächst gefesselt), auf eine lange Zugreise nach Rom. Natürlich verläuft diese alles andere als beschaulich. Zwischen den Dreien gibt es immer wieder Spannungen, ist doch nicht ganz klar, ob Gelophee, die ihre Hilfsbereitschaft immer wieder beteuert, tatsächlich zu trauen ist. Darüber hinaus wird Dilara von ihrem abgelegten Liebhaber verfolgt, der offensichtlich noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen hat.

Ob es die Drei nach Rom schaffen, ob sie den Codex Vaticanus ausfindig machen können, was in ihm steht und was Antediluvian wohl mit diesen Informationen anzufangen wünscht – das lese am besten jeder selbst.

In Band zwei, „Kuss der Verdammnis“, verließen wir Dilara im London der heutigen Zeit. Band drei macht also einen gewaltigen Sprung rückwärts und beleuchtet Dilaras Vergangenheit und ihre (schon immer) gestörte Beziehung zu Antediluvian. Außerdem werden einige mysteriöse Informationsbrocken eingestreut, die mehr als neugierig darauf machen, wie sich die Vampirmythologie der „Schattenchronik“ wohl genau gestalten wird. Sicher scheint eins: In zukünftigen Bänden werden wohl einige alte Hochkulturen wieder aufleben!

Marc-Alastor E.-E. malt ein sehr genaues, wenn auch verstörendes Bild von Dilara. Sie selbst scheint sich als durchaus empfindsam wahrzunehmen, wenn sie sich ihrer vampirischen Natur auch ständig bewusst ist. Doch auf ihre Umwelt (selbst auf ihren Diener Cippico) wirkt sie gefährlich, angsteinflößend und doch betörend. Der geneigte Leser jedoch ist uneingeschränkt fasziniert – von Dilaras Gefühlsschwankungen, ihren Wutausbrüchen, ihrer aufbrausenden Art.

„Die Kinder der fünften Sonne“ ist auch stilistisch eine Kehrtwende vom Vorgängerband. Marc-Alastors geradezu historisch anmutende Sprache mag gewöhnungsbedürftig sein. Es kommt schließlich nicht häufig vor, dass man in einem aktuellen Roman Worte wie „itzt“ oder „alsdann“ liest. Je weiter man jedoch in die dichten Sprachgebilde des Autors vordringt, desto mehr weiß man sie zu schätzen. Rein sprachlich ist „Die Kinder der fünften Sonne“ ein wahres Vergnügen. Da ist jedes Wort am richtigen Platz. An jedem Satz wurde bis zur Perfektion gefeilt. Und wenn Marc-Alastor so richtig aufdreht, dann entstehen surreale Wortwelten, die den Leser eintauchen lassen in den Roman – mehr aber noch in die Wunderwelt der Sprache.

Was den dritten jedoch augenfällig mit dem zweiten Band verbindet, ist die Freude an den sich verändernden Settings. Schon in „Kuss der Verdammnis“ entführte Alisha Bionda den Leser ins historische und heutige London. Marc-Alastor E.-E. tut nun selbiges mit Italien. Neben der spannenden Handlung macht es ebenso Spaß, den Roman als Reiseführer zu lesen, haben die Charaktere doch während ihrer Zugreise (wenn sie nicht gerade verfolgt werden) ausreichend Muße, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten. Und dann stoßen in einer kurzen Passage auch noch zwei besondere Personen dazu (wer, soll hier nicht verraten sein), die noch eine ganz andere Art zu sehen propagieren. Solch angenehme Überraschungen in einem fantastischen Roman darf es ruhig öfter geben!

Auch für den dritten Band der Serie kann damit eine uneingeschränkte Leseempfehlung ausgesprochen werden. Hoffen wir, der Romanzyklus kann die Spannung halten!

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Samuels, Mark – weißen Hände und andere Geschichten des Grauens, Die (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek 4)

Band 1: [„Grausame Städte“ 1018
Band 2: [„Das Alptraum-Netzwerk“ 1023
Band 3: [„Spuk des Alltags“ 1142

_Ring frei für Federfechter vier!_

Nachdem Markus K. Korb mit einem angemessenen Auftakt die Reihe gestartet und Thomas Ligotti einen grandiosen Meilenstein hinterhergeworfen hat, nachdem Alexander M. Frey mit kauzig verstaubter und rustikal charmanter Sprache die Lesegewohnheit auf den Kopf gestellt hat, wirft sich nun Mark Samuels in die Brust, um die Poe-Anhängerschaft mit neun Kurzgeschichten das Gruseln zu lehren. Der 1967 geborene Londoner veröffentlichte 2003 diese Sammlung über den Kleinverlag |Tartarus Press|, und der |BLITZ-Verlag sorgt hier und jetzt für die deutsche Erstveröffentlichung, löblicherweise ohne die Beschneidungen, die der britische Verlag vorgenommen hat.

_Gotisches Flair in modernen Häuserschluchten._

Samuels Geschichten spielen allesamt in der Moderne, verbreiten aber eine Stimmung, wie sie schon ein Lovecraft zu verbreiten wusste:

|Die weißen Hände.|

Die Geschichte des exzentrischen Literaturprofessors Alfred Muswell, der aufgrund seiner schrägen Ansichten von der Oxford University vertrieben wurde. Die Phantastik, behauptet er, ist die einzig wahre Form der Literatur, weil sie sich nicht dem lächerlichen Realismus verschreibe, sondern sich mit der Unendlichkeit befasse, die der Mensch durch „die Regeln der Realität“ zu ignorieren versuche. Der junge Journalist Harrington setzt sich mit dem kauzigen alten Mann in Verbindung, da er sich von ihm exklusive Informationen über die viktorianische Horror-Autorin Lilith Blake erhofft. Schnell zieht der Professor den jungen Mann in seinen Bann, sodass der selbst die realitätssprengende Kraft zu spüren beginnt, die hinter Blakes Worten lauert …

Diese Geschichte ist ein toller Tauchgang in den Wahnsinn, eine Fundgrube düsterer Ansichten und Zitate, und außerdem die perfekte Inspiration für die Bucheinkaufsliste des Phantastik-Interessierten. Auch wenn das Finale nicht ganz so hinreißend ist, schlägt einen doch die Stimmung in ihren Bann: Das langsame Gleiten von der „vernünftigen Sicht der Dinge“ in das Unheimliche, das durch Lilith Blakes Werke freigelegt werden kann.

|Das letzte Spiel des Großmeisters.|

Schach-Horror um einen Priester, der sein letztes, großes Spiel antreten muss.

Subtiler Grusel um zwei Figuren, die augenscheinlich vollkommen zufällig aufeinander prallen, deren Vergangenheit aber eine bizarre Verbindung aufweist, die sich erst im Laufe der Geschichte eröffnet. Stimmungsvoll und interessant, störend nur, dass Samuels hier die Hintergründe seiner Figuren über Gedankenrückblenden vermittelt.

|Momentaufnahmen des Schreckens.|

Mit Abstand die beste Erzählung in diesem Sammelband! Ein Architekt, der mit rätselhaftem Gedächtnisverlust aufgesammelt wurde, ist von einem Gebäude fasziniert, das er von seinem Büro aus betrachten kann: Ein kaltes Hochhaus, das scheinbar jeder Firma, die darin einzieht, den Ruin beschert. Eines Tages erfährt unser Architekt, dass der Erbauer dieses Hochhauses ein Kunstprojekt darin installiert hat. Eine Gelegenheit, die er sich nicht entgehen lassen kann …

Die Stimmung dieser Erzählung zerrt bis zum Ende an den Nerven, nur um dem Leser mit der finalen Wendung endgültig den Todesstoß zu verpassen! Mit einem Wort: Grandios!

|Appartement 205.|

Pieter Slokker wird mitten in der Nacht aus seinem Bett geholt, weil ein seltsamer Wohngenosse gegen seine Tür schlägt. Er könne keine Einsamkeit mehr aushalten, sagt sein Gast, verschwindet aber gegen Morgengrauen wieder und ist seitdem unauffindbar. Pieter begibt sich in das Appartement des mysteriösen Fremden, findet dort eine okkulte Vorrichtung, seltsame Bücher und Fenster, die allesamt mit Zeitungen abgeklebt wurden.

Zugegeben: Pieter Slokker verhält sich manchmal etwas arg erzwungen, „innerer Drang“ ist oft die einzige Erklärung für Entscheidungen, und „Schlüsselduplikationen“ via Wachsabdruck sind seit dem „Tatort“ von 1980 sicher auch nicht „up to date“. Aber das macht nichts. Die Geschichte selbst fängt diesen Schönheitsfehler auf, „Appartement 205“ ist erneut ein Tauchgang hinter die Fassaden der Realität; verstörend, unheimlich, und weit über plattem „Geister gibt es doch!“-Niveau. Wiederum hat es Samuels geschafft, die absolute Einsamkeit desjenigen darzustellen, der den Schein des Wirklichen durchstoßen hat, würdige Schritte auf Lovecrafts Pfaden also, und unbedingt lesenswert!

|Die Sackgasse.|

David Cohen nimmt eine Stelle in der Ulymas-Corporation an und bearbeitet dort extrem bizarre Fälle von Urheberrechts-Verletzungen. Scheinbar zerstörte Computer, mit Papier befüllt, apathische Angestellte und eine ultraschräge Firmenvorstellung von der Beschaffenheit der Zeit … Was David Anfangs noch für einen Scherz seiner zukünftigen Kollegen hält, bekommt schnell einen unheimlichen Sinn …

Die Stimmung ist wunderbar beklemmend und ausweglos, von Thomas Wagner im Nachwort sehr treffend als „Kafkaesker Alptraum“ beschrieben. Enttäuschend nur, dass das Finale zu rasch über uns herfällt, da wurde Potenzial verschwendet.

|Kolonie.|

Conrad Smith spürt den unerklärlichen Drang, in ein namenloses, verfallenes Viertel Londons zu ziehen. Gestalten streifen dort herum, mit maskenhaften Gesichtern praktizieren sie Rituale in der Dunkelheit. Conrad fühlt sich davon immer mehr in den Bann gezogen …

Definitiv die schwächste Geschichte dieses Bandes. Ein knapper, spannungsloser Abklatsch von Lovecrafts [„Schatten über Innsmouth“. 506

|Vrolyck.|

Die Geschichte von Trefusis Vrolyck, einem einzelgängerischen Autor, der sich während seiner Schlaflosigkeit in ein einsames Café setzt, um dort vor sich hin zu grübeln. Eines Nachts setzt sich Emily Curtis zu ihm an den Tisch, eine Gleichgesinnte, die ebenfalls nachts kein Auge schließen kann. Sie stört sich nicht an der weißen Schminklotion, die Vrolyck überzieht, sondern interessiert sich für seinen Roman „Die Dybbuk-Pyramide“. Nie hätte sie gedacht, welche Folgen die Lektüre dieses Werk haben könnte, für sich und den Rest der Welt …

Diese Story ist wieder wesentlich kraftvoller als der Vorgänger, mit schrägen Ideen gespickt, und mit überraschenden Wendungen aufgepeppt. Samuels hat die Titelfigur außerdem an Thomas Ligotti angelehnt, der selbst diese Kurzgeschichte gelesen hat und Samuels mit Verbesserungsvorschlägen zur Seite stand. Interessant!

|Auf der Suche nach Kruptos.|

Ein Student bricht auf, um nach Thomas Ariel zu suchen, einem Metaphysiker, der mit seinen Gedanken die Welt verstörte und in Aufruhr brachte. Sein Werk „Kruptos“ wurde nie veröffentlicht, obwohl gerade darin entscheidende Enthüllungen über das Universum und die Existenz im Allgemeinen zu stehen scheinen. Irgendwann glaubt der Student dann gefunden zu haben, wonach er sucht…

Was wie eine gewöhnliche Suchexpedition beginnt, wird, beinahe ohne Übergang, zu einem esoterischen Alptraum, in dem Zeit und Raum ihre Bedeutung verlieren. Aber gerade da, wo man denkt, sich in diesem Delirium zu verlieren, reißt einen das Finale in die „Realität“ zurück. Bizarr!

|Schwarz wie die Finsternis.|

Jack Wells findet die Spur seiner lang verflossenen Liebe und stößt dabei auf ein Geheimnis, das seinen besten Freund betrifft, aber auch das Verständnis vom Tod allgemein.

Nett sind hier die Querverweise zu den Ideen, die in „Die weißen Hände“ entwickelt wurden. Lilith Blake kommt hier zu Wort, und Professor Muswell, aber ansonsten ist diese Story eher mau, auch wenn das Geheimnis von Jacks bestem Freund dann doch etwas überrascht.

_Guter Kampf trotz gelegentlichen Punktabzugs._

Mark Samuels sagt es selbst in seinem Nachwort: „Meistens sind meine Figuren wenig mehr als Marionetten oder Affen in menschlichem Gewand“. Aber das macht nichts, die Figuren sind Statisten vor grandiosem Hintergrund, oft würde es sogar stören, wenn die kunstvollen Demontagen der Realität von allzu viel figürlicher Tiefe verwässert würden. Pieter Slokker ist Medizinstudent, und Schluss. Wen interessiert denn schon, für welche Fächer er sich eingeschrieben hat, warum er studiert, ob er reich oder arm ist, ob er sein Studium ernst nimmt oder nicht? Nein, das Einzige, was interessiert, ist das Unheimliche, das er in Appartement 205 vorfindet, das ihn verfolgt und an den Rand des Erträglichen treibt. Das Weltliche hat in den Storys von Mark Samuels nur wenig Platz, und genau das ist es auch, was ihnen diese herrlich entrückte Stimmung verleiht.

„Die weißen Hände und andere Geschichten des Grauens“ kann daher jedem Freund subtiler Horror-Storys nur wärmstens empfohlen werden. Hier gibt es keine Schlachtplatten und Gewaltausbrüche, die Angst schleicht sich auf leisen Sohlen an und bleibt einem lange im Genick sitzen. Die beiden schwächeren Storys „Kolonie“ und „Schwarz wie die Finsternis“ verringern die Qualität dieser Sammlung nur wenig, tun außerdem der Kaufempfehlung keinen Abbruch. Zwar würde ich nicht so weit gehen wie der Klappentext und behaupten, dass „[…]Machen, Lovecraft oder Ligotti stolz sein würden“, es geschrieben zu haben, aber schämen würden sie sich wohl auch nicht. Ein besonderes Lob auch an das Nachwort diesmal: Wie immer eine Beleuchtung des Autors und seines Werkes, aber auch ein Interview gibt es dort zu lesen, das einem die Hintergründe der Geschichten offenbart.

Samuels hat mit „Black Altars“ noch einen zweiten Kurzgeschichtenband geschrieben, der auf seine deutsche Erstveröffentlichung wartet. Mit viel Glück wird sich der BLITZ-Verlag auch diese Anthologie unter den Nagel reißen, ebenso wie die dritte Storysammlung, die sich gerade noch in Arbeit befindet. Zwar widmet sich Samuels momentan der Überarbeitung seines Romans „The Face of Twilight“, aber ehrlich gesagt halte ich nach dem, was ich hier gelesen habe, die Kurzgeschichte für Samuels ausgemachtes Territorium und befürchte, dass seinen Ideen und seinen Plastikfiguren auf Romanlänge schon die Puste ausgeht. Reine Spekulation, natürlich, und gerne werde ich mich eines Besseren belehren lassen. „Die Weißen Hände“ jedenfalls wird sich in jeder gut sortierten Gruselsammlung wohl fühlen.

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Alisha Bionda, S.H.A. Parzzival – Calvin (Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik, Band 6)

Band 1: „Der ewig dunkle Traum“
Band 2: „Kuss der Verdammnis“
Band 3: „Die Kinder der fünften Sonne“
Band 4: „Blutopfer“
Band 5: „Der Schattenkelch“

Calvin ist nach Santa Barbara gereist, um sich mit seinem Vater auszusprechen. Dessen Brief, den er seinem Sohn hat überbringen lassen, war allerdings nur eine Finte, um Calvin nach Kalifornien zu locken, denn Anton Percy Vale sieht in seinem Sohn den Mann, der das Wissen hat, um an den heiligen Gral zu kommen. Zu diesem Zweck verabreicht er Calvin ein Mittel, welches sogar die Erinnerung an Dilara auslöscht. Die Vampirin merkt das Zerreißen des unsichtbaren Bandes zu ihrem Gefährten und reist ihm nach.

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Jörg Kleudgen – Cosmogenesis

Das geschieht:

Europäische Händler und Flüchtlinge – unter ihnen viele deutscher Herkunft – gründeten Mitte des 17. Jahrhunderts an der Ostküste Indiens in Sichtweite des Himalaja-Gebirges die Stadt Cathay. Von Anfang an war der Ort verflucht. Die Siedler haben angeblich einen dämonenbeseelten Götzen mitgebracht haben. Außerdem verärgerten sie einen ortsansässigen Zaubermeister, der die Stadt daraufhin mit einem Fluch belegte.

Tiefe Dschungel und schroffe Berge umgeben die Stadt. Der Standort ist sumpfig, das Klima feucht, die Kanalisation marode, sodass immer wieder Seuchen die Bürger heimsuchen. Schon lange liegt der Handel brach. Cathay verfällt, viele Häuser stehen leer. Dekadenz greift um sich, Melancholie liegt über den vernachlässigten Straßen. Seltsame Kulte treiben ihr Unwesen, noch seltsamere Wesen streifen oft mordend durch die Nacht. Jörg Kleudgen – Cosmogenesis weiterlesen

Dan Shocker – Das Grauen (Larry Brent, Band 1)

Das Grauen schleicht durch Bonnards Haus

Im französischen Ort Maurs werden die Menschen Opfer von Vampiren. Zunächst werden nur vereinzelt Menschen angezapft, ohne getötet zu werden, dann gibt es die erste Leiche. Die französische Regierung bittet den amerikanischen Geheimdienst um Amtshilfe. David Gallun, Chef der geheimnisvollen PSA, der Psychoanalytischen Spezialabteilung, schickt seinen Agenten Henry Parker, alias X-Ray-18, nach Frankreich. Tatsächlich gelingt es dem Amerikaner, eine Menge Informationen zu sammeln. Dreh- und Angelpunkt ist das Anwesen des Ägyptologen Professor Bonnard, der gemeinsam mit dem undurchsichtigen Dr. Canol obskure Forschungen betreibt. Henry Parker setzt sich auf die Fersen von Canol, um die entscheidenden Beweise zu erbringen, und läuft direkt in die Falle.

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Thomas Ligotti – Das Alptraum-Netzwerk (Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek Band 2)

Wirtschafts-Horrorstorys?? Gut, der Job ist für viele Menschen oft Horror oder schlicht die Hölle, aber trotzdem lässt der Untertitel aufmerken: ein neues Subgenre? Oder muss es Wirtschaftshorror-Storys gelesen werden – das alltägliche Grauen in Geschichten dargestellt?

Oder kündigt die Etikettierung dunkle Ironie an?

Alles trifft zu. Die Wirtschaftsabläufe, deren Abbild den äußeren Rahmen für das Schicksal der Protagonisten Ligottis und zugleich für die philosophischen Betrachtungen des Autors liefert, sind eine der Manifestationen des absolut … Bösen(??). Bei aller Düsternis dieser Darstellung vermisst man aber auch den sprichwörtlichen schwarzen Humor nicht; und, ja, Ligotti zeigt Menschen, die unter ihrem Büro-Alltag leiden, Angehörige der Mittelklasse, die aufgefressen werden von Status- und Karrieredenken, vom täglichen Konkurrenzkampf und der täglichen Sinnlosigkeit.

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Ian Watson – Feuerwurm

Ein Psychologe gerät an einen Patienten, dessen Albträume von einer seltsamen Kreatur sich als erstaunlich und erschreckend handfest erweisen … – Geschickt in der Grauzone zwischen Fiktion und Realität siedelt der Verfasser eine seltsame, den Leser lange im Ungewissen lassende Geschichte an, die durch ihre überraschende Auflösung zusätzlich gefällt; kein leichter Stoff, aber eine interessante Lektüre. Ian Watson – Feuerwurm weiterlesen