Entstehung und Wirkungsgeschichte eines Jahrhundertgedichts
Paul Celans Gedicht „Todesfuge“ gilt als Jahrhundertgedicht. Entstanden unter dem unmittelbaren Eindruck der Ermordung von Celans Eltern durch die Nationalsozialisten, ist es eines der frühesten literarischen Zeugnissen der Shoah. Atmosphärisch dicht zeichnet Thomas Sparr die Geschichte dieses Gedichts nach, das auf besondere Weise auch die Biographie Celans birgt. (Verlagsinfo)
Quentin P., 31, ist in Behandlung eines Psychiaters, wird von einem Bewährungshelfer betreut und unterzieht sich einer Gruppentherapie. Doch weder seine Therapeuten noch seine Verwandten ahnen, wie kalt und gefühllos Quentin seine Verbrechen begeht. „Zombie“ ist das erschreckende Psychogramm eines krankhaften Serientäters. Joyce Carol Oates – Zombie weiterlesen →
Dies ist die Geschichte eines eitlen Mannes, der die Geister, die er rief, nun nicht mehr los wird. Er hat sich eine nette Geliebte für nebenher gewünscht, doch bekommt er weitaus mehr: Sie liebt und ihn hält ihn, bis ihre Vorstellung von der Realität seine bezwingt. Der Verlag DVA würde diese Story gerne als Variation auf „Romeo und Julia“ verkaufen, doch ich sehe das Buch als frivole Variante des „Zauberlehrlings“. Joachim Zelter – Die Lieb-Haberin. Roman weiterlesen →
Omertà (italienisch) = Ehrenkodex der Mafia und auch der anderer organisierten kriminellen Vereinigungen. Dieser Kodex verbietet es sowohl den Aktiven als auch den Inaktiven, den Tätern ebenso wie den Opfern, eine Aussage zu treffen, die der Organisation oder der „Familie“ schaden könnte. Ein Bruch dieses stillschweigenden aber bindenden Versprechens ist gleichbedeutend mit einem Todesurteil. Ein Urteil ohne Anwälte, ohne Verteidigung, ohne Ausreden – endgültig.
Giorgio Basile hat dieses „Gelübde“, diese Omertà gebrochen und damit ist er des Todes. Töten wird ihn wahrscheinlich sein eigener Bruder – „Gott vergibt – die Mafia nie“ heißt es in verschiedenen Regionen Italiens.
Drei Geschichten erzählt Olga Tokarzuk in ihrem neuen Roman. Drei letzte Geschichten – Geschichten vom Tod, vom Sterben, vom davor, danach und währenddessen. Mit ihrer einfühlsamen Sprache lässt sie den Tod zurück in unser Leben; einen Exilanten, der so gern tabuisiert oder schlicht verdrängt wird.
Im ersten Teil des Romans, „Das reine Land“, kommt die Reiseführerin Ida vom rechten Weg ab. Sie ist auf dem Weg zum Haus ihrer Kindheit. Jahre zuvor hatte sie es nach dem Tod ihrer Eltern verkauft, doch nun ist sie in der Nähe und verspürt plötzlich so etwas wie Neugier, Nostalgie, Heimweh gar. Der geliehene Wagen kommt jedoch im Schneegestöber von der Straße ab und verwandelt sich in einen Haufen teuren Schrott. Ida bleibt unverletzt und sucht bei einem Rentnerehepaar Unterschlupf, bis sie die Polizei und die Besitzerin des Wagens informieren kann.
Doch etwas hält sie bei dem gastfreundlichen Ehepaar. Die Tage verstreichen, ohne dass sie die nötigen Telefonanrufe getätigt hätte. Wie in einer Luftblase lebt sie plötzlich dahin, neben der Zeit schwebend, während ihr Leben innehält und abwartet. Statt sich fortzubewegen, weiterzumachen, verfällt Ida in Stillstand. Oder ist das vielleicht nur ein Irrglaube?
Denn auch wenn das alte Ehepaar scheinbar von den Wirren der äußeren Realität unberührt bleibt, so helfen sie doch bedüftigen Kreaturen auf den Weg. Sie sind Reiseführer anderer Art, nehmen todkranke Haustiere bei sich auf und lassen sie sterben: in ihrem eigenen Tempo. Die beiden Alten stehen an der Tür zwischen Leben und Tod, sie bereiten dem Sterben einen Ort und eine Zeit. Und Ida, die Großstädterin, nimmt für ein paar Tage teil an diesem Prozess.
Im zweiten Teil, „Parka“, ist es Idas Mutter, deren Umgang mit dem Tod wir beobachten. Wir befinden uns in einem einsamen Haus in den Bergen. Im Sommer kommt unter Umständen mal die Post und regelmäßig wird auf Vorrat eingekauft. Doch im Winter ist das alte Ehepaar eingeschneit – selbst der Fernseher zeigt nur Schneeflocken. Petro, über 90, stirbt in diesem Winter, und da seine Frau keine Möglichkeit hat, das Dorf zu verständigen, schiebt sie Petros Bett (mitsamt Petro selbstverständlich) schließlich auf die Veranda. Das Leben geht weiter wie bisher. Sie fragt Petro um Rat, beschwert sich über sein Schweigen, rasiert seine Bartstoppeln und schneidet die Fingernägel. Sie lebt mit der Leiche, und schlussendlich scheint es kaum einen Unterschied zu machen, ob Petro nun tot oder lebendig ist. Der tote Ehemann auf der Veranda ist ein Anlass zur Reflektion und Erinnerung und wir erfahren von dem tiefen Keil, den die Repatriierung zwischen die beiden getrieben hat. Aus der Ukraine sind sie gekommen, damals nach dem Zweiten Weltkrieg. Paraskewia kann in Polen keine Wurzeln schlagen, doch die ehemalige Heimat in der Ukraine bleibt ihr ebenfalls verschlossen. Tokarczuk beschreibt hier ein herausgerissenes Leben, einen abgesägten Baum.
Und dann ist da im letzten Teil „Der Magier“ Maja, Idas Tochter. Mit ihrem Sohn bereist sie eine asiatische Insel. Sie arbeitet, sagt sie. Maja schreibt nämlich Reiseführer. In der tropischen Hitze liegt sie da, während Insekten sie plagen und die Geräusche des Dschungels ihr den Schlaf rauben. Ein Buch aus der Heimat verschafft ihr Linderung, es beschreibt die Stadt im Norden, mit ihrer balsamischen Kühle und all den bekannten kleinen Dingen, die einem sagen, man ist zu Haus.
Und doch ist Maja losgelöst, eine treibende Seele in dieser globalisierten Welt. Sie ist überall, doch nirgends zu Hause. Während Maja in der Schwermut versinkt, die Tokarczuk so liebevoll über ihr Südseeparadies legt, freundet sich ihr Sohn mit einem todkranken Magier an. Der bringt dem Jungen ein paar Taschenspielertricks bei (darunter die klassische zersägte Jungfrau) und vollführt am Ende das größte magische Kunststück überhaupt: Er stirbt.
In einem Interview sagte Tokarczuk einmal, sie schreibe in Bildern. Als Autorin übersetze sie Bilder in Wörter. Diese sensible Herangehensweise an Sprache und die damit verbundene Verknüpfung von innerer mit äußerer Welt machen Tokarzcuks Erzählungen so lesenswert. Ob sie einen schreienden Affen an Majas Fenster beschreibt oder Paraskewias Umsiedlung nach Polen: Als Leser wird man nie das Gefühl los, dass selbst der kleinste Nebensatz, das nebensächlichste Bild noch auf größere Zusammenhänge verweisen kann. Träume sind für Tokarzcuk eine wichtige Inspiration, und wie im Traum kann auch in ihren Geschichten jede Kleinigkeit eine tiefere Bedeutung haben. Vor allem aber wirken diese kraftvollen und doch so leisen Bilder intuitiv auf den Leser. Ihre suggestive Sprache bohrt sich geradezu in die Erinnerung, setzt sich fest und erstrahlt irgendwann zu voller Blüte. Selbst wenn die Handlung stagniert (eigentlich „passiert“ kaum etwas in „Letzte Geschichten“), treibt die Sprache selbst den Leser immer weiter voran, tiefer in das Herz der Finsternis, hinein in die Erinnerungen, Ängste und enttäuschten Hoffnungen seiner Protagonisten.
Wie immer zeichnet Esther Kinsky für die Übersetzung verantwortlich, die seit Jahren Tokarczuk meisterlich ins Deutsche überträgt. Man muss nicht unbedingt ein Fan polnischer Literatur sein, um Tokarczuk zu mögen. Was sie beschreibt, ist universell. Es sind immer Menschen, die zwar lose in der polnischen Geschichte verankert sind. Doch letztendlich ist ihre Welt die unsere. Ihre Probleme sind die unsrigen.
Wer auf sprachliche Meisterschaft Wert legt und statt eines Glases Wein lieber einmal einen sorgfätig komponierten Roman genießen möchte, der ist bei Olga Tokarczuk immer gut aufgehoben. „Letzte Geschichten“ macht da keine Ausnahme.
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