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J.M. Coetzee – Mr. Cruso, Mrs. Barton und Mr. Foe. Roman

Auf den ersten Blick scheint dieser Roman nichts mit Schwarzafrika zu tun zu haben. Susan Barton, von meuternden Matrosen auf einer Insel irgendwo im Atlantik ausgesetzt, trifft auf Robinson und Freitag. Doch anders als in dem berühmten Roman von Defoe gibt es auf der Insel keine Abenteuer zu bestehen, gibt es keine wilden Tiere und keine Kannibalen.

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Sage, Angie – Septimus Heap – Flyte

_Mäßig: Duell der Zauberlehrlinge_

Wir erinnern uns: Der Schwarzmagier DomDaniel ist besiegt und Septimus Heap, der siebte, verschollen geglaubte Sohn der Heaps, ist wieder da. Er dient als Zauberlehrling bei der Außergewöhnlichen Zauberin Marcia Overstrand, während seine beste Freundin und Adoptivschwester Jenna sich auf ihre Aufgaben als künftige Königin vorbereitet. Nur Simon Heap, der Bruder der beiden, hat sich dem Dienst an DomDaniel verschrieben und will diesem wieder zu alter Macht verhelfen – mit sich selbst als künftigem Zauberlehrling. Er setzt einen perfiden Plan ins Werk, an dessen Beginn Jennas Entführung steht …

_Die Autorin_

Geboren 1952, wuchs Angie Sage in Thames Valley, London, und Kent auf, studierte später Grafikdesign und Illustration an der Art School in Leicester und arbeitet heute als Illustratorin von zahlreichen Kinder- und Jugendbüchern. Bisher war sie vor allem durch Bilderbücher bekannt. Nach dem Kinderbuch „Monkeys in the Jungle“ trat sie mit der „Septimus Heap“-Reihe wieder als Autorin in Erscheinung. Mit [„Septimus Heap, Book One: Magyk“ 2469 legte sie ihren ersten großen Roman vor, der gleich auf Platz 1 der New York Times Bestsellerliste landete. Heute lebt sie mit ihrer Familie als Autorin und Illustratorin in Cornwall.

_Handlung_

Alles könnte so friedlich sein auf der riesigen Burg, welche die Acker- und die Tieflande überblickt. Septimus Heap widmet sich seinen Studien als Zauberlehrling der Außergewöhnlichen Zauberin Marcia Overstrand. Doch er wird immer wieder von einer schwarzen, haarigen Spinne gebissen, so dass Marcia ihn schließlich heilen muss. Sie selbst ist auch nicht wenig beunruhigt durch den seltsamen Schatten, der ihr auf Schritt und Tritt folgt. Wer hat ihn geschickt und worin besteht seine Aufgabe? Die Zeit wird’s weisen.

Da prescht eines Morgens Septimus‘ unzufriedener Bruder Simon durchs Burgtor, treibt seinen Rappen durch die Blumenbeete, an seinen verblüfften Eltern vorbei und schnappt sich seine Adoptivschwester Jenna, die Königstochter. Alle Proteste helfen Jenna nichts. Sie hat einen wichtigen Termin einzuhalten, denn sie soll am nächsten Tag, an Mittsommer, Zwiesprache mit dem Drachenboot in den Marram-Marschen halten, so wie jede der Königinnen vor ihr. Und nun kommt dieser Simon und schnappt sie vom Fleck weg!

Während Simons Mutter noch an einen Scherz glaubt, erkennt Septimus ganz richtig, was hier vor sich geht. Er stellt sich Simons Pferd in den Weg, bevor er die Stadt unter der Burg verlassen kann, und zwingt es mit seinem Blick zu erstarren. Leider ist sein Wille noch nicht stark genug – Simon bricht den Bann und reitet mit Jenna davon.

Septimus ist sehr besorgt, denn wer weiß, wohin Simon sie bringt. Doch absolut keiner will ihm glauben, dass etwas Schreckliches geschehen sei. Bis er endlich an die Werft gelangt und bei seinem Bruder Nicko Gehör findet. Nicko weiß auch, was zu unternehmen ist: Sie brauchen einen Fährtensucher, den er im Wald kennen gelernt hat. Dieser Wolfsjunge lebt bei seinen Brüdern, die mit den Wendronhexen im großen Wald leben. Allerdings dürfen sie nicht den Wolverinen begegnen, sonst könnte es gefährlich werden. Septimus stimmt dem Plan zu und packt. Dabei nimmt er ein wichtiges Andenken mit, das er von Jenna hat: einen grünen Stein. Damit hat es eine besondere Bewandtnis.

Simon bringt Jenna in die düsteren Ödlande, wo zwischen schwarzgrauen Schieferbrüchen eine Schlucht liegt, in deren Wänden die gefährlichen Landwürmer hausen. Am Steilhang der Schlucht führt ein schmaler Steig hinauf zu Simons Observatorium. Vor einer Geheimtür im Fels hält Simon an, spricht einen Satz rückwärts, und die Tür öffnet sich. Es nützt Jenna nichts, sich zu sträuben: Sie muss mit in den Berg, als Simons Gefangene.

Doch Septimus hat ihr am Morgen halb im Scherz einen Charm geschenkt, den sie nun einsetzt. Der Charm, magischer Gegenstand, vermag jegliche Materie in Schokolade zu verwandeln. Noch nie war Jenna der Zauber von süßer Schokolade so willkommen wie hier in ihrer Gefängniszelle!

_Mein Eindruck_

Mir sind bislang nur wenige Romane untergekommen, die fast die Hälfte ihres Umfangs benötigen, um die Handlung in Fahrt zu bringen. Jules Vernes [„Die Jagd auf den Meteor“ 3354 war so eines, und „Flyte“ ebenfalls. Bis Jenna in Sicherheit ist und Septimus wiedersieht, vergehen 250 Seiten. Man könnte auch behaupten, damit sei ein kleiner Roman abgeschlossen, doch leider hat diese Episode schlicht gar nichts mit dem vorangegangenen Buch zu tun. Sie wurde lediglich eingeschoben, um Jenna und Septimus etwas zu tun zu geben und zwei Bekanntschaften zu machen, die später noch von Bedeutung sind. Ich betrachte diese 250 Seiten als Prolog.

Erst als Jenna dann jenes Ritual mit dem Drachenboot vollziehen kann, auf das sie sich tags zuvor vorbereitet hat, beginnt die eigentliche Handlung. Diese knüpft folgerichtig an jene Geschehnisse an, von denen in [„Septimus Heap – Magyk“ 2469 die Rede war. Und natürlich führt das Ritual zu erheblichen Veränderungen in der Realität der Kinder: Das Drachenboot kann fliegen! Eben wie ein richtiger Drache.

Der Titel des Buches – „Flyte“ – ist auch sein Programm: Es geht ums Fliegen. („Flyte“ könnte man als veraltete Schreibweise des Wortes „flight“ = Flug auffassen.) Es ist schon schlimm genug, dass Simon Heap mit Hilfe eines Charms fliegen kann, um so das Drachenboot zu attackieren. Es ist klar, dass auch Septimus dringend Flugunterricht benötigt. Wie sich herausstellt, kann er dazu seinen Jungdrachen Feuerspei abrichten und obendrein Simons Flug-Charm entwenden und „upgraden“. Nun hat Septimus die Oberhand und zeigt Simon, was eine Harke ist.

Doch Simon, der hauptsächliche Bösewicht in diesem Band, scheint noch zwei Asse im Ärmel zu haben. Er kennt sich bestens in den Tunneln aus, die unter der Stadtburg verlaufen und beispielsweise auch in den Zauberturm von Marcia Overstrand führen. In diesen eisigen Tunneln treiben sich zwar Geister herum, aber die gibt es im Zauberturm ja auch zur Genüge, so dass sie Simon nicht schrecken.

Simon verfolgt einen Plan, den Septimus erst sehr spät erkennt, fast schon zu spät. Dazu gehören ein Skelett aus dem Sumpf, eine Schattenfängermaschine, der Schatten selbst und eine geheime Zutat, die hier nicht verraten werden darf.

Immer wieder hat mich verblüfft, dass die Kinder, die lediglich elf Jahre alt sind, sich aufführen und reden, als wären sie schon fünfzehn oder sechzehn. Sicherlich besteht ein Anspruch auf eine gewisse gebildete Ausdrucksweise, die an die Stelle von Babysprache tritt. Doch es ist vor allem das Verhalten der Kinder, das nicht so sehr präpubertären Jungs und Mädels angemessen erscheint, als vielmehr Jugendlichen, die schon wissen, wie man zuschlägt. Diesen Eindruck verstärken die Zeichnungen von Mark Zug, die jedem Kapitel wie eine Vignette voranstehen. Die Jungs sehen wie Krieger oder Jäger aus, die Mädels wie junge Damen.

|Feminismus – was war das noch gleich?|

Die unerklärliche Diskrepanz setzt sich fort in den kriegerischen Aktionen von Simon vs. Septimus, die im Widerspruch zu einer ständig kreischenden und schreienden Jenna stehen. In Gefahr hat sie lediglich die Aufgabe, verbal durchzudrehen, auf dass die männlichen Mitglieder ihrer Gruppe alarmiert werden und etwas TUN.

Frauen scheinen meist die Aufgabe des Fühlens und Erlebens zu haben, Männer hingegen die des Tuns, besonders wenn es um die Verteidigung eben jener hilflosen Frauen geht. Es gibt nur eine Ausnahme von dieser Regel: Tante Zelda, die Hüterin des Drachenboots. Und vielleicht noch die Anführerin der Wendronhexen, doch diese weise alte Frau tut nichts, sondern erteilt nur Rat. Selbst Marcia Overstrand, die Zauberin, stellt sich als besonders begriffsstutzig heraus.

Man könnte glatt seinen Glauben daran verlieren, dass so etwas wie Feminismus und Emanzipation jemals stattgefunden hat. Ansonsten werden nämlich uralte Rollenbilder bestätigt. Was einer der Gründe sein könnte, warum sich die Septimus-Heap-Bücher so gut verkaufen. Mit guter Literatur hat das nichts zu tun.

|Die Übersetzung|

Ein Ball prallt nicht ab, er „dotzt“ an das Fenster. Wie man sieht, kommt hier die Umgangssprache zu ihrem Recht. Aber auch die alte Poetensprache: Auf Seite 200 redet die weise Hexe (s. o.) nicht etwa von Gefahren, sondern von „Fährnissen“. Was man sich allerdings unter „Wolverinen“ vorstellen soll, ist zunächst nicht klar. Jedenfalls haben sie nichts mit dem X-Man Wolverine zu tun, so viel steht fest. Aber Vielfraße, wie die deutsche Übersetzung von „wolverine“ nahelegt, sind es auch nicht. Dafür sind sie zu schlau und zu menschenähnlich. Sagen wir der Einfachheit halber: Es sind Wölfe mit besonderen Fähigkeiten. Aber wozu sie dann „Wolverinen“ nennen?

_Unterm Strich_

Ich habe schon wesentlich spannendere Fantasyromane gelesen. „Flyte“ erreicht auf der nach oben offenen Matzer-Skala der Spannung nicht einmal eine zwei. Wieder und wieder ertappte ich mich dabei, dass ich einfach einige Seiten überschlagen wollte – und konnte der Versuchung nicht widerstehen. Die Schilderung ist auch einfach zu dröge und vorhersehbar. Obwohl hier Sechzehnjährige handeln und der Verlag angibt, das Buch sei für Elfjährige geeignet, könnten es Achtjährige es ebenso gut verstehen, ohne dass ihnen die Bedeutung der Sätze entginge. Ich war jedenfalls chronisch „überqualifiziert“.

Sicher, es mag ein paar nette Szenen geben, doch sie sind derart kindgerecht inszeniert, dass schon zu Beginn klar ist, wie sie ausgehen werden. Die Augsburger Puppenkiste ist bestimmt lustiger. Zudem hat mich gewundert, warum im Hörbuch zu „Magyk“ drei Karten zu finden sind, in der gedruckten Ausgabe von „Flyte“ aber nur eine großmaßstäbliche Landkarte. Weder eine Karte der Burg noch der Stadt drumherum ist zu finden. Das finde ich ein echtes Manko, denn wer den Vorgängerband nicht kennt, kann mit Bezeichnungen wie „Die Anwanden“ überhaupt nichts anfangen.

Fazit: Dieser zweite Band ist eher mäßig. Wer Spannung und ein intelligentes Abenteuer sucht, wird woanders eher fündig.

|Originaltitel: Septimus Heap. Book Two: Flyte, 2006
474 Seiten
Aus dem Englischen von Reiner Pfleiderer
Illustriert von Mark Zug|
http://www.hanser-verlag.de/

Genazino, Wilhelm – Liebesblödigkeit, Die

Der Trend geht eindeutig zur Zweitfreundin, jedenfalls wenn man dem Protagonisten aus Wilhelm Genazinos aktuellem Roman „Die Liebesblödigkeit“ Glauben schenken mag. Wieso sollte der Mensch sich auch mit nur einem Partner zufrieden geben, wenn sogar von ihm erwartet wird, dass er beide Eltern liebt und sich dabei nicht auf einen Elternteil beschränken darf? Diese und andere philosophisch angehauchten Fragen sind Thema der „Liebesblödigkeit“ – ein Buch, das schon durch seinen sympathischen Titel zum Kauf verlocken kann. Erst im vergangenen Jahr wurde Wilhelm Genazino mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet und selbst das „literarische Quartett“ hatte nur Worte des Lobes für Genazino übrig; so begann der Verkauf seines neuesten Werkes mit vielen Vorschusslorbeeren.

Der alternde Ich-Erzähler der „Liebesblödigkeit“ hat bereits seit einigen Jahren zwei Freundinnen parallel, die voneinander nichts wissen. Auf der einen Seite wäre da Sandra, die als Sekretärin arbeitet und sich um die Altersvorsorge ihres Partners sorgt und ihn deswegen gerne heiraten möchte, auf der anderen Seite steht Judith, die gescheiterte Konzertpianistin, die nun als Nachhilfelehrerin ihr frustriertes Dasein fristet und den lieben langen Tag in der Straßenbahn sitzt, um von einem Schüler zum nächsten zu fahren. Beide Frauen bevorzugen Lebensweisen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, sodass es dem Ich-Erzähler ermöglicht wird, sein Doppelleben gefahrlos aufrechtzuerhalten. Doch nun spürt er die ersten Erscheinungen des Alterns, die Krampfadern schmerzen mehr denn je und beeinträchtigen bereits den Sex im Liegen und auch sein Urin sah schon einmal besser aus. In dieser Situation kommen ihm erstmals Gedanken an die Trennung von einer der beiden Frauen. Denn was wäre, wenn er plötzlich ins Krankenhaus müsste und Sandra und Judith sich dort begegnen würden? Eine Entscheidung muss her, denn er kann nicht mehr länger mit beiden Frauen ein Verhältnis haben, auch wenn dieses Arrangement doch so praktisch ist. Als Sandra ihm schließlich einen Heiratsantrag macht, gerät unser Frauenheld in eine Zwickmühle.

Finanziell hält der Ich-Erzähler sich mit Seminaren über die Apokalypse über Wasser, ein Thema, das aktueller denn je zu sein scheint, sodass sich seinem Seminar in der Schweiz kurzentschlossen einige Rentner anschließen, um seinen spannenden Vorträgen lauschen und mit ihm über apokalyptische Themen diskutieren zu können. Den Erzähler erfreut dies, sichern die neuen Seminarteilnehmer ihm doch freie Kost und Logis im Hotel.

Gleichzeitig beobachtet der Erzähler genauestens seine verkommende Umwelt und kommentiert diese mit meist scharfen Worten. Auf diese Weise wird zunehmend das Elend dieser Welt deutlich, das sich oft schon in den kleinen Gesten widerspiegelt. Nebenbei tauchen immer wieder skurrile Gestalten wie Schockforscher und auch Ekelreferenten auf, die mit ihren gewagten Thesen die Welt verbessern wollen. Im Laufe der Geschichte gibt der Erzähler darüber hinaus viele Informationen über sich und seine Vergangenheit preis, der Leser lernt seine Exfrau Bettina kennen und erfährt die Gründe für das Scheitern ihrer Ehe. Am Ende des Buches steht schließlich die wichtige Entscheidung über seine Zukunft aus …

Schon mit den allerersten Sätzen beweist Wilhelm Genazino sein überragendes Erzähltalent, punktgenau und präzise weiß er sämtliche Situationen und Personen zu beobachten und zu analysieren. Dabei entgeht keine Kleinigkeit seinem scharfen Auge, jede noch so vermeintliche Nebensächlichkeit findet eine Erwähnung und trägt zum Gesamtbild des Romans bei. Genazino zeichnet ohne Scheu und Rücksichtnahme ein ehrliches und teilweise sogar abstoßendes Bild von einem gescheiterten Apokalypseexperten, der seine Seminare geben muss, bis er tot umfällt, weil er sich nicht um seine Altersvorsorge gekümmert hat. Selten habe ich eine so gelungene Charakterstudie in einem Roman wiedergefunden wie in diesem, denn durch die schonungslosen Beobachtungen unseres Erzählers lernen wir mehr über ihn, als ihm lieb sein wird. In jeder noch so peinlichen und unangenehmen Situation ist der Leser dabei, sei es der Kauf der ungeliebten fleischfarbenen Stützstrümpfe oder die genaue Beobachtung seines wandelbaren Urins, nichts wird uns vorenthalten. Auch die beiden Lebenspartnerinnen werden detailliert vorgestellt und kritisiert. Wie bricht es dem Erzähler doch fast das Herz, als ihm Sandra stolz ihre talentlosen Bilder vorführt und er peinlich berührt daneben steht und diese gar nicht ansehen mag. Kein Fehler, keine Charakterschwäche wird verschwiegen, die Personen werden regelrecht seziert. Auch für seine Seminarteilnehmer hat der Erzähler oft nur Spott übrig. So versucht er immer wieder, diesen anderen Menschen zu entkommen, um seine Ruhe zu haben.

Genazino spielt mit den Sympathien der Leser, denn als Sandra bereits wie die sichere Siegerin im Liebesduell aussieht, zeigt sie ihre selbstgemalten Bilder und beweist ihr fehlendes kulturelles Verständnis, während Judith gerade auf diesem Gebiet punkten kann. Immer wieder schwankt der Leser hin und her, fiebert mal mit Sandra mit, mal mit Judith. Bis zum Schluss scheint die Entscheidung offen zu sein, wobei Sandra doch der wesentlich größere Raum im Buch zugestanden wird. Obwohl der Erzähler schonungslos ehrlich dargestellt wird mit all seinen Verfehlungen und Ansichten, werden dennoch Sympathien für ihn aufgebaut. Seine Handlungsweisen werden dem Leser verständlich gemacht, seine beiden Liebschaften werden nachvollziehbar, wie ich mir dies nie hätte vorstellen können. Der Erzähler wirkt immer mehr wie eine geradezu armselige Gestalt, die weiß, dass sie gescheitert ist. Eine Identifikation mit dem Erzähler ist über weite Strecken nicht möglich, trotzdem findet man immer wieder eigene Gedanken im Text wieder, oftmals kann man den tragischen Helden irgendwo verstehen.

Die beschriebenen Situationen muten meist völlig skurril an, besonders das Apokalypseseminar in der Schweiz springt dem Leser hierbei ins Auge. Während der Erzähler sich vorher lieblos überlegt, welche Thesen er in seinen Vorträgen anbringen kann, sind seine Seminarteilnehmer restlos begeistert. Als Leser wird man allerdings nie den Eindruck los, dass der Erzähler für seine Mitmenschen oft nur Spott und Mitleid übrig hat. Ganz am Rande lässt er den Gedanken fallen, dass er sich ebenso gut in ein anderes Themengebiet einlesen könnte, aber die Apokalypse ist beliebt und läuft gut, warum also sollte er umschwenken auf ein anderes Seminarthema? Die Apokalypse ist für ihn nur Mittel zum Zweck, um sich seinen Lebensunterhalt zu sichern, seine persönliche Überzeugung kann er jedoch gut verbergen. Trotz all der Skepsis bleibt der Erzähler von seinen apokalyptischen Studien offensichtlich nicht ganz verschont, denn häufig dringen seine gesundheitlichen Ängste durch und wir gewinnen den Eindruck, dass die Hauptfigur sich wohl etwas zu viel mit der Apokalypse beschäftigt hat.

Auch sprachlich weiß Genazino auf ganzer Linie zu überzeugen, seine Sätze klingen ausgereift und überzeugend, seine Geschichte ist einfach nett und sympathisch geschrieben. „Die Liebesblödigkeit“ ist ein kleines aber feines Stück Literatur, das leicht zu lesen, aber nicht leicht zu verdauen ist. So schnell das Buch auch durchgelesen ist, so schnell ist es noch lange nicht vergessen, denn nach Zuklappen des Buches schwirren uns viele Gedanken über das eigene Leben und die Gesellschaft durch den Kopf, sodass das Buch noch lange nachwirkt. „Die Liebesblödigkeit“ ist nicht einfach zu konsumieren, auch über das Ende sollte man nachdenken, um herauszufinden, was Genazino damit sagen möchte. Für mich ist dieser Roman dadurch schon jetzt die persönliche Entdeckung des Jahres. Wie oft habe ich beim Lesen schmunzeln müssen über die Eigenarten der Figuren, wie gut habe ich mich unterhalten gefühlt, dieses Buch werde ich sicherlich bald ein zweites Mal lesen.

„Die Liebesblödigkeit“ erzählt auf den ersten Blick eine nette kleine Geschichte über das Leben und die Liebe, die aber schon auf den zweiten Blick deutlich mehr zu offenbaren hat. Im Mittelpunkt steht nicht so sehr die Frage nach der Trennung von einer Frau. Dieser Punkt ist nur einer von vielen, denn im Leben des Erzählers liegt mehr im Argen als nur seine |ménage à trois|. Wilhelm Genazino beweist neben seinem hervorragenden Erzähltalent auch eine scharfe Beobachtungsgabe, die nicht nur den Charakterzeichnungen zugute kommt, sondern auch für eine besondere Plastizität des gesamten Geschehens sorgt. Die auftauchenden Figuren werden teilweise richtiggehend seziert und absolut schonungslos vorgestellt. Dieser Roman hat zwar nur etwas mehr als 200 Seiten und ist zügig durchgelesen, dennoch wirkt die Erzählung lange nach. Hinter diesem fast seichten Buchtitel und kindlich wirkenden Buchcover versteckt sich eine fein erzählte Geschichte, in der es viel zu entdecken gilt. So bleibt am Ende eigentlich nur festzustellen, dass Genazino sich seine Vorschusslorbeeren vollauf verdient und seine Leserschaft absolut zufrieden gestellt hat. Nur ein einziger kleiner Wehmutstropfen bleibt zurück, denn das Ende des Romans kommt ein klein wenig zu plötzlich und an einem Punkt, an dem der Leser den tragischen Erzähler lieb gewonnen hat und gerne mehr über seine Zukunft erfahren möchte.

Anna Gavalda – Zusammen ist man weniger allein

Ich habe geweint. Ganz ehrlich. Als die Geschichte zu Ende war, kullerten mir Tränen die Wangen hinunter. Das war mir noch nie passiert. Im Kino ja. Man kommt nicht umhin, hier und da mal auf die Tricks des Hollywoodkinos hereinzufallen und in die Gefühlsfalle zu tappen. Aber bei einem Buch? Nein, bei einem Buch war mir das noch nie passiert. Nur bei Anna Gavaldas neuem Roman „Zusammen ist man weniger allein“. Dabei drückt sie doch gar nicht auf die Tränendrüse, hebt keine hinterhältigen Gefühlsfallen in einem kitschbehangenen Plot aus und winselt nicht um Mitleid für ihre schicksalsgebeutelten Figuren. Warum also gleich anfangen zu heulen? Eine schwierige Frage, also verliere ich vielleicht lieber erst einmal ein paar Worte zur Handlung.

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Jules Verne – Paris im 20. Jahrhundert. Zukunftsroman

Zeitflaschenpost: Jules Vernes erster und letzter Roman

Vielen von uns ist Jules Verne als der Autor zahlreicher Jugendbücher vertraut. Dass er dies nicht von Anfang an war, beweist dieser lange verschollene Roman von 1863, Vernes erstes größeres Werk. Nachdem das Manuskript von Vernes Verleger abgelehnt worden war, lagerte es rund 85 Jahre in einem verschlossenen Tresor ohne Schlüssel. Zur Zeit wird es jedoch in zahlreiche Sprachen übersetzt, denn das Interesse an Verne ist weiterhin ungebrochen.

„Die Erzählung handelt von einem jungen Mann, Michel, der in einer Welt aus gläsernen Wolkenkratzern, Hochgeschwindigkeitszügen, gasbetriebenen Automobilen, Taschenrechnern und einem weltweiten Kommunikationsnetz lebt. Im Gegensatz zum Siegeszug von Naturwissenschaft und Technik werden Literatur, Musik und Bildende Kunst allerdings verachtet. Michel, Träger eines Preises für lateinische Literatur, wird in dieser Welt nicht glücklich und nimmt ein tragisches Ende.“ (Wikipedia.de)

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[NEWS] Charlotte Inden – Mein Tiger zieht um und wir kommen mit. Minutengeschichten zum Vorlesen

38 kleine Vorlesegeschichten zum Thema Umzug, entzückend erzählt aus der Sicht des dreijährigen Oskar. Mama, Papa, Stofftiger Theo, Oskar und seine Schwester Klara ziehen um – in ein eigenes Haus. Das bedeutet natürlich Riesenchaos und Abschiednehmen. Aber durch einen Umzug lernt man auch allerhand neue Freunde kennen und sogar Nachbarn mit Hasen! Und es bleibt nicht aus, dass man für einige Zeit auf einer Baustelle wohnt – mit vielen Umzugskisten und ganz ohne Türen! Den kürzeren Weg zur Kita können Oskar und Klara nun rollern, ganz schnell und beinahe allein. Außerdem bekommen die zwei ein Spielzimmer mit Wolken an der Wand und Sternen an der Decke, und die neue Badewanne ist so groß, dass Oskar darin schwimmen kann, also fast. (Verlagsinfo)


Gebundene Ausgabe: 96 Seiten
Hanser

[NEWS] Jutta Richter – Ich bin hier bloß das Kind

Wie Kinder und vor allem Mädchen die Welt sehen? Was sie vom frühen Aufstehen und dem typischen Mama-weiß-alles-besser-Gesicht halten? Wie sie hyperaktive Omas und motorradversessene Zweitväter finden? Und was sie von Schul-AGs, eingebildeten Mitschülerinnen und langweiligen Lehrern denken? Hier kann man es erfahren, von einer, die sich bestens auskennt: der 8-jährigen Hanna Knipsel. (Verlagsinfo)

Taschenbuch: 128 Seiten
Hanser

 

[NEWS] James Patterson – School Survival. Ferien sind nichts für Feiglinge


Endlich Ferien! Rafe ist begeistert, denn es geht ins Sommercamp. Klingt nach einer ruhigen Kugel, doch davon kann nicht die Rede sein: Im Ferienlager geht der Unterricht weiter. Aufstehen um Punkt 7, Bettruhe um 22 Uhr. Keine Gnade. Rafe lässt sich aber nicht unterkriegen, und nachdem er seine Camptruppe, die Bisamratten, auf Widerstand eingeschworen hat, wird das Ferienlager doch noch zum tollen Erlebnis. (Verlagsinfo)

Taschenbuch: 320 Seiten
dtv

Wilhelm Genazino – Außer uns spricht niemand über uns

Der Ich-Erzähler ist Schauspieler, allerdings derzeit ohne Engagement und beruflich offenbar gescheitert. Mal spricht er Hörbücher ein, mal soll er Veranstaltungen organisieren, aber nicht immer gegen Honorar. Und so fristet der nicht namentlich Genannte, von dem wir auch das Alter nur erahnen können – offenbar mitten in der Midlife Crisis – ein ziemlich trostloses Dasein. Auch seine Freundin Carola ist dort nur manchmal ein Lichtblick. So ganz genau mit der Treue nimmt sie es nicht, und so ist gar nicht klar, ob der Erzähler nun der Vater des Kindes ist, das seine Freundin zu bekommen scheint – ohne dass diese offensichtliche Schwangerschaft aber jemals zwischen den beiden thematisiert wird.

Und so kommt es, wie es kommen muss: Erst verliert Carola das Kind, danach der Ich-Erzähler seine Freundin und schlussendlich sie gar ihr Leben.

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Antonie Rietzschel – Dreamland Deutschland?

Dreamland Deutschland? Das erste Jahr nach der Flucht. Zwei Brüder aus Syrien erzählen

Deutschland zwischen „Wir schaffen das“ und „Wir sind das Volk“
Die Ankunft von mehr als einer Million Flüchtlingen hat Deutschland verändert – und Deutschland hat die Menschen, die hierhergekommen sind, verändert. Die syrischen Brüder Yousef und Mohanad leben seit Ende 2014 in Oelde. Sie sind aus Syrien vor Terror und Krieg geflohen, haben große Gefahren überwunden, um sich ein neues Leben aufzubauen. Dies ist ihre berührende Geschichte und zugleich das packende Porträt des Einwanderungslandes Deutschland im Jahr 2016 – zwischen Pegida und Willkommenskultur. (Verlagsinfo)

Inhalt und Eindrücke

Mehr als ein Jahr hat die Journalistin Antonie Rietzschel es sich zur Aufgabe gemacht, zwei junge Brüder aus Syrien zu begleiten. In Mailand lernt Rietzschel Mohanad und Yousef kennen, als diese versuchen, ihre Flucht nach Deutschland fortzusetzen. Dreamland Deutschland(?) – zum Titel des Buches geworden, sagt doch eine Menge über die Erwartungen und Träume der beiden jungen Männer aus, die vor Krieg und Terror in der eigenen Heimat Syrien zuvor geflohen waren.

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Matthew Skelton – Endymion Spring: Die Macht des geheimen Buches

Mainz, 1452:

Zwei Gestalten – eine davon zieht eine schwere Truhe durch den Schnee – erscheinen in einer Winternacht in Mainz. Einer der beiden stellt sich als Johann Fust heraus, der andere als sein Gehilfe. Die beiden sind auf dem Weg zu Johannes Gutenberg, der in seiner kleinen Werkstatt erste Druckversuche der Bibel anfertigt. Johann Fust unterbreitet ihm einen Vorschlag: Er finanziert Johannes Gutenbergs Druckerei, wenn er die Druckerei anschließend ebenfalls benutzen darf.

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David M. Cornish – Monster Blood Tattoo 1: Der Findling

Handlung

Rosamund ist ein Waisenjunge, ein Findling, und lebt in „Madam Operas außerordentlicher Marineanstalt für Findelkinder“ in der Stadt Brandenbrass. Dort wird er zwar wegen seines Mädchennamens oft gehänselt, aber eigentlich fühlt er sich im Findlingsheim ganz wohl. Doch er hat einen großen Traum: Er möchte ein Monsterjäger werden, denn die Monster bedrohen die Menschen überall. Am liebsten wäre er ein Essigfahrer auf einem großen Kriegsschiff. Ab und an kommen Anwerber in die Marineanstalt, um sich Jugendliche für verschiedene Arbeiten auszusuchen. Doch Rosamund wird nicht vom Anwerber der Marina ausgesucht. Er soll Laternenanzünder werden! Dies gefällt ihm natürlich gar nicht, doch als er auf der Reise zu seinem Arbeitsplatz von einem ruchlosen Flussschiffer entführt wird und kurz danach im Gefolge der Monsterjägerin Europa reist, merkt er, dass Monster zu töten doch nicht so prima ist, wie er es sich vorgestellt hat.

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Peter Hoeg – Das stille Mädchen

Peter Høeg, der Autor von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, hat seit langem kein neues literarischen Werk veröffentlicht.

Nach knapp zehn Jahren Pause hat der dänische Schriftsteller mit „Das stille Mädchen“ einen umfangreichen Roman vorgelegt, in dem eine ganz besondere Gabe, eine Wahrnehmung im Mittelpunkt steht. Wie schon bei Patrick Süskinds [„Das Parfum“ 3452 geht es um die starke Ausprägung eines Sinnes, in diesem Falle des Gehörsinns.

Wie auch bei „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, handelt es sich hier um einen belletristischen Thriller. Verschiedene Kritiker des Buches haben den Literaturliebhabern unter uns viel versprochen. Die Erwartungen sind entsprechend hoch angesetzt.

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