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Mankell, Henning – fünfte Frau, Die

1993 werden in Algerien fünf Frauen von Fundamentalisten ermordet, vier sind Nonnen aus Frankreich, die fünfte ist eine schwedische Touristin. Ein Jahr später werden in Schweden drei Männer auf brutale Weise umgebracht. Sie waren auf den ersten Blick achtbare Bürger, bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich als Männer, die Frauen seelisch und körperlich schwer misshandelt haben. Sie kannten einander nicht.

Sind diese Morde die Rache eines Vergewaltigungsopfers an Vergewaltigern und Mördern? Ist ein oder eine Serientäter(in) am Werk? Kommissar Wallander muss sich mit seinen Ermittlungen beeilen, wenn nicht weitere, immer grausamere Morde geschehen sollen. Zum Glück weiß er nicht, dass die Todesliste nicht weniger als vierzig Namen enthält.

|Der Autor|

Henning Mankell wurde 1948 in Schweden geboren. Heute verbringt der Schriftsteller, Drehbuchautor und Intendant die eine Jahreshälfte in Moçambique, wo er seit 1996 das Teatro Avenida in der Hauptstadt Maputo leitet. Die andere Jahreshälfte verbringt er in Schweden. Für sein vielseitiges Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so etwa mit dem Deutschen Krimi-Preis und mit dem Deutschen Bücherpreis.

_Handlung_

Im Mai 1993 überfallen islamistische Fundamentalisten in Algerien ein Kloster französischer Nonnen. Vier Frauen sterben sofort, weil sie das Land nicht verlassen wollten, doch es gibt eine fünfte Frau, mit der die Angreifer nicht gerechnet haben: eine schwedische Touristin. Auch Anna Anders muss sterben. Im August erhält Anna Anders’ Tochter einen dicken Brief aus Algerien. Er ist von einer Polizistin, die die Aufgabe hatte, den Tod der fünften Frau aus politischen Gründen zu vertuschen. Doch sie fand eine Tasche mit Briefen an Annas Tochter, welche sie der Tochter nun zusammen mit Annas Pass schickt. Und diese soll niemandem verraten, von wem sie diese Dokumente erhalten hat.

Am 20.8.1993 beschließt die Tochter, ein Jahr lang zu trauern. Aber nicht länger. Inzwischen bereitet sie ihre Rache vor. Und das erfordert sorgfältige Planung.

Am 21. September 1994 verschwindet der Dichter und frühere Autohändler Holger Eriksson aus seinem abgeschieden gelegenen Haus. Nachdem er ein Gedicht über einen Vogel geschrieben hat, macht er einen Spaziergang zu seinem gewohnten Beobachtungsturm, um den Vögeln bei ihrem Zug nach Süden zuzusehen. Doch oben auf dem Turm wartet schon jemand auf ihn. Wer kann das sein? Er tritt auf den Holzsteg, der über einen zwei Meter tiefen Graben führt, und bricht sofort ein. Spitze Pfähle bohren sich in seine Lunge, sein Leben verebbt. Der Beobachter wendet sich zufrieden ab.

Der Ölhändler Sven Turjen gibt eine Vermisstenmeldung auf: Eriksson habe sich nicht gemeldet und sein Postkasten laufe über. Da stimme doch was nicht. Wallander bestätigt diese Befund, als er zu Erikssons Haus fährt. Das Gedicht trägt das Datum des 21.9.1994, heute ist der 28.9. Und dann dieser seltsame Einbruch in das Blumengeschäft von Ystad: eine Blutlache mitten im Laden statt direkt an der Scheibe, und mitgenommen wurde auch nichts. Was ist hier eigentlich los?

Der Gefesselte kann sich kaum rühren, so eng ist er geschnürt. Es ist stockfinster in dem engen Raum, wo jemand ihn nach dem Überfall abgelegt hat. Danach hat er einen kompletten Filmriss: Er kann sich an nichts erinnern. Aber jemand füttert ihn und hilft ihm, seine Notdurft zu verrichten – schon fünf Tage lang. Er ahnt nicht, dass er in einem riesigen alten Backofen steckt. Sein Todesurteil ist bereits unterzeichnet, und nur über seine genaue Todesart wurde noch nicht entschieden …

|Was steckt dahinter?|

Im ansonsten so ruhigen südschwedischen Ystad verschwinden also nacheinander mehrere Männer, die später auf grausige Weise getötet aufgefunden werden. Kommissar Kurt Wallander und seine Kollegen bemühen sich, eine konkrete Absicht hinter diesen Morden zu entdecken. Warum sollte jemand einen zurückgezogen lebenden Dichter und Vogelkundler (Holger Eriksson) oder einen Orchideensammler und -züchter ermorden?

Die Verbindung liegt, wie so oft, in der Vergangenheit und in den Frauen. Wie sich herausstellt, haben Holger Eriksson und Gösta Runfeld wahrscheinlich – aber das ist nicht hundertprozentig sicher – ihre Freundin oder ihre Frau getötet. Das dritte Opfer, Eugen Blumberg, hat seine Geliebte Katarina Taksell, die gerade eine Baby bekommt, grün und blau geschlagen. Und wer ist der Nächste?

Der oder die Mörder üben anscheinend Vergeltung an den Männern, die Gewalt an ihren Frauen ausgeübt haben. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wallander erkennt, dass der Täter nicht für sich selbst tötet, sondern für die Opfer von Männergewalt. Aber warum? Und wie lässt er – oder sie? – sich stoppen?

_Mein Eindruck_

Dieser beeindruckende Mankell-Thriller führt den Leser dicht an die psychologischen Vorgänge heran, die zu einem doppelten dramatischen Showdown führen. Dabei wechselt das erste, sehr actionbetonte Finale unvermittelt in eine beklemmende, schier ausweglose Katastrophe, die Wallander selbst unwillentlich herbeigeführt hat und die Annbritt in eine tödliche Gefahr bringt.

Das geistige Auge des Leser bzw. Hörers sieht sich mehrmals einigen schockierenden Anblicken ausgesetzt. Der Dichter, aufgespießt auf angespitzten Bambusstöcken; ein Mann, gefesselt im Wald; ein anderer ertränkt in einem Sack. Alle lebten noch mindestens ein paar Minuten, bevor das Leben sie verließ. Weil aber für das Heben von Männern ebenfalls ein starker Mann für notwendig gehalten wird, fällt nie der Verdacht auf eine Frau. Ein schwerer Fehler, doch Annbritts weibliche Intuition hilft Wallander, diesen Fehler zu korrigieren.

Dass das zweite Opfer zunächst eine Weile gefangen gehalten worden war, erfährt Wallander erst spät. Die Fundorte und der Backofenkeller sind Szenen wie aus einem düsteren Thriller von David Fincher. Der Anfang von „Sieben“ ließe sich am ehesten mit manchen Stilmitteln vergleichen, die der Regisseur Birger Larsen in der ZDF-Verfilmung dieses Thrillers einsetzte. Ebenso düster, unsicher, verstörend – sowohl im Bild als auch auf der Tonspur. Kein Wunder, dass diese Verfilmung erst ab 16 Jahren freigegeben ist.

Die Verfilmung weicht in vielen und wichtigen Punkten von der Vorlage des Buches ab. Allerdings ist auch das Hörbuch ein gekürzter Text. So taucht beispielsweise keine Bürgerwehr im Hörbuch auf, und auch eine Affäre zwischen Wallander und Annbritt findet nicht statt. Im Gegenteil: Als Annbritt im Krankenhaus liegt, düst ihr Ehemann aus dem arabischen Dubai sofort nach Hause zurück, um an ihr Bett zu eilen.

Selbst das Eingeständnis einer eigenen Schuld, dass Wallander einmal, ein einziges Mal seine Frau (Mona) geschlagen habe, fehlt im Hörbuch. Und selbstverständlich taucht hier auch kein Freund von Linda auf, dem Wallander drohen könnte, er solle ja gut zu seiner Tochter sein. Infolge des Fehlens dieser Szenen erscheint Wallander auf der privaten Ebene selbstgerecht, obwohl er doch auf der beruflich-öffentlichen Ebene nur seine Pflicht tut und den Täter der Gerechtigkeit zuführt.

Aber was ist „Gerechtigkeit“? Die Frage bleibt offen, ob es in irgendeiner Weise „gerecht“ war, dass Anna Anders in Algerien ermordet wurde. Und vor allem die Frage bleibt: „Wer wird jetzt nach ihrem Mörder suchen?“ Wer sorgt dort für Gerechtigkeit?

_Unterm Strich_

„Die fünfte Frau“ ist ein erstklassiger Thriller, der an manchen Stellen stark an David Finchers „Sieben“ erinnert. Es geht um Selbstjustiz, Schuld, moralische Berechtigung, menschlichen Verlust und Gewinn. Natürlich spielen die Ermittlungen in Sachen Serienmorde eine große Rolle, aber sie finden ihr Gegengewicht in den Erlebnissen, die Commissario Wallander hat – die meisten sind nicht allzu angenehm.

Das Buch fängt ganz langsam an, mit ein paar Merkwürdigkeiten wie dem Verschwinden zweier Männer und dem Einbruch in einen Blumenladen in Ystad. Aber das letzte Drittel besteht fast nur noch aus einer Verfolgungsjagd. Wie im Film macht die Polizei von Lund keine besonders gute Figur, als sie die überwachte Person über die Hintertreppe entkommen lässt. Bis der Täter identifiziert ist, vergeht noch einmal eine Schnitzeljagd, bei der Herr Bergstrand, ein Beamter der Staatsbahnen, von Wallander und Co. regelrecht gepiesackt wird – der Ärmste!

Wie gesagt, gibt es praktisch zwei Finali und einen schönen, langen, recht melancholischen Epilog. Wieder einmal erscheint uns Wallander als ein Frauenversteher, aber auch er kann seinem Täter nicht mehr helfen. Dieser Schluss weicht völlig von dem des Films ab und sollte als eigenständig gewürdigt werden.

Von mir gibt es für diese Leistung eine uneingeschränkte Empfehlung.

|Originaltitel: Den femte kvinnan, 1996
Aus dem Schwedischen übersetzt von Wolfgang Butt|

Henning Mankell – Wallanders erster Fall (Hörspiel)

Backpfeifen und Messerstiche: Wallander lebt gefährlich

Als Kurt Wallander seinen ersten Fall löst, ist er Anfang zwanzig, ein junger Kriminalassistent in Malmö und in seine Freundin Mona verliebt. Man schreibt den Juni 1969, und Polizisten gehen gegen Anti-Amerika-Demonstranten vor. Eines Abends findet er seinen Nachbarn erschossen auf dem Küchenboden vor. Die Kripo tippt auf Selbstmord, doch Wallander zweifelt an dieser Erklärung – ganz besonders dann, als die Wohnung des Nachbarn in Brand gesteckt wird und man wenig später auf eine zweite Leiche stößt. (aus der Verlagsinfo)
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Henning Mankell – Die Pyramide (Lesung)

An der schwedischen Küste stürzt ein Sportflugzeug von Drogenkurieren ab. In dem ansonsten so idyllischen Städtchen Ystad, wo Kommissar Kurt Wallander tätig ist, explodiert wenig später das Haus zweier ehrbarer Schwestern. Und zu guter Letzt wird Wallanders Vater in Ägypten wegen Pyramidenbesteigung verhaftet. Unser Serienheld hatte es offenbar schon im Jahr 1989 nicht leicht in seinem Beruf.

Der Autor
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Mankell, Henning – Mörder ohne Gesicht

Ein altes Ehepaar wird auf seinem abseits gelegenen Bauernhof grausam überfallen und ermordet. Als der schwedische Polizist Kurt Wallander am Tatort eintrifft, ist die Frau noch am Leben und gibt mit dem Wort „Ausländer“ einen verwirrenden und hochbrisanten Hinweis auf die Täter. Denn keinerlei Spuren deuten auf Ausländer hin, im Gegenteil: Ein Bekannter der Toten enthüllt den Beamten, dass eher eine ehemalige Geliebte des Ermordeten und ihr gemeinsamer Sohn als Täter in Frage kommen, weil diese um das geheim gehaltene Vermögen des Bauern wussten.

Als an die Öffentlichkeit gelangt, dass auch nach Ausländern gefahndet wird, geben ein Brandanschlag auf ein Asylheim und ein nachfolgender Mord an einem Somalier den Polizisten zusätzliche Arbeit und setzen sie unter Zwang, den Doppelmord schnellstmöglich aufzudecken. Doch die Ermittlungen in Richtung Familie der Ermordeten enden schnell in einer Sackgasse und keine neue Hinweise durch mögliche Zeugen gehen ein. Wallander und seine Kollegen sind ratlos und befürchten, dieses grausame Verbrechen zu den ungelösten Fällen ablegen zu müssen, bis eine Bankangestellte sich an etwas erinnert …

Der „Mörder ohne Gesicht“ läutete die Wallander-Erfolgsstory ein und schnell wird klar, warum diese Romane süchtig machen: Die Figur Wallander wird binnen weniger Kapitel zum alten Bekannten, den man bemitleidet, bewundert und gleichzeitig mag und nicht mag. Der Leser folgt ihm wie unter Zwang auf seinen zwei Lebenswegen: Auf der einen Seite sein Polizistendasein, mit dem er hadert, in dem er leidet, das ihm menschliche Seiten zeigt, die er nicht versteht, aber auf’s Argste bekämpfen möchte und das ihn zur Verzweiflung treibt, wenn es scheinbar nicht möglich ist.

Auf der anderen Seite Wallanders Privatleben: Geschieden, der Tochter entfremdet, oft in Alkohol fliehend, vegetiert er dahin, von utopischen Wünschen und Hoffnungen erfüllt, die doch nie wahr werden. Eine jämmerliche Existenz, die jedoch vielleicht gerade deswegen den Leser fasziniert und in einem Gefühlschaos versinken lässt.

Stilistisch gesehen bietet Henning Mankell in seinen Romanen nicht sehr viel. Seine Stärke ist die Darstellung der Charaktere, nicht seine Ausdruckskraft. Viele Wiederholungen, vor allem Passagen Wallanders persönliches Dilemma betreffend, stoßen doch öfter auf, da sie einfach den Lesefluss stören und der Leser aus der eigentlichen Geschichte herausgerissen wird. So leidet auch der Spannungsbogen hauptsächlich in der Mitte des Romans ganz erheblich.

Mankell versteht es zwar, Bilder von seiner Hauptfigur in allen Situationen im Leser auferstehen zu lassen, doch bleibt alles andere größtenteils verschwommen, was meiner Meinung nach sehr schade ist, denn Mankells schriftstellerisches Potenzial ist deutlich erkennbar. Durch Wallander entsteht zwar eine melancholische Atmosphäre, diese könnte aber weit mehr ausgefeilt werden – so weit, dass der Roman schließlich von ihr beherrscht und der Leser durch sie gnadenlos bis zum tiefsten Abgrund geführt wird.

Doch Wallander-Fans werden diese kleinen Schwächen dem schwedischen Autor (nähere Infos im Review zu [„Hunde von Riga“) 95 verzeihen und das ist auch richtig so, denn „Mörder ohne Gesicht“ ist allemal lesenswert und lädt zum kniffligen Ratespiel ein: Wer ist denn nun der Mörder ohne Gesicht?

Homepage von „Kurt Wallander“: http://www.wallander-web.de

Mankell, Henning – Mann, der lächelte; Der

_Kurt Wallander, der James Bond von Ystad?_

Im ZDF lief die TV-Verfilmung dieses frühen Mankell-Krimis von 1994. Ein Vergleich mit der vorliegenden Hörspielfassung fördert einige Abweichungen zutage. Dabei kommt das Hörspiel aber keineswegs schlecht weg.

_Der Autor_

Henning Mankell, 1948 in Stockholm geboren und jetzt in Mosambique lebend, sieht sich selbst weniger als Krimiautor denn als Gesellschaftskritiker. Bereits mit 20 arbeitete er in Stockholm als Autor und Regisseur an einem Theater. In den siebziger Jahren veröffentlichte er mehrere Werke, die sich den Klassenkampf und die Arbeiterbewegung zum Thema machten.

Seit 1990 widmet er sich seinem Hauptwerk: den neun Fällen des Kommissars Wallander. Sie wurden Weltbestseller und alle im |Hörverlag| in Hörspielfassungen veröffentlicht. „Der Mann, der lächelte“ erschien 1994 in Schweden und wurde 2001 von Erik Gloßmann ins Deutsche übersetzt.

_Handlung_

Kurt Wallander, Schwedens bekanntester Kommissar, ist ausgebrannt und bereits fest entschlossen, den Polizeidienst zu quittieren. Die Papiere liegen schon bereit, sein Chef hat extra eine Pressekonferenz einberufen.

Selbst als sein Freund Sten Torstensson, ein Anwalt, ihn bittet, den mysteriösen Unfalltod seines Vaters Ole, ebenfalls Anwalt, zu untersuchen, ändert Wallander seine Entscheidung nicht.

Erst als er am Tag seiner vorgesehenen Entlassung die Todesanzeige Stens entdeckt, erwacht sein kriminalistischer Spürsinn aufs Neue. Er tritt wieder seinen Dienst an, gräbt nach Spuren und wird fündig. Sten Torstensson wurde mit drei tödlichen Schüssen von Profis kaltgemacht.

Ole und Sten Torstensson waren Anwälte, die nur einen Klienten hatten: Alfred Harderberg. Der ist einer der bedeutendsten und angesehensten Unternehmer Schwedens. Allerdings gehörte ihm über Umwege auch eine Firma, über die vier Millionen Kronen Steuern hinterzogen wurden.

Nun scheint Wallander auf einmal gefährlich zu leben: Bei der Sekretärin der beiden Torstenssons stößt er auf eine Landmine, die denn auch prompt detoniert. Später wird er von einem Wagen verfolgt, als er mit seiner neuen Kollegin Ann Britt Höglund unterwegs ist. Nur durch einen winzigen Verdachtsmoment denkt Wallander an eine Autobombe, steigt mit Ann Britt aus – und schon fliegt die Kiste in die Luft!

Wer Wallander kennt, weiß, dass ihn nun nichts mehr aufhalten kann, bis er den Drahtzieher dieser Anschläge gestellt hat. Kandidat Nr. 1 auf seiner Liste: Alfred Harderberg.

_Mein Eindruck_

Der Dramaturg des Hörspiels der Produktionsgesellschaft STIL, Moritz Wulf Lange, hat den Stoff des Romans vor allem auf Aktion getrimmt: Ständig passiert etwas, das die Ermittlungen Wallanders und seiner Kollegen weiterbringt. Das ist für dieses Medium auch völlig in Ordnung. Es ist eine Todsünde, den Zuhörer zu langweilen. Dabei geht allerdings die angeblich „subtil gesponnene Gesellschaftskritik“ (|Der Spiegel|) völlig flöten.

Gegenüber dem Film fehlt auch die Figur der Maja, zu der Wallander so etwas wie eine Liebesbeziehung aufzubauen versucht – was natürlich nicht besonders gut klappt. Die Kollegin Ann Britt des Hörspiels steht jedoch nicht für Bettszenen zur Verfügung – so viel wird deutlich.

[SPOILER]

Was nun das Anliegen betrifft, das Mankell am Herzen liegt, wenn er einen Krimi schreibt: Es geht um Organhandel, den Harderberg organisiert. Nicht ganz die feine englische Art, die man einem Wohltäter Schwedens zuschreiben würde.

[SPOILER Ende]

Die Spannung ist durchweg gewährleistet, und manche Szenen erreichen beinahe schon Gruselqualität, so etwa dann, wenn Wallanders nachts um drei durch den Wald vor Schloss Farnholm kraucht und am Schloss auf eine Leiche stößt …

|Die Sprecher & die Inszenierung|

Alle Sprecher sind professionelle Sprecher, wie deutlich zu hören ist. Am wichtigsten ist natürlich die Figur des Kurt Wallander: Heinz Kloss verleiht dem ebenso beliebten wie beleibten Kommissar eine imposante Statur: einmal voller Energie, dann wieder lethargisch-verpennt, schließlich wieder gegen die Windmühlen der Bürokratie ankämpfend. Dann wird Wallander zum James Bond von Ystad. So kommt es zum Showdown auf der Flughafenpiste.

Die kühl-jazzige Musik erzeugt genügend Spannung, dass man weiterhören möchte, ist aber mehrmals ziemlich einfach gehalten. Zu einfache Tonfolgen – so etwa Arpeggios – können jedoch nerven, zumal dann, wenn sie minutenlang ohne Variation wiederholt werden.

Die Geräusche sind in der Mehrzahl ebenfalls passend eingesetzt, sei es nun eine Kuckucksuhr oder ein startenden Automotor. Insbesondere die Explosionen sind gelungen. Schade, dass diese CD keinen DD-5.1-Sound hat! Am Schluss sind jedoch Luftschutzsirenen zu hören, und das ist nun völlig daneben. Es müssten die Martinshörner eines Krankenwagens sein.

_Unterm Strich_

Aufgrund der spannenden Handlung würde ich dem Hörspiel gerne eine Höchstwertung verleihen, aber die merkwürdigen Schwächen in der Sounduntermalung bringen dem Produkt einen Punktabzug ein.

|Originaltitel: Mannen som log, 1994
ca. 107 Minuten auf 2 CDs|
http://www.hoerverlag.de

Mankell, Henning – Mann mit der Maske, Der

_Süd trifft Nord: Wallander in der Klemme_

Polizeipräsidium Malmö am Weihnachtsabend. Kommissar Kurt Wallander soll noch bei einer alten Dame vorbeisehen, die sich über einen verdächtigen Mann beschwert hat. Er findet die Frau tot vor und wird selbst niedergeschlagen. Gelingt es Wallander, den Mann mit der Maske zu überführen?

_Der Autor_

Henning Mankell wurde 1948 in Schweden geboren. Heute verbringt der Schriftsteller, Drehbuchautor und Intendant die eine Jahreshälfte in Mocambique, wo er seit 1996 das Teatro Avenida in der Hauptstadt Maputo leitet. Die andere Jahreshälfte verbringt er in Schweden. Für sein vielseitiges Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so etwa mit dem Deutschen Krimi-Preis und mit dem Deutschen Bücherpreis.

_Der Sprecher_

Axel Milberg, geborten 1956, ist einer der vielseitigsten Schauspieler in Deutschland. Nach Absolvierung seiner Ausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule in München ist er seit 1981 Mitglied des Ensembles der Münchner Kammerspiele. Dort arbeitete er u. a. unter Dieter Dorn, Peter Zadek und Alexander Lang, so etwa in Dorns „Faust“-Inszenierung. Milberg spielte außerdem in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen mit, so etwa in „Rossini“ (1996), „Jahrestage“ (2000) und „Stauffenberg“ (2004), aber leider auch in „Harte Jungs“.

_Handlung_

Es ist Heiligabend 1975, als Kriminalassistent Kurt Wallander im Polizeipräsidium Malmo einen letzten Auftrag vor Weihnachten erhält. Bevor Wallander zu Frau und Kind nach Ystad fährt, möchte Kommissar Hemberg, dass er dem Anruf einer alten Dame namens Elma Hågmann nachgeht und bei ihr nach dem Rechten schaut. Sie mache sich Sorgen wegen einer „sonderbaren Person“. Und es würde ja bloß zehn Minuten kosten. Wallander nickt.

Als er vor dem Lebensmittelladen eintrifft, lässt er den Schlüssel stecken und die Tür offen, denn er denkt, es dauert ja eh nicht lange. Er soll sich getäuscht haben. Der Laden ist leer, doch im Hinterzimmer sieht er eine alte Frau auf dem Boden liegen, in ihrem Blut. Wo aber ist der Täter? Als er sich wegen eines Geräusches umdreht, wird er niedergeschlagen.

Wallander erwacht auf dem Boden des Ladens, gefesselt mit seinem eigenen Abschleppseil. Es ist zehn nach 18 Uhr. Hoffentlich ruft seine Frau Mona bald Hemberg an, um zu fragen, wo er nur bleibt. Ein großer Mann mit schwarzer Maske und Handschuhen bedroht Wallander mit einem Eisenrohr, sagt aber kein Wort. Als er wieder weggeht, streift der Polizist das Seil ab und stürzt sich auf den Zurückkehrenden. Doch dieser zieht eine Pistole und zielt auf Wallanders Stirn.

Wallander verlegt sich aufs Verhandeln, doch der Mann sagt weiterhin kein Wort. Auch auf das mehrmalige Klingeln des Telefons reagiert er nicht. Noch weiß der Mann nicht, dass er es mit einem Polizisten zu tun hat. Da gibt er sich zu erkennen und bittet den Maskierten, die Waffe wegzulegen. Erst da gibt es eine Reaktion. Unter der Maske kommt ein Afrikaner zum Vorschein. Deshalb also konnte er Wallander nicht verstehen. Der Polizist verlegt sich auf Englisch und erhält eine Antwort: Er heiße Oliver und komme aus Südafrika, sei geflohen.

Da wird Wallander einiges klar. In Südafrika herrscht die Apartheid und die weiße Minderheit unterdrückt die protestierende schwarze Mehrheit mit wachsender Brutalität. Er kann sich das Elend, in dem Oliver seit seiner Flucht gelebt hat, vorstellen. Und nun wollte er den Laden einer alten Dame ausrauben, um an ein wenig Geld zu kommen. Das ging schief.

Es ist inzwischen nach 18:35 Uhr. Die Situation eskaliert, als Kommissar Hemberg eintrifft und an die Tür des Ladens klopft …

_Mein Eindruck_

Wallander philosophiert über den Riss nach, den er in der Gesellschaft wahrzunehmen glaubt, erst in der schwedischen, dann in der weltweiten. Als der Mann noch maskiert ist, wundert er sich über die zunehmende Gewalt und Brutalität, die so völlig unmotiviert und sinnlos erscheint. Aber als der Mann seine Maske abnimmt und seine Geschichte von Tod, Verfolgung und Tod erzählt, erhält der Riss ein Gesicht und einen Hintergrund.

Danach verteidigt Wallander den Schwarzen, was Hemberg leider nicht verstehen kann. Der Unterschied ist der, dass Hemberg nur die „Flut von Ausländern“ sieht und deren Gewalt, Wallander aber keine „Flut von Ausländern“ wahrnimmt und im Gegensatz zu Hemberg das Kommen von Leuten wie Oliver versteht. Vertrieben aus einem Gewaltstaat, geflohen in einen Rechtsstaat, glaubte Oliver, sich in Schweden mit Gewalt behaupten zu können. Doch eine einfache Frage Wallanders entwaffnet ihn: „Was würde dein Vater über das denken, was du getan hast und was du immer noch tust?“ Olivers Vater war Mitglied des African National Congress (ANC), der um die Rechte der schwarzen Mehrheit in Südafrika kämpfte. Oliver schämt sich seiner Taten und handelt entsprechend.

Aber die Komplexität dieser Situation scheint Wallander seinem Chef nicht klarmachen zu können. Und wie soll er seiner Frau Mona erklären, was passiert ist – dass er beinahe getötet worden wäre? Sie macht sich eh schon zu viele Sorgen um ihn. Es ist 20:10 Uhr. Er befolgt den Rat Hembergs und sagt Mona nichts davon. So können beide mit Tochter Linda einen schönen Heiligabend verbringen.

|Der Sprecher|

Ich verstehe nicht, warum Axel Milberg vom Verlag so gelobt wird. Seine Leistung ist nicht gerade überragend zu nennen. Er trägt zwar deutlich und gut betont vor, doch alle seine Figuren sind nicht voneinander zu unterscheiden. Für jeden der drei Männer hat er die gleiche Tonlage und Sprechweise. (Oliver kommt eh nicht zu Wort.) Weder Musik noch Geräusche unterstützen seinen Vortrag. Die akustische Umsetzung begeistert mich also überhaupt nicht.

_Unterm Strich_

Das Hörbuch entspricht in jeder Weise dem, was man thematisch von Mankell erwartet. Der Gesetzeshüter der schwedischen Gesellschaft trifft auf einen politischen Flüchtling aus dem südlichen Afrika – ich habe sofort erwartet, er komme aus Mosambik, wo Mankell zeitweilig lebt. Dass Wallander mit einem Opfer der Apartheidspolitik der weißen Regierung in Pretoria konfrontiert wird, ist für die Zeit um 1975 äußerst aktuell. Es ist die Zeit von Steve Biko und des ANC, als sich auch zunehmend westliche Künstler des Problems bewusst werden. (Peter Gabriel komponierte ein Lied über Steve Biko, allerdings erst in den Achtzigern.)

Die Story wird schnörkellos, aber spannend geschildert. Wallanders Verhandlungsversuche werden von Kämpfen abgelöst, ohne zu einem Ergebnis zu führen. Erst als er sein Gegenüber ernst nimmt und sich in dessen Geschichte hineinversetzt, führt er die entscheidende Wende herbei. Wallander handelt hierin stellvertretend für alle westlichen Gesetzeshüter. Das ist vielleicht ein wenig idealistisch von Mankell dargestellt.

Milbergs Vortrag hat mich nicht beeindruckt, sondern eher durch mittelmäßige Kompetenz beruhigt. So konnte ich mich auf das konzentrieren, was im Text gesagt wird. Das ist zwar nicht viel, was sich für Milbergs Vortrag sagen lässt, aber es ist für den Hörer jedenfalls ein Vorteil.

|55 Minuten auf 1 CD|
http://www.hoerverlag.de

Henning Mankell – Die Pyramide (Lesung)

Gefährliche Pyramidenbesteigung: spannend gelesen

Die Aufklärung eines mysteriösen Flugzeugabsturzes in Schonen, Südschweden, führt Wallander in die schwedische Drogenszene. Dass der Mord an zwei biederen Schwestern in ihrem Kurzwarenladen damit zusammenhängt, erkennt er erst spät. Denn er muss seinen eigenen Vater aus dem Gefängnis holen, weil er versucht hat, in Ägypten auf eine Pyramide zu klettern. Es bleibt Wallander nichts anderes übrig, als selbst nach Kairo zu fliegen, nicht ahnend, dass ihn die Rettung seines Vaters auf eine entscheidende Beobachtung für die aktuelle Ermittlung führt … (Verlagsinfo)

Der Autor
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Henning Mankell – Hunde von Riga (Lesung)

Wallander goes East: Liebe und Verschwörung

An einem kalten Februartag des Jahres 1991 wird ein Rettungsboot bei Mossby Strand an die schwedische Küste getrieben. Darin liegen zwei Männer, beide tot, und wie Kurt Wallander feststellt, schon vor Tagen ermordet. Die Spuren führen ihn nach Riga, wo er Baiba Liepa kennen lernt, die Frau eines ermordeten Polizisten, der zu viel wusste über die Verbrechen in seinem Land. Wallander verliebt sich in Baiba, und sie hilft ihm bei seinen waghalsigen Ermittlungen, die ihn tief hineinführen in ein perfides Komplott

Der Autor

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Mankell, Henning – Mörder ohne Gesicht (Lesung)

_Asylanten killen: die Mörder mit der Schrotflinte_

Auf einem abgelegenen Hof in der Nähe von Ystad wird ein altes Ehepaar überfallen und auf unerklärlich grausame Weise getötet. „Ausländer!“ hört man noch von der sterbenden Frau. Als die Öffentlichkeit davon erfährt, wird Schonen von einer Welle ausländerfeindlicher Gewalt überrollt. Wallander ermittelt, geplagt von privaten Problemen, die einen Höhepunkt erreichen, als seine Tochter sich mit einem Kenianer einlässt. (z. T. Verlagsinfo)

_Der Autor_

Henning Mankell wurde 1948 in Schweden geboren. Heute verbringt der Schriftsteller, Drehbuchautor und Intendant die eine Jahreshälfte in Mocambique, wo er seit 1996 das Teatro Avenida in der Hauptstadt Maputo leitet. Die andere Jahreshälfte verbringt er in Schweden. Für sein vielseitiges Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so etwa mit dem Deutschen Krimi-Preis und mit dem Deutschen Bücherpreis.

_Der Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. 1994 wurde er mit dem „Bambi“ ausgezeichnet. Er hat schon zahlreiche Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. Am bekanntesten ist er wohl für seine Mitwirkung an der POE-Hörspiel-Reihe des |Lübbe-Audio|-Verlags.

Regie führte Margrit Osterwold, den Ton steuerte Fabian Küttner. Pleitgen liest eine gekürzte Fassung, die aber immer noch dreimal so lang ist wie jene, die der |Hörverlag| anbietet. Das Titelbild zeigt einen Ausschnitt eines Freskos von Giambattista Tiepolo.

_Handlung_

Es ist der 8. Januar 1990, als morgens um 4:45 Uhr der 70 Jahre alte Bauer Nyström aus dem südschwedischen Dorf Lenhap von der Stille erwacht. Normalerweise ist sein Pferd um diese Zeit schon unruhig, heute aber nicht. Als er zum Stall geht, sieht er, dass das Küchenfenster seines Nachbarn Lövgren offen steht. Dabei ist Johannes Lövgren immer so auf Sicherheit bedacht. Sonderbar. Dann hört er einen Schrei. Auch Nyströms Frau Hanna hört ihn – und das Küchenfenster wurde eingeschlagen! Nyström holt seine Taschenlampe und leuchtet ins Schlafzimmer der Lövgrens: Von Johannes sieht man nur den Fuß auf dem Boden, aber Maria sitzt an der Wand: blutüberströmt, gefesselt. Nyström ruft die Polizei.

Krimonalkommissar Kurt Wallander findet im Schlafzimmer der Lövgrens ein Schlachthaus vor. Blutspritzer bis an die Decke. Lövgren ist seinen schweren Verletzungen erlegen, aber die Frau lebt noch. Er lässt sie schleunigst ins Krankenhaus bringen, doch Stunden später erliegt sie ihren Verletzungen. Sie sagt nur ein letztes Wort: „… Ausländer …“.

Das hat Wallander gerade noch gefehlt. Statt eines „normalen“ Raubüberfalls, für das er diese Wahnsinnstag vorerst hält, soll nun eine Attacke von „Ausländern“ stattgefunden haben? In der Teambesprechung vergattert er alle Kollegen zum Schweigen, und auch in der Pressekonferenz sagt er kein Sterbenswörtchen von „Ausländern“. Dennoch muss es irgendwo ein Informationsleck gegeben haben, denn das schwedische Fernsehen behauptet, der Kommissar ermittle im Zusammenhang mit Ausländern und Asylbewerbern. Von seinen Kollegen beteuert jeder, er habe den Mund gehalten. Es hätte ja jemand aus dem Krankenhaus gewesen sein können. Auch wieder wahr.

Der 9.1.1990. In aller Frühe fährt Wallander zu Nyströms Hof und wird sofort beschossen! Er wirft sich auf den Boden in Deckung und ruft: „Polizei! Nicht schießen!“ Nyströms hat seine Schrotflinte nur in die Luft abgefeuert, ein Warnschuss. Dennoch kann man wohl den Alten als Doppelmörder ausschließen. Wallander überbringt die Nachricht, dass Maria Lövgren verstorben sei.

Lars Herdin, ein Landwirt aus Lenhap, sagt aus, der alte Lövgren sei „ein Schwein“ gewesen. Herdin ist Lövgrens Schwager: Maria war seine „kleine Schwester“. Lövgren habe sie nach Strich und Faden betrogen. Nicht nur hatte er seit den fünfziger Jahren ein Liebchen in Kristianstad, von dem er ein Kind hatte und für das er eine Menge Unterhalt zahlte – mehr als an Maria selbst. Außerdem war Lövgren stinkreich, seit er und sein Vater im Krieg Schlachtvieh an die Deutschen verhökert hatten. Tatsächlich, so findet Wallander heraus, stimmen Herdins Angaben, was das Geld betrifft: Lövgren hatte über eine Million schwedische Kronen in Aktien, Obligationen und Bargeld. Drei Tage vor seinem Tod, also am 4. Januar, hob er 27.000 Kronen ab und im Jahr zuvor jedes Quartal nochmals um die 25.000 Kronen. Wofür brauchte er so viel Geld? Für die Unterhaltszahlungen? Er steckte das Geld auf der Raiffeisenbank in eine braune Aktentasche, doch diese ist spurlos verschwunden. Also war es doch ein Raubüberfall, oder?

Doch die Gegend um Ystad und Malmö ist mittlerweile in Aufruhr. Die Rechtsextremen rufen Wallander an und setzen ihm eine Frist von drei Tagen, um den Täter zu schnappen. Ansonsten würden sie selbst für „Gerechtigkeit“ sorgen. Was dies bedeuten könnte, wird Wallander klar vor Augen geführt, als er am 10. Januar ein Auffanglager für Asylbewerber inspiziert. Ein Molotow-Cocktail setzt eine der Barracken in Brand. Schnell füllt sich die Hütte mit giftigem Rauch. Wallander schlägt beherzt die Scheibe ein und dringt in den Rauch vor. Zum Glück findet er niemanden darin, und was er für einen Schläfer gehalten hat, stellt sich als Matratze heraus. Aber nun greift das Feuer auf die anderen Hütten über. Er schlägt Alarm und befiehlt dem Lagerleiter, die Feuerwehr zu rufen. Auch Ambulanz und Polizei rücken ein.

Nachdem Wallander seine Wunden hat verarzten lassen, ist er der Held des Tages. Doch schon gibt es einen ersten Dämpfer, als die Einwanderungsbehörde anruft und sich über den mangelhaften Schutz der Asylantenheime beschwert. Er sagt der Beamtin gehörig die Meinung, die aufgebracht auflegt. Die Ministerin werde sich bei ihm melden, droht sie. Wallander kann es gar nicht erwarten.

Von seinem Vater, der schon fast 80 und ein erfolgreicher Landschaftsmaler ist, hat Wallander erfahren, dass seine Tochter Linda, die in der Gegend von Malmö lebt, offenbar einen netten Freund hat. Es ist ein Schwarzer, aus Afrika. Wallander weiß nicht, was er davon halten soll, aber er hat kein gutes Gefühl dabei. Als er nach Malmo fährt, um Mona, seine seit drei Monaten geschiedene Frau, zu treffen, entdeckt er Linda und ihren schwarzen Freund am Bahnhof. Er spioniert ihnen nach – und kommt sich dabei wie ein Idiot vor. Das Gespräch mit Mona bringt nichts außer Ärger. Die Info, der Schwarze sei ein angehender Mediziner, beruhigt ihn auch nicht gerade. Als sie geht, beschattet er auch sie. Ein Mann, der die ganze Zeit gewartet hat, holt sie im Auto ab. Wallander fühlt sich elend.

Wenig später wird in der Nähe des Asylantenauffanglagers Hageholm einem Somalier der Kopf mit einer Schrotflinte weggeschossen. Der Rechtsradikale, der Wallander schon zweimal angerufen hat, droht mit einem weiteren Mord: Der wäre die Vergeltung für Maria Lövgren. Der Aufruhr ist erheblich, und Wallander wird vom schwedischen Reichspolizeichef angerufen. Seine Ermittlung in Sachen Ausländermord habe oberste Priorität! Nun, immerhin stehen Wallander nun unbegrenzte Mittel zur Verfügung.

Die Jagd geht nun erst richtig los. Aber der Mordfall Lövgren wird dadurch in keiner Weise gelöst. Wallander bringt sich so gesehen völlig umsonst in höchste Lebensgefahr.

_Mein Eindruck_

Mankell kontrastiert wieder einmal das von seltenen Höhen und vielen Tiefpunkten gekennzeichnete Privatleben seines Helden mit dessen beruflichen Erfolgen, die doch ganz beträchtlich sind. Es ist merkwürdig, dass Wallanders Kollegen – zumindest bis zu einer gewissen Hierarchiegrenze, wo die Politik anfängt – durchweg alle auf seiner Seite stehen, und sogar die Staatsanwältin ihn bewundert und unterstützt. Sicher würde er sich insgeheim wünschen, dass auch sein Privatleben so funktionieren würde, aber das gesteht er sich erstens nicht ein und zweitens hat Kriminalkommissar Wallander auf privater Ebene eh nichts zu befehlen. Daraus resultiert eine ganze Menge Leid für ihn. Ich bewundere, dass es ihm gelingt, die beiden konträren Verhaltensweisen stets auseinander zu halten. Misslingt ihm dies auf privater Ebene, gibt es meist Stunk. Seine Entschuldigung: Er war angetrunken. Und er schickt Blumen.

Das Thema dieses Wallander-Romans ist unübersehbar die Ausländerproblematik. Sie war Anfang der neunziger Jahre nicht das alleinige Problem Schwedens, sondern aller europäischen Länder. Das Ende des Kalten Krieges, der Zusammenbruch der Sowjetunion, der neu entbrannte Balkankrieg, der zweite Golfkrieg – sie alle erzeugten damals eine Flut von Flüchtlingen, die in aller Herren Länder vertrieben wurden. Doch unter die berechtigten Asylsuchenden mischten sich auch skrupellose Verbrecher aus dem ehemaligen Ostblock. Und auf die Unterscheidung dieser beiden Gruppen achtete bis dahin niemand. Das Asylantengesetz Schwedens war ebenso großzügig ausgelegt wie das deutsche, und Leute, die aus den Asylantenlagern verschwanden, wurden nicht verfolgt. Die Erlebnisse Wallanders spiegeln genau die damalige Wirklichkeit wider.

Wallander ist, als er auf diese Zustände stößt, verständlicherweise aufgebracht, aber er wirkt hilflos: nur ein kleiner überarbeiteter Beamter, der von den Politikern und Bürokraten auch nur in den Hintern getreten wird, weil er angeblich nichts unternehme. Die sollten sich seiner Ansicht nach mal an die eigene Nase fassen und dafür sorgen, dass den Rechtsradikalen der geistig-moralische Nährboden entzogen wird statt über Symptome ihrer eigenen Politik zu jammern. (In „Der Tod des Tanzlehrers“ greift Mankell das Thema erneut auf und zeigt eine faschistische Untergrundorganisation mit Verbindungen zur hohen Politik.)

Über all diesem Tohuwabohu gerät der Doppelmord an den Lövgrens fast in Vergessenheit. Die ungewöhnliche Schlinge, das Wort „Ausländer!“, Lövgrens rätselhaftes Verhalten, vor allem aber die sinnlose Brutalität des Überfalls beschäftigen und erschüttern Wallander. Und der Fall wäre um ein Haar bei den Akten gelandet, wenn Wallander nicht Kommissar Zufall zu Hilfe gekommen wäre. Dadurch wird dem Leser bzw. Hörer noch ein actionreiches Finale geliefert, das sich sehen lassen kann. Allerdings habe ich den beeindruckenden psychologischen Horror, den Mankell in „Die fünfte Frau“ evozieren konnte, sehr vermisst. Dafür ist die Handlung in „Mörder ohne Gesicht“ zu unausgeglichen, zu disparat.

_Der Sprecher_

Ulrich Pleitgen ist am besten, wenn er die Sprechweise von Männern gesetzteren Alters nutzen darf, um sie angemessen zu charakterisieren. Ein Wucherer, der sich als Eisenwarenhändler getarnt hat, wird beispielsweise von Wallander ausgefragt, bleibt aber die ganze Zeit äußerst ruhig und beherrscht. Die Stimmlage dieser Figur ist tief, die Sprechweise langsam, die Ausdrucksweise umgangssprachlich – ein selbstsicherer Typ aus der Arbeiterklasse.

Am beeindruckendsten ist hingegen die Figur von Rudberg, dem alten Mentor Wallander, der im Buch an Krebs stirbt. Er klingt heiser, langsam, insgesamt sehr alt, aber seine Meinung ist fest und willensstark: „Bring die Verbrecher zur Strecke, Kurt!“ Noch heftiger drückt sich Wallanders Vater aus, denn er legt seine volle väterliche Autorität in seine Ausdrucksweise. Als Wallander zaghaft protestiert, fühlt sich sein Vater angegriffen und brüllt ihn nieder. Kein netter Typ, der Opa, aber man muss sich dennoch um ihn kümmern.

Etwas gewöhnungsbedürftig ist Pleitgens Darstellung von jüngeren Männern und von Frauen. Ich weiß nicht, ob es nur mir so geht, aber Figuren wie Martinsson, ein junger Kriminaler, der beherzt zupacken kann, klingen doch nur etwas schwach im Vergleich zu den älteren Herrschaften. Am sympathischsten unter den Frauenrollen ragen Annett Brolin, die äußerst attraktive Staatsanwältin, und Britta Lena Bodén, die Bankangestellte mit dem phänomenalen Gedächtnis, heraus.

Was ich noch unbedingt erwähnen muss: Pleitgen spricht die schwedischen Namen einwandfrei aus, so dass sie genauso klingen wie aus dem Munde eines Einheimischen, aber natürlich ganz anders, als man sie auf gedrucktem Papier vorfinden würde. Lund wird „Lünd“ ausgesprochen, „Peters“ wie „petersch“ und „Kristianstad“ klingt wie „krischanstad“. Das ist schon ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber ich verlasse mich darauf, dass das seine Richtigkeit hat, denn in den Liza-Marklund-Hörbüchern spricht Judy Winter ebenfalls auf diese Weise.

_Unterm Strich_

Nach einem horrormäßigen Anfang gleitet die Handlung unmerklich in einen ganz anderen Handlungsstrang hinüber, nur um nach dessen actionreicher Abwicklung in einer Sackgasse zu landen. Mankell kann es wirklich spannend machen, und erst kurz vorm Finale lässt er seinen Helden die rettende Erleuchtung zuteil werden. Ich kann mir gut vorstellen, aus welchen Gründen Wallander Millionen Lesern in aller Welt ans Herz gewachsen ist und sie ihm mittlerweile nachtrauern, weil Mankell ihn durch Wallanders Tochter Linda hat ablösen lassen.

Dieser Fall sorgt für etliche Überraschungen, Leidens- und Liebesszenen, aber auch für drei Verfolgungsjagden, bei denen ich mich wunderte, dass Wallander mit seinen 45 Jahren noch so sportlich agiert, wenn auch nicht immer glücklich. Einmal bricht er sich um ein Haar das Genick und wird zweimal fast erschossen. Offenbar hat der Kommissar einen wirkungsvollen „Schutzengel“. Dennoch fehlte mir die psychologische Spannung aus „Die fünfte Frau“.

Der Sprecher Ulrich Pleitgen macht seine Sache gewohnt gut und erweckt die Figuren zum Leben. Das zeigt sich besonders an den älteren Herrschaften, denen seine raue und tiefe Stimme am meisten zugute kommt. Auch zwei Frauengestalten gestaltet er auf sympathische Weise, wie es der Autor vorgesehen hat. Daher konnte ich mich kaum von Pleitgens Vortrag losreißen. Ständig wechselndes Personal und etliche Überraschungen sorgten dafür, dass ich wie gebannt zuhörte, was denn Wallander als nächstes widerfährt. Ein Wermutstropfen in dieser Freunde war lediglich der hohe Preis von knapp 30 Euroenen, aber bei Amazon.de gibt es das Hörbuch eventuell günstiger.

|Originaltitel: Mördare utan Ansikte, 1991
448 Minuten auf 6 CDs|
http://www.hoerbuch-hamburg.de

[NEWS] Henning Mankell – Der Sandmaler

Elisabeth und Stefan hatten gegen Ende der Schulzeit eine flüchtige Beziehung. Jetzt treffen sie sich kurz nach dem Abitur auf dem Flug nach Afrika wieder. Während Stefan das Strandleben genießt und in einer Bar ein einheimisches Mädchen aufreißt, will Elisabeth das fremde Land verstehen. Sie freundet sich mit einem Lehrer aus ihrer Reisegruppe an, der ihr die historischen Hintergründe erklärt, und der einheimische Guide Ndou führt sie durch die ärmsten Viertel. Elisabeth lernt, die Welt und ihr eigenes Leben mit anderen Augen zu sehen. (Verlagsinfo)


Taschenbuch: 160 Seiten
dtv

[NEWS] Henning Mankell – Die schwedischen Gummistiefel

Sein letzter großer Roman

Nach dem Brand seines Hauses auf einer einsamen Schäreninsel sind dem ehemaligen Chirurgen Fredrik Welin nur Wohnwagen, Zelt, Boot und zwei ungleiche Gummistiefel geblieben. Und wenige Menschen, die ihm nahestehen: Jansson, der pensionierte Postbote, die Journalistin Lisa Modin und seine Tochter Louise, die schwanger ist und in Paris lebt. Als Louise wegen eines Diebstahls in Untersuchungshaft gerät, ruft sie Fredrik zu Hilfe. Während er in Paris über ihre Freilassung verhandelt, erfährt er, dass auf den Schären schon wieder ein Haus in Flammen steht. (Verlagsinfo)

Taschenbuch: 368 Seiten
Originaltitel: Svenska Gummistövlar
dtv

[NEWS] Henning Mankell – Mörder ohne Gesicht

Ein altes Bauernpaar ist auf seinem Hof brutal ermordet worden. Kurz vor ihrem Tod hatte die Bäuerin noch einen letzten seltsamen Hinweis gegeben … Wallanders zweiter Fall

Kurt Wallander stieß die Tür mit dem Fuß auf. Es war schlimmer, als er es sich vorgestellt hatte. Viel schlimmer. Später würde er sagen, daß es das Schlimmste war, was er je gesehen hatte. Und dabei hatte er weiß Gott schon eine Menge gesehen. Ein altes Bauernpaar ist auf seinem Hof ermordet worden.

Nicht nur das Motiv der Tat liegt völlig im Dunkeln, vor allem deren furchtbare Brutalität irritiert die ermittelnden Polizisten um Kurt Wallander. Und dann hatte die alte Bäuerin, kurz bevor sie im Krankenhaus starb, den Beamten noch einen letzten, seltsamen Hinweis gegeben …

Ein raffinierter psychologischer Kriminalroman in der Tradition Sjöwall/Wahlöös. ›“Mörder ohne Gesicht“‹ wurde 1992 als bester Thriller Skandinaviens ausgezeichnt. (Verlagsinfo)

Taschenbuch: 336 Seiten
Originaltitel: Mördare utan ansikte
dtv

Henning Mankell – Der Feind im Schatten

Eine Ära geht zu Ende. Vermutlich ist kein Kriminalkommissar in der gesamten Literatur so bekannt wie Kurt Wallander – der alternde, teils zynische und manchmal schlecht gelaunte und grüblerische Kommissar aus dem schwedischen Ystad, den Henning Mankell vor zig Jahren ins Leben gerufen hat. Mit dem vorliegenden Buch nun endet die Ära Kurt Wallanders …

_Vermisst_

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Henning Mankell / Rainer Clute – Begegnung am Nachmittag (Hörspiel)

Henning Mankell ist nicht nur einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Neuzeit, sondern auch einer der vielseitigsten. Einen Namen gemacht hat er sich mit seiner legendären Krimireihe rund um den kauzigen Kommissar Kurt Wallander, den Millionen Krimifans weltweit ins Herz geschlossen haben. In seinen gefühlvollen Romanen über Afrika verarbeitet Mankell, der mehr als die Hälfte des Jahres in Mosambik lebt, seine Erlebnisse auf dem schwarzen Kontinent. Dass er auch ein exzellenter Menschenkenner ist, beweist er in der neuen Hörspielproduktion, in der Nadja Tiller und Walter Giller die Sprecherrollen übernommen haben.

Ich kenne dich nicht mehr

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Henning Mankell – Tea-Bag

Erfolgloser Poet bietet Schreibtechnikseminar

Jesper Humlin veröffentlicht genau ein Buch pro Jahr und zwar eine Gedichtsammlung, die sich im Schnitt etwa tausendmal verkauft, doch seinem Verleger ist das nicht mehr genug, er möchte Jesper davon überzeugen, endlich einen Kriminalroman zu schreiben. Dabei ist Jesper doch erfolgreich auf seinem Gebiet, seine Gedichte sind anerkannt und gerade erst ist er von einer monatelangen Südseereise zurückgekommen, die er sich nur durch ein Stipendium finanzieren konnte. Sein wichtigstes Anliegen ist ihm nun eigentlich seine Sommerbräune, die er so lange wie möglich aufrecht erhalten möchte, doch neben seinem unzufriedenen Verleger stellt auch seine Freundin Andrea immer mehr Ansprüche. Sie möchte endlich ein Kind mit ihm und droht mit der Trennung und der Veröffentlichung ihres Privatlebens in Romanform. Es ist nicht so sehr die Angst vor der Trennung, die ihm schwer im Magen liegt, sondern die Möglichkeit, dass Andreas Buch sich besser verkaufen könnte als seine Gedichtsammlung.

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Henning Mankell – Die Rückkehr des Tanzlehrers

Stefan Lindman, 37, Kommissar bei der Kriminalpolizei im südschwedischen Borås, lebt in Angst, seit bei ihm Zungenkrebs diagnostiziert wurde. Bald steht die Strahlentherapie an. Lindman sucht Ablenkung. Er findet sie im Mord an seinem ehemaligen Mentor Herbert Molin. Der Ex-Polizist hatte sich nach seiner Pensionierung in die Wälder von Härjedalen zurückgezogen. Dort wurde er in der Nacht überfallen, von seinem Mörder zum Tangotanz gezwungen und mit einem Ochsenziemer brutal zu Tode gepeitscht.

Mit dem Fall betraut wird Giuseppe Larsson, der mit seinen Kollegen vor einem Rätsel steht. Wer hasste den alten Molin so sehr? Lindman, der aus Borås angereist ist, wird als „inoffzielle Verstärkung“ eingesetzt, zumal er sich ohnehin nicht von dem Fall fernhalten lässt.

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Mankell, Henning – Hunde von Riga

Neun Bände umfasst inzwischen die Krimiserie um Kurt Wallander, dem dauer-Kaffee-trinkenden schwedischen Polizisten, dessen Erfolg mit dem „Mörder ohne Gesicht“ begann. Laut seinem Schöpfer, Henning Mankell, ist damit das Ende der Serie beschlossen, allerdings scheint Wallanders Tochter Linda in seine Fußstapfen treten zu wollen, wie der neueste Krimi „Vor dem Frost“ vermuten lässt..
Mankell, geboren 1948 in Härjedalen, Nordschweden, geht mit 17 Jahren nach Stockholm und lernt dort am Riks-Theater Regie führen. Kurz darauf beginnt er zunächst über gesellschaftliche und politische Themen zu schreiben. Nach einer Afrikareise, 1972, widmet er seine nächsten Werke den Themen Arbeiterbewegung, Imperialismus und Klassenkampf. Sein erster Roman „Das Gefangenenlager, das verschwand“ erscheint 1979.
Mankell teilt sein Leben zwischen Afrika und Schweden auf; in Afrika unterstützt er den Aufbau eines Theaters und engagiert sich mit der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“, in Schweden arbeitet er als Schriftsteller und in verschiedenen Theatern als Intendant und Regisseur.

Nun liegt mir mit „Hunde von Riga“ der zweite Wallander-Roman vor, ein Buch, das sich ebenfalls deutlich dem politischen Thema widmet. Geschrieben 1992, führt Mankell sich die schwierige Situation der östlichen Länder zu Gemüte, im Besonderen jene von dem immer noch unter sowjetischen Einfluss stehenden Lettland. Kurt Wallander taucht dort in ein Nest von Verschwörung, Korruption und Armut ein, das er nur schwer begreifen kann.
Beginn ist das Auftauchen eines Rettungsbootes am schwedischen Strand, das zwei Leichen und unzählige Fragen mit sich bringt, zumal ein anonymer Anrufer dieses Geschehen voraus gesagt hatte. Die Männer wurden gefoltert und hingerichtet, dies ist Wallander schnell klar, doch die Identität bleibt ein völliges Rätsel. Immerhin ergibt die Obduktion, dass es sich nicht um Schweden, sondern wahrscheinlich um Russen handelt, und das Boot wird als ein jugoslawisches Exemplar erkannt, was die Einmischung des Außenministeriums zur Folge hat. Dieses nimmt Kontakt mit der baltischen und der sowjetischen Polizei auf, und tatsächlich wird mit einem Anruf von Major Liepa aus Riga, Lettland, die Identitäten der Männer aufgedeckt, allerdings bleibt das Mordmotiv weiterhin unbekannt.
Major Liepa fliegt in Schweden ein, um Wallander bei den Ermittlungen behilflich zu sein. Wallander, dessen politisches Wissen in Bezug auf Lettland und Sowjetunion alles andere als ausreichend ist, lernt durch Liepa den Freiheitsdrang der Letten näher kennen. Schon nach kurzer Zeit empfindet er einen tiefen Respekt für seinen lettischen Kollegen und dessen Arbeitsweise. Dann wird der Fall nach Riga abgegeben und für Wallander scheint dies das Ende der Ermittlungen zu sein, worüber er nicht gerade unzufrieden ist.
Als ihn die Nachricht erreicht, dass Major Liepa am Tag seiner Rückkehr ermordet wurde, wird er nach Riga gerufen, um Liepas Vorgesetzten bei der Aufklärung zu helfen. Doch Ungereimtheiten fallen ihm ins Auge: der Tatort wurde unzulänglich untersucht, es gibt keine schriftlichen Berichte vom Major über seine Arbeit in Schweden, Wallander selbst wird beschattet und abgehört.
Als die Ehefrau des Majors heimlich Kontakt mit ihm aufnimmt und ihm anvertraut, dass der Major einer Gruppe angehörte, die für die Freiheit und Unabhängigkeit Lettlands kämpft, und dass sie einen der Vorgesetzten von Liepa des Mordes an dem Major verdächtigen, wird Wallander langsam klar, in welchen gefährlichen, fast überkochenden Kessel er da geraten ist.

Aus der Sicht eines unwissenden, alternden Polizisten zeichnet Mankell mit genauem, stechendem Blick ein Horrorszenarium, das unter die Haut geht. „Hunde von Riga“ ist sowohl ein spannender Krimi als auch der Versuch, die politische und menschliche Situation eines Landes zu verstehen, das durch die Besetzung mit russischen Truppen seiner Unabhängigkeit beraubt wurde und nun die Chance sieht, diese wieder herstellen zu können. Eine Zeit des Umbruchs und eines drohenden Bürgerkrieges, in der die Mafia, korrupte Polizisten und Drogenhandel eine bedeutende Rolle spielen.
Mankell lässt seine Charaktere wie guten Wein geduldig reifen, gibt jedem eine kleine, persönliche Note und erzählt in einfachen, deutlichen und fesselnden Worten die Geschichte eines Mannes, der seines Berufes überdrüssig ist, aber einfach nicht aufhören kann, der seine Tochter viel zu selten sieht, der große Probleme mit seinem Vater hat und der sich in eine Frau verliebt, für die er selbst seine Existenz aufs Spiel setzt, obwohl ein Zusammensein unerreichbar scheint.
Unglaubliche Spannung, eine teilweise schwermütige Atmosphäre und eine bewundernswerte, erzählerische Intensität katapultierten dieses Buch berechtigterweise in die Bestsellerlisten und bei mir in die Favoritenabteilung. Ein unbedingtes und ohne Diskussion notwendiges Muss für alle Krimileser!

Leseprobe:
„Obwohl es mitten am Tag war, befanden sich nicht viele Menschen auf der Straße. Wallander näherte sich langsam dem Haus, das Major Liepa an jenem Abend verlassen hatte, als er zu seinem letzten Spaziergang aufbrach. Ihm fiel ein, dass Rydberg einmal gesagt hatte, ein Polizist müsse manchmal wie ein Schauspieler sein und das Unbekannte mit Einfühlungsvermögen erkunden. Einem Täter oder Opfer unter die Haut kriechen, sich Gedanken und Reaktionen vorstellen. Wallander ging zur Eingangstür und öffnete sie. Im Treppenhaus war es dunkel und ein beißender Uringestank schlug ihm entgegen. Er ließ die Tür los, die sich mit einem schwachen Knacken fast lautlos wieder schloss.
Woher die Eingebung kam, konnte er nicht sagen. Aber als er dort stand und in das dunkle Treppenhaus starrte, schien er plötzlich deutlich vor sich zu sehen, wie alles zusammen hing. Ein kurz aufflackerndes Bild, das unmittelbar darauf wieder erlosch. Es war entscheidend, dass er sich an alle Einzelheiten erinnerte. Es muss vorher schon etwas geschehen sein, fuhr es ihm durch den Kopf. Als Major Liepa nach Schweden kam, war bereits viel passiert. Das Rettungsboot, das Witwe Forsell bei dem Mossby-Strand entdeckt hatte, war nur Teil eines Ganzen, dem Major Liepa auf die Spur gekommen war. Das war es, was Upitis wissen wollte, als er seine Fragen stellte. Hatte Major Liepa sich ihm anvertraut, hatte er darüber gesprochen, dass er von einem Verbrechen in seiner Heimat etwas wusste oder ahnte? Wallander wurde schlagartig klar, dass er bisher einen Gedankenschritt übersprungen hatte, den er schon früher hätte erkennen müssen. Wenn Upitis mit seiner Vermutung Recht hatte, dass Major Liepa von jemandem aus seinen eigenen Reihen verraten worden war, vielleicht von Oberst Murniers, lag es dann nicht auf der Hand, dass sich außer Upitis noch andere Leute dieselbe Frage stellten? Was weiß eigentlich der schwedische Polizist Kurt Wallander? War es möglich, dass Major Liepa ihm etwas anvertraut hatte?
Wallander wusste jetzt, dass die Angst, die er in Riga schon mehrmals verspürt hatte, ein Warnsignal gewesen war. Vielleicht sollte er wachsamer sein als bisher? Es bestand kein Zweifel, dass die Verantwortlichen für die Morde an den Männern im Rettungsboot und an Major Liepa nicht zögern würden, noch einmal zu töten.“

Homepage von „Kurt Wallander“: http://www.wallander-web.de