Schlagwort-Archive: Heyne

C. J. Cherryh – Kauffahrers Glück. Ein Alliance-Union-Roman

Kleine Space Opera ganz groß: spannend, menschlich, sympathisch

„Kauffahrers Glück“ ist ein für Cherryhs Verhältnisse relativ kurzer Roman (nur rund 290 Seiten) aus ihrem Allianz-Union-Universum, eine Romanze mit politisch-kriegerischen Verwicklungen. Man sollte zuvor „Pells Stern“ (Downbelow Station) gelesen haben.

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[NEWS] Marcus Weber – Physik ist, wenn’s knallt: Wie man selber Trockeneis herstellt und mit Käse einen Menschen schweben lässt ─ Experimentierspaß aus dem echten Leben mit den Physikanten – Mit einem Vorwort von Elton

Wie kann man eine Wolke im Mund entstehen lassen? Wie baut man ein Hovercraft für zu Hause? Und geht ein Handy in der Mikrowelle wirklich immer kaputt? In wissenschaftlich fundierten und äußerst unterhaltsamen Geschichten gehen Judith und Marcus Weber den Rätseln unseres Alltags auf den Grund und liefern Experimente zum Nachmachen und Angeben: So zeigen sie, wie ein Anspitzer Knallgas erzeugt, wie man mit Apfelsinenschalen Funken sprühen lässt und einen Feuertornado in einem Papierkorb entfesselt. (Verlagsinfo)


Broschiert: 224 Seiten
Heyne

John Crowley – In der Tiefe

Die Scheibe auf dem Pfeiler: einfallsreicher Weltentwurf

Nach der Schlacht finden die Plünderinnen den nackten Mann, der behauptet, aus einer fremden Welt zu kommen. Er sei im Himmel gemacht worden, mit seinem Ei gelandet, habe aber seine Mission vergessen. Aus seiner Wunde sickert so etwas wie Öl: Er ist kein Mensch. Er tritt in die Dienste der Menschen und lernt ihre Welt kennen, eine Welt der Kriege zwischen Feudalherren. Die Welt, nur von ein paar tausend Menschen bevölkert, liegt wie eine Schale in einer Hand, die auf einem ausgestreckten Arm ruht, der aus der Tiefe emporgestreckt wird. Doch die Tiefe hat noch niemand ergründet – bis der Besucher gekommen ist: Nun hat er seine Mission. Doch was wird er in der Tiefe finden?
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[NEWS] Carla Berling – Der Alte muss weg

Steffi, Mitte fünfzig und Reihenhaus-bewohnerin, ist unzufrieden. Mit ihrem Job. Mit ihrem Aussehen. Mit ihrem Mann Tom und seinem Faible für Kreuzworträtsel. Und mit ihrem Sexualleben. Das Highlight der Woche: Jeden Montag trifft Steffi sich mit ihrer Schwester und ihren Freundinnen im Brauhaus. Außer einer Single-Frau sind alle unglücklich und würden ihre Männer lieber heute als morgen loswerden – Haus, Auto, Sparbuch und Designerküche können aber gerne bleiben! An einem langen Kölsch-Abend entsteht ein perfider Plan, wie eine unauffällige Entledigung der Gatten gelingen könnte. Doch die Umsetzung ist komplizierter als gedacht… (Verlagsinfo)


Taschenbuch: 320 Seiten
Heyne

[NEWS] Laura Robinson – Das Blut von London

London, 1781: Aus dem Nebel der Hafendocks schält sich das Bild eines schrecklichen Verbrechens. Eine männliche Leiche, die Brandmale aufweist. Harry Corsham, der zur oberen Gesellschaftsschicht gehört, erfährt, dass es sich bei dem Ermordeten um seinen Jugendfreund Tad handelt. Erinnerungen kommen bei ihm auf, aus Zeiten, in denen Tad und er noch voller Ideale waren. Corsham will die Mörder seines Freundes finden, um Seelenfrieden zu erlangen. Doch damit stellt er sich gegen die Mächtigen Londons. Für seine Familie und ihn geht es jetzt um Tod oder Leben. (Verlagsinfo)


Taschenbuch: 512 Seiten
Heyne

S. L. Huang – Nullsummenspiel. SF-Thriller

Als Mathegenie zur Superheldin

Cas Russell ist eine Wiederbeschafferin. Diesmal hat sie den Auftrag, die Schwester ihrer Auftraggeberin Dawna Polk, die scheinbar naive Courtney, zurückzuholen – aus den Fängen eines Drogenkartells. Cas‘ besondere Fähigkeit: Sie nimmt ihre Umgebung als Gleichungen und Vektoren wahr und ist so scheinbar schneller als eine Kugel.

Als sie den Weg des Privatdetektivs Arthur Tresting kreuzt, behauptet dieser, Courtney sei eine Serienmörderin – und dass es eine Dawna Polk überhaupt nicht gebe. Widerwillig muss Cas einsehen, dass ihr eigenes wunderbares Gehirn von einer unbekannten Macht manipuliert worden sein muss. Steckt diese hinter dem Codenamen „Pithica“, den sich irgendein US-Geheimdienst ausgedacht hat und der bislang jedem Schnüffler zum Verhängnis geworden ist? Cas ahnt nicht, dass sie an den Fäden des „Puppenspielers“ tanzt…
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John Brunner – Träumende Erde

Verschwindibus: Endlösung Weltflucht?

Die Welt ist überbevölkert. Die Menschen sind in Wohnsilos zusammengepfercht, Lebensmittel und Trinkwasser sind knapp, die Lage ist deprimierend und hoffnungslos. Da taucht plötzlich eine neue Droge auf, ein Rauschmittel, das euphorische Glücksgefühle hervorruft. Die Droge ist billig und überall zu haben. Ein Glücksrausch erfasst die Massen; die drückenden Probleme sind vergessen. Doch das Mittel hat einen merkwürdigen Nebeneffekt: Leute, die völlig abhängig davon sind, verschwinden spurlos.

Das Rauschgiftdezernat der Vereinten Nationen setzt seinen besten Mann auf das Problem an: Nicholas Greville. Er geht den Spuren dieser Verschwundenen nach – und stößt dabei auf recht merkwürdige Dinge, die sich zu einem verrückten Puzzle zusammenfügen. (Verlagsinfo)
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[NEWS] Arkadi Strugatzki – Die Schnecke am Hang

Auf einem fernen Planeten haben die Menschen auf einem Hochplateau mitten im Urwald eine Station errichtet, von der aus der Wald dieser Welt verwaltet werden soll. Dies ist die Geschichte von Kandid, der sich in den Tiefen des Waldes verirrt hat und dort auf eine geheimnisvolle Gesellschaft von Amazonen stößt. Und es ist die Geschichte von Pfeffer, der aus der Sicherheit der Station heraus versucht, dem Wald Herr zu werden … (Verlagsinfo)


Taschenbuch: 384 Seiten
Heyne

Connelly, Michael – Im Schatten des Mondes

Ein äußerst spannender Thriller um eine Profi-Diebin und ihren kaltblütigen Verfolger – im Mittelpunkt das Spielerparadies von Las Vegas. Im Unterschied zu Connellys anderen Roman fehlen diesmal Polizisten fast völlig: Diese Geschichte schildert die Schattenseite des Verbrechermilieus – und wie man ihm entkommt.

_Der Autor_

Michael Connelly arbeitete einige Jahre als Polizeireporter für die Los Angeles Times. In den meisten seiner Romane spielt der L. A. Police Detective Harry Bosch (von Hieronymus Bosch ist auch der Name von Connellys Firma Hieronymus Inc. abgeleitet) die Hauptrolle. Connelly schrieb u. a. die Bestseller „Der Poet“, „Das zweite Herz“ (das Clint Eastwood unter dem Titel „BloodWork“ verfilmt hat), „Schwarze Engel“ und „Dunkler als die Nacht“. Connelly lebt in L.A.

_Handlung_

Die auf Bewährung freigelassene Cassie Black schaut nicht gerne zurück, aber sie muss. Jahrelang hatte sie erfolgreiche Spieler in Las Vegas, der Hauptstadt des Glücksspiels, ausgeraubt. Am Schluss verlor sie ihren Geliebten und Mentor Max Freeling, danach verbrachte sie fünf elende Jahre im Knast.

Jetzt verkauft Cassie Luxusautos an Hollywoodgrößen wie etwa erfolgreiche Drehbuchautoren. Ihr streng gehütetes Geheimnis hat ihr ermöglicht, die schwärzesten Stunden der Hoffnungslosigkeit zu überstehen. Doch mittlerweile hat Cassie die Nase voll vom ehrenhaften Leben. Sie nimmt Kontakt zu ihrem alten Helfer Leo Renfro auf, der ihr einen „Job“ in Vegas verschafft. Natürlich sofort. Cassie muss nämlich möglichst schnell an Geld kommen, um ihr Geheimnis weiterhin bewahren zu können, das in Gefahr ist aufzufliegen …

In Vegas sieht der Job zunächst wie ein Kinderspiel aus: Ein erfolgreicher Baccarat-Spieler namens Hernandez wird ihr als Zielobjekt zugewiesen. Sie erhält seine Zimmerschlüssel und ein Zimmer direkt neben seinem. Offenbar steckt in der Hotelorganisation ein Maulwurf. Obwohl sich Cassie nicht hundertprozentig wohl in dem Hotel, dem (fiktiven) Cleopatra, fühlt, in dem ihr Geliebter Max starb, zieht sie den Job durch. Alles verläuft nach Plan, bis sie den Aktenkoffer ihres auserkorenen Opfers öffnet: Mafiageld!

In diesem Moment fällt ihr die Warnung des Strohmannes Leo Renfro ein, der ihr diesen „Job“ vermittelt hat: Sie solle sich vor jenen Minuten in der Tatnacht in Acht nehmen, in denen der Mond sein altes astrologisches „Haus“ verlässt, um in ein neues zu wechseln: vor dem „kritischen Mond“ (O-Titel: „Void Moon“).

Nun beginnt die Jagd nach dem Mafiageld – für Cassie und ihren kaltblütigen Jäger ein Rennen gegen die Zeit …

_Mein Eindruck_

Bis Seite 160 dachte ich, dass dieses Buch doch ein wenig spannender sein könnte. Ich meine: Es ist zwar recht kitzlig, in einem fremden Hotel einen Raubüberfall durchzuziehen, ohne dass weder der Überfallene noch der Sicherheitsdienst etwas davon merken. Das erinnert ein wenig an die seligen Zeiten von Forsyths „Der Schakal“.

Aber dann, ab Seite 160, kam Jack Karch ins Spiel, und das ist ein mindestens ebenso interessanter Charakter wie Cassie. Jack ist ein korrupter Privatdetektiv, hat aber sehr viel mit der Geschäftsleitung des Cleopatra-Casinos zu tun. Und wie es scheint, war er an Max Freelings Tod nicht ganz unschuldig.

Was diesen psychopathischen Killer – man nennt ihn „Jack of Spades“ wegen seines Geschicks im Umgang mit dem Spaten – so unheimlich macht, sind seine zwielichtigen Taschenspieler- und Zauberertricks, die er von seinem Vater erlernt hat (der aber schon lange unter der Erde ist). Außerdem verfolgt Jack seine eigenen Pläne mit dem Cleopatra.

Ab Jacks Auftritt wird das Leben für Cassie, Leo und alle, die ihnen nahe stehen, reichlich ungemütlich. Natürlich kommt es nach etlichen Scharmützeln zu einem ordentlichen Showdown in Vegas.

Doch im Verlauf von Cassies Verfolgung durch Jack und dieses Finales ergeben sich zahlreiche Überraschungen. Wir erfahren endlich von Cassies Wünschen, Träumen und ihrem Geheimnis. Der Autor bringt uns dazu, dieser Diebin sämtliche Daumen zu drücken. Und wir erfahren endlich, was in jener verhängnisvollen Nacht vor sechs Jahren wirklich passierte. Auch Jack fällt aus allen Wolken – und dann noch etwas tiefer …

_Unterm Strich_

„Im Schatten des Mondes“ fängt langsam an, denn es ist sorgfältig erzählt. Der Erzähler gerät nie ins Schwafeln, wenn er seine Figuren vorstellt, schon gar nicht, wenn sie allmählich in eine spannende Handlung verwickelt werden.

Gegen Schluss wird eine rasante und höchst überraschende Katz-und-Maus-Jagd zwischen Jack und Cassie, seiner hübschen Widersacherin, inszeniert, bei der nicht nur viel Geld auf dem Spiel steht, sondern mehrere Menschenleben. Der Thrillerfreund kann absolut zufrieden sein. Ich war es jedenfalls. Schade, dass das Buch nach 445 Seiten schon zu Ende ist.

|Originaltitel: Void Moon, 2000
Aus dem US-Englischen von Sepp Leeb|

Connelly, Michael – Echo Park

_Der Steppenwolf jagt Reinecke Fuchs_

Im Jahr 1993 verschwand Marie Gesto, nachdem sie einen Supermarkt verlassen hatte. Kriminalinspektor Harry Bosch und seine Partner Jerry Edgar bearbeiteten den Fall, konnten aber keine Beweise gegen ihren Hauptverdächtigen Anthony Garland erbringen, und so gelang es ihnen nie, die 22-jährige leidenschaftliche Reiterin zu finden.

Jetzt, 13 Jahre später, während die Gesto-Akte wie so oft auf seinem Schreibtisch liegt, bekommt Bosch einen Anruf von einem anderen Ermittler und vom Bezirksstaatsanwalt. Ein Mann, dem zwei brutale Morde zur Last gelegt werden, sei bereit, auch andere Morde einzugestehen, darunter den an Gesto, sofern ihm dafür die Todesstrafe erlassen werde.

Das Geständnis dieses Serienmörders zu ertragen, ist für Bosch schon schwer genug, aber dann auch noch unter die Nase gerieben zu bekommen, dass er vor 13 Jahren dem Anruf dieses Mannes nicht nachgegangen sei, belastet Boschs Gewissen aufs äußerste, denn er hätte sonst wohl neun weitere Morde verhindern können.

_Der Autor_

Michael Connelly war jahrelang Polizeireporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, zuletzt besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Blood Work“ durch Clint Eastwood. Zuletzt erschienen „Der Mandant“, „Vergessene Stimmen“ und „Die Rückkehr des Poeten“.

|Michael Connelly bei Buchwurm.info:|

|Harry Bosch:|
[„Vergessene Stimmen“ 2897
[„Die Rückkehr des Poeten“ 1703
[„Kein Engel so rein“ 334
[„Dunkler als die Nacht“ 1193
[„Schwarze Engel“ 1192
[„Das Comeback“ 2637
[„Schwarzes Eis“ 2572
[„Schwarzes Echo“ 958

[„Unbekannt verzogen“ 803
[„Im Schatten des Mondes“ 1448
[„Der Poet“ 2642

_Handlung_

Marie Gesto, 22, lebte im High Tower Wohnblock von Hollywood, doch jetzt ist ihr Apartment mit dem tollen Blick auf die Stadt Los Angeles leer. Gesto verschwand, nachdem sie einen Supermarkt verlassen hatte, spurlos. Dass ihre Kleider und ihre Einkäufe – Karotten für die Pferde eines Reitstalls, in dem sie arbeitete – fein säuberlich sortiert in ihrem Wagen liegen, irritiert Harry Bosch. Obendrein steht der Wagen nicht irgendwo, wo ihn ein Mörder loswerden wollte, sondern genau da, wo er hingehört: in der Garage des High Tower. Wer wusste, dass sie gerade diese Garage gemietet hatte?

Bosch tippt auf Anthony Garland, dessen Exfreundin einmal in diesem Wohnblock gewohnt hatte. Doch Anthony, Sicherheitschef im Ölkonzern seines schwerreichen Vaters T. Rex Garland, beteuert seine Unschuld und wehrt sich gegen die hartnäckigen Fragen Boschs mit einer gerichtlichen Fernhaltungsanordnung. Bosch darf sich ihm nicht mehr als bis auf eine gewisse Distanz nähern. Doch Bosch geht der Fall Gesto nahe und hat sich Maries Eltern gegenüber moralisch verpflichtet, den Fall zu lösen. Als Garland die gerichtliche Verfügung nicht erneuert, vernimmt er ihn erneut, 13 Jahre später. Und diesmal hat er ein Video, das zeigt, dass Garland zu mörderischem Hass fähig ist …

Bosch arbeitet inzwischen nicht mehr mit Jerry Edgar zusammen, sondern gemeinsam mit Kiz Rider an ungelösten Fällen. Die Gesto-Akte liegt immer auf seinem Schreibtisch, und heimlich hat er sogar eine Kopie davon angefertigt und nach Hause genommen. Dieser Umstand wird später wichtig werden. Denn das Arbeitsexemplar wird von Freddy Olivas, Mordkommission für Northeast L. A., angefordert. Der bearbeitet den Fall Raynard Waits, um den sich der Bezirksstaatsanwalt Rick O’Shea kümmert. O’Shea kämpft gerade um seine Wahl zum Oberstaatsanwalt und will den Fall Waits benutzen, um sich zu profilieren. Wenn Bosch ihm Schützenhilfe gewährt, ist er zu Gegenleistungen bereit, signalisiert er, als Bosch ihn besucht. Und Gesto, Boschs Fall? Gesto befindet sich unter den Opfern des Serienmörders Raynard Waits.

Raynard Waits will sich aber nur zu dem Mord an Gesto bekennen, wenn ihm O’Shea die Todesstrafe erlässt und das Urteil in „Lebenslänglich“ umwandelt. Doch wer sagt ihnen, dass Waits die Wahrheit spricht? Man braucht jemanden, der Waits auf den Zahl fühlt. Das ist Boschs Rolle. Wenn sich die Gesto-Sache als wasserdicht erweist, dann steigt die Glaubwürdigkeit Waits‘ an, genau wie Waits‘ Anwalt Swann behauptet.

Bosch fühlt sich dem Mordopfer Marie Gesto ebenso moralisch verpflichtet wie ihren Eltern. Jetzt soll er auf einmal einen politischen Deal mit ihr deichseln, und das stinkt ihm gewaltig. Aber sein Hass auf den Killer Gestos verblendet ihn und macht ihn unvorsichtig. Er willigt ein, um an Waits heranzukommen. Einen Tag vor der Begegnung ruft ihn Olivas an: Was denn der Eintrag im Logbuch zu bedeuten habe, der einen Anruf von Robert Saxon – dem früheren Pseudonym Waits‘ – vor 13 Jahren verzeichnet, will Olivas wissen. Bosch fällt aus allen Wolken. Aber wenn es stimmt, was Olivas sagt, dann ist Bosch an den weiteren neun Morden, die Waits danach beging, moralisch mitschuldig.

Konnten Bosch und Edgar damals wirklich diesen Anruf eines Zeugen, des heutigen Raynard Waits, übersehen oder nicht nachverfolgt haben? Bosch ist erschüttert und setzt alle Hebel in Bewegung, um das Desaster, das seine berufliche Integrität wie auch seinen Job bedroht, abzuwehren. Er nimmt sogar Kontakt zu der FBI-Agentin Rachel Walling auf, mit der er einmal zusammengearbeitet (In „Der Poet“ und „Die Rückkehr des Poeten“) und geschlafen hat. Sie bringt ihn auf eine neue Spur: „Raynard Waits“ ist nur das Pseudonym eines Tricksters und bedeutet eigentlich „Reineke Fuchs wartet“. Reineke Fuchs alias Reynard alias „rénard“ ist der mänliche Jungsfuchs, der in französischen Fabeln als Verführer und Schurke auftaucht, häufig versteckt in seinem Schloss, wohin er seine Opfer verschleppt. Das passt hundertprozentig auf Raynard Waits alias Robert Saxon. Ob Saxon sein wirklicher Name ist, bezweifelt Rachel ebenfalls, denn Waits und Saxon haben verschiedene Geburtsjahre.

Das entscheidende Verhör überführt Waits aka Saxon zwar der Lüge bezüglich der Geburtsjahre, aber das bringt Bosch noch nicht weiter. Waits bietet an, ihn, den Staatsanwalt und ein Spurensicherungsteam zu der Stelle zu führen, wo er Marie Gesto vor 13 Jahren vergraben hat: im Beachwood Canyon, unweit des Reitstalls, wo Marie arbeitete. Bosch kann sein Temperament gerade noch zügeln, aber er ist einverstanden. Wäre er etwas ruhiger und weniger hasserfüllt, würde er die Falle riechen.

Die Exkursion in den regendurchweichten Wald von Beachwood Canyon beginnt ganz harmlos. Natürlich hat Staatsanwalt O’Shea als gewiefter Politiker einen Helikopter des Fernsehens sowie einen Kameramann bestellt. Bosch kann nichts dagegen tun. Andererseits: Wenn etwas schiefgeht, müsste alles auf Band sein, nicht wahr? (Wieder ein Irrtum Boschs.) Waits führt sie zu der Stelle, wo ein Skelett verborgen sein soll. Aber wie kann er es ohne Schwierigkeiten nach 13 Jahren finden?

Die Exkursion mündet in eine katastrophale Schießerei. Der Angeklagte entkommt. Der Fall ist wieder ganz am Anfang und Staatsanwalt O’Shea braucht einen Prügelknaben, um sich selbst reinzuwaschen: Bosch. Doch da gerät er an den Falschen.

_Mein Eindruck_

Ich habe diesen erstklassigen Krimi in nur zwei Tagen gelesen, denn ich musste unbedingt erfahren, was und wer sich hinter der Intrige verbirgt, deren Opfer Harry Bosch werden soll. Wie Bosch, durch dessen Augen wir das Geschehen beobachten, glaubte auch ich felsenfest an eine Intrige, hinter der Olivas und O’Shea stecken müssen. Wie Bosch musste auch mich eines Besseren belehren lassen. Man kann durchaus ein und dasselbe Geschehen aus zwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten und genauso plausibel erklären. Man muss nur weit genug Indizien sammeln und darf sich nicht von Autoritäten wie etwa einem Vorgesetzten täuschen lassen.

Nach dem Desaster im Beachwood Canyon wird Bosch erst einmal von seiner Dienststelle beurlaubt, während die Dienstaufsicht ihre Hausaufgaben macht: Wer hat warum auf wen geschossen usw. Doch Bosch ist bekanntlich nicht der Typ, der die Hände in den Schoß legt und auf den Nikolaus wartet. Ganz im Gegenteil: Er legt jetzt erst richtig los, denn er hat eine Stinkwut auf Raynard Waits – oder wie auch immer er mit richtigem Namen heißt – im Bauch.

Anders als in seiner frühen Steppenwolf-Zeit (z. B. in „Der letzte Coyote“ oder „Schwarzes Eis“), ist Bosch nun auf Teamarbeit eingestellt. Kiz Rider und Rachel Walling liefern ihm ebenso wertvolle Hinweise wie sein früherer Partner Jerry Edgar. Sogar dessen Cousin Jason Edgar, ein Sicherheitsmanager, hilft ihm ohne weiteres. Auf diese Weise kommt Boschs private und verbotene Ermittlung gegen den Entflohenen rasch voran. Als sich Waits ein weiteres Opfer schnappt, weiß Bosch, dass seine Ermittlung a) völlig gerechtfertigt und b) superdringend geworden ist.

Der Showdown mit Waits ist aber noch keineswegs das Ende des Falles Marie Gesto. Hätte Bosch ein wenig mehr aufgepasst, wäre ihm die Bitte von O’Shea und Olivas oberfaul vorgekommen, einen überführten Serienmörder vor der Giftspritze zu bewahren, nur weil der noch einen weiteren Mord gesteht – den an Marie Gesto. Dass sie nicht auf das Konto von Waits geht, erfährt er von diesem selbst. Doch wer ist dann der Mörder? Und wer hat die ganze Intrige in wessen Auftrag in Gang gesetzt?

Eins dürfte klar sein: Waits wird nicht der letzte Tote im Fall Marie Gesto gewesen sein. Die Frage ist nur: Wird der Arm der „Gerechtigkeit“ den Richtigen treffen? Und wird Boschs neue Freundin Rachel Walling sein Verhalten akzeptieren?

_Unterm Strich_

Dieser Krimi liest sich wie ein klassischer Raymond Chandler („The big sleep“). Die Handlung hat den gleichen Drive, die harte Action, den knallharten Hauptdarsteller und jede Menge überraschende Wendungen. Im titelgebenden Echo Park steht eine Statue, die als „Lady of the Lake“ bezeichnet wird. Wenn ich mich nicht täusche, heißt so auch ein Krimi von Chandler himself. Deutlicher kann man eine Hommage kaum noch kennzeichnen.

Es gibt Sentimentalität, wo sie angebracht ist, etwa im Fall der angeschossenen Kiz Rider und im Fall von Rachel Walling, die Bosch zur Seite steht. Dieses Mitgefühl steht in deutlichem Kontrast zu den knallharten Verhandlungen, Verhören und Verfolgungsjagden (Bosch fährt einen Mustang wie Steve McQueen in „Bullitt“) sowie mehreren Showdowns. Und ein harter Bursche wie Bosch verfügt auch über einen entsprechend trockenen, eisgekühlten Humor. Das wird deutlich, als er Waits‘ Anwalt Maury Swann zur Rede stellt. Die Szene ist köstlich, wenn man schwarzen Humor mag.

Mit diesem Krimi beweist Connelly wieder einmal, dass ein Autor nicht zu viel erreichen oder beweisen will und doch einen äußerst zufriedenstellenden Roman abliefern kann. Hier gibt’s keinen Hokuspokus wie bei Jeffery Deaver und keine Familienverwicklungen wie zurzeit bei Patricia Cornwell. Die Hexenmeister von der Crime Scene Investigation Unit (CSI) tun ihre Arbeit wie gewohnt, doch es ist Bosch, der eins und eins zusammenzuzählen hat – und weiter ist als alle anderen, die nur ihre Hausaufgaben machen und abends um vier oder fünf nach Hause gehen, um der Rush Hour zu entgehen.

Bosch nennt sich selbst einen „true detective“, einen, der die menschlichen Schicksale, die ihm begegnen, an sich heranlässt (er klingt einmal wie ein Zen-Meister, spöttelt Rachel Walling), doch diese Selbstverpflichtung hat einen hohen Preis: das Mit-Leiden. Deshalb ist ihm der Fall Marie Gesto so wichtig. Ich wünschte, es gäbe mehr solche Detectives wie Bosch, aber seinesgleichen ist nur allzu selten geworden. Allenfalls noch Alex Cross von Patterson und Inspektor Rebus von Ian Rankin können ihm das Wasser reichen.

John Brunner – Ein Stern kehrt zurück. Zukunftsroman

Roadmovie: Wo sind die Maschinenbauer?

Etwa 100.000 Jahre in der Zukunft entdeckt der junge Sternenforscher Creohan, dass sich ein fremder Stern der Erde nähert. Noch ist es Zeit, den Himmelskörper von seinem Kollisionskurs abzubringen. Creohan macht es sich zur Aufgabe, die Öffentlichkeit auf die Gefahr aufmerksam zu machen.

Aber die Erde ist ein Trümmerfeld vergessener Reiche und Kulturen geworden. Die Menschen sonnen sich im Glanz der stolzen Vergangenheit und sind nicht geneigt, die drohende kosmische Katastrophe ernstzunehmen. Doch Creohan gibt nicht auf. Er wandert durch die Welt, auf der mühseligen Suche nach Gleichgesinnten, die ihm helfen sollen, das Unheil abzuwenden und die Menschheit zu retten… (Verlagsinfo)
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John Brunner – Am falschen Ende der Zeit

Paranoia kennt keine Freunde

Ein Science-Fiction-Agentenroman über eine paranoid gewordene USA. In einer paranoiden Welt gilt jedes freundliche „Hallo“ als Aufforderung zum Kampf. Auch dann, wenn sich dahinter eine gut gemeinte Warnung vor der Zukunft verbirgt. Denn dann schlägt der Mensch im Verfolgungswahn gleich zurück.

Auf dem Titelbild der Knaur-Ausgabe von 1979 sind zwei Köpfe zu sehen: der eine, menschliche, sieht aus wie David Bowie in jungen Jahren, der andere, nichtmenschliche, jedoch wie ein finster dreinblickender Yoda. Zwei Welten treffen also aufeinander. Ob sie wohl einander schließlich verstehen?
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Connelly, Michael – Die Rückkehr des Poeten

_Nasser Showdown mit dem Serienkiller_

Die geschasste FBI-Agentin Rackel Walling, strafversetzt nach South Dakota, bekommt schließlich den Anruf, den sie all die Jahre gefürchtet hat: Der Poet ist wieder aufgetaucht, jener psychopathische Serienkiller, bei dessen Verfolgung sich das FBI bis auf die Knochen blamierte – Robert Backus war nämlich selbst beim FBI. Und Rachel musste es ausbaden. Und jetzt ruft er sie mit einem Trick in die Mojave-Wüste zwischen Kalifornien und Nevada. Dort wartet ein Massengrab auf sie …

Auch der frühere LAPD-Inspektor Harry Bosch bekommt einen Anruf – von der Witwe seines alten Freundes Terry McCaleb (aus „Blood Work“, s.u.). Sie glaubt, dass der Tod des pensionierten FBI-Agenten kein Zufall war, sondern Mord, und verpflichtet Bosch, McCalebs Vermächtnis zu schützen. Bei der Untersuchung der Akten von Kriminalfällen, mit denen sich McCaleb zuletzt beschäftigte, stößt er auf eine Spur, die in die Mojave-Wüste führt. Er hofft, ein Boot zu finden, stattdessen stößt er auf eine gigantische FBI-Operation – und auf seine frühere Bekannte Rachel Walling.

_Der Autor_

Michael Connelly war jahrelang Gerichtsreporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, zuletzt besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Bloodwork“ durch Clint Eastwood.

Zuletzt erschienen die Romane „Kein Engel so rein“ (City of Bones, 2002), „Unbekannt verzogen“ (Chasing the dime) , „Letzte Warnung“ (Lost light) und „Die Rückkehr des Poeten“ (The Narrows). Connelly lebt in Florida.

Weitere wichtige Romane sind „Schwarze Engel“ (1998); „Der Poet“ (1996) und „Schwarzes Echo“ (1991).

_Handlung_

Harry Bosch ist inzwischen ein staatlich lizenzierter Privatermittler – und stolzer Vater einer fünfjährigen Tochter namens Madeline. Dass er von Eleanor Wish ein Kind hat, teilte sie ihm erst vor einem Jahr mit. Ziemlich überraschend für den einsamen Wolf, der von Eleanor geschieden ist. Um die kleine Maddie zu sehen, fährt er mehrmals in der Woche nach Las Vegas, wo ihre Mutter als Profi-Pokerspielerin arbeitet. Daher hat er in der Stadt der Sünde die besten Kontakte und kennt jedes Casino.

Vor Jahren hat auch Harry Bosch an den Ermittlungen und der Jagd auf den „Poeten“ teilgenommen, jenen Serienkiller, der seinen Opfern Verse von Edgar Allan Poe als Abschiedsbrief diktierte, bevor er sie umbrachte. Das FBI bekleckerte sich dabei nicht gerade mit Ruhm, denn es stellte sich heraus, dass der Serienmörder aus seinen eigenen Reihen stammte – und unentdeckt eigene Leute ausbildete. Harrys Freund Terry McCaleb gehörte ebenso zu den Schülern wie die Agentin Rachel Walling. Nachdem Rachel auf den Mörder geschossen hatte, verschwand dieser auf rätselhafte Weise, nur um Jahre später später in Amsterdam aufzutauchen. Sie wurde geschasst und nach North und South Dakota strafversetzt, wo die Indianer den Büffeln gute Nacht sagen.

Harry bekommt einen Anruf von Graciela, der Witwe von Terry McCaleb. Ihr Mann starb auf hoher See auf seinem letzten Törn, den er mit einem zahlenden Passagier und seinem Assistenten Buddy Lockbridge unternahm. Terry brach am Steuerrad zusammen. Wie Graciela herausgefunden hat, nahm er zwar seit seiner Herzverpflanzung die richtigen Medikamente, aber sie waren ausgetauscht worden, so dass es nur so aussah, als nähme er die echten Pillen. Sie glaubt, es sei Mord gewesen. Er soll den Täter finden.

Weil er Graciela und Terry verpflichtet ist, übernimmt Harry den Auftrag, ohne Bezahlung. Schon bald stößt er in McCalebs Computer auf mysteriöse Fotos, die erstens einen Mann namens Jordan Shandy zeigen, den McCalebs ohne dessen Wissen auf seinem Boot fotografierte, und zweitens Fotos, die Graciela und ihre Kinder in einer Einkaufspassage zeigen – aufgenommen von eben jenem Jordan Shandy! Hatte McCaleb Angst um seine Familie, wurde er erpresst? Und warum ist das GPS-Navigationsgerät seit jenem Februar 2004 verschwunden? McCaleb starb am 31. März – was unternahm er in der Zwischenzeit? Ein Foto und eine Eintragung in McCalebs Straßenatlas führen Harry in die Mojave-Wüste.

Auch Rachel Walling wird von der Vergangenheit eingeholt. Die FBI-Agenten haben ein GPS-Gerät erhalten, auf dem eine Position in der Mojave-Wüste gespeichert ist. An dieser Position, die mit Zzyzx Road bezeichnet ist, sind die Leichen von bislang acht Menschen gefunden worden. Mehrere Hinweise lassen den Schluss zu, dass es sich um Opfer des „Poeten“ handelt. Deshalb wird Rachel als „Beobachterin“ und „Zeugin“ zugelassen. Sie ahnt nicht, dass der Poet sie die ganze Reise über begleitet – er hat einen ausgetüftelten Plan, in dem sie die Hauptrolle spielen soll.

Aber der Poet wird ebenso wie Rachel und das FBI von der Ankunft Harry Boschs an der Zzyzx Road überrascht. Gibt es ein Sicherheitsleck? Der leitende Agent Alpert ist sehr besorgt deswegen, denn bislang ist noch nichts über die Leichenfunde an die Öffentlichkeit durchgesickert. Man will sich nicht schon wieder blamieren, denn der Poet ist für tot erklärt worden. Es wäre nicht gut für das Image des FBI, wenn er nun wieder aus der Versenkung auftauchen würde.

Der Versuch, Harry kleinzukriegen und alle Beweise herausrücken zu lassen, ist natürlich zum Scheitern verurteilt. Aber man wird natürlich McCalebs Boot und Haus durchsuchen. Harry erhält von Graciela, seiner Klientin, die Erlaubnis, den Agenten von seinem Auftrag zu erzählen, aber bevor er das tut, lässt er von Buddy erst einmal die Beweise in Sicherheit und nach Las Vegas bringen. Bosch hat nicht die Absicht, sich von den Feds auszubooten zu lassen.

In Las Vegas trifft er nicht nur Eleanor und sein Töchterlein, sondern auch Rachel Walling wieder. Sie soll eigentlich ihn beobachten, doch für sie ist er der Einzige, der diesen Fall weiterbringen kann. Nachdem sie eine Übereinkunft erzielt haben, nimmt er sie am nächsten Morgen auf eine Erkundungsfahrt in das sündige Wüstenkaff Clear mit. Dort wartet schon eine Nachricht des Poeten auf Rachel.

Zu welchem Zweck hat der Poet die beiden Ermittler zusammengeführt?

_Mein Eindruck_

Je nachdem, welche Hauptfigur – Harry oder Rachel oder der Poet – gerade im Mittelpunkt steht, wird die Geschichte aus dem Blickwinkel des Ich- (Harry) oder Er- bzw. Sie-Erzählers dargestellt. Das sorgt nicht nur für Abwechslung, sondern auch für die sofortige Identifikation von Harry Bosch. Sobald das Pronomen „ich“ fällt, weiß der Leser, dass er nun mit Harrys Augen sieht. Und das Geschehen in und um Bosch hat immer was Neues und Interessantes zu bieten: seien es neue Erkenntnisse, oder eine Sexszene mit „Mitgladiatorin“ Rachel Walling oder die ausgewachsene Sprengstoffexplosion eines präparierten Wohnwagens. Ganz besonders mochte ich die Szenen, die Harry am Bett seines schlafenden Töchterchens zeigen.

|Aus einem Guss|

Was nach einer Weile – sagen wir mal, nach der Hälfte des Buches – auffällt, ist die traumwandlerische Sicherheit, mit der sich das aus einem Guss erzählte Geschehen zu zwei Höhepunkten zuspitzt. Obwohl vom Poeten noch weit und breit noch nichts zusehen ist, steigt dennoch die Spannung, als sich Rachel und Bosch in dem uramerikanischen Billig-Bordell von Clear, Nevada, einfinden und sich urplötzlich eine Botschaft des gejagten Killers findet. Das ist erst der Auftakt zu einem frühen ersten Höhepunkt. Das richtige Finale kommt natürlich erst am Schluss und ist ganz schön lang, aber umso fesselnder.

Offensichtlich hatte der Autor eine sehr deutliche Vorstellung von dem, was er erzählen wollte. Ich hatte nicht wie in „Das Comeback“, dem Bosch-Roman zwischen „Der Poet“ und „Blood Work“, das Gefühl, dass sich gleich wieder eine Falltür im Boden der Ermittlungen öffnet, die dem Fall eine überraschende Wendung verleiht. Nein, vielmehr war es schon fast beruhigend mitzuerleben, wie Bosch zielstrebig die Spur des Poeten fand und verfolgte. Er musste nur noch Rachel mitnehmen, und sie bilden das perfekte Ermittlerpaar.

|Das dynamische Duo|

… hat sowohl Gemeinsamkeiten als auch gravierende Unterschiede. Diese Spannung trägt ganz erheblich zum Unterhaltungswert des Romans bei. Dabei ist Rachel nicht einmal die schlimmste FBI-Agentin, die in der Geschichte herumläuft. Ihr Boss Alpert ist ein auf seinen arroganten Hintern aufpassender Politiker statt ein Ermittler, und seine untergeordneten Kollegen sind lediglich Zuarbeiter und Speichellecker. Rachel hat jedoch einen eigenen Kopf und greift liebend gerne Boschs unkonventionelle Ideen auf. Damit setzt sie sich der Gefahr des erneuten Geschasstwerdens aus – aber hey, was könnte schlimmer sein als ein Posten in North Dakota?

Doch FBI bleibt FBI – die geistige Unkultur dieses Systems kann auch Rachel nicht abschütteln, und das wird am deutlichsten in der Szene, als sie in Clear Ermittlungen im Bordell anstellen soll. Allein schon das Vorzeigen ihrer Dienstmarke trägt viel dazu bei, den Mund der befragten „Damen“ fest zu verschließen. Sie muss unverrichteter Dinge wieder abziehen. Dann versucht es Bosch auf seine eigene unnachahmliche Art. Allerdings hat er als Privatermittler a) keine Dienstmarke, b) keine Vorschriften zu beachten und c) keinen Arbeitsplatz zu verlieren. Dennoch kommt er zwar weit, aber auch in Schwierigkeiten. Als zwei Schlägertypen ihn in die Mangel nehmen, muss Rachel ihn raushauen. Das ist von nun an die Teamarbeit der beiden „Gladiatoren“. Das ist sehr zufrieden stellend zu lesen, denn hierbei kommt der ironische Humor nicht zu kurz.

|Der Poet|

So mancher Leser, der den umfangreichen Roman „Der Poet“ (noch) nicht kennt, dürfte sich zu Beginn des Romans „Die Rückkehr des Poeten“ bzw. „The Narrows“ fragen, worin denn nun die Gefährlichkeit dieses Mörders besteht. Die eine Bedrohung ist ziemlich offensichtlich. Nicht umsonst findet das FBI an der Zzyzx Road acht Leichen – der Killer ist ein durchgeknallter Psychopath mit einer Schwäche für Edgar Allan Poes Gedichte.

Doch das muss das FBI ja nicht so nervös machen, wie es sich an der Zzyzx Road aufführt. Nein, es ist vielmehr die Tatsache, dass Der Poet, also Robert Backus, ein Mann aus den Reihen des FBIs ist und offenbar nun einen Plan in die Tat umsetzt, der seinen früheren Arbeitgeber auf das Gründlichste bloßstellen soll. Dazu braucht er jedoch die Hilfe von Rachel Walling. Mit Bosch hat Backus nicht gerechnet, und mit Harrys Auftauchen steigt der Adrenalinspiegel des Poeten ganz erheblich. Das macht das Spiel für ihn aber nur prickelnder.

|Perfider Plan|

Backus spielt geschickt mit dem Druck, unter dem der FBI-Chef steht. Der Chef kann die acht Leichen in der Wüste nicht mehr verschweigen, denn schon in einer Zeitung in Vegas wurde von sechs vermissten Männern berichtet. Und das Auftauchen Boschs am Tatort ist nicht dazu angetan, die FBI-Führung zu beruhigen. Bosch könnte einiges erzählen, denn man hat keinerlei Handhabe gegen ihn. Und noch eine Blamage wie damals am Ende der Hetzjagd auf den Poeten kann sich das FBI nicht leisten. Also muss die Öffentlichkeit unterrichtet werden, dass der Poet möglicherweise (oder auch nicht) wieder aufgetaucht ist, bevor es jemand anderer tut.

Doch der Zeitpunkt der FBI-Pressekonferenz erweist sich als von entscheidender Bedeutung für den Poeten-Plan und den Verlauf der Ereignisse. Zunächst täuscht der Poet in Clear seinen eigenen Tod vor – dafür sorgt eine gewaltige Wohnwagenexplosion, der Rachel und Harry um ein Haar zum Opfer fallen. Nähmen sie mit dem FBI nun an, der Poet wäre tot, dann würde das nächste Poetenopfer das FBI noch gnadenloser bloßstellen. Und genau diesen Mord müssen Harry und Rachel natürlich verhindern. Die Ironie dabei: Widerwillig muss Bosch dem FBI helfen, sein Gesicht zu wahren.

|Hübsche Zwickmühle|

Aber dieser Widerwille ist sicherlich zweitrangig gegenüber seiner Besorgnis um das Leben eines früheren Kollegen, der einen Buchladen betreibt. Dass die Bücher vor allem Krimis sind – manche kosten 700 Dollar! –, macht den Buchhändler nicht nur dem Autor sympathisch, sondern auch dem Leser des vorliegenden Krimis. (Hinweis: Connelly war zeitweise Präsident des amerikanischen Verbandes der Krimiautoren „Mystery Writers of America“. Er weiß also genau, worüber und für wen er spricht.)

Bosch und Rachel geraten in eine Zwickmühle, die einem moralischen Dilemma gleichkommt. Sie müssen den Buchhändler als Köder benutzen, um den Poeten aufzuspüren und zu fangen. Dabei müssen sie in Kauf nehmen, dass das Leben des Händlers in Gefahr gerät. Würden sie ihn nämlich warnen, so würde er sein Verhalten ändern und den Poeten alarmieren. Sie müssen also das Risiko gegen den Erfolg abwägen – eine hübsche Klemme.

|Zum Originaltitel „The Narrows“|

Die Metapher der „Narrows“, der Engpässe, durchzieht den ganzen Roman und ist somit eine Bedeutungsebene, die nicht zu ignorieren ist und im Finale eine überragende Bedeutung annimmt. Auch das vorangestellte Zitat aus einer Zeitung des Jahres 1956 unterstreicht diese Metapher.

Zunächst einmal sind The Narrows ganz konkret die Hochwasserabzugskanäle, die man in jedem Thriller (und in „Terminator 2“) über die Stadt der Engel als mehr oder weniger breite Betonkanäle sehen kann. Das Finale findet in einem Jahrhundertgewitter statt und der Regen überschwemmt die abgebrannten Hügel der Stadt. Von dort stürzt er in Kaskaden in die Narrows, die Abzugskanäle. Und dass das Wasser dort überhaupt ein Durchommen findet, ist schon fast verwunderlich, sind die Wassermassen doch binnen kurzem derart groß, dass eine Überschwemmung der Vororte unausweichlich scheint.

Jedenfalls sagt sich Bosch, dass er auf keinen Fall in diese reißenden Stromschnellen gerissen werden möchte, denn die Chancen, den Sturz in den Strom zu überleben, sind sicherlich minimal. Nicht nur wegen der Brückenpfeiler und des Treibguts, das den um sein Leben ringenden Schwimmer gefährden würde. Sondern auch wegen der Strudel, die ihn auf den Betongrund des Kanals zerren würden.

Genau dieser Fall tritt plötzlich, als der Poet Bosch angreift, um dessen Pistole an sich zu bringen und damit Bosch und Rachel zu erledigen. Bosch sieht als Ausweg nur den Fall in den reißenden Strom des Kanals. Dort erweist sich, wer in den Narrows den Willen zum Überleben hat und wer nicht. Eine höchst dramatische Szene. Es ist anrührend, dass Bosch weder an sich selbst oder an Rachel denkt, wenn er dem Tode nahe ist, sondern an sein Töchterchen. Soll es, kaum dass es den Vater geschenkt bekommen hat, diesen gleich wieder im Dienst verlieren? Nie und nimmer!

Neben diesen konkreten Bedeutung bezeichnet „The narrows“ auch die Abstände zwischen den Hirnwindungen. Das leuchtet auf den ersten Blick nicht so ein, aber es geht darum, was denn das Gute im Handeln eines Menschen vom Bösen unterscheidet. Dieser Abstand kann bis zum Verschwinden eng werden … In Robert Backus vereinigen sich ehemaliger Gesetzeshüter und Verbrecher in einer Person. Und dieser Killer ist seinen Kollegen immer einen Schritt voraus, führt sie an der Nase herum. Bis Bosch ihn überrundet. Heißt das, dass Bosch ebenso das Potenzial hat, böse zu handeln? Es bleibt dem Leser überlassen, diese Frage zu beantworten. Aber kann ein Mann wie Bosch wie ein Verbrecher handeln, wenn er solche Liebe für sein Kind empfindet?

_Unterm Strich_

Dieser Bosch-Roman ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Hier lernen wir einen früheren Steppenwolf kennen, der durch sein Vaterglück Erlösung und eine Zukunftsperspektive gefunden hat. Seine kleine Tochter Maddie überrascht ihn immer wieder mit ungewöhnlichen Einfällen: „Sind der Burger King und die Dairy Queen verheiratet?“ fragt sie ihn. („Burger King“ ist die bekannte Fastfoodkette, und „Dairy Queen“ ist eine Milch- oder Molkereimarke.) Ein anderes Mal zeichnet sie ihn, wie er Dämonen bekämpft – und er dabei lächelt. Diese gegenseitige Liebe rettet ihn in den „Narrows“.

Ungewöhnlich ist aber auch die zielstrebige Geradlinigkeit des Plots, die ohne viele Überraschungen auf den ersten Höhepunkt und das Finale zusteuert. Die Bosch-Romane verblüfften den Leser meist durch unerwartete Wendungen oder Dimensionen – die erwähnten Falltüren –, doch diesmal fehlen sie weitgehend. Ja, das Element des GPS-Geräts macht den Zusammenhang zwischen Rachels und Harrys Erzählstrang frühzeitig klar. Insgesamt wird so das Geschehen ziemlich vorhersehbar und schränkt das Vergnügen an der Entwicklung des Falles ein wenig ein. Für einen Krimi ist das Buch aber immer noch obere Mittelklasse und über mangelnde Spannung und Unterhaltung musste ich mich nicht beklagen.

|Das Sequel|

Da es sich quasi um die Fortsetzung des Romans „Der Poet“ handelt, ist die Frage von Bedeutung, wie viel Neues oder bereits Altbekanntes denn die Fortsetzung bietet. Leser, die „Der Poet“ bereits kennen, können die Passagen, in denen von jenem alten Fall berichtet wird, einfach überspringen – das ist der Faktor des Altbekannten. Für Neulinge jedoch ist diese Information natürlich von großer Wichtigkeit, da sie sonst nur die Hälfte der Fortsetzung kapieren würde. Für beide Lesergruppen bietet die Fortsetzung meines Erachtens aber genügend neue Elemente, um die Lektüre interessant zu machen.

Das Taschenbuch dieses Romans erscheint im Dezember 2006.

|Originaltitel: The narrows, 2004
448 Seiten
Aus dem US-Englischen von Sepp Leeb|

[NEWS] Ella Thompson – Wiedersehen am Harbour Beach (Lighthouse 3)

Jake Foster hat den Traum von einer eigenen Brauerei. Nachdem seine Freunde Niclas und Andrew Hunter ihr Glück in Sunset Cove gefunden haben, hält ihn nichts mehr in Boston. Es wird Zeit, seine Vision in die Realität umzusetzen. Die Harbour Beach Brewerie ist genau das, wonach er gesucht hat. Doch ihm fehlt das nötige Kapital. Die Investorin Eliza Woodward ist eine der schönsten Frauen, die Jake je getroffen hat – aber auch äußerst undurchsichtig. Sie signalisiert ihm, mit ihm ins geschäft kommen zu wollen, zieht ihr Angebot jedoch kurzfristig zurück. Niclas‘ und Andrews Vater, Theodor Hunter bietet Jake das fehlende Geld an. Unter einer Bedingung, die Jake den Boden unter den Füßen wegzieht. Als Eliza abermals auftaucht und ihr Interesse an der Brauerei und an ihm bekundet, wird sein Lebenstraum plötzlich zu einem gefährlichen Unterfangen – und Jake zur Zielscheibe. (Verlagsinfo)

 

Taschenbuch: 416 Seiten
Heyne

Priest, Christopher – Der steile Horizont. SF-Roman

Die Welt als Rad und Rätsel

Seit Hal Clements „Unternehmen Schwerkraft“ ist dies der seltsamste Roman, den die Science-Fiction hervorgebracht hat. Clement erfand mit glasklarer Physik die Bedingungen für Lebensformen auf einem Planeten mit extrem hoher Schwerkraft.

Priest erfand eine Welt innerhalb einer Welt: Die ungewöhnliche Stadt, die er beschreibt, bewegt sich durch eine hyperbolisch geformte Landschaft, der Horizont führt steil nach oben und die Sonne ist keine Kugel. (Wat is ’n Hyperbel? Dazu gleich mehr.)

Der Leser sollte sich auf eine Menge paradoxer Dinge gefasst machen. Doch keine Bange: Alles ist ruhig und gefasst erzählt, geradezu von höherer Warte aus.
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Connelly, Michael – Der Poet

_Überraschend: der Fuchs im Hühnerstall_

Die Nachricht vom Tod seines Zwillingsbruders bringt den Gerichtsreporter Jack McEvoy völlig aus dem Gleichgewicht. Die Denver-Polizei geht von Selbstmord aus, doch Jack zweifelt an dieser Theorie und stellt auf eigene Faust Nachforschungen an, die den Fall in einem ganz neuen Licht erscheinen lassen: Sein Bruder ist nur einer von zahlreichen ungelösten Todesfällen unter Mordkommissionspolizisten, die rätselhafte Abschiedsbotschaften hinterließen – Verse aus Gedichten von Edgar Allan Poe. Wer ist der „Poet“, der Serienkiller, der es auf Polizisten abgesehen hat?

_Der Autor_

Michael Connelly war selbst wie McEvoy jahrelang Polizei- und Gerichtsreporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, zuletzt besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Bloodwork“ durch Clint Eastwood.

Zuletzt erschienen die Romane „Kein Engel so rein“ (City of Bones, 2002), „Unbekannt verzogen“ (Chasing the dime) , „Letzte Warnung“ (Lost light) und „Die Rückkehr des Poeten“ (The narrows). Connelly lebt in Florida. Weitere wichtige Romane sind „Schwarze Engel“ (1998); „Der Poet“ (1996) und „Schwarzes Echo“ (1991). Mehr Infos: http://www.michaelconnelly.com.

_Handlung_

Jack McEvoy lebt 1995 in der Nähe von Denver, Colorado, und verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Morden. Das heißt, mit dem Berichten über Morde, und zwar für seine Zeitung „Rocky Mountain News“. Der neueste Mord betrifft die 19-jährige Studentin Theresa Lofton, die man nackt und zweigeteilt im Gebüsch gefunden hatte. Jacks Zwillingsbruder Sean, ein Polizist, untersuchte den grausigen Fall eine ganze Weile, kam aber offenbar nicht weiter. Bis jetzt. Er ist tot.

Die Nachricht von Seans Tod trifft Jack ebenso schwer wie Seans Witwe Riley. Nach Angaben der Polizei hat Sean in seinem Wagen, den er in einen Naturpark gefahren hatte, Selbstmord begangen, indem er sich in den Mund schoss. Als letzte Botschaft schrieb er auf die beschlagene Windschutzscheibe die rätselhafte Zeile „Jenseits von Raum – jenseits von Zeit“. Diese Worte geben Jack ebenso Rätsel auf wie den Polizistenkollegen, die Sean zu Grabe tragen.

Rätselhaft sind auch die Umstände von Seans Todestag. Er wollte in einem Hotelrestaurant einen Informanten im Mordfall Lofton treffen, einen Mann namens „Rusher“, doch er kam nie dort an. Auch Theresa Lofton kam nie bei der Autowerkstatt an, wo sie ihren VW Käfer abholen wollte. Jack befragt den Parkwächter, der Sean gefunden hat und bemerkt eine Lücke im zeitlichen Ablauf, die seine Zweifel an der Selbstmordtheorie bestärken. Jemand hätte ohne weiteres Sean töten, die Botschaft anbringen und warten können, bis der Parkwächter gekommen und wieder weggegangen war, um dann in aller Seelenruhe Seans Wagen zu verlassen und zu verschwinden. Die Polizeikollegen sind von den Socken, als Jack noch weitere Argumente anführt. Sie nehmen die Ermittlungen wieder auf.

|Denver, Chicago, Washington|

Jetzt hat Jack eine tolle Story, um den Mord an seinem Bruder aufzuklären – und vielleicht sogar den an Theresa Lofton. Bei seinen Datenbankrecherchen stößt er auf einen ganz ähnlichen Fall – in Chicago. Er fliegt hin und ermittelt. Dort hat sich ein Angehöriger der Mordkommission angeblich wegen seiner Depressionen wegen des Mordes an einem kleinen Jungen erschossen. Die Abschiedsbotschaft ist ein Zitat von Edgar Allan Poe. Jetzt kapiert Jack auch Seans Abschiedsbotschaft – ebenfalls ein Poe-Zitat. Die beiden Todesfälle gehören zusammen. Also ist auch der Polizist in Chicago ein Mordopfer.

Weil aber zusammenhängende Verbrechen in unterschiedlichen Staaten automatisch eine Sache der Bundespolizei werden, muss sich Jack beeilen, um noch vor dem FBI die entsprechenden Aktenprotokolle ausfindig zu machen und für seine Recherche zu nutzen. Hat das FBI erst einmal seine Hand drauf, kann er den Artikel – vielleicht sogar eine Serie! – komplett vergessen.

In Washington, D.C., hat er wahnsinniges Glück: Der Mitarbeiter bei der Stiftung, die solche Verbrechen im Rahmen eines wissenschaftlichen Programms untersucht, ist ein ehemaliger Kollege von der „Los Angeles Times“. So findet Jack auf nicht ganz offiziellem Weg heraus, dass es sechs weitere ähnlich gelagerte Polizistenmorde in den letzten fünf Jahren gegeben hat: ein Serienkiller, der eine blutige Spur hinter sich lässt. Und immer findet sich ein korrespondierender Mordfall, der angeblich den vermeintlichen Selbstmördern zugesetzt hat. Das Muster ist überdeutlich. Jack hat seine Story und informiert seinen Chef in Denver.

Da schlägt das FBI zu. Rachel Walling von der Verhaltensforschungsabteilung des FBI, eine Profilerin, will Jack verhaften und seine Unterlagen kassieren. Um dann selbst die Lorbeeren einzuheimsen, ist Jack klar. Aber er durchschaut ihren fadenscheinigen Vorwand und lässt sie auflaufen. Schließlich hat er sich nichts Unrechtes vorzuwerfen. Wallings Vorgesetzter Robert „Bob“ Backus muss sich auf Jacks Bedingungen einlassen: Jack darf so lange an den FBI-Ermittlungen als Beobachter teilnehmen, wie die Story noch geheim und verwertbar ist. Sollte aber eine Zeitung darüber berichten, kann auch Jack nicht mehr mit seiner Story hinterm Berg halten. Auf diese Weise vermeidet das FBI, den Mörder vorzeitig zu warnen, und kann ihn ungehindert jagen.

Die Spur des Mörders, der wegen seiner Poe-Zitate vom FBI „der Poet“ genannt wird, führt nach Westen, Richtung Los Angeles.

Unterdessen ist der pädophile Fotograf und Mörder William Gladden, Anfang 30, wieder einmal dem Gefängnis entgangen. Die Bullen hatten ihn schon in Santa Monica verhaftet, aber nichts aus ihm herausbekommen. Sie mussten ihn gegen 50.000 Dollar Kaution wieder auf freien Fuß setzen. Nun kann Gladden seinem Pädophilen-Netzwerk weiterhin Fotos liefern – sobald er eine neue Kamera hat, denn die alte haben die Bullen einbehalten. Sie wissen, dass er hinter nackten Kindern her ist. Aber sie kennen nicht einmal seinen wahren Namen. Noch nicht.

Und sie ahnen nicht, wozu er noch alles fähig ist …

_Mein Eindruck_

Der Roman beginnt recht spannend mit Jack McEvoys kognitivem Durchbruch hinsichtlich der Art und Weise, wie sein Zwillingsbruder starb. Weitere Erkenntnisse lassen auf eine Mordserie von landesweiten Ausmaßen schließen, die natürlich Sache der Bundespolizei ist. Was den Leser aber etwas ins Grübeln geraten lässt, ist die Tatsache, dass sich das FBI von einem dahergelaufenen Reporter in die Karten gucken lässt: Er darf die Agenten bei ihrer Arbeit begleiten. Allein dies finde ich schon recht unwahrscheinlich.

Noch einen Tick seltsamer finde ich die darauf folgende Sexaffäre Jacks mit Agentin Rachel Walling. Bis zuletzt wird nicht klar, ob sie ihn im Bett für andere Pläne benutzt und ihn hintergeht oder ob sie es ehrlich meint. Das ist zwar wichtig für die Geschichte, aber vorab kommen doch erhebliche Zweifel auf, ob sich eine echte Agentin auf eine Liaison mit einem Vertreter der „vierten Gewalt“ einlassen würde. Dass sie es laut Vorschrift nicht dürfte, wird bereits im Roman mehrmals gesagt.

Spätestens an dieser Szelle merkt der Leser, wie konstruiert die ganze Story ist. Andererseits erfordert es die innere Logik der Story, dass Jack, der Ich-Erzähler, Zugang zum inneren Zirkel der Poeten-Ermittlungstruppe erhält, um auf die vielen Ungereimtheiten bei dieser Ermittlung zu stoßen. Wer ist der Informant, der seinem Konkurrenten Warren den Tipp über die Poeten-Ermittlung gegeben hat? Jack verdächtigt zunächst seinen Intimfeind, Rachels Ex-Mann Gordon Thorson, aber der streitet das vehement ab. Dennoch muss es ein Insider gewesen sein: ein „Fuchs im Hühnerstall“, wie Jack es so anschaulich ausdrückt.

Sein Verdacht fällt auf sodann auf Rachel. Ist sie wirklich so ein eiskaltes Biest, um so etwas tun zu können? Kann sich Jack so in ihr getäuscht haben? Oder gibt es noch einen weiteren Verdächtigen? Die Frage bleibt offen, bis Jack sich an den Falschen wendet, um das Rätsel aufzuklären. Dann fallen ihm die Schuppen von den Augen. Er weiß, dass ihn sein Wissen in Lebensgefahr bringt. Er ist einfach zu gut als Journalist. Vielleicht hätte er Polizist werden sollen, wie sein Bruder.

Das Finale folgt allen Regeln der Kunst. Der Schauplatz liegt an einem erhöhten Punkt, und unter ihm gähnt ein Abgrund, der nur darauf wartet, das bedauerliche Opfer des Showdowns zu verschlingen. Allerdings ist der Schauplatz kein berühmter – das hätte noch zur Vollkommenheit gefehlt – , sondern ein sehr symbolträchtiges Glashaus, das von einem Erdbeben beschädigt wurde und nun jeden Augenblick zusammenzubrechen und in den Abgrund zu fallen droht: eine veritable Todesfalle. Dass der Autor seinen Schurken entkommen lässt, kann ich mir nicht erklären. Jedenfalls kam es Jahre später zu einer Fortsetzung: „Die Rückkehr des Poeten“.

|Neue Killerspezies|

Serienkiller – sie waren die große Mode und morbide Faszination der neunziger Jahre. Ihr bekanntester fiktiver Exponent war Dr. Hannibal Lecter, bekannt aus „Roter Drache“ und „Das Schweigen der Lämmer“ sowie „Hannibal“. Je bizarrer und inhumaner seine Verbrechen, desto angenehmer der wohlige Schauder des Grusels seitens des Zuschauers oder Lesers. Doch wie wurde aus dem Psychotherapeuten Dr. Lecter eine Kannibale? Bei seinem Erfinder Thomas Harris erfahren wir es nicht.

|VORSICHT SPOILER|

Und auch nicht bei Michael Connelly. Sicher, William Gladden ist ein Killer von horribler Gefühllosigkeit. Aber er ist nicht der „Poet“. Wie erfahren also ironischerweise, wie es zur Entstehung von „William Gladden, Killer“ gekommen ist, aber kaum etwas – lediglich nachgetragene Vermutungen und Gerüchte – über den Titelhelden. Das folgt erst in der Fortsetzung „Die Rückkehr des Poeten“.

Doch es gibt einige Dinge, die Gladden und den Poeten verbinden. Eine davon ist die Vorliebe für Edgar Allan Poe, die dem Poeten seinen Spitznamen eingebracht hat. Seitens des echten Poeten kann dies zwar lediglich Tarnung sein, um Gladden als eigentlichen Täter zu diffamieren, aber die Tarnung ist sehr echt – und sie wird auch noch in der Fortsetzung eingesetzt, als Gladden längst den Löffel abgegeben hat.

Der Poet nennt, Poe zitierend, die irdische Existenz eine „Welt voll Pein“, die von einem „Eidolon“ – einem Phantom – namens NACHT beherrscht werde. Perverserweise nennt er sich selbst „Eidolon“, wenn er sich in das PTL-Netzwerk einloggt und dort seine Ansichten an Pädosexuelle verbreitet. Gladden verkauft den Teilnehmern am PTL-Netzwerk seine pädophilen Kinderfotos – gegen beachtliche Summen, versteht sich. Man fragt sich, ob nicht diese Selbststilisierung zur Selbstrechtfertigung für diese Minderheit Pädophiler gehört, um sich besser zu fühlen.

Im Gegensatz zum Poeten wird also Gladden geradezu verständlich, auch wenn sich unser Verständnis, das von FBI-Einschätzungen genährt wird, nie zum Absegnen seines Tuns versteigt. Er mag ein Killer sein, aber er ist weder hinter Kindern noch Polizisten her. (Seine Tatwaffe ist eher die Digitalkamera, wie sie damals, 1995, schon auf den Markt kam. Die Datenübertragung über Laptop und Modem ins PTL-Netzwerk ist dementsprechend einfach. Die gewöhnlichen Polizisten haben keine Ahnung, womit sie es zu tun haben – da muss erst das FBI kommen, das selbstverständlich technisch auf dem neuesten Kenntnisstand ist.)

Auch Gladden ist nämlich ein Opfer. Wie eine ganze Reihe anderer Jungs wurde er jahrelang von einem „Best Pal“ missbraucht, einem Erwachsenen, der innerhalb eines kommunalen Programms obdachlosen Waisen ein Zuhause bieten soll, aber diese Tarnung nur zur persönlichen Befriedigung sexueller Bedürfnisse ausnutzt. Die erlittene Gewalt scheint Gladden nicht an weiteren Kindern auszulassen, wohl aber tut es der Poet. Seine kindlichen oder schwachen Opfer, so seine perfide Taktik, locken Polizisten wie Sean McEvoy an, die seine eigentlichen Ziele sind. Wahrscheinlich sucht er sich Cops aus, weil sein eigener Vater einer war, und zwar einer der strengsten. In den Polizeiopfern bestraft der Poet also nachträglich seinen eigenen Vater. Man kann diesem Szenario, das der Autor schrittweise enthüllt, folgen oder auch nicht, aber mir leuchtet es ein. Aber ich bin ja auch kein Psychologe.

|SPOILER ENDE|

_Die Übersetzung_

Obwohl die Übersetzung an sich vorzüglich ist, gibt es doch eine Reihe von Flüchtigkeitsfehlern, die, typisch für |Heyne|, vom Korrektor übersehen wurden. So ist beispielsweise auf Seite 336 die Rede von einem Cop namens Matuzak, der aber plötzlich zu „Muzak“ mutiert. Das ist reichlich verwirrend, und zwar nicht nur wegen des unvermutet auftauchenden neuen Namens. „Muzak“ bezeichnet auch noch jene Art von Musik, die in Supermärkten und Kaufhäusern zur emotionalen Beruhigung und Steuerung der Kundschaft eingesetzt wird: Kaufhaus-Gedudel. Diese Bedeutung lag wohl kaum in der Absicht der Übersetzerin Wiemken.

Auf Seite 386 erfahren wir am Anfang von Kapitel 36, dass Jack vom FBI im Wilcox-Hotel, einer schäbigen Absteige am Sunset Boulevard, untergebracht wird. Auf Seite 399 jedoch verwandelt sich das Wilcox- in das Wilton-Hotel, ohne ersichtlichen Grund. Es handelt sich wieder um einen der typischen Flüchtigkeitsfehler, siehe oben. Von der Erwähnung der übrigen Schlampereien will ich mal absehen. Man wird sie ohnehin nie abstellen können.

_Unterm Strich_

Die Konstruktion des Romans ist großartig: Der Autor, vertreten durch seine Hauptfiguren, führt den Leser ebenso in die Irre wie seinen Protagonisten Jack McEvoy. Erst als die vielen Ungereimtheiten geklärt werden müssen, taucht eine ganz andere Perspektive, eine neue Erklärungsmöglichkeit auf: eine sehr unschöne obendrein. Und die erweist sich als ebenso falsch …

Als der Roman vor zehn Jahren erschien, war er ein echter Durchbruch, ein Knaller. Inzwischen haben vor allem weibliche Krimiautoren wie Cornwell, Slaughter, Reichs und Hoffman das Genre derartig um ein Kuriositätenkabinett menschlicher Verirrungen erweitert, dass uns die im „Poeten“ dargebotenen Verbrechen kaum noch ein müdes Heben der Augenbrauen entlocken können.

Dennoch bietet das Buch dem Kenner eine befriedigende Lektüre: Es ist gut recherchiert, sehr kenntnisreich – man merkt, dass der Autor über seine eigene Reporterbranche schreibt, und zwar keineswegs unkritisch. Dass diesmal das FBI ganz schlecht wegkommt, ist der feine Trick des Ganzen: der „Fuchs im Hühnerstall“ stellt den Aufbau und das Selbstverständnis der Bundespolizei in Frage.

Die Hoffnung des Autors dürfte wohl in einer Besserung der Zustände beim FBI gelegen haben. Doch wie Connellys Oberzyniker Harry Bosch in der Fortsetzung „Die Rückkehr des Poeten“ (The narrows) konstatiert, sind die Zustände beim FBI eher noch schlimmer geworden: eine maximale Borniertheit in der Klasse der „Morphs“ (Überfliegertypen auf Managerebene) und eine zunehmende Ausgebranntheit unter den „Empathen“ (gefühlsmäßig Betroffenen) in der FBI-Truppe. Klar, wem Boschs Sympathie gehört. Aber auf welcher Seite steht die undurchsichtige Rachel Walling diesmal?

Keine Frage, dass man „Der Poet“ unbedingt VOR der Fortsetzung lesen sollte. In „The narrows“ wird sehr viel über den Vorgängerband rekapituliert und verraten. Das beeinträchtigt die Spannung – und die Überraschungen – erheblich, wenn man danach „Der Poet“ liest.

|Originaltitel: The poet, 1996
556 Seiten
Aus dem US-Englischen von Christel Wiemken|

Tal M. Klein – Der Zwillingseffekt

Die Tücken der Teleportation

Man schreibt das Jahr 2147. Dank fortschrittlicher Technologie reisen die Menschen inzwischen fast nur noch via Teleportation. Auch KI-Coach Joel Byram hat sich schon hunderte Male teleportieren lassen – doch eines Tages wird er dabei versehentlich dupliziert.

Joel und sein Doppelgänger werden daraufhin nicht nur von religiösen Fanatikern verehrt, sondern auch von einem mächtigen Großkonzern gejagt – und sie kommen einem tödlichen Geheimnis auf die Spur. Für die beiden beginnt ein gnadenloser Wettlauf gegen die Zeit. (Verlagsinfo)
Tal M. Klein – Der Zwillingseffekt weiterlesen

John Brunner – Gezeiten der Zeit. SF-Roman

Nach dem Experiment: Flucht in die Vergangenheit

Gene und seine Frau Stacey sind auf ihrer Flucht auf einer griechischen Insel gestrandet. Seltsamerweise reisen sie aus ihrer Zukunft zurück in der Zeit, erleben die verschiedenen Eroberer und Völkerschaften. Doch wer überwacht sie, und warum? In Stacey wächst während dieser Monate ein Kind heran. Als sie sich auf die Geburt vorbereitet, treten die Überwacher hervor und verlangen etwas Unmögliches, was schreckliche Folgen hat…
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Connelly, Michael – Das Comeback

_Krimi-Sinfonie der Überraschungen_

Harry Bosch musste anderthalb Jahre „Dienst- und Erholungspause” einlegen und im Einbruchsdezernat arbeiten. Nach dieser langen Zeit hat er endlich einen neuen Fall im Morddezernat von Hollywood. Anthony N. Aliso, ein reicher Produzent mieser Hollywoodstreifen, wird ermordet in seinem Rolls Royce aufgefunden. Er liegt im Kofferraum und hat zwei Schüsse in den Hinterkopf bekommen – die Handschrift der Mafia, die so etwas „trunk music“ nennt. Die Spur des Geldes führt zunächst nach Las Vegas, doch dann gibt es für Harry Bosch eine böse Überraschung …

_Der Autor_

Michael Connelly war jahrelang Polizeireporter in Los Angeles und lernte das Polizeigewerbe von außen kennen. Bekannt wurde er mit seinen Romanen um die Gesetzeshüter Harry Bosch und Terry McCaleb, zuletzt besonders aufgrund der Verfilmung von „Das zweite Herz / Bloodwork“ durch Clint Eastwood. Zuletzt erschienen „Kein Engel so rein“ (City of Bones, 2002), „Unbekannt verzogen“ (Chasing the dime) , „Letzte Warnung“ (Lost light) und „Die Rückkehr des Poeten“ (The narrows).

Weitere wichtige Romane: Schwarze Engel (1998); Der Poet (1996); Schwarzes Echo (1991).

_Handlung_

Detective Hieronymus Bosch darf endlich wieder in sein Element zurück: der erste Fall im Morddezernat. Eineinhalb Jahre lang musste er nach dem üblen Fall mit dem psychopathischen „Poeten“ aussetzen und sich erholen. Nachdem auch ein Erdbeben sein Haus in den Abgrund gerissen hatte, musste er es neu bauen. Er ist noch beim Streichen der Wände, als ihn der Ruf der Polizeidienststelle Hollywood, der er zugewiesen ist, erreicht. Es gibt zu tun.

Auf dem Weg zum Tatort begegnet ihm ein Mann der lokalen Polizeipatrouille. Powers hat den Wagen am Tatort gefunden. Bosch macht ihn zur Sau, weil Sergeant Powers seine Fingerabdrücke am Griff des Kofferraums hinterlassen hat. Wieso hat der Mann keine Latexthandschuhe oder Ähnliches benutzt? Na ja, wie auch immer: Die Leiche im Kofferraum des weißen Rolls Royce Silver Cloud stinkt zum Himmel. Liegt wohl schon zwei Tage hier, was? Seine zwei ihm untergeordneten Kollegen Jerry Edgar und Kizmin Rider, eine kluge Anfängerin im Dezernat, haben die Tötungsmethode identifiziert: Leiche im Kofferraum (= trunk) und zwei Schüsse in den Kopf – „trunk music“ (der Originaltitel) ist die Handschrift der Mafia.

Der Tote ist der Filmproduzent Tony Aliso. Wie sich herausstellt, ist die Qualität seiner Filme aus der untersten Schublade. Wenn er also kein Geld damit machen wollte, wozu war er dann im Filmgeschäft? Die Witwe, Veronica Aliso, ist erstaunlich gefasst, ja sogar kühl, als Rider und Bosch sie erstmals interviewen. Als ob sie den Besuch der Bullen erwartet hätte. Aber sie sieht immer noch verdammt gut aus, kein Wunder, trat sie doch selbst in einem der Filme ihres Mannes auf.

Wie sich aus Riders Durchsicht der Finanzunterlagen des Verstorbenen ergibt, dient die Produktionsfirma TNA Productions als Geldwaschanlage für das organisierte Verbrechen in Las Vegas. Von dort war Aliso am Freitagabend gekommen, als ihn der Todesengel besuchte. Ein Aktenkoffer mit Geld fehlt – wo ist es abgeblieben? Weil das US-Finanzamt IRS eine Buchprüfung bei Aliso angekündigt hatte, hat vielleicht jemand in Vegas kalte Füße bekommen.

Was Bosch jetzt aber am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass die OCID, die Abteilung für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Los Angeles, abwinkt und den Fall Aliso gar nicht übernehmen will. Als dann auch noch deren Mitarbeiter Carbone auf einem Überwachungsvideo als Einbrecher in Alisos Büro identifiziert wird, erscheint Bosch der Fall immer zwielichtiger. Warum will die OCID verschleiern, dass sie Aliso abhörte? Vielleicht weil die Wanze illegal war? Der OCID-Chef warnt Bosch, die Finger von Aliso zu lassen.

Das macht Bosch natürlich erst recht neugierig. Es führt kein Weg daran vorbei: Er muss nach Vegas fliegen. Doch auch hier laufen die Dinge nicht ganz so wie erwartet. Hier herrscht mit Joey Marks alias Joseph Marconi ein mächtiger Chicago-Gangster, und sein Kontakt zu Aliso scheint Luke Goshen gewesen zu sein, der in North Las Vegas einen Stripclub betreibt. Anscheinend rekrutierte hier Aliso seine Filmstarlets. Und in eine gewisse Layla hatte er sich sogar verliebt – ob das wohl Veronica bekannt war? Höchstwahrscheinlich sogar.

Zu seiner Überraschung stößt er hier auf seine frühere Liebe Eleanor Wish; die ehemalige FBI-Agentin hat ihre fünf Jahre Knast abgesessen und verdient ihren Lebensunterhalt mit Pokerspielen. Sie und Bosch erneuern ihre Bekanntschaft auf angenehmste Weise, und sie kann ihm ein paar Dinge über die Organisation von Joey Marks verklickern. Mit Hilfe der Metropolitan Police nimmt Bosch Luke Goshen hoch, verhört ihn, findet die Mutter von Layla und bringt Goshen nach L.A.

Doch dort gibt es ein böses Erwachen für Harry. Der Fall Aliso entpuppt sich als etwas ganz Anderes, als er und seine Vorgesetzte Lt. Grace Billets dachten. Die Bundespolizei hat ihre Finger drin. Als die Dienstaufsicht IAD herausbekommt, dass Bosch sich mit einer vorbestraften Verbrecherin eingelassen hat, legt sie ihm zusätzlich die Daumenschrauben an, um ihn endlich kleinzukriegen.

Wird ein Vietnamveteran wie Harry Bosch klein beigeben? Eher friert die Hölle zu. Seine von Billets insgeheim gedeckten Ermittlungen bringen noch einige Überraschungen ans Tageslicht. Der Fall Tony Aliso ist noch längst nicht abgeschlossen.

_Mein Eindruck_

Der Autor zeigt dem Leser und seinen Kollegen mal wieder, was eine Harke ist. Nach dem recht standardmäßig begonnenen Fall Aliso führt Connelly den Leser an der Nase herum, doch da ist es für diesen schon viel zu spät: Wir wollen jetzt genau wissen, was eigentlich genau dahinter steckt. Ich verrate nicht allzu viel, wenn ich sage, dass es sich um mindestens vier Ebenen handelt, auf denen der Fall abläuft. Der aufmerksame Leser sollte sich aber schon ganz am Anfang die Leute merken, die mit dem Fall zu tun haben. Sie tauchen garantiert wieder auf.

Um den Fall Aliso abzuschließen, gibt es ein Finale, das sich gewaschen hat und diese Bezeichnung vollauf verdient. Es ist bezeichnend für Connellys Haltung als ehemaliger Gerichtsreporter, dass er auch die angeblich „Bösen“ als Opfer, Verratene und Getriebene darstellt. Der Tod von Veronica Aliso ist nicht nur zwangsläufig notwendig, sondern hat auch tragische Größe. Zu einem gewissen Teil ist es unter anderem auch Boschs Schuld, dass es dazu gekommen ist. Hätte er seine Arbeit besser gemacht, hätte Veronica vielleicht nicht sterben müssen. Doch mit solchen Mutmaßungen über Mitschuld kann sich ein Polizist nicht lange aufhalten, sonst müsste er gleich den Dienst quittieren.

Die vielen Wendungen des Falls haben Connelly den Vorwurf eingetragen, er würde den Leser mit seinen Tricks überfordern. Dieser Vorwurf kommt mir sehr borniert vor. Denn genauso wie die so genannte „Wirklichkeit“ und erst recht die „Wahrheit“ aus jedem Blickwinkel ein anderes Aussehen annimmt, so verändert sich auch der Fall Aliso, je mehr Bosch hinter die Kulissen schauen. Schließlich ändert ja auch eine Sinfonie ihr Tempo und ihre Tonart von Satz zu Satz, mal von Allegro zu Adagio und Andante, bis der Schluss dann in ein mächtiges Finale mündet.

Der Originaltitel „Trunk music“ lässt sich auch auf den unterschiedlichen Verlauf der Ermittlungen anwenden. Der erste Akt des Falles verläuft nach Schema F, doch schon in Vegas beginnen die Variationen des Grundthemas. Das Thema der wiedergefundenen Liebe zu Eleanor Wish zieht sich von da ab bis zum Schluss durch die Handlung. Und jeder Satz weist ein anderes Tempo auf. Sehr gut gefiel mir beispielsweise, wie Harry herausfindet, an welcher Stelle des bekannten Mulholland Drive der oder die Täter Alisos Rolls-Royce stoppten und was dann geschah.

Im Unterholz stöbert Harry weiter und stößt auf das Nachtlager eines Obdachlosen namens George . George trägt die Klamotten des kürzlich verblichenen Tony Aliso. Interessant! Aber wo ist das Geld abgeblieben? In der schnurrigen Unterhaltung mit George erkennt Harry die Chance, wie er herausfinden kann, wo der Zaster ist. Ein Plan – eine Falle – und er braucht natürlich Georges Domizil, um die Falle aufzustellen … Dieses Scherzo hat ironischen Witz und besten Unterhaltungswert. Da gibt es einfach nichts zu meckern.

_Unterm Strich_

Dieser Roman ist zwischen „Der Poet“ (1996), dem größten Bestseller Connellys, und dem von Clint Eastwood verfilmten Krimi „Bloodwork“ angesiedelt. Schon wenig später erschien bei |Heyne| die Übersetzung. Das Veröffentlichungsdatum Oktober 2005 bezeichnet die neueste Wiederauflage.

Innerhalb der beliebten Harry-Bosch-Reihe Michael Connellys stellt das Buch einen recht hellen Kontrast zu all den düsteren anderen Bosch-Abenteuern dar, und zwar vor allem deshalb, weil hier Bosch über weite Strecken einfach nur glücklich ist: Er darf wieder Mordfälle lösen (er weiß, dass er bei Sexualverbrechen keinen Monat lang durchhalten würde) und seine Liebe zu Eleanor Wish erneuern. Ausgesöhnt mit der Welt, ist es ihm sogar schnurzpiepegal, dass sich Tony Alisos Millionen jetzt in den Händen einer jungen Frau befinden, die ihm am Strand von Honolulu über den Weg läuft. Er lässt den lieben Gott einen guten Mann sein und feiert seine Flitterwochen. Take it easy, baby!

|Originaltitel: Trunk music, 1997
427 Seiten
Aus dem US-Englischen von Norbert Puszkar|