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Interview mit der Inklings-Gesellschaft

|Prof. Dr. Dieter Petzold ist wissenschaftlicher Oberassistent des Instituts für Anglistik und Amerikanistik der Uni Erlangen und seit 1993 Herausgeber des Jahrbuchs der deutschen Inklings-Gesellschaft. Michael Matzer hat sich für |Buchwurm.info| mit Dieter Petzold über diese Gesellschaft und ihre Projekte unterhalten.|

_Buchwurm.info:_
Es gibt eine ganze Reihe von literarischen Gesellschaften in Deutschland, die sich mit der Phantastik befassen, die u. a. die Inklings in Oxford verfassten. In welcher Hinsicht unterscheidet sich die Inklings-Gesellschaft von solchen Gruppen?

_Prof. Dr. Dieter Petzold:_
Sie ist meines Wissens die älteste und damit traditionsreichste, denn sie wurde bereits 1982 gegründet. Sie verstand sich von Anfang an – und versteht sich noch immer – als eine Vereinigung, deren Mitglieder ein an wissenschaftlichen Standards orientiertes, weitgespanntes Interesse nicht nur an den [Inklings-Autoren,]http://de.wikipedia.org/wiki/Inklings sondern an Literatur und Kultur generell haben, wobei allerdings der Schwerpunkt auf Phantastik im weitesten Sinne liegt.

_Buchwurm.info:_
Sie veranstalten jährliche Mitgliederversammlungen und Tagungen. Welche Bedeutung haben diese Konferenzen?

_Petzold:_
Die jährlichen Symposien sehe ich als das Rückgrat der Aktivitäten der Inklings-Gesellschaft an. Sie stehen jeweils unter einem Thema, das zuvor von der Mitgliederversammlung (die in der Regel im Rahmen des jährlich stattfindenden Symposiums abgehalten wird) beschlossen wird. Daneben gibt es lokale Veranstaltungen (Lesungen, Diskussionsgruppen), die mehrmals jährlich auf lokaler Basis stattfinden.

_Buchwurm.info:_
Sie veröffentlichen jährlich ein Jahrbuch und ein oder zwei Rundbriefe. Welche Bedeutung haben diese Publikationen? Sind sie für Mitglieder kostenlos?

_Petzold:_
Die Rundbriefe informieren über aktuelle Ereignisse und Tätigkeiten der Gesellschaft und auch befreundeter Gesellschaften. Das Jahrbuch dokumentiert zum einen die jeweiligen Jahrestagungen, indem es die (überarbeiteten) Vorträge veröffentlicht. Hinzu kommen regelmäßig weitere wissenschaftliche Beiträge (Varia), sowie, seit einigen Jahren, eine Interpretation eines Gedichts phantastischen Inhalts (die Rubrik heißt „The Poet’s Eye“) und ein Essay, in dem ein weniger bekannter Autor (oder eine Autorin) phantastischer Texte vorgestellt wird („Favourite Authors“). Des Weiteren enthält das meist deutlich über 300 Seiten dicke Jahrbuch einen umfänglichen Rezensionsteil, in dem wissenschaftliche Bücher und Zeitschriften vorwiegend (aber nicht ausschließlich) über phantastische Literatur besprochen werden. Die Beiträge sind zum größeren Teil auf Deutsch, doch enthalten alle Jahrbücher auch englischsprachige Beiträge, die meist von ausländischen AutorInnen stammen, aus Großbritannien und anderen europäischen Ländern, aber auch aus Amerika, Russland, ja sogar Ostasien.

Der Preis für das Jahrbuch und die Rundbriefe ist in dem (übrigens sehr günstigen) Mitgliedsbeitrag eingeschlossen.

_Buchwurm.info:_
Die Universen, die die zwei bedeutendsten Inklings, Tolkien und Lewis, schufen, expandieren in der globalen Mediensphäre immer weiter: Bücher, Games, Rollenspiele, Filme, Hörspiele und so weiter. Trägt die Inklings-Gesellschaft dieser erstaunlichen Entwicklung Rechnung?

_Petzold:_
In einzelnen Beiträgen ist dies immer wieder mal geschehen; ausgiebig wird sich die bevorstehende Tagung „Multimediale Metamorphosen: Die produktive Rezeption der Inklings im 21. Jahrhundert“ diesem Phänomen widmen. Wie ein Blick auf das [Programm]http://www.inklings-gesellschaft.de/programmheft__mail.pdf zeigt, geht es dort um Tolkien-Verfilmungen, um Superman im Lichte von C. S. Lewis‘ Theorie der Populärkultur, um das Tolkien-Fanwesen allgemein und die Fanfiction im Besonderen, um Computer- und Kartenspiele, um Hörspiele und -bücher, um Comics und um Bücher, die auf den Ideen und Geschichten Tolkiens aufbauen. Für diejenigen, die nicht nach Nürnberg kommen können: All dies wird auch im neuen Jahrbuch (Band 28 der Reihe), nachzulesen sein, das im Frühjahr 2011 im Verlag |Peter Lang| erscheinen wird.

_Buchwurm.info:_
Und worauf führen Sie diese anhaltende Entwicklung zurück?

_Petzold:_
Die multimediale produktive Rezeption von Erfolgsromanen ist ein Phänomen unserer Zeit, über dessen Ursachen man lange soziologische Spekulationen anstellen könnte. Ganz gewiss hängt es mit der technischen Machbarkeit zusammen, insbesondere mit der explosionsartigen Entwicklung der elektronischen Medien, sowie mit der Industrialisierung und Kommerzialisierung des Kulturwesens.

Weshalb gerade Tolkien mit seinem Herrn der Ringe zu einer solchen Flut von Sekundärprodukten angeregt hat? Es hängt wohl damit zusammen, dass er am Anfang der ganzen Fantasy-Bewegung steht, dass er – völlig überraschend und unbeabsichtigt – einen Nerv der Zeit getroffen hat, ein Bedürfnis nach ‚Romantik‘ als Ausgleich für die Nüchternheit unseres Alltags befriedigt. Und nicht zuletzt mit der schieren Qualität seiner Schriften. Tolkiens Meisterwerke kann man immer wieder mit Gewinn lesen, im Gegensatz zu den meisten Produkten der modernen Fantasy-Industrie.

_Buchwurm.info:_
Sicher gibt es noch mehr Inklings. Nennen Sie uns doch bitte die bekanntesten und warum Sie diese Mitglieder bedeutsam finden.

_Petzold:_
„Inklings“ nannte sich eine lose Gruppe von Akademikern, Autoren und literarisch Interessierten, die sich in den 1930er und 1940er Jahren in unregelmäßigen Abständen in Oxford trafen, um aus ihren im Entstehen begriffenen Werken vorzulesen und allgemeine literarische, philosophische und religiöse Themen zu diskutieren. Ihre heute berühmtesten Mitglieder sind _J. R. R. Tolkien_ und _C. S. Lewis_, aber auch der Verfasser „metaphysischer Thriller“ _Charles Williams_, die Krimi-Autorin und Verfasserin religionsgeschichtlicher und –philosophischer Texte _Dorothy Sayers_ und der Philosoph _Owen Barfield_ verdienen nach wie vor Beachtung. Ihre Leistungen zu würdigen, würde hier wohl zu weit führen. Wer sich dafür interessiert, könnte unter anderem in früheren Inklings-Jahrbüchern fündig werden, wo diese Autoren wiederholt behandelt wurden, so wie übrigens auch _George MacDonald_ und _G. K. Chesterton_ – Autoren des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts, die zwar nicht zu den Inklings gehörten, diese aber in ihrem Denken und Schreiben maßgeblich beeinflusst haben.

_Buchwurm.info:_
Organisiert die Inklings-Gesellschaft „Pilgerreisen“ zu den „Wallfahrtsorten“ der Inklings, so etwa in Oxford? Oder gibt es wenigstens einen Online-Guide dafür?

_Petzold:_
Da es im Internet fast nichts gibt, das es nicht gibt, würde es mich wundern, wenn da nicht auch ein Guide zu den Heiligtümern Tolkiens und Lewis‘ zu finden wäre. Von der deutschen Inklings-Gesellschaft wurde dergleichen aber nicht produziert, und auch keine „Pilgerreisen“ veranstaltet. Wir sind halt kein Fanclub (for better or worse). Aber Fahrradtouren einzelner Mitglieder zu den „Inklings-Stätten“ hat es schon gegeben.

_Buchwurm.info:_
Welche Leistungsmerkmale kann die Homepage der Inklings-Gesellschaft vorweisen? Sind soziale Netzwerke wie |Facebook| berücksichtigt?

_Petzold:_
Die Inklings-Gesellschaft hat das Internet als Medium der Selbstdarstellung erst relativ spät für sich entdeckt. (27 Jahre sind für eine literarische Gesellschaft ein gesetztes Alter, da kann schon mal Tradition schwerer wiegen als die Jagd nach den neuesten Trends.) Unsere [Homepage]http://www.inklings-gesellschaft.de erfüllt, denke ich, ihren Zweck: Sie informiert aktuell und übersichtlich über die Tätigkeiten der Gesellschaft, ohne Schnörkel und modischen Schnickschnack.

_Buchwurm.info:_
Legt die Gesellschaft größeren Wert auf die Anerkennung und Analyse der Inklings in der akademischen Welt oder auf die Popularisierung der Inklings? Gibt es diesbezüglich Interessenskonflikte, z. B. wenn eine Verfilmung ansteht und Werbung geschaltet wird?

_Petzold:_
Die deutsche Inklings-Gesellschaft hatte schon immer einen gewissen Hang zur wissenschaftlichen Respektabilität. Man kann das belächeln, aber ich persönlich sehe keinen Anlass, dies grundlegend zu ändern: Schließlich müssen die Inklings-Autoren nicht erst popularisiert werden (siehe Fragen 4 und 5). Das heißt aber nicht, dass wir vor neuen Entwicklungen die Augen verschließen dürften. Dass wir das nicht tun, zeigt die kommende Tagung, aber auch ein Blick in unsere Jahrbücher, wo immer wieder auch Autoren, die im Trend liegen, z. B. _Terry Pratchett_, _Neil Gaiman_, _Matt Ruff_ oder auch _Stephenie Meyer_, behandelt werden.

Interessenskonflikte entstehen dabei nicht, denn auch die neuen Trends betrachten wir aus einem distanzierten, ‚wissenschaftlichen‘ Blickwinkel, und Werbung betreiben wir weder direkt noch indirekt. Im Übrigen tragen wir auch ganz moderne Fragen an unsere „klassischen“ Autoren heran, z. B. solche der Bioethik beim Symposium des Jahres 2008.

_Buchwurm.info:_
Stehen Mitglieder der Gesellschaft auf Tagungen und Symposien für Gespräche und Interviews zur Verfügung?

_Petzold:_
Aber ja doch, selbstverständlich. Je mehr, je lieber!

_Buchwurm.info:_
Wie entwickelt sich die Mitgliederzahl der Gesellschaft, international wie lokal?

_Petzold:_
Die Mitgliederzahl ist über viele Jahre recht stabil geblieben, sie liegt derzeit bei rund 250. Davon wohnen etwa 60 im Ausland, nicht nur im europäischen. Sogar in Neuseeland, Kanada, Taiwan und Japan hat die Inklings-Gesellschaft Mitglieder.

_Buchwurm.info:_
Wagen wir einen Ausblick. Mit welchen Themen können Mitglieder und solche, die sich für die Gesellschaft interessieren, auf kommenden Jahreskonferenzen rechnen? Gibt es eine gewisse Kontinuität im Rückblick?

_Petzold:_
Nach dem populärkultur-orientierten Symposium 2010 steht 2011 wieder ein eher spezielles Thema an, und zwar soll es bei der Tagung in Leipzig um den „unbekannten _Conan Doyle_“ gehen, der eben nicht nur die berühmten Sherlock-Holmes-Geschichten schrieb, sondern auch eine Menge phantastischer Texte.

Wie’s danach weitergeht, wird die nächste Mitgliederversammlung im Oktober zeigen. Viel hängt auch immer vom ehrenamtlichen Einsatz einzelner Mitglieder ab.

Bei der Themenwahl war bisher Abwechslung wichtiger als Kontinuität. Das kann man an den Themen der letzten zehn Jahre ablesen, die im Übrigen zeigen, dass wir auch vor der Sciencefiction und der Gothic-Fiction nicht die Augen verschließen:

2009: Der Vampir: Von der Dämmerung der Gothic Novel bis zum Morgen-Grauen des Teenieromans
2008: Hybris und Heil: (Bio)ethische Fragen in phantastischer Literatur
2007: Entfesselte Kräfte: Technikkatastrophen und ihre Vermittlung
2006: Owen Barfield: Visions and Revisions
2005: George MacDonald
2004: Religion in der Fantasy und Science Fiction
2003: Technik – Mythos – Medien
2002: Phantastische Tierwelten
2001: Fremde Welten in Texten und Bildern
2000: Zukunft des Phantastischen – Phantastik des Zukünftigen

http://www.inklings-gesellschaft.de