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James Graham Ballard – Die Dürre

Earth is the alien planet

Seitdem die Verdunstung der Meeresoberfläche durch künstliche Moleküle verhindert wird, regnet es nicht mehr. Die zunehmende Dürre sorgt für das Erscheinen von Rissen in der menschlichen Zivilisation. Schließlich sieht sich auch der Arzt Dr. Charles Ransom gezwungen, mit ein paar Schützlingen die zerstörte Stadt zu verlassen und an der Küste eine Zukunft zu suchen. Doch an der von Flüchtlingen überlaufenen Küste herrscht das pure Chaos …

Der Autor
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James Graham Ballard – Der Sturm aus dem Nichts

Die Welt, zu Staub zermahlen

Nach einer Sonneneruption erhebt sich ein weltumspannender Riesensturm, dessen Stärke pro Tag um etwa 8 km/h zunimmt. Ein Arzt und ein U-Boot-Kommandant sowie zwei Reporter, versuchen dem nachfolgenden Inferno zu entrinnen. Sie stoßen auf den geheimnisvollen Multimillionär Hardoon, der nicht nur eine Privatarmee aufgestellt, sondern auch eine riesige Pyramide gebaut hat. Doch zu welchem Zweck? Ist es eine Arche oder eine Narretei? Das versuchen die Überlebenden herauszufinden.

_Der Autor_

James Graham Ballard wurde 1930 als Sohn eines englischen Geschäftsmannes in Schanghai geboren. Während des Zweites Weltkrieges, nach der japanischen Invasion 1941, war seine Familie drei Jahre in japanischen Lagern interniert, ehe sie 1946 nach England zurückkehren konnte. Diese Erlebnisse hat Ballard in seinem von Spielberg verfilmten Roman „Das Reich der Sonne“ verarbeitet, einem höchst lesenswerten und lesbaren Buch.

In England ging Ballard zur Schule und begann in Cambridge Medizin zu studieren, was er aber nach zwei Jahren aufgab, um sich dem Schreiben zu widmen. Bevor er dies hauptberuflich tat, war er Pilot bei der Royal Air Force, Skriptschreiber für eine wissenschaftliche Filmgesellschaft und Copywriter (was auch immer das sein mag) an der Londoner Oper Covent Garden.

Erst als er Science-Fiction schrieb, konne er seine Storys verkaufen. Ab 1956 wurde er zu einem der wichtigsten Beiträger für das Science-Fiction-Magazin „New Worlds“. Unter der Herausgeberschaft von Autor Michael Moorcock wurde es zum Sprachrohr für die Avantgarde der „New Wave“, die nicht nur in GB, sondern auch in USA Anhänger fand.

Ballard und die New Wave propagierten im Gegensatz zu den traditionellen amerikanischen Science-Fiction-Autoren wie Heinlein oder Asimov, dass sich die Science-Fiction der modernen Stilmittel bedienen sollte, die die Hochliteratur des 20. Jahrhunderts inzwischen entwickelt hatte – zu Recht, sollte man meinen. Warum sollte ausgerechnet diejenige Literatur, die sich mit der Zukunft beschäftigt, den neuesten literarischen Entwicklungen verweigern?

Doch was Ballard ablieferte und was Moorcock dann drucken ließ, rief die Politiker auf den Plan. Seine Story „The Assassination of John Fitzgerald Kennedy Considered as a Downhill Motor Race“ (1966) rief den amerikanischen Botschafter in England auf den Plan. Ein weiterer Skandal bahnte sich an, als er Herausgeber von „Ambit“ wurde und seine Autoren aufrief, Texte einzureichen, die unter dem Einfluss halluzinogener Drogen verfasst worden waren. Seine härtesten Texte, sogenannte „condensed novels“, sind in dem Band „The Atrocity Exhibition“ (1970, dt. als „Die Schreckensgalerie“ und „Liebe und Napalm – Export USA“) zusammengefasst, dessen diverse Ausgaben in den seltensten Fällen sämtliche Storys enthalten …

Seither hat Ballard über 150 Kurzgeschichten und etwa zwei Dutzend Romane geschrieben. Die ersten Romane waren Katastrophen gewidmet, aber derartig bizarr und andersartig, dass sie mit TV-Klischees nicht zu erfassen sind. Bestes Beispiel dafür ist „Kristallwelt“ von 1966, das ich hier aber nicht darlegen möchte, sondern ich verweise auf meine entsprechende Rezension. Äußere Katastrophen (wie die Kristallisierung des Dschungels) wirken sich auf die Psyche von Ballards jeweiligem Helden aus und verändern sie. Dabei stehen die vier Romane „The Wind from Nowhere (1962), „The Drowned World“ (1962), „The Drought“ (Die Dürre, 1964) und schließlich „The Crystal World“ sinnbildlich für Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart, ausgedrückt durch die Metaphern Luft, Wasser, Feuer und Erde/Diamant (Kristall). Ballard starb 2009.

_Handlung_

Der Arzt Donald Maitland will gerade von London Heathrow nach Vancouver fliegen, um einer gescheiterten Ehe zu entfliehen, als das Startverbot erteilt wird: Die Scherwinde sind viel zu stark, als dass ein Flieger gefahrlos abheben könnte. Also steigt er wieder ins Taxi und schafft es durch die vielen Staus zu seiner Wohnung. Er hat aber bereits seine Schlüssel an Susan abgeschickt und muss bei sich selber einbrechen. Dabei wird er von Susan und ihrem derzeitigen Lover Sylvester überrascht und niedergeschlagen. Willkommen daheim!

Eigentlich sollte die reiche Alkoholikerin Susan ja in ihrem luxuriösen Haus an der Küste der Lust frönen, doch sie klagt, der aufgekommene Wind habe alle Scheiben bersten lassen, das gestiegene Wasser habe sie sogar vom Festland abgeschnitten. Wie grässlich! Da platzen auch in Maitlands Wohnung die Scheiben, und ein kristalliner brauner Staub bläst herein. Maitland hält hier nichts mehr, schon gar nicht Susan.

Bei seinem Kollegen Andrew Symington, einem Luftfahrtingenieur mit guten Verbindungen, gibt es auch keine guten Neuigkeiten. Luxusdampfer verkehren inzwischen ebenso wenig wie Flugzeuge; man kommt nicht mehr runter von der Insel Britannien. Der Sturm trägt Lössboden aus Tibet und Nordchina nach Europa: 50 Mio. Tonnen davon. Symington erfährt, dass die britische Regierung erste „Vorsichtsmaßnahmen“ plane: Evakuierungen in Bunker und U-Bahn-Schächte. Das Radio berichtet von enormen Verwüstungen in Asien.

|Genua / Nizza |

Der amerikanische U-Boot-Kommandant Lanyon bekommt den Auftrag, von seinem Stützpunkt in genau 240 Kilometer nach Nizza zu fahren und dort einen General aus einem Lazarett abzuholen, der bei einem Flugabsturz schwer verletzt worden sei. Die Fahrt wird bei Windgeschwindigkeit von rund 185 km/h zu einem Himmelfahrtskommando. Nur weil der Wagen schwer gepanzert und geländegängig ist sowie Allradantrieb hat, kommt Lanyons Fahrer überhaupt durch.

Der General ist mittlerweile tot und wird in einem Sarg in den Panzerwagen geladen. Auf der Rückfahrt nimmt Lanyon vier Amerikaner mit, doch sie schaffen es nur bis kurz vor Genua. Der Wagen kippt um, und wer aussteigt, wird vom Sturm weggerissen. Lanyon kann sich mit einer Radioreporterin namens Patricia Olsen in einen Keller retten. Doch wie sollen sie überleben, wenn draußen die Windstärke weiter zunimmt?

|London: die Operationszentrale, die Tunnel |

Über Symingtons Verbindungen ist es Maitland gelungen, bei der Navy als Arzt unterzukommen. Auf diese Weise kann er der Operationszentrale ebenso wie den Menschen helfen. Als er jedoch einem verunglückten kommandierenden Offizier und dessen Sekretärin hilft, entdeckt er in dessen Haus Gasmasken und Minenwerfer, außerdem genug Leute für eine Privatarmee. „Haldoon“ steht auf den Kisten. Die Geräte sind von einem Multimillionär hergestellt worden, der auf dem Lande sein eigenes Bunkersystem angelegt hat, soweit sich Maitland erinnert. Er fragt sich, was dort vor sich gehen könnte.

Die Windgeschwindigkeit ist auf 180 Meilen pro Stunden angewachsen, das sind rund 290 km/h. Sie nimmt pro Tag um 5 Meilen / Stunde zu. Nun standen auch selbst relativ moderne Gebäude dem Winddruck und -sog nicht mehr stand. Die Diensttruppen bewegen sich nur noch in gepanzerten Fahrzeugen durch die dunklen Straßen Londons, und die Zivilisten bewegen sich zwischen Zementsackbarrikaden wie Ratten in dunklen Tunneln, wenn sie zwischen Keller und U-Bahnstation wechseln wollen.

Als er erfährt, dass Susan sich immer noch in seiner Wohnung befindet, eilt er zu ihr. Warum weigert sich die Millionärin, sich in Sicherheit zu bringen? Ist sie denn irre? Sie argumentiert, dass sie nichts mehr mit Männern zu tun haben wolle, die über sie bestimmen. Als er sie packen will, um sie in die Tunnel zu bringen, reißt sie sich los – und wird vom gierigen Sturm hinaus ins Nichts gerissen. Maitland kann gerade noch dem einstürzenden Haus entgehen, als er sich vor verrammelten Tunnelzugängen wiederfindet. Gefangen …

|Unterdessen|

Die Pyramide ist fertiggestellt. Ihr Erbauer blickt zufrieden aus sicherem Versteck auf sein Werk, wo nun weitere Zugangstunnel angebaut werden. Er nennt die Pyramide „Die Tore des Sturmwinds“. Doch zu welchem geheimnisvollen Zweck hat er sie erbaut? Donald Maitland und Captain Lanyon sollen es schon bald herausfinden …

_Mein Eindruck_

Der Autor hat den Roman mit einer Geschwindigkeit von 6000 Wörtern pro Tag an nur zehn Tagen rausgehauen, um das hübsche Sümmchen von 300 Pfund Sterling zu verdienen – anno 1961 noch ein Jahresgehalt wert. (Siehe dazu das Ballard-Interview mit Pringle & Goddard von 1975.) Dementsprechend anspruchslos wirkt die Story auch. Sie unterscheidet sich in beinahe nichts von all jenen britischen Katastrophenromanen, die spätestens seit H.G. Wells‘ „Krieg der Welten“ und John Wyndhams „Die Triffids“ so in Mode gekommen waren.

Immerhin sorgt dieses in fast jeder Hinsicht konventionelle Werk für beste Unterhaltung. Actionszenen und Romantik halten sich die Waage, alles unter dem Alpdruck der bangen Frage: Wird es einen Fortbestand der Menschheit geben? Das Finale steigert das Geschehen noch einmal ins Gigantomanische: Dann wird die Frage beantwortet, ob Hardoons Pyramide der Urgewalt des titelgebenden Sturms standhalten kann oder nicht. Das soll hier aber nicht verraten werden.

Entgegen den Behauptungen anderer Rezensenten gibt der Autor durchaus eine Begründung für diesen immensen Sturm an. Die stetig steigende Windstärke soll die Folge eines ungewöhnlich starken Sonnensturms sein. Das ist zwar ziemlich hanebüchen, entsprach aber damals, anno 1961, wohl dem Stand der Wissenschaft. Immerhin hatte die Astronomie sich gerade dazu durchgerungen, die tropischen Sümpfe auf der Venus, die noch Heinlein & Co. als Abenteuerspielplatz gedient hatten, ins Reich der Phantasie zu verweisen.

Ballards Debütroman (einen anderen Erstling soll er zuvor entsorgt haben) ist ein klassisches Experiment: Was passiert, wenn eine unendlich starke Kraft auf ein Objekt trifft, dessen Widerstand möglicherweise unendlich groß ist? Die Kraft des Sturms nimmt ständig zu, und wir laufend mit Informationen versorgt, welche Bauwerke bei welcher Stärke dem Druck nachgeben. Traurig aber wahr: Auch die Krönung der Architektur in Gestalt von britischen Gebäuden der Londoner City (dito in New York City) geben nach, und selbst Bunker für U-Boote sehen sich dem Einsturz gegenüber.

Muss dann nicht die Errichtung einer großen Pyramide wie pure Narretei wirken? So flach die Figur des Multimillonärs Hardoon auch gezeichnet sein mag, so erfüllt sie doch eine Schlüsselfunktion: Sie beantwortet die Frage, ob irgendetwas von Menschenhand Errichtetes Bestand haben kann – und zwar im Schnellvorlauf. Hardoon agiert aus Trotz und fordert die Götter heraus, wenn es sie noch gäbe. Sein Schicksal liefert eine Antwort auf obige Frage (und soll hier nicht preisgegeben werden). Gleich darauf legt sich der Wind. Q.E.D.

Der absurde Wind ohne Ursache ist ebenso purer Ballard wie die Halluzinationen, unter denen Maitland leidet. Ballard wollte bekanntlich Psychiater werden und kannte sich mit abweichenden Geisteszuständen aus, ebenso mit dem grafischen Surrealismus. Allerdings hält er sich mit symbolischen Umschreibungen in diesem Debüt äußerst zurück, so dass der Roman auch als Drehbuch für einen realistischen Katastrophenthriller dienen könnte.

_Unterm Strich_

Dass der Roman völlig konventionellen Vorgaben gehorcht und voller Klischees der Katastrophenliteratur steckt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es doch mit einem Ballard zu tun haben: Eine einzige Kraft transformiert die gesamte Erde, genau wie in „The Drowned World“, „The Drought“ und „The Crystal World“. Stets hat der Mensch eine Möglichkeit, sich der Landschaft anzupassen, sei es in den Tropen, im Sandmeer oder im Dschungel der Kristallwelt.

Die vorliegende Umwandlung lässt den Menschen jedoch nicht die geringste Chance, sich der entstehenden Landschaft anpassen – denn aus all den Bauwerken des Menschen und allen Formen des natürlichen Lebens entsteht nur eines: Staub. Mit anderen Worten: Die Erde wird so unbewohnbar wie der Mars, aus einem relativen Eden wird eine unbarmherzige Hölle. Nur im allerletzten Augenblick gewährt die Natur den todgeweihten Überlebenden – seien es vier oder 400 – einen Gnadenaufschub. Bis zum nächsten Mal?

Die Figur Hardoons ist sowohl konventionell als auch dramatisch wichtig. Der Millionär fordert die Urkraft des Elementes Luft heraus. Er ist jedoch weder der Magier Prospero noch Kapitän Ahab, sondern ein Trotzkopf, der der unintelligenten Natur etwas selbst Errichtetes entgegenstellt. Wird er damit bestehen oder untergehen? Das sollte man selbst lesen.

|Die Übersetzung |

Bei der Übersetzung durch Gisela Stege kommt keinerlei Freude auf. Allzu sachlich und umständlich formuliert sie die Sätze, die das Original vorgibt, nach. Was aber im Englischen als guter Stil gegolten haben mag (anno 1962), das muss nicht unbedingt für das Deutsche gelten. Ich warte also immer noch auf eine mustergültige Übersetzung.

Taschenbuch: 155 Seiten
Originaltitel: The Wind from Nowhere (1962)
Aus dem Englischen von Gisela Stege
SBN-13: 978-3453305014
www.heyne.de