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John Dwight Carr – Das Tagebuch eines Mörders

_Das geschieht:_

Obwohl er sich dank einer Erbschaft schon vor Jahren zur Ruhe setzen konnte, verfolgt der Polizeiarzt Bruce Lightoller noch immer die Arbeit der ehemaligen Kollegen. Zu seinen Freunden gehört Sergeant Herbert McCracken, ein im Kampf gegen das Verbrechen gereifter Haudegen, der nach einer Schießerei mit Gangstern verletzungsbedingt ins beschauliche Princeton nahe San Francisco versetzt wurde.

Aktuell wünscht ihn Lightoller freilich an einen möglichst weit entfernten Ort. Er, der sich einen Namen als Frauenheld gemacht hat, fand in seiner Wohnung die Leiche einer nicht mehr ganz aktuellen Begleiterin: Constance Willard wurde erdrosselt. Panisch hatte Lightoller den Körper aus dem Haus geschafft und auf einer weit entfernten Kohlenhalde vergraben.

Ausgerechnet an diesem Tatort soll Lightoller den Polizistenfreund nun begleiten. Der Arzt ist ratlos: Spielt der erfahrene Kriminalist mit ihm? Fast scheint es so, als McCracken genüsslich die Indizien auflistet, die der „Mörder“ am Fundort der Leiche hinterließ. Dennoch spielt Lightoller das böse Spiel wohl oder übel mit.

Eine Spur führt in die übel beleumundete Spelunke „Walfisch“. Hier residiert der Ganove Cristovao Pulido. Nie konnte man ihm etwas nachweisen und auch dieses Mal muss McCracken das Feld räumen. Er lässt nun durchblicken, dass er Lightoller für verdächtig hält. Dieser steckt in der Falle, als ihm die mysteriöse Schönheit Katrin Vale ein Alibi verschafft, um dessen Falschheit Lightoller genau weiß.

Wieso hilft ihm Katrin? Wer schickt ihm anonyme Drohbriefe, die zur Flucht aus Kalifornien auffordern? Wer war Constance Willard, die offensichtlich ein Doppelleben führte? Gibt McCracken jetzt Ruhe? Als die Antworten endlich kommen, steht zwischen Leben und Tod nur noch Lightollers Tabaksdose …

_Der „doppelte“ John D. Carr_

Vor Überraschungen ist auch der erfahrene Krimileser, zu denen Ihr Rezensent sich zählen darf, nicht gefeit: „Das Tagebuch eines Mörders“ ist ein Roman, der in einer obskuren, längst eingegangenen und in allgemeine Vergessenheit geratenen deutschen Taschenbuch-Reihe erschienen ist. Bereits das Titelbild erweckt wenig Vertrauen; lieblos und ohne Zusammenhang zum Text wurden diverse Klischee-Bildchen minderer Zeichenqualität vereint.

Der Verfassername lässt aufmerken: „John D. Carr“ steht dort. Verständlicherweise setzt man ihn mit |dem| Carr, John Dickson Carr (1906-1977) nämlich, gleich. Allerdings sorgt die Lektüre schon nach wenigen Seiten für Stirnrunzeln. Weder Plot noch Stil gleichen dem, was man von diesem Carr kennt. Auch die inhaltliche Qualität des durchaus unterhaltsamen Werkes lässt in dieser Hinsicht zu wünschen übrig.

Das Internet sorgt für Aufklärung: Hinter diesem John D. Carr verbirgt sich ein Autor namens John Dwight Carr, und der wiederum heißt eigentlich Robert Grün und wurde 1909 in Österreich geboren. Ein Schelm, der Böses dabei denkt …

Grün gehörte zum Heer der meist namenlosen aber aliasreichen Schreiber, die für den Leihbuch- und Groschenheftmarkt der 1950er und 60er Jahre arbeiteten. Für miserable Honorare strickten sie in Windeseile Garne, die oft entsprechend fadenscheinig waren aber ihre Leser fanden. Um seinen Marktwert zu steigern, dachte sich Grün einen Trick aus. Schon damals galt der Prophet im eigenen Land wenig. Spielte eine Geschichte in den USA, gaben Verlag und Leser einem amerikanischen Verfasser den Vorrang. Also gab Grün vor, nur der Übersetzer von Romanen zu sein, die er selbst produzierte; er dachte sich sogar „Originaltitel“ aus. (Absoluter und aus den Fingern gesogener Unsinn ist deshalb der marktschreierische Cover-Aufdruck, dass dieser Roman „mit dem 1. Preis in Amerika ausgezeichnet“ worden sei. Welcher Preis ist damit gemeint? Darüber wird wohlweislich kein Wort verloren …)

|Abenteuer im Krimi-Märchenland|

Nachdem dieser Trick erkannt ist, stellt sich „Das Tagebuch eines Mörders“ als erstaunlich lesbares Werk heraus. Das Kalifornien der späten 1950er Jahre wird zwar aus angelesenen Fakten und USA-Klischees zusammengebastelt, doch genau das trägt zum Reiz der Lektüre bei. Carr kreiert eine zeitlose Kulisse, in die er entsprechend unbekümmert seine turbulente Story platziert.

Die ist definitiv eine Kopie von 1001 „hard-boiled“-Krimis im Geiste Raymond Chandlers und Dashiell Hammetts. Carr verzichtet auf kritische Anmerkungen und Anspielungen, was aufgrund der geografischen Entfernung zwischen Autor und Schauplatz eine kluge Entscheidung ist. Er übernimmt nur die lakonischen Sarkasmen, für die der „harte“ Krimi bekannt geworden ist. Dabei zeigt er echten Sinn für Humor. Sein Witz ist nicht subtil aber trocken, was ihn selbst heute noch funktionieren lässt, wie beispielsweise Carrs eigenwillige Charakterisierung der Gäste des „Walfisch“ zeigt: |“Die Dekolletés aneinandergereiht würden, schätze ich, von Frisco bis Los Angeles reichen … Das männliche Geschlecht ist hauptsächlich durch Typen vertreten, die beweisen, dass Darwin kein Phantast war.“| (S. 29) Vor dem geistigen Auge entsteht umgehend das entsprechende Bild.

|Alles nur geklaut – aber das immerhin gut|

Der eigentliche Plot vom Mörder, der keiner ist, aber sich zu seinem Schrecken an prominenter Position inmitten der Ermittlung wiederfindet, ist ebenfalls nicht neu. Geschickt adaptiert bzw. variiert wie hier funktioniert er auch im Billig-Krimi vorzüglich. Carr versteht es, die Antwort auf die Frage nach Lightollers Schuld so lange wie möglich hinauszuzögern. Ist der zwar leichtfertige aber sympathische Held ein Mörder? Wir können es nicht glauben, weil wir es nicht glauben wollen, doch was sollen wir glauben, nachdem Lightoller die Leiche von Constance Willard verschwinden lassen wollte?

Ebenfalls geschickt in Szene gesetzt ist das Duell zwischen Lightoller und McCracken. Selbstverständlich ist der Kriminalbeamte Klischee pur – schon der Name charakterisiert den eisenharten Gangsterschreck. Gleichzeitig ist er ein aufmerksamer Beobachter. Wenn er Lightoller an der langen Leine zappeln lässt, kann er die Verdachtsmomente jederzeit auflisten. Carr plottet sauber: Unabhängig davon, dass er keine Ahnung vom Arbeitsalltag der US-Polizei hat, schildert er McCracken als akribischen Detektiv, dessen Anschuldigungen stets plausibel sind.

Das abgehobene Geschehen betont eindringlich die schöne aber mysteriöse Katrin Vale. Eine weibliche Figur, die so selbstständig und selbstbewusst ist, erwartet man nicht in einem Routine-Krimi aus chauvinistischer Vergangenheit. Vale ist zwar dem flatterhaften Lightoller nicht abgeneigt. Dennoch ist sie aus deutlich härterem Holz als dieser geschnitzt: wieder eine Überraschung, mit der Carr punkten kann. Kein Wunder, dass Vale sich auch in anderen Carr-Krimis ein Stelldichein gibt!

Langer Rede kurzer Sinn: Sollte „Das Tagebuch eines Mörders“ dem geneigten Leser dieser Zeilen irgendwie, irgendwann in die Finger geraten, kann zur Anschaffung & Lektüre geraten werden.

Taschenbuch: 143 Seiten
Deutsche Erstveröffentlichung: 1959 (Moewig Verlag/Der Moewig-Kriminal-Roman, So. Bd. 37), 111 Seiten, keine ISBN
Diese Ausgabe: 1978 (Martin Kelter Verlag/Kelter TB Nr. 1055)
ASIN: B0028ILL3C
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