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Carroll, Jonathan – Pauline, umschwärmt

_Akte X mit Chaosfrauen_

Dieses Buch könnte durchaus von Stephen King stammen – wenn dieser sich um einen besseren Stil und interessantere Charakterisierung bemühen würde. So aber ist es ein Carroll geworden, mit dessen ureigener Stimme und einer Figur, die sein Markenzeichen geworden ist: die Chaos-Frau. Dies und ein spannender Mordfall, der aufzuklären ist, machen das Buch zu einem Mystery-Thriller erster Güte.

_Der Autor_

Jonathan Carroll wurde 1949 in New York City geboren. Sein Vater war Drehbuchautor, seine Mutter Schauspielerin. Seit knapp zwanzig Jahren lebt er in Wien und unterrichtet an der American International School. Als Amerikaner in Wien hat er die Mythen und Märchen dieses städtischen Mikrokosmos erkundet und für seine fantasievollen Werke genutzt. Er ist einer meiner Lieblingsschriftsteller.

Wichtige Werke:

Das Land des Lachens
Ein Kind am Himmel
Schlaf in den Flammen
Die Stimme unseres Schattens
Die panische Hand (Erzählungen)
Vor dem Hundemuseum
Fieberglas
A Marriage of Sticks
The Wooden Sea
The Bones of the Moon

_Handlung_

„Bienenkorb“ (beehive) ist der Spitzname von Pauline Ostrowa, einer zwanzigjährigen Frau, die in den Fünfzigern viel zu intelligent ist, um in dieser restriktiven Zeit in dem kleinen Nest Crane’s View überleben zu können. Der Erzähler, Sam Bayer, hatte damals, vor dreißig Jahren, Paulines Leiche aus dem Hudson River gezogen. Ein einschneidendes Erlebnis: der Tod der Meerjungfrau, das Ende der Kindheit.

Als er dreizig Jahre später zwar ein erfolgreicher Bestsellerautor ist, aber auch eine Schreibblockade hat, fällt es ihm ein, doch mal wieder in seinem alten Heimatstädtchen vorbeizuschauen, um auf andere Gedanken zu kommen. Er beschließt, ein Buch über Pauline Ostrowa zu schreiben. Wie sich herausstellt, ist dies ein lebensgefährliches Unterfangen. Denn es gibt ja auch einen Mörder: Erward Durant junior. Der ist zwar schon lange im Gefängnis gestorben, doch sein Vater, Durant senior, erweist sich als sehr interessiert an der Entstehung des Buches über Pauline: Er will seinen Sohn posthum entlasten, „erlösen“.

Sam Bayer erhält bei seinen Nachforschungen zwei Dinge: eine Freund in Form des Polizisten Frannie McCabe – und als Gefährtin die Chaos-Frau, die ihn glühend verehrt: Veronica Lake. Das ist zwar der Name einer Schauspielerin aus den Dreißigern, und sie ist ebenso blond, aber das macht nichts. Zuerst verliebt sich Sam rasend in sie, dann versucht sie die Regie beim Buchschreiben zu übernehmen, und das wird denn doch zu viel. Aber sie lässt nicht locker: Sie geht sogar so weit, seine Tochter Cassandra zu entführen, um wieder mit Sam sprechen zu können. Es kommt zu einem horrormäßigen Showdown in einer verlassenen Villa, die voller Erinnerungen an Pauline ist – die Parallelen zwischen Veronica und der Toten sind offensichtlich.

_Mein Eindruck_

Nach der Lektüre fühlte ich mich, als habe ich in der Haut von Sam Bayer gesteckt. Ich fühlte mich von Veronicas liebevoll-zudringlichem Verhalten bedroht, aber auch verfolgt von jenem Unbekannten, der wollte, dass das Buch fertig wird – und der auch vor Mord nicht zurückschreckt. Die schönsten Szenen wie die mit Sams Tochter oder Paulines Mutter sind unterlegt mit diesem unterschwelligen Horror, der schließlich in rasende Wut umzuschlagen droht.

„Kissing the Beehive“ macht die verhängnisvolle Situation klar, in der sich Pauline – und heute Veronica – befand. Beide schlafen zunächst mit vielen Männern, verlieben sich dann aber heftigst und scheitern an dieser Beziehung. Veronica findet ebenso den Tod wie Pauline. Hier liefert Carroll einen beißenden Kommentar auf den Zustand ab, in dem sich die männlich dominierte westliche Kultur befindet: Paranoia vor der starken Frau. „Wenn ein Mann mit vielen Frauen schläft, gilt er als toller Hengst. Wenn eine Frau mit vielen Männern schläft, gilt sie als Schlampe.“ Carroll bringt es auf den Punkt.

Begleitet von zahlreichen Personen- und Familienhintergründen, lässt Carroll auf nur 300 Seiten ein Panorama der letzten dreizig Jahre entstehen, das menschlich packender und interessanter kaum zu denken ist. Dass das Buch zu mindestens siebzig Prozent aus Dialog besteht, macht die Lektüre umso einfacher: Ich habe es in zwei Tagen gelesen. Doch die Einfachheit ist trügerisch: Zu leicht kann sich der Autor an schwierigen Fragen vorbeimogeln, ohne dass es der Leser merkt: Fragen zur Motivation, zur Handlungsfolge usw. Wer also zweifelt, sollte das Buch nochmals lesen.

|Originaltitel: Kissing the Beehive, 1998
Aus dem US-Englischen übertragen von Charlotte Breuer|

Carroll, Jonathan – Schlaf in den Flammen

_Rumpelstilzchens Enkel_

Schon mal vor dem eigenen Grab gestanden? Schon mal wiederauferstanden? Hieß Ihr Vater vielleicht Rumpelstilzchen? Fahren Sie nach Wien und/oder lesen Sie diesen Roman – ein außergewöhnliches Erlebnis ist Ihnen in jedem Fall gewiss.

_Handlung_

Der Roman beginnt wie ein Traum, der zu schön ist, um wahr zu sein. Den amerikanischen Schauspieler und Drehbuchautoren Walker – Carroll kennt sich im Filmgeschäft aus – verbindet eine enge Freundschaft mit dem extravaganten, aber durchaus genial zu nennenden Regisseur Nicholas. Auf einer gemeinsamen Reise lernt Walker eine Freundin von Nicholas kennen, die in seinen Augen wunderschöne Maris.

Maris kann er Wien zeigen, eine uralte Stadt, die bei Carroll, der hier an der American International School lehrt, so viel Magie und Rätsel enthält wie etwa „Alice im Wunderland“. Mit Maris kann Walker frei von der Leber weg reden und seine ganz persönlichen Beobachtungen besprechen, die er im Lauf des Tages so sammelt. Mit ihr kann er aber auch über Probleme sprechen, und das trifft sich gut, denn in nächster Zeit beutelt ihn das Schicksal doch ein wenig: Nicht nur sein Leben, auch ihres scheint bedroht zu sein.

Schließlich ist es zunächst einmal kein so wahnsinnig angenehmes Erlebnis, sein eigenes Grab zu entdecken, samt lebensechtem Konterfei auf dem Grabstein. Merkwürdig nur, dass der Mann, der nur einen Meter unter Walker liegt, bereits seit 30 Jahren tot ist.

Ein irrsinnige Achterbahnfahrt beginnt, in deren Verlauf Walker erkennen muss, dass er schon viele Male gelebt hat und immer wieder von seinem eigenen Vater umgebracht worden ist – bis jetzt. Und der Vater heißt – ach, wie gut, dass niemand weiß! – Rumpelstilzchen. Carroll hat den Leser schnurstracks ins Grimm’sche Wonderland entführt. Walker fragt sich, warum ausgerechnet er jenes Kind war, das sein „Vater“ der Königin stahl. Er verfällt auf die Lösung, die er in Hollywood gelernt hat: Er versucht, das Grimm’sche Drehbuch zu ändern! Doch die Brüder Grimm haben noch andere Pfeile im Köcher …

_Fazit_

Es ist eine wahre Lust, sich in das Labyrinth zu stürzen, das der Vollbluterzähler Carroll in diesem Roman bereithält. Es gibt reichlich Verwicklungen, und unter anderem tauchen wieder Figuren aus dem Roman „Laute Träume“ (Bones of the Moon) auf. Diese Verwicklungen sorgen nicht nur für eine hakenschlagende Handlung, sondern auch für eine Empfindungsskala, die von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt reicht.

Wer nicht auf Mord und Totschlag schielt, sondern auch mal wieder ein niveauvoll erzähltes Werk genießen möchte, der wird mit „Schlaf in den Flammen“ bestens bedient. In den letzten Jahren hat sich Carroll mehr der Krimiseite der Literatur zugewandt. Ich kann aus dieser Zeit zum Beispiel sein Buch [„Pauline, umschwärmt“ 1306 sehr empfehlen.

Nachbemerkung: Ein Freund erzählte Carroll einmal, er habe in Russland an einem Grab gestanden, auf dessen Grabstein ein Foto eingelassen war, das Carroll zum Verwechseln ähnlich sah … Das könnte also auch Ihnen passieren.

|Originaltitel: Sleeping in flame, 1988
Aus dem Englischen übertragen von Peter Bartelheimer|

Jonathan Carroll – Die Stimme unseres Schattens

Die Kindheit holt dich ein

Nach „Land des Lachens“ ist dies Carolls zweiter Roman (1983). Er steht in einer Reihe mit „Land des Lachens“ und „Laute Träume“. Der Autor hat viel praktische Erfahrung mit dem Tod, und auch diesmal geht es darum. Allerdings porträtiert hier Caroll mit der Figur Ross einen wirklich existenten Kumpel und Mörder, den er mit zwölf Jahren, als er selbst „ein jugendlicher Krimineller“ war, kennen lernte – und ihn bewunderte. Man darf dann wohl annehmen, das Joe Lennox gewisse Züge von Carroll selbst aufweist. Welche das sind, möge der Leser selbst herausfinden.
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Jonathan Carroll – Wenn Engel Zähne zeigen

Dem Tod ein Schnippchen schlagen

Der US-amerikanische Fernsehmoderator Wyatt Leonard wird von seiner ehemaligen Freundin Sophie Chapman gebeten, ihr den einen Lebenswunsch zu erfüllen, den er ihr versprochen hat: Er soll für sie ihren verschwundenen Mann Jesse suchen. Der sei vermutlich irgendwo in einem weit entfernten Land, das sich Österreich nennt. Der Haken: Wyatt hat Leukämie und glaubt nicht, dass er eine solche Reise überleben wird. Doch er ahnt nicht, dass er über eine bemerkenswerte Fähigkeit verfügt – er kann Tote zum Leben erwecken…

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Jonathan Carroll – Fieberglas / The Marriage of Sticks

Entdeckungsreise ins Ich einer Zauberin

Miranda Romanac ist eine attraktive Frau mittleren Alters, die mit seltenen Büchern handelt und eigentlich ein erfülltes Leben führt. Nur der Mann fürs Leben fehlt ihr noch und sie hofft, auf einem Klassentreffen ihrem Ex-Freund James zu begegnen, für den sie immer noch romantische Gefühle hegt. So kommt es einem Schock gleich, als sie erfährt, dass James Stillman drei Jahre zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist.

Nach New York zurückgekehrt, lernt sie den reichen Kunsthändler Hugh Oakley kennen, der lange Zeit mit James befreundet war. Sie verlieben sich und alles scheint sich wieder zum Guten zu wenden. Doch dann wird Miranda von einer Folge unerklärlicher Ereignisse heimgesucht, die ihr buchstäblich den Teppich unter den Füßen wegziehen.… (Quelle: Amazon.de)
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Frank Duwald (Hg.) – Jonathan Carroll. Schwarze Systeme der Romantik

„Schwarze Systeme der Romantik“ war im Jahr 1993 das erste deutsche sekundärliterarische Werk zu Jonathan Carroll, einem bedeutenden amerikanischen Gegenwartsautor im deutschen Sprachraum. Es versammelt eine wertvolle Bibliographie, verschiedene Essays und eine Kurzgeschichte des Autors.

 

Der Autor

Jonathan Carroll wurde 1949 in New York City geboren. Sein Vater war Drehbuchautor, seine Mutter Schauspielerin. Seit vielen Jahren lebt er in Wien und unterrichtet an der American International School. Als Amerikaner in Wien hat er die Mythen und Märchen dieses städtischen Mikrokosmos erkundet und für seine fantasievollen Werke genutzt. Er ist einer meiner Lieblingsschriftsteller.

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Jonathan Carroll – Ein Kind am Himmel

Das Vermächtnis eines Horror-Regisseurs

Eine Geschichte von zwei Freunden, von denen der eine Selbstmord begeht. Dieser Horror-Regisseur hinterlässt ein Vermächtnis: Bilder von Dingen, die es nicht geben kann… Ein ungewöhnlich erzählter, verwirrender und darum umso stärker berührender Phantastik-Roman, der zu Carolls Wiener Sextett gehört (s.u.).

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Jonathan Carroll – Das Land des Lachens

Das wahre Gesicht des Märchenerzählers

Der Englischlehrer Thomas Abbey begibt sich mit seiner Freundin Saxony Gardner nach Galen, Missouri, denn dort lebte ihrer beider Lieblingsautor Marshall France und schrieb seine wunderbaren Kinderbücher, bis er vor wenigen Jahren starb. In Galen werden sie freundlicher empfangen als erwartet, und als Tom Frances Tochter Anna verrät, er wolle die Biografie ihres Vaters schreiben, bekommt er wider Erwarten ihre ausdrückliche Erlaubnis. Er könnte nicht glücklicher sein, als die Dinge in Galen schließlich ihr wahres Gesicht zeigen. Denn in ihnen ist der verblichene Marshall Frances gegenwärtiger als je zuvor…
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