Schlagwort-Archive: Lilach Mer

Lilach Mer – Seacrest House

Der Krieg ist seit zehn Jahren vorbei, aber Joss Nash ist noch immer nicht im Frieden angekommen. Die Normalität um ihn herum erscheint ihm fremd, und er weiß irgendwie nichts Rechtes mit sich anzufangen. Bis er sich eines Tages infolge einer Reihe unerwarteter Begegnungen im Hausflur einer schäbigen Pension wiederfindet, an der einiges wirklich sehr seltsam ist …!

Lilach Mers Geschichten neigten schon immer eher zur Kürze, insofern kam der Autorin die literarische Form der Novelle wohl durchaus entgegen. Und bisher ist es ihr auch stets gelungen, Figuren, Situationen und Stimmungen eindrucksvoll zu vermitteln. In diesem speziellen Fall muss ich allerdings sagen, ist es ihr nicht ganz so intensiv gelungen wie sonst. Lilach Mer – Seacrest House weiterlesen

Mer, Lilach – Winterkind

Blanka von Rapp ist schön, wohlhabend, hat einen liebenden Mann und eine bezaubernde Tochter. Sie ist eine glückliche Frau, zumindest sollte man das meinen. Doch als ihre Mutter stirbt, wird Blanka von ihrer Vergangenheit eingeholt. Dann verreist ihr Mann kurzfristig, und schon bald sieht Blanka sich mit einer völlig neuen Situation konfrontiert: es ist Zahltag und kein Geld für die Löhne da!

Schon „Der siebte Schwan“ hat mir ganz gut gefallen. „Winterkind“ ist noch besser. Wie in ihrem ersten Buch hat Lilach Mer auch hier auf Motive aus einem Märchen zurückgegriffen. Ihre Geschichte geht jedoch weit über das Märchen hinaus, oder besser gesagt, es geht in eine völlig andere Richtung. Tatsächlich ist es so, dass das Phantastische hier – im Gegensatz zu ihrem ersten Buch – eine ganz natürliche Erklärung findet. Doch das macht es nicht weniger phantastisch.

Ort der Handlung ist ein Herrenhaus irgendwo in Norddeutschland, in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Das nächste Dorf kann man zu Fuß erreichen, dort leben ein Teil des Personals und die Arbeiter der Glashütte, die Blankas Ehemann gehört, mit ihren Familien. In die Stadt kommt man nur mit einer Kutsche oder zu Pferd. Ziemlich abgelegen. Und es ist Winter. Kein romantischer, freundlicher Winter mit Sonne auf einer glitzernden Schneedecke, sondern ein düsterer, feindlicher Winter. Kälte, trübes, diffuses Licht, Scharen von unheimlich krächzenden Krähen. Der Schnee fällt still und sanft, doch unverrückbar und erdrückend in seinen endlosen Massen, die das Herrenhaus vom Rest der Welt abschneiden und die Bewohner in der Unsicherheit der Situation einsperren.

Wobei es nicht nur eine Unsicherheit ist, sondern eigentlich drei. Zum einen ist Blankas Tochter Johanna ernsthaft krank geworden, und wegen des Wetters ist kein Arzt erreichbar. Zum anderen warten die Arbeiter der Glasfabrik auf ihren Lohn. Jeder Einzelne von ihnen ist darauf angewiesen, dass er regelmäßig sein Geld bekommt, wenn seine Familie nicht hungern soll. Sie können es sich nicht leisten, geduldig zu sein. Die dritte Sache ist subtiler, weniger fassbar, und sie ist an Blanka geknüpft.

Blanka ist unsicher und ängstlich. Sie traut sich nicht nach draußen, nicht mal einen einzigen Schritt. Ständig trägt sie ein Stärkungsmittel mit sich herum, ohne das sie sich den Anforderungen an ihre Person nicht gewachsen fühlt. Warum das alles so ist, erfährt der Leser nur ganz allmählich, durch Rückblenden, Erinnerungen. Dabei sind nicht alle dieser Erinnerungen Blankas. Die Auswirkungen sind dennoch beträchtlich, vor allem, als Blanka unter Druck gerät.

Sophie, Johannas Gouvernante, fallen diese Auswirkungen auf, obwohl sie zunächst nicht weiß, was dahintersteckt. Sophie ist intelligent, gebildet, tüchtig und mutig, und sie hat nicht nur ihren kleinen Schützling gern, sie mag auch Blanka. Als Angestellte steht ihr allerdings keine eigene Meinung zu. Doch die Situation spitzt sich immer mehr zu, und irgendwann muss Sophie sich entscheiden.

Lilach Mer hat all das dicht und nahtlos miteinander verwoben: die Erinnerungen, wachgerufen durch den Spiegel, den Blanka geerbt hat, ihre Ängste und Unsicherheiten, das Tonikum, das mich fast sofort an Sucht denken ließ, letztlich aber noch etwas viel Schlimmeres war; Sophies Beobachtungen, Johannas Fieberträume, die Ereignisse an der Glashütte. Eins bedingt das andere, und so treibt die Situation allmählich auf eine immer bedrohlichere Eskalation zu, noch verstärkt durch die klaustrophobische Abgeschlossenheit hinter den Schneemassen. Schon lange hab ich kein Buch mehr gelesen, das einen solchen Sog entwickelt hätte.

Das ist teilweise auch dem Schreibstil der Autorin zu verdanken. In federleichten, poetischen, fast schon verspielten Worten fängt sie die Stimmung ihrer Geschichte ein, und das mit Wucht, genau wie die Schneeflocken, die so locker und sacht vom Himmel rieseln und doch eine unnachgiebige, unverrückbare Mauer bedeuten. Sehr gelungen.

Bleibt zu sagen, dass das Buch mich wirklich gefesselt hat. Faszinierend, wie viele Facetten, wie viel Entwicklung zwischen so wenigen Seiten Platz hatten. Manche Bücher sind doppelt so dick, und es steht nicht mal halb so viel drin. Setting, Handlung, Figuren, alles kam wie aus einem einzigen Guß daher. „Der siebte Schwan“ mag damals beim Schreibwettbewerb unter den Finalisten gewesen sein. „Winterkind“ hätte ihn womöglich gewonnen.

Lilach Mer ist Juristin und Fachjournalistin und hauptsächlich im akademischen Bereich tätig. Tagsüber arbeitet sie an der Universität, nachts schreibt sie Bücher. „Winterkind“ ist ihr zweiter Roman.

Taschenbuch 280 Seiten
ISBN-13: 978-3-940-85536-7

http://www.dryas.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Mer, Lilach – siebte Schwan, Der

Wilhelmina, genannt Mina, ist die Tochter eines Gutsbesitzers. Ihr Lieblingsort ist der Dachboden, wo sie am liebsten ganze Stunden damit verbringen würde, zur zarten Melodie einer alten Spieluhr zu tanzen. Doch ihre Eltern sehen dieses Verhalten gar nicht gern. Und auch der freundliche Doktor nicht, der so oft bei ihren Eltern zu Gast ist. Doch erst, als sie ein Gespräch zwischen Eltern und Doktor belauscht, findet sie heraus, in welche Schwierigkeiten ihr Verhalten sie tatsächlich gebracht hat …

Der Titel des Buches täuscht ein klein wenig. Zwar spielen Schwäne eine Rolle, und Mina träumt auch einmal davon, dass sie Kinderkleider stricken muss aus Wolle, die ihr die Hände verletzt. Ansonsten aber ähnelt die Geschichte mehr der Geschichte der sieben Raben. Obwohl die Zahl sieben hier völlig fehl am Platz ist, denn selbst bei aller Mühe kommt der Leser bestenfalls auf drei, von denen einer nicht mal ein Bruder ist, sondern „nur“ ein Cousin. Aber fangen wir vorne an …

Für die Charakterzeichnung sind zwei Personen besonders wichtig:

Mina ist ein verträumtes, empfindsames Mädchen. Das Licht unter dem Dachboden, die alten Möbel und Kleider, die sanfte Musik der Spieluhr, all das verzaubert sie, entrückt sie. Mina ist empfänglich für Dinge, die nicht offensichtlich sind, für die Geheimnisse unter der dünnen Oberfläche dessen, was die Menschen sonst als Wirklichkeit bezeichnen. Sie liebt diese Geheimnisse, die der Welt jenen Zauber verleihen, ohne den der dröge Alltag unerträglich wäre.

Für den Doktor dagegen sind diese Geheimnisse und dieser Zauber nichts als Hirngespinste, ein Wahn, den es zu kurieren gilt, und zwar mit allen Mitteln! Dabei ist er selbst nicht unbedingt unempfänglich für die Dinge jenseits der gewohnten Welt, doch sie entziehen sich seiner Kontrolle, verwirren die starre Ordnung, in der das Leben der Menschen sich seiner Ansicht nach zu bewegen hat.

Außerdem gibt es da noch die Taterfamilie, bei der Mina Zuflucht findet, und die ihr auf ihrem Weg beisteht. Alle Familienmitglieder wirken ziemlich sympathisch, selbst Viorel, der offenbar nicht nur positive Eigenschaften besitzt. Und dann wäre da noch als kleines Schmankerl der Kater Herr Tausendschön, der mich in seiner Art ein wenig an den Kater aus dem letzten Einhorn erinnerte: Er gibt niemals eine klare Antwort.

Eigentlich hat mir die Darstellung aller Figuren recht gut gefallen. Die Tater sind nicht allzu intensiv gezeichnet, aber trotzdem hat jedes Familienmitglied seine Eigenheiten, die ihm Persönlichkeit verleihen. Der Doktor taucht nicht so oft auf, und seine Darstellung wirkte auf mich weniger wie die einer Person als vielmehr die einer Institution. Seltsamerweise empfand ich das nicht als Manko. Denn von diesem Konflikt lebt die gesamte Geschichte.

Minas Umfeld ist ein strenges, steifes Umfeld, gezwängt in ein Korsett. Zum Picknick wird die halbe Einrichtung mitgenommen, selbst Tisch und Stühle, als wollte man mit der Natur eigentlich gar nicht in Berührung kommen. Von Mina wird erwartet, dass sie sich mit Mädchendingen wie Sticken und Zeichnen beschäftigt. Abweichungen von dieser Rolle wie Phantasie oder gar eigene Ansichten, ein eigener Wille, sind bei Mädchen zu dieser Zeit höchst unerwünscht.

Den Gegensatz zu der bürgerlichen Gutsidylle bietet die Welt der Tater. Sie haben kein Dach über dem Kopf, nicht einmal das von Zigeunerwagen. Sie ziehen umher und bleiben nirgendwo lange, dafür sind sie mit dem gesamten Land verbunden. Und nicht nur mit dem, auf das auch die Gadsche, die Nicht-Zigeuner, ihre Füße setzen. Hinter der „normalen“ Welt gibt es eine weitere voller Wunder und Magie, in der die Tater ebenso zu Hause sind. Dabei ist es nicht so, dass beide Welten getrennt voneinander existieren würden. Eher ist es so, dass die magische Welt wie eine zweite Haut über der Welt der Gadsche liegt, die Gadsche können sie aber weder sehen noch erreichen.

Mina kann das, und das ist der Grund, warum der Doktor sie unbedingt mitnehmen will. So, wie er bereits ihre Brüder mitgenommen hat. Und Mina ist sich durchaus nicht sicher, ob der Doktor nicht recht hat, wenn er sie als verrückt bezeichnet. Trotzdem läuft sie davon und macht sich auf die Suche nach ihren verlorenen Brüdern. Und gleichzeitig auch auf eine Suche nach sich selbst. Diese Suche ist kein Zuckerschlecken. Mina muss viel opfern, um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Und nicht alle Hilfe, die ihr geboten wird, ist auch ehrlich. Sie wird getäuscht, einmal sogar verraten. Doch sie geht unbeirrt weiter.

Der Weg führt durch beide Welten. Aber vor allem die magische hat Lilach Mer sehr eindringlich und intensiv beschrieben. Das ist vor allem ihrer poetischen und bildhaften Sprache zu verdanken, die ohne jede Übertreibung oder Schwülstigkeit den Leser zutiefst verzaubert. So lebendig ist die Darstellung, dass der Wald, der Brutsee, das Haus des Pug ebenso wirklich erscheinen wie die Realität. Tatsächlich verschwimmen die Grenzen zwischen beiden umso mehr, je weiter die Geschichte sich entwickelt, bis hin zur Unkenntlichkeit, bis zu dem Punkt, an dem Mina in der magischen Welt so zu Hause ist, dass beide Dimensionen sich nicht mehr voneinander trennen lassen.

Mancher mag vielleicht anmerken, dass die Lebensumstände der Tater ein wenig romantisiert und beschönigt wirken. Tatsächlich war es wohl kaum immer spaßig, bei Wind und Wetter unter freiem Himmel zu sein. Andererseits macht die Autorin durchaus deutlich, dass die Tater auf ihre Weise ebenso wegen ihres Andersseins unter Verfolgung zu leiden hatten wie Mina, und letztlich ist der Kern der Geschichte ja Mina auf ihrer Reise. Diese hat die Autorin auf jeden Fall außerordentlich gut umgesetzt, sowohl von der sprachlichen Seite her als auch im Hinblick auf die Einbindung alter Sagen und Märchen oder geschichtlicher Details. Lilach Mer hat mit dieser Geschichte einen Schleier gewoben, so fein und zart wie ein Windhauch, und gleichzeitig so dicht und hautnah, dass man sich seinem Zauber unmöglich entziehen kann. Sehr lesenswert!

Lilach Mer ist Juristin und Fachjournalistin und hauptsächlich im akademischen Bereich tätig. „Der siebte Schwan“ ist ihr erster Roman, der es im Rahmen des Schreibwettbewerbs von Heyne Magische Bestseller 2009 unter die fünf Finalisten schaffte.

Broschiert: 554 Seiten
ISBN-13: 978-3453527492

http://www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)