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Lord Byron / John William Polidori – Der Vampyr – Die Erzählungen (Hörbuch)

Die Geschichte der Langzähne

Juni 1816 am Genfer See, in der Villa Diodati, schauriges Wetter bringt auf dumme Gedanken: Der berühmt-berüchtigte englische Schriftsteller Lord Byron, sein Leibarzt Dr. Polidori, der bekannte Dichter Percy Shelley, dessen Geliebte Mary Wollstonecraft-Godwin (später Shelley) und deren Stiefschwester Claire Clairmont lesen Gespenstergeschichten.

Hierdurch inspiriert, hat Byron eine Idee: „Wir wollen jeder eine Geistergeschichte schreiben!“ Es kommt zu dem berühmten Wettstreit, aus dem Mary Shelleys „Frankenstein“ und „Der Vampyr“ hervorgehen. Das Besondere am „Vampyr“: Die Story wurde praktisch von Byron begonnen und von Polidori vollendet. Dumm nur, dass sich später niemand mehr an Polidori erinnern wollte.
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Byron, Lord / Polidori, John William – Vampyr, Der – Die Erzählungen

2004 beschenkte |Ripper Records| die Hörspielfans mit [„Der Vampyr oder Gespenstersommer am Genfer See“]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id_book=525 – einer sowohl unterhaltsamen als auch klugen Bearbeitung der berühmten Anekdote um die Entstehung zweier vampirischer Urtexte: Byrons „Ein Fragment“ und Polidoris „Der Vampyr. Eine Erzählung“. Der exzentrische Byron nämlich war zusammen mit seinem Leibarzt Polidori in die Schweiz geflohen (wohl vor Geldeintreibern und empörten Müttern junger respektabler Mädchen) und verbrachte dort den Sommer zusammen mit Percy und Mary Shelley sowie deren Cousine Claire Clairmont. Man vertrieb sich die Zeit mit dem Lesen von Gespenstergeschichten, die Percy Shelley so schockierten, dass er einen Nervenzusammenbruch erlitt. Die Dichter beschlossen, sich jeweils selbst an einer Gespenstergeschichte zu versuchen. Mary Shelleys Beitrag zum Wettstreit ist wohl der heute berühmteste: Ihr gab der „Gespenstersommer am Genfer See“ die Idee zu ihrem „Frankenstein“ ein. Byron verlor offensichtlich schnell das Interesse an der ganzen Sache, und so blieb sein Beitrag nur Fragment. Polidori jedoch, mittelmäßiger Arzt und verkappter Schriftsteller, beteiligte sich mit seiner schauerlichen Erzählung „Der Vampyr“.

Seine Erzählung war offensichtlich ein kaum verhüllter Exorzismus der unerträglichen Beziehung zu seinem Brotgeber Byron, den er in „Der Vampyr“ als ruchlosen Blutsauger darstellt, der Jagd auf unschuldige Mädchenhälse macht und den Erzähler Aubrey damit zunächst ins Unglück und schließlich in den Tod stürzt. Der junge und naive Aubrey nämlich fühlt sich in der englischen Gesellschaft sofort von dem exotischen und weltgewandten Lord Ruthven angezogen und lädt ihn dazu ein, die Grand Tour durch Europa mit ihm zu absolvieren. Auf dem Kontinent angekommen, häufen sich jedoch bald die Verdachtsmomente, dass es sich bei Ruthven um einen Mann von fragwürdigem Lebenswandel handelt, und Aubrey versucht, sich von ihm zu trennen. Er setzt die Reise allein fort, doch offensichtlich folgt ihm Ruthven, tötet ein griechisches Mädchen und setzt, wieder in England, Aubreys Schwester nach.

Polidoris Erzählung mag literarisch kein großer Wurf sein, doch stellt sie erstmals ausführlich die Urform des romantischen Vampirs vor, wie er uns auch noch heute geläufig ist. Ruthven ist blass und von einem gewissen Weltschmerz geplagt. Er ist weltgewandt, exzentrisch, verführerisch und dabei ohne jede Moral. Auch heute noch bedienen sich Autoren von Vampirromanen gern bei diesen Charakteristika und das macht den „Vampyr“ auch heute noch so gut lesbar, auch wenn nirgends von Kreuzen, Knoblauch oder Holzpflöcken die Rede ist.

Byrons „Fragment“ dagegen umfasst nur ein paar Seiten und bricht, leider, genau an der spannendsten Stelle ab. Und so ist die Betitelung mit „Der Vampyr. Ein Fragment“ für dieses Hörbuch ein wenig irreführend, da durchaus nicht klar wird, um was für ein Wesen es sich bei Darvell handeln soll. Dieser zeigt zwar auch die mittlerweile bekannten Charakteristika des Vampirs (reich, exzentrisch, gebildet, melancholisch), doch kann man ihn ansonsten nur schwer mit dem gemeinen Blutsauger in Verbindung bringen. Auch er wird vom Ich-Erzähler zur Grand Tour eingeladen. Doch als die beiden auf einem türkischen Friedhof ankommen, erleidet Darvell einen unvorhergesehenen Schwächeanfall, dem er einige Tage später erliegt. Jedoch nicht, ohne dem Ich-Erzähler das Versprechen abzuringen, nichts von seinem Tod verlauten zu lassen und ihm genaue Instruktionen zum Umgang mit seiner Leiche zu hinterlassen. Nun wäre es natürlich interessant zu wissen, welche Art Wiederauferstehung Darvell geplant hatte, doch – wie bereits erwähnt – hält uns Byron dieses Wissen vor und bricht die Erzählung überraschend ab.

„Der Vampyr oder Gespenstersommer am Genfer See“ behandelte die Ereignisse rund um die Entstehung der beiden Texte und flocht auch einige Ausschnitte aus den Erzählungen mit ein. Dies scheint die Hörer neugierig gemacht zu haben, denn mit „Der Vampyr. Die Erzählungen“ hat Ripper Records die beiden zugrunde liegenden Texte nun auch als Hörbuch zugänglich gemacht. Die Sprecher wurden beibehalten: Joachim Tennstedt, der im Hörspiel den Byron sprach, liest nun dessen Erzählung. Und Andreas Fröhlich, der Polidori mimte, gibt dessen „Vampyr“ zum besten. Beide lesen in gewohnter Qualität und versuchen, die Atmosphäre einer abendlichen Geschichtenlesens zu evozieren, wie sie wohl am Genfer See stattgefunden haben muss. Im Hintergrund knackt ein Feuer, es rollt der Donner (der Sommer 1816 war von heftigen Gewittern durchzogen) und man kann sich der Vorstellung nicht erwehren, Polidori und Byron säßen uns im Ohrensessel gegenüber und läsen ihr neuestes Manuskript.

So kommt das Hörbuch ganz ohne große Knalleffekte oder Überraschungsmomente aus. Die Erzählungen wirken ausschließlich aus sich selbst heraus, zum Leben erweckt von zwei großartigen Sprechern. „Der Vampyr. Die Erzählungen“ vervollständigt das Hörspiel „Der Vampyr oder Gespenstersommer am Genfer See“. Die Appettithäppchen, die im Hörspiel aus den beiden Erzählungen geliefert wurden, werden hier in einem intimen Mahl aufgetragen. Wen das Hörspiel also neugierig gemacht hatte, dem wird hier geholfen. Wer die beiden Erzählungen ohnehin aus Anthologien kannte, wird ihnen in der Hörbuchfassung durchaus noch neue Seiten abgewinnen können. Ein Gewinn ist das Hörbuch also in jedem Fall!

Die CD ist im Handel oder direkt unter http://www.ripperrecords.de erhältlich.

Byron, Lord / Polidori, John William / Gustavus, Frank – Vampyr, Der – oder Gespenstersommer am Genfer See

1816 ereignete sich in der Villa Diodati am Genfer See ein Geschehen, das auch heute noch als literarische Anekdote in Vampiranthologien und Frankenstein-Nachwörtern regelmäßig Eingang findet. Damals nämlich verbrachte eine illustre Gesellschaft den verregneten Sommer in der Villa: Der englische Dichter Percy Shelley, seine spätere Frau Mary Wollstonecraft, deren Stiefschwester Claire (wohl die Einzige in der Runde ohne literarischen Nachruhm), der englische Dichter und Lebemann Lord Byron und dessen Leibarzt John William Polidori. Die Gruppe verbrachte einen angeregten Abend beim Lesen deutscher Gespenstergeschichten und aus einer Laune heraus schlug Byron vor, die Anwesenden sollten sich jeweils selbst an einer Geistergeschichte versuchen. Was aus Percy Shelleys Beitrag geworden ist, bleibt unbekannt. Mary Wollstonecraft jedoch begann ihre Arbeit am weltberühmten „Frankenstein“, Byron verfasste eine Fragment gebliebene Kurzgeschichte und Polidori, nicht nur Mediziner, sondern auch aspirierender Schriftsteller, trug sich mit einer Geschichte über eine Frau, der ein Totenkopf auf den Schultern sitzt.

Nun war die Beziehung zwischen dem exzentrischen Byron und seinem Leibarzt Polidori keineswegs eine harmonische. So kam es, dass Polidori bald aus Byrons Diensten entlassen wurde, doch die in der Villa Diodati geschriebenen Geistergeschichten ließen ihn scheinbar nicht in Ruhe. Er baute auf Byrons „Fragment“ auf und verfasste seine eigene Novelle: „The Vampyre, A Tale“ (dt. „Der Vampyr“). Sie erschien 1819 unter dem Namen Lord Byrons, der sofort die Urheberschaft bestritt. Doch der Siegeszug des „Vampyr“ war nicht mehr aufzuhalten, es folgten Übersetzungen, mehrere Auflagen und sogar Bühnenadaptionen. Mit „Der Vampyr“, so mittelmäßig die Novelle in ihrer literarischen Qualität auch sein mag, brach eine neue Ära für die Vampirliteratur an. Sicher, es hatte schon vorher Vampire in der Literatur gegeben (sogar große Namen wie Goethe waren sich nicht zu schade, sich mit den Untoten zu beschäftigen). Doch Polidoris Vampir, der aristokratische Lord Ruthven, war kein in Lumpen gehüllter Zombie mehr, der auf Friedhöfen lauerte. Stattdessen sucht er die Salons der Großstädte heim und macht sich an holde Jungfrauen heran, um sie ins Unglück zu stürzen. Er ist schön, blass, kaltherzig, reich, weltgewandt, grausam, aber auch charmant – das genaue Ebenbild Lord Byrons. Die Bedeutung von Polidoris Erfindung für spätere literarische Vampire lässt sich kaum unterschätzen, ist die Anziehungskraft des Byronschen Vampirs doch auch heute noch ungebrochen (man denke nur an Anne Rices Lestat oder Laurell K. Hamiltons Jean-Claude).

Mit „Der Vampyr“ hat |Ripper Records| in Zusammenarbeit mit |Lübbe Audio| nun ein liebevoll produziertes Hörspiel auf den Markt gebracht, das sich den Ereignissen am Genfer See widmet. Dass die beiden CDs den Titel von Polidoris Novelle tragen, zeigt gleich, wo die Sympathien von Frank Gustavus liegen, der für Buch und Regie zuständig war. Man folgt Polidoris Sicht der Dinge, wenn er am Totenbett einem namenlosen Journalisten seine Geschichte erzählt: Wie er von Byron angestellt wird und mit ihm auf den Kontinent reist. Wie er mit den anderen Schriftstellern in der Villa Diodati zusammentrifft und deren Spott über seine mittelmäßigen literarischen Werke ertragen muss. Wie er nur in Mary Shelley eine Freundin findet und schließlich den „Vampyr“ verfasst, nur um ihn unter Byrons Namen veröffentlicht zu sehen. Diese Katastrophe wird sich fatal auf sein Leben auswirken. Der Streit um die Urheberschaft ruiniert ihn, andere seiner Werke werden verrissen oder gar nicht erst verlegt. Desillusioniert nimmt er sich mit 26 das Leben, ohne je literarischen Ruhm erreicht zu haben. Ironischerweise hat sich sein im Hörspiel geäußerter Wunsch, seinen Namen einmal neben Byrons zu sehen, mittlerweile mehr als erfüllt. In Anthologien stehen die Erzählungen Byrons und Polidoris in der Regel nenebeneinander und literaturgeschichtlich markiert Polidoris Novelle die Geburt des modernen Vampirs.

Frank Gustavus verbindet gekonnt Teile der Erzählungen (man hört Auszüge aus Byrons „Fragment“, Polidoris „Der Vampyr“, Coleridges „Christabel“, aber auch Abschnitte aus Briefen und Tagebucheintragungen) mit überlieferten Tatsachen (so stimmt es tatsächlich, dass Shelley bei der Rezitation von „Christabel“ einen Nervenzusammenbruch erlitt) mit frei erfundenen Teilen (beispielsweise die Ausgangssituation des Hörspiels, in dem Polidori seine Geschichte einem Reporter erzählt). Sämtliche Sprecher erwecken ihre Charaktere überzeugend zum Leben, allen voran natürlich Andreas Fröhlich als Polidori und Joachim Tennstedt als Byron. Fröhlich, der seine Stimme auch schon Edward Norton lieh, lässt seinen Polidori zwischen dem jungen Naiven in der Gesellschaft von hochgebildeten Literaten und dem vom Leben enttäuschten und vollkommen desillusionierten Selbstmörder changieren. Joachim Tennstedt, der unter anderem auch John Malkovich synchronisiert, lässt Byron wie einen manischen Irren klingen und macht es dem Zuhörer damit leicht, diesen genialen, aber menschlich wohl unleidlichen Dichter leidenschaftlich zu hassen. Unterstützt werden beide von atmosphärischer Musik und überzeugenden Soundeffekten.

Wer die jeweiligen Erzählungen von Byron und Polidori kennt, der wird im Hörspiel von |Ripper Records| eine engagierte und lohnende Bearbeitung der Ereignisse um die Entstehung der Geschichten finden. Allen anderen wird „Der Vampyr“ garantiert Lust auf mehr machen: mehr Hörspiele, mehr Vampirgeschichten, vielleicht ein wenig „Frankenstein“. |Ripper Records| ist ein kleines Juwel mit hohem Unterhaltungswert gelungen, in dem eine bekannte Anekdote zu neuem Leben erweckt wird. Die Geschichte zieht den Hörer sofort in ihren Bann und man mag keine Sekunde von Polidoris Erzählung verpassen. Die Handlung ist spannend, unterhaltsam, gruselig, aber auch mit Witz aufgearbeitet worden, deswegen gibt es eine ganz klare Empfehlung: Kaufen, hören, genießen!

(p.s.: Falls nun jemand nach dem Hören auf die beiden Geschichten von Byron und Polidori neugierig geworden sein sollte, so kann demjenigen natürlich geholfen werden. Beide Erzählungen finden sich in einer hervorragenden Anthologie von Dieter Sturm und Klaus Völker, die sich bereits seit Jahrzehnten als Standardwerk behauptet: „Von denen Vampiren oder Menschensaugern“ enthält zahlreiche Gedichte und Kurzgeschichten, aber auch historische Dokumente. Im Dezember erscheinen übrigens bei |Ripper Records| die kompletten „Vampyr“-Erzählungen als Hörbuch, gelesen von A. Fröhlich und J. Tennstedt.)