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John Sinclair Classics – Der Hexer mit der Flammenpeitsche (Folge 43)

Die Handlung:

„Darf ich den Leichnam vielleicht noch einmal sehen?“, fragte Jane Collins, die viele hundert Meilen weit gefahren war, um von ihrem väterlichen Freund Graham Saunders Abschied zu nehmen. Der Pater öffnete den Sarg und schrak zurück: Die Leiche hatte keinen Kopf mehr! (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Diesmal hat sich der Verlag an die Hörspielumsetzung des GESPENSTER-KRIMI-Heftromans mit der Nummer 188 gemacht, der erstmalig am 19. April 1977 am gut sortierten Bahnhofskiosk oder manchmal auch in einer Buchhandlung zu bekommen war. Das Titelbild des Hörspielcovers ist dabei eine Neuinterpretation der Thematik.

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Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Grube und das Pendel, Die (POE #1 / 5.1/DTS)

_Hörspielerlebnis in erstklassigem Sound_

Diese DVD bietet eine technisch überarbeitete Fassung des äußerst gelungenen und stimmungsvollen Auftaktes für die Hörspielserie, in deren Verlauf der |Lübbe|-Verlag mehrere Erzählungen von Edgar Allan Poe verarbeitet – bislang acht Stück. Die Reihe wird im November dieses Jahres fortgesetzt.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan der Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne ihn sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H. P. Lovecraft, H. G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen spricht die Figur des „Fremden“, der den Namen E. A. Poe annimmt.
Joachim Kerzel, bekannt aus zahlreichen Horror-Hörspielen und -Audiobooks, spricht die Rolle des Abtes. Kerzel ist die deutsche Synchronstimme von z. B. Jean Reno, Dustin Hoffman, Harvey Keitel, Sir Anthony Hopkins oder Jack Nicholson.
Klaus Jepsen: Bruder Amontillado
Till Hagen: Dr. Templeton
Viola Morlinghaus: Schwester Berenike
Gedicht am Anfang/Lied am Schluss: Heinz Rudolf Kunze

_Handlung_

Vorgeschichte: Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert wurde und jetzt, nach zehn Wochen, entlassen wird. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Leider neigt sich sein Aufenthalt dem Ende zu: Die Anstalt soll dichtgemacht werden und er wird bald entlassen. Doch in seiner letzten Nacht erlebt der Erzähler in seiner kargen Zelle einen beängstigenden Traum …

Er erwacht in der Zelle eines Mönches, die sich im Kloster von Toledo in Spanien befindet. Am Kopf hat er eine schwere Wunde davongetragen, die eine freundliche Nonne namens Schwester Berenike mit Kräutern behandelt. Hat er diese Wunde im Krieg davongetragen, der sich Toledo in Form napoleonischer Truppen nähert? Man schreibt das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, und die Situation Toledos ist alles andere als sicher.

Wie sich herausstellt, haben ihn die Mönche niedergeschlagen, weil sie ihn für einen Spion der Franzosen hielten. Im Kloster herrscht die als grausam verrufene Inquisition der katholischen Kirche, und es herrscht eine Art Torschlusspanik. Der scheinbar freundliche Abt, der das Kloster leitet, verfügt über eine bemerkenswerte Standuhr: in das Zifferblatt sind Löcher für vier Finger eingelassen und das Pendel ist rasiermesserscharf zugeschliffen. Ein Omen? O ja, und nicht nur für Schwester Berenike, die hier eigentlich nur zu Besuch ist. Kurz zuvor sei der Bruder Botanicus gestorben, erzählt sie.

Das Kloster ist in der Tat das Gegenteil eines Kurortes: Als sich der Erzähler einmal in einem Krug Wasser von einem Auslassrohr holt, bemerkt er zu spät, dass es sich um fast pures Blut handelt. Es stammt von den in den Gewölben gefolterten Opfern der Inquisition. Als er und Berenike vor Entsetzen um Mitternacht fliehen wollen, stoßen sie auf einen Leichentransport, der gerade das Kloster verlässt: Auf dem Karren liegen zerschnittene und von Ratten angefressene Körperteile. Sekunden später werden die beiden Flüchtlinge gefangen genommen und später vom Abt verurteilt, damit das Geheimnis des Klosters gehütet wird.

Der Erzähler erwacht in einem lichtlosen Gewölbe neben einem Schacht, mit Riemen auf einen Block gebunden: neben sich Ratten, über sich ein riesiges rasiermesserscharfes Pendel, das hin und her schwingt, sich dabei aber unaufhaltsam auf den Wehrlosen herabsenkt …

_Mein Eindruck: das Hörspiel_

„Die Grube und das Pendel“ treibt den Horror auf eine bis dato unerreichte Spitze: Folter durch die Inquisition, ein mysteriöser Todesfall, Gift im Wasser, ominöse Pendeluhren und schließlich der klaustrophobische Höhepunkt unter dem Pendel selbst. Kulturell gesehen herrscht im Kloster noch finsterstes Mittelalter, bis Napoleons Truppen Freiheit, Licht und Leben bringen. Der Abt verkörpert die Willkürherrschaft der katholischen Kirche in Spanien. Es herrscht Torschlusspanik und die Entwicklung der Dinge treibt auf einen Höhepunkt zu.

Die Rahmenhandlung in Dr. Templetons Anstalt taugt durchaus dazu, die Serie zu tragen, allerdings sind die Traumreisen in Poe’sche Storywelten nur mit romantischen Mitteln zu erklären, es sei denn, der Patient Poe bekäme zur Heilung ein traumförderndes Medikament.

|Die Sprecher|

Ulrich Pleitgen und Joachim Kerzel dominieren das Hörspiel mit ihren tiefen Stimmen. Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Kerzel ist als Abt nur in zwei Szenen zu hören, wirkt aber dabei bereits zwielichtig beziehungsweise kriminell – kein Wunder, denn der Abt ist einer der letzten Vertreter der grausamen spanischen Inquisition.

Klaus Jepsen ist uns inzwischen am besten als deutsche Stimme von Bilbo Beutlin vertraut, die des „Dr. Templeton“ als die Synchronstimme von Kevin Spacey, allerdings mit betonten Bässen. Meine besondere Bewunderung möchte ich Viola Morlinghaus aussprechen: Sie spielt die sympathische Botanikerin „Schwester Berenike“ absolut lebensecht, verzweifelt und schließlich niedergeschmettert, dass man mit ihr mitfühlen muss. Allerdings fällt auf, dass ihre Figur sehr oft „Ich weiß es nicht“ sagen muss.

|Der Song|

Das Stück klingt mit H. R. Kunzes Lied über E. A. Poe, dem „Weißen Raben“, aus. Es ist quasi eine Moritat, die versucht, diesen Dichter als Warner seiner Zeitgenossen in einen soziokulturellen Kontext zu stellen. Der Fünf-Minuten-Song ist zwar textlastig wie jede Moritat, aber stimmungsvoll instrumentiert und vorgetragen: schön schräg intoniert, mit „singender Säge“ unterlegt und wohligen Schauder erzeugend.

|Die szenische Musik und Klanggestaltung|

Die Musik besteht aus moderner Klassik, vermischt mit dem Kirchenlied „Dies irae, dies illa“ („Tag des Zornes, jener Tag“, oft auch übersetzt als „Tag der Rache, Tag der Sünden“) und einem Streichquartett. Getrennt werden die einzelnen Szenen durch besondere Klangelemente wie etwa eine Glocke.

Die Klangkulisse dieses ersten Teils der Serie ist im Vergleich zu den anderen Teilen ganz besonders ausgetüftelt und äußerst wirkungsvoll. Von dezenten Kirchenglocken, Chören, menschlichen Schreien bis hin zu Wolfsgeheul, Rattengefiepe und Windrauschen reicht die Geräuschpalette.

Wer über eine ordentliche Anlage verfügt, sollte jedoch die Bässe bis zum Anschlag aufdrehen: Die Szene unter dem Pendel bietet ein paar besonders basslastige Soundeffekte – man kann das Schwingen des riesigen Pendels praktisch sehen, nicht nur hören. Der Soundstandard DTS, den diese DVD anbietet, erlaubt es, diese Bässe noch stärker zu betonen. Unüberhörbar bedrohlich klingt das Pendel aber bereits mit „normalem“ Dolby-Digital-5.1-Sound.

Inszenierung und Sprecher sind von erster Güteklasse – schade, dass Kerzel nur in dieser Folge der Poe-Serie mit von der Partie ist. Die Musik und Klanggestaltung unterstützen die hervorragenden Sprecher mit wirkungsvoller Klangdarstellung. Kunzes Song am Schluss wirkt für mich etwas aufgesetzt, aber sei’s drum.

_Die DVD_

Technische Infos

Laufzeit: ca. 59 Min.
FSK: keine Altersbeschränkung
Bildformate: 16:9 anamorph
Tonformate: DD 5.1, DTS, PCM Stereo
Sprachen: Deutsch
Untertitel: keine

Extras:

– Booklet mit informativen Texten und Fotos von Simon Marsden
– Interview mit Sprecher Ulrich Pleitgen
– Vom Skript zum Hörspiel: illustrierende Demonstration in Bildern
– Komplette Novelle „Die Grube und das Pendel“

_Mein Eindruck: die DVD_

Wie bereits oben erwähnt, liefert die DVD eine sagenhafte Soundqualität, und zwar in drei Klangstandards: PCM Stereo für einfache Anlagen, DD 5.1 und DTS für hochwertigere Geräte. Nicht jeder DVD-Player verfügt über einen DTS-Dekoder. Ein Großteil der Datenmenge auf der DVD dürfte alleine auf diese Toninformationen zurückzuführen sein.

An den wenigen Bildern in der digitalen Video-Diaschau kann es nämlich nicht liegen. Vorüberziehende Gewitterwolken, eine strömender Bach, ein unheimlicher Wald – all dies ist weder sonderlich aufwändig noch besonders aufregend. Denn dafür sind die Bilder nicht gedacht. Sie haben häufig die gleiche ästhetische Qualität wie Simon Marsdens Fotos: Sie laden zur Betrachtung, wenn nicht sogar Versenkung ein, lenken aber nicht vom Hörspiel ab.

Das Interview mit Ulrich fand ich einigermaßen erhellend. Er spricht u. a. darüber, was er an Poe so interessant findet und wie er seine Rolle in „Grube und Pendel“ gestaltet hat. Seine Aussagen sind kurz, aber knackig. Er hat den Durchblick.

Der Beitrag „Vom Skript zum Hörspiel“ ist eine Demonstration dessen, was man sich schon denken kann. Irgendwo muss der jeweilige Sprecher ja seine Anweisungen her haben. Sie stehen im Skript, das einem Drehbuch doch verblüffend ähnlich sieht. Dazu hört man das Ergebnis: den gesprochenen Text. Und wenn Geräusche gefordert sind, erklingen eben Geräusche – wie sie zusammengesetzt sind, liegt im kreativen Ermessen des Toningenieurs. Im Fall von „Grube und Pendel“ haben wir den Glücksfall, dass es eine riesige Palette passender Geräusche gibt.

Wer die ursprüngliche Novelle Poes, von der das Hörspiel erheblich abweicht, nachlesen möchte, kann dies anhand des entsprechenden Beitrags auf der DVD tun. Ich habe es nicht getan, denn die Schrift war mir zu klein. Eine Zoom-Funktion wäre hier hilfreich.

|Das Booklet|

Stefan Bauer, Cheflektor beim Bastei-Lübbe Verlag, hat im März 2004 die Einleitung geschrieben. Sie ist immerhin zweieinhalb Seiten lang. In seinem Kurzessay versucht er zu erklären, warum und was uns an Edgar Allan Poe so fasziniert – und warum es das 150 Jahre nach seinem Tod immer noch tut. Offenbar hat er an Ängsten des modernen Menschen gerührt, die immer noch existieren: das Ausgesetztsein, die Fremdheit, das Ausgeliefertsein an eine fremde unsichtbare Macht, die Illusionen von Tod und Leben usw.

Dabei macht Bauer klar, dass Poe selbst ein Fremder in seiner Kultur war: statt amerikanischen Unternehmergeistes spielte er den bizarren Warner, der an morbide Gelüste appellierte. Doch genau dies übte auf Schriftsteller wie Charles Baudelaire („Die Blumen des Bösen“) und Maupassant („Der Horla“) einen ungeheuren Einfluss aus, und sie selbst wiederum hatten ihre Kopisten und Epigonen. Poes Pionierarbeit wird auch von Ulrich Pleitgen und Heinz Rudolf Kunze in je einem Zitat gewürdigt.

Kunzes Song „Der weiße Rabe“ ist im Booklet endlich auch vollständig abgedruckt. Die Zeilen haben durchaus einen gewissen Charme und passen zum Sujet. Der Text stammt zwar von Kunze, die Musik allerdings von Leo Schmidthals.

Die Seiten 8 und 9 sind den Fotos von Simon Marsden gewidmet. Der britische Fotograf outet sich als Fan von Poe, dem er eine ganze Veröffentlichung gewidmet hat: „Visions of Poe“. Er arbeitet hauptsächlich mit Infrarotfilmen und besonderen Drucktechniken. „Ich glaube, dass eine andere Dimension, eine ‚geistige Welt‘, neben unserer so genannten echten Welt existiert, und dass wir manchmal, wenn die Umstände stimmen, in diese Welt hineinblicken können und Teil werden mit dieser übernatürlichen Gegebenheit. [seltsames Deutsch, oder?] – Die mystischen Aspekte meiner Fotografien reflektieren die ehemalige Ordnung und versuchen das Ewige zu offenbaren.“

Die beiden vorletzten Seiten bringen Werbung für die Hörspielreihe und den Erzählband. Die letzte Seite führt sämtliche Mitwirkenden an diesem Hörspiel und der künstlerischen DVD-Herstellung auf – eine praktische Übersicht. Die Frontseite des Umschlags zeigt ein charakteristisches Zitat aus der Erzählung in Englisch und Deutsch: |“Ich war krank, todkrank von langer Qual. Und als sie mich losbanden und ich mich hinsetzen durfte, fühlte ich, wie mir die Sinne schwanden.“|

_Unterm Strich_

Es muss ja nicht unbedingt die DVD sein; es reicht dem, der nur das Hörspiel kennen und genießen will, die CD völlig aus. Doch die DVD liefert einiges an Bonusmaterial, von dem die Dokumentationen und das Booklet nur der offensichtlichste – und nicht der geringste – Teil sind. Der größte Vorteil besteht vielmehr in der verbesserten Akustik, die wirklich dem State of the Art entspricht. Ich halte die Darbietung in DTS einer normalen CD-Wiedergabe für haushoch überlegen, worin mir sicher nicht jeder beipflichten wird. Wahrscheinlich werde ich jetzt für einen Soundfetischisten gehalten, aber sei’s drum: Warum sollte ein Verlag gleich drei Klangspuren auf eine DVD packen? Es muss wohl etwas dran sein an diesem Aspekt.

Und obendrein ist die DVD für ein Hörspiel ein Novum: Man kann – noch – lange suchen, bis man eine ähnliche Produktion findet. Wenn sich die DVD zu diesem vertretbaren Preis durchsetzt, könnten wir künftig mit mehr solchen Produktionen rechnen. Dann müssten wir nicht mehr Discjockey spielen, wenn wir ein Hörbuch mit sechs oder zehn CDs anhören wollen. Dann reicht eine Doppel-DVD.

Freunden von Poe und dem gepflegten Horror sei diese DVD daher ans Herz gelegt. Sie mag ihre Ecken und Kanten haben, ist aber weit gehaltvoller und hochwertiger als das Hörspiel auf CD.

|Originaltitel: The Pit and the pendulum
Laufzeit ca. 59 Minuten|

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Landors Landhaus (POE #27)

_Vertreibung aus dem Paradies_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ begann die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 26 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Poe und Leonie mieten Landors Landhaus in den nördlichen Wäldern von New York. Doch sie kommen dort nicht zur Ruhe: Über dem Landhaus liegt ein Fluch. Und Leonies Vergangenheit ist dunkler, als Poe ahnt. (Verlagsinfo)

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten 26 Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

Das Taschenbuch ist unter dem Titel [„Lebendig begraben“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 bei |Bastei Lübbe| erschienen.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Landor: Peter Schiff
Clerk: Oliver Brod
Priester: Johannes Hubert
Büchereiangestellte: Natalie Spinell

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 26 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe / Pleitgen sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Nachdem ihre Abreise nach England gescheitert ist, suchen Poe und Leonie erstmal ein Zuhause, wo sie zueinanderfinden und heiraten können. Das nächste Landhaus, das sie auftreiben können, gehört einem Herrn Landor und liegt drei Stunden Fußweg außerhalb von New York City. Zunächst fährt er sie zu seinem eigenen Haus, um etwas zu holen, dann bringt er sie zum Landhaus. Sie kommen an einem seltsamen Gedenkstein in Form eines Herzens vorbei. Der Stein soll an ein junges Liebespaar aus dieser Gegend erinnern, das vor zehn Jahren verschwand, und werde „Das steinerne Herz“ genannt, erzählt Landor.

Das Landhäuschen liegt in einem schönen Tal, das sich jenseits eines dichten Waldes öffnet. Das Häuschen benötigt ein wenig Instandsetzung, aber Poe stellt schnell seine handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis. Eine häusliche Atmosphäre kehrt nach Landors Abschied ein. Dennoch scheint etwas nicht zu stimmen. Leonie hört unerklärliche Geräusche, und in den Kaminsims ist das gleiche Zeichen wie in den Gedenkstein eingeritzt. Welcher Zusammenhang mag hier bestehen?

Als sie von einem langen Fußweg in die Stadt und zum Pfarrer einer kleinen Kapelle zurückkehren, fließt der Bach direkt durch ihr Häuschen! Die Tür ist offen – wer hat sie geöffnet? Sie rackern, um den Bach abzulenken und das Haus wieder bewohnbar zu machen. Erschöpft fallen sie ins Bett. Als Poe am nächsten Tag Landor davon erzählt, faselt dieser etwas von einem Fluch, der auf diesem Haus liege, und rät ihnen, schleunigst abzureisen. Poe beschwört ihn, Leonie nichts davon zu erzählen.

Sie ist aufs Konsulat in die Stadt gegangen, um sich Identitätspapiere auf den Namen „Leonie Sander“ ausstellen zu lassen, damit sie Poe heiraten kann. Dass sie Sander heißt, weiß er ja schon aus ihrer Zeit in New Orleans. Er besucht unterdessen die Ortsbücherei und leiht ein Buch über lokale Legenden aus. Einst habe hier im Tal eine alte Hexe gelebt, heißt es da. Doch ein Kaufmann und seine Geliebte hatten Streit mit ihr, woraufhin sie verbrannt werden sollte. Doch sterbend verfluchte sie ihn und alle seine Nachkommen. Der Kaufmann ließ an der Stelle des alten Hexenhäuschens sein Lusthäuschen errichten, doch eines Tages starb er bei einem Brand in der Scheune.

Na, das sind ja lustige Geschichten, denkt Poe noch. Da schlägt neben dem Haus der Blitz in einen großen Baum, der sofort Feuer fängt. Dieses Haus scheint wirklich verflucht zu sein: Erst Wasser, dann Feuer. Was kommt als nächstes? Hinter einem Riss in der Kellermauer stößt Poe mit Leonie auf das grausige Geheimnis dieses Hauses …

_Mein Eindruck_

Diese Episode ist eine der seltenen POE-Folgen, deren Handlung völlig auf dem Lande stattfindet. Meist liegt der Schauplatz ja in der Stadt, sei es New York oder New Orleans, oder auf und an der See. Zwar beginnt diesmal alles in einer Idylle auf dem Lande, doch auch hier endet alles in purem Horror.

Bemerkenswert komplex ist die vielsträngige Handlung, so dass die verschiedenen Schichten einander beeinflussen. Zunächst sieht es so aus, als würden beide erfolgreich aufs Land fliehen können, doch schon bald gehen mit Leonie rätselhafte psychische Veränderungen vor sich. Die Hochzeitsvorbereitungen gelingen zwar pragmatisch, und das Leitmotiv der Paare, symbolisiert durch „Das steinerne Herz“, wird hoffnungsvoll weitergeführt.

Doch etwas hat sich gegen das Glück der Verlobten verschworen. Zunächst scheint es nur die Natur zu sein: der Bach, der über die Ufer trifft, der Blitz, der den Baum in Brand gesetzt. Doch je mehr Poe über die Vorgeschichte dieses Ortes erfährt, desto mehr gelangt er zur Überzeugung, dass ein Fluch nicht nur auf diesem Haus, sondern auch auf seiner Verbindung mit Leonie liegt.

Als auch noch Landor den düsteren Hintergrund bestätigt und das Grauen im Keller erklärt, ist es mit der Ruhe auf dem Lande endgültig vorbei. Die Heirat mit Poe scheint keine Perspektive mehr zu sein. Leonie verschwindet spurlos, und Poe ist auf sich selbst angewiesen. Dies hat schlimme Folgen für ihn, wie die übernächste Folge zeigt.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Mr. Poe

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in fast jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In dieser Episode schwankt Pleitgens Ausdruck zwischen hoffnungsvoller Aufbruchstimmung und niedergeschmetterter Grübelei – und allen Nuancen, die dazwischen liegen. Das ist eine herausragende Darstellerleistung.

Miss Leonie Goron

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. In der neuen Staffel tritt sie nicht mehr so energisch auf, sondern erscheint uns als zwielichtige, will heißen: mehrdimensionale Figur, die es zu ergründen gilt. Die weitere Folgen legen ihre verborgenen Schichten offen und warten mit Überraschungen auf. Leonie hat uns (und Poe) beileibe nicht alles über sich erzählt.

Landor

Peter Schiff spricht zwar nur eine Nebenfigur, doch sein Landor ist von einer beeindruckenden Nuancenvielfalt. Erst erscheint Landor als eine normale Art von Landedelmann, doch je mehr sich die Natur von ihrer ungastlichen Seite zeigt, desto mehr erscheint seine Figur im Zwielicht, denn schließlich ist er der König dieses Landes. Die Wahrheit über seine Rolle trifft den Hörer ziemlich unvermutet, daher umso heftiger. Peter Schiff weiß alle diese Wandlungen dieser Figur überzeugend darzustellen – eine beachtliche Leistung.

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulisse ist entsprechend realistisch und detailliert gestaltet. Ländliche Geräusche wie eine rollende Kutsche, ein schnaubendes und wieherndes Pferd sowie die allgegenwärtigen Vögel – ein sehr beliebtes Motiv der Serie – gesellen sich diesmal zu unheimlichen Wetterphänomenen wie Blitz, Donner und Regen. Je ungastlicher die Natur sich gebärdet, umso feindseliger führt sich auch die Tierwelt auf: Wespen summen und Ratten fiepen. Den Schlusschor bilden unheilvolle Nachtvögel, die schon immer als Omen des nahen Todes galten, sowie Krähen, die Aasvögel des Todes. Höchste Zeit für die unwillkommenen Menschlein, von diesem ungastlichen Ort abzuhauen.

|Musik|

Die Musik untermalt, quasi als eine Widerspiegelung, die emotionale Verfassung der jeweiligen Hauptfigur. In aller Regel ist dies die von Poe selbst, aber es gibt auch andere Erzählperspektive, so etwa die von Dr. Baker und die von Leonie. Immer wieder ist das leitmotivische Poe-Thema zu hören, das in allen möglichen Instrumentierungen erklingt, mal als Streichquartett im langsamen Tempo, dann wieder durch Hörner umgesetzt.

Diesmal erklingt der aus früheren Folgen bekannte Chor „Dies irae, dies illa“, der das Verhängnis, das über Poe hängt, beschwört. Hier waren offenbar versierte Komponisten und Arrangeure am Werk – ebenso Hagitte und Bertling vom Studio |STIL|.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD „Visionen“ zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Hagitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellen Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD [„Visionen“ 2554 hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

Poe und Leonie hätten es wie Adam und Eva haben können, doch das Land ist nicht mehr wie im Garten Eden, sondern selbst mit einem Fluch belegt. Dass es sich um den Fluch einer Hexe handeln soll, mutet dem Hörer schon etwas ungewöhnlich an, denn Hexen werden mit europäischen Märchen assoziiert. Aber es gab ja auch Hexenprozesse im Salem des 17. Jahrhunderts, und warum sollte der Hexenglaube sich nicht auch bis nach New York City verbreitet haben? Das Motiv des Hexenfluches ist schon ziemlich alt, und hier wird es mit dem Thema des Fluches, der auf Poe lastet, verknüpft. Folgerichtig kommt es zur Vertreibung aus diesem verdorbenen Paradies.

Ich fand diesen Plot ziemlich schlau ausgedacht und wurde Ohrenzeuge, wie ausgetüftelt die Szenen gestaltet wurden. Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird mit „Der Mann in der Menge“ fortgesetzt.

|Basierend auf: Landor’s Cottage, ca. 1848
58 Minuten auf 1 CD|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Flaschenpost, Die (Poe #26)

_Ein neuer Aufbruch: Hoffnung und Scheitern_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ beginnt die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 25 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Eines Tages findet er eine Flaschenpost, und plötzlich legen sich die Schatten der Vergangenheit auf seinen Weg. (Verlagsinfo)

Mit der Erzählung „M.S. found in a bottle“ (M.S. = Manuscript) errang Poe anno 1833 den |Fiction Prize| der Zeitung „Baltimore Saturday Visitor“ und so seinen ersten größeren Erfolg auf der literarischen Bühne.

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten 25 Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

Das Taschenbuch ist unter dem Titel [„Lebendig begraben“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 bei Bastei-Lübbe erschienen.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Direktor: Friedhelm Ptok
Griswold: Friedrich G. Beckhaus
Carolan: William O’Connor
Wirt: Charles Rettinghaus (dt. Stimme von Jean-Claude van Damme u. a.)
Diplomat: Arne Toost
Kapitän: Rainer Wut

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dickky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt eine Burg auf einer vorgelagerten Insel, mit einem großen Felsen im Vordergrund. Die Insel könnte St. Michael’s Mount an der englischen Südküste sein, das Gegenstück zum Mont St. Michel in der Normandie.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Aldous Huxleys „doors of perception“.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Kleine Biografien stellen die beiden Hauptsprecher Ulrich Pleitgen und Iris Berben vor. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs. Danach folgt eine Seite, die sämtliche Credits auflistet. Die vorletzte Seite wirbt für das Hörbuch [„Edgar Allan Poe: Visionen“, 2554 das ich empfehlen kann. Die letzte Seite gibt das Zitat aus E.A. Poes Werk wieder, das am Anfang einer jeden Episode – jeweils abgewandelt – zu hören ist.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 25 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe / Pleitgen sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Nach den schrecklichen Vorgängen auf dem Friedhof, bei denen Dr. Baker alias Templeton von Poe besiegt wurde, ist Poe unsicher, wer er wirklich ist. Wenn in seinem Grab in Baltimore, wie Baker behauptet, nur ein namenloser Landstreicher liegt, muss er der echte Poe sein. Er freut sich bereits darauf, endlich wieder schreiben und publizieren zu können, als ihm ein neuerlicher Besuch in der Irrenanstalt auf Blackwell’s Island vor New York City deutlich vor Augen führt, dass auch dies nur ein Wunschtraum ist. Nicht nur, dass Dr. Baker noch lebt und dort als namenloser Insasse eingesperrt ist, nein, der neue Direktor kennt Poe persönlich – und Poe ist mit Sicherheit nicht jener Schriftsteller. Folglich darf Poe nie mehr auftreten, will er nicht eingesperrt werden.

Im Versuch, ein neues Leben an der Seite Leonie Gorons aufzubauen, macht er ihr einen Heiratsantrag. Anzeichen dafür, dass sie etwas vor ihm verbirgt, übersieht er wie üblich. In England wartet eine Erbschaft auf Leonie. Schon am nächsten Tag geht ein Segler. Als sie an Bord gehen, begrüßt der Kapitän gerade einen Mann namens Carolan, der angibt, krank zu sein und in seiner englischen Heimat sterben zu wollen.

Einen Tag später ist Carolan zusammengebrochen, und das Schiff muss in Sandy Hook anlegen. Ein Arzt verhängt Quarantäne, was die Weiterfahrt unmöglich erscheinen lässt. Eine Flaschenpost, die Leonie auffischt, inspiriert Poe zu weiterem Schreiben – über einen Schiffbrüchigen, der auf ein Kriegsschiff gerät, auf dem sich niemand befindet: ein Geisterschiff …

Unheimliche Dinge gehen an Bord des unter Quarantäne stehenden Seglers vor sich. Schon zwei Matrosen sind gestorben, und als Leonie und Poe beschließen, sich vorsichtshalber zu verdrücken, hören sie einen weiteren Schrei des Todes. In der Strandkneipe „Zum toten Matrosen“ finden die beiden Obdach und lernen den Journalisten Griswold kennen. Als Poe ihm hoffnungsfroh sein neues Manuskript zu lesen gibt, reagiert dieser jedoch auf unangenehme Weise anders als erwartet. Er nennt Poe wütend einen Scharlatan und Nichtskönner, der nur den Stil des echten Poe nachäffe, der, wie jeder wisse, auf einer Reise verschwunden sei …

_Mein Eindruck_

Nach den ersten 25 Folgen schienen alle offenen Fragen beantwortet zu sein. Doch nun stellt sich heraus, dass dem keineswegs so ist. Erstens ist das Geheimnis Leonies zu lüften, die es ja mehr oder weniger in die Vereinigten Staaten verschlagen hat. Und zweitens ist Poes Identität zwar (halbwegs) geklärt, aber ironischerweise nicht umsetzbar. Alle Welt hält den namenlosen Landstreicher, der 1849 anstelle Poes in Baltimore begraben wurde, für den echten Poe. Jeder, der für sich nun reklamiert, Poe zu sein, muss automatisch als Hochstapler angesehen werden. Das wird dem echten Poe an Leonies Seite nur zu bald klar. Identität kann eine zweischneidige Sache sein, wie ihm in seinen philosophischen Grübeleien am Strand von Sandy Hook klar wird.

In dieser Episode scheint nicht viel zu passieren, doch das kann nur einem Menschen so vorkommen, der nicht kreativ ist. In Poe selbst passiert nämlich sehr viel. Inspiriert von dem „Manuskript in der Flasche“- so heißt der Titel einer von Poes frühesten Erzählungen (s. o.) – kann Poe endlich wieder schreiben. Das wäre schon mal für ihn und Leonie eine gute Voraussetzung, um mit der Schriftstellerei in England seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch auch dieser Plan wird zerschlagen, als Griswold ihn des Plagiats bezichtigt.

Dieser Griswold war in Wahrheit nicht Journalist, sondern Reverend und einer von Poes schlimmsten Widersachern. Ausgerechnet diesen Mann setzte der echte Poe zu seinem Nachlassverwalter ein und machte so den Bock zum Gärtner. Ob beispielsweise die berühmte Erzählung „Das Fass Amontillado“ wirklich so von Poe geschrieben wurde, darf stark bezweifelt werden, denn es gibt nur jene Fassung, die Griswold im Nachlass gefunden haben will und publizierte.

Zurück zum Hörspiel. Nach einer heftigen psychosomatischen Reaktion ist Poe wieder so weit hergestellt, dass er Leonie wiedererkennt. Sie sagt ihm, sie könnten noch nicht nach England und müssten beweisen, dass Poe wirklich er selbst sei. Das scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein. Und der Einzige, der ihnen dabei helfen kann, ist derjenige, der Poe angeblich unter die Erde gebracht hat: Dr. Baker alias Templeton, mal wieder.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Mr. Poe

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in fast jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In dieser Episode schwankt Pleitgens Ausdruck zwischen hoffnungsvoller Aufbruchstimmung und niedergeschmetterter Grübelei – und allen Nuancen, die dazwischen liegen. Das ist eine herausragende Darstellerleistung.

Miss Leonie Goron

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. In der neuen Staffel tritt sie nicht mehr so energisch auf, sondern erscheint uns als zwielichtige, will heißen: mehrdimensionale Figur, die es zu ergründen gilt. Die weiteren Folgen legen ihre verborgenen Schichten offen und warten mit Überraschungen auf. Leonie hat uns (und Poe) beileibe nicht alles über sich erzählt.

|Musik und Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Wie so häufig, halten sich die Outdoor-Geräusche mit denen in Wohnräumen die Waage. Wiederholt sind Vögel zu hören – seltsamerweise eine Feldlerche, wenn weit und breit weder Acker noch Wiese zu finden sind. Aber auch Pferde und Kutschen, Glocken, Türen und Riegel sind immer wieder zu vernehmen, am Strand natürlich die Brandung.

|Musik|

Die Musik untermalt, quasi als eine Widerspiegelung, die emotionale Verfassung der jeweiligen Hauptfigur. In aller Regel ist dies die von Poe selbst, aber es gibt auch andere Erzählperspektiven, so etwa die von Dr. Baker und die von Leonie. Immer wieder ist das leitmotivische Poe-Thema zu hören, das in allen möglichen Instrumentierungen erklingt, mal als Streichquartett im langsamen Tempo, dann wieder durch Hörner umgesetzt. Einmal imitiert die Musik sogar die totale Verwirrung, in die Poe durch die abweisende Reaktion Griswold gestürzt worden ist, und die Musik ist selbst ganz durcheinander, atonal und arhythmisch. Hier waren offenbar versierte Komponisten und Arrangeure am Werk, ebenso Hagitte und Bertling vom Studio |STIL|.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD „Visionen“ zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Hagitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellsten Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD „Visionen“ hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

Diese Episode ist die Geschichte einer gescheiterten Hoffnung – und als solche nicht sonderlich aufmunternd. Aber welches von Poes Erlebnissen wäre dies auch schon? Wenigstens gibt es keine besonders gruseligen Vorkommnisse. Ein wenig enttäuscht war ich von der sehr kurzen Abfertigung, die der titelgebenden Geschichte widerfährt: Die Geschichte des Schiffbrüchigen, der auf einem Geisterschiff landet, ist reizvoll, erinnert jedoch vielleicht ein wenig zu sehr an die von Arthur Gordon Pym, Poes bekanntes Romanfragment. Das hätte vielleicht zu weit geführt – und womöglich eine neue Poe-&-Pym-Reihe erforderlich gemacht (ein durchaus reizvoller Gedanke).

Die akustische Umsetzung ist wieder mal vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reiz- und stimmungsvoll zu gestalten. Bis auf die Feldlerche an der Küste ist ihnen dies auch passend gelungen. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird mit „Landors Landhaus“ fortgesetzt.

|Basierend auf: M.S. found in a bottle, 1833
74 Minuten auf 1 CD|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

Edgar Allan Poe – Morella (Folge 33)

_Psycho 2.0: Wie erschießt man einen Geist?_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Feeninsel“ beginnt die achte Staffel des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 32 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Nach seiner Flucht aus dem Irrenasyl von Blackwell’s Island hat er seine Beinahegattin Leonie wiedergetroffen und versucht, seine Identität durch seinen Verleger Graham bestätigen zu lassen – nur um in eine perfide Falle zu tappen.

Nun sucht Poe mit Leonie seine Spuren in dem kleinen Weiler Fordham in den nördlichen Wäldern, wo Poe einmal gewohnt hat. Das weiß er aus einer Kurzbiografie in einem von Poes Büchern, die Graham gedruckt hatte. Doch in Fordham will niemand etwas mit dem Namen „Poe“ zu tun haben …

Die |Edgar Allan Poe|-Serie von |STIL| bei |Lübbe Audio|:

#1: [Die Grube und das Pendel 1487
#2: [Die schwarze Katze 755
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872
#9: [Hopp-Frosch 1906
#10: [Das ovale Portrait 1913
#11: [Der entwendete Brief 1927
#12: [Eleonora 1931
#13: [Schweigen 3094
#14: [Die längliche Kiste 2510
#15: [Du hast’s getan 2518
#16: [Das Fass Amontillado 2563
#17: [Das verräterische Herz 2573
#18: [Gespräch mit einer Mumie 3178
#19: [Die Sphinx 3188
#20: [Scheherazades 1002. Erzählung 3202 (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: [Schatten 3206 (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: [Berenice 4394
#23: [König Pest 4408
#24: [Der Fall Valdemar 4420
#25: [Metzengerstein 4471
#26: [Die Flaschenpost 4946
#27: [Landors Landhaus 4966
#28: [Der Mann in der Menge 5000
#29: [Der Kopf des Teufels 5089

Achte Staffel (11/2008):

#30: [Feeninsel 5540
#31: [Teer und Federn 5569
#32: [William Wilson 5578
#33: Morella

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

Mehr von und über Edgar Allan Poe auf |Buchwurm.info|:

[„Faszination des Grauens 554“]
[„Edgar Allan Poes Meistererzähler“ 4832 (Hörbuch)
[„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11, Hörspiel)
[„Der Doppelmord in der Rue Morgue“ 2396 (Hörbuch)
[„Der Streit mit der Mumie“ 1886 (Hörbuch)
[„Die Brille“ 1885 (Hörbuch)
[„Mythos & Wahrheit: Edgar Allan Poe. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen“ 2933
[„Visionen“ 2554

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon zahlreiche Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie unter anderem mit dem |Bambi| und mit der |Goldenen Kamera| ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Edgar Allan Poe: Ulrich Pleitgen
Leonie Goron: Iris Berben
Rick Ellis: Tilo Schmitz (Ving Rhames, Michael Clarke Duncan)
Morella: Sabine Arnhold (Lola Glaudini, Melinda Clarke)
Alte Frau: Hannelore Minkus (Kathryn Joosten, Frances Sternhagen)
Und andere.

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 32 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

_Handlung_

Nach schrecklichen Erlebnissen und Träumen beschließt Poe, seine Verwandten zu suchen. Und es gibt auch einen Hinweis, den er der Kurzbiografie im Buch fand, das er in der Gruft las: Poe lebte eine Zeitlang in dem Dörfchen Fordham, das in den nördlichen Wäldern liegt – einer verrufenen Gegend, wie Poe inzwischen wohl bewusst ist. Er will sich auf Ricks Rat hin als Poes Biograph tarnen. Man weiß ja nie, wie die Leute dort auf den Namen „Poe“ reagieren.

Endlich stößt auch Leonie wieder zu ihm! Sie hat ihn bei Rick, ihrem gemeinsamen alten Unterschlupf, gefunden. Die Postkutsche setzt sie beide in Fordham ab, doch keiner will dort Unterkunft gewähren, sobald der Name „Poe“ fällt. Nach einem Hinweis gehen sie zu dem abgelegenen Haus, wo Poe mit einer Familie gewohnt haben soll. Neben dem Haus erblickt Poe eine Hütte und fragt dort eine alte Frau nach Informationen, doch auch sie sagt nichts.

Obwohl das Haus verlassen und verfallen aussieht, bleibt Poe und Leonie nichts anderes übrig, als dort zu übernachten. Die Dusche fällt Poe sofort auf: Sie ist ungewöhnlich modern eingerichtet und im Gegensatz zum Rest des Hauses blitzblank. An einer der Wände steht das Wort MORELLA. Was mag es wohl bedeuten? In der Nacht hat Poe den ersten von mehreren Träumen, in denen eine junge Frau zu ihm spricht. Wer ist sie? Hat sie hier mit dem Dichter gelebt?

Es gibt Anzeichen, dass in der Nacht jemand im Haus war. Aber die Suche muss weitergehen: Sie suchen alle Zimmer ab, sogar das Arbeitszimmer, wo sich ein verfallenes Bücherregal findet, doch keine Bücher. Nur ein verstecktes altes Foto, eine Daguerreotypie: Sie zeigt eine alte Frau, die den Betrachter freudlos anschaut. Keine Daten geben Aufschluss über das Entstehungsdatum. Im nächsten Traum kommt die junge Frau wieder zu ihm: Er solle lernen, die Frau zu achten, die er einst verschmähte.

Leonie wird das Haus allmählich ganz schön unheimlich. Da auch der Keller keine Hinweise liefert, beschließen sie, ihre Sachen zu packen und die nächste Postkutsche zu nehmen, die einmal am Tag Fordham passiert. Doch etwas hält Poe noch an diesem Ort: Er ist sicher, das Rätsel lösen zu können. Sie bleiben noch eine Nacht, und wieder erscheint ihm die Frau im Traum. Eine Totenglocke läutet, heute wird sie begraben: „Du wirst finden, was du einst verlorst“, sagt eine Stimme zu ihm. Die Zukunft liege in seiner Vergangenheit …

Als Poe erwacht, ist Leonie nicht in ihrem Bett. Als er sie im Erdgeschoss sucht, folgt er dem Geräusch des Rauschens von Wasser. Sie muss in der Dusche sein. Eine bizarre Szene bietet sich ihm: Leonie steht mit einem Messer in der erhobenen Hand vor einer nackten jungen Frau, die in der Dusche steht. Ist dies die nächtliche Besucherin?

_Mein Eindruck_

Wenn sich jemand an die berühmte Duschszene aus Hitchcocks Thriller „Psycho“ (1960) erinnert fühlt, so lag dies sicherlich in der Absicht der Macher dieses Hörspiels. Das erhobene Messer, die Dusche, das ominöse Rauschen des Wassers, das wehrlose weibliche Opfer – es ist alles angerichtet, um einen schön blutigen Mord zu zelebrieren. Doch so weit soll es (leider) nicht kommen, denn Poe ist keineswegs umnachtet, wie er vielleicht gemeint hat, sondern durchaus noch im Diesseits. Doch wer ist die junge Frau in der Dusche?

Schon in den Hörspielen zu „Eleonora“ und „Berenice“ wurden mit Poes Erzählungen über junge, schöne Frauen bekannt gemacht, die früh starben (ein sehr romantisches und poetisches Motiv), aber von jenseits des Todes ihren unheilvollen Einfluss auf ihren einstigen Geliebten ausüben. Poe hat den Tod junger Frauen, wie oben aus seiner Biografie ersichtlich wird, selbst erlebt und mehrfach in seinen Erzählungen verarbeitet. „Morella“ ist die Nr. 3, doch die beste ist Nr. 4 „Ligeia“. Auf dieses Hörspiel warte ich bereits sehr gespannt.

Morella tritt in dem Hörspiel erst nur im Traum auf, als wäre sie ein Geist. Die Traumauftritte wechseln sich mit dem relativ drögen Tagesgeschehen ab und bilden eine Sequenz, die offenbar einem Höhepunkt zustrebt. Wird Morella, die Traumfigur, persönlich auftreten? Das ist die spannende Frage, die sich der Hörer stellt. Und wenn ja, wird sich dann ihr Einfluss fördernd oder verderblich auf Mr. Poe, den Besuchten, auswirken?

Genau an diesem Punkt stellte sich mir die Frage, wie ein solches Geistwesen sowohl real als auch eine Traumfigur sein kann. Die Nagelprobe erfolgt dann wenig später, als ein Schuss fällt und es einen Toten gibt. Ist die Traumfigur für eine Pistolenkugel überhaupt erreichbar, fragte ich mich. Aber wenn es das Mädchen Morella wirklich gäbe, in welcher Beziehung stünde sie dann zu dem Dichter Poe, als dessen Reinkarnation ihr der Mann, der sich Poe nennt, erscheinen muss?

Diese Geheimnisse sollen nicht verraten werden, um die Spannung nicht zu verderben.

In dieser Episode stößt Poe auf zwei Spuren seiner Familie. Die eine führt zu seiner Mutter nach Boston, die andere zu seiner Schwester nach Baltimore. Von beiden Damen ist in den Poe-Biografien, die ich gelesen habe, sehr wenig die Rede, ganz einfach deshalb, weil sie schon früh aus seinem Leben verschwinden. Umso neugieriger macht mich nun ihr unvermitteltes Auftreten. Als nächstes ist „Das Geheimnis der Marie Rogêt“ zu lüften.

_Die Inszenierung_

|Sprecher & Figuren|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Aber Poe kann auch sehr pragmatisch agieren, und Pleitgen weiß die scharfe Beobachtungsgabe seiner Hauptfigur wie auch dessen Hinterlist ebenso glaubwürdig darzustellen. Sein Poe ist kein hilflos durch die Gassen torkelnder Somnambuler, sondern ein hellwacher Geist, der nur ab und zu unter ein paar Bewusstseinstrübungen leidet, die ihn in Gestalt von Träumen heimsuchen. Diese Träume, so erkennt er schließlich, sind Erinnerungen an seine eigenen Erzählungen. Aber trifft dies auch auf Morella zu?

Leonie Goron erschien uns in den ersten Staffeln als patente und zupackende Helferin und Gefährtin des manchmal recht hilflosen Poe. Doch nach dem scheinbaren Tod Dr. Templetons ändert sich ihr Erscheinungsbild. Sie hat ja zuvor schon Andeutungen gemacht, dass sie vor gewissen Ereignissen in England geflohen sei, um bei ihrer Kusine in den Vereinigten Staaten Hilfe und Obdach zu finden.

Doch offensichtlich ist ihr ihr Mann, den sie als einen verurteilten Mörder verließ, in die Neue Welt gefolgt und hat sie bereits einmal gefangen genommen. Der Schluss liegt nahe, dass es sich bei ihrem Mann, der bislang noch keinen Namen bekommen hat, um Dr. Templeton alias Baker handelt, Poes Peiniger. Das würde der Geschichte eine weitere Ebene an tragischer Ironie hinzufügen. Kein Wunder, dass Templeton sowohl seine Aufzeichnungen von Poe als auch seine entflohene Frau zurückhaben will.

Nun erscheint Leonie als gehetzte Frau auf der Flucht vor der Vergangenheit – so ziemlich das Gegenteil zu Poe. Denn Poe sucht in der Vergangenheit sein Heil, die in seiner Identifizierung als der echte Edgar Allan Poe bestehen soll, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen. Ob dieser Glücksfall und Erfolg wirklich eintritt, ist noch abzuwarten.

Die Figur der Morella wird leider überhaupt nicht ausgebaut, sondern lebt nur in der Erinnerung der alten Frau fort, die nahe Poes Ex-Haus wohnt. Diese Alte ist Morellas Mutter und spielt eine verhängnisvolle Rolle, erweist sich aber auch als Informationsquelle.

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Aber sie werden nur ganz gezielt dort eingesetzt, wo sie einen Sinn ergeben. Die Geräusche im Haus sind entsprechend reduziert: Stühle, Betten, Gerümpel, Schritte.Von draußen sind Regen und Wind zu hören, ab und zu auch mal ein Vogelruf (diesmal kein Wolfsgeheul).

Diese untere Schicht von Geräuschen wird von der Musik ergänzt, die eine emotionale Schicht einzieht. Darüber erst erklingen die Stimmen der Sprechen: Dialoge, aber auch Rufe und sogar Schreie. Durch diese Klang-Architektur stören sich die akustischen Ebenen nicht gegenseitig, sind leichter aufzunehmen und abzumischen. Das Ergebnis ist ein klares Klangbild, das den Zuhörer nicht von den Informationen, die es ihm liefert, ablenkt.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der jeweiligen Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Leonie hat nicht ihr eigenes musikalisches Leitmotiv, doch allenthalben stößt sie auf die Spuren Poes, der musikalisch mit seinem Leitmotiv sowie mit dem Chor „Dies illa, dies irae“ zitiert wird. Da diese Handlung jedoch auf eine Duschszene à la „Psycho“ sowie einen Schuss im Dunkeln hinausläuft, lässt die Musik die bekannten kreischenden Psycho-Geigen von Bernard Hermann erklingen.

Aber die Musik kann auch Poes Jubel über das Wiedersehen mit Leonie illustrieren, sowie die unheimliche Stimmung in Poes altem Haus, in dem Poe mit Leonie zusammen wie Ehepartner leben. Erst nach dem Schuss tritt wieder die düstere Stimmung vieler Poe-Folgen auf, und zwar mit der dramatischen Stimmung einer Tragödie. Erst durch die Geräusche des Aufbruchs zu neuen Zielen wird dieser Tiefpunkt überwunden. Und der Schluss-Song entführt den Zuhörer wieder in andere Gefilde.

Ein Streichquartett und Musiker des Filmorchesters Berlin wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht. An der Musik gibt es absolut nicht auszusetzen. Für die jüngere Generation mag sie aber zu klassisch orientiert sein.

|Der Song|

Jede Folge der Serie wird mit einem Song abgeschlossen, und in jeder Staffel gibt es einen neuen Song. Diese Staffel enthält den Song „You see“ von der deutschen Gruppe |Elane|. Die Stilrichtung entspricht einem weiterentwickelten Celtic Folk Rock, wie er von der Gruppe |Clannad| in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt wurde. Auch bei |Elane| wird englische mit gälischer Sprache kombiniert.

Die Musik verbindet Romantik und sehnsuchtsvolle Mystik, was einerseits durch die Instrumentierung, zum anderen durch den mehrstimmigen Frauengesang betont wird. Zu den Instrumenten, die für Folk Rock obligatorisch sind, gehören die akustische Gitarre, die Harfe und die Flöte. Dass Drums, E-Gitarre und E-Bass eine elektrisch verstärkte Rhythmusgruppe bilden, wurde schon von |Clannad| als Standard etabliert. Besonders interessant bei |Elane| ist die Mehrstimmigkeit.

Ich konnte zwei tiefe Frauenstimmen ausmachen und eine hohe Frauenstimme, also Alt und Sopran. Die Überlagerungen machen die Harmonien zu einer kniffligen Angelegenheit der gegenseitigen Abstimmung, sonst können leicht Disharmonien oder gar Rhythmusstörungen entstehen. Soweit ich hören könnte, gelingt die Polyharmonie jedoch durchweg einwandfrei – Applaus.

Ob der Celtic Folk Rock dem Thema „Feeninsel“ Rechnung trägt, sei dahingestellt. Aber es gibt jedenfalls schlimmere Abschluss-Songs, und „You see“ klingt sehr erträglich.

_Unterm Strich_

Diese Folge habe ich mit hohen Erwartungen antizipiert, doch die Ausführung hat mich enttäuscht. Statt zahlreicher Hinweise auf Poes Familie liefert die Handlung nur Flops und stark verzögerte Belohnungen, während man dem Eheleben der Beinahe-Poes folgt und das Haus auf den Kopf stellt.

Die Daramaturgie verfolgt ein anderes Ziel als vordergründige Action, nämlich einen psychologisch herbeigeführten, dramatischen Höhepunkt. Dass sich dieser erst aus Poes innerem Erleben ergeben kann, dürfte einleuchten. Geschickt balanciert Morellas Erscheinen im Traum in der Ungewissheit, ob es sich wirklich um einen Traum, eine Erinnerung oder gar um die Einflüsterung einer realen Figur handelt.

Umso verblüffender dann die Duschszene aus „Psycho“. Da hat man doch ein wenig stark aufgetragen, wenn auch der melodramatische Effekt sehr willkommen ist. Der Eindruck, dass sich die Entwicklung zuspitzt, wird schon von der übernächsten Szene bestätigt, als ein Schuss mit verhängnisvollen Folgen fällt.

|Das Hörspiel|

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Aber die Episode langweilt in den ersten zwei Dritteln durch ihre Taktik verzögerter Belohnungen: Die Hinweissuche ergibt fast nichts. Kein Wunder, sagt man sich hinterher, denn die wirklich wichtigen Hinweise finden sich erst im direkten Kontakt mit der Vergangenheit. Das letzte Drittel überrascht dann mit umso mehr Action, die nun jedoch unausgewogen und überstürzt wirkt, als sei sie drangeklebt worden. Wenigstens hat Poe nun zwei weitere Ziele, die er anpeilen kann.

|68 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3689-0|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.elane-music.de

Edgar Allan Poe / diverse Interpreten – Visionen

Huldigung an Edgar, mit Überraschungen

Dieses wunderschön aufgemachte Hörbuch bietet auf zwei CDs eine Menge Werke, die von Edgar Allan Poe stammen oder zumindest von ihm inspiriert sind. Auf der ersten CD werden seine Gedichte vorgetragen, auf der zweiten Scheibe erklingen eine Menge interessante und völlig unterschiedliche Musikkompositionen. Ein umfangreiches Booklet liefert jede Menge Informationen, nur eine nicht: Wie lang ist das Hörbuch?

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Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – verräterische Herz, Das (POE #17)

_Das pochende Herz unter dem Boden der Stadt_

„Das verräterische Herz“ ist der siebzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Serie von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

In New Orleans ist Poe den Machenschaften Doktor Templetons alias Francis Baker entkommen und nach New York geflohen. Dort mietet er sich in einem alten Hotel im sechsten Bezirk ein. Poe, ohne Kontakt zu den anderen Gästen, wird wieder von Visionen heimgesucht. Was er nicht weiß: Im Volksmund heißt die Gegend „der blutige alte Bezirk“. Über ihm logiert ein Mann mit einem unheimlichen Auge. Poe fühlt sich von Tag zu Tag mehr davon beobachtet. Schließlich steigen Mordgedanken in ihm auf …

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten sechzehn Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird vorerst ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Georg Schaale als George Appo und eine Reihe weiterer Sprecher mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Das verräterische Herz“ ein Motiv, das wieder – wie schon bei „Sturz in den Mahlstrom“ – der Natur an der Küste entnommen ist. Ein schroffer Fels erhebt sich aus dem Gras, doch er ist sonderbar ringförmig: In seiner Mitte gähnt eine Finsternis, der man sich nur ungern nähern möchte. Andererseits ist so ein Geheimnis immer verlockend …

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Folge: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Pleitgen und Berben werden näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon fünfzehn hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Das Fass Amontillado“, der 16. Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

In seinem schäbigen Hotel, dem Washington House am Broadway, bemerkt Poe beim Frühstück einen alten Mann, der ihm bekannt vorkommt. Doch der Kellner verweigert die Auskunft über dessen Identität, und bevor es sich Poe versieht, ist der Alte verschwunden. Bei seinem Treffen mit seinem Freund George Appo, einem Bettler und Dieb, erzählt Poe ihm von allen den Ereignissen, die ihm zuvor widerfahren sind. Er müsse unbedingt Leonie wiederfinden, seine Gefährtin aus New Orleans. Appo weiß Rat: Er brauche nur der Spur von Dr. Baker zu folgen, denn da Leonie mit diesem noch ein Hühnchen zu rupfen hat, ist sie ihm mit Sicherheit bereits auf den Fersen. Das leuchtet Poe ein.

Doch wie findet man einen Leichenhändler und skrupellosen Experimentator am besten in einer Riesenstadt wie New York? Wieder weiß Appo Rat. Leichenhandel ist ein blühendes Geschäft. Er selbst habe sich zwar nie daran beteiligt, wisse aber, dass Ärzte Leichen ständig für ihre Forschung benötigen. Zwecks eiliger Beschaffung kann man da schon ein bisschen nachhelfen. Und wer wüsste darüber besser Bescheid als der Einbalsamierer, der sie beide auf der unglückseligen „Independence“ begleitet hat? Waltman, so hieß er doch, oder?

Um Waltman zu finden, brauchen sie Captain Hardy. Im Hafenviertel stoßen sie per Zufall auf ihn und retten ihm bei der Gelegenheit auch gleich das Leben. Er berichtet, Waltman sei im Washington House abgestiegen und arbeite im New York Hospital. Poe wird es nun endlich klar: Es ist sein alter Tischnachbar!

In der Tat hat Waltman eine interessante Räuberpistole zu erzählen. Poe pocht das Herz bis zum Hals, als er gesteht, er suche Kontakt zum lokalen Leichenhandel. Ah, well, Leichen werden den medizinischen Forschern in drei Formen besorgt: a) als legale Präparate von Organen usw.; b) als originale Körper, die auf natürlichem Wege verstarben; und c) als „Lebendmaterial“ … Waltman beschaffte nur tote Körper, beteuert er. Ärzte wie Dr. Baker würde Poe im Keller des Hospitals finden, in der Pathologie. Ach ja: Die beste Besuchszeit für diesen Zweck sei Miternacht …

Schlag Mitternacht trifft Poe zu seinem makabren Vorhaben im Keller des riesigen Hospitals ein. Ein Hund heult. Dr. Gump lässt ihn ein, dem sich Poe als ein Mann vorstellt, der ein paar Leichen anzubieten habe. Gump hat sofort Interesse, wird aber durch einen Besucher abgelenkt. Auf Gumps Seziertisch liegt ein Hund mit offenem Schädel … In Gumps Büro hängt ein sonderbares Porträt an der Wand. Es zeigt einen ägyptischen Pharao. Poe erinnert sich an den unglücklichen Jimmy Farrell (vgl. Episode 16), dessen letztes Wort „Pharao“ gelautet hat. Ist damit Dr. Baker gemeint?

Der Besucher hat ein bewussloses Mädchen gebracht. Poe erkennt es wieder: Es wohnt in Jimmy Farrells Nachbarhaus und hat Poe geholfen, Farrell zu finden. Als es erwacht und ihn erblickt, beginnt es zu schreien, muss es ihn doch für Farrells Mörder halten. Poe macht schleunigst die Fliege, auch wenn er nichts herausgebracht hat.

|Der Traum|

In dieser Nacht findet er kaum Schlaf, und wieder sucht ihn ein Albtraum heim. Er sieht das Auge des alten Waltman vor sich, doch diesmal blickt es nicht freundlich, sondern spöttisch und grauenerregend: ein Geierauge. Die Frau in seinem Traum spricht mit Leonies Stimme und mahnt ihren Mann zu Geduld und Ruhe. Poe erzählt ihr von dem alten Mann im Nachbarhaus, dem mit den Rosen im Garten. Warum wohnt er ganz allein? Sie weiß nur, dass der Alte ein Glasauge hat und auf dem anderen wohl schon den Grauen Star hat. Poe weiß: Es ist wie verschleiert, so als überlege dieser Teufel, was er mit Poe anstellen solle.

In dieser Nacht fasst Poe den Entschluss, den alten Mann zu töten, koste es, was es wolle.

_Mein Eindruck_

Die Begegnungen mit Appo, Captain Hardy und Waltman dienen nur dazu, den Besuch in der Pathologie des Hospitals vorzubereiten. Dieses gruselige und verstörende Erlebnis löst wieder einen Horrorschub in Poe aus, der auch prompt einen seiner sattsam bekannten Albträume bekommt. Allerdings sind weder das eine noch das andere besonders neu. Die makabren Experimente, die man in der Pathologie anstellt, kennen wir bereits aus Dr. Bakers Kellern in seiner Villa bei New Orleans. Dies wurde in „Das ovale Porträt“ (Episode 10) erzählt.

Und das Motiv, dass ein paranoider Verbrecher sich am Schluss selbst verrät, um sich der strafenden Gerechtigkeit auszuliefern und zu zeigen, dass er Recht hat, genossen wir bereits in „Die schwarze Katze“ (Episode 2) mit zweifelhaftem Vergnügen. Nicht, dass an der damaligen oder jetzigen Darstellung etwas auszusetzen wäre. Aber die Wiederholung nimmt dem aktuellen Motiv etwas von seinem Reiz. Dass das Element des unheimlichen Auges eines Beobachters sowohl in Poe Erlebnissen als auch in seinem Traum auftaucht, erscheint folgerichtig, wenn man berücksichtigt, dass seine Träume oftmals real (auch unbewusst) Erlebtes verarbeiten.

Das zentrale Motiv ist neben dem Auge das pochende Herz. In der Tat nimmt dieser Klang sowohl in Poes Erleben und Träumen wie auch in der akustischen Darstellung eine dominante Stellung ein. Die Sache hat jedoch einen Haken: Das Herzpochen gibt es lediglich in Poes Einbildung. Um den Hörer in dieses Reich der Phantasmen zu befördern, muss daher der Herzschlag entsprechend gruselig und bezwingend dargestellt sein, ohne aufdringlich zu wirken.

Ich konnte zufrieden feststellen, das es den Machern gelungen ist, dieses entscheidend wichtige Element, ohne das der Traum über „Das verräterische Herz“ nicht funktioniert, mit beeindruckender Raffinesse darzustellen. Der ermordete alte Mann mag ja tot sein, doch wir hören – mit Poe – immer noch das Schlagen seines Herzens. Bis zum Stillstand. Der Mörder ist erleichtert. Doch sein Wahnsinn, der ihn zu seiner Untat verleitet hat, bricht mit voller Wucht hervor, als er das Herz des Toten erneut schlagen hört – unter den Brettern des Bodens, unter denen er die Leiche versteckt hat …

Klar, dass Poe aus diesem Albtraum schleunigst erwacht, wenn auch schweißgebadet. Er fasst den Entschluss, dem düsteren Hospital einen erneuten Besuch abzustatten, um Dr. Baker aufzustöbern. Vielleicht hat der ja noch eine Leiche im Keller.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Mr. Poe |

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Im ersten Teil des „Eleonora“-Traumes schwelgt sein Poe in verliebter Seligkeit, und das kann man deutlich hören. Umso gequälter klingt Poe in der zweiten Traumhälfte, als ihn die tote Geliebte in seinen Albträumen heimsucht. Dieser Stimmungswandel leitet die Trennung von Leonie ein und macht diesen abrupten Schritt ein wenig nachvollziehbarer. In den Episoden 16 und 17 jedoch ist Poe überzeugt, dass es ein Fehler war, Leonie zu verlassen. Seine Träume in diesen Episoden belegen dies überdeutlich.

|Miss Leonie Goron |

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. In Episode 15 „Du hast’s getan“ steht sie selbst ihren Mann als Detektivin und Ein-Frau-Polizeitruppe.

In der Traumhandlung von „Das verräterische Herz“ hat sie eine wenig dankbare Aufgabe. Die von ihr gespielte Hausfrau ist so unbedarft und ein ahnungsloses Heimchen am Herd, dass man ihr nicht allzu viel Geistesgegenwart zutraut. Es wirkt daher umso ironischer, dass es diese Frau ist, die die Polizei ruft und damit das Verhängnis ihres Gatten einleitet.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Über das zentrale Geräusch des Herzklopfens habe ich alles Nötige bereits angemerkt.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der zwei Hauptfiguren und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen, so etwa im „Verräterherz-Traum“. Wieder werden die Übergänge zwischen Poes Erleben und seiner Traumwelt mit gelungenen Soundeffekten angedeutet.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen. Vielleicht gibt es darin ja etwas zu entdecken. Die Band wird sich wohl etwas dabei gedacht haben, nicht wahr?

_Unterm Strich_

Innerhalb der vierten Staffel bildet diese vier Episode einen gewissen Höhepunkt, wenn man auf Action und viele Hinweise auf die Lösung von Poes Identitätsrätsel Wert legt. Innerhalb der Episode stellen die Hafenschlägerei und der Albtraum wiederum eigene Höhepunkte in der Kategorie Action und Grusel dar. Schaudern erzeugt aber auch das Gerede über den Leichenhandel, der in New York City – ebenso wie in Edinburgh – um 1840/50 erhebliche Ausmaße angenommen haben muss und natürlich jede Menge unheimliche Aspekte aufweist. Ich bin sicher, dass diese „Aspekte“ in kommenden Episoden weidlich, ähem, ausgeschlachtet werden.

|Basierend auf: The tell-tale heart, ca. 1845
67 Minuten auf 1 CD|
Mehr Infos auf www.poe-hoerspiele.de.

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Fass Amontillado, Das (POE #16)

_Fortunato macht ein Fass auf_

„Das Fass Amontillado“ ist der sechzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von LübbeAudio, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Poe ist Doktor Templeton alias Francis Baker entkommen und nach New York geflohen. Dort mietet er sich in einem alten Hotel im sechsten Bezirk ein. Poe, ohne Kontakt zu den anderen Gästen, wird wieder von Visionen heimgesucht. Was er nicht weiß: Im Volksmund heißt die Gegend „der blutige alte Bezirk“. Und das Hotel hat seltsame unterirdische Gänge.

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird vorerst ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Till Hagen wurde 1949 in Berlin geboren und erhielt seine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule. Zeitgleich drehte er seinen ersten Kinofilm, „7 Tage Frist“. Es folgten Engagements an den Stadttheatern Dortmund und Bielefeld. Später studierte er Deutsch und Theaterpädagogik. Als Sprecher beim Deutsche-Welle-Fernsehen und im Hörfunk wurde er genauso bekannt wie als Synchronstimme u.a. von Kevin Spacey und Jonathan Pryce.

Außerdem wirken Georg Schaale als George Appo und eine Reihe weiterer Sprecher mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Das Fass Amontillado“ einen Festungsturm, in dessen heller Fassade ein Rundbogenfenster wie ein Auge klafft. Die Seiten des Turms sind von Efeu und anderen Schlingpflanzen umrankt, so dass das Gemäuer offensichtlich schon lange vernachlässigt worden ist. Es ist insgesamt ein sehr romantisches Motiv, passend zu jener Rachegeschichte um das „Fass Amontillado“, in welcher der leichtlebige Fortunato auf schmähliche Weise sein Leben in einem solchen Gemäuer lassen muss.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Pleitgen, Berben und Hagen werden näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon vierzehn Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

_Handlung_

|“By the four winds that blow
I’ll have revenge upon Fortunato …“|

Nach dem Schiffbruch der „Independence“, der in „Die längliche Kiste“ erzählt wurde, sind der Mann namens Poe und sein Freund, der Bettler und Dieb George Appo, wohlbehalten in New York City angekommen. Hier kennt sich Appo aus: Er hat als Dieb vor dem Hotel Astor und bei der nahen Kunstakademie gearbeitet. Von ihm könnte Poe ein paar Tricks lernen. Nachdem Appo einen Polizisten gesichtet hat, macht er sich aus dem Staub, aber nicht ohne einen Treffpunkt zu vereinbaren und einen Hoteltipp zu geben.

Letzterer entpuppt sich als das „Washington House“. Das heruntergekommene Hotel steht an der Ecke Broadway und 6. Bezirk, den Appo als Vorhof zur Hölle beschreibt. Dass da etwas dran ist, merkt Poe bald. In der Stadt sucht er den Kunstmaler Jimmy Farrell, der für Dr. Baker alias Templeton ein Porträt von Poe angefertigt hat. Also muss er auch Poes wahre Identität kennen, oder?

An der Kunstakademie verweist ihn der Pförtner an die St. Philipps African Church, die mitten im 6. Bezirk steht. Es dauert nicht lange, und die ärmlichen Bewohner der Gegend haben Poe als willkommene Beute ausgemacht. Vor dem Überfall kann er sich gerade noch im Gemüseladen in der Anthony Street in Sicherheit bringen. Dies ist der mit Appo ausgemachte Treffpunkt. Doch Appo ist nicht da, nur dessen Bekannte Rosanna, die Ladenbesitzerin – und Schnapsbrennerin. Nach zwei Stunden dieses Zeugs ist Poe reif für die Klapse. Er torkelt über den Hinterhof, um der auf ihn lauernden Menge zu entgehen.

Im nächsten Haus warnt ihn ein Mädchen vor Räubern, die manche Leute einfach im Keller verschwinden lassen. Sie weist ihm den Weg zu Jimmy Farrells Wohnung. Da Farrell inzwischen ein Spieler und Trinker geworden ist, erhofft sich Poe nichts von dem Mann außer Informationen. Doch nicht einmal die bekommt er, denn Farrell liegt im Sterben. Er hat eine blutende Kopfwunde. Sein letztes Wort, bevor er den Löffel abgibt, ist ein mysteriöses „Pharao“.

Ein Schrei schreckt den geschockten Poe aus seiner Erstarrung auf. Es ist das Mädchen. Sie hält ihn für Farrells Mörder! Er muss sofort abhauen. Im Hotel fällt er in einen Zustand der Erschöpfung. Da bemerkt er auf seiner Hand und an der Decke rote Flecken. Blut?! Doch er kann nicht hinauf, denn auf der Treppe bemerkt er den Polizisten Maloney, der ihm schon mehrmals begegnet ist und ihn nun wegen des Mordes an Farrell sucht.

Doch der Keller, in den er flieht, entpuppt sich als düsteres Labyrinth aus Gängen. Als er sich ausruht, bemerkt er, wie zwei Männer, die wie Räuber aussehen, einen Sack oder Ähnliches anschleppen. Es ist der betäubte Polizist Maloney. Sie fesseln ihn und mauern ihn bei lebendigem Leibe ein.

Poe gelingt es nicht, die Mauer einzudrücken und Maloney zu befreien. In dessen letzten Worten sind jedoch wertvolle Hinweise enthalten. Im Newarker Leichenhandel begegnete dieser einem gewissen Dr. Templeton. Eines Tages verschleppte er für ihn einen Mann (der Poe gewesen sein könnte) in eine Irrenanstalt im Stadtteil South Orange. Und vor wenigen Tagen traf er Templeton wieder und sollte einen Maler erledigen: Jimmy Farrell. Ende der Durchsage.

Poe fährt der Schreck in die Glieder. Templeton bzw. Dr. Baker ist bereits in der Stadt! Nachdem er bereits in New Orleans sämtliche Zeugen seiner illegalen und perversen Forschungsarbeiten an Menschen – Leonie kann davon ein Lied singen – beseitigt an, beginnt er nun, die Zeugen seiner Vergangenheit in New York beiseite zu schaffen. Und dreimal darf man raten, was passiert, wenn er auf Poes Spur stoßen sollte.

In der folgenden Nacht hat Poe einen grässlichen Albtraum, in dem es um ein Fass Amontillado und einen Gegener namens Fortunato geht. Fortunato wird lebend in einer Gruft eingemauert …

_Mein Eindruck_

Diese Episode bringt die Geschichte um die Identität von Mr. Poe eine gehörige Strecke weiter. Er stößt auf den dringend gesuchten Jimmy Farrell, allerdings unter weniger als günstigen Umständen. Und anhand von dessen letztem Wort („Pharao“) und dem Geständnis des Polizisten Malone führt eine neue Spur zu Dr. Baker. Diese wird in der nächsten Episode aufgenommen: „Das verräterische Herz“. Diese Ermittlungen scheinen zunächst von dem Hauch des Grauens überschattet zu sein, das wir von Mr. Poes Abenteuern gewohnt sind, doch es gibt einen Höhepunkt …

Mag zwar Leonie Goron nicht von der Partie sein, so ist Iris Berben doch in einer anderen Rolle präsent. Es gibt am Schluss wieder mal einen der bereits bekannten Träume Poes, und darin tritt sie als „Signora“ auf. Dieser Traum schildert die sattsam bekannte Poe-Story über das „Fass Amontillado“, so dass ich wohl kein weiteres Wort darüber zu verlieren brauche. Zunächst wirkt diese Binnenhandlung wie ein Fremdkörper, der mit dem Rest nichts zu tun hat, doch das stellt sich als Irrtum heraus.

Der Traum ist von dem Tod des Polizisten Maloney inspiriert und hat die Konsequenz, dass sich Poe sehnlichst die Anwesenheit von Leonie Goron herbeiwünscht. Er sieht ein, dass es ein Fehler war, sie so sang- und klanglos in New Orleans sitzen zu lassen – wo mag sie sich jetzt wohl herumtreiben? (Eifrige Hörer wissen Bescheid: Sie ist Dr. Baker auf der Spur und daher auf dem Weg nach New York City. Dies wird in „Du hast’s getan“ erzählt.)

|Machen wir ein Fass auf!|

Die Binnenhandlung um Fortunato ist ein dramaturgischer Hochgenuss. Als Poe-Kenner wissen wir zwar, was dem guten Mann bevorsteht, als er mit Montresor und der Signora in die zum Weinkelller umfunktionierte Familiengruft hinabsteigt. Doch die Häme und Rachsucht, mit der Montresor und die Signora den nichts ahnenden Fortunato behandeln, zeigt die beiden Sprecher Pleitgen und Berben in einer ihrer besten Leistungen. Sie spielen zwar nun beide Schurken, aber sei’s drum: Bekanntlich haben die Schurken im Theater die besten Sätze. Man kann förmlich den boshaften Spaß spüren, den ihnen diese Sätze bereitet haben müssen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Mr. Poe alias „Montresor“|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In der Binnenhandlung tritt er als rachsüchtiger Montresor auf.

|Miss Leonie Goron alias „Signora“|

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. In der Binnenhandlung tritt sie als Signora (Montresor vermutlich) auf.

|Dr. Baker alias Templeton alias Fortunato|

Hagen spricht den teuflischen Experimentator Dr. Baker alias Templeton. In der Binnenhandlung tritt er als unglückseliger Fortunato auf.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet.

In dieser Episode treten sie nicht so in den Vordergrund wie im Seestück „Die längliche Kiste“, sondern bilden eine unauffällige Geräuschkulisse. Das gilt nicht für das ziemlich deutliche Herzklopfen, das Poe nach der Flucht von Farrells Domizil spürt. (Es wird in der Episode „Das verräterische Herz“ ziemlich dominant.)

|Die Musik|

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres jeweils gerade relevanten Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen, so etwa in dem Amontillado-Traum oder beim Entdecken von Jimmy Farrells Leiche. Besonders interessant sind stets die Übergänge. Bevor der Traum beginnt, dröhnt beispielsweise eine große Kirchenorgel, und die Rückkehr aus dem Traum wird von einem Wuuusch-artigen Soundeffekt symbolisiert. Glockenläuten deutet den nächsten Stimmungsumschwung an. Manchmal erinnert Poe an eine Marionette, so schnell reagiert er auf äußere Reize.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu erschaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen. Vielleicht gibt es darin ja etwas zu entdecken. Die Band wird sich wohl etwas dabei gedacht haben, nicht wahr?

_Unterm Strich_

An Mr. Poe ist bekanntlich kein Dupin oder Holmes verloren gegangen, und so gestalten sich seine Ermittlungen im Elendsviertel des 6. Bezirks alles andere als geordnet oder zielstrebig. Was er findet, ist dazu angetan, seinen Seelenfrieden zu untergraben, und so wundert es nicht, dass ihn wieder mal einer seiner morbiden Träume heimsucht – eben die bekannte Poe-Story. Sie bildet in ihrem hämischen Sarkasmus einen starken Kontrast zu der übrigen Erzählung und ist daher in ihrem dubiosen Humor umso erfrischender.

|Die Spur der Leichendiebe|

Der weitere Weg Poes ist nun für den kenntnisreichen Poe-Leser und Hörer vorgezeichnet. Die Spur führt einerseits zu Leonie Goron, andererseits aber auch in den höchst zwielichtigen Leichenhandel. Dass dieser Handel nicht frei erfunden, sondern eine historische Tatsache ist, kann jeder Autor, der je in Edinburgh gelebt hat und sein Pulver wert ist, bestätigen (und Anne Rice hat darüber einen ganzen Roman geschrieben). Ja, glaubt man Ian Rankin in „So soll er sterben“, so machen sich schottische Studenten noch heute einen Jux daraus, geeignete Exemplare zu klauen und unters nichts ahnende Volk zu bringen …

Leichen – das führt zu einer ganzen Menge von Poe-Erzählungen, von denen beispielsweise „Die Fakten im Fall Valdemar“ nur die bekannteste ist. Wie dürfen uns auf einige Untote gefasst machen.

|Basierend auf: The cask of amontillado, ca. 1845
67 Minuten auf 1 CD|
http://www.luebbe-audio.de

McKinley, Tamara – Lied des Regenpfeifers, Das (Lesung)

Olivia Hamilton kehrt 1947 aus London nach Australien zurück. Begleitet von Giles, einem Freund aus Kindertagen, will sie dem Geheimnis ihrer Geburt nachspüren. Denn seit dem Tod ihrer Mutter Eva weiß sie, dass sie adoptiert war, eine Entdeckung, die sie tief verstört. Nicht einmal Giles, der die junge Frau innig liebt, findet noch Zugang zu ihrem Herzen.

Auf der Suche nach ihrer wahren Herkunft folgt Olivia Evas Spuren und ist schon bald gefesselt von dem Leben dieser außergewöhnlichen Frau. (Verlagsinfo)

|Die Autorin|

Tamara McKinley wurde in Australien geboren und verbrachte ihre Kindheit im Outback. Heute lebt sie an der Südküste Englands, aber die Sehnsucht treibt sie stets zurück in das weite, wilde Land, von dem sie so mitreißend zu erzählen weiß. (Verlagsinfo)

|Die Sprecherin|

Joseline Gassen ist als Fernseh- und Theaterdarstellerin ebenso erfolgreich wie als Moderatorin im Rundfunk. Auch ihre Synchronstimme ist vielen Hörern vertraut. (Verlagsinfo)

Die Übersetzung stammt von Rainer Schmidt, die gekürzte Fassung und Hörspielbearbeitung von Antje Nissen. Regie führte der Produzent Marc Sieper.

_Handlung_

Am 10. März 1896 erleidet das Auswandererschiff „S.S. Arcadia“ in schwerer See Schiffbruch vor der westaustralischen Küste. An Bord ist Eva Hamilton, die ihrem Gatten Frederick gefolgt ist, der als Landvermesser im Auftrag das Land erkunden soll. Während Frederick Eva in ein Rettungsboot setzen kann, wird er selbst von einem riesigen Brecher über Bord gespült. Eva ist verzweifelt und wird von einer Frau namens Jessie getröstet, die später zu ihrer engsten Freundin wird. Nur fünfzehn Überlebende finden an den Strand. Da nähert sich ein Pferdewagen aus dem Nichts. An Bord ist Frederick!

1947 kehrt ihre Tochter Olivia zurück in die australische Heimat. Sie hat während des Krieges als Krankenschwester gearbeitet und sich mit Giles, einem Freund aus Kindheitstagen, der im Krieg einen Arm verlor, auf den Weg gemacht, um das Geheimnis ihrer Herkunft zu lüften. Denn nach dem Tod ihrer Mutter in London ein Jahr zuvor fand sie in einem Geheimfach des mütterlichen Schreibtischs ein Dokument, das sie als Adoptivtochter ausweist. Sie ist erschüttert. Doch wer sind ihre wahren Eltern? Nur wenn sie die Vergangenheit kennt, denkt sie, kann sie Pläne für die Zukunft machen. Sie ahnt nicht, dass Giles sie aus tiefster Seele liebt.

In Olivias Bestimmungsort Trinity, der an der nordöstlichen Küste nahe Cairns liegt, lebt seit ein, zwei Jahren auch Maggie Finlay. Sie ist sauer, dass der Besitzer des Hotels, in dem sie als „Mädchen für alles“ arbeitet, Sam White, zum Angeln gegangen ist und den ganzen Krempel ihr überlassen hat. Sam hat sich ebenfalls in den Jahren, in denen er im Krieg gedient hat, verändert. Er ist 42 und immer noch unverheiratet. Kein Wunder, dass sich Maggie Chancen bei ihm ausrechnet.

Da kommt Olivia mit Begleiter hereingeschneit. Maggie gibt ihnen zwei gute Einzelzimmer – aha, nur ein „Freund“? Nachdem Sam White Olivia begrüsst hat, fährt sie auf ihren ersten und wichtigsten Trip. Er führt sie zu den Stanfords, doch Irene Stanford ist weggezogen, und so fährt sie ihr mit Giles nach. Auf der Delorraine-Farm begrüßt sie freundlich der sechzig Jahre alte William, Irenes Mann. Er erkennt Olivia sogar, obwohl sie Jahre weg war.

Doch Irene Stanford ist das genaue Gegenteil Williams: kalt, abweisend, habgierig und wer weiß was noch alles. Olivia übergibt ihr ihr Erbteil: ein paar Schmuckstücke. Irene lässt sich kaum dazu herab, danke zu sagen. Giles ist erstaunt, als Olivia ihm erzählt, dass Irene ihre Schwester sei. 1901 wurde sie geboren und 18 Jahre später Olivia. Doch Frederick, Evas Mann, hat nie von Olivias Existenz erfahren, denn da war er bereits tot, umgekommen im Busch, den er erkunden sollte.

Giles kommt an dem großen Altersunterschied der beiden Schwestern etwas spanisch vor. Nicht nur ihm, sondern auch uns. Dass hierauf noch viele weitere Überraschungen folgen, dürfte klar sein. Insbesondere dann, als sich Olivia mal etwas eingehender mit Maggie unterhält.

_Mein Eindruck_

Die Erforschung der eigenen Herkunft ist ein spannendes Thema – ich weiß beispielsweise bis heute nicht, wer mein Urgroßvater väterlicherseits war. Hoffentlich irgendein Landesvater! Doch für Olivia gestaltet sich die Suche nach sich und ihrer wahren Familie ziemlich spannend, so dass dieser Handlungsstrang die volle Aufmerksamkeit des Lesers/Hörers erfordert.

|The Searchers|

Parallel wird die Geschichte von Maggie Finlay erzählt, die aufgrund dieses Umstands wohl in irgendeiner Beziehung zu Olivia stehen dürfte – ich verrate nicht, in welcher. Das Los Maggies ist wesentlich härter als Olivias und soll hier nicht näher wiedergegeben werden: eine Vergewaltigung und die Begegnung mit den Eingeborenen spielen eine Rolle. Maggie hätte ihren Sam allemal verdient.

In dem Bermuda-Dreieck der weiblichen Hauptfiguren fehlt noch Irene Stanford, die offenbar einiges zu verbergen hat. Es wird deutlich, dass die Elterngeneration – vor allem Eva Hamilton – ständig unter der Furcht vor öffentlicher Brandmarkung lebte, wenn eine Frau ein uneheliches Kind erwartete. Aus diesem sozialen Druck ergeben sich die Wirrungen, die Olivia aufzudecken sucht.

|Bitte etwas mehr Action!|

Man braucht sich aber keine Sorgen darüber zu machen, dass die Autorin es bei einer schicksalsträchtigen Suche bewenden lässt. Für einen Australienroman wäre das zwar typisch – alle sind auf irgendeine Weise miteinander verwandt, berichtet die Autorin – doch das wäre für eine anständige Story doch ein etwas dünner Plot. Was fehlt, ist etwas Action.

Australien ist kein Kontinent, der nicht mit sich spaßen lässt. Im Gegenteil: Er fordert jedem, der sich hier niederlassen will, das Allerletzte ab. Wasser oder vielmehr der Mangel daran ist oftmals das bestimmende Element im Überlebenskampf. Eva Hamilton erleidet Schiffbruch, ihr Gatte kommt bei der Wassersuche im Busch ums Leben. Und im dritten Viertel des Romans wird das scheinbare Paradies, das Olivia und Maggie in Trinity gefunden zu haben glauben, von einer Art Hurrikan heimgesucht – Stürme, die in dieser Weltgegend „Zyklone“ genannt werden. Die Bewohner drohen nun unter zu viel Wasser zu ersaufen.

Der Tropensturm wirbelt nicht nur das Leben der Menschen in Trinity durcheinander, sondern auch das von Irene Stanford … Die Autorin lässt hier die Natur mal wieder Schicksal spielen, und der Sturm ist ebenso Naturgewalt wie Symbol für die Fährnisse des Lebens in Australien.

|Die Sprecherin|

Joseline Gassen verfügt über eine ziemlich tiefe Stimme, die sie jedoch sehr gut zu modulieren weiß. Sie kann einfühlsam, traurig, empört oder verzweifelt klingen. Daher ist keinerlei Musik nötig, um die entsprechenden Emotionen im Hörer zu wecken. Man folgt ihrem Vortrag mit erhöhter Aufmerksamkeit – nicht nur, weil drei Hauptfiguren mit ihren jeweiligen Begleitern auftreten, sondern auch weil die vorgetragene Geschichte so bewegend ist. Ich musste allerdings feststellen, dass Jeseline Gassen beim Aussprechen bestimmter Laute ihren Gaumen knacken lässt. Nach einer Weile des Zuhörens fällt dieses bedeutungslose Geräusch doch etwas auf, und ich musste mich zwingen, es nicht weiter zu beachten.

_Unterm Strich_

Tamara McKinley ist keine langjährige Verwalterin mündlicher Überlieferung wie ihre australische Kollegin Patricia Shaw. Dass sie sich dennoch mit den Lebensläufen und Schicksalen australischer Einwanderer auskennt, stellt sie eindrucksvoll mit „Das Lied des Regenpfeifers“ unter Beweis. Ihre Frauenfiguren stammen aus achtbaren Familien, doch mitunter stoßen ihnen hässliche Dinge zu. Die ständige Gefahr der gesellschaftlichen Ächtung durchzieht alle bürgerlichen Lebensläufe, als befänden sich die Frauen noch mitten im tiefsten 19. Jahrhundert.

Romantisch verklärte Räuber und Banditen kommen hier ebenso wenig vor wie heroische Erforscher des fünften Kontinents (Frederick scheitert im Busch). Und unter den Männer gibt es ebenso feine Kerle wie charakterlose Dreckschweine, die Frauen nur zwecks Lustgewinn ausbeuten und sie dann sitzen lassen. Dass auch Frauen schlechte Menschen sein können, belegt Irene Stanford, doch wie Olivia herausfindet, hat Irene eine verdammt gute Entschuldigung.

Der Schicksalsroman dürfte vor allem Frauen ansprechen, ganz einfach deshalb, weil alle Hauptfiguren Frauen sind. Und die kommen voll auf ihre Kosten. Liebe, Drama, Verbrechen, Überraschungen – es ist alles drin. Weil sich aber das Geschehen zwischen 1898 und 1948 nur in den bürgerlichen Schichten abspielt, wird die das Land formende oberste Schicht ebenso ausgeblendet wie die später (z. B. von Peter Carey) romantisch verklärte Unterschicht der Arbeiter und Outlaws, von den Aborigines ganz zu schweigen. Folglich lernt die Leserin/Hörerin die Geschichte des Landes durch solche Romane nur unvollständig kennen.

Die Autorin kann allerdings nicht kaschieren, dass der Text viele sprachliche Klischees enthält, die offenbar zu einem Frauenschicksalsroman ebenso gehören wie ein Deckel auf den Topf – und in eben dieser Weise müssen alle Frauen am Schluss ihren Traummann finden. Auch wenn es manchmal etwas länger dauert, bis der- oder diejenige das einsieht. Und Irene erhält ihre verdiente Strafe, keine Sorge. Der gekürzte Text des Hörbuchs wird von Joseline Gassen bewegend und spannend, einfühlsam und modulationsreich vorgetragen.

|Originaltitel: Undercurrents, 2004
277 Minuten auf 4 CDs|

DeLorca, Frank / May, Martin / Döring, Oliver – Turm des Grauens, Der (Gespenster-Krimi 03)

Seit 150 Jahren erzählt man sich auf Rona Island die blutige Geschichte des missgestalteten Jack Finnegan, der einst auf der Insel mehrere schreckliche Morde begangen hat. Nicht-Insulaner belächeln die Angst vor dem längst verstorbenen Unhold. Doch dann verschwinden wieder Menschen spurlos – und eine Touristin wird brutal überfallen.

Schon bald wissen nicht nur die Einwohner Ronas, dass etwas Schreckliches im Moor umgeht. Als der rational denkende Inspektor Joe Burger die Teile des unheimlichen Puzzles zusammenfügt, stößt er auf ein schreckliches Geheimnis, das ihn selbst an den Rand des Wahnsinns treiben wird. (Verlagsinfo)

|Die Sprecher & die Inszenierung|

Erzähler: Lutz Riedel
Sheila Martin: Marie Bierstedt
Robert Norden: Martin May
Inspektor Joe Burger: Till Hagen
Polizist Earl Bumper: Nicolas Böll
Prof. Stalicki: Jürgen Thormann
Und 13 weitere Sprecher.

Die Gespensterkrimi-Hörbücher produzierten Alex Stelkens von |WortArt| und Marc Siper von |Lübbe Audio| sowie Pe Simon. Regie führt stets Oliver Döhring, der auch für die John-Sinclair-Hörspiele verantwortlich zeichnet.

_Handlung_

VORGESCHICHTE.

Schauplatz ist die schottische Hebrideninsel Rona im Jahr 1855. Die Dorfbewohner des Hafens verfolgen den wahnsinnigen Jack Finnegan durchs Moor, verlieren aber seine Spur. In der Nacht kehrt er zurück, um im Wirtshaus einzubrechen und frische Beute zu machen. Sheila Martin, 21, wird sein wehrloses Opfer, und Sean Jones und Dick Fisher können ihn nicht davon abhalten, sie davonzuschleppen. Sie werden selbst schwer verletzt. Sheilas sterbliche Überreste werden erst vier Tage später in einer Berghöhle gefunden. Jack wird geschnappt, verurteilt und hingerichtet. Sein Gehirn wird von einem Arzt im Kriminalmuseum von Edinburgh in Formalin eingelagert. Das erweist sich als schwerer Fehler …

HAUPTHANDLUNG. 150 Jahre später.

Der Schriftsteller Robert Norden stammt aus London und recherchiert auf der entlegenen Hebrideninsel für sein nächstes Buch. Die blonde Sheila Martin, 25, die mit ihm spazierengeht, ist ebenso wie er im Dorfgasthaus untergebracht. Sie recherchiert ebenfalls: ihren Familienstammbaum, zu dem auch jene so grausam gemeuchelte Sheila Martin gehört. Ned Butcher ist der aktuelle Wirt, der den Gasthof mit seiner Frau Mary betreibt. Diese ist ebenfalls blond. Butchers schleimige, anzügliche Begrüßung stößt Sheila ab.

Neds Verhalten gründet sich auf Vor- und Schadenfreude. Er erinnert sich sehr gut an die Ereignisse vor 150 Jahren und will sie wiederholen. Nachts wird Sheila von einem Klopfen an ihrem Fenster geweckt. Als ein Ungeheuer in Menschengestalt in ihr Zimmer einbricht, setzt sie das Wesen mit einem gezielten Hieb für einen Moment außer Gefecht und flüchtet auf den Flur.

Der Lärm hat Robert Norden geweckt. Als er Sheila zu Hilfe, haut ihn das Monster aus den Pantinen. Doch diesmal flieht Sheila aus dem Haus und ins angrenzende Moor. Dort stürzt sie in ein Sumpfloch, das Ungeheuer ist ihr dicht auf den Fersen …

Inspektor Joe Burger von Scotland Yard ermittelt in Sachen Sheila Martin und dem, was die Einheimischen den „Moormenschen“ zu bezeichnen belieben. Als Joe Ned Butcher erblickt, erkennt er in ihm sofort den vorbestraften Einbrecher. Ned erzählt, dass er, bevor er die Wirtin Mary heiratete, für den alten Professor Stalicki gearbeitet habe, drüben im alten Leuchtturm.

Diesem Professor statt Joe einen Besuch ab. Der Privatforscher gibt sich freundlich, aber was heißt das schon? Dieser selbstverliebte alte Sack führt ihm sein Labor vor und erzählt ihm, was er mit seinen Experimenten erreichen will: Die Übertragung von Erfahrungen auf biochemischem Wege.

Was der Professor dem Inspektor verheimlicht: Er hat Ned Butcher das Gehirn von Jack Finnegan stehlen und durch eine Attrappe ersetzen lassen. Und für allzu neugierige Polizisten hat er ganz spezielle Pläne …

_Mein Eindruck_

Der Plot ist so klischeebeladen, dass er sich leicht in die paranoiden fünfziger Jahre des 20. Jahrhundert einordnen ließe, gäbe es nicht ein paar Gerätschaften – wie Helikopter, Fax, Handy und Digitaluhr – die sich der Gegenwart zuordnen ließen. Da ist zum einen der verrückte Wissenschaftler: bis hin zum irren Gelächter stimmt alles. Die Experimente, die Professor Stalicki in der Manier eines Dr. Viktor Frankenstein (erfunden 1816) vornimmt, sind selbstverständlich ebenso verrückt wie verboten. Aber dort endet der Wahnsinn natürlich nicht, sondern wird auch in frevlerischer Weise an aufrechten Vertretern des Gesetzes – vulgo: Scotland-Yard-Inspektoren – ausgelassen.

Des Wissenschaftlers Kreatur ähnelt Frankensteins Monster in allem bis auf das Aussehen und den Appetit auf frisches Menschenfleisch. Dass dieses Menschenfleisch am leckersten ist, wenn es die Gestalt unschuldiger junger (vorzugsweise halb nackter) Frauen besitzt, lässt sich leicht einsehen, wenn man entweder selbst ein Kannibale ist oder schon sämtliche Streifen gesehen hat, die je über Frankenstein-Monster gedreht wurden. Und das sind ja bekanntlich nicht wenige.

Und die Jungfer in Not zu retten, sind natürlich nur Männer gefragt. Da wäre zum einen besagter aufrechter Vertreter des Gesetzes und zum anderen der brave Schriftsteller aus London: Ritter des Schwertes und der Feder. Es steht zu hoffen, dass den Schreiberling die Vorfälle um den mysteriösen Moormenschen in ausreichendem Maße zum nächsten Horrorroman inspieren.

Und wie schon bei der ersten „Frankenstein“-Verfilmung aus dem Jahr 1931 endet das Grauen in Explosion und Feuer.

_Die Inszenierung_

Die Inszenierung mag noch so wirkungsvoll gelungen sein, es bleibt dem kundigen Hörer doch nur ein müdes Lächeln. Dieser Abklatsch von Mary Shelleys wunderbarer Vorlage aus dem Jahr 1818 (Die Story wurde 1816 erfunden, das Buch erst zwei Jahre später anonym veröffentlicht) hätte eine originellere Umsetzung verdient. Für den Regisseur Oliver Döring blieb also nur, aus dem Vorhandenen das Beste zu machen. Das zumindest ist ihm gelungen.

Die Geräusche sind realistisch und effizient eingesetzt. Ich habe bereits Helikopter, Faxgerät und die allseits beliebte piepsende Digitaluhr erwähnt. Hinzukommen Geräusche der Natur: Wellenrauschen und Möwengeschrei. Ich könnte dieser Meereskulisse stundenlang zuhören. Die Musik erzeugt oder unterstreicht die nötigen Emotionen.

_Unterm Strich_

„Turm des Grauens“ ist der schwächste Beitrag zur Serie der „Gespenster-Krimis“. Der Frankenstein-Plot ist so abgedroschen, dass der kundige Hörer das Ende schon meilenweit vorausahnt. Dass das Finale mit Action und Feuerzauber zu übertünchen versucht, dass allenthalben originelle Ideen fehlen, verwundert nicht: Irgendetwas soll der Konsument ja schon davon haben.

Fazit: Ein Hörspiel, auf das die Welt nicht gewartet hat, aber immer noch solides Handwerk.

|57:26 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos unter: http://www.gespensterkrimi-hoerspiele.de |

Caldwell, Ian / Thomason, Dustin – letzte Geheimnis, Das (Lesung)

Tom, Charlie, Gil und Paul sind Freunde, die an der traditionsreichen Universität Princeton studieren (wo Einstein lehrte). Doch plötzlich erschüttert eine Reihe von unerklärlichen Todesfällen die heile Campus-Welt auf dramatische Weise. Alle Opfer stehen in Verbindung mit einem verschlüsselten Manuskript aus der italienischen Renaissance, dessen Dekodierung noch keinem Wissenschaftler gelungen ist, nicht einmal Toms Vater: die „Hypnerotomachia Poliphili“ aus dem Jahr 1499, eines der seltensten und wertvollsten Bücher überhaupt.

|Die Autoren|

Ian Caldwell und Dustin Thomason sind zwei amerikanische Studenten, die mit ihrem ersten Roman in den USA für eine Sensation sorgten. Bereits zwei Monate nach Erscheinen stand ihr Buch auf Platz 2 der |New York Times|-Bestsellerliste und wurde immer wieder mit Dan Browns Thriller „The da Vinci Code“ [(„Sakrileg“) 184 verglichen. Mehr Infos unter: http://www.randomhouse.com/bantamdell/theruleoffour. Die beiden Autoren schreiben bereits an ihrem nächsten gemeinsamenen Buch.

|Der Sprecher|

Tim Bergmann, in Düsseldorf geboren, besuchte von 1991 bis 1994 die Ott-Falckenberg-Schule in München. 1993/94 spielte er parallel zur Schauspielschule bereits an den Münchner Kammerspielen. 1995 wurde er in dem sehr erfolgreichen Kinofilm „Echte Kerle“ für den Bundesfilmpreis als bester Nebendarsteller nominiert.

Der Text wurde von Dr. Arno Hoven gekürzt, Regie führte Kerstin Kaiser – genau wie bei [„Diabolus“. 1115

_Handlung_

PROLOG.

Im Prolog berichtet der Ich-Erzähler Tom Sullivan, was in jenem alten Dokument stand, das das Leben seines Vater Patrick Sullivan umkrempelte, weil es ihn in den Kreisen der Literaturwissenschaftler auf einen Schlag berühmt machte: Auf die Entschlüsselung dieses „Belladonna“-Dokuments verwendete er rund 30 Jahre. Und jetzt spielt es wieder eine unheilvolle Rolle – in Toms Leben.

Es handelt sich um einen vierfach versiegelten Brief, den zwei Boten namens Rodrigo und Donato im November 1497 abliefern sollen. Auftraggeber ist ein Edelmann, der später im Buch noch des Öfteren auftaucht. Sie gelangen nachts zur römischen Kirche San Lorenzo, und ein Maurer nimmt den Brief in Empfang. Anhand eines Tests gelingt es ihm festzustellen, dass die allzu neugierigen Boten die Siegel des Briefs erbrochen, dessen Inhalts gelesen und danach neue Siegel sorgfältig wieder angebracht haben. Was aber den neuen Siegeln fehlt, ist die ursprünglich vorhandene Tinktur namens „Belladonna“, die die Pupillen erweitert – nur nicht bei den beiden Boten. Der Maurer tötet die beiden untreuen Boten und entsorgt ihre Körper vollständig bei einem Metzger.

Auf den ersten Blick geht es an der Universität von New Jersey in Princeton keineswegs so grausam zu, aber das soll sich rasch ändern.

HAUPTHANDLUNG

Tom Sullivan, Paul Harris, Charlie Freeman und Gil sind vier Freunde, die in Princeton unterschiedliche Fächer studieren. Nur Toms bester Freund Paul studiert ebenfalls Literaturwissenschaft, und die monatelange verbissene Forschungsarbeit an einem italienischen Buch aus dem Jahr 1499 hat die beiden zusammengeschweißt, bis Toms Freundin Katie Marchand und die Vernachlässigung seiner eigenen Arbeit Tom zwangen, diese Arbeit abzubrechen. Das Buch ist die seltene „Hypnerotomachia Poliphili“ – der Liebestraum des Poliphilus – und hat die Tendenz, jeden, der sich intensiver mit ihm beschäftigt, in seinen Bann zu ziehen und süchtig zu machen – derart süchtig, dass Toms reale Liebe wie die zu Katie schwer darunter leidet.

Schon Toms Vater geriet in den Bann des Buches – siehe den Prolog. Zuhause bei den Sullivans wurde es zu einem Ersatz für die Bibel. Denn es steckt voller Rätsel und kodierter Anweisungen und ist, wie Paul entdeckt, in einem genialen Code geschrieben, der eine völlig andere Geschichte erzählt als der lediglich 30 Seiten lange „Liebestraum“ über einen Mann, der seine verlorene Geliebte Polia sucht und von ihr abgewiesen wird. Reiht man zum Beispiel den jeweils ersten Buchstaben eines Kapitels aneinander, so ergibt sich folgender Satz: „Bruder Francesco Colonna hat Polia sehr geliebt.“ Colonna war der Auftraggeber des Belladonna-Briefes, und der Maurer sein Prüfer. Aber war er auch der Autor des Buches? Prof. Sullivan glaubte fest daran.

Welches Geheimnis ist jedoch so wichtig, dass Colonna die Vertrauenswürdigkeit der Boten prüfte, sie mit dem Tode bestrafte und sein zwei Jahre später veröffentlichtes Buch derart stark verschlüsselte, dass es bis heute, 500 Jahre später, nicht entschlüsselt werden konnte?

Diese Frage ließ vor rund 30 Jahren Patrick Sullivan nicht los, der sich mit Richard Curry und Vincent Taft zusammentat, um das Geheimnis zu ergründen. Sullivan starb bei einem Autounfall, als Tom 16 war, doch Curry und Taft leben. Taft lehrt sogar an der Princeton Uni, und Curry ist praktisch der Doktorvater von Paul Harris. Man kann sich leicht vorstellen, dass diese beiden mit Argusaugen über die Fortschritte wachen, die Paul an der „Machia“ macht. Was ihnen misslang, könnte er schaffen. Und dann: ewiger Ruhm! Aber auch jede Menge Geld: Fachartikel- und Buchhonorare, Vorlesungsreisen, lukrative Posten – kurzum: das akademische Paradies.

Und Paul ist so dicht davor, das letzte Rätsel zu knacken: Es gibt vier davon, denn die Vier ist die magische Zahl, die das gesamte Buch durchdringt. (Daher der O-Titel „The Rule of Four“ – „Die Regel/Herrschaft der Vier“.) Er hat nur noch 36 Stunden Zeit, seine Examensarbeit über die „Machia“ abzugeben. Doch in 36 Stunden kann sich alles Mögliche ereignen.

Nach einer Party eines der Studentenklubs muss Tom mit ansehen, wie jemand in einem hell erleuchteten Zimmer des Uni-Gebäudes angeschossen wird und sodann aus dem Fenster auf die Straße stürzt. Charlie leistet Erste Hilfe und erzählt, um wen es sich handelt: Der Mann, der im Krankenhaus stirbt, ist Bill Stein, Pauls engster Mitarbeiter an der „Machia“. Noch ein weiterer Mann wird sterben, bevor es gelingt, den Schuldigen ausfindig zu machen. In einem Hexenkessel der Verfolgung, Entschlüsselung, der Polizei-Ermittlungen und der Liebe zu Katie sieht sich Tom zu einer schwierigen Entscheidung gezwungen, die sein ganzes künftiges Leben bestimmen wird.

So oder so ähnlich muss sich Colonna in Rom und Florenz gefühlt haben, als er den religiösen Eiferer Savonarola bekämpfte, der die Schätze der Antike verbrannte, weil sie gottlos seien. Und als Colonna einige der wertvollsten Schätze gerettet hatte, verbarg er sie in einer Krypta in Florenz. Der Lageplan der Krypta ist in der „Machia“ verborgen. Und wer diese Schatzkammer findet, könnte der Welt eine neue Renaissance, eine Wiedergeburt von unschätzbarem Wert verschaffen.

Aber nur, wenn Paul und Tom die nächsten Stunden überleben. Denn der Mörder ist auch hinter ihnen her.

_Mein Eindruck_

In „Das letzte Geheimnis“ geht also um mehrere Ermittlungen. Selbst wenn das Thema „alte Dokumente“ wegen Dan Browns Bestsellern „Sakrileg“ und „Illuminati“ zur Zeit sehr in Mode ist, so erweist sich „Das letzte Geheimnis“ doch nicht als Abklatsch dieser marktführenden Titel, sondern als eigenständiges Werk. Und ich halte es für weitaus besser als Dan Browns Werke, die sich bei näherer Untersuchung als Fantasy entpuppen.

Die „Machia“ existiert jedoch wirklich und gibt bis heute Rätsel auf. Mag auch Colonna nie existiert haben, so ist dies doch letzten Endes unerheblich, denn Figuren wie Savonarola, die Medici und den damaligen Papst gab es wirklich. Ebenso die Accademia, der Colonna und seine Komplizen angehörten. „Das letzte Geheimnis“ ist vielschichtiger als Browns Bestseller und durch die Zeiten hinweg aktuell.

Denn die vordergründige Suche nach dem vierten Geheimnis der „Machia“ spiegelt sich in der Suche nach dem Geheimnis des Mörders wider, der bereits Taft und Stein auf dem Gewissen hat und sich als nächstes Opfer Paul Harris auserkoren hat. Damit aber das Vermächtnis Colonnas – der guten Seite der Renaissance – bewahrt bleiben kann, müssen die Vier dem Mörder das Handwerk legen. Wie sich zeigt, waren Stein und Taft darauf aus, Paul das Vorrecht auf die Publikation des Geheimnisses der „Machia“ zu stehlen. Und man darf vom Mörder das Gleiche annehmen. Es ist – im 15. Jahrhundert wie auch heute – ein sehr gefährliches Geheimnis.

Was das Buch für mich so bedeutend macht, ist die Frage, die sich Tom Sullivan stellt und die er immer wieder durchspielt: Die Beschäftigung mit dem Geheimnis der „Machia“ ist die gleiche Sucht nach Wissen, die jeden Wissenschaftler und Suchenden seit Dr. Faustus angespornt hat. Doch wenn der Forschungsgegenstand, wie es die „Machia“ tut, den Anspruch auf Ausschließlichkeit erhebt, gefährdet dies das Leben und die Zukunft des Forschenden. Tom Sullivan verkommt aufgrund seiner Manie zu einem nervösen Wrack, das wie ein Penner herumschlurft. Das Versprechen auf eine Zukunft wird durch seine Freundin Katie und ihre Liebe verkörpert: Sie muss ihm eindringlich zureden und vor ein Ultimatum stellen, um ihn aus seinem Wahn, seinem privaten „Liebestraum“ zu wecken. Als Preis dafür bleiben die Geheimnisse der „Machia“ unerschlossen – vorerst, bis Paul einen anderen Ansatz findet.

Tom Sullivan bremst gerade noch vor dem Abgrund. Doch für seinen Vater ging die Sache nicht so gut aus: Wie Taft Tom weiszumachen sucht, hat sich Patrick Sullivan aus Frustration selbst in den Tod gefahren, dabei den Tod seines Sohnes in Kauf nehmend. Eine ungeheuerliche Behauptung. Kein Wunder, dass Tom sofort ausrastet und Taft angreift.

Das aktuelle Quartett, das von der „Machia“ berührt wird, ist ein Spiegelung jenes Trios aus Patrick Sullivan, Vincent Taft und Richard Curry, das sich 25-30 Jahre zuvor die Zähne an der „Machia“ ausgebissen hatte. Wiederholt sich die Geschichte wie in einem zyklischen Teufelskreis? Vielleicht, aber nur, wenn man nicht bereit ist, Einsicht zu zeigen. Nur wenn man sich ganz der „Machia“ und ihrer Verlockung hingibt.

Die Spiegelungen und Entsprechungen machen für mich den größten Reiz des akademischen Thrillers aus. Der Begriff des „Liebestraums“ verwirklicht sich in vielfältiger Weise. Nicht nur, dass Poliphilus, der „Vielliebende“, in einem Traum seinen Kampf um die Liebe kämpft (so die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes „hypnerotomachia“), sondern auch Colonna, Tom und Paul sind in einem solchen Traum gefangen. Es ist der Traum der Liebe zu einem geheimnisvollen Forschungsgegenstand, zu Wissen und Erkenntnis. Im Grunde sieht sich jeder Akademiker dieser Verlockung gegenüber. Deshalb ist das Buch ständig aktuell.

Gibt man sich dem Traum völlig hin, wie Tom, Paul und ihre Konkurrenten es tun, ist dieser in der Lage, das reale Leben völlig zu übernehmen (siehe die „verrückten Wissenschaftler“ der B-Movies). Es kommt darauf an, die Verbindung zum Leben nicht abreißen zu lassen. Oder den Traum einem höheren Zweck zu weihen, wie Colonna es tut: die Rettung der Schätze der Antike, die Savonarola auf seinen Scheiterhaufen verbrennen will. Paul und Tom tun am Ende das Gleiche.

Auch die Scheiterhaufen haben eine Entsprechung: Das Clubhaus, in dem der Abschlussball stattfinden soll, brennt nieder. Tom und Paul befinden sich darin. Und als der Mörder auftaucht, geht es um alles oder nichts. Die Schätze der Vergangenheit sind nun nicht die Bücher, die in den Regalen des Clubhauses stehen, sondern die Geheimnisse, deren Lösung sich in den Köpfen von Tom und Paul befindet. Ob die Vergangenheit weiterlebt, damit die Welt daraus lernen kann, ist manchmal nur eine Frage des Überlebens …

|Der Sprecher|

Tim Bergmann ist ein kompetenter Sprecher, der über eine sehr angenehme Stimme verfügt. Allerdings bemüht er sich nicht um Stimmakrobatik wie manchmal Rufus Beck, er weiß aber durchaus, wie man die Stimme moduliert, um Emotionen zu vermitteln und eine Situation darzustellen. Insbesondere dann, wenn ein Buch so reich an dramatischen Situationen ist wie „Das letzte Geheimnis“.

Dann wird durch seinen eindringlichen Vortrag deutlich, wie groß der Wissensdurst ist, der Tom und Paul erfüllt, wie tief die Frustration sein muss, die die Gescheiterten niederdrückt: Curry und Taft. Sehr schön anschaulich wird die Story, wenn das Quartett hinunter in die Versorgungstunnel steigt, um dort Kampfspiele zu üben, oder wenn es zur „Nackten Olympiade“ (das gab es in Princeton wirklich) wieder an die Oberfläche steigt, um der Campuspolizei ein Schnippchen zu schlagen.

_Unterm Strich_

„Das letzte Geheimnis“ ist ein gelehrter Thriller über die Verbindung und Bedeutung der Vergangenheit mit und für die Gegenwart. Alte Schätze des Wissens zu heben, ist wichtig und wertvoll. Aber das Buch warnt auch vor den Gefahren der Verlockung, die darin liegt. Auf drei korrespondierenden Zeitebenen spiegelt sich die Geschichte, die in dem zentralen Werk, um das es geht, niedergelegt ist: Liebe – Traum – Kampf – Geheimnisse. Vielleicht ist dies die „Regel/Herrschaft der Vier“? Das Buch selbst ist wie die „Machia“ voller Geheimnisse und würde eine literaturwissenschaftliche Analyse lohnen.

Ich fand die Geschichte spannend zu verfolgen. Als Akademiker berührte sie mich auf unerwartete Weise. Manche Leute sehen sich vor die Wahl zwischen Arbeit/Erfolg oder Liebe/Lebensqualität gestellt. Manche schaffen es, beides harmonisch zu verbinden, manche aber entscheiden sich für das Eine oder das Andere und verlieren dabei in jedem Fall. In welchem Umfang der Verlust erfolgt, muss dabei jeder selbst festlegen. An einer Stelle fragt Tom Sullivan seine Mutter, warum sie seinem Vater seinen Erfolg und sein jahrzehntelanges Bemühen um die „Machia“ missgönnt habe. Sie macht ihm klar, dass er sie nie verstanden hat. Sie hat seinen Vater geliebt, obwohl dieser nie genügend Zeit für sie und den Sohn hatte. Eine Frage wie diese muss sie also tief verletzen.

Das Hörbuch gehört zu den spannenden Thrillern, für die sich Freunde von „Sakrileg“ und „Illuminati“ interessieren könnten. Allerdings ist die Struktur nicht die simple der Schnitzeljagd, sondern eine der Spiegelungen und Entsprechungen. Relativ häufig wechselt die Zeitebene, damit der Erzähler im Rückblick eine Erkenntnis daraus vermitteln kann. Bald wird klar, was die „Machia“, ihr Autor Colonna (umstritten), die drei Forscher um Patrick Sullivan sowie die vier Studenten um Tom Sullivan miteinander zu tun haben. Leider wird die Lehre, die der Ich-Erzähler daraus zieht, auf eine etwas vordergründige, aufdringliche Weise vermitteln. Es ist zwar nicht ganz der erhobene Zeigefinger (für wen auch?), aber viel fehlt nicht mehr.

_Hintergrund_

Ein paar interessante Fakten über die „Hypnerotomachia Poliphili“:

1. The title „Hypnerotomachia“ is an invented word drawn from the Greek roots for „sleep“ (as in „hypnotize“), „love/lust“ (as in „erotic“), and „struggle/strife“ (as in „naumachia,“ the mock sea-fights held by ancient Romans). The title thus literally means something like „Struggle for love in a dream,“ and describes what the main character, Poliphilo, spends the entire story doing: searching for his beloved in a dream.

2. Until 1999, no full English translation of the Hypnerotomachia existed. The only previous attempt was by a translator with the initials „R.D.“ – probably Robert Dallington, a contemporary of Shakespeare’s – who got less than halfway done before giving up. In 1999, a music professor at Colgate University named Joscelyn Godwin completed his full English translation, which is now widely available.

3. The hieroglyphics that appear in the Hypnerotomachia are not authentic. Some are borrowed from a Roman frieze that Renaissance humanists wrongly considered Egyptian; others are invented, but later Renaissance scholars (including Erasmus) mistakenly considered them genuine. The Hypnerotomachia’s author, in other words, was both a victim and perpetrator of hieroglyphic ignorance among Renaissance humanists!

Quelle: http://www.randomhouse.com/bantamdell/theruleoffour/index.html
Für Interessierte: http://en.wikipedia.org/wiki/Hypnerotomachia_Poliphili

|Originaltitel: The Rule of Four, 2004
deutsch von Rainer Schmidt
393 Minuten auf 5 CDs|

Die [Buchfassung]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3785721536/powermetalde-21 erschien ebenfalls bei |Lübbe|, in gebundener Form.

deLorca, Frank / Streberg, Gerry – Dämonenhaus, Das (Gespenster-Krimi 04)

Das Hood-Anwesen unweit des schottischen Glasgow verströmt eine morbide Faszination. Die Verlobten Peter und Janet wollen hier einziehen, doch die Vorzeichen für einen Daueraufenthalt stehen schlecht. Vor hundert Jahren soll der Erbauer des ausgedehnten Gebäudes, das an einem düsteren Moor steht, sich in einen Werwolf verwandelt und von den Dorfbewohnern geköpft worden sein. Kein Wunder, dass der Dorfwirt dem Vorhaben der Städter äußerst ablehnend gegenübersteht. Er wirft sie kurzerhand hinaus. Sie hätten auf ihn hören sollen …

|Die Sprecher & die Inszenierung|

Philip Schepmann spricht: Peter Newton
Katrin Fröhlich: Janet Culver
Dascha Lehmann: Lynne
Boris Tessmann: Ron
Und 14 weitere Sprecher.

Die Gespensterkrimi-Hörbücher produzierten Alex Stelkens von |WortArt| und Marc Siper von |Lübbe Audio| sowie Pe Simon. Regie führt stets Oliver Döhring, der auch für die John-Sinclair-Hörspiele verantwortlich zeichnet.

_Handlung_

Peter Newton und Janet Culver sind frisch verlobt und wollen aus dem verrußten Glasgow hinaus aufs Land ziehen. Peter hat auch schon eine Überraschung parat: das Hood-Anwesen, das außerhalb eines Dörfchens am Rande eines Moors liegt. Die beiden reagieren ziemlich pikiert, als sie deswegen aus dem Dorfwirtshaus geworfen werden. Offenbar ist man im Dorf nicht gut auf dieses Haus zu sprechen.

Als Janet das Gebäude sieht, meint sie, es sehe aus wie „Frankensteins Ferienhaus“. Wie wahr! Sie stapfen erst einmal durchs Moor, bevor sie eintreten können. Bei der ersten Erkundung finden sie im stromlosen Keller eine Tür, die hinter einem Regal verborgen ist, und in einer Kiste, die Peter zertrümmert, einen menschlichen Schädel – mit Reißzähnen …

Nach einer unruhigen Nacht voller Geräusche und einer Vogelattacke (Achtung: ein Rabe!) erwacht Peter gerade noch rechtzeitig, um die schlafwandelnde Janet vor einem Sturz ins Moor zu bewahren. Sie kann sich nicht erinnern, wie sie auf die Veranda kam. Auf einem Gemälde, das das Haus zeigt, ist die Figur einer Frau im ersten Stock auszumachen. War sie gestern schon da?

Der alte Säufer Henry Rollins erzählt Peter ein wenig über die Vergangenheit des Hauses. Es wurde 1895 von Tom Hood erbaut, der nur zwei Jahre selbst darin lebte. Er stopfte dort selbst erlegte Jagdtiere aus und gehörte angeblich der Sekte „Die Söhne des Wolfes“ an. Als zwei Frauen aus dem Dorf verschwanden und man ihre abgenagten Knochen in den Bergen fand, töteten die Dörfler Tom Hood mit einem geweihten Schwert, denn sie hielten ihn für einen Werwolf. Und im Augenblick seiner Enthauptung soll er sich in der Verwandlung befunden haben. Peter verschweigt diesen Unsinn seiner Verlobten.

Der Ärger beginnt erst so richtig, als das befreundete Ehepaar Ron und Lynn aus Glasgow auftaucht. Ron ist ein unternehmungslustiger Bursche und erkundet den stromlosen Keller von vorne bis hinten. Ganz hinten findet er eine mit zwei Riegeln verbarrikadierte Tür, die er mit brachialer Gewalt öffnet. Die Überraschung ist beträchtlich: Hier stopfte Tom Hood vor hundert Jahren seine Tiere aus. Was aber wichtiger ist: In einem Sarg liegt ein kopfloses Skelett. „Wetten, dass der Schädel genau auf dieses Gerippe passt?“ Und ob der passt! Und er beißt mit seinen Reißzähnen auch gleich zu. Ron muss zum Arzt.

Die hereinbrechende Gewitternacht sollen die vier Freunde nicht vergessen. Das heißt: diejenigen, die überleben.

_Mein Eindruck_

Werwolfmonster haben mich schon immer fasziniert. Das liegt wahrscheinlich an ihrer Fähigkeit, sich zu verwandeln. Das zivilisierte Lamm zeigt quasi seine wahre, seine tierische Natur: das Raubtier. Es ist bezeichnend, dass es – bis vor wenigen Jahren – kaum Erzählungen über weibliche Werwölfe gab: Der Mensch-Wolf ist seit seinen antiken Anfängen, als er noch Lykanthropus hieß, immer männlichen Geschlechts gewesen. Dass die Bestie auch heute, vielleicht mehr denn je zuvor, eine morbide Faszination ausübt, belegen Erfolge von Filmen wie „Der Pakt der Wölfe“. Die beste Parodie ist und bleibt aber immer noch „American Werewolf“.

Die düsteren Moore der schottischen Lowlands eignen sich natürlich hervorragend als Schauplatz einer unheimlichen Werwolfgeschichte. Der lange Arm der Vergangenheit streckt sich nach den ahnungslosen Städtern aus, die sich hier niederlassen wollen. Die Frau hat natürlich gleich ein ganz schlechtes Gefühl dabei – Recht hat sie. Wär sie nur in der Stadt geblieben. Doch die Story hält noch viele weitere Überraschungen bereit. Bis zur letzten Sekunde.

_Die Inszenierung_

Philip Schepmann und Karin Fröhlich spielen die beiden Verlobten, während Dascha Lehmann und Boris Tessmann ihre Freunde darstellen. Nun darf man sich das Quartett aber nicht so vorstellen, als ob es brav im Studio säße und in ins jeweilige Mikro spräche. Das, was der Zuhörer vernehmen kann, ist viel mehr als vier Sprecher. Es ist auch ein Gefühl für Bewegung, Situation und vor allem Raum. Jeder der Räume in Hood Manor hat seinen eigenen Hall, ganz besonders natürlich der unheimliche Keller. Das Wirtshaus hingegen ist im Vergleich dazu richtig heimelig, mit Gläserklirren und vielen Hintergrundstimmen.

Auch die modernen Geräte wie Autos, Digitaluhren und Handys gehören zur Umgebung der Sprecher. Auch ihre „Stimmen“ hören wir ganz genau. Sie dienen dazu, das Geschehen in der Gegenwart zu verorten und so glaubwürdiger zu machen. Wenn via Telefonleitung gesprochen wird, dann also stets verzerrt, denn das ist das, was wir täglich wahrnehmen, aber leider nur noch unterbewusst.

Richtig gefordert ist der Tonmeister, pardon: Soundmixer – an jenen Stellen, an denen das Untier an sich akustisch in Szene zu setzen ist. So ein Werwolf könnte theoretisch auch „Miau!“ sagen, aber das wäre wohl seiner Wirkung und Erscheinungsweise nicht besonders angemessen. Nein, die Natur seines Erscheinens ist die des plötzlichen Angriffs, wobei Schreie, Durcheinander, Brüllen und Krachen eine chaotische Verbindung eingehen, die in ihrer Wucht die Wirkung auf den Hörer nie verfehlt. Ganz wunderbar ist die atemlose Stille vor dem Angriff, in der man die entsetzte Anspannung der Figuren fast körperlich spüren kann. Im Vergleich dazu wirkt das Knurren eines sich anpirschenden Werwolfs schon fast wieder gemütlich.

Die Musik unterstützt dieses Geschehen derart subtil, dass ich sie fast nicht bemerkt habe. Und das ist das Beste, das man über Hintergrundmusik sagen kann. Denn dann ist sie so in den Klangteppich eines Hörspiels verwoben, dass man sie nicht bewusst wahrnimmt, aber ihrer Wirkung dennoch unterworfen ist. Ihre Aufgabe ist es, die Emotionen des Hörers zu steuern: Spannung und Entspannung, Ruhe oder Action usw. Diesmal stammt sie von nicht weniger als drei Komponisten: Christian Hagitte, Simon Bertling und Florian Göbels. Prima Arbeit, meine Herrn!

_Unterm Strich_

Innerhalb der Reihe der bislang vier „Gespenster-Krimi“-Hörspiele hat mir persönlich diese CD am besten gefallen, aber das ist natürlich Geschmackssache. Ich habe eben etwas für Werwölfe übrig. Aber daran liegt es nicht allein. Auch der geschickte Aufbau der Story in mehreren Schichten ist für den positiven Eindruck verantwortlich. Dadurch bleibt es nicht bei der einfachen und etwas abgedroschenen „Wir-gegen-das-Monster“-Variation, sondern eine weitere Wendung sorgt für eine böse Überraschung in der letzten Sekunde. No-one here gets out alive.

|55:36 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos unter: http://www.gespensterkrimi-hoerspiele.de |

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Du hast\’s getan (POE #15)

_Eine Detektivin und Ein-Frau-Polizeitruppe greift ein_

„Du hast’s getan“ ist der fünfzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Nach der Trennung von Poe bleibt Leonie Goron ein paar Tage in der kleinen Stadt Rattleborough. Doch dort geschehen sonderbare Dinge. Schon in der ersten Nacht schreckt sie hoch: Ein blutüberströmtes Pferd galoppiert herrenlos durch die Straße, aber wo ist der Reiter? Ein junger Mann wird unter Mordanklage gestellt. Aber noch immer hat man keinen Leichnam gefunden …

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten Hörspielen der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird vorerst ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Mathias Koeberlin als Pennyfeather, Christian Rode als Charley Goodfellow sowie andere Sprecher mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Du hast’s getan“ eine englische Häuserzeile, die aus dem späten 18. oder dem 19. Jahrhundert stammen dürfte. Ein oder zwei Autodächer sind davor zu entdecken. Bemerkenswerter ist der schneebedeckte Friedhof im Vordergrund, in dem die Häuser zu versinken scheinen. Typischerweise haben diese Grabsteine keine Beete, ragen also aus dem umgebenden Weiß wie hohle Zähne heraus – und das auch noch schief. Ein eindeutiges „memento mori“.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Staffel: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges, schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Ulrich Pleitgen wird näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon dreizehn Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton darin spielt.

Der Vorspann rekapituliert sehr knapp die ganze Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Eleonora“, der zwölften Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Leonie ist stinkig. Sie rumpelt in der Postkutsche alleine gen New York. Dieser Schuft Poe hat sie sitzen lassen, mit einem lausigen Abschiedsbrief als Erklärung. Nun sucht sie nach dem zweiten Verräter, Doktor Baker alias Dr. Templeton, der sie in seinem Landhaus eingekerkert hatte, um medizinische Experimente an ihr vorzunehmen. Und natürlich sucht sie nach Jimmy Farrell, dem Maler jenes ovalen Porträts, das ihre verblichene Freundin (Schwester?) Lucy zeigt. Und vielleicht, nur vielleicht will sie auch Poe wiedersehen.

Ihr Weg führt sie über eine Heide zu dem einsamen Kaff, das nahe einer Kalkgrube liegt und sich den seltsamen Namen Rattleborough gegeben hat. An einer Kreuzung erteilt dem Kutscher ein freundlicher älterer Herr namens Barnabas Shuttleworthy Auskunft, wo’s langgeht. War das Scherz?, fragt sich Leonie, als sie in dem Städtchen ankommt: Es ist keine Menschenseele zu sehen! Sie muss hier mindestens zwei Tage übernachten, bis die nächste Postkutsche sie nach New York City bringt. Aber wo ist hier das Hotel?

Alle seien in der Kirche, sagt ihr ein sympathischer junger Mann, der sich schüchtern als Mr. Pennyfeather vorstellt. Zimmer gebe es nur im Saloon, falls ihr dieses Domizil nicht zu anrüchig erscheine. Barnabas Shuttleworthy ist sein reicher Onkel, stellt sich heraus, und er arbeite in dessen Krämerladen. Dabei wolle er doch viel lieber malen. Pennyfeather zeigt ihr seine Skizzen, darunter eine von jenem Baum an der Kreuzung auf der Heide, wo sie Mr. Shuttleworth sah. (Diese Skizze wird später noch wichtig.)

Leonie checkt im Saloon ein, der natürlich ebenso verlassen ist wie alles andere. Nur eine ganz in Schwarz gekleidete Alte mit einem unheimlichen schiefen Kopf begrüßt sie und zeigt ihr ihr Zimmer. Die Alte behauptet, sie sei nicht allein gekommen, aber diese Bemerkung kann sich Leonie nicht erklären, schließlich war sie die einzige Passagierin der Kutsche. Sie soll erst später die ominöse Bedeutung dieser Worte herausfinden.

Abends trinkt sie mit Pennyfeather ein Schlückchen Wein im Saloon. Er meint, er würde gerne seinen reichen, aber allzu geizigen Onkel beerben. Diese Worte werden von Mr. Charley Goodfellow übel aufgenommen, der ihn ermahnt, vorsichtiger in seinen Äußerungen zu sein. Als der junge Mann indigniert den Saloon verlässt, bedeutet dies das vorzeitige Ende von Leonies Abend.

Im Laden erzählt Pennyfeather von seiner Bekanntschaft mit einem gewissen Jimmy Farrell aus New York City. Das lässt Leonie aufhorchen, die ihren wahren Namen verschweigt. Wer weiß, was noch kommt. Der junge Mann erzählt, Farrell habe zwei Porträts angefertigt. Das eine war von Lucy, schließt Leonie, und das andere von Poe. Dieser habe in einem Asyl, einer Anstalt geschlafen, doch Farrell habe ihn mit offenen Augen malen müssen, was sicher nicht einfach war. Dieser Poe sei für irgendetwas berühmt gewesen, aber nun verschwunden. Und vor wenigen Tagen sei ein Mr. Baker bei Mr. Goodfellow gewesen, erfährt Leonie – das ist der Gesuchte.

Nach einem gemeinsamen Ausritt zum einsamen Baum und zur Kalkgrube legt sich Leonie schlafen, wohingegen Pennyfeather seine Uhr vermisst und sie suchen geht. Ein grausiger Laut schreckt Leonie auf: Ein verletztes Pferd steht vor dem Saloon. Sie geht hinaus und stellt entsetzt fest , dass dem armen Tier durch die Brust geschossen wurde. Es verendet auf der Stelle. Doch als die Zuschauer auch noch das blutverschmierte Sattelzeug bemerken, wird klar, dass hier nicht nur ein Pferd, sondern auch ein Mensch gestorben sein muss.

Pennyfeather stolpert verstaubt in den Saloon und berichtet, er habe einen Reiter mit zwei Köpfen auf der Heide gesehen, wo er seine Uhr suchte. Sofort richtet sich der Verdacht der Täterschaft gegen ihn. Er ist Shuttleworthy als Letzter begegnet, er will ihn beerben. Und als auch noch Goodfellow Pennyfeathers blutiges Klappmesser und eine leere Brieftasche präsentiert, ist der junge Mann schon so gut wie verurteilt. Ein Schnellgericht missachtet Leonies vernünftige Einwände.

Doch wie soll sie den ruckzuck zum Strang Verurteilten aus seinem Gefängnis unter der Kirche befreien und vor dem Tod bewahren? Er droht sogar, sich selbst zu töten, bevor sie ihn holen kommen. Da erinnert sich Leonie an Pennyfeathers Skizze des alten Baums. Und etwas stimmt daran nicht. Das heißt, seit kurzem nicht mehr. Sie fasst einen Plan, um den wahren Täter zu überführen.

_Mein Eindruck_

Der groteske und satirische Charakter der literarischen Vorlage kommt in dieser Verarbeitung kaum noch zum Ausdruck. Vielmehr legt die Dramaturgie Wert auf die horriblen und kriminaltechnischen Aspekte des Falls von Barnabas Shuttleworthys vorzeitigem Tod. Dass die Alte vom Saloon auch noch hellseherische Prophezeiungen über Leonie ausstößt, verleiht dem ganzen Vorgang eine mystische Aura. Man könnte die Handlung daher ohne weitere Probleme ins „finstere“ Mittelalter verlegen.

Was vielleicht angesichts der rabiaten Methoden der Rechtssprechung in Rattleborough recht passend wäre. In satirischer Absicht griff der Autor Poe hier die Lynchjustiz auf, die so heißt, weil sie von einem Mann namens Lynch in Lynchburg praktiziert wurde. Die „Gerichtsverhandlung“, die Leonie mit wachsender Konsternation verfolgt, ist eine grausige Farce. Dass Beweise und Vernunftgründe nichts gelten, sondern man vielmehr nach dem „Augenschein“ und anhand der Aussage gewisser Respektspersonen – nämlich Charley Goodfellow – urteilt, spricht dem Rechtswesen Hohn, scheint aber in gewissen hinterwäldlerischen Gemeinden Usus gewesen zu sein. (Poe war ein Zeitungsmann. Er wusste genau über die Vorgänge in den USA Bescheid und nahm sie oftmals auf die Schippe.) Es verwundert nicht, dass die Stimmung wenig später umschlägt. Poes Ton ist sarkastisch. Er zeigt auf, dass sich diese Art der „Justiz“ genauso verhängnisvoll gegen ihre „ehrenwerten Vertreter“ richten kann.

VORSICHT, SPOILER!

Nur vor diesem sonderbaren Hintergrund lässt sich erklären, dass Leonies Trick funktioniert. Wer die Story kennt, weiß zwar Bescheid, aber erst ganz am Schluss klärt uns die Ich-Erzählerin darüber auf, wie sie Mr. Goodfellow zu seinem Mordgeständnis gebracht hat. Die Szene an sich, als die Leiche Shuttleworthys sich aufrichtet, ist natürlich eines Poe würdig. Doch dass sich Goodfellow gleich durch seinen Schrecken zum Geständnis bereit findet, wirkt eher geeignet fürs Kindertheater. Wo bleiben die Vernunftgründe, die es einem Erwachsenen erlauben würden, der Szene Glauben zu schenken? Ich finde, die Dramaturgie hätte die Szene besser ausarbeiten müssen.

SPOILER ENDE

Die Antwort auf die Frage, ob Leonie den jungen Mr. Pennyfeather retten kann, werde ich nicht verraten. Bitte selbst hören! Und dann mit Leonie Goron weiter gen New York City reisen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Miss Leonie Goron

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. In Folge 12 hat er sich allerdings von ihr getrennt und sie schlägt sich alleine durch, mit sichtlichem Erfolg.

Mr. Pennyfeather

Der Schauspieler Mathias Koeberlin ist ja seit seinem Auftritt in „Das Jesus-Video“ kein Unbekannter mehr. Auch was Hörbücher angeht, tauchte sein Name schon mehrmals auf. Erstmals tritt er nun in der POE-Serie auf – und hinterlässt einen sehr guten Eindruck. Er spielt den schüchternen Jüngling mit einer zögerlichen, stockenden Stimme, die nur dann in eine flüssige Redeweise übergeht, wenn der Alkohol etwas nachhilft.

Andere Sprecher

Ich sollte noch Christian Rode als Goodfellow erwähnen. Häufig ist seine feste, tiefe Synchronsprecherstimme in Sherlock-Holmes-Hörspielen zu hören. Und auch Alexandra Lange soll nicht verschwiegen werden, die die Alte im Saloon spricht, sozusagen als Kassandra. Ihre heisere, etwas kurzatmige Sprechweise passt genau zu dieser ominösen Matrone.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet.

Da die Episode hauptsächlich auf dem Lande spielt, gehören zu den entsprechenden Geräuschen wiehernde und trappelnde Pferde, bellende Hunde, Kirchenglocken, Donnergrollen und eine Postkutsche. Kaum ist Leonie jedoch im Saloon, verstärkt ein Halleffekt ihre Stimme und Schritte. Diese relativ heimeligen Sounds werden jedoch von der Musik konterkariert.

Die Musik hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung zahlreichen Szenen, so etwa die im Saloon. Doch als Leonie das erste Mal einen Fuß in dieses Etablissement setzt, ist es menschenleer – dennoch ertönt ein Honkytonk-Piano, wie man es schon in tausend Western gesehen und gehört hat. Nur ist es diesmal völlig verstimmt. Es klingt schaurig tief und obendrein wird das Poe-Thema angestimmt. Die Musik unterläuft die ansonsten normalen Geräusche. Merke: Etwas ist faul im Dorfe Rattleborough …

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Dazu gehören auch ein gesummter Choral und ein unheilvolles Requiem „Dies irae, dies illa“. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen.

_Unterm Strich_

Die wackere Leonie Goron betätigt sich hier als Detektivin und Ein-Frau-Polizeitruppe, denn so etwas wie ein legitimes Justizwesen gibt es in dem Provinzkaff nicht, in dem sie Zwischenstation macht. Wie Poes anderer berühmter Detektiv Auguste Dupin sammelt sie Fakten und Hinweise – allerdings wirkungslos. Also muss sie zu einem faulen Zauber Zuflucht nehmen, der aber endlich die gewünschte Wirkung zeitigt. Die Bürger dieses Kaffs sind tatsächlich dem Aberglauben zugänglicher als der Vernunft. Die satirische Absicht dahinter ist unübersehbar.

In dieser solide umgesetzten Episode erleben wir auch das Seriendebüt von Mathias Koeberlin und hoffen, künftig noch viel mehr von ihm hören zu dürfen. Iris Berben wird bereits in den nächsten beiden Episoden auftreten, zunächst als „Signora“ in „Das Fass Amontillado“, später als Leonie Goron in „Das verräterische Herz“.

|Basierend auf: Thou art the man!, ca. 1845
67 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos auf http://www.poe-hoerspiele.de.|

John Sinclair – Meine Henkersmahlzeit (Folge 146)

Die Handlung:

Was für eine ungewöhnliche Einladung meines Vaters, der plötzlich in London auftauchte und mich in die Bar des Kensington Hilton bestellte! Ich konnte ja nicht ahnen, dass ein alter Gegner unserer Familie wieder aufgetaucht war: Akim Samarans Geschöpfe standen bereit, um meine Henkersmahlzeit aufzutischen! (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

Diesmal hat sich der Verlag an die Hörspielumsetzung des Heftromans mit der Nummer
359 gemacht, das erstmalig am 22. Mai 1985 am gut sortierten Bahnhofskiosk oder manchmal auch in einer Buchhandlung zu bekommen war.

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Gablé, Rebecca – Siedler von Catan, Die (Lesung)

_Turbulente neue Welt Catan: actionreiche Abenteuer_

Die christlichen Völker schreiben etwa das Jahr 850: Die Bewohner von Elasund, einem Küstendorf im hohen Norden, leben vom Fischfang und dem, was sie ihren kargen Feldern in drei kurzen Sommermonaten abzuringen vermögen. Doch als die feindlichen Turonländer das Dorf überfallen, das Vieh stehlen und die Frauen rauben, erkennen die Ziehbrüder Candamir und Osmund, dass ihre Tage in der alten Heimat gezählt sind. Auch Osmunds Onkel Olaf, ein weit gereister Kauffahrer, plädiert dafür, im westlichen Meer ein neues Land zu suchen.

Nach einem bitteren Hungerwinter bricht die ganze Dorfgemeinschaft mit neun Schiffen zu einer beschwerlichen Seereise auf. Nach drei Wochen schließlich verschlägt ein Sturm die Auswanderer an die Nordwestküste jener Insel, die sie bislang nur aus der Sage kannten: Catan. Odin, erzählt die Legende, habe dieses Land einst erschaffen, um eine schöne Albentochter zu entzücken, und deshalb habe er es vollkommen gemacht. Voller Hoffnung erkunden die Siedler die große Insel, roden Wälder und bestellen den fruchtbaren Boden. Alle Not könnte ein Ende haben, hätten sie nicht ihre Vergangenheit und ihre Zwistigkeiten aus der alten Heimat mitgebracht … (Verlagsinfo)

_Die Autorin_

Rebecca Gablé, 1964 in einer Kleinstadt am Niederrhein geboren, absolvierte nach dem Abitur eine Lehre als Bankkauffrau. Diesen Beruf übte sie einige Zeit auf einem Stützpunkt der Royal Air Force aus, wo sich ihr Interesse für England vertiefte. 1990 schrieb sie ihren ersten Roman und begann danach ein Literaturstudium in Düsseldorf, wobei sie sich zunehmend auf die Mediävistik – die Lehre vom Mittelalter – konzentrierte. Seit 1996 ist sie freie Schriftstellerin und Literaturübersetzerin.

1995 erschien ihr Krimi „Jagdfieber“, der dann auch für den „Glauser“-Krimipreis nominiert wurde. Sie trat der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur – dem Syndikat – bei, dessen Sprecherin sie derzeit ist und gehört dem Verband deutscher Schriftsteller an.

Sie lebt mit ihrem Mann unweit von Mönchengladbach auf dem Land und reist oft und gerne in die USA und nach Großbritannien. Neben dem Lesen ist Musik ihre bevorzugte Freizeitbeschäftigung. Sie spielt selbst Klavier und singt manchmal in einer Rockband. (zitiert nach: |buchkritik.at|)

Nach den Bestsellern „Das Lächeln der Fortuna“, „Das zweite Königreich“ und „Der König der purpurnen Stadt“ ist „Die Siedler von Catan“ ihr vierter historischer Roman. Der Hintergrund ist an das gleichnamige Spiel angelehnt. Im Herbst 2005 erscheint ihr fünftes Historienepos „Die Hüter der Rose“.

_Der Sprecher_

Martin May, 1961 in Coburg geboren, wurde bereits mit 18 Jahren von Rudolf Noelte als Schauspieler entdeckt. Es folgten über hundert weitere Rollen bei Film, Fernsehen und Theater, unter anderem in Wolfgang Petersens Welterfolg „Das Boot“. May lebt mit seiner Familie bei Hamburg.

_Handlung_

Die Story kommt sofort mit einer Actionszene in die Gänge: Die Turonländer überfallen das Dorf Elasung, in dem die zwei Hauptfiguren des Buches leben: Candamir Oleson und sein Freund Osmund. Sie können weder verhindern, dass es viele Tote und Verletzte gibt, noch dass die große Scheune abbrennt. Lediglich Candamirs Bruder Hakon lässt sich retten. Später taucht Candamirs Schwester Asta mit einem ungeborenen Kind auf, verstoßen vom Stamm ihres Mannes. Es wird ein verdammt harter Hungerwinter.

In den langen Nächten erinnern sie sich mancher Geschichten versprengter Seefahrer, die ein Sturm bis in den Äußersten Westen verschlagen hatte, wo sie dann auf unbekanntes, leeres Land gestoßen waren. Im Frühjahr bauen sie Schiffe, um dorthin zu gelangen. Bevor es losgeht, muss die alte Schamanin Brigitta das Runenritual ausführen, um günstige Vorzeichen zu finden. Zum Glück hat Candamir Brigittas Sohn nicht im Zweikampf getötet – sonst würden die Vorzeichen wohl ungünstig ausfallen.

Bei einem Zwischenstopp in König Knuts Land verrät dessen Frau Siglind Candamir, dass Knuts Leute Candamirs Gefährten an Land betäubt hätten, um die Schiffe zu rauben. Siglind, die einst von Knut geraubt worden war, will mit Candamir in die Freiheit segeln. Mit knapper Not gelingt die Flucht vor den Verfolgern. Auf dem Schiff unterrichtet Candamirs britischer Sklave Austin Hakon und Siglind. Wie Austin glaubt auch Siglind an den dreifaltigen Gott der Christen.

Die Fahrt führt über Norwegen, Schottland, Irland und die Bretagne auf den Atlantik hinaus, wo mehrere Stürme die kleine Flotte versprengen. Acht Tage bläst sie der Sturm nach Westen und fordert 14 Tote, danach kehrt er zurück. Candamirs Schiff läuft auf ein Riff auf und sinkt. Immerhin kann sich die Besatzung an Land retten: Catan – Odins Paradies, wie die alte Brigitta erklärt.

Und so entstand Catan einst: Göttervater Odin warb um eine schöne Frau namens Tanuri, doch sie forderte von ihm ein vollkommenes Land, in dem sie leben könne. Er schuf Tanuris Insel, doch die Umworbene fand immer weitere Mängel, weil es das perfekte Land nicht geben kann. Also entrückte Odin diese Insel der besiedelten Welt.

Ist Catan also das Paradies? Wohl doch nicht. Kommende Konflikte künden sich an. Candamirs Sklavin bekommt ein Kind von ihm und will geheiratet werden. Er will aber lieber die schöne Siglind zur Frau nehmen, was dann auch nach langem Hin und Her klappt. Da sie Christin ist und nicht dem Stamm angehört, muss Candamir nicht nur seine Glaubensüberzeugung ändern.

Außerdem landen die Mannen um Olaf und seinen Sohn Jared in Catan. Sie beharren auf der Verehrung der alten Götter und der Befolgung der überkommenen Sitten und Bräuche – wozu auch der sexuelle Missbrauch von Sklaven gehört. Candamir, Hakon und Siglind haben sehr unter Olaf & Co. zu leiden. Tatsächlich spaltet sich der Stamm in zwei Kulturen auf, von denen das Jared-Volk in Höhlen unter der Wüste lebt.

Wer Sieger bleibt, ist über Jahre hinweg offen, doch „es kann nur einen geben“, wie es so schön heißt. Und so ist für eine Menge Action, Liebe und Leidenschaft gesorgt.

_Mein Eindruck_

|Catan, das Gelobte Land|

Das klingt nach einem Abenteuergarn alter Schule, doch tatsächlich gibt es in all dem turbulenten Geschehen auch einen ernstzunehmenden Faden: Es geht um die Errichtung eines reformierten Gemeinwesens, das sich von überkommenen Werten und Sitten abkehrt. Das erinnert doch stark an die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika im 17. und 18. Jahrhundert.

|Die Revolution von Catan|

Der Unterschied ist jedoch, dass diese „Revolution von Catan“ bereits im 10. oder 11. Jahrhundert stattgefunden haben muss, als die Wikinger zahlreiche Kolonien gründeten – in der Normandie, auf Sizilien, in Russland. Der Konflikt zwischen nordischem Götterglauben und neuem christlichem Glauben war vorbestimmt und wird denn auch in Catan bis aufs Blut ausgetragen.

|Ein cooler neuer Gott?|

Es ist nun nicht so, dass die Hauptfigur Candamir über Nacht sagt: „Hey, Sklave, das ist ein cooler Gott, von dem du faselst – den übernehme ich.“ Vielmehr ist es für ihn ein langer Prozess von Versuch und Irrtum, bis er von alten Sitten und Bräuchen lässt. Er beginnt, die Werte von Austin und Siglind, den beiden Christen, zu akzeptieren. Auch Hakon, sein Bruder, ist als Austins Schüler beeinflusst. Die Kluft macht sich im täglichen Leben, wie etwa der Sklavenhaltung, bemerkbar. Auch gegen die Schamanin gilt es sich durchzusetzen. Und mit Olafs Sippe bricht offener Krieg aus. Selbst ein Exodus garantiert nicht, dass die christlich gesinnte Sippe überlebt, denn Olafs Arm reicht weit.

|Mittelalter, eine Zeit des Umbruchs|

Rebecca Gablé versteht sich als Dozentin für mittelalterliche englische Literatur auf die authentische Darstellung mittelalterlicher Denk- und Lebensweisen. Anders als man lange Zeit dachte, war das Mittelalter eine tumultreiche Epoche, in der das europäische Erbe des christlichen Königs Karls des Großen von schweren Erschütterungen wie dem Mongolensturm (ca. 1250) und dem Konflikt zwischen Kaiser und Papst während der Kreuzzüge gekennzeichnet war, während England den Wikingern bzw. Normannen (= Nordmänner) in die Hände fiel. Feudalstaaten wie Frankreich und Großbritannien bildeten sich heraus, bis die Pest im Jahr 1348 fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung dahinraffte. Der Fortschritt verlagerte sich in die italienischen Stadtstaaten, die vom Exodus der Byzantiner nach dem Fall Konstantinopels 1453 profitierten: Die Renaissance begann.

|Jugendfrei?|

Genau wie die Sitten jener Zeit ganz schön rauh waren, so spielt sich auch das Leben in „Die Siedler von Catan“ nicht immer friedlich ab. Öffentliche Züchtigungen, Zweikämpfe, Überfälle und Vergewaltigungen scheinen selbst im gelobten Land an der Tagesordnung zu sein. Nicht, dass gegen Realismus in sexuellen Dingen etwas einzuwenden wäre, doch muss sich die nicht jugendfreie Darstellung auch auf die Vergewaltigung männlicher Sklaven erstrecken? Eltern seien entsprechend gewarnt.

|Der Sprecher|

Martin May ist offensichtlicher Routinier in Sachen Sprechen und Vortrag. Seine Lesung, die kaum einmal mit Musik oder Sound unterlegt ist, überzeugt durch eine deutliche Aussprache, hervorhebende Pausen und eine sympathische Satzmelodie. Es gibt Sprecher, die ihren Text einfach herunternudeln, ohne auf Betonung und Pausen zu achten. May gehört zum Glück nicht dazu. Die 440 Minuten (über 7 Stunden) sind solcherart durchaus zu ertragen, und mit Spannung legt man die nächste CD ein.

_Unterm Strich_

„Die Siedler von Catan“ ist die literarische Form des bekannten Spiels. Die Autorin Rebecca Gablé hat sich einen möglichen Handlungsverlauf herausgepickt und weitergesponnen. Wie schon der Beginn der Saga, ist auch der weitere Verlauf in Catan von turbulenten Konflikten gekennzeichnet. Nicht Friede, Freude und Eierkuchen herrschen hier, sondern der Zwist zwischen zwei gegensätzlichen Göttern – dem christlichen und dem nordischen – sowie ihren jeweiligen Anhängern. So war das ja schon bei den amerikanischen Pilgervätern, die vor religiöser Verfolgung in England flohen.

Gablés Buch ist besonders in der gekürzten Hörbuch-Fassung geprägt von Liebe, Leidenschaft und Kampf, aber auch die unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen kommen deutlich zur Geltung. Realistische Darstellung von Sex und Gewalt jedoch veranlasst mich, Eltern entsprechend zu warnen: Diesen harten Stoff sollte man nicht unbedingt Kindern antun, sondern warten, bis diese etwa 15 oder 16 sind.

|440 Minuten auf 6 CDs
[Besprechung 258 der Buchfassung|

Andrea Camilleri – Die Form des Wassers (Lesung)

Die Leiche eines bekannten Politikers wird auf dem Strich von Vigata gefunden – ein Skandal erster Güte droht loszubrechen. Commissario Montalbano wundert sich. Dieser Fall verhält sich wie Wasser: Es hat immer die Form, die man ihm gibt. – Dieser Krimi war der erste, mit dem das Werk Andrea Camilleris dem deutschen Publikum vorgestellt wurde – mit größtem Erfolg, wie sich herausgestellt hat.

_Der Autor_

Andrea Camilleri ist kein Autor, sondern eine Institution: das Gewissen Italiens. Der 1925 in dem sizilianischen Küstenstädtchen Porto Empedocle geborene Camilleri ist Autor von Kriminalromanen und -erzählungen, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur.

Die Hauptfigur in vielen seiner Romane, Commissario Salvo Montalbano, gilt inzwischen als Inbegriff für sizialianische Lebensart, einfallsreiche Aufklärungsmethoden und südländischen Charme und Humor.

Allerdings ist der Commissario nicht der Liebling aller Frauen: Zu oft hindert ihn sein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein daran, dringende Termine mit seiner jeweiligen Freundin wahrzunehmen.

_Das Hörspiel_

Das 110 Minuten lange Hörspiel wurde beim Südwestdeutschen Rundfunk SWR produziert. Es treten acht Hauptsprecher auf sowie der Erzähler. Daneben hören wir noch 16 weitere Sprecher in Nebenrollen. Die Musik stammt von Henrik Albrecht, die Bearbeitung wie immer von Daniel Grünberg. Regie führte Leonhard Koppelmann – wie bei allen anderen Camilleri-Hörspielen:

– Die Stimme der Violine
– Das Spiel des Patriarchen
– Der Hund aus Terrakotta
– Der Dieb der süßen Dinge

_Handlung_

Der angesehene Ingenieur und Politiker Silvio Luparello wird eines frühen Morgens von zwei Straßenfegern an einem anrüchigen Strand tot in seinem Auto aufgefunden. An diesem Strand pflegen sich die Huren mit ihren Freiern zum Stelldichein zu treffen. Hatte der honorige Ingenieur so etwas nötig? Falls ja, wäre das ein Skandal ersten Grades und besonders schädlich für das Ansehen seiner konservativen Partei. Die Polizei entscheidet diplomatisch, dass der Tote einem Herzinfarkt zum Opfer fiel – wir wollen doch keinen Skandal in Vigata, oder?

Commissario Salvo Montalbano jedoch kommt die ganze Sache nicht koscher vor. Da scheint doch mehr dahinter zu stecken. Schon am nächsten Tag nämlich wird dringend ein wertvolles Collier gesucht, das an der Unfallstelle vermisst wird. Einer der Müllmänner hat das Collier gefunden und heimlich eingesteckt. Merkwürdig ist nun, dass ausgerechnet Ingenieur Luparellos schärfster politischer Gegner, der Anwalt Rizzo, danach suchen lässt…

Schon bald ereignen sich bei Montalbanos Ermittlungen unverhoffte Enthüllungen, die schaurige Einblicke in die Abgründe der lokalen Gesellschaft gestatten. Und die Lösung des Falles stellt sich je nach Blickwinkel anders dar: genau wie die Form des Wassers sich mit dem jeweiligen Gefäß ändert.

_Mein Eindruck_

Der sehr kurzweilig zu lesende Krimi macht den Leser auf unterhaltsame Weise mit dem sizilianischen Alltag bekannt, wie er sich der Polizei darstellt: Mafiabandenkriege, Morde, Intrigen und Korruption, durchgedrehte Rentner, unschuldige Attentatsopfer und vieles mehr. Ein menschliches Panorama, beobachtet mit dem scharfen Blick der Erfahrung und des Mitfühlens.

Dabei kommt jedoch die Spannung keineswegs zu kurz. Baustein für Baustein setzt der attraktive und intelligente Commissario die Kette der Zusammenhänge zusammen, die den Eindruck vermitteln sollen, das Opfer sei von alleine gestorben. Dumm nur, dass es schon lange tot gewesen war, bevor es den „Tatort“ erreicht hatte. Und welche Rolle eine gewisse hochgewachsene Schwedin namens Ingrid spielen sollte, wird ihm auch bald klar. Die ganze Sache ist höchst politisch, doch Montalbano beweist Fingerspitzengefühl.

_Das Hörspiel_

Die Sprecher sind wieder die gleichen wie bei allen Camilleri-Hörspielen und von professioneller Qualität. Hier gibt’s nichts auszusetzen, genausowenig an dem Einsatz von Geräuschen usw. Lediglich die Hintergrundmusik besteht aus dem nervenden Jazz-Gedudel Henrik Albrechts, das in den jüngeren Camilleri-Produktionen zum Glück ersetzt wurde.

Was an der Bearbeitung auffällt, sind erstens die zahlreichen witzigen Pointen und zweitens die drastischen Äußerungen, zu denen sich der Commissario hinreißen lässt und die weit unter die Gürtellinie zielen. Das dürfte zu einige hochgezogenen Augenbrauen bei den Zuhörerinnen führen.

_Unterm Strich_

„Die Form des Wassers“ verlangt zwar große Aufmerksamkeit beim Zuhören, doch der Zuhörer wird mit vielen witzigen Situationen belohnt. Besonders auf den Gerichtsmediziner hat es Salvo Montalbano abgesehen, weil der sofort alles ausplaudert, selbst wenn er hoch und heilig Stillschweigen geschworen hat. Dies nützt Salvo listig aus, um den politischen Gegner aufs Kreuz zu legen. (Polizeiarbeit ist in Sizilien immer politisch.)

Und einen Dauer-Gag bilden Assistent Gallos miserable Fahrkünste sowie die Tatsache, dass Gallo nie lernt, dass in Italien das Reifenaufschlitzen ein Volkssport ist. Außerdem ist Inspektorin Anna Ferrara hinter Salvo her. Leider versteht sie die Anwesenheit von Ingrid der Schwedin in Salvos Schlafzimmer miss…

Abgesehen davon ist „Die Form des Wassers“ eine ordentlich spannende Episode im Leben des Commissario Montalbano.

Umfang: 110 Minuten auf 2 CDs

_Michael Matzer_ © 2003ff

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – längliche Kiste, Die (POE #14)

_Bewegtes Seestück mit Leiche_

„Die längliche Kiste“ ist der vierzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Rolf Hoppe, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Poe freundet sich mit dem Maler Wyatt an, den er am Hafen von New Orleans trifft. Sie buchen eine gemeinsame Schiffspassage nach New York. Doch kurz bevor die Passage beginnt, wird Wyatts Frau schwer krank und Wyatt selbst benimmt sich äußerst merkwürdig. Was verbirgt sich in der länglichen Kiste in seiner Kabine? Und wer treibt nachts sein Unwesen im Speisesaal des Schiffs?

Ulrich Pleitgen hat auch an den anderen Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Außerdem wirken Rolf Hoppe als Cornelius Wyatt, Cathlen Gawlich als Mrs. Wyatt, Jürgen Wolters als Kapitän Hardy, Gerald Schaale als George Appo, Mathis Schrader als Lowden und Michael Pan als Clerk mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Die längliche Kiste“ ein riesiges Portal, in dem man noch die Türhälften erkennen kann. Es ist völlig überwuchert. Der Blick dringt in einen hellen Wald, der wie ein Dschungel anmutet. Alles in allem wieder ein meisterliche Arbeit des Fotografen.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Staffel: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges, schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Ulrich Pleitgen wird näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon zwölf Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton darin spielt.

Der Vorspann rekapituliert sehr knapp die ganze Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Eleonora“, der zwölften Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Poe hat in der Episode „Das ovale Porträt“ herausgefunden, dass ein New Yorker Maler namens Jimmy Farrell ihn ebenso wie eine junge Frau namens Lucy porträtiert hat. Um herauszufinden, was Farrell über Poes wahre Identität weiß, muss Poe nach New York. Er hat schon einen Fahrschein für die Postkutsche bezahlt, als er im Hafen von Mobile, Alabama, den freundlichen Maler Cornelius Wyatt kennen lernt, der ihn überredet, mit ihm und seiner Frau per Schiff nach New York City zu segeln. Poe ist von dem Künstler sehr angetan und lässt sich überreden. Zugleich gibt er ihm Geld, um ein paar Muscheln für seine Frau zu kaufen. Wyatt scheint ihn zu kennen, kann sich aber nicht erinnern, woher.

Am nächsten Tag ist Wyatt jedoch niedergeschlagen, weil seine Frau von den Muscheln, die verdorben waren, krank geworden ist. Dennoch will er mit der „Independence“ des Kapitän Hardy segeln. Es ist das gleiche Schiff, fällt Poe auf, auf dem er Leonie Goron kennen lernte. Er bucht eine Kabine, um es ruhig zu haben. Als das Schiff einläuft, begrüßt ihn Hardy freundlich und zeigt ihm seine Kabine und den daneben liegenden Speisesaal. Wyatt ist nicht zu sprechen, und das macht Poe recht besorgt um seinen Bekannten. Ihn überkommen unruhige Gedanken, doch ein Umsteigen auf die Kutsche kommt nicht mehr in Frage: Sie ist ausgebucht.

Kurz vor dem Ablegen des Schiffes gehen Wyatt und eine verschleierte Frau an Bord. Das dürfte wohl seine Gattin sein, doch Poe wundert sich. Während Wyatts Gesicht hager und eingefallen aussieht, strahlt seine Gattin, die doch sehr krank war, vor Gesundheit. Tatsächlich ist sie sogar die Fröhlichkeit in Person! Das kommt Poe geradezu pietätlos vor. Auf einem Wagen wird eine zwei Meter lange Kiste antransportiert und in Wyatts Kabine verfrachtet. Nur dessen Name steht darauf, das Tannenholz ist noch frisch. Nächstes Kommando: Leinen los!

Nach einem heiteren Start mit einer noch heiteren Mrs. Wyatt schlägt die Stimmung jedoch um: Käptn Hardy wittert Sturm. Poe kann nicht mehr schlafen und hält sich sogar mit Kaffee wach. Irgendetwas geht in den Kabinen und dem nahen Speisesaal vor sich. Ständig hört er Geräusche und wispernde Stimmen. Einmal huscht Mrs Wyatt von einer separaten Kabine (!) in Mr. Wyatts Domizil – dort befindet sich die ominöse Kiste. Und Wyatt selbst sieht allmählich aus wie der leibhaftige Tod. Proviant verschwindet und ein Messer, das der Koch vermisst. Offenbar gibt es einen blinden Passagier an Bord – das würde einige der Rätsel erklären.

Aber nicht alle …

Als der Sturm das Schiff zum Sinken bringt und alle in die Boote müssen, kommen einige der Geheimnisse der „Independence“ ans Tageslicht. Mit fatalen Folgen.

_Mein Eindruck_

Diese Episode hält sich erstaunlich genau an die bekannte literarische Vorlage. Nur dass diesmal natürlich der Augenzeuge unser bekannter Unbekannter ist, der sich aus einer Laune heraus den Namen „Edgar Allan Poe“ zugelegt hat. Sein Rätsel bleibt bestehen. Und weiterhin wird aus dem relativ anonymen Passagier, der die fatale Kiste an Bord bringt, ein guter Bekannter, an dessen traurigem Schicksal „Poe“ großen Anteil nimmt.

Die für die Serie charakteristischen Momente der Spannung und des Grauens beschränken sich auf die mysteriösen Vorgänge unter Deck. Kein Albatross fällt unheilverkündend vom Himmel, keine Leiche wandelt gespenstisch an Deck – obwohl einmal fast so aussieht. Vielmehr ist es die klaustrophobische Enge in seiner Kabine, die Poe zusetzt und seinen labilen Geisteszustand ins Wanken geraten lässt. Leicht hätte die Dramaturgie eine Vision einbauen können, doch sie bleibt aus, hätte sie doch den begrenzten Umfang des Stückes gesprengt.

VORSICHT, SPOILER!

Wie so häufig bei Poe entsteht das eigentliche Grauen daraus, dass es einen grotesken Widerspruch zwischen der quicklebendigen angeblichen Mrs. Wyatt und ihrem sichtlich dahinsiechenden Gatten gibt. Als sich diese Rolle als Lug und Trug entpuppt, öffnet sich dahinter ein noch größeres Grauen. Die in der titelgebenden Kiste liegende echte Mrs. Wyatt ist zwar mausetot, scheint aber ihrem – noch – lebenden Gatten auf ghoulische Weise den Lebenssaft auszusaugen. Dass beide ihr Ende gemeinsam in der tiefen blauen See finden sollen, erscheint nur folgerichtig.

SPOILER ENDE

Doch genau wie die nächste Episode bringt dieser Zwischenfall auf der Reise nach New York City die Story nicht weiter und verändert auch die Hauptfigur in keiner Weise. Die Episode „Du hast’s getan“ sieht Leonie Goron in einem Provinzkaff einen Mordfall aufklären. Aber sie stößt ebenfalls auf die Spur von Doktor Baker alias Templeton und die des Malers Jimmy Farrell. Diesen müssen sie und Poe gleichermaßen dringend suchen, sobald sie in der Metropole anlangen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Pleitgen spielt die Hauptfigur E. A. Poe, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Im ersten Teil des „Eleonora“-Traumes schwelgte sein Poe in verliebter Seligkeit. Umso gequälter klang Poe in der zweiten Traumhälfte, als ihn die tote Geliebte in seinen Albträumen heimsucht. Dieser Stimmungswandel leitete die Trennung von Leonie ein und machte sie ein wenig nachvollziehbarer. Deshalb ist Poe in diese Episode allein, und Pleitgen muss ohne Berben an seiner Seite auskommen.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Wir hören das Schreien der Möwen ebenso wie das unablässige Knarzen von Tauen und Dielen an Bord der „Independence“.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen, so etwa während der Sturms und der mysteriösen Vorgänge unter Deck. Diesmal ist mir insbesondere die verstärkte Rolle der Bässe aufgefallen. Sie werden nicht etwa elektrisch erzeugt, wie von einer Gitarre, sondern von einem Klavier. Doch wurden die tiefen Töne derart durch die Echokammern und Verzerrer gejagt, dass daraus ein erschütterndes Grollen herauskam, das das Gehör des Publikums auf einer unterschwelligen Ebene beeinflusst und unwillkürlich Furcht erzeugt. Raffiniert!

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen.

_Unterm Strich_

Diese Episode bringt die Handlung zwar nicht weiter, aber den Helden wenigstens von A nach B, um nach dem Schlüssel zu seiner wahren Identität zu suchen. Unterwegs erlebt er eines von Poes weniger grausigen Abenteuern, ein Seestück sozusagen, das mehr von der Atmosphäre getragen wird als von Rationalität oder gar Action.

Doch die akustische Umsetzung ist den Machern so überzeugend gelungen, dass ich mich bei dem Wunsch ertappe, sie würden dereinst mal „Die Abenteuer des Arthur Gordon Pym aus Nantucket“ orchestral zu Gehör bringen, inklusive abschließendem „tekeli-li“. Von diesem Punkt aus ließe sich sich die Geschichte entweder als Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ weiterführen oder als Jules Vernes „Die Eissphinx“. Beides sind herausragende Werke des phantastischen Genres. Eine weiterer Anknüpfungspunkt besteht in Michael Marraks „Imagon“. Hier könnten endlich mal deutsche Autoren Berücksichtigung finden.

|Basierend auf: The oblong box, ca. 1845
57 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos auf http://www.poe-hoerspiele.de |

Wolfgang Hohlbein – Als der Meister starb (Gespenster-Krimi 2)

Dramatisch inszeniertes Grusel-Hörspiel

Man schreibt das Jahr 1883. Vor der Küste Schottlands zerschellt der Viermastsegler „Lady of the Mist“ auf den tückischen Riffen. Okkulte Kräfte haben ihn angegriffen. Nur wenige Menschen überleben die Katastrophe, unter ihnen befindet sich ein Mann, der die Schuld an dem Unglück trägt. Ein Mann, der gejagt wird von uralten, finsteren Göttern, aber auch von Zauberern, denen er zu entkommen suchte: Roderick Andara, den man den „Hexer“ nennt. (Verlagsinfo)

|Hinweis|

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Ken Follett – Die Kinder von Eden (Lesung)

Kann der Mensch ein Erdbeben produzieren? Was recht unwahrscheinlich klingt, geschieht in Kalifornien: Eine Sekte von Späthippies fordert damit den Gouverneur heraus, um den Bau eines Staudamms zu verhindern, der ihr Tal überfluten würde. – Eines von Follets schwächeren Werken, aber stellenweise dennoch spannend und sogar apokalyptisch.

Der Autor

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Gaspard, Jan – Offenbarung 23 – Machiavelli (Hörbuch)

Mithras oder Wie man einen Messias produziert

Georg Brand, der Berliner Hacker „T-Rex“, ist nur der Spielball eines mächtigen und uralten Ordens, der sich im Zeichen des Gottes Mithras zum Ziel gesetzt hat, dem verstorbenen Hacker Tron einen würdigen Nachfolger zu geben. Doch Ian G. alias Jan Gaspard und seine Ordensbrüder Tom alias Mista Beat und Parish alias Tupac Amaru Shakur müssen sich mit einem zweihundert Jahre alten Widersacher auseinander setzen, der ihre Pläne durchkreuzt: mit dem Baron. Und dieser Schurke scheint seine Finger überall drin zu haben.
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