Vincent will als Architekt prächtige Stadthäuser bauen. Ruben sehnt sich nach Abenteuern auf hoher See. Betje ist eine begnadete Köchin. Zusammen sind die Geschwister in Amsterdam gestrandet, einem Ort der märchenhaften Möglichkeiten. Doch es ist auch die Zeit der großen Auseinandersetzungen. Katholiken und Calvinisten streiten um den rechten Glauben, Engländer und Spanier um den Einfluss auf das Land am Meer, Kaufleute um die wirtschaftliche Macht. Können sich die Geschwister in dieser schwierigen Situation behaupten? (Verlagsinfo)
Der Mörder geht nach einem perfiden Plan vor: Detailgetreu stellt er die Morde einer Bestseller-Trilogie nach. Und die sind äußerst brutal und erinnern an mittelalterliche Foltermethoden. Die Opfer – allesamt Frauen. Ist ein Fan der Trilogie durchgedreht? Kommissarin Jessica Niemi und ihr Team ermitteln unter Hochdruck, doch der Mörder ist ihnen immer einen Schritt voraus. Die Ermittler tappen im Dunkeln, bis ihnen klar wird, dass die Opfer Jessica Niemi erschreckend ähnlich sehen … (Verlagsinfo)
Konrad ist Bewertungsprofi. Er schreibt Rezensionen fürs Internet. Auch privat versieht er alles mit Sternen: die flinke Kassiererin, den lauwarmen Kaffee … und Pia, die neue Lehrerin seiner Tochter Mathilda. Zu hübsch, zu unsicher, nicht geeignet für den Lehrberuf. Gerade mal zwei knappe Sterne von fünf. Als Pia davon Wind bekommt, will sie ihn erst ordentlich büßen lassen. Doch als einer ihrer Schüler von der ganzen Klasse übel gemobbt wird, erweist sich ausgerechnet Konrad als große Hilfe … (Verlagsinfo)
Als Zwölfjährige entkam Rain Winter nur knapp einem grausamen Entführer, der danach selbst Opfer eines kaltblütigen Mordes wurde. Viele Jahre später – Rain arbeitet inzwischen als Journalistin – stößt sie auf einen rätselhaften Fall, der auffällige Parallelen zu dem Mord an ihrem Entführer aufweist. Am Tatort hinterließ der Mörder ein rotes Kristallherz, das Rain allzu bekannt vorkommt – und auf einmal ist das dunkelste Kapitel ihrer Kindheit wieder beängstigend nah … (Verlagsinfo)
Im englischen Villenviertel Severn Oaks fühlen sich die Menschen sicher. Wäre da nicht der rätselhafte Tod von Erica Spencer, einer allseits geschätzten Nachbarin, die letzten Herbst bei einer Halloweenparty ums Leben kam. Ein Jahr später ist der Fall längst als tragischer Unfall zu den Akten gelegt, als ein rätselhafter Podcast die Runde macht: Der Mord an Erica Spencer. Wöchentlich postet ein anonymer Absender neue Folgen seiner makabren Sendung, in der er hinter die scheinbar makellosen Fassaden des Ortes blickt und so manches dunkle Geheimnis seiner Bewohner enthüllt. Seine Absicht: Er will den Mörder von Erica entlarven – und ruft ihn damit erneut auf den Plan …(Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
„Das Gift deiner Lügen“ ist eine ausgeklügelte Mischung aus Psychothriller und Gesellschaftssatire über privilegierte Menschen. Der Schreibstil ist ganz wunderbar; flüssig, lebendig und der schwarzhumorige beziehungsweise selbstironische Unterton ist sehr unterhaltsam!
Umweltinspektor Pierre Sénéchal erhält den Auftrag, den Quastenflosser zu schützen, einen geheimnisumwobenen Dinosaurierfisch. Der Auftrag gestaltet sich wider Erwarten schwierig: Die Suche nach dem Fisch führt direkt in eine Mördergrube, eine exotische Welt, dunkel und brutal. Welches Geheimnis umgibt den Fisch? Für Pierre Sénéchal wird die Ermittlung zu einer Hetzjagd durch die Welt Financiers, Jäger und Sammler. Bald ist auch sein eigenes Leben in Gefahr … (Verlagsinfo)
Der Autor
Patric Nottret hat kriminalistische Hörspiele für das Radio geschrieben, bevor er sich mit seinem ersten Thriller [„Grünes Gift“ 4533 in Frankreich in die Bestseller-Charts katapultierte. Danach folgte „Über den Wäldern ruht der Tod“. Sein dritter Roman um den Umweltinspektor Pierre Sénéchal ist „H2O“. Nottret wurde laut Verlagsinfo 1953 in Saint-Denis de la Réunion geboren und hat eine ökologische Ausbildung vorzuweisen.
Handlung
Inspektor Pierre Sénéchal wurde von der großmächtigen Chefin der Umweltpolizei FREDE, Madame Pottier, auf die Insel Réunion geschickt. Auf dem französischen Überseebesitz gehen merkwürdige Dinge vor sich, nicht zuletzt die verbotene Jagd auf den seltensten Fisch der Welt, einen urtümlichen Quastenflosser, der aus der Zeit vor 350 Mio. Jahren stammt. Außerdem ist hier offenbar ein Fischerboot in die Luft gejagt worden. Nicht gerade ein friedliches Inselchen, wie es dem Inspektor scheint. Aber Madagaskar ist ja nicht allzu weit weg. Was kann man da schon erwarten.
Sénéchal nimmt sich die Verdächtigen gleich mal zur Brust und begibt sich an Bord der Segeljacht, die der Abyss Foundation gehört. Der Kapitän stellt sich als Hans Ziegler vor, doch das Boot scheint einem Mann namens Charles Designe zu gehören. Beide erzählen ihm eine Larifari-Geschichte, aber was er wirklich interessant findet, sind das Tauchboot, das an der Seite des Boots vertäut ist, und das hochmoderne Labor, das mit Elektronik vollgestopft ist und in dem fünf Wissenschaftler arbeiten. Das Tauchboot weist eine Platinsonde auf, eine sauteure und hochempfindliche Ausrüstung. Damit kann man auch in der Tiefsee sondieren, genau dort, wo sich der empfindliche Quastenflosser tagsüber herumtreibt. Der Urfisch kommt nur nachts in oberflächennahe Gewässer.
Bei einem Anruf beim Umweltprogramm UNEP der Vereinten Nationen in New York City erfährt Sénéchal, dass sich in Jakarta, der Hauptstadt Indonesiens, ein UNEP-Manager in den Tod gestürzt habe. Bemerkenswert war an Shakif Mahakaram, dass er besonders die noch seltenere Quastenflosserart Indonesiens schützte. Aus einem Zeitungsartikel erfährt Sénéchal, dass es ausgerechnet Charles Designe und Kapitän Ziegler waren, die dort mit Mahakaram aneinandergerieten: Sie waren hinter dem Urfisch her.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, muss Sénéchal nach Indonesien fliegen. Der dortige Generaldelegierte der UNEP, Xi Ping Zhu, empfängt ihn, erzählt von dem armen Shakif und gibt Sénéchal in die Obhut des Militärgeheimdienstlers Thamnir. Mit den von Xi erhaltenen Unterlagen kann Sénéchal herzlich wenig anfangen, weshalb er sich zuerst zu Shakifs Familie begibt. Die Witwe ist verschlossen, hat aber einen schrecklichen Fehler gemacht: Sie hat Shakifs Laptop auf die nahe Müllhalde für Elektronikschrott geworfen. Zusammen mit ihrem Sohn Lang findet Sénéchal dort nur noch Überreste, aber immerhin auch Shakifs Schuhe. Er lässt auch das, was er in Shakifs leerem Schreibtisch an Staub und Glas gefunden hat, ins FREDE-Labor nach Paris schicken. Soll sich doch Lucrèce, der Chemiker, damit herumplagen.
Wenigstens kann sich Sénéchal jetzt, da sein brasilianischer Kollege Edouard eingetroffen ist, die Arbeit mit ihm teilen. Edouard kennt sich sehr viel besser mit Kriminalistik und Waffen aus. Er stößt auf die Leiche eines Motorradfahrers – am Grunde eines Schlammtümpels. Sehr ungesunde Gegend, besonders wenn man einen Revolver dabei hat. Im Gartenhäuschen der Mahakarams stößt er auf ein Funkgerät und Unterlagen einer Firma, der früher mal Auftraggeber von Designe und Ziegler war – und es vielleicht immer noch ist: der Konzern von Akira Takenushi, einem über hundert Jahre alten Japaner, der in Jakarta lebt und arbeitet.
Dem stattet Sénéchal mal einen Besuch ab. Auf den Hügeln über der Millionenstadt ist die Luft wesentlich besser. Der Hundertjährige sieht erstaunlich rüstig aus für sein Alter. Er lebt unter einer Glaskuppel in einem echten Wald aus seltenen Bäumen. Und zwischen den Bäumen, so bemerkt Sénéchal, wuseln überall Wach- und Reinigungsroboter herum. Natürlich Hightech aus Japan.
Woran Takenushi eigentlich forsche, will Sénéchal wissen. An den Genen von Saatgutpflanzen und an Fischen, bequemt sich der Industrielle zu antworten. Fischen wie dem Quastenflosser etwa? Gerade die seltensten Fische sind doch die interessantesten, nicht wahr, entgegnet der Japaner. In weiteren Gesprächen wird deutlich, dass er durchaus mit Designe und Ziegler zu tun hatte, aber nicht gerade auf die angenehmste Art: Sie haben ihn erpresst.
Während etliche Laboruntersuchungen laufen, gerät sein Kollege Edouard zusammen mit Lt. Thamnir im Hinterland in einen Hinterhalt der Rebellenbewegung für ein freies Aceh auf der Insel Sumatra. Eigentlich wollte Edouard hier die verschwundene Putzfrau und einen untergetauchten Freund Shakifs suchen, aber das Schicksal will es anders. Ein Holztransport stellt sich auf der Straße vor ihnen quer und lässt seine Ladung Baumstämme vor ihnen auf die Straße purzeln – direkt in ihren Weg …
Zurück auf Réunion, verlangt Sénéchal ein Treffen mit Designe und Ziegler, doch kaum ist er auf deren Boot, als ihn Designe mit einer Maschinenpistole bedroht. Sénéchal hat offenbar voll ins Schwarze getroffen, nun muss er zusehen, wie er hier lebend wieder rauskommt.
Mein Eindruck
Auf den ersten Blick scheint es in diesem enorm spannenden Ökothriller um Fische zu gehen. Aber der Schein trügt, denn je mehr Sénéchal ermittelt, desto deutlicher wird, dass es um die künftigen Ressourcen des Planeten. Und dabei sind Fische wie der alte Quastenflosser nur eine Art Indikator für die Aktivitäten von Leute wie Designe und Ziegler, die jetzt schon Jagd auf das machen, was noch übrigbleibt. Die beiden Genräuber – denn der Quastenflosser soll geklont werden – haben ein Forschungslabor samt Gentechnikfirma im Rücken, die ihnen ordentlich Kohle versprechen.
Wenn es also nicht um Fische geht, dann um das, was der Titel anzeigt: um Wasser. Bereits haben zwei von sechs Milliarden Menschen keinen Zugang zu frischem Trinkwasser. Bis 2050 werden es drei Milliarden sein, und somit wird Trinkwasser eines der begehrtesten Lebensmittel überhaupt werden. Wohl dem, der sich rechtzeitig eine gute Ausgangsposition im Rennen um die wertvollen Ressourcen verschafft. (Nottrets Schriftstellerkollege Jean Marc Ligny geht in seinem Roman [„Aqua ™“ 5827 noch einen Schritt weiter und macht Wasser zu einem raren Handelsgut in der nahen Zukunft.)
Dumm nur, dass der Vorrat an verfügbarem Wasser nicht beliebig vermehrt werden kann, indem man nach neuem bohrt wie nach Erdöl oder Erdgas. Die Menge des verfügbaren Wassers bleibt konstant, sei es nun gefroren, flüssig oder verdunstet. Die Frage ist, wie man es aus der Luft holt, reinigt, speichert und zu den Dürstenden transportiert.
Sénéchal ist erstaunt, wie weit Akira Takenushi mit seinen Forschungen gelangt ist. In seinem Wald unter der Plastikkuppel hat der Industrielle nicht nur Saatgut in Form von Bäumen gesammelt, sondern auch Experimente mit Kondensation angestellt, also der Gewinnung von Tau. Selbst in der scheinbar trockensten Wüste ist nämlich morgens Frühtau vorhanden. Einigen Tierchen gelingt es, diesen Tau einzufangen und zu trinken. Zu diesen Überlebenskünstlern gehört Senecora, eine Art von Skarabäus-Käfern, die einen speziellen Panzer und Mechanismus entwickelt hat, um Tau auf dem Körpern zu erzeugen und zum Maul zu leiten. Einfach genial, findet Sénéchal. Und das finden viele andere Leute auch, die in der Nachahmung dieser Oberflächenstruktur einen Milliardenmarkt sehen.
Aber wo es Geld gibt, da ist das Verbrechen nicht weit. Designe und Ziegler erpressen Takenushi, indem sie dieses Patent für sich angemeldet haben – ein klarer Fall von Ideenraub und Wirtschaftsspionage, der sich Sénéchal da eröffnet, als er schon denkt, er habe den Fall gelöst. Aber da gibt es noch ein paar Mitspieler, auf die er noch nicht gestoßen ist. Sie zu entdecken, hilft ihm seine einheimische Gastgeberin auf der Insel Réunion.
Der Autor wurde 1953 selbst auf dieser Insel geboren und kennt sich mit den Gegebenheiten vor Ort bestens aus. So lernt sein Held Sénéchal beispielsweise die scharf gewürzte lokale Küche kennen, den guten Rum, die kreolische Sprache, die Parfümindustrie (Geranien, Vetiver) und natürlich die Fischer. Dass es hier auch jede Menge Aberglauben gibt, hätte der Umweltinspektor weniger erwartet. Aber Madame Hoareau, seine Wirtin und eine ehemalige Gesangslehrerin, wird von einer wandelnden und singenden Vogelscheuche erschreckt, die mit einer Tierkralle an ihrer Küchentür kratzt. Madama erschrickt sich nicht wenig und klagt ihr Leid dem hünenhaften Inspektor, der doch sicherlich weniger Angst empfindet als sie.
Null problemo, beruhigt sie der Normanne mit den großen Pranken, bevor er sich auf die Suche nach dem Übeltäter macht. Der Weg führt ihn über den markanten Blumenduft, den der Einbrecher mit der Vogelscheuchenmaskerade hinterlassen hat, direkt zu einer alten Dampflokomotive. Es sind diese wunderbaren Assoziationssprünge, die einer der Gründe sind, warum Nottets Bücher so unterhaltsam sind. Sie bestehen nicht nur aus Krimi und Umweltinformationen, sondern auch aus einer Menge menschlicher Komödie. So auch hier.
In diesen alten Dampfloks pflegen gewisse Leute nämlich die gesammelten Blüten von Geranien, Vetiver und so weiter im alten Dampfkessel zu einzuweichen (man erinnere sich an das wässrige Verfahren in Süskinds [„Das Parfum“) 3452 und in kleinen Flaschen zu destillieren. Wie sich herausstellt, befindet sich eine dieser Loks in einem vulkanischen Gebiet, dessen Lava einen Tunnel teilweise verschüttet hat. In diesem Labyrinth gerät der neugierige Umweltinspektor in eine Todesfalle voller Giftschlangen …
Die Übersetzung
Die beiden Übersetzerinnen haben eine sehr gute Arbeit vorgelegt, die sicherlich nicht einfach war. Denn es gibt enorm viel wissenschaftlichen Fachjargon in diesem Buch sowie französische, malaiische und japanische Ausdrücke, von den allgegenwärtigen englischen ganz zu schweigen.
Dennoch fielen mir zwei dubiose Stellen auf. Die erste taucht auf Seite 330 auf, also nach drei Vierteln des Buches. „Der Himmel über den Bergen war stahlgrau, und die gewaltigen Wipfel hatten eine bedrohliche Färbung angenommen.“ Was stimmt an diesem Satz nicht? Nun, wie jeder Deutsche meiner Generation kenne ich Goethes Gedicht „Wanderers Nachtlied“:
„Über allen Gipfeln ist Ruh,
in allen Wipfeln / spürest du / kaum einen Hauch. / Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur / balde ruhest du auch.“
Goethe unterschied eindeutig zwischen Gipfeln der Berge und Wipfeln der Waldbäume. Warum sollten wir es nicht auch tun? Wenn die Übersetzung also von den „Wipfeln“ der Berge spricht, dann sind eigentlich „Gipfel“ gemeint.
Auf Seite 355 stieß ich auf den Ausdruck „ein nächtiger Gartenweg“. Interessantes Wort, dieses „nächtig“, denn meist wird „nächtlich“ gebraucht. Letzteres ist auch im |DUDEN| korrekt angegeben, doch unter „nächtigen“ steht dort „übernachten“. Also auch hier irrten die beiden Übersetzerinnen.
Unterm Strich
In einer spannenden Kriminalhandlung, die durchaus packende Actionszenen umfasst, bringt uns der Autor die komplexe Thematik der bedrohten Ressourcen der Menschheit näher. Waren es in den zwei Vorgängerbänden die Artenvielfalt des südamerikanischen Kontinents, so richtet der Autor diesmal unseren Blick auf die Meere, ihre schwindende Artenvielfalt – aber vor allem auf das Wasser, das zunehmend knapper wird und immer weniger Menschen frisch und sauber zur Verfügung steht. Der Autor kennt die Prognosen, und sie sind sehr düster, nicht nur für das Jahr 2050, sondern erst recht für das Ende dieses Jahrhunderts, das in jeder Hinsicht das entscheidende für das Überleben der Menschheit und des Lebens auf diesem Planeten ist.
Spannung und Information werden ergänzt von der dritten Komponente, der menschlichen Komödie. Immer wieder durfte ich bewundern, wie feinfühlig Sénéchal es versteht, mit unterschiedlichsten Personen zurechtzukommen und sie sogar zur Mitarbeit zu bewegen. Dabei kommt es oftmals zu Situationen, die für Anlass zum Schmunzeln geben, besonders wenn Gegensätze aufeinandertreffen. Und Sénéchal ist mit seiner hünenhaften Gestalt und seinen Hosenträgern eine Gestalt, die ich mir ein wenig wie den großgewachsenen Monsieur Hulot mit seinem Hütchen und dem Regenschirm vorstelle – Jacques Tati lässt schön grüßen. Nur dass Sénéchal wesentlich zupackender und furchtloser ist, als es Monsieur Hulot jemals gewesen sein könnte.
Lediglich für die schwache Psychologie des Romans gibt es Punktabzug. Andererseits sind Kriminalromane mit tiefgehender Psychologie wahrlich dünn gesät. Der Roman liest sich mit seinen superkurzen Kapiteln – James Patterson hat’s vorgemacht – stellenweise wie ein Drehbuch. Und zwar genauso rasant, sprunghaft und bilderreich. Ich habe das Buch in nur drei Tagen gelesen.
Originaltitel: H2O, 2004
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz
445 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-431-03780-7 http://www.luebbe.de
Mauritane ist Hauptmann in der Elfenarmee der Seelie. Einst als Kriegsheld gefeiert, sitzt er nun wegen Verrats im Kerker, zu lebenslanger Haft verurteilt. Trotz seiner Unschuld sind seine Tage gezählt. Doch dann unterbreitet die Königin ihm ein einmaliges Angebot: Mauritane soll eine Elitetruppe zusammenstellen und einen geheimen Auftrag für sie erledigen. Hat er Erfolg, will sie ihn und seine Gefährten begnadigen. Doch die Sache hat einen Haken. Der Auftrag ist ein Himmelfahrtskommando … (Verlagsinfo)
Der Autor
Matthew Sturges, geboren Oktober 1970 in Rhode Island, USA, ist das Pseudonym von Lilah Sturges: Sie ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und verfasste bereits Comic- und Fantasyromane. Im Juni 2010 erschien ihr zweiter Roman „The Office of Shadow“. Anno 2010 erschien ihre Storysammlung „Beneath the Skin and Other Stories“, die Horrorerzählungen umfasst. Zurzeit lebt sie in Pflugerville, Texas. Mehr Info.
Sturges ist bekannt geworden durch ihre Nominierung für den begehrten „Eisner-Award“ – für einen ihrer Comic-Books, „Jack of Fables“. In den 1990er Jahren war sie ein kollektives Mitglied des „Clockwork Storybook“, zu dessen Mitgleider unter anderem Bill Willingham, Chris Roberson und Finn Mark zählen.
Handlung
Die Fae-Festung Crere Sulace ist kein Ort für einen netten Urlaub. Ganz im Gegenteil, hier ist das Hochsicherheitsgefängnis der Seelie-Elfen, über die Titania Regina herrscht, und es ist immer saukalt. Unter den Gefangenen finden immer wieder Messerkämpfe statt, bei denen Mauritane, ein ehemaliger Hauptmann der Königlichen Leibwache, als Schiedsrichter fungiert.
Er ist es auch, an den sich Hauptmann Purane-Es, der aus der Hauptstadt Smaragdstadt gekommen ist, wendet. Mauritane hat seinen Bruder Purane-La getötet, und Purane-Es muss auch gleich einen Angriff abwehren. Erst dann kann er dem widerwärtigen Mauritane das königliche Angebot unterbreiten: eine geheime Mission zur grünen Stadt Sylvan, quer durch die Umfochtenen Lande, an den Wachen des Unseelie-Königreichs von Königin Mab vorbei. Dort solle Mauritane etwas abholen und es der Königin überbringen. Als Dank würden er und seine Gefährten danach freigelassen. Aber nur wenn er die Frist einhält.
Da Mauritane nichts anderes übrig bleibt, zieht er (nach einem kleinen Zwischenfall im Nordturm, der erst am Schluss seine Erklärung findet) mit fünf Gefährten los: Die Fae Honigborn, Silberdun und die Avalonerin Raieve sind ausgebildete Schwertkämpfer, doch der Mensch Slattery ist das nicht. Folglich muss er ihn ausbilden. In der Stadt Weißendorn trifft er den vertrauenswürdigen, aber melancholischen Fae-Kämpfer Graugänger, der sich ihnen anschließt.
Schon wenige Tage nach dem Aufbruch stellt Mauritane fest, dass eine seiner Botenfeen geklaut wurde. Es muss also einen Verräter in seiner Truppe geben. Da Honigborn sich im Kampf mit Unseelie-Truppen für sie opfert, kann er es nicht sein. Slattery, der erst seit zwei Jahren in den Faereichen ist, kennt sich hier nicht aus, scheidet also aus. Wenig später zeigt sich, dass auch Raieve nicht in Frage kommt, was Mauritane veranlasst, seine Frau Anne, die in Smaragdstadt auf ihn wartet, mit der Avalonerin zu betrügen. Bleiben noch zwei Verdächtige.
Mauritane ahnt nicht, dass sich Lady Anne inzwischen von Purane-Es umworben sieht und dieser Aufmerksamkeit gerne nachgibt, um der sozialen Ächtung zu entgehen, in die Mauritanes Verhaftung sie gestürzt hat. Erst im Finale erreicht ihn diese Nachricht, die ihm sein schlimmster Feind ins Gesicht schleudert, wie ein Hammerschlag.
Doch die Zeit läuft ihnen davon, und sie können keine Scharmützel mit Goblins, Unseelie-Patrouillen und Thulemännern mehr riskieren. Schon in vier Tagen müssten sie eigentlich in Sylvan sein, bräuchten aber sieben Tage für die Strecke. Also müssen sie es riskieren, einen der beschleunigenden Unbeständigen Orte aufzusuchen und dazu nutzen, eine größere Strecke zurückzulegen – hoffentlich in der richtigen Richtung …
Unterdessen
An Bord der schwebenden Stadt von Königin Mab bereitet der Schwarzmagier Hy Pezho seinen Coup vor. Offenbar gibt es Spione der Seelie-Königin Titania und sogar Rebellen unter den Untertanen Ihrer Majestät. Marar, der Steuereintreiber, sei so einer, behauptet Hy Pezho und lässt ihn mit Mabs Erlaubnis köpfen. Doch wo sind Marars Komplizen? Womöglich an Bord der schwebenden Schwesterstadt Gefi, die er mit seiner neuen Waffe, dem Schießpulver, angreifen lässt. Hy Pezhos Rang steigt, bis er neben Mab sitzen darf. Doch auch dieser privilegierte Ort reicht ihm noch nicht, denn seine Rache verlangt nach Königin Mabs Kopf …
Mein Eindruck
Ich habe mehrere Wochen für dieses hochgelobte Fantasygarn gebraucht. Erst der dritte Teil, der mehrere Finali auf actionreiche Weise schildert, konnte meine hochgespannten Erwartungen erfüllen. Davor aber muss sich der Leser durch diverse Scharmützel kämpfen. Das Kurioseste davon ist sicherlich das Lager der in die Faelande geratenen modernen Amerikaner, die es durch einen der Unbeständigen Orte an diesen Ort verschlagen hat. Sie nehmen die Fae gefangen. Nun schlägt Slatterys große Stunde der Bewährung.
Slattery, der unbeholfene und ängstliche Mensch unter lauter magiebegabten Elfen, ist jedoch keineswegs der Held der Geschichte. Das Abenteuer hat mehrere Helden, und der Autor präsentiert nacheinander die Perspektiven von Mauritane, dem Anführer, seiner kämpferischen Geliebten Raieve und dem Menschen Slattery. Silberduns Blickpunkt bekommen wir selten präsentiert – dafür spielt er die Hauptrolle in der Fortsetzung „Schattenspäher“.
Tolkien bleibt unerreicht
Wie in „Herr der Ringe“ wird eine recht unterschiedliche Gruppe von Gefährten auf eine gefährliche und mysteriöse Mission geschickt. Um diese zu überleben, müssen alle Gefährten ihre jeweiligen Stärken zur Geltung bringen und einsetzen. Dabei gibt ausgerechnet der Mensch eine klägliche Figur ab, was uns gar nicht recht ist. Erst spät darf er als Naturwissenschaftler ein Glanzstück vollbringen: Er bringt einen irdischen Sportwagen zum Laufen und rast mit sagenhaften 50 km/h durch die elfische Pampa gen Hauptstadt.
Da war mir doch Mauritane wesentlich lieber. Er ist das Gegenstück zu Aragorn in diesem Abenteuer und führt die Seelie in die Entscheidungsschlacht gegen die Unseelie-Truppen Ihrer Majestät Königin Mabs. Der Hintergrund für die Feindschaft zwischen Mab und Titania wird zwar erklärt, aber si skizzenhaft, dass man die Erklärung gleich wieder vergessen hat.
Ein Tolkiensches Gefühl geschichtlicher Tiefe soll zwar erweckt werden, wird aber an keiner Stelle erreicht. Tolkien hat sich eben die Mühe gemacht, ein ganzes Universum zu erfinden und es in den bekannten Anhängen zu beschreiben (wo dann auch Arwen auftaucht). Hierfür hätte sich Sturges noch einiges mehr an Zeit gönnen müssen, etwa für ein Glossar. Stattdessen kommt immer wieder ein Gefühl der Verwirrung auf. Das hat mich genervt und verunsichert.
Mab
Recht interessant ist Königin Mab. Sie ist, wie in der „Merlin“-Verfilmung, eine mächtige Hexe (aus der keltischen Mythologie), der diverse Arten von Magie zur Verfügung stehen, so etwa die über die Schwerkraft und die Elemente. Sie kann so etwas wie eine Atombombe einsetzen. Allerdings können Mauritane und Co. in einer Art Kommandounternehmen die Quelle dieser speziellen Magie erstaunlich leicht ausschalten. Mab weist die übliche Arroganz der Macht auf. Das könnte noch ihr Untergang sein.
Die Schlacht
Wie in „Die linke Hand Gottes“ und „Herr der Ringe“ bringt eine große Schlacht die Entscheidung darüber, wer in den Seelie-Landen herrscht. Das Drehbuch für die Schlacht kam mir nicht vertraut vor, wenn auch Zentrums- und Flankenangriffe sicherlich zum Standardrepertoire gehören (Cannae, Gettysburg, Philippi usw.) Interessant ist jedoch der Einsatz von magischen Schirmen und magischen Geschossen durch die Thaumaturgen beider Seiten. Das erinnerte mich an die Entscheidungsschlacht in „Die Heiligtümer des Todes – Teil 2“. Natürlich wird die Entscheidung durch eine List herbeigeführt. Die darf hier aber nicht verraten werden.
Mission erfüllt?
Aber eigentlich fragte ich mich die ganze Zeit: Wieso zum Geier ist es auf dieser Welt die ganze Zeit Winter? So was ist ja nicht normal. Sylvan, die grüne und warme Stadt, der Mabs Invasion gilt, ist das beste Gegenbeispiel. Etwas ist aus dem Lot geraten. Ist Sylvan so grün und warm, weil hier der Gott Aba-e in einem großen Tempel verehrt wird, oder liegt es an der Abwesenheit von Titanias Kräften in dieser rebellischen Stadt?
Wie sich herausstellt (so viel darf verraten werden), besteht Mauritanes Mission darin, in dieser Stadt eine junge Frau, eine Baronesse, zu finden, zu entführen und zu Titania zu bringen. Zu welchem Zweck, ahnt er nicht. Doch es hat etwas mit dem fortwährenden Winter zu tun. Kein Wunder, dass der Feind nichts davon erfahren darf. Allerdings landet Mauritane samt Anhang erst einmal im Kerker. Das Ende der Mission? Natürlich nicht!
Romantik
Dass Romantik nicht fehlen darf, versteht sich von selbst. Von Anfang an ist klar, dass diesbezüglich etwas zwischen Mauritane und der Avallonerin Raieve laufen wird. Doch ihr Techtelmechtel steht unter keinem glücklichen Stern. Dafür wird es was mit Lady Anne, Mauritanes Noch-Gattin, und seinem Erzfeind Purane-Es. Allerdings nur solange, bis Mauritane davon informiert wird und seinen Feind zum Duell stellt. Dann ist Schluss mit lustig.
Die Übersetzung
Die Übersetzung ist durchaus flott zu lesen und scheint der Vorlage recht genau zu entsprechen. Auffällig sind die zahlreichen PPA-Konstruktionen: „zupfend“, „gehend“, „kämpfend“ etc. Sie signalisieren einen anhaltenden Zustand oder eine Handlung im Verlauf, die also noch nicht abgeschlossen ist (dass wäre ja PPP). Allerdings werden PPA-Konstruktionen generell nicht als guter deutscher Stil erachtet.
(PPA: Partizip Präsens Aktiv oder Erstes Partizip, PPP: Partizip Präsens Perfekt oder zweites Partizip; siehe dazu „DUDEN: Gutes und richtiges Deutsch“.)
S. 166: „als hätte sie etwas gesehen, das sie erschrak“. Genau die falsche Form von „erschrecken“. „Erschrak“ ist intransitiv, verlangt wird aber die transitive Form „erschreckte“. Deutsch müsste man können!
S. 252: „zu jung, am alles zu verwalten“ – statt „um“. Nur einer von etlichen Dreckfuhlern und Fipptehlern.
S. 267: „Ereignis, dass während der Zeit, die die Seelie Midwinter nennen, stattfand.“ Korrekt wäre „das“ statt „dass“.
S. 301: „den getrockneten Wachs von den Fingern zupfend“: Korrekt wäre „das Wachs“.
S. 402: „beobachtete die kleine Flamme, wie sie [sich] hin und her bewegte“. Das Wörtchen „sich“ fehlt.
Unterm Strich
Man sieht also, dass die Story trotz der offensichtlichen Anlehnung an den „Herrn der Ringe“ doch eine ganze Reihe von Neuerungen aufweist. Titania, Mab und ihr ganzes Elfenpack stammen nicht aus Shakespeares Stücken, sondern sind wesentlich älter, nämlich keltischen Ursprungs. Dennoch oder gerade deshalb spielt Religion eine wichtige Rolle für die verschlungene Handlung. Die Seelie vergöttern Titania, doch die Arkadier tun dies ebenso wenig wie die Avallonier – gute Gründe für die Kriege der Vergangenheit und die Invasion durch Königin Mab.
Eine Mission, die von innen und außen gefährdet ist, kennen wir schon von Tolkien. Doch die Unbeständigen Orte erinnern mehr an die Fantasy von Michael Moorcock, dessen Multiversum durchlässige Ebenen aufweist: Der Durchgang von Ebene zu Ebene ist an diesen Orten zwar leicht, aber nur mit einem Trick zu bewerkstelligen. Interessanterweise geht Slattery, der Mensch, nicht zurück in seine Welt, sondern bleibt der Mission treu. Ein feiner Zug an ihm.
Richtig spannend wird das Buch allerdings erst auf der Zielgeraden. Dazu gehört der gesamte dritte Teil (S. 311 bis 443), den ich ratzfatz hintereinander weglas. Hier fällt doch ein ziemlich hoher „bodycount“ an, mit recht üblen Morden, einem Kommandounternehmen, einer magischen Konfrontation Mabs – und nicht zu vergessen: die obligatorische Entscheidungsschlacht.
Zurück bleibt der Eindruck eines relativ interessanten Action-Fantasyromans, der einige nette Ideen vorzuweisen hat. Insbesondere die unkonventionelle Handhabung der Zeit spielt dabei mehrfach eine Rolle. Dabei werden nicht einmal die Regeln der Vorlage, die im „Herrn der Ringe“ vor über einem halben Jahrhundert aufgestellt wurden, verletzt. Denn die Besuche im Alten Wald, in Moria und Lothlorien sind zugleich Ausflüge in andere Zeiten.
Man muss abwarten, was der Autor bzw. die Autorin noch aus seinem bzw. ihrem Privatuniversum macht. Ein Glossar, das als Nachschlagewerk für die zahlreichen neuen Begriffe dienen könnte, hätte den Büchern jedenfalls gut zu Gesicht gestanden. Auch in „Schattenspäher“ findet sich keines.
Fazit: vier von fünf Sternen.
Taschenbuch: 445 Seiten
Originaltitel: Midwinter (2009)
Aus dem US-Englischen von Michael Neuhaus
ISBN-13: 978-3404285471
Cornwall im Sommer 1986. Fasziniert beobachtet die sechzehnjährige Tamsyn ihre neuen Nachbarn: den attraktiven Mr. Davenport, seine wunderschöne Ehefrau und ihre schillernde Tochter Edie, die etwa in Tamsyns Alter ist. Als sich die ungleichen Mädchen schließlich kennenlernen, hat dies ungeahnte Folgen. Denn hinter dem scheinbar perfekten Familienidyll der Davenports verbergen sich dunkle Abgründe, und Tamsyns neidvoller Blick auf ihre Nachbarn wird immer mehr zur unheilvollen Obsession … (geänderte Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
„Ich will dein Leben“ entwickelte auf mich von Anfang an eine regelrechte Sogwirkung; der flüssige Schreibstil und die packende Erzählweise sind absolut fesselnd. Die Autorin schildert das Innenleben der Protagonistin Tamsyn – ihre Tagträume, Hoffnungen sowie Ängste – ungemein eindringlich, sodass ich mich mühelos in sie hineinversetzen konnte. Die verschieden Perspektiven bieten bedeutsame Einblicke und erzeugen eine konstante Spannung.
Leser mit schwachen Nerven seien gewarnt: Clive Barker ist nichts für zart besaitete Gemüter! In seinen phantastischen Geschichten beschwört er voller Wortgewalt das Grauen und geht über alles hinaus, was man sich in seinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hat. (Verlagsinfo) Für seine „Bücher des Blutes“ bekam Clive Barker 1985 den |World|- und den |British Fantasy Award|. Seine Schrecken sind (meist) in der realen Welt angesiedelt, im Hier und Jetzt, oft sogar mitten in der Großstadt.
Das Hörbuch enthält zwei ausgewählte Erzählungen und ist für Hörer ab 14 Jahren zu empfehlen.
Der Autor
Clive Barker, 1952 in Liverpool geboren, ist der Autor von bislang zwanzig Büchern, darunter die sechs „Bücher des Blutes“. Sein erstes Buch für Kinder trägt den Titel „The Thief of Always“ (Das Haus der verschwundenen Jahre). Er ist darüber hinaus ein bekannter bildender Künstler, Filmproduzent und -regisseur [(„Hellraiser 1“) 2433 sowie Computerspiel-Designer
Er lebt in Beverly Hills, Kalifornien, mit seinem Lebenspartner, dem Fotografen David Armstrong, und ihrer Tochter Nicole. Sie teilen sich das Haus mit vier Hunden, fünf Goldfischen, fünfzehn Ratten, unzähligen wilden Geckos und einem Papagei namens Malingo.
Seit 2002 veröffentlicht Barker einen Zyklus von wunderschön illustrierten Kinderbüchern mit dem Titel [„Abarat“. 1476 Alle Bücher spielen in der titelgebenden Fantasywelt, die – wie könnte es anders sein – auch einige teuflische Figuren vorweisen kann. Sie machen der 16-jährige Heldin Candy Quackenbush das Leben im Abarat schwer.
Der Sprecher und andere Mitwirkende
Matthias Koeberlin, geboren 1974, absolvierte die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam. Für seine Verkörperung des Ben in „Ben & Maria – Liebe auf den zweiten Blick“ erhielt er den Günther-Strack-Fernsehpreis. Für seine Interpretation des Lübbe-Hörbuchs [„Das Jesus-Video“ 267 wurde er für den Deutschen Hörbuchpreis des WDR (2003) nominiert. In der ProSieben-Verfilmung des Bestsellers spielte er den Stephen Foxx.
Regie führte Kerstin Kaiser, die musikalischen Motive stammen von Andy Matern.
Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.
Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde „Der Cthulhu-Mythos“ zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)
Das Hörbuch bietet lediglich eine Auswahl aus den Storys des Buches, das 1984 erstmals erschien.
Die Erzählungen
1) Sündenböcke
Auf einem Segeltörn stranden die vier jungen Besatzungsmitglieder auf einer winzigen Hebrideninsel vor Schottland. Raymond, Jonathan, Angela und Frankie, die Köchin. Ray, der irgendwie das Kommando übernommen zu haben scheint, flucht über Nebel, Funkstille und überhaupt alles, was ihm über den Weg läuft. Nach einer Weile des Herumärgerns machen sich die vier Twens auf den Weg, um die öde Insel zu erkunden, auf der ihre |Emmanuelle| gestrandet ist.
Sie machen ein paar beunruhigende Entdeckungen. Erst einmal: Es wohnt keine Menschenseele hier, und es stinkt erbärmlich. Unrat und massenhaft Fliegen wirken nicht gerade einladend. Auf der anderen Seite stoßen sie auf einen Pferch, in dem drei krank aussehende Schafe weiden. Seltsam: Hat man die Viecher hier ausgesetzt? Aber wofür? Jonathan, der besoffen ist, nennt Angela, die zu Ray gehört, ein „dummes Luder“, und Frankie nennt ihn dafür ein „fieses Schwein“. Jonathan wiederum flucht über die „bekackten Schafe“, von denen eines zusammengebrochen ist. Mit einem Stein schlägt er dem wehrlosen Tier den Schädel ein. Als er wieder aus seinem Blutrausch erwacht, kotzt er sich die Seele aus dem Leib.
Frankie, die angeekelt ist, wundert sich über den Gestank und die ständig rieselnden und klappernden Steinlawinen. Was kann sie bloß verursachen? Inzwischen hat Ray herausgefunden, dass diese Insel ein Grabhügel für die Gefallenen der Weltkriege ist. Sie wurden hier angeschwemmt. Einer der kullernden Stein trifft Jonathans Schädel und schlägt ihn ein.
Da taucht ein Einheimischer auf, ein Fischer, wie es scheint. Er jammert: „Was habt ihr angerichtet? Ihre Gaben …“ Er hat das getötete Schaf gesehen. Die Schafe waren Gaben der Anerkennung an die Toten.
Diesen Frevel sollen die Anwesenden, ob Besucher oder Einheimische, mit dem Leben bezahlen. Denn nun machen sich alle Steine der Insel auf verhängnisvolle Weise selbständig …
Mein Eindruck
Die Erzählung greift drei Themen auf und verknüpft sie auf komplexe Weise. Die vier Reisenden auf dem Boot mit dem bezeichnenden Namen „Emmanuelle“ sind nicht miteinander verheiratet und frönen der freien Liebe, wenn auch nicht untereinander, sondern in den Paaren Ray & Angela sowie Frankie & Jonathan. Ihre lustbetonte Weltanschauung wird konfrontiert mit den zwei Themen Tod und Religion. Der Grabhügel gehört den Toten, welche nach Anerkennung heischen wie auf einem Friedhof. Stattdessen verhöhnt der besoffene Jonathan die Toten, indem er die Gabe der Anerkennung, eines der Schafe, mutwillig erschlägt.
Obwohl von Kreuzen und Kirchen weit und breit nicht die Rede ist, hat Jonathan dennoch gegen ein religiöses Gebot verstoßen: Ehrung der Toten. Die Sühne des Frevel kann nur in seinem eigenen Tod bestehen, doch dabei bleibt es nicht: Alle müssen sterben, damit sie sich dem Totenheer anschließen, selbst die relativ unschuldige Frankie.
Von Anfang an spielt der Text auf Jesus an. Raymond, der Anführer, soll einen „Jesus-Komplex“ haben, und seine Freundin Angela versucht „die Speisung der Fünftausend“. Ray schließlich sieht im Tod aus, als wolle er übers Wasser wandeln, doch er ist nur eine Marionette jener Puppenspieler, die auf der Insel der Toten das Sagen haben. Diese Puppenspieler haben für Jesus genauso wenig übrig wie Ray. Sie sind Heiden und verlangen Anerkennung, Huldigung. Ihre Strafe für Frevel ist nicht nicht christliche Vergebung, sondern heidnische Vergeltung. Die Opfer werden selbst Mitglieder des Totenreichs.
2) Bekenntnisse eines (Pornografen-) Leichentuchs
Ronny Glass, 32, dementiert, dass er jemals ein Pornograph gewesen sei, ja, er mochte nicht mal Sex, denn er war schließlich mit Bernadette, einer braven Katholikin, verheiratet und hatte zwei ebenso brave Töchter mit ihr. Der Buchhalter hatte nur ein einziges Laster, das ihm zum Verhängnis wurde: Habgier.
Eines Tages bot ihm ein Unternehmer namens McGuire einen Buchhaltungsjob in Soho an, den Ronny gleich hätte ablehnen sollen. Aber wie gesagt: Habgier. Und McGuire ist großzügig, denn er braucht Ronny, um seinem zwielichtigen Unternehmen einen seriösen Anstrich zu verleihen. Worin dieses besteht, entdeckt Ronny nur durch Zufall. Er stolpert in die Lagerhalle, und da stehen sie: Paletten voller Pornomagazine. Ronny kann sich kaum sattsehen an den Schweinereien. „Sex pur! Grauenvoll!“ Diese Ablehnung amüsiert McGuire keineswegs und er droht, Ronnys guten Ruf zu zerstören, sollte er nicht kooperieren. Angstvoll haut Ronny zu, doch McGuire schlägt zurück.
Ronny muss Bernadette anlügen und kann nicht schlafen. Am Sonntag ist seine Ehe ruiniert, sein Ruf zerstört: Die Sonntagszeitungen pfeifen es von allen Dächern, dass er ein Pornograph sei. Seltsam, dass McGuire kein einziges Mal erwähnt wird. Ronny sinnt auf Mord und greift McGuire und dessen Männer tätlich an, doch er zieht schließlich den Kürzeren und landet in der Leichenhalle. Hier beginnt Ronnys zweites Leben.
Nachdem sich sein Geist in das Leichentuch übertragen hat, bevor der Körper entsorgt wird, kann sich Ronny wieder auf den Weg machen, um seine Rache zu vollenden. Doch wie stellt es ein Leichentuch an, einen schwer bewachten Gangsterboss um die Ecke zu bringen?
Mein Eindruck
Thematisch dreht sich die Story um die Verflechtung der Unterwelt mit der Polizei, auch wenn es sich „nur“ um so genannte Pornographen handelt (von denen es in Merry Old England einige gibt) sowie um die Verstrickung eines unbescholtenen Mannes mit diesen kriminellen Kreisen.
In erzählerischer Hinsicht entwickelt sich die anfängliche Blut & Mord-Story zu einer immens grotesken Gespenstergeschichte. Ein auf der Straße wandelndes weißes Leinentuch, das Mordgedanken hegt? Wie lächerlich? Doch der Autor hieße nicht Barker, wenn er dieses irrsinnige Konzept nicht mit tödlicher Präzision und Beharrlichkeit ins Ziel steuern würde. Auch am finalen Schauplatz des Showdowns hagelt es wieder groteske Momente, so etwa der, als McGuire entdeckt, dass es seine Frau mit seinem Leibwächter treibt. Da fliegen wieder die blauen Bohnen um die Wette!
Doch was wird aus Ronny, dem heroisch rächenden Buchhalter mit den ungeahnten Machoqualitäten? Er endet als Wischtuch in einer Kirche. Dort haben die Spermaflecken, die der Pfarrer beim Fotografieren einer Nutte verursacht, schließlich nichts zu suchen. Der Kreis der Sünde schließt sich.
Der Sprecher
Als ausgebildeter Schauspieler weiß Koeberlin seine Stimme wirkungsvoll einzusetzen und die Sätze deutlich und richtig betont zu lesen. Auch die Aussprache aller englischen Namen und Bezeichnungen geht reibungslos vonstatten. Aber die Flexibilität seiner Stimme scheint noch relativ begrenzt zu sein. Der weiblichen Stimmlage passt sich Koeberlin ein wenig an. Selten sinkt die Lautstärke zu einem Flüstern herab oder erhebt sich zu einem Fauchen. Keuchen, Zischen, sogar Würgen gehören zum breiten Repertoire der situationsbetonten Darstellung.
Die Betonung hat sich inzwischen der des |Lübbe|-Stammgastes David Nathan angenähert, und das tut Koeberlins Vortrag sichtlich gut. Er ist wesentlich eindringlicher als noch beim „ersten Buch des Blutes“, besonders in der grotesken „Leichentuch“-Erzählung. Seine stimmliche Darstellung im Zusammenspiel mit den Soundeffekten und der Hintergrundmusik bildet ein eindringliches Stück Kopfkino, das mir selbst nach Wochen immer noch in Erinnerung geblieben ist.
Die Musik
Die Musik von Matern ist dasjenige Stilelement, das den Zauber dieser Lesung ausmacht. Sie kommt selbstverständlich als Intro und Outro zum Einsatz, und regelmäßig ist an den spannenden und dramatischen, sprich; gruseligsten Stellen Hintergrundmusik zu hören. Diese nun aber zu charakterisieren, stellt sich als schwierige Aufgabe heraus. Ich konnte kein einzelnes Motiv heraushören, vielmehr handelt es sich um Klangfolgen mit klassischen Instrumenten (und wohl dem einen oder anderen Synthesizer), die eine Atmosphäre der Beunruhigung, Anspannung, kurzum: des Grauens erzeugen. Um diese Wirkung erzielen, hat Andy Matern jedenfalls ganze Arbeit geleistet.
Unterm Strich
Ich kann das Hörbuch mit Einschränkungen empfehlen. Eine Einschränkung betrifft das Fehlen von drei der fünf Erzählungen aus der literarischen Vorlage: „Rohkopf Rex“, „Der Zelluloidsohn“ und „Menschliche Überreste“. „Sündenböcke“, die erste Erzählung des Hörbuchs, verrät etwas von der Sprachgewalt und Stimmungsmalerei, zu der Barker in seinen besten Geschichten fähig ist. „Bekenntnisse eines (Pornographen-) Leichentuchs“ ist mehr auf groteske Effekte und handfeste Action aus, sozusagen die Wildwestversion einer Gespenstergeschichte.
Die seit dem „ersten Buch des Blutes“ beträchtlich verbesserte Vortragskunst des Sprechers eignet sich meines Erachtens gut für die dramatischeren gruseligen Stellen. Massiv wird Koeberlin unterstützt von Andy Materns ausgezeichnet passender Musik, die für die entsprechende Gänsehaut sorgt.
Books of Blood vol. 3, 1984
Aus dem Englischen übersetzt von Peter Kobbe
147 Minuten auf 2 CDs http://www.luebbe-audio.de/
In Kathis Familie sind schreckliche Dinge geschehen, und alle wissen es. Die alleinerziehende Mutter hat sich damit abgefunden, eine Außenseiterin zu sein. Doch seit kurzem benimmt sich ihre Tochter Lucy seltsam. Dann verschwindet ein Mädchen, das Lucy in der Schule das Leben zur Hölle macht. Und ausgerechnet Kathi hat es als letzte lebend gesehen. Wird man sie verdächtigen? Unterstützung findet sie nur bei der neu zugezogenen Jennifer. Aber während Kathi damit beschäftigt ist, sich von dem Verdacht zu befreien und die Geister der Vergangenheit zurückzudrängen, entgleitet ihr zunehmend die Kontrolle … (Verlagsinfo)
Mein Eindruck:
Der flüssige, ausdrucksstarke Schreibstil hat mich sofort gepackt und nicht mehr losgelassen!
Das Buch beginnt mit einem ominösen Prolog, der wirklich neugierig macht, weil er genau so abrupt endet wie er beginnt. Die Gegebenheiten ab Kapitel eins scheinen lange keinen Bezug zu diesem hintergründigen Auftakt zu haben, sodass die Leserschaft erwartungsvoll im Dunkeln tappt.
Detektivparodie, Verschwörungsfantasie und metaphysische Komödie
Gott ist tot, und seine Frau Eartha ist sauer. Gott hat nämlich vor seinem Ableben die Erde seinem Sohn Colin vererbt, obwohl er sie ihr geschenkt hatte. Damit nicht genug, trachten nun Dämonen im Auftrag eines „Ministeriums für glückliche Zufälle“ (lies: Hölle) nach der Herrschaft über eben jene nichts ahnende Erde.
Moment, ein wenig Ahnung gibt es hinieden doch: ein Dieb und ein Privatschnüffler kommen der übelriechenden Sache aus ganz unterschiedlichen Richtungen auf die Spur. Doch nach dem zu urteilen, wie sie sich anstellen, ist das Schicksal Terras mehr als ungewiss…
„Warten auf Oho“ bezieht sich im Titel – sowohl des Originals wie auch in der Übersetzung – auf Samuel Becketts Theaterstück „Warten auf Godot“. Allerdings ist Rankins Roman wesentlich lustiger, unterhaltsamer und wortreicher. Robert Rankin – Warten auf Oho (Hörbuch) weiterlesen →
Führerlose Trucks handeln wie intelligente Wesen und versetzen die Besucher einer Raststätte in panischen Schrecken. Es kommt zu überraschenden symbiotischen Begegnungen der, wie sich denken lässt, unangenehmsten Art. (Verlagsinfo)
Dieses Hörbuch erschien erstmals im Dezember 1998.
_Der Autor_
Was kann man noch über Stephen King, einen der erfolgreichsten Autoren der Welt, sagen, was nicht schon jeder weiß? Er hat 1973 seinen ersten Roman, „Carrie“, verkauft, den er nachts in einem Wohnwagen auf einer alten Schreibmaschine tippte, während er tagsüber als unterbezahlter Englischlehrer arbeitete. Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt.
Von seinem Magnum Opus, dem Epos um Roland und den Dunklen Turm, ist nach „Wolfsmond“ und „Susannah“ auch der letzte Teil erschienen: „Der Dunkle Turm“. So wird den King-Junkies der Lesestoff vorerst wohl nicht ausgehen. Und dann gibt es ja immer noch Richard Bachman … Zwischenzeitlich erschien seine Novelle „Colorado Kid“, zudem im März 2006 sein erster Roman nach längerer Pause: „Puls“.
_Der Sprecher_
Joachim Kerzel, 1941 in Hindenburg/Oberschlesien geboren, erhielt seine Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Als gefragter Synchronsprecher leiht er Jack Nicholson, Dustin Hoffman, Dennis Hopper und vielen anderen Stars seine sonore Stimme. Ganz besonders im Gedächtnis geblieben ist mir seine Beteiligung an der Hörbuchfassung von Stephens Kings „Das Mädchen“, die er zusammen mit Franziska Pigulla bestritt. Seine charismatische Stimme macht aus jedem Gegenstand etwas Grandioses.
_1) Handlung von „Trucks“_
Der Ich-Erzähler sitzt im Imbiss einer Raststätte unweit der Interstate-Autobahn, irgendwo an der Ostküste der USA. Ihm fallen am Parkplatz einige merkwürdige Dinge auf. Ein totes Mädchen liegt in der Nähe des Parkplatzes, und zwei Pkw wurden zertrümmert: sein eigener Camaro (noch nicht abbezahlt) und der Fury des jungen Pärchens, das im Imbiss Zuflucht gesucht hat. Draußen stehen jede Menge Laster, die ihre Motoren brummen lassen. Am Steuer sitzen keine Fahrer: Die Trucks steuern sich selbst …
Snodgrass, der Handelsvertreter, hat lang genug mit dem Pärchen gestritten und verliert die Nerven: Er rennt aus dem Imbiss, in der Absicht, den Abwassergraben zu erreichen und dort auf die Felder zu entkommen. Doch die Trucks habe seine Absicht offenbar sofort durchschaut. Sofort wird er von einem Laster verfolgt und in den Graben geschubst. Der Aufprall ist nicht schwer, und Snodgrass stirbt auch nicht daran, aber er ist bewegungsunfähig. Und was noch schlimmer ist: Niemand kann seinen Bitten um Hilfe Folge leisten, denn sonst wäre der Helfer dem gleichen Schicksal ausgeliefert. Das Mädchen ist sehr traurig.
Aber es kommt noch heftiger. Um 20:30 Uhr fällt der Strom aus. Das bedeutet, dass die Lebensmittel vergammeln werden. Und da die Pumpen ausgefallen sind, gibt es auch kein Wasser. Nichts war’s mit der vierwöchigen Belagerung. Der Erzähler und der Junge, Jerry, wagen einen Ausfall zum Toilettenhäuschen. Sie schaffen es unbemerkt, doch der Rückweg ist umso schlimmer: Ein Truck schrammt an der Außenwand entlang und reißt die Tür des Seiteneingangs komplett weg. Sie müssen sich verbarrikadieren.
Am nächsten Morgen hebt ein seltsames Hupkonzert an. Jerry, der bei den Pfadfindern war, erkennt einen Morsecode. Die Trucks stellen eine Forderung: Ein Mensch soll sie betanken, und ihm soll nichts geschehen. Wenn ihre Bitte nicht erfüllt wird, dann … rückt die Planierraupe an und beginnt, den Imbiss zum Einsturz zu bringen.
Das ist das Äußerste, finden die belagerten Menschen. Sich zum Sklaven der Maschinen machen? Kommt nicht in die Tüte! Sie fertigen Molotow-Cocktails an und gehen zum Gegenangriff über.
_Mein Eindruck_
Durch eine einfache Inversion der bestehenden Verhältnisse schafft Stephen King eine bedrohliche Situation: Die Maschinen übernehmen die Herrschaft. Bislang beliebten wir zu denken, es wäre andersherum. Falsch gedacht, findet der Erzähler der Geschichte. Haben wir nicht über jede halbwegs attraktive und zugängliche Landschaft eine Asphaltpiste gelegt? Haben wir nicht Schneisen durch Gebirge geschnitten und Brücken über Täler gelegt, damit wir Autobahnen für die lieben Maschinen verlegen konnten? Haben wir nicht ganze Ölfelder leer gepumpt, um Treibstoff für die hungrigen Maschinen zu beschaffen? Und wurden nicht ganze Städte wie etwa Wolfsburg aus dem Boden gestampft, nur um Maschinen – Fahrzeuge zumal – bauen zu können?
Und wenn dann ab und zu mal ein Menschlein von einer Maschine zu Tode gebracht – sagen wir mal: überfahren oder eingequetscht – wurde, haben wir dann nicht unser Gewissen mit der Ausrede beruhigt, wir seine auf die Maschinen angewiesen? Wie hoch der Preis wirklich ist, zeigt der einfache Erzählkniff Kings: Stecke ein paar Leute in eine Schachtel von Imbiss und lasse die Maschinen auf sie los.
Natürlich gibt es da ein paar Schwächen: Wie verständigen sich die Trucks untereinander – CB-Funk? Wie können sie sehen oder hören? Wie man sieht, ist eine gewisse Vermenschlichung und Dämonisierung nötig, um die Geschichte völlig glaubhaft zu machen. Aber sie soll ja auch nur als eine Metapher für die oben beschriebene Abhängigkeit dienen. Und wir sind fleißig dabei, uns selbst überflüssig zu machen …
2) Handlung von „Der Rasenmähermann“_
Harold Parkette ist nicht nur stolz auf seinen Rasen, sondern auch auf seinen Rasenmäher. Für einmal Rasenmähen zahlt er dem Jungen stattliche fünf Dollar. Das ging jahraus, jahrein gut, bis der Hund des Nachbarn Castenmeyer die Katze von Smiths nebenan unter den Mäher jagte. Es gab eine Riesensauerei. Sicherheitshalber brachte er seinen chromblinkenden Superrasenmäher weg. Das war im Oktober.
Der Frühling ins Land, der Sommer strahlt. Doch Harold rührt keinen Finger, um seinen Rasen zu mähen. Ganz besonders dann nicht, seit der Mäherjunge weggezogen ist. Es wächst eine wunderschöne Wiese auf seinem Grundstück. Dort versteckt sich erst ein Mädchen, dann entdeckt Harold dort ein Waldmurmeltier. Ein Warnsignal, das er nicht ignorieren kann. Wenn hier erst einmal die Wildnis einzieht, wieso wohnt er dann noch hier?
Als Antwort auf die Annonce der Firma Pastoral fordert er einen menschlichen Rasenmähermann an. Dieser kreuzt auch alsbald auf, der leutselige und burschikos auftretende Fettwanst ist Harold nicht ganz geheuer. Und dass er „Bei Circe!“ ausruft, findet er ebenfalls recht sonderbar. Was hat der Typ mit legendären Zauberinnen zu schaffen?
Aus seinem Nachmittagsschlummer weckt Harold ein infernalisches Dröhnen. Der Rasenmäher fegt durchs Gras, das ist okay. Aber niemand schiebt ihn! Und gleich dahinter trabt ein Wesen, bei dem Harold Mühe hat, es als den Rasenmähermann zu identifizieren. Er hat sich nackt ausgezogen und frisst das frisch geschnittene Gras in sich hinein! Auch vor einem frisch getöteten Maulwurf machen seine mahlenden Kiefer nicht Halt. Harold kotzt zuerst und wird dann ohnmächtig. (Rockstars machen es umkehrt und gehen dabei drauf. Nicht so Harold.)
Als der Rasenmähermann ihn weckt, ist der Rasen picobello gemäht. Womit Harold aber ein Problem hat, sind die gespaltenen Füße des Helfers und seine grüne Behaarung …
_Mein Eindruck_
Auch hier treffen wieder Natur, Mensch und Maschine aufeinander. Das erfolgt auf recht groteske Weise. Harolds Welt ist ein suburbanes Nimmerland, wo nur die Baseballspiele und Aktiennotierungen eine Rolle spielen. Sein Familienleben ist längst zerrüttet, und nach dem Unfall mit Smiths Katze geht eh alles den Bach runter. Der moralischen Verwilderung folgt die florale. Seine Wiese ist eine Einladung an die Wildnis zurückzukehren. Sein Ruf nach dem Rasenmähermann wird folglich nicht von den Kräften der US-Kultur beantwortet, sondern von einer weitaus älteren Macht: dem Großen Gott Pan. (Daher die Verbindung zur Zauberin Circe.)
Die Folgen sind für Harold, der sich nun gegen die Geister, die er rief, wehrt, recht drastisch. Götter mögen es nicht, wenn man die Polizei auf sie hetzt. Die Sergeants und Deputys finden Harolds sterbliche Überreste im Vogelbad, der Schnittstelle der Begegnung zwischen Mensch und Natur. Etwas ist hier für Harold offenbar schlecht gelaufen. Seine Lektion: Die Natur immer schön kurz halten, wenn man in der Vorstadt wohnt. Sie könnte sonst zurückschlagen.
_Der Sprecher_
Joachim Kerzel bewältigt zwei ganz unterschiedliche Aufgaben mit Bravour. „Trucks“ ist moderner Horror pur, doch „Der Rasenmähermann“ ist eine Fantasygroteske. Mit seiner tiefen Stimme gelingt es Kerzel, die Gefahr in „Trucks“ ziemlich deutlich zum Ausdruck zu bringen. Die Expedition zum Toilettenhäuschen ist in dieser Hinsicht ein Höhepunkt, so seltsam das auch klingen mag.
In „Der Rasenmähermann“ ist stattdessen Humor gefragt. Auf der einen Seite haben wir den auf Bequemlichkeit bedachten Antihelden Harold Parkette, der auf einmal aufgescheucht und – in seinen Augen – maximalem Horror ausgesetzt wird. Auf der anderen Seite haben wir den ein wenig zu leutselig und hemdsärmelig wirkenden Rasenmähermann (der nie seinen Namen nennt), der Harolds heiligen Rasen mit seiner etwas unorthodoxen Methode traktiert. Und wer seinen Boss beleidigt, der bekommt seinen Zorn zu spüren – und den seiner Maschine … Auch diese Attacke liest Kerzel mit wundervoller Energie vor, so dass man sich Harolds Not lebhaft vorstellen kann.
_Die Musik_
Die Musik spielt eine wichtige Rolle, aber diesmal besteht sie nicht aus den gewohnten Streichermotiven, sondern aus richtig gutem Hard-Rock-Sound. „Trucks“ hat ein Intro, das jedes Heavy-Metal-Albums würdig wäre. Immer wieder ist die E-Gitarre zu hören, und vielleicht drängt sie sich auch ein wenig zu sehr in den Vordergrund. In „Der Rasenmähermann“ erschallt eine Kombination aus Hard Rock und funkigen Bläsern, die geradezu in die Beine geht.
_Unterm Strich_
Die beiden Storys passen gut zusammen. Sie sind sowohl grotesk als auch von einem Horror vor Maschinen erfüllt. Inhaltlich scheinen sie grundverschieden zu sein, doch in beiden wird dem Menschen das Recht auf seine Herrschaft auf Erden streitig gemacht: einerseits von den Trucks, dann wieder von Pan, dem Gott der wilden Natur. (Es gibt eine schöne Gruselgeschichte über Pan von dem Briten Arthur Machen, die King als Kenner garantiert kannte, bevor er diese Story schrieb. Mit „Danse Macabre“ hat er ja selbst eine Literaturgeschichte des Gruselgenres verfasst.)
Der Sprecher erweckt die Handlung zum Leben und die Hard-Rock-Musik bringt die Figuren quasi zum Tanzen. Dieses Hörbuch ist ein Höhepunkt der neuen Reihe „Bastei Lübbe Stars“, die Lübbe derzeit zu einem besonders günstigen Preis auf den Markt bringt. Die Tiefpreis-Konkurrenz darf sich warm anziehen.
|74 Minuten auf 1 CD
Aus dem US-Englischen übersetzt von Harro Christensen|
_Stephen King bei |Buchwurm.info|_ (Auswahl):
[„Brennen muss Salem – Illustrierte Fassung“ 3027
[„Friedhof der Kuscheltiere“ 3007 (Audio)
[„Puls“ 2383
[„Trucks“ 2327 (Audio)
[„Colorado Kid“ 2090
[„The Green Mile“ 1857 (Audio)
[„Das Leben und das Schreiben“ 1655
[„Atemtechnik“ 1618 (Audio)
[„Todesmarsch“ 908
[„Der Turm“ 822 (Der Dunkle Turm VII)
[„Der Sturm des Jahrhunderts“ 535
[„Tommyknockers – Das Monstrum “ 461
[„Achterbahn“ 460
[„Danse Macabre – Die Welt des Horrors“ 454
[„Christine“ 453
[„Der Buick“ 438
[„Atlantis“ 322
[„Das Mädchen“ 115
[„Im Kabinett des Todes“ 85
[„Duddits – Dreamcatcher“ 45
Band 1: _“Der Monstrumologe“_
Band 2: „… und der Fluch des Wendigo“ (20.01.2012)
Actionreicher Horror mit doppeltem Boden
Neuengland im April 1888: Der Junge Will Henry ist ein Waisenkind und arbeitet als Assistent des kauzigen Dr. Warthrop. Der gute Doktor hat sich auf ein ganz besonderes Gebiet spezialisiert: Er ist Monstrumologe, das heißt, er studiert Monster und macht notfalls Jagd auf sie.
Eines Abends kommt ein Grabräuber zu Will und dem Doktor ins Labor. Er hat eine Leiche gefunden, in die sich ein zahnbewehrtes Monster verbissen hat. Offenbar eine Monsterart, die Menschen tötet – und sich zudem rasch vermehrt. Die Einzigen, die nun zwischen diesen Bestien und der Menschheit stehen, sind der Doktor und der junge Will … (abgewandelte Verlagsinfo)
Der Autor
Rick Yancey wollte schon seit seiner Jugend Schriftsteller werden. Nach seinem Abschluss in Anglistik an der Roosevelt University in Chicago startete er in seiner Heimat Florida eine Künstlerkarriere. Während er in Teilzeit unterrichtete und sich als Theaterschauspieler versuchte, nahm er eine Anstellung beim Finanzamt an. Den Traum der Schriftstellerkarriere gab er nie auf, dafür aber nach zehn Jahren seine Beamtenstelle.
Über seine Zeit beim Finanzamt schrieb er ein Memoire („Confessions of a Tax Collector“), das vom Wall Street Journal als eins der fünf besten Bücher bezeichnet wurde, das je über Steuern geschrieben wurde. Seine Jugendbuchtrilogie über Alfred Kropp erschien in 17 Ländern und wurde für die berühmte Carnegie Medal nominiert. Rick ist stolzer Vater von drei Söhnen. Er lebt mit seiner Frau Sandy in Florida. (Verlagsinfo)
Handlung
Prolog
Der Herausgeber, eben Rick Yancey, ist ein Buchautor mit vielen Aufträgen. Als er den Direktor einer Irrenanstalt besucht, um ihm ein neu produziertes Buch zu übergeben, bittet ihn dieser, die Tagebücher eines gewissen William James Henry, seines Zeichens verstorbener Insasse, anzusehen. Will Henry behauptete nämlich zeit seines Lebens, er sei im Jahre des Herrns 1876 geboren worden, also vor nicht weniger als 133 Jahren. Die Ärzte hatten bei ihm jedoch Demenz festgestellt, so dass man nicht allzu viel auf diese Angabe geben könne.
Nach einer Weile beginnt unser vielbeschäftigter Herausgeber, die Tagebücher des Will Henry zu lesen, und sie erweisen sich als höchst ungewöhnlich …
Die Tagebücher
William James Henry lebt als zwölfjähriges Waisenkind in New Jerusalem bei Dr. Pellinore Warthrop, dem er in seinem medizinischen Beruf assistieren muss. Der Doktor hat stets interessante, um nicht zu sagen: sonderbare Besucher. Heute Nacht beispielsweise besucht ihn der Grabräuber Erasmus Gray. Gray ist klapperdürr, alt und müde. Aber sehr aufgeregt. Denn was er auf dem Old Hill Friedhof zufällig ausgegraben hat, verstört ihn zutiefst.
Zusammen schleppen er und Dr. Warthrop den Fund in den kühlen Keller auf den Seziertisch. Nachdem der Doktor ihn bezahlt hat, schiebt man den Grabräuber hinaus in den Nachtnebel. Danach beginnt der Arzt mit der Autopsie. Was für ein seltsamer Fund! Will Henry beginnen die Knie zu schlottern, während er das Diktat des Arztes aufnimmt, dem schon sein Vater assistiert hat.
Es handelt sich um ein junges Mädchen im Leichenhemd, dem ein Drittel seines Gesichts weggefressen wurde. Es wird auf obszöne Weise umarmt von einer Kreatur, die keinen Kopf hat und mindestens doppelt so groß ist. „Ein männlicher Anthropophage“, doziert der Doktor, „ein Alphamännchen.“ Das ist bemerkenswert, denn Anthropophagen kommen nur in Afrika und den Tropen vor. Wie kam es nach Nordamerika?
Das Wesen hat seinen zahnbewehrten Mund im Bauchbereich und das Gehirn sitzt darunter, während die schwarzen Augen auf den Schultern sitzen. Die Tatsache, dass es sich um ein fortpflanzungsfähiges Wesen handelt, veranlasst den Arzt zu einem Eingriff, der Will Henry die Galle in den Hals treibt: In der Leiche des Mädchens steckt ein lebendiger Nachkömmling, wie eine Larve in einem Wirtskörper.
Nachdem dieser Nachkömmling in einen Glasbehälter gesteckt und getötet worden ist, bleibt noch die Aufgabe, alles aufzuräumen und dem Mädchen ein christliches Begräbnis zukommen zu lassen. Natürlich im ursprünglich vorgesehenen Grab. Alles andere wäre etwas auffällig, findet Dr. Warthrop. Wieder muss Erasmus Gray bei diesem Transport helfen.
Will Henry begleitet die beiden Männer auf ihrem nächtlichen Weg zum Friedhof. Vielleicht liefert das Grab Hinweise auf die Herkunft des Anthropophagen. Denn wo einer ist, verbergen sich bestimmt noch mehr: die Weibchen …
Mein Eindruck
Was an der Reaktion des Doktors auffällt, ist genau, was später zu erheblichen Problemen führen wird: Er ruft nicht die Polizei zu Hilfe, noch informiert er auch nur irgendjemanden außerhalb seines kleinen Zirkels, zumindest vorerst. Als ihn später, nach einem blutigen Überfall auf die Pfarrersfamilie, der Wachtmeister zur Rede stellt, rechtfertigt sich Warthrop damit, er habe keine Panik auslösen wollen. Außerdem hätte ihm sowieso keiner geglaubt. Klingt wahrscheinlich. Dennoch muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, die Pfarrersfamilie indirekt auf dem Gewissen zu haben.
Warthrops Fehler: Er hat sich schlichtweg verkalkuliert. Er, der Fachmann für Monster, hat die Monster falsch eingeschätzt. Das kann nur daran liegen, dass er nicht über genügend Informationen verfügt. Es muss einen Faktor geben, den er nicht kennt und den er nicht berücksichtigt hat.
Vorgeschichte
Deshalb tut er zweierlei: Er recherchiert, im eigenen Archiv und bei einem Zeugen. Zum Zweiten holt er Hilfe herbei. Das Archiv aus Zeitungsartikeln der letzten drei Jahre berichtet zahlreiche tödliche Vorfälle sowieso Vermisstenmeldungen. Übertragen auf eine Landkarte, ergibt sich ein Wanderungsmuster, von der Küste bei Boston nach Dedham und New Jerusalem. An der Küste strandete anno 1865, also vor 23 Jahren, der Frachter „Feronia“, den Warthrops Vater Alistair gechartert hatte. Und von dem letzten überlebenden Zeugen der „Feronia“, dem Kapitän, der in einer Dedhamer Irrenanstalt dahinsiecht, erfährt Warthrop voll Entsetzen, was die „Feronia“ aus Afrika brachte: Anthropophagen. Doch zu welchem verruchten Zweck?
Sportsmann
Die Hilfe trifft ein: Ob er nun John Kearns, Richard Cory oder sonstwie heißt, verrät der britische Weltmann und Großwildjäger nie. Aber er verfügt über das Wissen, die Methode und die Werkzeuge, um Anthropophagen zur Strecke zu bringen. In seiner zynisch-flapsigen Art nennt Kearns sie einfach nur „Poppis“. Es ist Kearns, der eine für Warthrop undenkbare Theorie formuliert: dass Alistair Warthrop den Frevel begangen habe, Experimente mit den „Poppis“ anzustellen und den Monstren zu diesem Zweck zahlreiche Menschen zum Fraß vorwarf.
Philosophie
Diese Unterstellung – die sich wenig später erhärtet – rückt die „Philosophie“ der Monstrumologen allgemein ins Zwielicht. Ähnlich wie die Terroristenjäger und andere Verbrechensbekämpfer müssen sie sich derart auf die Interessen des „Feindes“ einlassen, dass sie eine moralische Grenze überschreiten und selbst zum Monstrum in Menschengestalt werden. Doch genau diese Moral lässt Kearns nicht für sich gelten. Er beruft sich auf Nietzsches Buch „Jenseits von Gut und Böse“, als er behauptet, dass die einzige gültige Moral die des Augenblicks sei und der werde bekanntlich vom Handeln bestimmt.
Diese Philosophie aber erlaubt es ihm, höchst fragwürdige Handlungsweisen an den Tag zu legen. Er benutzt nicht nur eine mitgebrachte Prostituierte als Köder, um die „Poppis“ anzulocken, sondern auch Will Henry selbst. Der anwesende Wachtmeister beißt um ein Haar den Stiel seiner Pfeife durch, so sehr erzürnt ihn solche Unmoral. Will Henry ist ebenfalls schwer geschockt, bringt ihn doch Kearns‘ Verrat in Lebensgefahr.
Finale Konfrontation
Nun, wir Leser können uns entspannt zurücklehnen, um dem sich entfaltenden Desaster zuzuschauen. Wir müssen ja keine ethischen Entscheidungen fällen, die unsere Lieben oder gar die Menschheit gefährden würden. Für uns zählen letzten Endes nur die Resultate, genau wie für Kearns. Die Poppijagd ist für ihn ein Sport, der ihn herausfordert.
Das bedeutet jedoch nicht, dass dieser Sport keine tragischen Opfer fordern würde. Es ist bezeichnend, dass der Showdown in den Tiefen der Erde, mit der Nestmutter der Anthropophagen als Gegner, nicht Warthrop und Kearns involviert, sondern die Jungs: Will Henry und seinen Schicksalsgenossen Malachi Stinner, den letzten Überlebenden der Pfarrersfamilie. An ihnen verdeutlicht der Autor, welche Motive und Opfer eine Rolle spielen. Malachi will seine Familie rächen und dabei zugleich die Schuld gegenüber seiner Schuld einlösen, die er seiner Meinung nach im Stich ließ. Durch Malachis Opfer angespornt, behält Will Henry, der Chronist, erbittert die Nerven, um es mit dem Feind aufzunehmen …
Väter und Söhne
Will setzt die Arbeit seines Vaters fort, der Alistair und Pellinore Walthrop gedient hat. Er ahnt noch nicht, was diese Arbeit seinen Vater an moralischen Skrupeln gekostet hat. Er weiß lediglich, dass sein Vater krank aus Südamerika zurückkehrte – der Brand, in dem er und die Mutter umkamen, erlöste ihn lediglich von einer furchtbaren Heimsuchung. Dass Pellinore Walthrop die Last seines Vaters ebenso trägt wie Will Henry die seines eigenen, macht diesen Roman zu einer Untersuchung über die Tragödie der Vater-Sohn-Beziehung.
Übertragen auf das Phänomen der Terrorbekämpfung, wird daraus ein Kommentar auf die moderne Rechtfertigung der Vereinigten Staaten. Wir wissen nur die Hälfte über die Vätergeneration, denn die Wahrheit wird stets unterdrückt und verborgen – doch die Söhne tragen stets die volle Last in ihrer eigenen Gegenwart.
Lovecraft lässt grüßen
„Der Monstrumologe“ ist eine Kreuzung aus Lovecrafts Monster-Mythologie, Neuengland-Mystik, moderner Terrorbekämpfung und alternativer Geschichtsschreibung. Auf raffinierte Weise hat sich der Autor gegen zu genaue Verfolgung und Prüfung seiner Quellen abgesichert. Die zentrale Handlung entstammt den drei ersten Tagebüchern eines unglaubwürdigen Chronisten. Will Henry muss über 130 Jahre alt gewesen sein, als er dieses Zeug schrieb – höchst unwahrscheinlich, oder?
Und von einem Ort namens New Jerusalem hat der Herausgeber noch nie gehört. Er hätte vielleicht mal nach Salem blicken sollen, das sich nur wenige Kilometer nördlich von Boston befindet. Dort fanden im 17. Jahrhundert Hexenprozesse statt, über die auch ein Stephen King vortrefflich zu fabulieren wusste (in „Salem’s Lot“ und anderen Werken). Hätte der Herausgeber nur mal Lovecrafts „Charles Dexter Ward“ gelesen!
Dass Anthropophagen der geschilderten Erscheinungsformung schon bei Plinius, Herodot und sogar William Shakespeare erwähnt werden, rechtfertigt ihr Erscheinen in der Chronik zwar, macht diese jedoch nicht wahrscheinlicher: Es wurden ja alle Beweise vernichtet! Aber eines steht fest: Der Herausgeber hat bislang nur das erste Fünftel von Will Henrys Chronik veröffentlicht, so dass wir uns noch auf den Werdegang und die Heldentaten des „Monstrologenassistentenlehrlings“ freuen dürfen.
Die Übersetzung
Axel Franken, der Übersetzer von Garth Nix‘ Fantasyreihe um Arthur Penhaligon, hat den Text fehlerlos übersetzt, verlangt dem deutschen Leser aber auch einige sprachliche Kenntnisse ab. Was mögen wohl Ausdrücke wie „kimmerisch“, „stygisch“, „acherontisch“ und „myop“ bedeuten, mag sich der unvorbereitete Leser fragen.
Nun, alle diese Ausdrücke würde man in einem Text von H. P. Lovecraft und Robert E. Howard wiederfinden. CONAN stammte bekanntlich aus Cimmerien. Styx und Acheron sind Flüsse der antiken Unterwelt Hades. Alle Bezüge verweisen auf Finsternis. Nur „myop“ stammt aus der Medizin: Es bedeutet „kurzsichtig“.
Diese und viele andere Ausdrücke verleihen dem Text eine mystisch-rätselhafte Anmutung, die genau zum Inhalt passt. Meines Erachtens hat der Übersetzer recht getan, sie stehen zu lassen.
Wer sich an dem pathetischen Ton so mancher Überlegungen und Schilderungen Will Henrys stört, darf die Schuld nicht beim Autor suchen. Der kann sich immer damit herausreden, dass ein so alter Kerl wie Will Henry eben schreibt, wie man sich im 19. Jahrhundert ausdrückte – mit jeder Menge Adjektive, die auf die Tränendrüse zielen. Durch diesen Knick gelingt es dem Autor, schauerliche Bilder heraufzubeschwören, ohne dass man ihm Effekthascherei vorwerfen könnte.
Unterm Strich
Wie jeder gute Horrorroman bietet auch „Der Monstrumologe“ mindestens zwei Ebenen an. Die Oberfläche dient der Unterhaltung, mit teils gruseligen, teils erschütternden Szenen, aber vor allem mit viel Action, die sich über das gesamte letzte Drittel erstreckt. Nach einer längeren Einführung inklusive Prolog können wir uns mit dem jungen Will Henry identifizieren. Das heißt nicht, dass sich der Roman für Zwölfjährige eignet. Einige Splatterszenen sind doch ziemlich heftig.
Die zweite Ebene betrifft die Rechtfertigung für den Posten des Monstrumologen. Warthrop ist kein Arzt, obwohl er über medizinische Kenntnisse verfügt und mit den Instrumenten, die auf zahlreichen Seiten abgebildet sind, zweifellos umgehen kann. Doch er betrachtet sich als Philosoph. Da er scheint es merkwürdig, dass er einfachste ethische Grundsätze missachtet: Er warnt die Bevölkerung nicht, noch informiert er die Polizei. Stattdessen scheint er sogar seinen Vater zu decken, den eine mindestens ebenso dubiose Ethik an den Tag legte.
Der zwei „Monstrumologe“ ist wohl John Kearns (nicht sein wahrer name), doch der Brite wirkt eher wie ein zynischer Großwildjäger. Er hängt Nietzsches Moral an, der Moral des Augenblicks, die vom Handeln bestimmt wird – möge die Nachwelt später darüber urteilen, ob der Zweck die genutzten Mittel heiligt. Kearns ist zwar amüsanter als Warthrop, aber fern davon, ein Vorbild zu sein.
Der vaterlose Will Henry befindet sich somit in einer moralischen Wüste: kein Leitfaden weit und breit. Es ist, als müsse Will in einer vater- und morallosen Gesellschaft aufwachsen. Sind dies die Monsterjäger, denen wir unser Leben anvertrauen würden? Die Fortsetzungen müssen erweisen, ob Will Henry vor unserem Urteil bestehen wird können.
Meine Lektüre
Ich habe den Roman in nur wenigen Tagen genossen. Die Geschichte ist leicht zu verfolgen, die Sprache – bis auf gewisse Ausdrücke (siehe oben unter „Die Übersetzung“) – leicht verständlich, ohne seicht zu wirken. Und Action gibt es im letzten Drittel genügend, um schlaflose Nächte zu durchwachen.
Die Abbildungen an den Seitenrändern sowie die Holzschnitt-haften Illustrationen von Jacopo Bruno tragen dazu bei, die Zahl der zu bewältigenden Seiten zu verringern und die Aufmerksamkeit nicht erlahmen zu lassen. Vielleicht sieht sich so mancher Leser dazu verleitet, sich den Verwendungszweck der Instrumente vorzustellen, wenn nicht sogar deren Einsatz …
HINWEIS:
Die Fortsetzung “ Der Monstrumologe und der Fluch des Wendigo“ erscheint am 20. Januar 2012 als Taschenbuch und E-Book.
Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: The Monstrumologist
ISBN-13: 978-3785760406 http://www.luebbe.de
Eine Leseprobe bietet der Verlag [hier]http://www.bic-media.com/dmrs/widget.do?isbn=9783785760406 an.
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Lübbe
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