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Heidrun Jänchen – Nach Norden!

Elfen, Zwerge, Trolle … Gestalten, die in standardisierter Form die vielzähligen Welten der Fantasy bevölkern. Heidrun Jänchen zeigt in einer erfrischenden Auffassung von den Möglichkeiten der Fantasy das Potenzial des Genres jenseits der abgegriffenen Völker, Kriege, Schauplätze und Charaktere af. »Nach Norden!« erzählt auf spannende und unterhaltsame Art, mit mehr als nur einem zwinkernden Auge an der einen und anderen Stelle, die Geschichte von zwei Außenseitern auf der gemeinsamen Suche nach einem Zuhause oder einer Identität. In einer Welt voll Mythen, Göttern und Helden, die sich am Ende in ihrem Wesen von der unseren kaum unterscheidet, sind es ganz besondere Charaktere – mit Schrullen und Kanten und gerade dadurch lebendig. Es macht Spaß, sie auf ihrem Weg nach Norden zu begleiten, ihre Ängste zu begreifen und unter Spannung ihre Hoffnungen zu verfolgen.

Frett ist der eigentliche Protagonist des Romans. Er ist der Charakter aus dem Romandebüt »Der eiserne Thron« des Autorentrios Jänchen, Savoy, Tillmanns, dessen sich Heidrun Jänchen schon damals vordringlich annahm. Damals stand er auf der falschen Seite im Kampf um die Macht, er musste seine Wahlheimat im Süden des Landes verlassen und fliehen. Sein Weg führt ihn im vorliegenden Roman anfangs nach Süden, bis er auf die ebenso geheimnisvolle Elra trifft. Ihr Geheimnis ist für Frett keins: Er assistierte bei ihrer Geburt und erkannte sie als Gestaltwandlerin. Elra war ebenfalls in die Wirren um den »Eisernen Thron« involviert, doch für sie begann damit ein neues Leben. Sie ist auf der Suche nach ihrem verfolgten Volk, das man gemeinhin im Norden vermutet. Frett fühlt in ihr die gleichen Probleme, die ihn unruhig von einem Ort zum nächsten treiben. Sie ist heimatlos wie er, eine Außenseiterin, die ihr wahres Wesen vor der Welt verstecken muss. Es ist die Angst der Menschen, die sie zu einer Waffe im Kampf um den eisernen Thron machte: ihre Fähigkeit der Gestaltwandlung, in der die Menschen eine Bedrohung sehen. Frett führt sie auf ihrem Weg nach Norden, und in ihre Reise mischt sich auch die Gegenseite ein: ein Mann, der ebenfalls auf der Suche nach den Wandlern ist, aber seine Triebkraft ist der Hass. Er will die Wandler umbringen.

»Nach Norden!« ist ein eigenständiger Roman, der nur über wenige Berührungspunkte mit dem oben erwähnten »Eisernen Thron« in Verbindung steht. Die fehlenden Informationen verschafft Jänchen ihren Lesern über luftige Rückgriffe, ohne sich dabei von den damaligen Geschehnissen fesseln zu lassen. Dadurch entsteht die erfreuliche Feststellung, dass die Lektüre des »Throns« keine Voraussetzung für das Verständnis dieser Geschichte ist.

Heidrun Jänchen benutzt eine ungezwungene Sprache und erzählt die Geschichte in einem Fluss, dem der Leser für die Bedürfnisse seines realen Lebens künstliche Sperren in den Weg setzen muss. Es ist nicht nochmals in Worte zu fassen, aber es ist der Stil der Autorin, der ihre Erzählung zu einem wunderbaren Erlebnis macht.

»Frett stellte fest, daß er in seiner Hast die Jacke des Mannes geprügelt hatte. Vermutlich war sie bewußtlos […]«
(»Nach Norden!«, Seite 91, Zeile 8f)

Derlei überraschende Wendungen sorgen für den letzten Pfiff im Text. Jänchen setzt sie dosiert ein und erzielt damit die beste Wirkung. Es gibt keine zwanghaften Witzeleien, man kann nach der Lektüre nicht sicher sagen, ob man überhaupt alle humorvollen Stellen bewusst erlebt hat – ungeachtet der Frage, ob eine solche Trennung möglich ist. Es ist Kunst, der Roman ist ein kunstvolles Geflecht, das erst in seiner Gesamtheit die ganze Wirkung entfaltet, aber nicht um seiner selbst Willen, sondern immer nur als Träger der Geschichte. Man vergisst sofort, dass es sich erst um den zweiten Roman der deutschen Autorin handelt, noch dazu aus einem Kleinverlag. Es ist das Werk einer echten Schriftstellerin, selbst wenn sie nebenbei noch einen anderen Beruf ausübt.

Gegen die anderen Veröffentlichungen des Verlags fällt auf, dass der Roman in der alten Rechtschreibung vorliegt. Auch eine Möglichkeit, mit den Konflikten dieses Themas umzugehen: Die Formen der Rechtschreibung als Stilmittel …

Ein Wort zum Titelbild von Ernst Wurdack: Es ist eine Tatsache, dass bei Buchbesprechungen die Titelbilder und ihre Künstler in der Regel zu kurz kommen. Das hat möglicherweise seinen Grund, denn Rezensenten behandeln die Literatur, nicht den Einband. Manche mögen sogar sagen, dass sie nichts von Bildkunst verstehen und die Kritik an Bildern lieber einem anderen Fachkreis überlassen. Nun ja. Aber das Titelbild von »Nach Norden!« ruft das Gefühl hervor, schon lange kein wirkliches Titelbild mehr gesehen zu haben, eines, das zu seinem Roman passt, das den Roman abrundet. Das nicht reißerisch im Regal stehen will und HIER ruft, indem es sich durch möglichst große Abgefahrenheit von den Mitbewerbern absetzt. Es setzt sich ab, keine Frage, aber es fängt das vom Roman vermittelte Gefühl ein und ist damit ein gleichwertiger Bestandteil des Gesamtbildes.

»Nach Norden!« ist einer der beachtenswertesten Romane des Jahres und ein Aushängeschild für Autorin und Verlag.

broschiert, 220 Seiten
ISBN-13: 978-3938065099

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 5,00 von 5)

Heidrun Jänchen, Christian Savoy, Andrea Tillmanns – Der eiserne Thron

Ernst Wurdack, der Begründer und Inhaber des Wurdack-Verlags, initialisierte vor einigen Jahren einen Wettbewerb für Amateurautoren der Phantastik, den er auch immer noch durchführt. Unter http://www.storyolympiade.de findet man im Internet die Ausschreibungen der mittlerweile zweijährig stattfindenden Olympiade, die von ihren Teilnehmern stets ein breites Thema in origineller Weise bearbeiten lässt. Und den Gewinnern winken ansehnliche Preise: Jeder Autor, dessen Geschichte in der Wettbewerbsanthologie veröffentlicht wird, erhält ein Belegexemplar des Buches; die drei Erstplatzierten erhalten die Möglichkeit, einen Roman zu schreiben. Ursprünglich sollten diese Romane im Fantasy-Universum des Rollenspiels „Demonwright“ angesiedelt sein, und aus dieser Zeit resultiert der Roman „Der eiserne Thron“.

Herzog Rogvald, dessen Onkel König der Südermark und damit Inhaber des Eisernen Throns ist, fühlt sich abgeschoben auf der in entlegenen Sümpfen trotzenden Burg Kalderstein. Im letzten Scharmützel gegen die Goblins ist er als Held hervorgegangen und kann seinen jetzigen Status nicht verstehen.

Bei einem Besuch der Stadt Isenborg, Sitz der königlichen Feste, tötet er den südermarkschen Prinzen im Streit um eine Frau – nur seinem Freund Frett ist es zu verdanken, dass Rogvald nicht gefasst wird. Nun kommt ein Stein ins Rollen: Rogvald wird auf der Totenfeier von dem neuen Thronerben beleidigt und sinnt auf dessen Tod, um selbst auf den Thron zu gelangen. Mit Fretts Hilfe lockt er den jungen Prinzen bei widrigem Winterwetter in ein Moor, wo er vor einem soldatischen Zeugen versinkt. Rogvald kann nichts nachgewiesen werden, aber die Schwester der Prinzen ist misstrauisch.

Bald schon verunglückt der König tödlich auf der Jagd, und Rogvald sieht sich seinem Ziel nahe. In einem letzten Aufbäumen spinnt die Prinzessin Walrike eine Intrige, der Rogvald zum Opfer fallen soll. Doch sie fliegt auf, und damit stellt sich das Volk hinter Rogvald. Walrike flüchtet. Als Rogvald sich auf den Thron setzt, blickt ihm sein eigenes Gesicht entgegen, das spöttisch sagt: „Du hast es geschafft.“

Im zweiten Teil erfährt die zwergische Heilerin Thania von dem Unheil, das über die Stadt Isenborg hereingebrochen ist, und von dem dunklen Geheimnis, das den König Rogvald umgibt. Auf der Suche nach Prinzessin Walrike findet sie in einem Kobold einen treuen Freund, der ihr vor ihren Häschern hilft und sie aus der Südermark herausführt.

Ein Soldat der südermarkschen Garde greift selbst nach dem Thron, denn mit seiner vorgeblichen Tochter, die er unterdrückt und benutzt, hat er einen nicht zu unterschätzenden Trumpf in der Hand: Sie ist eine Wandlerin. In Gestalt einer Goblinführerin führt sie das dunkle Volk nach Isenborg, doch sucht sie nach einem Weg, sich gegen ihren Vater aufzulehnen. Der Kampf um den Thron ist noch nicht zu Ende …

Der Roman ist dreigeteilt: Im ersten Teil schildert Heidrun Jänchen mit hintergründigem Humor und Raffinesse den Weg Rogvalds nach Isenborg. Sie vermeidet so gut es geht blutige Schlachten und Tote, allerdings kommt sie um die tragenden Morde an der Königsfamilie nicht herum. Das Problem löst sie elegant, so dass man wie in einem guten Film nie die grausige Tat an sich „sehen“ kann. Andrea Tillmanns lässt ihre Heilerin alles tun, damit niemand zu Schaden kommt. Nur um den Tod der Zwergin abzuwenden, muss ein – zugegeben mordlustiger – Soldat sein Leben lassen. Christian Savoy ist da kaltblütiger. „Seine“ Orks, Goblins und Menschen zeigen sich von ihrer rauhesten Seite. Wo es Konflikte gibt, hält Yakh, der Gott des Todes, reiche Ernte.

In ihrer sprachlichen Gewandtheit nehmen sich die drei Autoren nichts und müssen sich auch hinter „Profis“ nicht verstecken. Stilistisch einwandfrei entführen sie den Leser in das karg anmutende Land der Südermark und bieten ihm ein unterhaltsames Schauspiel höfischer Ränke und grausamer Hinterlist. Nur der offenherzigen Zwergin sind das Töten und Kämpfen und das Heldentum zuwider, sie nimmt uns lieber mit auf eine Wanderung in das wundersame Reich der Kobolde, die in ihren Bäumen weit entfernt von Hirnlosigkeit und Primitivität sind, sondern mit ausgeklügelten Systemen überraschen.

Andrea Tillmanns und Christian Savoy bringen solide Arbeit ohne große Überraschungen, aber spannend und unterhaltsam geschrieben. Der Weg der Zwergin Thania ist vorgezeichnet, kann nur im Erfolg münden, der allerdings der Zwergin nicht völlig zusagt: Sie bekämpft nur das größere Übel. Savoys Protagonist Belrador ist schnell zu erkennen als tragische Figur, der ihre eigene Hinterlist zum Verhängnis zu werden droht. Trotzdem findet man Zugang zu ihm und weiß nicht so recht, ob man ihm den Sieg nicht doch gönnen könnte, denn auch Walrike macht keinen sympathischen Eindruck. Allerdings fällt hier im letzten Teil ein kleiner Schwachpunkt auf: Savoy wechselt sehr oft und unvermittelt, oft auch mitten im Absatz, die Perspektive, springt von einer Person zur nächsten und offenbart ihre Gedanken.

Heidrun Jänchen ist es gelungen, ihr Kapitel mit einer Überraschung abzuschließen. Schließlich haben wir ihren Held Rogvald und dessen Freund Frett über neunzig Seiten gebannt begleitet, nicht unbedingt wohlwollend, aber seiner Tragik des Genötigten doch bewusst, und seine Handlungen führten stets auf irgendeine Weise zum Erfolg, so dass die Begegnung mit seinem Doppelgänger äußerst unerwartet kam. Immerhin wissen wir jetzt, wie Yakh aussieht.

„Der eiserne Thron“ ist ein spannendes, hintergründiges, unterhaltsames Buch, das man in Nullkommanichts durchliest. Seine Platzierung beim Deutschen Phantastik Preis – 3. Platz in der Kategorie Roman-Debüt-National – spiegelt das hohe Niveau der jungen Autoren wider, die hier ihr Romandebüt gaben. Für 2006 hat der Wurdack-Verlag einen Folgeroman von Jänchen angekündigt, in dem es auch für einige der Protagonisten aus dem „Thron“ heißt: Nach Norden!

ISSN 1612-0566 Band 1
Erhältlich über den Wurdackverlag!

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