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Christopher, Nicholas – verlorene Bestiarium, Das

Wenn man „Das verlorene Bestiarium“ aufschlägt, um das Autorenporträt zu betrachten, dann hört man förmlich Schlachtenlärm und Säbelrasseln. Denn irgendwie schafft es Autor Nicholas Christopher, auf diesem Foto auszusehen, wie aus der Zeit gefallen: Wie ein in die Neuzeit verirrter Seeräuber vielleicht. Oder zumindest wie ein Statist aus einem Erol-Flynn-Film. Das ist immerhin ein viel versprechender Anfang für ein Buch, das als Abenteuerroman beworben wird. Und Christopher enttäuscht nicht – wenn es in seinem „Bestiarium“ auch viel leiser zugeht, als der Klappentext vermuten lässt.

Die Geschichte entspinnt sich folgendermaßen: Xeno Atlas (was für ein großartiger – sprechender – Name für einen Protagonisten) wächst im New York der 50er Jahre auf. Seine Mutter starb bei seiner Geburt, ein Drama, das ihn offensichtlich von seinem Vater entfremdet. Dieser ist Seefahrer und soll für Xeno zeitlebens ein Enigma bleiben. Meist ist er als Heizer auf See und bei seinen kurzen Landgängen begegnen sich Vater und Sohn wie Fremde. Bezugspersonen sind stattdessen die angestellte Haushälterin und vor allem Xenos Großmutter mütterlicherseits, die aus einer italienischen Auswandererfamilie stammt und Xenos trüber Kindheit mit fantastischen Geschichten über seltsame Tierwesen Farbigkeit verleiht. Und tatsächlich spielen Fabelwesen schon früh eine Rolle in seinem Leben. Da scheinen plötzlich die Wasserspeier auf dem Kirchdach lebendig zu werden und die tätowierte Seeschlange auf dem Rücken seines Vaters windet sich furchteinflößend. Doch sind die Erscheinungen real oder eben nur der Einbildungskraft eines vereinsamten Jungen zuzuschreiben?

Als Xenos Großmutter stirbt, steckt ihn sein Vater kurzerhand in ein Internat und dort macht er auch zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Karawanenbuch. In der Bibliothek der Schule entdeckt er das literarische Genre des Bestiariums – Bücher, die existierende und imaginierte Tiere beschreiben. Das Karawanenbuch stellt sich bald allerdings als die Königin der Bestiarien heraus. Es heißt, in dem Buch finden sich Illustrationen der Tiere, denen der Zugang zur Arche verwehrt wurde und die demnach durch die Sintflut ausgerottet wurden. Und nicht nur das: Denn es geht die Legende, dass das Karawanenbuch eigentlich mit der Bibel ein Ganzes bilden sollte. Zusammen bilden sie eine „universelle Geschichte, die in Wirklichkeit die einzig wahre Geschichte der Welt darstellte“. Natürlich ist das Karawanenbuch verschollen – es gilt gar als vernichtet. Xenos Interesse ist geweckt. Er will dieses Buch unbedingt finden!

Geht nun hier das literarische Abenteuer los? Ja und nein. Denn mehr noch als das angepriesene Abenteuerbuch oder die Schatzsuche à la Indiana Jones ist „Das verlorene Bestiarium“ ein Entwicklungsroman. Es geht Christopher nicht darum, seinen Protagonisten in eine bunte Welt zu werfen und ihn ein Buch finden zu lassen. Vielmehr stellt er dem Leser diesen Xeno Atlas vor und zeichnet für den Leser ein breites Panorama dessen Lebens. Und da spielt das Karawanenbuch wieder eine Rolle. Natürlich hat auch Xeno ein Leben neben der Büchersuche und so lösen sich Abschnitte über das Karawanenbuch ab mit langen Passagen, die Xeno im Vietnamkrieg zeigen oder bei den großen Antikriegsdemonstrationen in Washington. Die Patina der amerikanischen Geschichte legt sich dabei angenehm auf jede Buchseite, denn Christopher schildert die Handlung mit Liebe zum Detail – und mit Liebe zu seinen Charakteren. So kann man als Leser kaum verhindern, dass man in diese farbenprächtige, magisch angehauchte Welt hineingezogen wird, die trotzdem immer in unserer Realität verankert bleibt.

Dabei ist die Idee des Karawanenbuchs nicht nur ein netter literarischer Kniff, ein Plot Device, um die Handlung am Laufen zu halten. Stattdessen scheint Nicholas Christopher – wie sein Held – ernsthaft in die Welt der Tiere einzutauchen. Und zwar jenseits allen Kitsches. Hier gibt es keine Hunde mit Spängchen in den Haaren und auch keine Perserkatzen, die an pinkfarbenen Leinen spazierengeführt werden. Vielmehr sieht Christopher die Geschichte der Menschheit eng mit der der Tiere verknüpft. Ganz so wie das Karawanenbuch und die Bibel eigentlich ein Ganzes bilden, so sollten auch Tier und Mensch eine Einheit sein. Ihr friedliches Zusammenleben ist demnach schlicht göttliches Gesetz. Dass dieses Gesetz immer wieder gebrochen wird, verdeutlich Christopher dem Leser durch Xenos Freund Bruno, der als Wissenschaftler dem Artensterben entgegenwirken will. Dass die Poster von aussterbenden Arten, die er regelmäßig an seine Bürotür pinnt, nur eine neue Art des Karawanenbuchs sind, wird sicher keinem Leser entgehen. Und dass Xeno eine ganze Schiffsladung dieser Tiere auf dem vom Vater geerbten Schiff in ein sicheres Reservat schippert, erinnert auch nur zu deutlich an eine moderne Arche. Somit schließt sich der Kreis.

Es ist also leicht, die Attitüde eines Umweltschützers in den Roman hineinzulesen, doch hütet sich Nicholas Christopher davor, dem Leser zu predigen. Artenschutz ist ein Motiv im Roman, doch es wird elegant mit der Handlung verwoben und so hat man keinen Moment den Eindruck, Erbauungsliteratur zu lesen. Das hat Christopher nicht nötig, denn er weiß genau, wo seine Stärken liegen: Er konzentriert sich darauf, die Reise eines Menschen zu sich selbst literarisch auszuarbeiten, der die Krücke des Karawanenbuchs als den Fixstern seiner Träume irgendwann nicht mehr braucht. Xeno begibt sich auf eine Reise – eine innere wie eine äußere. Und Nicholas Christopher lädt den Leser ein, ihm auf dieser Reise zu folgen. Eine Einladung, die man keineswegs ausschlagen sollte.

|Taschenbuch: 380 Seiten
Originaltitel: The Bestiary
ISBN-13: 978-3423248297|
[www.dtv.de]http://www.dtv.de

_Nicholas Christopher bei |Buchwurm.info|:_
[„Franklyn Flyer“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=588

Nicholas Christopher – Franklin Flyer

Der junge US-Amerikaner Franklin Flyer, ein Abenteuer und Erfinder, wird in den 1930er Jahren in eine Nazi-Verschwörung verwickelt. Später steigt er zu einem der reichsten Männer des Landes auf, während er gleichzeitig als Geheimagent im Dienst der Regierung die Welt bereist und dabei haarsträubende Abenteuer erlebt … – Ein ‚literarischer‘ Abenteuerroman. Was das sein soll, muss der Leser selbst entscheiden. Objektiv beurteilt ist „Franklin Flyer“ ein fabelhaft geschriebenes, sehr unterhaltsames, mit einprägsamen Figuren besetztes Stück ‚Edel-Pulp‘. Überflüssig wirken diverse übernatürliche Elemente, weil sie gar zu deutlich als intellektuelle Spielerei ohne echten Handlungsbezug erkennbar sind. Nicholas Christopher – Franklin Flyer weiterlesen