Schlagwort-Archive: Patmos

Terry Pratchett – Trucker (Nomen 1)

Satire mit Witz: Weltuntergang aus der Froschperspektive

Vor langer, langer Zeit landete ein Raumschiff auf der Erde. An Bord: die Nomen. Knapp zehn Zentimeter groß und ebenso neugierig wie eigensinnig, leben sie Jahrtausende später in einzelnen Gruppen, die nichts voneinander wissen. Eines Tages muss eine Gruppe, die am Rand einer Autobahn lebt, auswandern. In einem Kaufhaus treffen sie auf völlig andere Mitglieder ihres Volkes. Das Kaufhaus ist deren Universum. Ein „Draußen“ gibt es nicht. Die Jahreszeiten heißen „Frühjahrsmode“, „Sommerschlussverkauf“, „Winterschlussverkauf“ und „Weihnachten“, im Keller des Universums vermuten sie ein fürchterliches Monster mit dem Namen „Bombenpreise“. Doch dann geschieht etwas wahrhaft Schreckliches. Die Welt geht unter. Und der Untergang hat einen Namen: „Räumungsverkauf“!

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Wolfgang Hohlbein – Hagen von Tronje (Lesung)

Hagens Heimat liegt im hohen Norden, doch seine Treue gehört König Gunther von Burgund, dessen Waffenmeister und engster Vertrauter er ist. Seine Liebe, wenn es je eine in seinem Leben gegeben hat, gehört Gunthers Schwester Kriemhild. Die Ankunft des Recken Siegfried von Xanten an Gunthers Hof in Worms kündet von drohendem Unheil. Nur zu deutlich wird Gunthers Schwäche offenbar – und nur zu bald die verhängsnisvolle Liebe zwischen Siegfried und der Thronerbin Kriemhild.

Der Autor
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Jasper Fforde – Der Fall Jane Eyre (Lesung)

Der weibliche James Bond der Literatur

Super-LiteraturAgentin Thursday Next jagt den Erzschurken Acheron Hades, der droht, viel geliebte Gestalten der Weltliteratur aus dem Gedächtnis der Menschheit zu tilgen. Er visiert Charlotte Brontës berühmtesten Roman an. Nur Thursday kann Jane Eyre retten – und verändert deren Leben entscheidend … Eine rasante, witzige, intelligente Mischung aus Science-Fiction, Krimi, Abenteuer. Ein Spiel mit der Literatur, ein fabelhaftes Hirngespinst. (Verlagsinfo)

Der Autor

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H. G. Wells, – Zeitmaschine, Die (inszenierte Lesung)

_Angewandte Evolutionstheorie: Eloi, Morlocks, Mensch_

Der Zeitreisende, den H. G. Wells als Erster in die Zukunft schickt, erlebt sehr viel mehr – und zugleich weniger – als in den bislang zwei Verfilmungen seines erfolgreichen Romans geschildert wird. Was aber meist weggelassen wird, sondern die Gedanken, die sich der wissenschaftlich gebildete Voyageur über die Evolution von Mensch und Universum macht. Keineswegs dogmatisch verbohrt, stellt er immer wieder eine Theorie auf, nur um sie unter dem Druck neuer Phänomene sofort zu revidieren, wohlwissend, dass sie nur Modelle sein können, um eine ungewöhnliche Situation zu beschreiben. Dabei fällt er ironischerweise selbst auf die primitivste Stufe der menschlichen Kultur zurück …

_Der Autor_

Herbert George Wells (1866-1946) beeinflusste die Entwicklung der Science-Fiction wie neben ihm nur noch Jules Verne. Seitdem er die Lehren von T. H. Huxley, einem eifrigen Verfechter von Charles Darwins Evolutionstheorie, gehört hatte, verfolgte er diese Theorien weiter. Weil ihm die Lehrerlaufbahn wegen angegriffener Gesundheit verwehrt blieb, wandte er sich dem Schreiben zu, um Geld zu verdienen. Schon die ersten Erzählungen wie „The Chronic Argonauts“, die 1888 erschien, erregten Aufsehen. Daraus formte er dann das vorliegende Buch „The Time Machine“, das 1895 erschien. Joseph Conrad und Henry James, die besten Autoren ihrer Zeit, hießen ihn in ihren Reihen willkommen.

_Der Sprecher_

Götz Otto, geboren 1967, studierte Theaterwissenschaft, Politologie und Philosophie in Berlin, bevor er seine Schauspielausbildung an der Grazer Hochschule für Musik und darstellende Kunst und an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule absolvierte. 1991 spielte er bereits am Schiller-Theater Berlin und im Kinofilm „Kleine Haie“ von Sönke Wortmann. 1993 kam der Sprung nach Hollywood, wo er in Spielbergs „Schindlers Liste“ mitwirkte. Weltbekannt wurde er aber 1997 durch seine Rolle des Bösewichts Stamper im James-Bond-Thriller „Der Morgen stirbt nie“. 2003 trat er in „Der Untergang“ auf. Als Synchronsprecher lieh er seine Stimme dem Kater Snowball in „Stuart Little“. Zuletzt hat er in der britischen Kinokomödie „Alien Autopsy“ mitgewirkt.

Der Buchtext wurde von Dirk Kauffels gekürzt, der auch Regie führte. Die Tonaufnahme oblag Detlef Fischer, München. Die Mischung nahm Georg Niehusmann vom Sonic Yard Studio in Düsseldorf vor.

_Handlung_

Zwei Herrengesellschaften

Der Roman beginnt weder auf dem Mond noch in ferner Zukunft, sondern im schönen Themsetal bei Richmond, genauer: in der Bibliothek des Zeitreisenden, der nie einen Namen erhält. Bei ihm zu Besuch ist eine Herrengesellschaft, zu welcher der Ich-Erzähler als Chronist zählt, sowie ein gewisser Philby, offenbar die Stimme der Kritik. Ansonsten gibt es nur Namenlose: den Arzt, den Psychologen, den Bürgermeister „aus der Provinz“ und einen „jungen Mann“.

Ihnen setzt der Zeitreisende seine Idee auseinander, dass man sich in der Zeit als einer ähnlichen Dimensionen wie in den drei Dimensionen des Raumes bewegen könne. Und er stellt ihnen das Modell seines Vehikels vor. Mit dem Umlegen eines Hebels schickt der Psychologe es in die Zukunft. Natürlich nicht in die Vergangenheit, sonst hätten sie es ja bei früheren Besuchen bemerken müssen.

Nebenan wartet im Labor bereits die fast fertiggestellte richtige Zeitmaschine. Die Besucher sind verblüfft, nicht nur ob dieses Apparats, sondern auch wegen der Ankündigung des Gastgebers, er werde die Zeit erforschen.

Bei einem zweiten Besuch erwartet die Rückkehr des Zeitreisenden ebenfalls eine illustre Herrengesellschaft: der Herausgeber einer Tageszeitung, ein Journalist, ein „Schweigsamer“ und unser Chronist. Da taucht der lang Erwartete endlich auf, doch in zerfetzter Kleidung, schmutzig und verletzt, bleich, hinkend und schuhlos. Offenbar ist ihm einiges zugestoßen, doch die beiden Pressemenschen haben nur Spott für ihn übrig – was soll dieser abgeschmackte Zirkusauftritt? Nachdem er sich frisch gemacht hat, fällt der Gastgeber gierig über das Abendessen her. Im „Rauchzimmer“ erzählt er dann seine Geschichte. Wie erbeten, unterbricht ihn keiner der Anwesenden.

|Die Reise|

Er ist ins Jahr 802.701 gereist, aber im Themsetal geblieben. Auf einer Wiese kam er im Hagelsturm vor einer großen Bronzestatue zum Halten. Es handelte sich um eine Sphinx mit ausgebreiteten Schwingen, die auf einem Piedestal stand. Schöne Zwerge in feinen Gewändern tauchten nach dem Sturm auf, die ihn anlachten und zum Essen einluden, in einen nahegelegenen Palast. Dieser sei aber sehr heruntergekommen gewesen und habe ungepflegt ausgesehen. Da die Zwerge – sie nennen sich „Eloi“ – recht träge und dumm sind, hält er sie nicht für die Erbauer dieses Gebäudes, das von einem schönen, doch verwilderten Garten umgeben ist. Sie verfügen weder über Aufmerksamkeit noch Neugier, fürchten sich aber enorm vor jeder Art von Dunkelheit.

Auf einem Hügel entdeckt der Ankömmling eine Menge Ruinen, aber keinerlei Häuser oder Felder. Seine erste Theorie lautet daher: „Kommunismus“! Als er die Schlote entdeckt, über denen die Luft flimmert, und die tiefen trockenen Schächte, die Luft ansaugen, muss er seine Theorie angesichts dieses Ventilationssystems revidieren. Während seines Sinnens über den evolutionären Niedergang der Menschheit auf das Niveau der Eloi vergisst er seine einzige Reisemöglichkeit. Seine Maschine ist verschwunden, in den Sockel der Sphinx gezerrt worden. Es gibt offenbar noch andere Wesen außer den Eloi.

|Die Unterwelt|

Nachdem er in einer geretteten Eloifrau namens Weena eine Gefährtin gefunden hat, mit der er sich unterhalten kann (die Sprache ist rasch erlernt), macht er sich trotz ihrer Warnungen auf eine Expedition in einen der Schächte hinab, um einem seltsamen weißen Wesen zu folgen. Mit Hilfe seiner Streichhölzer dringt er in die Tunnel in der Tiefe vor. In der weitverzweigten Unterwelt stehen riesige Maschinen, die von den weißen affenähnlichen Wesen bedient werden. Es handelt sich nicht um Affen, sondern um eine weitere menschliche Spezies: Morlocks. Und auf einem ihrer Tische erblickt der Zeitreisende entsetzt die Überreste eines Eloi. Die Morlocks sind offenbar Kannibalen.

Mit knapper Not entgeht er den Zugriffsversuchen dieser Fleischfresser, doch er hat nur noch wenige Streichhölzer übrig, um sich gegen die nun nächtlich erfolgenden Morlockangriffe zu wehren. Wieder muss er seine Evolutionstheorie revidieren, um eine Verbindung zwischen dem 19. und dem 8028. Jahrhundert herzustellen. Durch mehrere dunkle Neumondnächte unternimmt er eine Wanderung mit Weena, die in den Verfilmungen stets weggelassen wird: in das Museum im „Grünen Porzellanpalast“.

|Das Museum|

In diesem Museum im früheren South Kensington stößt er auf eine Galerie von Urwelttieren, wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert revolutionär war. Um sich und Weena vor herandrängenden Morlocks zu schützen, bricht er einen Hebel von einer Maschine ab und besorgt sich Kampfer sowie Streichhölzer: Er ist auf die Stufe eines Höhlenmenschen mit Feuer und Keule zurückgefallen. Schuhe hat er ebenfalls keine mehr.

Nach einer Lagerfeuernacht im Wald kommt es zur Schlacht. Die Morlocks wollen unbedingt Weena und ihn zum Frühstück verspeisen. Während Weena verschwindet, bricht im Wald Feuer aus, das die Morlocks in schwere Bedrängnis bringt: An die Dunkelheit der Tunnel längst angepasst, sind sie vom Feuer geblendet und rennen blindlings in die Flammen.

Doch die Morlocks haben immer noch seine Zeitmaschine in ihrer Gewalt. Er kann nicht mehr bleiben und muss sie zurückbekommen. Doch die Morlocks haben eine Falle für ihn vorbereitet …

_Mein Eindruck_

Dieser erste Roman von Wells hat die Zeitreise und das Instrument dafür in die Science-Fiction eingeführt; unzählige Nachahmer haben seine Idee aufgegriffen. Mit der Zeitmaschine begegnen die Zeitreisenden des Öfteren positiven oder negativen utopischen Gesellschaften, die gewöhnlich in kritischem Gegensatz zur Gesellschaft des Autors und seines Lesers stehen.

Da es sich bei dem Buch nach Wells‘ eigener Definition um eine „scientific romance“ handelt, also im Grunde um eine wissenschaftlich fundierte, aber eigentlich unglaubliche Abenteuergeschichte, konzentriert sich sein Interesse auf nicht auf die technischen Voraussetzungen der Zeitreise, sondern auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die im Jahr 802.701 anzutreffen sind.

Der eng umgrenzte Schauplatz der Handlung präsentiert sich ihm zunächst als grünes, fruchtbares Paradies (mit großer Ähnlichkeit zum Tal der Themse), das von den kindhaften Eloi bewohnt wird. Doch unter der Erde leben in düsteren Höhlen die verunstalteten Morlocks, die Nachkommen eines früheren Industrieproletariats. Die Auffassung des Zeitreisenden vom Verhältnis dieser beiden Rassen zueinander ändert sich unter dem Eindruck neuer Erkenntnisse ständig.

Waren ihm die Eloi zu Anfang als die Herren der Welt (und zugleich eine Art englische „leisure class“) erschienen, so stellen sie sich schließlich als das Vieh heraus, das die Morlocks als Nahrung züchten. Diese Umkehrung der Verhältnisse, die Wells‘ Leser kannten, löst im Zeitreisenden Entsetzen aus, das viel von den Ängsten verrät, die Wells hinsichtlich seiner eigenen Klasse hegte. In den letzten Kapiteln malt er ein visionäres Schreckensbild von einer schwachen Sonne, wenn am Ende der Zeiten alle Energie dem Prozess der Entropie zum Opfer gefallen ist.

Aber mehr noch durch den Grundeinfall besticht „Die Zeitmaschine“ durch ihre Bildhftigkeit und ihre metaphernreiche Sprache. Daher wird das Buch als der beste Roman in Wells‘ Frühwerk angesehen. In einer Gesamtschau der Zukunft ist hier die erste bedeutende anti-utopische Horrorvision entstanden. Dem Buch war infolgedessen ein großer Erfolg beschieden und es wurde seit 1895 zweimal verfilmt, zuletzt von Wells‘ Enkel Simon.

(zitiert nach meinem eigenen Artikel in „Harenbergs Lexikon der Weltliteratur“, 1989, Seite 3130-3131)

|Der Sprecher|

Götz Otto hat eine Stimme, die einen Deut tiefer liegt als die von David Nathan. Er trägt auch ähnlich vor wie David Nathan: deutlich artikuliert und die Sätze und Satzteile betonend. So kann der Hörer seinem Vortrag sehr gut folgen. Aber das ist natürlich nicht alles, was ein Sprecher können muss.

Otto gelingt es, den insgesamt acht Männern eine einigermaßen individuelle Tonlage und Sprechweise zu verleihen, so dass sie halbwegs unterscheidbar sind. Der Zeitreisende, dessen Namen wir nie erfahren, spricht zunächst tief und bedeutungsschwer, denn was er zu berichten hat, ist einfach unerhört. Deshalb legt er sich ein Mäntelchen der Autorität zu – und leiht es sich von anderen Autoritäten, die er laufend zitiert. Der Ich-Erzähler, der uns von ihm berichtet, heißt vermutlich Hillyard. Seine Tonlage ist normal und meist entspannt.

Der Provinzbürgermeister und der Zeitungsverleger sind Skeptiker und klingen dementsprechend. Dito der Arzt und der Psychologe, wohingegen der Journalist quengelt, wo er jetzt zu nachtschlafender Zeit ein Taxi herbekommt. Kurz vor Schluss taucht ein Diener auf, der den Zeitreisenden sucht. Er klingt, als würde er wie ein klassischer englischer Buttler näselnd.

Die Stimmen von Weena und Ihresgleichen hören wir nie. Und die „Stimmen“ der Morlocks lassen sich besser unter „Geräusche“ subsumieren.

|Geräusche|

Diese „inszenierte Lesung“ wartet mit einer Vielfalt unterschiedlichster Geräusche auf, die dennoch nur vereinzelt auftreten. Sie ergänzen oder untermalen den Text. In den Räumen des Zeitreisenden knistert stets ein Kaminfeuer, und eine Uhr tickt vernehmlich. Den Übergang zu den Abenteuern im großen „Draußen“ bildet das leise Motorengeräusch der Zeitmaschine selbst. Der idyllische Schauplatz der Erlebnisse im Jahr 802.701 ist zunächst mit Vogelgezwitscher erfüllt, doch nach diversen Erkundungen, unter anderem in der Unterwelt, macht ein großer Brand mit intensivem Flammenknistern der Idylle ein jähes Ende.

In der Unterwelt und im Wald stößt der Zeitreisende stets auf die weißen, tierhaften Morlocks. Sie stoßen ein grunzendes Schnauben aus, das man ihre Sprache interpretieren könnte. Es lässt sie wegen der tiefen Tonlage zugleich als Gefahr erscheinen. Nicht zu Unrecht, wie sich erweisen soll. Die Schreie der Morlocks, wenn sie Schmerz fühlen, sind markerschütternd und erinnerten mich an das Trompeten von Elefanten.

Die letzte Fahrt führt den Reisenden in die fernste Zukunft, an einen trostlosen Strand. Ein Heulruf, den ein Riesenschmetterling ausstößt, wird von einem insektoiden Schaben von Riesenkrabben abgelöst. Der Reisende macht, dass er wegkommt.

|Die Musik|

Ein dicker Pluspunkt dieser schönen Lesung ist die Musik. Sie stammt nach Angaben des Verlags aus dem Soundtrack der Verfilmung von 1960, die George Pal mit Rod Taylor in der Hauptrolle inszenierte – siehe auch das Titelbild des Hörbuchs. Diese Musik stammt jedenfalls nicht aus der Verfilmung von 2002, die Klaus Badelt komponierte, sondern ist von dem Komponisten Russell Garcia.

Die Musik dient niemals als Untermalung, sondern nur als Pausenfüller, der eine klare Zäsur zwischen den einzelnen Kapiteln bildet. Auf diese Weise kann sich der Hörer zurücklehnen und das Gehörte „verdauen“. Selten ist die die Musik auf Action ausgelegt, vielmehr sind die kleinen Stücke in der Mehrzahl entspannend, zuweilen auch melancholisch (eine Oboe erklingt). Einmal werden auch unheilvolle Akkorde angeschlagen, doch das allerletzte Stück endet mit einem hellen Triumph.

|Das Booklet|

… ist höchst informativ und für den jungen Leser – Schüler oder Student – von hohem Erklärungswert. Nicht nur Sprecher und Autor werden detailliert vorgestellt, sondern auch das Buch selbst. Außerdem findet sich ein mehrseitiges Glossar, das Namen und Begriffe erklärt. Eine sehr willkommene Verständnishilfe, wie ich finde.

_Unterm Strich_

„Die Zeitmaschine“ ist Wells‘ praktische Anwendung von Huxleys Version der Darwin’schen Evolutionstheorie, allerdings in packender erzählerischer Form. Was in den Verfilmungen völlig fehlt, ist das ständige Räsonnieren des Zeitreisenden über die vorgefundene Situation: Eloi und Morlocks – in welcher Beziehung stehen sie zueinander, und wie konnte es dazu kommen? Das gibt Wells‘ Hauptfigur Gelegenheit, stellvertretend für seinen Autor über zentrale Grundlagen der Zivilisation nachzudenken und sie in Frage zu stellen: Intelligenz, Neugier, Erfindungsgeist, Werkzeuge, aber auch Familie, Geschlecht (alle Eloi sind unisex gekleidet, die Morlocks überhaupt nicht), Nachkommen, Zeitempfinden.

Das traurige Finale der Zeitreise führt weit in die Zukunft. Aufgrund heutiger Kenntnisse kommt es zu der geschilderten Situation zwar erst in einer Milliarde Jahren, aber dennoch: Der Schrecken, den die schaurige Endzeit-Szenerie am Strand eines toten Meeres unter einer sterbenden Sonne vermittelt, dürfte annähernd der gleiche sein, wenn es soweit ist. Wells stellt die Evolution des Menschen in den größeren Rahmen der Evolution des Sonnensystems und des gleichgültigen Universums. Später werden Autoren wie Olaf Stapledon noch weiter blicken und die menschliche Evolution in fernste Zukunft fortschreiben. Doch Wells zieht als Mensch und möglicherweise Romantiker ein erstes Fazit von dem, was unter dem kalten Funkeln der Sterne im menschlichen Leben zählt: Liebe zum Beispiel.

|Das Hörbuch|

Eine inszenierte Lesung als Hörbuchfassung der „Zeitmaschine“? Dieses Vorhaben ist jedenfalls gut gelungen und weitaus unterhaltsamer als die Nur-Text-Fassung, die der |Verlag u. Studio für Hörbuchproduktionen| im Jahr 1996 vorlegte. Dass der Text leicht gekürzt wurde, ist meines Erachtens kein Nachteil, sondern erspart dem Hörer vielmehr die ermüdenden Erklärungen und Spekulationen des Buchautors.

Götz Otto erweist sich als kompetenter Sprecher, wenn er auch weit von der Stimmakrobatik eines Rufus Beck entfernt ist. Die Geräusche verdecken nie den Vortrag, und die Filmmusik von Russell Garcia aus dem Jahr 1960 ist sowohl stimmungsvoll als auch entspannend. Das Gesamtergebnis ist zwar nicht berauschend, aber solide und könnte sich auch für Unterrichtszwecke eignen.

|Originaltitel: The Time Machine, 1895
Deutsch bei Zsolnay, 1980
Aus dem Englischen von Annie Reney & Alexandra Auer
244 Minuten auf 3 CDs|
http://www.patmos.de

|Siehe ergänzend dazu Dr. Michael Drewnioks [Rezension 1414 der Buchfassung.|

Jochen Weeber und Fariba Gholizadeh – Was ist bloß mit Gisbert los?

Eigentlich hatten sie es gar nicht so böse gemeint, als sie hinter dem Giraffenjungen Gisbert über seine braunen Flecken tuschelten. Auch das Nilpferd hatte vorher nicht lange nachgedacht, als es sich über Gisberts Trompetenspiel lustig machte. Trotzdem ist Gisbert, der eine normal große, fröhliche Giraffe – ja gar ein langer Lulatsch – gewesen war, plötzlich ganz klein und traurig geworden – so klein, dass er unter das Sofa passt und gar keine Lust mehr hat, mit seinen alten Freunden zu spielen. Erst im letzten Moment, als die Freunde sich schließlich mit einer Karte und einem kleinen Geschenk bei ihm entschuldigen, kann er sich seinen Eltern anvertrauen und findet wieder zu seiner alten Größe zurück.

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Pimm van Hest und Nynke Talsma – Charly

Was tun, wenn das geliebte Haustier stirbt? Schon für Erwachsene ist es nicht leicht, von einem liebgewonnen Lebewesen Abschied zu nehmen. Für Kinder ist es jedoch ungleich schwerer, wenn plötzlich ein tierisches Familienmitglied fehlt. Unverständnis und Tränen sind da unvermeidlich an der Tagesordnung.

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Paul Stewart / Chris Riddell – Rook in den Freien Tälern (Klippenland-Chroniken VII)

Folge 1: „Twig im Dunkelwald“
Folge 2: „Twig bei den Himmelspiraten“
Folge 3: „Twig im Auge des Sturms“
Folge 4: „Twig – Fluch über Sanktaphrax“
Folge 5: „Rook und Twig, der letzte Himmelspirat“
Folge 6: „Rook und der schwarze Mahlstrom“

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Paul Stewart, Chris Riddell – Rook und Twig, der letzte Himmelspirat (Die Klippenland-Chroniken V)

Buch I: Twig im Dunkelwald
Buch II: Twig bei den Himmelspiraten
Buch III: Twig im Auge des Sturms
Buch IV: Twig – Fluch über Sanktaphrax

Neue Helden braucht das Land, diese alte Weisheit gilt wohl auch für das sagenumwobene Sanktaphrax, die Heimat der Himmelspiraten, durch die einst der beliebte Twig reiste. Mit dem fünften Teil der „Klippenland-Chroniken“ ist es dann auch schließlich so weit: Ein neuer Hauptcharakter wird eingeführt, nämlich der junge Rook, der zu den Ausgesandten gehört, die Sanktaphrax vor dem erneut drohenden Untergang bewahren sollen. Doch die Trennung von Twig als zentraler Figur kann natürlich nur funktionieren, wenn dieser auch in „Rook und Twig, der letzte Himmelspirat“ einen wichtigen und letztendlich entscheidenden Gastauftritt hat.

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Paul Stewart – Twig bei den Himmelspiraten (Die Klippenland-Chroniken II)

Band 1: „Twig im Dunkelwald“

Nachdem Twig im ersten Teil der „Klippenland-Chroniken“ auf der langen Reise durch den Dunkelwald seinen Vater bei den Himmelspiraten entdeckt hat, geht die Geschichte um den nun etwas reiferen Jungen weiter. Gemeinsam mit seinem legendären Vater und dessen Mannschaft zieht er hier auf eine weitere spannende Reise, die wieder einmal von Hörbuch-Genius Volker Niederfahrenhorst erzählt wird. War die erste Geschichte schon sehr gut, kann sich das Ganze in der Fortsetzung sogar noch einmal steigern, denn die Action und die Spannung nehmen bei „Twig bei den Himmelspiraten“ nochmals zu – leider aber auch die Zahl der Todesopfer, die im Verlaufe der Produktion anfallen …

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Mossé, Claude – Alexander der Große. Leben und Legende

Der Makedonenkönig Alexander der Große aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. gehört zu jenen Gestalten der Antike, nach deren Taten die Welt ein ganz anderes Anlitz zeigte. Um es ein wenig überzogen zu sagen: Vor dem Auftreten Alexanders gab es Griechen und Barbaren, nach dem Auftreten Alexanders nur noch Hellenen. Seine Feldzüge schoben den Wirkungsbereich der griechischen Kultur bis weit nach Asien und schließlich Indien hinein. War für die alten Griechen vorher alles Nichtgriechische fremdartig und ohne Übergang abgegrenzt von der eigenen Identität gewesen, so boten die Diadochenreiche, die nach dem Tod Alexanders von dessen Eroberungen übrig blieben, das Bild manigfach gemischter Bevölkerungen. Ägypten, welches schon lange vorher – wie uns Herodot, der Geschichtschreiber des 5. Jahrhunderts v. Chr. bezeugt – ein bewundertes Vorbild und einen großen Einfluss darstellte, kam nun selbst an ein griechisches Herrschergeschlecht, das der ehemalige General (griech.: |strategos|) Alexanders Ptolemaios I. hier begründen konnte. Das riesige Perserreich, welches ehemals die griechischen Städtebünde regelmäßig besiegte und viele asiatische Griechenstädte unter seiner Herrschaft hatte, zerfiel erstaunlich schnell im Laufe von nur zehn Jahren vor dem Ansturm des jungen Eroberers. Nach seinem frühen Tod im dreiunddreißigsten Lebensalter wurde er schon bald zur Legende und bis zu Napoleon ein geradezu mythisches Vorbild, das dem eigenen Streben so vieler Machthaber ein glanzvolles Gepränge geben konnte.

Aus diesem Grunde nennt die französische Professorin für Alte Geschichte an der Pariser Universität Claude Mossé ihr Buch im Untertitel „Leben und Legende“ (franz.: la destinèe d’un mythe). Sie wählt nicht die Form einer chronologischen Biographie, sondern versucht mit einem komplexeren Zugriff, der faszinierenden Gestalt des Makedonen gerecht zu werden. Der Ablauf der Ereignisse bleibt hier einem Kapitel unter anderen vorbehalten. Wir werden außerdem ausführlich mit den Nachwirkungen der Feldzüge Alexanders und mit seinem Nachleben in der Überlieferung bekannt gemacht. Insofern erfährt der Leser eine regelrechte Einweihung in die Probleme der modernen Forschung, die durch die Quellenlage und die historischen Zusammenhänge aufgeworfen werden. Denn im Grunde besitzen wir nur Quellen aus späteren Jahrhunderten über das Leben Alexanders, die auf einer schon bestehenden Überlieferung aufbauten. Claude Mossé macht also nicht nur mit dem Menschen Alexander, sondern auch mit dem geschichtlich wirksam gebliebenen und daher bislang „unsterblichen“ Phänomen Alexander bekannt. Wie aktuell diese Figur noch zu sein scheint, zeigt ja auch die jüngste Verfilmung seines Lebens durch Hollywood-Regisseur Oliver Stone.

Das vorliegende Buch steht in direkter Konkurrenz zur Neuübersetzung der Alexander-Biographie des Engländers Robin Lane Fox, die im Verlag |Klett-Cotta| erschienen ist. Durch den völlig anderen Zugriff der französischen Professorin aber bleiben beide Bücher für den geschichtlich interessierten Leser wertvoll und ergänzen einander. Wer wirklich in das Thema einsteigen will, wird zweimal in den Geldbeutel greifen müssen.

Damit ist bereits gesagt, dass Claude Mossé mit diesem Buch eine gelungene Arbeit vorgelegt hat. In klarer, sachlicher, aber nie zu schal wirkender Sprache führt sie uns in die Tiefen der historischen Erscheinung des jungen Welteroberers. Viele Wege führen nicht nur nach Rom, sondern in diesem Fall auch in ein Kapitel altgriechischer Geschichte, das mit anderen Mittelmeerkulturen eng verknüpft ist. Jeder Weg wird in einem für sich abgeschlossenen Teil beschritten. Die Richtung dieser Wege sei an dieser Stelle kurz beschrieben. Der zweite und der vierte Teil bilden dabei die Herzstücke des Buches.

_Der erste Teil: Die Etappen der Herrschaft Alexanders des Großen_
Hier bietet die Autorin den schon erwähnten biographischen Überblick. Ausgehend von der Situation in der Mittelmeerwelt im 4. Jahrhundert v. Chr. berichtet sie von den Schwierigkeiten, die Alexander nach der Ermordung seines Vaters Philipp II. mit den anderen Griechenstädten hatte und wie er dennoch einen vereinigten Feldzug gegen Persien erzwang. Er beendete die Herrschaft des persischen Geschlechtes der Achämeniden, eroberte ganz Kleinasien und Ägypten, brachte die östlichen Satrapien des Perserreiches unter seine Kontrolle, errichtete in Indien Machtzentren und zog schließlich triumphal in Babylon ein.
Nach der Einnahme einer Mahlzeit fühlte er sich nicht wohl, ging in sein Zelt und starb eines schnellen Todes. Es konnte nie geklärt werden, ob die Verdächtigung zu Recht bestand, dass ihn Antipater, sein Verwalter in Makedonien, hatte vergiften lassen, weil er die Ostpolitik des Königs missbilligte.

_Der zweite Teil: Die unterschiedlichen „Rollen“ Alexanders des Großen_
In der komplexen Gestalt des Makedonenkönigs vereinigten sich unterschiedliche „Rollen“, die er auf den historisch bedeutsamen „Bühnen“ seiner Zeit vor verschiedenstem Publikum „spielte“. „Spielte“ muss hier unbedingt in Anführungszeichen stehen, denn Alexander handelte dabei nicht vorrangig aus strategisch-politischen Erwägungen heraus, sondern war selbst ganz eingelassen und identifiziert mit diesen Formen seines Auftretens. Als König der Makedonen hatte er eine „Rolle“ inne, die ihn einer Einheit aus traditionellen Sitten und Bräuchen der Makedonen verpflichtete. Genau in jenem Moment, als er begann, diesen Traditionsrahmen zu überschreiten, kam es zum Eklat mit seinen makedonischen Kriegern.

Durch die immer stärker werdende Integration persischer Krieger in seine Armee, die gleichzeitig immer höhere militärische Ränge bekleideten, zog er sich den Unmut seiner Makedonen zu. Die Gefahr des drohenden Bruches mit diesem Teil seiner Armee wurde noch dadurch verschärft, dass er auch von den Griechen die Proskynese verlangte – eine orientalische Sitte, die das Niederwerfen auf den Boden vor dem König forderte. Im Laufe dieser Streitigkeiten tötete Alexander mehrere langjährige Freunde und Befehlshaber. Diese Untaten führten dazu, dass schon einige antike Schriftsteller ihn vorrangig als „Raufbold“ und Säufer darstellten.

In seiner „Rolle“ als |hegemon| der Griechen befehligte er den Korinthischen Bund, in dem die meisten Griechenstädte vereinigt waren. Dieser Bund hatte sich zum Ziel gesetzt, die griechischen Städte in Kleinasien aus persischer Vorherrschaft zu befreien – ein Ziel, das Alexander schon bald am Anfang seines Feldzuges erreichte. Als |hegemon| fühlte er sich aber auch dem Vorbild der alten Heroen verpflichtet, mit deren Taten er durch seine begeisterte Lektüre der Epen Homers schon in früher Jugend bekannt geworden war. Davon zeugen die zahlreichen Städtegründungen, die er nach mythischem Vorbild vornehmen ließ und die in erster Linie mit Griechen bevölkert wurden. Von den fernen Plätzen seines Wirkens schickte er Boten nach Griechenland, die seine Befehle den dortigen |poleis| ausrichten sollten und verlangte eine göttliche Verehrung, was teilweise nicht auf die Begeisterung der griechischen Stadtbewohner stieß. Die Spartaner ließen allerdings lakonisch verlauten: „Wenn Alexander will, soll er ein Gott sein!“

Da die Herrschaft im Perserreich nun in seinen Händen lag, musste er die „Rolle“ eines Nachfolgers der Achämenidenkönige übernehmen. Alexander behielt als kluger Feldherr natürlich den Großteil der Verwaltungen bei, die er in den besetzten Gebieten vorfand. So setzte er meist einheimische Satrapen als Verwalter ein und errichtete in den jeweiligen Städten nur eine makedonische Kaserne als Kontrollinstanz. Er erhob Tribute, tastete aber die Regierungsformen und Sitten der Einheimischen nur in Ausnahmefällen an.

Eine wichtige „Rolle“ Alexanders war die seiner Gottsohnschaft. Von ihr zeugen noch die Widderhörner am Kopf Alexanders auf vielen Darstellungen bis ins Mittelalter hinein. Alexander erschien als der Sohn des Gottes Zeus Ammon, in dem sich der griechische oberste Gott Zeus mit dem ägyptischen Sonnengott Amun zu einer Einheit verband. Letzterer konnte als Mann mit einem Widderkopf dargestellt werden und daher waren Alexanders Hörner ein Attribut dieses Gottes. In der ägyptischen Oase Siwa erhielt Alexander von dem dortigen berühmten Orakel die Bestätigung dafür, dass er über die Perser siegen werde sowie die Offenbarung seiner Gotteskindschaft. Da die Makedonen sich von Alters her als Nachkommen des vergöttlichten Heros Herakles verstanden, war Alexander seitdem gewissermaßen doppelt mythisch legitimiert. Für Alexander besaß diese Verbindung mit Zeus Ammon eine große persönliche Wichtigkeit, was sich schon daran sehen lässt, dass seine Soldaten einmal mürrisch verkündeten, er brauche sie offensichtlich nicht und solle doch mit seinem göttlichen Vater alleine siegen. Claude Mossé geht in diesem Zusammenhang auf die Tradition der Heroenverehrung in Griechenland ein, in der auch Alexander fest verwurzelt war.

_Der dritte Teil: Der Mensch Alexander_
Für die Nachzeichnung des Charakters von Alexander hält sich die Autorin hier an den vertrauenswürdigsten Führer – an den Philosophen und Historiker Plutarch, der allerdings vier Jahrhunderte später zur Zeit Caesars lebte. Der Leser findet in diesem Teil ein Kapitel über die Erziehung und Kindheit Alexanders, in dem auch sein Lehrer, der berühmte Philosoph Aristoteles, eine Rolle spielt.
Ein weiteres Kapitel berichtet über die Eigenschaften, die Alexanders Persönlichkeit in den Quellen am häufigsten zugeschrieben wurden. Diese reichen von den Feldherrntugenden wie Mut und einer geradezu sagenhaften Großzügigkeit über seine Vorliebe für die Philosophie bis zu den Schattenseiten Alexanders, die vor allem am Ende seiner Feldzüge zutage traten. Beispielsweise konnte seine ansonsten vorbildlich geübte Selbstbeherrschung später in den brutalsten Jähzorn umschlagen.

_Der vierte Teil: Das Erbe Alexanders_
Die eigentliche historische Bedeutung Alexanders geht darauf zurück, dass seine Herrschaft „einen radikalen Bruch in der Entwicklung des östlichen Mittelmeerraumes bedeutete“ (S. 131). Frau Mossé schreibt weiter: „Bevor er die geschichtliche Bühne betrat, bestanden auf der östlichen Seite der Ägäis das riesige Perserreich und auf der westlichen viele griechische |poleis|. Unter ihnen ragten einige Städte heraus, die einen Grad der Zivilisation erreicht hatten, der in den Augen der damaligen Griechen als das direkte Gegenteil des barbarischen ‚Despotismus‘ erschien. Dies waren Städte, die sich nach – zugegeben – unterschiedlichen Maßstäben und Normen selbst regierten; aber alle verstanden den Begriff des Bürgers als Synonym für höchst erstrebenswerte politische Aktivitäten. Nach Alexander bestanden in erster Linie riesige, von Königen regierte Staaten, die sich dennoch der griechischen Kultur verpflichtet fühlten. Natürlich gab es sowohl im europäischen Teil Griechenlands als auch in Kleinasien weiterhin unabhängige griechische Staatsgebilde oder untereinander verbündete Städte und Staaten. Und in den Städten zumindest blieben die in den vergangenen Jahrhunderten erworbenen Formen des Zusammenlebens erhalten, und so gesehen stimmt es, dass der Typus der griechischen Stadt durch den Eroberungszug des Makedonen nicht untergegangen ist. Aber diese Städte besaßen, selbst wenn sie nicht innerhalb der ausgedehnten Königreiche lagen, die aus Eroberungen hervorgegangen waren, bezüglich ihrer äußeren Beziehungen nur noch begrenzte Autonomie. Sie standen trotz einiger kurzlebiger Ausbrüche in Form von Unabhängigkeitsbestrebungen doch mehr oder weniger im Schatten hellenistischer Könige, bevor sie dann unter römische Herrschaft gerieten.
Die kurze Herrschaft Alexanders führte also zu einem Bruch, auf politischem, aber auch auf kulturellem Gebiet in dem Maße, in dem sich im Lauf der Zeit neue Formen des Denkens, der religiösen Synkretismen oder von Akkulturationsphänomenen herausbildeten.“ (S. 131 f.). Dies führte nicht zu einer sofortigen Änderung des Gesichtes der antiken Welt, aber Alexander leitete die Entwicklung ein, „die der antiken Welt ihr endgültiges Aussehen gab.“ (S. 132)
In diesem Kapitel werden also die neuen Formen der Monarchie, der Lebensführung und Wirtschaft behandelt, genauso wie die fortschreitende Hellenisierung des Orients, die eine folgenschwere Ausdehnung griechischer Kultur bedeutete und es bespielsweise ermöglichte, dass viele Jahrhunderte später die Schriften des Aristoteles im Mittelalter durch arabische Übersetzungen nach Europa zurückgelangen konnten.

_Der fünfte Teil: Alexander, ein mythischer Held_
Hier behandelt die Autorin das Bild, das sich die späteren Jahrhunderte von Alexander machten. Sie beginnt mit den Schriftstellern der römischen Antike und untersucht den „Alexanderroman“, der die mittelalterliche Sicht auf den Eroberer als frühen Vorläufer des Christentums widerspiegelt und an dessen legendärer Überlieferung selbst noch in der Neuzeit weitergesponnen wurde. Schließlich gelangt sie zur modernen Historiographie und den Romanschriftstellern, die sich immer wieder gerne der Gestalt Alexanders bemächtigten. Als Beispiele kommentiert sie den bekannten Roman Klaus Manns und die Romantrilogie des italienischen Schriftstellers Valerio Manfredi. Ein Epilog schließt das Buch ab, in dem die Autorin ihren eigenen Zugriff noch einmal erläutert, der ja in bestimmender Weise die Vorstellungen, die sich spätere Generationen über Alexander machten, einbezieht und damit zugleich auch die Bedeutung, die diese Vorstellungen in der Entwicklung von Gesellschaften haben.

Das Urteil der Autorin fällt bei jedem der behandelten Themen sehr zurückhaltend aus. Sie weiß einerseits um die Problematik der Quellenlage, vermeidet es aber andererseits, heutige Denkweisen und Plausibilitäten einfach auf die Menschen der damaligen Zeit zu übertragen. Die Sprache der Quellen verliert sie niemals ganz aus dem Auge. Der Ton ihrer Erzählung ist stets ruhig und ausgeglichen. Zwischen faktenorientiertem Positivismus und begeisterter Romantik sucht sie sich ihre eigene Perspektive, die dem Maß beider Sichtweisen gerecht werden kann. Die Fakten stehen im Vordergrund, ihre Ausdeutung bleibt dabei immer vorsichtig, aber eine leise Faszination durch die kraftvolle Gestalt Alexanders klingt an jeder Stelle im Text zumindest als Hintergrund mit an.

Als weiterer Pluspunkt des Werkes erweist sich die verbindende Herangehensweise der Autorin. Trotz der Fülle der Einzelthematiken geht der Gesamtzusammenhang nie verloren. Allzu häufig verdrängt in den modernen geschichtswissenschaftlichen Abhandlungen die Fleißarbeit der Detailfindung den denkerischen Gehalt einer großen Zusammenschau der Ereignisse. Die Einzelfakten stehen dann meist etwas verloren nebeneinander im Raum. Claude Mossé gelingt es aber, die von ihr aufgegriffenen einzelnen Fäden immer wieder durch Querverweise auf die anderen Teilthemen zu verknüpfen. Im Geiste des Lesers ensteht nicht der Eindruck eines Sammelsurriums von Fakten oder Einzelfragen, sondern ein kompaktes Bild über Leben, Erbe und Legende einer großen weltbewegenden Persönlichkeit, dessen einzelne Momente aufeinander verweisen.

Im Anhang des Buches finden sich neben dem obligatorischen Register, den Literaturhinweisen, einer Zeittafel und dem Kartenmaterial noch Kurzbiographien zu den wichtigsten Personen um Alexander und die Diadochenkönige. Dadurch wird die Orientierung und die Zuordnung der vielen für das Thema wichtigen Protagonisten wesentlich erleichtert. Ein wunderbares, informatives Buch also, das für jeden Alexander-Fan schlicht unentbehrlich bleibt!

Giebel, Marion – Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter

In diesem Buch wird eine der schillernsten Figuren der Spätantike durch die bewährte Hand der Altphilologin Marion Giebel zu neuem Leben erweckt. Julian, der Abtrünnige – diesen Namen hatte ihm schon die frühe Kirche angehängt und damit die Richtung für die Bewertung des Kaisers bis in die neuere Zeit vorgegeben. Denn Julian war der letzte „echte“ Römer – oder, wie man genauer sagen müsste, der letzte Römer von geschichtlicher Bedeutung, der sich dem griechischen Hellenentum und dem Heidentum vollständig verpflichtet fühlte. Aus dem konstantinischen Kaiserhaus stammend, wich er vom Weg seines berühmten Onkels Konstantin, genannt „der Große“, ab, der das Christentum zur Staatsreligion des römischen Reiches erhoben hatte. Für die zwei Jahre der Regierung Julians aber bestimmten ein letztes Mal die heidnischen, altrömischen, neuplatonischen und den Mysterienkulten eigenen Lehren das religiöse und politische Leben des Imperiums. Frau Giebel spricht im Untertitel ihres Buches von der „Wiederkehr der alten Götter“.

Marion Giebel ist vor allem mit ihrer Einführung in die spätantiken Mysterienkulte in Griechenland, Rom und Ägypten („Das Geheimnis der Mysterien“) bekannt geworden. Auch in der |rororo|-Monographien-Reihe sind einige Bände von ihr zu Personen der Antike wie Augustus oder Sappho erschienen. Bei |Patmos/Artemis & Winkler| liegen neben der erwähnten Einführung ihre Studien über „Reisen in der Antike“ und „Tiere in der Antike“ vor. Zudem hat sie viele antike Texte mit Kommentar herausgegeben, z. B. zum Orakel von Delphi und eben auch Julians Selbstpersiflage „Der Barthasser“.

Sie ist zweifellos eine spannende Erzählerin, die sich sehr um Plastizität und einen geradezu minutiösen Verlauf ihrer Abhandlungen bemüht. Kaiser Julian wird in ihrem Buch von den verschiedensten Blickwinkeln aus betrachtet: Sie untersucht genauso die Wurzeln seines Verhaltens in seinen Kindheitserlebnissen wie seine Begegnungen mit der griechischen Tradition und den Weisheitslehrern, analysiert seine Leistungen als Feldherr und Religionserneuerer, schildert seine Bemühungen um die Philantrophie, d. h. Menschenliebe, und stellt die Frage nach den Umständen seines Todes. Um dieses umfassende Bild legt sich als schmückender Rahmen eine tiefe Sympathie für die Gestalt Julians, die in dieser Form einmalig in der modernen Forschungsliteratur dasteht. Erfreulicherweise werden dann auch einige der erfundenen christlichen Horrorgeschichten über Julian einem kritischen Blick unterworfen, die oftmals in der Geschichtsschreibung noch unbesehen übernommen wurden.

Schauplatz des Buches ist das 4. Jahrhundert n. Chr. Gleich zu Beginn wird die zentrale Fragestellung des Buches ins Blickfeld gerückt: |“Ist der Übergang vom heidnischen zum christlichen Rom zwangsläufig und mehr oder weniger reibungslos abgelaufen? (…) Julian Apostata ist der Repräsentant des spätantiken Heidentums; er machte sich zum Anwalt der vielen, die an ihrem althergebrachten, für sie durchaus noch lebendigen Götterglauben festhalten wollten. Er nannte die religiöse Tradition ‚Hellenismus‘, weil sie nicht aufs Theologische beschränkt war. Sie umfasste vielmehr die gesamte vom Griechentum geprägte Bildung und Kultur, auch die ethischen und staatspolitischen Vorstellungen, die sein Herrscherbild bestimmten.“| (S. 8) Gerade von Julian aber besitzen wir erstaunlich viele Selbstzeugnisse, die es uns möglich machen, die Gedanken des Kaisers ganz direkt kennen zu lernen. Fest steht, dass sich Julian in der Tradition der griechischen Padeia, also der tugendhaften Lebensführung und Erziehung, sah und sich – insbesondere auf seinem Feldzug in Gallien – den Philosophenkaiser Marc Aurel zum Vorbild nahm.

Das asketische Bild vermittelte der Kaiser auch ganz äußerlich durch das für einen römischen Herrscher befremdliche Auftreten mit struppigem Philosophenbart und dem öffentlich zur Schau gestellten vertraulichen Umgang mit seinen Weisheitslehrern. Während er im Feldlager weilte, schlief er nur wenig, las bzw. schrieb dagegen sehr viel und verzichtete auf dem Kaiser zustehende Bequemlichkeiten. So teilte er beispielsweise die karge Kost seiner Soldaten. Obwohl er nach außen hin noch als Christ auftrat, betete er nach dem Zeugnis des Geschichtsschreibers und Soldaten Ammian jede Nacht zu Merkur, da dieser die schnellen Bewegungen des Geistes hervorruft. In Julians Briefen erwähnte der Kaiser seine besondere Dankbarkeit für den alles überschauenden Sonnengott Helios, der ihn vor einer Krankheit errettete. Gerade dem Sonnengott fühlte sich Julian besonders verpflichtet. In dem stark auf Treue und Loyalität eingeschworenen Mysterienkult des Mithras, der als |sol invictus|, „Unbesiegte Sonne“, verehrt wurde, ließ er sich schon in seiner Jugend einweihen. Immer ging es Julian um eine direkte Erfahrung der Götter und höherer Wirklichkeiten, der er mit seiner auf das Innere konzentrierten Lebensführung entsprechen wollte. Mithras ist auch Mittler und Helfer der Seele nach dem Tode, die er zu den Sternen hinaufführt, und damit ein Garant für Unsterblichkeit. Auf einem Elfenbeintäfelchen existiert die Darstellung einer solchen Entrückung des Kaisers.

Das Buch ist hervorragend komponiert, so dass der historische Stoff in eine plausible transparente Form gegossen wird. Die Autorin schildert anfangs die von Verwandtenmord und Misstrauen geprägte Atmosphäre des konstantinischen Hauses. Auch Julians Vater wurde mit vermutlich ausdrücklicher Billigung von Julians Vetter Constantius umgebracht. Zusammen mit seinem Bruder brachte man ihn nach Nikomedien in die Isolation. Die dortige Einsamkeit begünstigte seine Vorliebe für Bücher und seine spätere Trennung vom Christentum. Dabei spielte natürlich auch die Erfahrung mit den von Blut triefenden Händen gerade der christlichen Herrscher wie Constantius eine große Rolle, zu denen Julian im gewalttätigen Gott des Alten Testaments eine frappante Parallele fand. Im Weiteren werden Julians Begegnung mit den Werken Homers und der Welt der neuplatonischen Philosophie geschildert. Nachdem er Nikomedien verlassen durfte, reiste er nach Griechenland, um die Rhetorenschulen zu besuchen, sich der philosophischen Lebensführung zu widmen und über den Magier bzw. Theurgen Maximus seine ersten Initiationserfahrungen zu machen.

Schließlich berief ihn sein Vetter als mitregierenden, aber ihm unterstellten Caesar nach Gallien, um diese Provinz vor den Einfällen der Germanen zu schützen. Aufgrund der zwiespältigen Haltung Constantius‘ und der hohen Achtung, derer er sich bald im Heer erfreute, hoben ihn seine Soldaten schließlich nach alten Brauch auf den Schild und erklärten ihn zum Augustus, was eine Gleichstellung mit Constantius bedeutete. Da die Bemühungen Julians um einen Kompromiss scheiterten, musste er ungewollt gegen den bisherigen Imperator in den Krieg ziehen. Julian siegte und beherrschte von 361 – 363 n. Chr. das römische Reich. Der Sieg bestärkte sein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein. Die Götter hatten ihn also erwählt, um die unterdrückte heidnische Religion in neuem Glanze erstehen zu lassen.

Marion Giebel zeigt, wie er sich auf dem Thron bewährte. Der Einfluss seines standfesten und idealistischen Charakters, der wirklich um die Wohlfahrt des Reiches bemüht war, überwiegt die natürlich genauso vorhandenen Schwächen und Fehler des Kaisers. Religionspolitik und die Bekämpfung der Korruption gehörten zu den wichtigsten Programmpunkten Julians. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen reagierten in sehr unterschiedlicher Weise auf seine Maßnahmen, wobei der Kaiser bemüht war, sie alle friedlich zu integrieren – auch die Christen. Hier überschritt er, wie im so genannten Schuledikt, manchmal schon die Grenze zur Intoleranz – angestachelt allerdings durch die Zerstörung heidnischer Heiligtümer, für die christliche Fanatiker verantwortlich zeichneten. Die Autorin stellt am Schluss die Frage, wie wohl die abendländische Geschichte verlaufen wäre, wenn Julian nicht auf dem Perserfeldzug durch die Spitze einer Reiterlanze aus unbekannter Hand getötet worden wäre.

Was haben Julian und seine Zeit uns heute noch zu sagen? Einmal zeigt sein Leben, dass das in vielen Köpfen immer noch verankerte einseitige Geschichtsbild von den repressiven Herrschern und den widerständigen, moralisch im Recht stehenden Unterdrückten schlichter Unsinn ist. Bei Julian stellt sich die Situation geradezu umgekehrt dar. Auf der einen Seite steht der Kaiser, der seine philosophischen Ideale leben will und sich um die Festigung und Verbesserung der politischen Zustände unter möglicher Berücksichtigung aller Interessen bemüht und auf der anderen Seite christliche Fanatiker mit ihrer Hetze und verwöhnte Bürger (wie die von Antiochia), die an ihren ungerechten Privilegien und Praktiken um jeden Preis festhalten wollen. Julians Staatsbild, seine „Utopie“, basierte nicht auf privaten Hirngespinsten oder Vorlieben, sondern konnte sich auf die lange römische Tradition berufen, die von vielen Menschen seiner Zeit noch mitgetragen wurde. Marion Giebel meint, dass selbst, wenn solche Menschen scheitern, die Weltgeschichte ohne die von ihnen ausgehenden Impulse um einiges ärmer wäre.

Die römische Geschichte bleibt im Übrigen auf jeden Fall immer interessant für uns, weil die hier stattfindende Uminterpretation griechischer Begriffe und Denkformen das abendländische Denken bis zum heutigen Tage geprägt hat. Julian bezog sich ja auf den Hellenismus. Im vorliegenden Buch fällt beispielsweise auf, dass der überwiegende Teil der Modelle in der modernen Esoterikszene vollständig dem Neuplatonismus verpflichtet ist.

Zum Schluss will ich noch die schöne Gestaltung des Buches erwähnen. Im Text selbst bleibt es zwar bei Schwarz-Weiß-Fotos, aber der Schutzumschlag ist sehr ansprechend strukturiert und mit dem farbigen Ausschnitt eines Gemäldes aus dem 19. Jahrhundert versehen, das Julian an einem Tisch sitzend mit Sphinx darstellt. Die geschichtliche „Sphinx“ Julian aber wird für den Leser dieses Buches einiges mehr an Umriss und Bedeutung gewonnen haben.

http://www.patmos.de
[Wikipedia]http://de.wikipedia.org/wiki/Julian__Apostata