Schlagwort-Archive: Peter Straub

Peter Straub – Haus der blinden Fenster. Schauerroman

Break on through to the other side*

Ein Serienmörder versetzt die Jugendlichen der Kleinstadt Millhaven in Angst und Schrecken. Den 15-jährigen Mark Underhill, der gerade seine Mutter verloren hat, jedoch beschäftigt etwas ganz anderes: Er ist besessen von dem verfallen aussehenden und verlassenen Haus, das an die Rückseite seines eigenen Hausgrundstücks grenzt, getrennt nur durch eine hohe Mauer. Er meinte, hinter den schmutzigen Fensternscheiben ein Mädchen gesehen zu haben, und sein Freund Jimbo hat darin angeblich einen dicken Mann mit silbernen Augen gesehen. Eines Nachts brechen sie zusammen in das Gebäude ein und machen eine grausige Entdeckung.
Peter Straub – Haus der blinden Fenster. Schauerroman weiterlesen

Peter Straub – Haus ohne Türen. Horror-Storys

Das Haus des Wahns

Straubs Romane wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 1989 und 1993 mit dem World Fantasy Award für „Koko“ als bestem Roman, dem British Fantasy Award und dem Bram Stoker Award. 2010 erhielt er den World Fantasy Award für sein Lebenswerk. Aber auch seine Novellen und Kurzgeschichten können sich sehen (und lesen) lassen. Mit „Haus ohne Türen“ liegt seine erste Storysammlung auf Deutsch vor.

Der Autor
Peter Straub – Haus ohne Türen. Horror-Storys weiterlesen

Straub, Peter – Hellfire Club – Reise in die Nacht. Schauerroman

Mit „Hellfire Club – Reise in die Nacht“ hat Peter Straub einen packenden Psychothriller geschrieben, in dem es um ein altes Unrecht geht, das bis in die Gegenwart hineinwirkt. Dabei stehen eine reiche Verlegerfamilie, die Chancels, und ihre dunkle Vergangenheit, ein skrupelloser Frauenmörder, eine brutale Entführung und ein mysteriöses Kultbuch in komplexem Zusammenhang. „Reise in die Nacht“ ist mit Abstand Straubs gelungenstes Buch, ästhetisch und künstlerisch wie auch für den Leser befriedigend, weist aber auch ein paar Fragen auf, die offen bleiben.

Der Autor

Peter Straub zählt neben Stephen King, John Saul und Dean Koontz zu den herausragenden amerikanischen Horror-Autoren. Er wurde in Milwaukee, Wisconsin (wo viele deutsche Auswanderer wohnten), geboren und lebte ein Jahrzehnt lang in England und Irland. Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden und hatten 1994 eine Weltauflage von 10 Millionen bereits weit überschritten. Heute lebt er mit seiner Frau auf einer Farm in Connecticut.

Zusammen mit Stephen King schrieb er „Der Talisman“ und dessen Fortsetzung „Das schwarze Haus“. Seine eigenen Romane sind ebenfalls – meistens – bei Heyne erschienen:

Schattenland
Geisterstunde
Das geheimnisvolle Mädchen /Julia / Die fremde Frau
Der Hauch des Drachen
Wenn du wüsstest
Koko und die Fortsetzung „Der Schlund“ (Romane mit Tim Underhill)
Mystery
Reise in die Nacht /Der Hellfire-Club (später umbenannt)
Mister X / Schattenbrüder (später umbenannt)

Die Story-Sammlungen „Haus ohne Türen“ und „Magic Terror“ (beide bei Heyne ) sind ebenfalls sehr zu empfehlen.

Handlung

Im Mittelpunkt des Interesses steht die sympathische Nora Chancel; der Leser verfolgt ab dem zweiten Drittel des Buches, wie sich ihr bis dato behagliches Leben in atemberaubenden Tempo „von innen nach außen kehrt“ – eine häufige Metapher in diesem Roman. Denn bis zum Schluss enthüllen sich Geheimnisse, lösen sich Rätsel und verändert sich das Bild, das der Leser von den Figuren anfangs erhalten hat. Es ist ein Buch mit zahlreichen Falltüren und unerwarteten Wendungen – umso besser!

Auf „Reise in die Nacht“, so der Titel eines fiktiven, 1939 erschienen Bestseller-Romans von Hugo Driver, gründen sich Vermögen und Erfolg der neuengländischen Familie Chancel und ihres Verlags Chancel House (ein Anklang an Random House). Davey Chancel, Sohn des Inhabers Alden, gehört ebenfalls zur großen und besessenen Fangemeinde dieses Kultbuches. Er ist ein Träumer, abhängig von seinem Vater.

Seine Frau Nora, die als Krankenschwester in Vietnam mit einer brutalen Realität konfrontiert war, teilt Daveys Enthusiasmus nicht. Aber nicht allein aus diesem Grund gilt sie in der Familie Chancel als Außenseiterin. Das Grauen aus Vietnam verfolgt sie noch immer in ihren Träumen, und hin und wieder sieht sie hämisch grinsende Dämonen im Augenwinkel.

In der Kleinstadt Westerholm, Connecticut, wo auch die Chancels residieren, versetzt seit Wochen ein kaltblütiger Frauenmörder die Bevölkerung in Angst und Schrecken. Als Natalie Weil, die heimliche Geliebte Davey Chancels (wie auch seines Vaters) unter mysteriösen Umständen aus einem verwüsteten, blutgetränkten Zimmer verschwindet und erst einige Zeit später wieder auftaucht, fällt der Verdacht auf Nora.

Auch der wankelmütige Davey hält nicht zu ihr, als das FBI aufkreuzt. Doch kurz bevor der wahre Sachverhalt – ein schlechter „Scherz“ von Daveys Vater – aufgeklärt werden kann, wird Nora von dem Rechtsanwalt Dick Dart, der bereits als der Killer überführt ist, im Polizeibüro als Geisel genommen und entführt.

Während ihrer Flucht durch Neuengland kann Nora nur überleben, indem sie vorgibt, auf der Seite dieses Psychopathen zu stehen, während Dart jeden erbarmungslos umbringt, der sich ihm in den Weg stellt. Nora begegnet wieder ihren Dämonen.

Allmählich enthüllt Dart seiner Gefangenen, was er als seine „Mission“ begreift: Er hat in seiner Kanzlei, die Chancel House seit Jahren betreut, erfahren, dass die Angehörigen der 1938 verstorbenen Schriftstellerin Katherine Mannheim Rechte auf das Manuskript „Reise in die Nacht“ beanspruchen – die Dichterin sei die wahre Urheberin des Buches. Sie war 1938 mit Hugo Driver und anderen Dichterkollegen Gast auf einem Landgut namens Shorelands und verschwand unter mysteriösen Umständen.

Dart versucht nun, alle Zeugen, die die Urheberschaft Drivers an dem von Dart kultisch verehrten Buch in Frage stellen könnten, zu beseitigen. Dabei geht er keineswegs zimperlich vor.

Als Nora sich schließlich von ihrem Entführer befreien kann, stellt sie auf eigene Faust Nachforschungen an und kommt dabei dem ebenso düsteren wie blutigen Geheimnis um das berühmte Manuskript Zug um Zug näher, stets verfolgt von FBI und Dart.

Als sie ihm wieder in die Hände fällt und sie zusammen nach Shorelands fahren, zurück zum Ursprung des Unheils, findet sie den „goldenen Schlüssel“ zum Untergang des Hauses Chancel wie auch ihre eigene innere Freiheit.

Mein Eindruck

„Hellfire Club – Reise in die Nacht“ enthält eine zielstrebig vorwärts preschende Handlung, die von glaubwürdigen Charakteren gestützt und gelenkt wird, bis die Bösen den verdienten Untergang erleben und die Guten verändert aus dem Showdown hervorgehen. Das Buch setzt sich mit Lebenslügen, verkorksten Beziehungen und dem falschen Kult um Bücher und andere Medien auseinander.

Nora Chancel ist eine Heldin wider Willen auf einer Höllenfahrt, genau wie der leidgeprüfte jugendliche Held in Hugo Drivers verhängnisvollem Roman – einer der zahlreichen Fälle von subtiler Ironie in diesem Buch. Dass der Autor ihr und allen anderen Charakteren die menschliche Würde lässt und sie nicht zu einem Abziehbild degradiert, ist ein hohes Verdienst und trägt sicherlich dazu bei, die Lektüre zu einem eindrucksvollen und befriedigenden Erlebnis zu machen. Ungelöst bleiben lediglich Fragen, die Dick Darts Verhalten am Schluss betreffen – hier hat der Autor einiges unterdrückt, das dem angestrebten Effekt widersprochen hätte. Unklar bleibt auch die Rolle, die Dick Darts Vater spielt – er bleibt zu passiv im Hintergrund.

Unterm Strich

Die knapp 640 Seiten (660 bei der |Heyne|-Ausgabe) lesen sich leicht in zwei, drei Tagen und man bekommt Lust, sie gleich nochmal zu lesen. Straubs zuletzt bei uns veröffentlichte Romane waren die Vietnam-Psychothriller „Koko“ und „Der Schlund“ sowie „Haus der blinden Fenster„, und deren Grauen ist auch hier zu spüren. Doch im Gegensatz zu ihnen ist „Reise in die Nacht“ viel stärker mit der Rolle der Literatur und ihrem Bannkreis beschäftigt: ihren manchmal gar nicht feinen Produzenten, ihren blinden, süchtigen Fans und ihren skruppellosen Vermarktern: „Geschäft ist Geschäft“ ist die Moral Amerikas. Straub führt subtil vor Augen, wohin diese kapitalistische Moral führt, wenn man sie konsequent zu Ende verfolgt. Hut ab, Mister Straub! Dies ist ein Meisterwerk.

Taschenbuch: 637 Seiten
Originaltitel: Night Journey, 1996
Aus dem US-Englischen von Joachim Körber
ISBN-13: 978-3548255866

www.ullstein-buchverlage.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Peter Straub – Schattenstimmen

Literatengrusel: Rückkehr zum Geisterhaus

„Schattenstimmen“ ist die indirekte Fortsetzung von „Haus der blinden Fenster“ mit dem Straub großen Erfolg hatte.

Willy Patrick ist eine erfolgreiche Autorin von Jugendbüchern (darunter „Schattenstimmen“) und steht kurz davor, einen noch weitaus erfolgreicheren Firmenanwalt zu heiraten. Doch Freunde warnen sie vor dem Mann, und Albträume suchen Willy heim. Vor zwei Jahren verlor sie ihren Mann und ihre Tochter bei einem Unfall. Nun erscheint ihr ihre Tochter bereits am hellichten Tag. Wird sie verrückt? Als ein Freund andeutet, dass ihr Verlobter etwas mit jenem Autounfall zu tun gehabt haben könnte, ergreift Willy die Flucht …

Willy stammt ebenso wie der Schriftsteller Tim Underhill aus dem kleinen Städt Millhaven in Illinois. Auch Tim wird heimgesucht: von seiner toten älteren Schwester April. Ein rabiater Fan scheint hinter ihm her zu sein und verwüstet sogar seine Wohnung. Obendrein bekommt er weiterhin unheimliche E-Mails. Als Underhill bei einer Lesung Willy Patrick kennen lernt, kriegt er Panik: Sie sieht genauso aus wie die Heldin in seinem neuesten Roman, an dem er vergeblich schreibt. Zudem scheint sie in der gleichen Gefahr zu schweben, die er für seine Heldin erfunden hat …
Peter Straub – Schattenstimmen weiterlesen

Straub, Peter – In the Night Room

_Zum Geisterhaus: Odyssee zum Ende der Nacht_

„In the night room“ ist die indirekte Fortsetzung von „Lost by lost girl“ [(„Haus der blinden Fenster“), 1003 mit dem Straub großen Erfolg hatte.

Willy Patrick ist eine erfolgreiche Autorin von Jugendbüchern (darunter „In the night room“) und steht kurz davor, einen noch weitaus erfolgreicheren Firmenanwalt zu heiraten. Doch Freunde warnen sie vor dem Mann und Albträume suchen Willy heim. Vor zwei Jahren verlor sie ihren Mann und ihre Tochter bei einem Unfall. Nun erscheint ihr ihre Tochter bereits am helllichten Tag. Wird sie verrückt? Als ein Freund andeutet, dass ihr Verlobter etwas mit jenem Autounfall zu tun gehabt haben könnte, ergreift Willy die Flucht …

Willy stammt ebenso wie der Schriftsteller Tim Underhill aus dem kleinen Städtchen Millhaven in Illinois. Auch Tim wird heimgesucht: von seiner toten älteren Schwester April. Aber auch ein rabiater Fan scheint hinter ihm her zu sein und verwüstet sogar seine Wohnung. Obendrein bekommt er weiterhin unheimliche E-Mails. Als Underhill bei einer Lesung Willy Patrick kennen lernt, kriegt er Panik: Sie sieht genauso aus wie die Heldin in seinem neuesten Roman, an dem er vergeblich schreibt. Zudem scheint sie in der gleichen Gefahr zu schweben, die er für seine Heldin erfunden hat …

_Der Autor_

Peter Straub zählt neben Stephen King, John Saul und Dean Koontz zu den herausragenden amerikanischen Horror-Autoren. Er wurde in Milwaukee, Wisconsin (wo viele deutsche Auswanderer wohnten), geboren und lebte ein Jahrzehnt lang in England und Irland. Seine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden und hatten 1994 (!) eine Weltauflage von 10 Millionen bereits weit überschritten. Heute lebt er mit seiner Frau auf einer Farm in Connecticut.

Zusammen mit Stephen King schrieb er „Der Talisman“ und dessen Fortsetzung „Das schwarze Haus“. Seine eigenen Romane sind ebenfalls – meistens – bei |Heyne| erschienen:

Schattenland
Geisterstunde
Das geheimnisvolle Mädchen /Julia / Die fremde Frau
Der Hauch des Drachen
Wenn du wüsstest
Koko und die Fortsetzung „Der Schlund“ (Romane mit Tim Underhill)
Mystery
Reise in die Nacht / [Hellfire-Club 1110 (später umbenannt)
Mister X / Schattenbrüder (später umbenannt)
[Esswood House 1603
[Haus der blinden Fenster 1003

Die Storysammlungen „Haus ohne Türen“ und „Magic Terror“ sind ebenfalls sehr zu empfehlen.

_Handlung_

|Tim …|

… Underhill hat schon in „Lost boy lost girl“ ein paar unheimliche E-Mails ohne Absenderadresse erhalten. Nun bekommt er noch eine ganze Ladung mehr davon. Die meisten beleidigen ihn, als Mensch, aber schlimmer noch: auch als Schriftsteller. Er ruft beim „Sekretär für den Jahrgang“ an, mit dem Underhill von der Schule abging, und siehe da: Alle E-Mails sind von Menschen geschrieben worden, die erst kürzlich gestorben sind. Die Frage ist natürlich, wie kann ein Toter E-Mails verschicken? Und vor allem: Warum sollte er oder sie das tun wollen?

Eines Tages erhält Tim Besuch von einem seltsamen Mann, der sich als Fan ausgibt und der Tim bittet, fünf Exemplare von dessen neuem Buch „Lost boy lost girl“ zu signieren. Tim wird stutzig: Warum denn gleich fünf Bücher – würde denn eines nicht ausreichen? Jasper Kohle beleidigt Tim als Autor und als Mensch. Im Verlauf des Geprächs mit Kohle verändert sich auch dessen Gesicht. War es zunächst noch geradezu jugendlich, so erscheint es Tim schließlich, als Kohle sich in den Regen verabschiedet, alt, abgehärmt und eingefallen.

Doch er hat Kohle nicht das letzte Mal gesehen. Als Tim einmal ausgeht, um den Frust über das Stocken seines Schreiben durch Spazierengehen abzureagieren, geschehen noch merkwürdigere Dinge. Inzwischen hat sich Tim daran gewöhnt, dass er seine verstorbene Schwester April am hellichten Tag sieht. Sie ruft ihm etwas zu: „Hör auf uns!“ Meint sie die E-Mail-Schreiber?

Doch im Nebel, der nun auf der Hauptstraße herrscht, taucht ein junger Mann auf, der Tim ungnädig ansieht und sich sodann bis auf die Haut auszieht. Dort, wo sein Geschlecht sein sollte, befindet sich jedoch nur glatte Haut wie bei einer Puppe. Als ob das nicht Wunder nicht genug wäre, breitet der junge Mann immense Engelsschwingen aus, erhebt sich mühelos in die Lüfte und verschwindet in der Ferne.

Als Tim in seine Wohnung zurückkehrt, ist sie verwüstet. Auf seine Exemplare von „Lost boy lost girl“ hat jemand uriniert, und dreimal darf Tim raten, wer es war: Jasper Kohle. Die Polizei nimmt den Einbruch nicht besonders ernst, denn es wurde nichts gestohlen. Aber am gleichen Abend lässt sich ein E-Mail-Schreiber mit dem Usernamen „Cyrax“ dazu herbei, Tim die Anderswelt zu erklären, von wo er die E-Mails erhält – und wo sich auch „Jasper Kohle“ aufhält. Nur, dass dieser dort einen Tim wohlbekannten Namen trägt: Joseph Kalendar, der Serienmörder von Millhaven.

Joseph Kalendar hat in „Lost boy lost girl“ entdeckt, dass Tim ihn anklagt, seine eigene Tochter Lily missbraucht zu haben, schreibt Cyrax. Daher ist Kalendar mächtig sauer auf Underhill – mit den bekannten Folgen. Um dieses Unrecht wiedergutzumachen, werde Tim einen hohen Preis zahlen müssen. Cyrax will, dass Tim a) zur Hochzeit seines Bruders fährt und b) zu einer bestimmten Lesung …

|Willy|

Die Jugendbuchautorin Willy Bryce Patrick hat vor zwei Jahren ihren Mann James und ihre Tochter Holly verloren. Holly erscheint ihr immer noch in ihren Albträumen, und sie glaubt, verrückt zu werden. Als sie einen Preis für ihren neuen Roman „In the night room“ erhält, die renommierte Newbery Medal, lernt sie den Wirtschaftsanwalt Mitchell Faber kennen. Der weltgewandte Mann interessiert sich für die trauernde Witwe und macht ihr einen Antrag. „Sie wissen, dass Sie mich brauchen.“ Willy gibt ihm Recht, und das war das. Immerhin ist er fantastisch im Bett.

Er arrangiert alles für die Hochzeit und quartiert sie in seinem weitläufigen Gut in Virginia ein, wo zwei Aufpasser ihn vertreten. Aber wie wenig er ihr vertraut, kann sie an dem Umstand ablesen, dass sie keinen Zutritt zu seinen Büroräumen hat. Als sie ihm in Europa hinterher telefoniert, ist er nicht aufzutreiben. Natürlich erhält sie verlogene Erklärungen. Nichts soll sie vor der Hochzeit beunruhigen.

Als ein Sturm das Bürofenster beschädigt und man sich Zutritt verschaffen muss, entdeckt Willy per Zufall ein Foto von ihrem verstorbenen Mann: Er liegt mit drei Löchern in der Brust und abgehackten Händen auf dem Boden. Dies war mitnichten ein Autounfall. Vielleicht hat Willys Ex-Freund Tom Hartland Recht, wenn er Mitchell Faber als „böse“ bezeichnet. Die Hochzeit soll auf einem anderen Gut namens Nightwood stattfinden. Doch so lange wartet Willy nicht. Nachdem sie die Aufpasser ausgetrickst hat, macht sie die Fliege und fährt nach New York City.

|When Timmy met Willy|

Unterdessen hat sich Timmy zu der von Cyrax empfohlenen Lesung in einem Buchladen in der Stadt eingefunden. Die Art und Weise, wie die weiterhin verfolgte Willy dort eintrifft, ist nur für sie selbst spektakulär. Doch als Timmy sie in den hinteren Reihen seines Publikums sitzen sieht, muss er immerzu an sie denken. Nachdem alle Besucher gegangen sind und nur er und die Managerin noch da sind, kommt es endlich zu einer richtigen Begegnung zwischen den beiden. Timmy weiß, dass er sein Schicksal getroffen hat. Und Willy erwartet von ihm endlich Antworten auf das, was ihr Sonderbares zugestoßen ist. Beispielsweise auch zu ihren häufigen Geistesabwesenheiten, in denen sie Stunden zu verbringen scheint.

Timmy ist der Mann mit allen Antworten. Nicht nur das – er kennt Willy durch und durch und findet sie einfach noch viel bezaubernder, als er sie sich vorgestellt hat. Schließlich hat er sie in seinem Buch erschaffen, an dem er gerade schreibt …

_Mein Eindruck_

„In the night room“ ist nicht nur eine notwendig gewordene Fortsetzung zu „Lost boy lost girl“, es ist viel mehr. Natürlich wird das Unrecht, das Tim an Joseph Kalendar und seiner Tochter begangen hat, wieder korrigiert, gar keine Frage. Aber wie es dazu kommen kann, ist der entscheidende Punkt. Wie kann ein Schriftsteller, der sich in seine eigene Schöpfung – Willy – verliebt hat, diese wieder gehen lassen, um alles wieder ins Lot zu bringen?

Da ist zunächst einmal die Frage nach der Verhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung. Es ist die Frage, die sich heutzutage wohl die wenigsten kreativen Schriftsteller stellen, es sei denn, sie erschaffen mit ihrer Phantasie ein eigenes Universum. Das hat Tim Underhill, Peter Straubs Schöpfung, getan. Underhill – oder „Underdog“, wie Cyrax ihn nennt – ist seit über zwanzig Jahren Straubs Lebensgefährte. Straub weiß genau, wie Tim sich fühlt, als Willy seinem Helden begegnet. (Und wir erfahren dies „aus erster Hand“: aus Tims Tagebuch.) Aber wie fühlt sich Willy, als sie die Wahrheit herausfindet – hat schon mal jemand daran gedacht?

Willy ist zum Verlieben: Sie ist schön, sowieso, aber sie ist auch intelligent, dynamisch, fraulich – und sehr menschlich. Sie wundert sich selbst darüber, dass sie die ganze Zeit so einen Heißhunger auf Süßes verspürt: Sie kauft mit Tims Geld gleich eine Reisetasche voller Schokoriegel und Kekse ein – eine wunderbar komische Szene, die ich liebe. Und auch im Restaurant ist sie gut im Verdrücken von Pfannkuchen etc. Aber dann merkt sie, dass etwas nicht stimmt: Sie hat dieses seltsam leichte Gefühl, als ob sie gleich abheben würde. Und dann verschwindet ihre linke Hand. Sie kann durch ihre Finger sehen, bis die Hand wieder solide wird. Willy ist nicht schockiert. Sie ist eher verwundert, dann gefasst.

Tim bringt es kaum übers Herz, ihr die Wahrheit zu sagen. Dass sie seiner Imagination entsprungen ist wie Pallas Athene dem Haupt ihres Vaters Zeus. Dass er sie liebt, ist offensichtlich. Und dass sie ihn liebt, beweist sie ihm allnächtlich im Bett. Und sie kennt ebenfalls sein Innenleben, hat er einen Teil davon doch auch in sie investiert, um sie zu vollständig zu machen. Aber nun ist er ihr göttlicher Vater und hat plötzlich eine entsprechende Verantwortung. Es ist, als hätte Tim nicht nur eine Geliebte, sondern auch ein Kind bei sich. Und sieht sie nicht tatsächlich ein wenig jünger aus – etwa 19 oder 20 statt 38?

Dass dieser Zustand nicht anhalten kann, ist Willy bald klar. Sie fragt Tim, wieso sie hier, in seiner Welt, gelandet ist – oder hat sie jemand hierher verfrachtet? Es gibt in der Tat eine Mission, die sie und Tim zu erfüllen haben. Cyrax hat sie ihm explizit aufgetragen. Diese Mission besteht darin, erstens die echte Lily Kalendar in Tims Welt zu finden – es gibt sie – und zweitens die Stellvertreterin Lilys, nämlich Willy, in das Geisterhaus von Joseph Kalendar zu bringen, genauer: in den Night Room selbst.

Kaum also haben sich die beiden auf ihre seltsame Weise gefunden, müssen sie einander schon wieder verlassen. Tim muss Willy, seine Schöpfung, für ein höheres Ziel opfern. Dass dies notwendig ist, belegt die Anwesenheit von Joseph Kalendar, dem Finsterling am Ende der Straße. Nun fragt sich der Leser, warum sich Willy nicht weigert: Warum sollte sie sterben? Aber diese Frage verkennt, dass Willy bereits am Verblassen ist und nur zu eben diesem Zweck in diese Welt gekommen ist: um das Geisterhaus und alle, die darin gefangen sind, von einem alten Fluch zu erlösen. Deshalb ist Willy wundervollerweise bereit, auf Nimmerwiedersehen in dieses Haus zu gehen …

Tausend Fragen ergeben sich nun wieder daraus. Wenn Willy Tim Underhills Geschöpf ist und Tim Peter Straubs Geschöpf, wessen Geschöpf ist dann Peter Straub? Oder besser gefragt: Wessen Geschöpf ist der Tim Underhill in seinen Büchern, sobald die Millionen Leser von Underhill lesen? Ist Underhill nicht bereits ein Geschöpf, das im kollektiven Bewusstsein und Unterbewusstsein aller Leser existiert? Was würde geschehen, wenn Straub dieses sein ihm sicher lieb gewonnenes Geschöpf für einen höheren Zweck opfern würde?

Das wiederum erinnert unweigerlich an die Passion Jesu. Warum wurde Jesus von Nazareth in die Welt geschickt? Gab es ihn wirklich, als Geschöpf Jehovas, oder wurde er von den Lesern der vier genehmigten Evangelien unsterblich gemacht? Wir glauben inzwischen zu wissen, welchem Zweck Jesus diente und immer noch dient: als Abbild, als Mythos. Doch könnte er genauso wie Willy und die römischen Götter auch wieder verblassen. Dies liegt nicht mehr in der Hand seines oder seiner Schöpfer, der Evangelisten, sondern in der seiner „Leser“ oder Gläubigen. Das betrifft auch islamistische Fundamentalisten.

Straubs Roman zeigt das Verhältnis zwischen Fakt und Fiktion auf, präsentiert uns auch Religionsinhalte als Fiktion und wirft einige kritische Fragen auf. Welchen Absolutheitsanspruch hat der Schöpfer gegenüber seiner Schöpfung und welche Verantwortung? Wir Menschen können dies inzwischen auf unseren Planeten beziehen. Und da wir täglich damit konfrontiert werden, dass der Planet uns gegenüber keinerlei Verantwortungsgefühl an den Tag legt, stellt sich die Frage, was uns von der gleichgültigen Gaia unterscheidet. Können wir es uns leisten, unseren eigenen Schöpfungen gegenüber ebenso gleichgültig zu sein? Natürlich nicht. Deshalb haben wir die Ethik fürs Handeln und die Moral fürs Empfinden erfunden.

Nun wird es aber für Tim interessant. Er hat mitgeteilt bekommen – unter anderem von Cyrax – dass es eine andere Dimension gibt, das Reich. Dort gibt es Hierarchien, und die oberste besteht im PRIME. Hier leben nicht nur Engel, sondern auch verstorbene Seelen: sasha und zamani (Wörter aus der afrikanischen Sprache Kisuaheli). Eine Hölle gibt es nicht. Sasha jedoch materialisieren sich in Tims Welt (die unserer ziemlich ähnlich ist) und verursachen jede Menge potenziellen Ärger. Daher gilt es für Tim, Verantwortung gegenüber diesen sashas – z. B. Joseph Kalendar alias Jasper Kohle – zu zeigen und Fehler zu korrigieren. Darin besteht seine Mission mit Willy.

Der Leser kann nun dieses „Reich“ mit der jenseitigen Welt gleichsetzen, die für seine Konfession jeweils vorgesehen ist: römisch-katholisch, evangelisch, jüdisch, muslimisch, buddhistisch, usw. Für uns agiert Tim Underhill, als hätte er einen „göttlichen“ Befehl erhalten, als wäre er eine Art Prophet oder himmlischer Agent. Der Knackpunkt besteht wohl darin zu betrachten, wie er seine Verantwortung umsetzt und wie er Willy, seine Schöpfung, behandelt. Dieses Verhalten scheint mir eine moralische Lehre zu enthalten. Straub erzählt sie ohne erhobenen Zeigefinger und auf die charmanteste vorstellbare Weise: als ironische Liebesgeschichte und als das Märchen von Alice im Wunderland (Tims Tochter April taucht immer als Alice verkleidet auf: ein mahnender Geist).

_Unterm Strich_

Bereits in „Black House“ hat Straub das Element eines durch „slippage“ (so viel wie Schliddern) in die erzählte Welt geratenen Wesens genutzt, um für unheimliche Spannung zu sorgen. „In the night room“ verrät uns nun, woher solche Wesen kommen: aus dem Reich. Allerdings hat es fatale Ähnlichkeit mit dem Reich der Ahnen einerseits und dem christlichen Himmel andererseits. Immerhin gibt es keine Hölle, was ja schon ein Fortschritt ist. Vielleicht ist ja die Welt höllisch genug. Ganz bestimmt ist es nämlich der titelgebende „night room“. Vor dem haben wir uns schon in „Lost boy lost girl“ („Haus der blinden Fenster“) gefürchtet.

Der Schriftsteller Underhill ist unser Führer zu diesem Grenzbereich, und er ist ein guter Führer. Durch seine Vietnam-Erfahrungen abgehärtet, ist er gerüstet für übernatürliche Phänomene (vgl. „Koko“). Zugleich ist er dennoch so menschlich geblieben, dass er sich auf eine Liebesbeziehung einlassen kann. Eigentlich ist er ja schwul, aber, hey, bei seinem eigenen Geschöpf kann er ja wohl schlecht nein sagen, oder? Ist ja fast wie Selbstbefriedigung, denkt nun wohl so mancher Leser, aber das ist ein Trugschluss. Willy ist sehr eigenständig, und ihre Entwicklung fordert Tims ganzes Mitgefühl – bis zu ihrem Opfergang. Die „slippage“ funktioniert nämlich in beide Richtungen.

„In the night room“ ist sehr literarischer und intellektueller Horror, und ich fand mich bei zahlreichen Überlegungen, welche und wie viele Bedeutungsebenen der Autor in sein Buch hineingelegt hat. Da Tim Underhill ein Schriftsteller ist und nun sein Geschöpf als echten Menschen kennen und lieben lernt, ist die Erzählung auch ein Kommentar über das kreative Schreiben an sich. Alles Weitere dazu habe ich oben ausgeführt.

Doch die Erzählung ist weder schlüpfrig noch trivial-frivol gestaltet, sondern wendet sich vielmehr an Erwachsene, die sich etwas unter menschlichem Verantwortungsgefühl vorstellen können. Phantastische Elemente wie die als „Alice im Wunderland“ auftretende April Underhill und der als Dark Man auftretender Joseph Kalendar tun dem keinen Abbruch – jeder Geist muss eben sein eigenes Gewand wählen, um sich bemerkbar zu machen.

|Die sprachliche Dimension|

Die Sprache, deren sich Straub bedient, erfordert eine gute Englischausbildung. Nicht nur er selbst bewegt sich hauptsächlich in gebildeten Schriftstellerkreisen, sondern offenbar auch sein Held Tim Underhill. Dementsprechend ausgefallen können manche Eigenschaftswörter ausfallen, und dann heißt es nicht selten: Hol das Wörterbuch raus. (Übrigens hat Straub das Buch einem Literaturkritiker gewidmet. Gary K. Wolfe rezensiert seit Jahren für das bekannte LOCUS Magazine und gehört dort bestimmt bereits zum Inventar.)

Für die hoffentlich kommende Übersetzung erhöht nicht nur dies die Schwierigkeiten. Hinzu kommt auch, dass sich der Geist Cyrax einer in Chatrooms üblichen Kürzelsprache (z. B. „gr8“ statt „great“) bedient, die es ebenfalls authentisch wiederzugeben gilt. Nicht jeder Übersetzer verfügt über einen solchen Erfahrungsschatz. Aber diese Chatsprache ist eine wesentliche Quelle sprachlichen Humors, denn in diesen Chat-Mails wird Underhill von Cyrax und den anderen „sashas“ richtiggehend niedergemacht, und das passiert den wenigsten Hauptfiguren. Deshalb wäre es unverzeihlich, würde man dieses Stilelement durch Hochdeutsch verwässern oder gar weglassen.

Von mir bekommt das Buch die volle Punktzahl. Aber (bislang) nur im Original.

Stephen King/Peter Straub – Das schwarze Haus

Aus einer fremden Dimension, in der die Magie zum Alltag gehört, plant der böse „Scharlachrote König“ diese Welt zu übernehmen. Jack Sawyer, der als Kind schon einmal gegen dunkle Mächte antrat, muss wieder eine bizarre Reise antreten, um dem Herrscher und seinen unheimlichen Handlangern das Handwerk zu legen … – Überlanger & aus alten Ideen und Motiven recycelter Phantastik-Thriller, der aufgrund des Könnens zweier routinierter Autoren dennoch lesenswert ist. Stephen King/Peter Straub – Das schwarze Haus weiterlesen

Peter Straub – Schattenstimmen

Straub Schattenstimmen Cover 2008 kleinSchriftsteller Underhill hat einen Serienkiller verunglimpft, dessen Geist rachsüchtig aus dem Jenseits zurückkehrt; gleichzeitig stellt der Autor fest, dass er einen Riss im kosmischen Gefüge verursacht hat, der Realität und Fiktion bizarr zusammenfließen lässt … – Erneut schreibt Peter Straub vom unmerklichen Einbruch des Phantastischen in den Alltag. Das gelingt ihm vor allem im ersten Teil, doch obwohl der Verfasser dann auf ausgefahrene Horror-Geleise einbiegt, wahrt er seine stilistische Brillanz und ringt dem Plot manche Überraschung ab: Genrefreunde dürfen freudig zugreifen.
Peter Straub – Schattenstimmen weiterlesen

Peter Straub – Esswood House

Das geschieht:

Der US-amerikanische Universitätsprofessor William Standish ist in seinem Leben festgefahren. Die Karriere an einer Provinzuniversität stagniert, daheim wartet Jean, die hochschwangere, hysterische Gattin, die ihn vor gar nicht langer Zeit betrogen hat. Da kommt ein Angebot aus dem englischen Esswood House gerade richtig: Standish wird eingeladen, in der Bibliothek des Hauses, das ein Treffpunkt berühmter Literaten und Poeten war, nach ungehobenen Schätzen zu suchen. Er arbeitet an einem Buch über seine Stiefgroßmutter Isobel Standish, eine unbekannt gebliebene Schriftstellerin des frühen 20. Jahrhunderts, um deren Schicksal sich ein Geheimnis rankt.

Esswood House ist seit jeher der Stammsitz der Seneschals. Die Familie ist auf zwei Mitglieder geschrumpft, die seit Jahren nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten sind. Standish wird nach komplizierter Anreise von Robert Wall, dem Verwalter, empfangen, einem mysteriösen Mann unbestimmbaren Alters. Er passt gut in die Atmosphäre von Esswood House, das sich als höchst merkwürdiges Anwesen erweist. Peter Straub – Esswood House weiterlesen

Peter Straub – Haus der blinden Fenster

Das geschieht:

Zum zweiten Mal kehrt Tim Underhill, Erfolgsschriftsteller aus Manhattan, in seine Heimatstadt Millhaven zurück, der er vor vielen Jahren den Rücken gekehrt hat. Erst hatte sich Nancy, die Gattin seines ungeliebten Bruders Philip, auf grausame Weise umgebracht. Wenig später verschwindet Mark, ihr Sohn, Tims Neffe, mit dem er sich gut versteht. Er ist nicht der erste Jugendliche, der vermisst wird. In Millhaven treibt ein Serienmörder sein Unwesen, der offenbar die Kontrolle über sich zu verlieren beginnt und die Taktfrequenz seiner Attacken steigert.

Marks tatsächliches Schicksal ist wesentlich bizarrer. Ein verlassenes Haus auf einem Nachbargrundstück hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Es zog ihn an und stieß ihn gleichzeitig ab: Hier ist spürbar Furchtbares geschehen, das die Wände des Gebäudes wie eine Batterie aufgeladen hat. Michigan Street 3323 war vor vielen Jahren die Adresse von Joseph Kalendar, der als Psychopath und Serienmörder in die US-amerikanische Kriminalgeschichte einging. Man hatte ihn erst nach Jahren des Foltern und Mordens erwischt. In einer Anstalt für geistesgestörte Verbrecher wurde er 1985 von einem Mithäftling umgebracht.

Was Mark nicht wusste: Kalendar war ein Cousin seiner Mutter. Es gibt eine seltsame Verbindung zwischen ihr und dem toten Mörder. Dies war der Grund für Nancys Selbstmord. Sie hatte eine alte Schuld nicht länger ertragen: Einst hätte sie dem üblen Treiben ihres Cousins vorzeitig ein Ende machen können, war aber furchtsam zurückgewichen. Mark ist stärker, er wollte es mit Kalendar aufnehmen, zumal er entdeckte, dass dieser seine ebenfalls ermordete Tochter noch immer in den Folterhöhlen des Hauses Nr. 3323 gefangen hält und quält. Immer tiefer drang Mark in die schrecklichen Geheimnisse des alten Hauses ein. Aber dort ist es nicht Kalendar, der ihn vor jene Entscheidung stellt, die zu seinem Verschwinden führt …

Geschichte mit offenen Enden

„Haus der blinden Fenster“ – der Originaltitel „Lost Boy Lost Girl“ wird der Geschichte wesentlich gerechter – ist eine bemerkenswert gelungene Mischung aus Thriller und Gruselgeschichte. Wo man die Grenze zieht, bleibt dem Leser überlassen. Die phantastischen Elemente sind eindeutig, sie lassen sich nicht rational auflösen. Auf der anderen Seite spielt sich vieles von dem, was sich scheinbar ereignet, wohl nur in den Köpfen der Figuren ab.

„Haus der blinden Fenster“ ist wie so oft bei Peter Straub ein Roman, der um die Themen Schuld, Sühne & das Böse an sich kreist und dabei auf Genregrenzen keine Rücksicht nimmt. Darin gleicht er dem Schriftsteller Henry James (1843-1916), mit dem Straub – auch was die literarische Qualität angeht – oft verglichen wird. „The Turn of the Screw“ (1898; dt. „Die Drehung der Schraube“) weist in der Tat dieselbe unwirkliche Atmosphäre realer und übernatürlicher Bedrohung auf wie „Haus der blinden Fenster”.

Viele Fragen wirft Straub auf. Manche beantwortet er, andere können wir uns selbst zusammenreimen. Nicht wenige bleiben jedoch offen. Ist der Sherman-Park-Killer der wiedergeborene Joseph Kalendar? Ist er ein Mensch, der von dessen Geist besessen ist? Wird Nancy Underhill wirklich vom Geist der Kalendar-Tochter, die sie einst feige im Stich ließ, in den Tod getrieben? Bildet sie sich das in nur ein? Wird auf dem privaten Friedhof des Sherman-Park-Killers doch die Leiche Marks zum Vorschein kommen, den sein Onkel in der „anderen Welt“ wähnt? Worum handelt es sich bei dieser “anderen Welt” eigentlich? Ist sie das Jenseits, eine fremde Dimension, eine parallele Erde?

Geschichte ohne sicheren Boden

Straubs komplexer Schreibstil verstärkt geschickt die Unsicherheit, die der Leser mit den Figuren teilt. Wir erleben Zeitsprünge in Vergangenheit und Zukunft. Die Perspektive wechselt; manchmal erzählt Tim Underhill, dann wird er vom (unsichtbaren) Verfasser beobachtet, der im Mittelteil die Handlung fast gänzlich Mark Underhill überlässt. Manche Ereignisse werden parallel geschildert, wobei die Interpretation sehr unterschiedlich ausfallen kann: Tim und Mark sehen die Welt nicht mit denselben Augen.

Das verwunschene Haus, in dem es aufgrund eines lange in der Vergangenheit liegenden Unrechts umgeht, ist längst ein Klischee der Phantastik. Auf jeden Fall ist es schwierig, ihm heutzutage neues Leben einzuhauchen. Auch hier leistet Straub gute Arbeit. Auf dem Grundstück Nr. 3323 lastet wahrlich ein Haus gewordener Alptraum.

Wiederum wurzelt das Grauen ausschließlich in der menschlichen Seele; für Außerirdische, Trolle, Vampire und andere Ausgeburten des klassischen und halbwegs gemütlichen Horrors ist kein Platz in Straubs Welt/en. Auch das Paradies, in dem Mark und seine Lucy sich wiederfinden, entpuppt sich als Stätte zwar ungewöhnlicher aber deshalb nicht weniger bedrohlicher Gefahren.

Kontrollverlust und Seelennöte

Timothy Underhill ist Peter Straubs anderes Ich, sein fiktiver Stellvertreter, den er gegen allerlei eingebildete und echte Dämonen kämpfen lässt, seit er ihn 1988 zum ersten Mal mit dem „Blue-Rose“-Mörder konfrontierte („Koko“), dessen Geheimnis erst 1993 in „The Goat“ (dt. „Der Schlund“) gelüftet wurde. Seither hielt sich Underhill verständlicherweise Millhaven (das Spiegelbild Milwaukees im US-Staat Wisconsin, der realen Heimatstadt Straubs) fern, weil sich für ihn viele unerfreuliche Erinnerungen an diesen Ort knüpfen.

Zu schaffen macht ihm auch die provinzielle Enge der kleinen Stadt, die vortrefflich verkörpert wird durch seinen Bruder Philip. Der hat sich scheinbar im biederen Establishment etabliert und ist doch die personifizierte Unzufriedenheit. Seiner Familie bereitet Philip wenig Freude, er ist gefühlskalt, egoistisch, unsensibel, untauglich als Ehemann und als Vater.

Mark, sein Sohn, ist eher nach Onkel Tim geraten. Mit seinen fünfzehn Jahren steckt er tief in der Pubertät, was seinen Alltag nicht einfacher macht. Seine Gefühle sind außer Kontrolle, seine Hormone laufen Amok. So wird er zum idealen Opfer für das Haus an der Madison Street. Zunächst voller Furcht über das, was er dort entdeckt, wird Mark zum jungen Ritter, der seine Prinzessin Lucy vor dem Drachen Kalendar retten will. Dafür zahlt er einen hohen Preis. Andererseits ist sein Schicksal angesichts der trüben Zukunft, die ihm sein reales Leben bietet, womöglich eine Verbesserung. Wie schon gesagt muss Mark jedoch feststellen, dass auch die „andere Seite“ keineswegs frei von Bedrohungen ist.

Geist oder nicht Geist?

Stets bleibt unklar, ob es wirklich Joseph Kalendar ist, dessen Geist noch immer nicht ablassen will von seiner krankhaften Menschenquälerei. Womöglich ist es der reale Sherman-Park-Killer, der sich mit dem berühmten ‚Kollegen‘ identifiziert und in dessen Haut schlüpft. Weil er uns niemals direkt unter die Augen tritt, ist Kalendar jemand, der für Angst und Schrecken sorgt – ein Schreckgespenst, das viel von dem verkörpert, was man sich unter einem Serienmörder vorstellt: eine schattenhafte Gestalt, die wie ein Mensch aussieht, aber eigentlich keiner mehr ist, sondern etwas Atavistisches, Düsteres, ein Wolf unter Schafen, aber ein gut getarnter, der Jagd auf seine ahnungs- und hilflosen Mitbürger macht.

Atmosphäre und interessante, eindringliche gezeichnete Figuren: Diese beiden Aspekte sind Straub deutlich ebenso wichtig wie die Handlung. Das Ergebnis mag den notorischen Mainstream-Horror-Leser irritieren oder womöglich abschrecken, aber wer sich auf “Haus der blinden Fenster” einlässt, erlebt einen Peter Straub in Hochform.

Autor

Peter Francis Straub wurde am 2. März 1943 in Milwaukee im US-Staat Wisconsin geboren. Der Schulzeit folgte ein Studium der Anglistik an der „University of Wisconsin“, das Straub an der „Columbia University“ fortsetzte und abschloss. Er heiratete, arbeitete als Englischlehrer, begann Gedichte zu schreiben. 1969 ging Straub nach Dublin in Irland, wo er einerseits an seiner Doktorarbeit schrieb und sich andererseits als ‚ernsthafter‘ Schriftsteller versuchte. Während die Dissertation misslang, etablierte sich Straub als Dichter. Geldnot veranlasste ihn 1972 zur Niederschrift eines ersten Romans („Marriages“; dt. „Die fremde Frau“), den er (mit Recht) als „nicht gut“ bezeichnet.

1979 kehrte Straub in die USA zurück. Zunächst in Westport, Connecticut, ansässig, zog er mit der inzwischen gegründeten die Familie nach New York. Ein Verleger riet Straub, es mit Unterhaltungsliteratur zu versuchen. Straub schrieb „Ghost Story“ (1979; dt. „Geisterstunde“), seine Interpretation einer klassischen Rache aus dem Reich der Toten. Der Erfolg dieses Buches (das auch verfilmt wurde), brachte Straub den Durchbruch. Mit „Shadowland“ (1980; dt. „Schattenland“) und „Floating Dragon“ (1983; dt. „Der Hauch des Drachens“) festigte er seinen Ruf – und erregte die Aufmerksamkeit von Stephen King, mit dem er sich bald anfreundete. Die beiden Schriftsteller verfassten 1984 gemeinsam den Bestseller „The Talisman“ (dt. „Der Talisman“), dem sie 2001 mit „Black House“ (dt. „Das schwarze Haus“) eine ebenso erfolgreiche Fortsetzung folgen ließen.

Straubs Werke wurden vielfach preisgekrönt; akademisch penibel zählt der Autor seine Meriten hier auf. Diese Website ist ebenso informativ wie kurios und verrät einen intellektuellen Geist, der über einen gesunden Sinn für hintergründigen Humor verfügt.

Taschenbuch: 379 Seiten
Originaltitel: Lost Boy Lost Girl (New York : Random House, USA 2003)
Übersetzung: Uschi Gnade
http://www.randomhouse.de/heyne

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)