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Torsten Landsvogt – Vor dem Wind

_Die Ruhe vor dem Sturm_

Sobald der Wind einsetzt, verlässt die Flotte den Hafen. Die angestauten Handelswaren verderben, das Einkommen bleibt aus und der gesamte Handel avanciert zum Fiasko. Dieses eher fürchterliche Debakel ist genau das Gegenteil des Idealfalls, den man im neuesten Phalanx-Titel „Vor dem Wind“ erleben kann. Bereits kurze Zeit nach dem recht ähnlich gestrickten „Zeitalter der Entdeckungen“ offeriert der niederländische Verlag ein weiteres Handelsspiel, welches sich mit der Verschiffung einzelner Waren auseinandersetzt und somit natürlich die Frage aufwirft, ob eine derartige Veröffentlichungspolitik tatsächlich Sinn ergibt. Doch den Bedenken kann sprichwörtlich der Wind aus den Segeln genommen werden. „Vor dem Wind“ glänzt mit noch mehr Detailverliebtheit und einer noch deutlicheren Priorität in Sachen Taktik und Strategie – und bietet damit grundlegend alles, was ein gutes Spiel aus jenem Genre benötigt. Alles? Nun, einfach weiterlesen:

_Die Spielidee_

Im Hafen hat eine Flotte von Handelsschiffen angelegt und wartet nur darauf, von den umliegenden Händlern mit neuen Waren gefüllt zu werden. Besonders Käse, Gewürze, Seide und Äpfel sind gefragte Artikel und werden von den anliegenden Doppelmastern mit Vorliebe auf die See geschickt. Die Spieler übernehmen nun die Rolle dieser Händler und bemühen sich, die lukrativsten Schiffe zu bestücken und dadurch auch die meisten Siegpunkte einzuheimsen. Es wird gefeilscht, bestochen und taktiert, bis man schließlich die Bedingungen des jeweiligen Schiffs erfüllt und seine Waren auf die Reisen schicken kann. Doch Obacht: Sobald die Handelsflotte ablegt, droht der nächste Sturm. Die teuer gelagerten Waren drohen zu verrotten und alle Strategien müssen über den Haufen geworfen werden. Vor dem Wind ist schließlich vor dem kurzzeitigen Ruin – wer nämlich bis dorthin seine Waren verschifft hat, hat die besten Aussichten auf den Sieg.

_Spielmaterial_

• 120 Aktionskarten
• 60 Warenkarten
• 60 Guldenkarten
• 46 Schiffskarten
• 4 Warenlager
• 1 Startspielerstein
• 1 Spielregel

„Vor dem Wind“ ist ein reines Kartenspiel, als solches jedoch sehr schön aufgemacht und vor allem optisch herrlich aufbereitet. Das Kartenmaterial ist einerseits leicht verständlich aufgebaut, andererseits aber auch sehr stimmig illustriert. Hinzu kommt, dass man einen etwas stabileren Karton als Basis genommen hat. Ein schnelles Einknicken, wie es der penible Spieler ja geradezu hasst – da schließe ich mich gerne an – ist also nicht üblich. Kurz und knapp: Mit diesen Materialien spielt man wirklich gerne!

_Die Karten_

Bevor man mit der ersten Partie startet, sollte man sich zunächst einmal einen Überblick über das Kartenmaterial verschaffen. Hier wird zwischen Aktions-, Waren-, Gulden- und Schiffskarten differenziert, deren Funktionen eng miteinander verknüpft sind, die aber grundsätzlich voneinander unabhängig eingesetzt werden. Bei den Aktionskarten unterscheidet man zwischen ‚Verschiffen/Einnahmen‘, ‚Lagerung‘ und ‚Einkauf‘. Sie werden in der ersten aktiven Phase einer Spielrunde eingesetzt, und um sie gilt es auch zu feilschen. Hierzu benötigt man natürlich schlagkräftige Argumente, in diesem Fall Gulden, die offizielle Währung in „Vor dem Wind“. Im späteren Spiel wird sich der Umgang mit den Finanzen als entscheidendes Elements herauskristallisieren, so dass man selbst bei einem üppigen Startkapital von 22 Gulden eventuell flott in die Bredouille kommen kann.

Um jedoch wieder Geld einzunehmen, muss man seine Warenkarten verkaufen. Über die Aktion ‚Einkauf‘ gerät man kostenlos an die vier verschiedenen Waren und kann sie in einer weiteren Aktion mit der Karte ‚Verschiffen/Einnahmen‘ wieder an die Bank verkaufen. Dies jedoch zu divergierenden Preisen, die nicht immer besonders vorteilhaft sein müssen. Mit dieser Aktion kann man außerdem auch die im Warenlager via ‚Lagerung‘ gesammelten Waren verschiffen und sich die wichtigen Siegpunkte angeln. Letztere sind auf den Schiffskarten zu ganz unterschiedlichen Werten angegeben. Man unterscheidet zwischen großen und kleinen Schiffen, für die man individuell verschiedene Waren aufbringen muss, um sie zu erhalten. Kleine Schiffe erfordern zwei, große Schiffe vier Waren.

_Spielvorbereitung_

„Vor dem Wind“ ist für zwei bis vier Spieler konzipiert, wobei der Aufbau des Spiels sich an der jeweiligen Spielerzahl ausrichtet. Zunächst bekommt jeder Spieler ein Warenlager und das oben erwähnte Startkapital von 22 Gulden. Anschließend werden die Aktionskarten sortiert und in drei Stapel verdeckt in die Tischmitte gelegt. Dorthin, allerdings offen, legt man auch die vier Stapel mit den Warenkarten, die Guldenkarten und, wiederum verdeckt, die nach klein und groß getrennten Schiffskarten. Abhängig von der Spielerzahl werden nun die obersten Schiffskarten gezogen und zentral auf dem Tisch platziert. Auf ihnen stehen nun die ersten Vorgaben, das heißt, welche Waren man auf welchen Schiffen zu welchen Konditionen (Siegpunkten) verschiffen kann. Ist der Spielaufbau dementsprechend abgeschlossen, beginnt der Startspieler mit dem ersten Zug.

_Spielaufbau_

In „Vor dem Wind“ geht es, grob umschrieben, darum, Waren zu erwerben, sie zu lagern und vor dem Aufbruch der Handelsflotte zu verschiffen. Allerdings ist dies natürlich nicht so leicht, wie es auf dem Papier scheint, denn zunächst gilt es, in den unterschiedlichsten Spielphasen dafür zu sorgen, die Waren überhaupt zu bekommen, sie mit den entsprechenden finanziellen Mitteln zu lagern und auch noch das passende Schiff zu erwischen, bevor die Konkurrenz damit von dannen segelt. Eine Spielrunde ist nun in folgende Abschnitte unterteilt:

|1. Auswahl der Aktionskarten|

Entsprechend der Spielerzahl deckt der Startspieler nun Aktionskarten auf, wobei zu beachten ist, dass er maximal zwei Karten je Aktionskartenstapel, gleichfalls aber auch mindestens von zwei Stapeln zieht. Diese deckt er nun für alle sichtbar auf und gibt den Handel frei.

|2. Handel mit Aktionskarten|

Der Startspieler hat wiederum die erste Wahl und sucht sich eine der Aktionskarten aus. Sofern niemand Einwände hat, darf er sie ibn seine Hand aufnehmen und für den späteren Einsatz aufbewahren. Sollte jedoch jemand ebenfalls auf diese Karte scharf sein, hat er die Möglichkeit, dem anderen Spieler eine Geldsumme zu bieten, um doch noch an die Aktionskarte zu kommen. Nimmt der andere Spieler die Offerte an, bekommt er den gebotenen Guldenbetrag, verliert jedoch die Karte an den Mitspieler. Lehnt er das Angebot indes ab, ist er verpflichtet, genau diese Geldsumme an den Bietenden zu zahlen. Beide dürfen am weiteren Aktionskartenhandel nicht mehr teilnehmen, weil sie schon eine Karte respektive Geld erhalten haben. In diesem Maße setzt sich der Handel nun fort, bis jeder Spieler entweder Gulden oder eine Aktionskarte bekommen hat.

|3. Durchführen der Aktionen|

In dieser Phase können die Spieler reihum ihre Aktionskarten ausspielen. Mit einer Karte ‚Einkauf‘ erhält man jetzt die auf der Karte abgebildeten Waren. Wer sich für die ‚Lagerung‘ entschieden hat, kann eine vorgegebene Zahl Waren zu einem ebenfalls auf der Karte festgelegten Preis in sein Lager ablegen, von wo aus sie zu einem späteren Zeitpunkt verschifft werden können. ‚Verschiffen/Einkommen‘ stellt den Spieler schließlich vor die Wahl: Entweder bringt er jeweils eine der Waren auf und verkauft sie an die Bank zurück, oder aber verschifft er die Warenkarten in seinem Lager mit dem Schiff, das eine identische Nachfrage aufbietet. Dies ist die einzige Möglichkeit, Geld bzw. Siegpunkte zu erhalten.

Des Weiteren gibt es noch diverse Sonderaktionen, die beispielsweise die Möglichkeit offenhalten, Waren vor dem Verrotten zu schützen, Waren zu tauschen oder sie zu einem besseren Preis und ganz individuell zu verkaufen. Eine Sonderaktion ermöglicht es den Spielern sogar, einen Vorentscheid bei der Handelsphase zu erzwingen, ohne dass man durch Gebote und dergleichen fürchten muss, Bares oder die Aktionskarte zu verlieren.

|4. Ende eines Durchgangs|

Sobald eine vorgegebene Anzahl von Schiffen vergeben ist, verlässt die übrige Flotte den Hafen. Die Waren, die man bis dahin auf der Hand hält, verderben sofort. Ebenfalls sind Äpfel und die Hälfte der Käse- und Gewürzvorräte sofort zerstört. Lediglich Seide kann gerettet werden, sofern sie im Lager aufbewahrt wurde. Damit endet immer wieder ein Durchgang, und ein neuer beginnt sofort danach mit dem Auslegen neuer Schiffskarten.

_Spielende_

Auch das Spielziel ist abhängig von der Spielerzahl. Bei zwei Spielern sind immerhin 60 Siegpunkte erforderlich, um zu siegen. Im Spiel zu dritt und zu viert reichen indes schon 50 Siegpunkte. Das Spiel endet in diesem Fall sofort.

_Persönlicher Eindruck_

Die Eindrücke, die ich im Laufe von mittlerweile sechs Partien habe sammeln können, sind grundsätzlich völlig verschieden: Zunächst einmal lag die Befürchtung in der Luft, das Spiel würde nicht richtig ins Rollen kommen. Gerade die Debütpartie, die zu zweit ausgetragen wurde, lahmte anfangs gehörig, weil die Möglichkeit des Feilschens nur geringfügig ausgeschöpft werden konnte und von der schlussendlichen Spieltiefe kaum etwas erahnbar war. Zwar war auch hier eine gewisse Spannung geboten, jedoch ist die anfängliche Sammelphase doch recht anstrengend, weil der Austausch untereinander ebenso wie die Kommunikation dadurch bedingt leicht gestört ist. Erst im weiteren Verlauf eröffneten sich dann die strategischen Finessen, die „Vor dem Wind“ – auch im Duett – zweifelsohne vorweisen kann. Man lernt, die Aktionskarten nach bestimmten Taktiken auszuwählen, findet Möglichkeiten, den Gegner auch ohne Handel auszustechen, bis schließlich ein richtig guter Zweikampf in einem Kopf-an-Kopf-Rennen gipfelt, welches man sich gerade nach der mühseligen Aufbauphase kaum hätte vorstellen können.

Richtig interessant ist „Vor dem Wind“ allerdings ganz klar erst, wenn der Handel blüht und die Interaktion dynamischer wird. Ein solches Szenario liefert definitiv die Partie mit vier Spielern. Nun kommen mehr Aktionskarten auf den Tisch, das Abwägen von finanzieller Belastung und Verzicht auf bestimmte Karten nimmt zu, und insgeheim gelingt es hier auch so manches Mal, die Konkurrenz mit Geboten zu überrumpeln, an denen man eigentlich gar nicht interessiert ist – und schwupps offenbart sich auch das gehörige Potenzial, das sich hinter Torsten Landsvogts neuestem Spieltitel verbirgt.

Daher empfehle ich auch ganz klar, sich direkt in voller Besetzung an das Spiel heranzumachen, um eine derart tückische Entwicklung wie die meinige von Anfang an auszuschließen. Sobald man nämlich die verborgenen Details des Spiels entdeckt und die strategischen Abläufe durchschaut hat, sind direkt sämtliche Zweifel ausgeräumt. Alles in allem hat „Vor dem Wind“ damit auch das kürzlich erschienene [„Zeitalter der Entdeckungen“ 3693 locker übertrumpfen können. Mehr Spieltiefe, ein gelungenes Konzept und ein starkes Design machen dieses Spiel zu einem der besten verlagsinternen der letzten Jahre. Hier gehen ganz klar beide Daumen hoch!

http://www.phalanxgames.nl/

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