Buchwurm.info: Lieber Ralf, wie geht es Dir? Wo bist Du?
Ralf Isau: Danke, mir geht es gut. Ich bin gerade überall und nirgendwo. Kürzlich hat mich das „Haus der Technik“ in Essen zum Botschafter für den Deutschen Weiterbildungspreis ernannt. Mitte März ging es zur Buchmesse nach Leipzig. Und im Mai fliege ich nach Südkorea. Ich darf am Changwon International Children’s Literature Festival 2013 teilnehmen. An der Uni von Changwong halte ich eine Vorlesung zur deutschen Kinder- und Jugendliteratur im Allgemeinen sowie der Phantastik von Michael Ende und Ralf Isau im Besonderen. Anschließend geht es zum Goethe-Institut nach Seoul. Du siehst, ich bin ein Globetrotter in Sachen Literatur.
Manche Leser kennen Dich und Deine zahlreichen Werke noch nicht. Stell Dich doch bitte ein wenig selbst vor.
Ich bin Baujahr 1956, in Berlin geboren. Seit 30 Jahren lebe ich mit meiner Frau Karin in der Nähe von Stuttgart. (Eine ausführliche, mit Fotos dokumentierte Biografie findet sich unter der URL http://www.isau.de/vita.html.) Bücher der Phantastischen Literatur veröffentliche ich seit 1994. Alles begann mit dem „Drachen Gertrud“, einem Kinderbuch, das ich Michael Ende schenkte. Es hat ihm gefallen und er empfahl mich seinem Verlag. Seitdem sind fast 40 Bücher entstanden, fast alle im Genre der Phantastik. Viele davon wurden ins Ausland verkauft, in 14 verschiedene Länder. Mein neuer All-age-Roman „Die Masken des Morpheus“ erscheint am 18. März beim Verlag CBJ. (Mehr zum Roman ist unter http://www.isau.de/werk/masken.html nachzulesen.)
Der siebzehnjährige Waisenjunge Arian arbeitet in der Spektakelschau seines Ziehvaters als Artist und Puppenspieler. Seine ungewöhnlichen Fähigkeiten kommen ihm dabei zugute. Allerdings besitzt er außer denjenigen, die er regelmäßig nutzt, auch noch ein paar, von denen er nichts weiß. Und diese letzteren sind der Grund, warum an einem schönen Sommertag die Begegnung mit einem alten Franzosen Arians Leben vollkommen durcheinanderbringt …
Wie der Leser es von Ralf Isau gewohnt ist, hat der Autor sehr gründlich recherchiert. Historischer Hintergrund ist die französische Revolution, doch obwohl die Ereignisse dort eine nicht unerhebliche Rolle spielen, findet die Handlung nur teilweise in Frankreich statt. Durch seine Erzählung hat der Autor den historischen Ereignissen eine ganz eigene Interpretation gegeben, was einen großen Teil ihres Charmes ausmacht.
Der andere Teil, der fasziniert, ist das phantastische Grundgerüst.
Morpheus, in der griechischen Mythologie Sohn der Nacht und des Schlafes und Gott der Träume, besitzt die Fähigkeit, jegliche Gestalt anzunehmen. Ralf Isau hat dies umgearbeitet in die Fähigkeit, mit anderen Geschöpfen den Körper zu tauschen. Dies schließt auch Tiere ein und eröffnet damit nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, zumal Morpheus nicht der Einzige ist, der über dieses Können verfügt. Dazu kommt noch, dass die sogenannten Körpertauscher nicht nur in der Lage sind, einen fremden Körper zu übernehmen, sie können auch die darin lebende Seele vereinnahmen. Das ist der Grund, warum Arian sie als Seelendiebe bezeichnet.
Unnötig zu erwähnen, dass solche Fähigkeiten nicht nur eine immense Machtfülle bedeuten, sondern auch eine unbegrenzte Lebensspanne für den Körpertauscher, sofern er nicht durch Einwirkung von Gewalt zu Tode kommt, ehe er in einen anderen Körper wechseln kann.
Zwar ist es den Sirilim-Zwillingen in „Der König im König“ gelungen, Múrias früheren Verlobten Jazzar-fajim aus der Gefangenschaft des Gottes Magos zu befreien und den Gott selbst aus Mirad zu vertreiben, doch die Gemeinschaft des Lichts hat einen hohen Preis dafür bezahlt! Im Kampf gegen die Waggs hat sie Falgon verloren. Und Ergil seinen Bruder Twikus.
Dabei scheint es nicht einmal ein wirklicher Sieg zu sein: Kaguan hat sich mit dem erneut zerbrochenen Schwert Schmerz davongemacht, und die ungewöhnliche Kälte, die Soodland im Griff hält, ist ungebrochen. Das Land steht vor einer erneuten Missernte und damit vor einer Hungersnot, und die Könige von Pandorien und Ostrich, Entrin und Godebar, wetzen bereits die Klingen, um sich das geschwächte Soodland einzuverleiben und einen neuen Mann auf den Thron des Großkönigs zu setzen, vorzugsweise jeweils sich selbst!
Trotz dieser bedrohlichen Situation entschließt sich Ergil, den Spuren des großen Entdeckers Harkon Hakennase zu folgen. Denn er hat herausgefunden, dass seine Mutter von Wikander nicht erstochen, sondern vergiftet wurde, sich aber in eine Nebenfalte der Welt retten konnte und dort auf ein Gegengift wartet. Sollte sie sterben, wird die große Kälte, die Soodland heimsucht, ganz Mirad überziehen und alle Menschen und Sirilim vernichten. Doch das einzige Gegenmittel gegen das Gift ist das Wasser von Silmao, und die letzte Flasche dieser kostbaren Flüssigkeit hat Popi dazu verwendet, nach dem Kampf mit Magos Ergils Leben zu retten! Dem jungen König bleibt nichts anderes übrig, als erstens einen noch fruchtbaren Ginkgo-Baum und zweitens die unbekannte weitere Zutat des Wundermittels aufzutreiben, und zwar, ehe seine Mutter der Wirkung des Giftes erliegt.
Als wäre die Reise über die Grenzen der bekannten Welt hinaus nicht schon gefährlich genug, trägt Ergil eine ganz besondere Bedrohung in sich: kleine schwarz-rote Raupen, Zornissen genannt, die Kaguan ihm angehängt hat, und die alle dunklen und negativen Gefühle verstärken, um sich davon zu ernähren. Die Befallenen sterben entweder irgendwann oder werden zu Dienern des Bösen, es sei denn, es gelingt ihnen, ihre Schattenseiten völlig zu beherrschen, entweder durch Meditation oder durch vollkommene Liebe …
Im letzten Band der Chroniken von Mirad wurde der Handlungsverlauf im Vergleich zu den Vorgängerbänden richtig aufwändig. Vier verschiedene Handlungsstränge laufen diesmal parallel:
Zunächst natürlich der um Ergil. Zusammen mit Kira, dem Netzling Nisrah, Popi, Tusan, Jazzar-fajim, dem jungen Schmied Tiko und dem ehemaligen Flusspiraten Bombo als Kapitän will er auf der Silberginkgo, einem Sirilimschiff, um den Weltenbruch herumsegeln. Er muss allerdings schon bald feststellen, dass seine Reise ihn noch viel weiter führen wird!
Múria und Herzog Borst von Bolk führen in Ergils Abwesenheit die Regierungsgeschäfte, was letztlich bedeutet, dass sie die Sooderburg nicht nur gegen die vereinigten Heere von Entrin und Godebar verteidigen müssen, sondern auch gegen einen Verräter in den eigenen Reihen!
Denn Kaguan, der im Kerker der Sooderburg sitzt, hat seine Raupen auch noch einem anderen Mann einverleibt, den er jetzt für seine eigenen Zwecke benutzt, um das Schwert Schmerz ein weiteres Mal zusammenzufügen und seinen Herrn, den Gott Magos, nach Mirad zurückzuholen.
Gondo, den Räuberhauptmann, der einst auf Kaguans Geheiß die Gemeinschaft des Lichts im Wald der Zungen überfallen hat, hat es derweil in König Entrins Heer verschlagen, seine Hoffnungen auf Belohnung oder Beute wurden allerdings mit schöner Regelmäßigkeit enttäuscht. Jetzt sitzt er höchst missmutig unter den Belagerern vor der Sooderburg und hat nur ein einziges Ziel: Er will endlich etwas vom großen Kuchen abhaben!
Das zeigt schon, dass es diesmal etwas verwickelter zugeht. Der äufwändigste und ausführlichste Teil der Handlung dreht sich natürlich um Ergil. Hier tauchen auch die meisten neuen Ideen auf. Die harmonie“süchtigen“ Bäume Floraniens wirken zwar nicht ganz so neu, dafür erinnern sie doch ein wenig zu sehr an die Ents, aber vielleicht war das auch Absicht. Es wäre nicht die erste Hommage an Tolkien, der der Leser bei Isau begegnet. Interessanter fand ich die Samenwolke oder die fliegende Rennqualle, vor allem aber das bisher nur auf der Landkarte verzeichnete Land Xk mit seinen Bewohnern. Die extreme Fremdartigkeit dieser Kultur führt zu einigen durchaus sehr schrägen Situationen.
Während Ergil für die Queste und die Lösung eines Rätsels zuständig ist, sorgt der Rest der Handlung dafür, dass die Zeit knapp wird. Nicht nur, weil Ergils Mutter Vania nur noch wenige Tage zu leben hat, ist Eile geboten, sondern auch, weil sowohl Kaguan als auch die Angreifer vor den Mauern der Sooderburg kurz davor sind, den letzten Schlag zu führen!
Dass Vania letztlich gerettet wird, stand im Grunde außer Frage, wie aber genau der Kampf gegen Kaguan und die Belagerer ausgehen würde, war bis zuletzt unklar. So zog die Spannung in der zweiten Hälfte des Buches immer weiter an und blieb bis zum Ende erhalten. Dem tat auch die unblutige Art und Weise, in der die Schlacht um die Burg geschildert wurde, keinen Abbruch.
An Personenentwicklung findet in diesem dritten Band nicht mehr allzu viel statt. Den größten Anteil daran hatten naturgemäß die Zwillinge. Aber Twikus ist tot, und Ergil hat inzwischen eine Menge durchgemacht, ist ziemlich erwachsen und auch viel selbstsicherer geworden. Allein Prinzessin Nishigo gelingt es noch, ihn aus der Fassung zu bringen, doch nur so lange, bis er sich endlich eingestanden hat, dass nicht nur Twikus in die kleine Susanerin verliebt war. Die Entwicklung der Beziehung zwischen Nishigo und Ergil nimmt einiges mehr an Raum ein als zuvor die zwischen Nishigo und Twikus, bleibt aber trotzdem wohltuend kitschfrei.
Etwas konstruiert empfand ich die Rettung von Harkon Hakennase durch Selbstaustrocknung, um dem Tod durch Erfrieren zu entgehen. Der Eindruck schwächte sich später, als die Gefährten Xk erreichten, etwas ab, da diese Methode dort zur Kultur gehört und dadurch etwas vom Eindruck des Höchstunwahrscheinlichen verliert. Trotzdem: Wäre Hakennase irgendwann von allein wieder aufgetaut, wie wäre er wohl ganz ohne Mannschaft mit seinem Schiff zurück an Land gelangt? Was für ein Glück auch, dass die Gefährten zufällig die einzig richtige Methode erwischten, den Forscher wiederzubeleben! Überhaupt hat der Autor in diesem Zyklus einen ausgeprägten Drang, Leute wiederzubeleben, mit denen eigentlich nicht mehr zu rechnen war: Jazzar-fajim, Hakennase, Vania … Aber gut, für die Gemeinschaft war der kauzige Alte immerhin ein echter Gewinn, nicht nur wegen seiner Kenntnisse der Xkischen Kultur.
Eine offensichtliche Panne findet sich in der Diskussion zwischen Ergil und Múria über Hakennases letzte Expedition. Irgendwie hat da jemand ein paarmal Ost und West durcheinandergeworfen. Ansonsten war das Lektorat angenehm fehlerfrei.
Betrachtet man die Trilogie insgesamt, so bleibt zu sagen, dass der dritte Band zwar an den zweiten nicht ganz heranreichte – dafür verlief manches doch ein wenig zu glatt, wie zum Beispiel die Rettung vom Frauenturm in Ostgard -, dass er aber trotzdem besser war als der erste. Die Chroniken von Mirad kommen vielleicht etwas langsamer in Gang als andere Zyklen, aber es lohnt sich, sich davon nicht abschrecken zu lassen und trotzdem weiterzulesen.
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Und das nächste Buch ist auch schon wieder in Arbeit: Das Erscheinen von „Die Farbenlauscher“ ist für September 2007 vorgesehen.
Nachdem Twikus und Ergil in [„Das gespiegelte Herz“ 1807 ihren Onkel Wikander besiegen und Mirad von seiner Tyrannei befreien konnten, sollte eigentlich alles in schönster Ordnung sein. Aber ganz so einfach ist die Sache dann doch nicht. Die beiden Brüder sind noch jung, die Bevölkerung scheint sie als Könige nicht ganz ernst zu nehmen, und einige Könige des Sechserbundes nutzen offenbar die Gelegenheit, ihr eigenes Süppchen zu kochen …
Doch all diese Schwierigkeiten verblassen, als eines Tages das Sirilim-Schwert der Brüder unvermittelt das Zittern anfängt. In der folgenden Nacht träumt Ergil, Wikanders finsteres Schwert Schmerz, das geborsten ins Meer gestürzt war, tauche wieder auf! Als noch dazu ein Bote Múrias die Nachricht von einem seltsamen, schwarz gekleideten Mann namens Kaguan überbringt, der sich sehr eigenartig verhalten habe, beschließen die Zwillinge, zusammen mit Múria und Falgon zum Festland zu reiten.
Sie kommen zu spät, Kaguan ist verschwunden. Um herauszufinden, wer dieser geheimnisvolle Mann war und was er eigentlich wollte, benutzen die jungen Könige ihre Sirilim-Fähigkeiten. Das Ergebnis ist erschreckend! Kaguan ist ein Chamäleone, ein Diener des finsteren Gottes Magos, und er hat die Bruchstücke von Schmerz aus dem Meer geborgen, um sie seinem Herrn zurückzubringen, damit dieser Mirad erneut seiner Knechtschaft unterwerfen kann.
Zuerst jedoch muss das Schwert neu geschmiedet werden, und nur eine Familie in Mirad beherrscht diese Kunst. Eine verbissene Hetzjagd durch den halben Kontinent beginnt …
Der zweite Band der Mirad-Trilogie hat mir fast noch besser gefallen als der erste. Während im ersten Teil die Handlung sich noch ganz allmählich an die eigentliche Aufgabe, nämlich den Sieg über Wikander, herantastete, ist im zweiten Band von Anfang an klar, um was es geht. Die Jagd nach dem schwarzen Schwert bildet dabei den roten Faden, der sich durch das ganze Buch zieht, was diesen Band einheitlicher und zusammenhängender erscheinen lässt als den ersten.
Trotzdem geht hier bei weitem nicht alles glatt, im Gegenteil. Jedes Mal, wenn die Gefährten glauben, sie könnten Kaguan endlich fassen, macht ihnen irgendetwas einen Strich durch die Rechnung. Nicht nur die Tatsache, dass der Chamäleone sich durch die Anpassung seines Körpers an seine Umgebung nahezu unsichtbar machen kann, sondern auch, dass er die Brüder sehen kann, wenn sie ihre Sirilim-Gabe benutzen, macht ein Überlisten der Kreatur äußerst schwierig. Dazu kommt, dass das Schwert Schmerz, das Kaguan bei sich trägt, eine für die Zwillinge schier unerträgliche Ausstrahlung besitzt und ihnen die Sinne verwirrt. Außerdem hat Kaguan auch noch einige Helfer, die der Gemeinschaft schwer zu schaffen machen, und sein Meister hat ihm zusätzlich noch Macht über die Elemente verliehen. Das Repertoire umfasst aber auch so prosaische Tätigkeiten wie Geiselnahmen …
Die vielen verschiedenen Kniffe, durch die Kaguan seinen Verfolgern immer wieder entkommt, sorgen dafür, dass die Jagd durch Mirad abwechslungsreich, interessant und spannend bleibt. Und ehe sich aufgrund der ständigen Fehlschläge beim Leser Frustration einstellen kann, biegt Isau die Verfolgung in eine andere Richtung um …
Hilfreich für Kaguan waren aber nicht nur seine eigenen Fähigkeiten, sondern gelegentlich auch seine Verfolger. Ergil und Twikus haben sich zwar inzwischen ein gutes Stück zusammengerauft, gelegentlich aber flackern die alten Rivalitäten doch noch auf, in der Regel natürlich in kritischen Situationen, sprich: genau dann, wenn man es eigentlich gar nicht gebrauchen könnte! So kann Kaguan zumindest ein- oder zweimal nur deshalb in letzter Sekunde entkommen, weil die Zwillinge sich gerade nicht auf ihre Vorgehensweise einigen können und so kostbare Sekunden vergeuden.
Sogar die mangelnde Unterstützung der Brüder durch die Könige ihres Bundes weiß Kaguan auszunutzen, ebenso wie die Schwäche des Herrschers von Susan für seine Tochter Nishigo. Diese Vielfältigkeit, nicht nur in seinen körperlichen Fähigkeiten, sondern auch in seinem Denken, machen Kaguan zu dem interessantesten neuen Charakter dieses Bandes. Sein Gott wirkt dagegen fast ein wenig mickrig und einfallslos, aber gut, er kam ja auch kaum vor.
Außer den übrigen, bereits bekannten Charakteren Múria, Falgon, Dormund und Kira, die unverändert bleiben, ist noch Popi erwähnenswert, den Ergil zu seinem Knappen gemacht hat. Popi ist eigentlich ein Hasenfuß, der schon vor der geringsten Kleinigkeit am liebsten davonläuft. Aber nur, wenn es nicht um seine Könige geht! Ergil ist er so treu ergeben, dass er für ihn sogar solche Dinge tut, die er sonst niemals auch nur in Erwägung ziehen würde! Dass er dabei geradezu über sich selbst hinauswächst, fällt ihm überhaupt nicht auf.
Eine besonders angegehme Eigenschaft ist Isaus unaufdringliche Art und Weise, Dinge zu schreiben. So bleibt die Romanze zwischen Twikus und Nishigo ein zwar sichtbarer aber erfreulich dezenter Bestandteil der Geschichte. Die Zwillinge bleiben trotz ihrer Macht und Twikus‘ Hang zum Heldentum jederzeit menschlich und unperfekt, was auch für Falgon und Múria gilt. Und auch aus Popi wird kein strahlender Überheld, nachdem er seine Angst überwunden hat, sondern er ist immer noch ein fast zu bescheidener und ängstlicher Junge, der vorerst lediglich entdeckt hat, dass Mut durchaus nicht außerhalb seiner Reichweite liegt.
Zwei Fragen allerdings stellten sich mir bei der Lektüre: Wie konnte es passieren, dass die Wachposten im Palast von Susan so leicht auf den Chamäleonen hereingefallen sind? Hat sie denn niemand davor gewarnt, dass das „Gespenst aus der Schmiede“ seine Gestalt verändern konnte? Wenn ja, was für ein Versäumnis! – Und wie ist Kaguan aus der toten Meerschlange entkommen?
Aber gut, im Hinblick auf den gelungenen Rest des Buches kann man darüber hinwegsehen. Der Kampf gegen ein übermächtiges Böses ist zwar schon so alt wie die Fantasy selbst, aber vielleicht eben deshalb aus dieser auch nicht mehr wegzudenken. Und Ralf Isau hat das Thema mit einigen neuen und guten Ideen angereichert. Wie auch schon der erste Band für Jugendliche uneingeschränkt empfehlenswert, und für Erwachsene ebenfalls durchaus interessant, sofern man nicht besonderen Wert auf große Detailliertheit und komplexe Handlung mit mehreren Parallelsträngen legt.
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu Schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Der dritte Band der Chroniken von Mirad soll im Herbst dieses Jahres erscheinen.
Ergil ist ein ruhiger, nachdenklicher Junge mit einer unerschöpflichen Wissbegierde. Stunden kann er damit verbringen, das Leben im Wald zu beobachten, und wenn er damit fertig ist, fragt er seinen Ziehvater Falgon Löcher in den Bauch. Diese Eigenschaften resultieren aus dem tief verwurzelten Wunsch, die Welt und ihre Wesen zu verstehen. Wenn er sich nur selbst verstehen könnte! Einiges an ihm selbst scheint ziemlich merkwürdig zu sein, und er träumt immer so seltsam …
Twikus ist ein Wildfang und immer in Bewegung. Er scheint vor nichts Angst zu haben, das Wort Vorsicht existiert in seinem Wortschatz gar nicht. Sein Lieblingszeitvertreib ist die Jagd. Twikus ist ein exzellenter Bogenschütze. Umso mehr wundert er sich immer wieder über die Träume von einem jungen Burschen, der offenbar ein totaler Weichling ist …
Endlich hat David sich der Frage nach der Zerstörung des Fürstenrings zugewandt, nur um in jeglicher Hinsicht einen Rückschlag einzustecken! Der Ring hat nicht einmal die Andeutung einer Beeinträchtigung abbekommen, stattdessen haben die Experimente Belials Schergen auf den Plan gerufen. David muß schleunigst untertauchen.
Aber wenigstens ein Gutes ist dabei herausgekommen: Sein Freund Lorenzo di Marco, zu dem der Kontakt während des Zweiten Weltkriegs komplett abgebrochen war, ist wiedergefunden und begleitet David nun nach New York, um seine Recherchen für David dort weiter zu betreiben.
David ist zunächst noch einmal in Südamerika unterwegs, denn ein Gespräch mit dem nach jahrelanger Suche endlich aufgetriebenen von Papen hat ihm in einigen Punkten die Augen geöffnet. Kaum aus Südamerika zurück, verlangt die Kuba-Krise seine volle Aufmerksamkeit. Das eigentliche Ziel des Interesses jedoch sind die Qumram-Rollen, von denen David sich Aufschluss über frühere und vielleicht auch jetzige Versammlungsorte des Kreises der Dämmerung erhofft. Seine Suche führt ihn über Griechenland und Russland in die Türkei. Die Reise lüftet das Geheimnis der einfachen Siegelringe, aber nicht das um den Fürstenring. Und die letzten beiden Logenbrüder des Kreises sind wie vom Erdboden verschluckt! David tritt auf der Stelle, und die Zeit läuft ihm davon …
Nachdem die ersten drei Bände des Zyklus einen Zeitraum von lediglich knapp sechzig Jahren behandelten, rechnete ich schon fast damit, dass die Handlung bereits weit vor dem Jahrtausendwechsel enden würde. Das sollte sich als Irrtum herausstellen.
Bei Davids Rückkehr aus der Türkei schreibt der Autor das Jahr 1982. Die darauf folgenden Jahre werden durch die Zusammenfassung verschiedener Eckdaten recht straff zusammengefasst. Erst im Jahr 1995 geht die Handlung mit Davids letzter Japanreise wieder mehr ins Detail. Die letzten hundertfünfzig Seiten umfassen dann die extrem kurze Zeitspanne von nur neun Monaten, vom April bis zum 31. Dezember 1999.
Davids Charakter macht in diesen letzten vierzig Jahren keine großen Wandlungen mehr durch. Erwachsen ist er schon, leidgeprüft auch, und für das Entwickeln von Schrullen, wie alte Leute es häufig tun, hat er gar keine Zeit. Auch körperlich bleibt er überraschend jung, im Alter von fünfundneunzig Jahren wirkt er noch wie ein Fünfzigjähriger, was wohl zu seinen Gaben als Jahrhundertkind gehören dürfte, denn die Lebensspanne von hundert Jahren wäre wohl kaum diese hundert Jahre wert, wenn davon zwanzig Prozent oder gar mehr durch Gebrechlichkeit beeinträchtigt wären.
Trotzdem ist David gegen Ende seines Lebens auf ein wachsendes Heer von Helfern angewiesen. Getarnt als Nachrichtenagentur, sammeln eine Menge Leute für ihn alles an Informationen, was zu kriegen ist. Dazu gehören neben Lorenzo und Ruben inzwischen auch Dee-Dee und Davy, zwei junge Computer-Freaks, die für ihn, wenn nötig, auch mal in fremde Rechner einbrechen. Denn der Giftgas-Anschlag in Tokyo geht David nicht aus dem Sinn, und tatsächlich ergibt die Recherche Ungeheuerliches …
Ob das Szenario, das Isau da entwirft, so wirklich möglich ist, dürften noch nicht einmal Koryphäen der Wissenschaft beantworten können, denn das Thema selbst ist längst nicht genügend erforscht. Davon ganz abgesehen, enthält die Sache einen kleinen Logikfehler: Wenn die Basis zur Vernichtung, die Zündschnur quasi, bereits verlegt ist, wie Kellipoth sagt, was sollte es dann nutzen, wenn David das Zünden der Lunte verhindert? In den folgenden Jahren nach der Jahrtausendwende kann jeder beliebige Unfall die Lunte nachträglich in Brand setzen! – Erstaunlicherweise hat David diese Erkenntnis selbst bereits im Zusammenhang mit dem Giftgasanschlag in Tokyo geäußert! Das Ende der Geschichte ist, zumindest im Hinblick darauf, deshalb nicht ganz befriedigend ausgefallen.
Die Erwähnung des Pik-Ass zu einem Zeitpunkt, da David es noch gar nicht erhalten hat, war wohl ein Lapsus des Lektorats, und die Äußerung bezog sich auf das Kreuz-Ass, das David von Südamerika nach Rom gelotst hat.
Verwunderlich erschien mir dagegen, dass der Kreis auch nach den Ereignissen, die ihn bereits mehrere seiner Brüder gekostet hat, immer noch nicht zu wissen scheint, welche außergewöhnlichen Gaben David besitzt! Eigentlich sollte man meinen, dass der mächtige Lord Belial das mal rauskriegt und die Übrigen über die Einzelheiten informiert. Allgemeine Warnungen dürften aufgrund Davids unübersehbarer Erfolge ziemlich überflüssig sein!
Ebenso verwundert hat mich der Fatalismus, mit dem Davids Angehörige die Meldung hingenommen haben, er sei im Pazifik gefallen. Sie alle wussten von Davids Lebensaufgabe und seinen Fähigkeiten. Eine solche Meldung hätte ich nur angesichts seines Leichnams geglaubt!
Auch mit dem Epilog hatte ich gelinde Schwierigkeiten. So relativ nach Einstein auch alles sein mag, wie immer David es geschafft haben mag: Eine Doppelexistenz über mehrere Jahrzehnte, ohne dass irgendwelche Behörden, Banken, Versicherungen oder sonstige Leute damit ein Problem bekommen und die Sache auffliegt, das kommt mir doch sehr unwahrscheinlich vor! Andererseits haben wir es hier nicht umsonst mit Fantasy zu tun, also sei David die Entschädigung für seinen langen Kampf gegönnt.
Trotz dieser kleinen Mängel fand ich das Buch im Ganzen gelungen. Spätestens nach der Kuba-Krise geht es ans Eingemachte, und vor allem auf den letzten 150 Seiten zieht die Spannung deutlich an. Nicht allein deshalb, weil David die Zeit davonläuft, sondern auch, weil der Leser zum ersten Mal nicht weiß, worum es diesmal wirklich geht und wie es endet.
Insgesamt gehört derKreis der Dämmerung zu den besten Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Isau hat seine fantastischen Elemente geschickt mit der historischen Realität verwoben, seine fundierte Recherche zu den beschriebenen Geschehnissen war dazu die beste Grundlage. Entstanden ist daraus eine intelligente und faszinierende Geschichte, die durchaus deutlich Stellung zu den Ereignissen und Entwicklungen des Jahrhunderts enthält, und das ganz ohne Polemik oder erhobenen Zeigefinger. Ein echter Leckerbissen, sowohl für Freunde des Fantasy-Genres als auch für Liebhaber des Historienromans.
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.
Die Wunden, die der Nationalsozialismus David geschlagen hat, haben ihn zu einem verschlossenen Einzelkämpfer gemacht. Entschlossen, nie mehr das Leben anderer Menschen zu gefährden, lehnt er jegliche Mithilfe, die über das Zutragen von Informationen hinausgeht, strickt ab. Doch die Menschlichkeit lässt sich dadurch nicht abschrecken, immer wieder erreicht ihn, fast gegen seinen Willen, die Hilfe anderer. So ist sein alter Freund und Leibwächter aus Jugendtagen, der Inder Balu, gerade rechtzeitig zur Stelle, um David das Leben zu retten, und in New York steht eines Tages unerwartet ein Mann mit Baskenmütze vor seiner Tür, den er aus Berlin kennt, und dem Rebekka ein Bild abgekauft hat. Binnen kurzem ist der Maler Ruben Rubinstein nicht nur ein „Bruder“ in Davids Sinne, sondern auch sein Geldbeschaffer und Vermögensverwalter.
Das Gros seiner Unternehmungen führt David jedoch immer noch allein aus. In Indien entdeckt er neue Spuren, die ihn auf dem Umweg über Pakistan und Korea nach Südamerika führen. Tatsächlich gelingt es David, zwei weitere Logenbrüder unschädlich zu machen. Doch seine Suche nach von Papen, den er eigentlich fassen will, bleibt vergebens. Da erhält er völlig überraschend eine Nachricht, die ihn veranlasst, nach Rom zu reisen. Noch weit überraschender ist die Entdeckung, die ihn dort erwartet …
Im Vergleich zu seinen Vorgängerbänden umfasst „Der weiße Wanderer“ nur einen relativ kurzen Zeitraum von rund zehn Jahren.
Bereits im „Wahrheitsfinder“ war David unglaublich viel unterwegs, im Vergleich zum Folgeband wirkte dieser durch die räumliche und thematische Begrenzung auf hauptsächlich Europa beziehungsweise Deutschland jedoch wesentlich kompakter und in sich geschlossener als der dritte Teil des Zyklus. Bei Letzterem bedingen natürlich die verschiedenen Etappen einander, da sie jeweils die Hinweise für das nächste Ziel liefern, die Ziele selbst jedoch haben, anders als in Band zwei, nicht unmittelbar miteinander zu tun und wirken daher ein wenig hintereinander aufgereiht.
Abgesehen davon hat David durch heimliches Üben seine Fähigkeiten vervollkommnet. Eine Bemerkung Albert Einsteins während eines Interviews hat ihn auf den Gedanken gebracht, diese auf ein bisher unerprobtes Gebiet auszuweiten, mit erstaunlichem Erfolg. Diese erweiterten Fähigkeiten zusammen mit seiner neu erworbenen Ruhe und Gefasstheit angesichts der Gefahr machen ihn für den Kreis zu einem weit ernster zu nehmenden Gegner als bisher. Seinen Gegenspielern merkt man das deutlich an. Sie sind nervös geworden!
All das verschiebt die Gewichtung innerhalb des Buches beträchtlich: von einer übermächtigen, alles überrollenden Bedrohung, der David fast völlig hilflos gegenübersteht, zu einem Duell mit einem eher ebenbürtigen Gegner, gegen den zu gewinnen nicht mehr unbedingt eine Frage der Fähigkeiten ist, sondern vor allem auch eine Frage der Zeit. Die Grundstimmung ist daher weniger von Finsternis und Verzweiflung geprägt als von gelegentlichem Frust und erbittertem Trotz.
Was mich in diesem Zusammenhang ein wenig wunderte, war, warum die Mitglieder des Kreises Davids Verfolgung plötzlich so schleifen lassen, nachdem sie ihm in den Dreißigerjahren mit solcher Zähigkeit durch sämtliche Identitätswechsel hinterhergejagt sind! Niemand versucht mehr, ihn umzubringen, niemand versucht mehr, ihm den Fürstenring abzunehmen! Stattdessen verschanzen sich die Männer in ihren Verstecken, und als David bei ihnen auftaucht, lassen sie ihn trotz ihres Verdachtes, dass er das Jahrhundertkind sein könnte, an sich heran, verplappern sich mit geheimen Informationen und versagen dann bei seiner Beseitigung!
Das gilt besonders für Ben Nedal, der ja offenbar bereits vor Davids Ankunft in seinem Haus den Verdacht hatte, dieser könnte das Jahrhundertkind sein. Natürlich wollte er die Perle, aber um diese zu erlangen, hätte er den Verdächtigen auch einfach umbringen lassen können, noch bevor dieser sein Haus betrat. Im Zweifelsfall hätte er einen Unschuldigen auf dem Gewissen gehabt, was für einen solchen Mann wohl kaum ein Problem dargestellt hätte. Aufgrund von Davids Fähigkeiten mag es nicht gerade einfach sein, das Jahrhundertkind umzubringen. Zumindest aber hätte Ben Nedal sich im Falle eines Misserfolgs nicht verplappert! Und David hätte den Ring nicht erbeutet!
Davids Jagd nach einzelnen Logenbrüdern, insbesondere von Papen, sowie genaueren Informationen über den Kreis lässt die historischen Ereignisse ein gutes Stück in den Hintergrund treten. Als zwangsläufige Folge dieser veränderten Vorgehensweise ist der Korea-Krieg ebenso wie die Entmachtung Guzmáns in Guatemala eher eine Randerscheinung, die Davids Ermittlungen erschwert, als Zentrum der Handlung. Das gilt auch für das Rätsel um die Ringe, dessen Lösung David diesmal ungewöhnlich wenig Zeit widmet, obwohl die Frage, wie der Fürstenring zerstört werden kann, den eigentlichen Knackpunkt im Kampf gegen den Kreis bedeutet. Nur die Vernichtung Lord Belials kann das Ende von dessen Weltuntergangsverschwörungen garantieren!
„Der weiße Wanderer“ ist vom logischen Ablauf her und der Entwicklung von Davids Charakter nach in jedem Fall nachvollziehbar und passt zur Gesamtentwicklung. Dennoch bleibt er im Hinblick auf die Intensität des erzählten Geschehens ein Stück hinter seinen Vorgängern zurück. Auch der Spannungsbogen ist nicht ganz so straff gespannt wie bisher. Das Herumgezipfel mit der Suche nach von Papen in Südamerika hinterließ bei mir trotz der Ausschaltung Barrios‘ eine gewisse Unzufriedenheit, vielleicht, weil ich Davids verbissenen Wunsch, gerade diesen Mann unbedingt zur Rechenschaft zu ziehen, nicht ganz verstehen konnte, vielleicht auch, weil ich bis fast zum Ende des Buches das Gefühl hatte, der eigentlichen Lösung des Problems, nämlich der Zerstörung des Rings, kein Deut näher gekommen zu sein.
Trotzdem war auch dieses Buch immer noch interessant zu lesen, und der Schluss macht noch einmal gehörig Neugier auf den letzten Band, der außer dem Showdown auch noch einige Antworten und Lösungen enthalten dürfte. Wer jetzt aufhört zu lesen, ist selber schuld.
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.
Nachdem David aus dem lichterloh brennenden Palast seines vorerst größten Widersachers Toyama geflüchtet ist, reist er sofort in die USA zurück. Sein Freund und Journalistenkollege Briton Hadden, Mitbegründer des |Time Magazine|, ist krank. Als David endlich in New York ankommt, liegt der Mann bereits im Sterben. Dennoch gelingt es ihm, noch ein paar Worte an David zu richten. Eines davon lautete Palatin, und so führt Davids Suche ihn als nächstes nach Europa. Er ahnt nicht, dass diese Reise der Auftakt zu einem Versteckspiel ungeahnten Ausmaßes ist, denn inzwischen wird er nicht nur von Nekromanus, dem Schatten Lord Belials, verfolgt, es beschattet ihn auch ein geheimnisvoller Mönch, ein Jesuit mit einer Narbe über einem Auge.
Während David geradezu nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen sucht und angesichts der gewaltigen Aufgabe dazu übergeht, Bundesgenossen und Helfer zu gewinnen, zieht sich gleichermaßen ein Netz um ihn selbst zusammen. Denn so erfolgreich er im Kleinen auch sein mag, das Große liegt außerhalb seines Einflussbereichs. Und schließlich zieht das Netz sich zu …
Der zweite Band des Kreises der Dämmerung umfasst grob gesagt den Zeitraum von der Weltwirtschaftskrise bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, also nicht ganz ein Vierteljahrhundert. Wie erwartet und kaum zu vermeiden, dominiert der Nationalsozialismus mehr oder weniger den Verlauf der Handlung. Isau begnügt sich jedoch auch diesmal nicht mit allgemein bekanntem Schulwissen. Vielmehr schildert er die Entwicklung so, wie sie einem Mann wie David damals tatsächlich erschienen sein mag: von einer Randerscheinung, die gelegentlich stirnrunzelnd erwähnt, aber zunächst von vordringlicheren Aufgaben verdrängt wird, über eine wachsende und immer ernster zu nehmende Bedrohung bis zum alles bestimmenden Faktor. Und das alles ganz allmählich, angefangen bei den Kontakten mit dem heiligen Stuhl über die Krise der Weimarer Republik bis zur Machtergreifung und Gleichschaltung.
Politik und Gesellschaft laufen auch hier nahtlos nebeneinander her. In Davids vergeblichem Anrennen gegen Ignoranz und Verbohrtheit wird die ganze Machtlosigkeit des Einzelnen im Angesicht der Massen sichtbar. Während er oder seine Helfer verzweifelt versuchen, den Verantwortlichen die Augen über die Nazis zu öffnen, zeigt sich im täglichen Leben nur allzu deutlich, wie wenig all diese Bemühungen fruchten. Gleichzeitig zeigt sich im Geschehen nach der Machtübernahme ebenso deutlich, dass offenbar nicht einmal David sich wirklich im Klaren darüber war, in welcher Gefahr er selbst schwebt. Die Ereignisse in dem Haus, in dem er wohnt, das ständige Auftauchen der Gestapo, die jedes Mal jemand anderen mitnimmt – erst den Kommunisten, dann den Sozialdemokraten, die Zeugen Jehovas und schließlich die Juden – , hätte ihm eigentlich die Augen öffnen sollen. Es dauert ziemlich lange, bis er erkennt, dass er sich auf seinen britischen Pass nicht mehr verlassen kann.
Wie im ersten Band Toyama, ist diesmal von Papen Davids größter Widersacher. Ein zwar mächtiger, aber doch hauptsächlich im Hintergrund agierender Mann, verantwortlich für die Vorbereitung und die Ebnung von Wegen, zum Beispiel zum Konkordat mit dem Vatikan, zur Einsetzung Hitlers als Reichskanzler oder auch zum Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich. An dieser Stelle ist es Zeit, die Recherchen des Autors zum historischen Hintergrund seiner Geschichte einmal lobend herauszustellen! Im ersten Band fällt dies dem europäischen Leser wohl nicht so sehr auf, da ein Großteil der Handlung in Japan spielt. Die Feststellung, wie genau Isau die Entwicklung zwischen 1929 und dem Kriegsbeginn sowie Papens Rolle darin dargestellt hat, ließ mich aber derart aufhorchen, dass ich mir die Mühe gemacht habe, nach Toyama zu suchen. Die Suche hat gezeigt, dass Mitsuru Toyama tatsächlich gelebt und die Geheimgesellschaft des „Schwarzen Drachen“ gegründet hat. Der Leser darf also getrost davon ausgehen, dass Isau seine gründlichen Recherchen nicht nur auf die europäischen Seiten der Weltgeschichte ausgedehnt hat, sondern tatsächlich auf alle. Einer derart akribischen, detaillierten Basisarbeit gebührt Respekt. Schade, dass nicht mehr Autoren sich das zu Eigen machen.
Der Handlungsteil, der unmittelbar mit dem Kreis der Dämmerung zu tun hat, zieht sich diesmal etwas in die Länge. Briton Haddens Tipp hat David zu einem Jahrtausende alten Manuskript geführt, das einen Geheimzirkel mit einem Großmeister Belial erwähnt. Es enthält außerdem Hinweise darauf, wie dieser Großmeister gerufen werden kann, und Anspielungen auf die Bedeutung der Siegelringe, die die Geheimbündler tragen. David geht dem nach und stößt schließlich auf eine äußerst bemerkenswerte gläserne Kugel, kann das Rätsel in diesem Band jedoch noch nicht lösen. Irgendwann geht dieser Faden im Versteckspiel mit den Nazis unter und taucht erst am Ende des Bandes wieder auf, als David sich als Kriegsberichterstatter im Pazifik aufhält. Insgesamt gesehen, tritt der Kreis der Dämmerung als solcher in diesem Band eher in den Hintergrund, wenn man von der unmittelbaren Verfolgung Davids und Rebekkas absieht. Im zweiten Band überwiegen die Ereignisse der Geschichte, nicht zuletzt durch ihre pure Ungeheuerlichkeit.
David wirkt in diesem Band ein wenig wie Sysiphus. Er weiß genau, dass er eigentlich keine Chance hat, die Entwicklungen aufzuhalten, und versucht es dennoch. Sein Scheitern sowohl im Hinblick auf seine Bestimmung als auch auf seine Frau lässt ihn beinahe zerbrechen, letztlich jedoch geht er aus dieser extremen Belastung gestählt hervor. Er hat seine Zögerlichkeit verloren, seine Unsicherheit und seine Angst. Sie haben einer grimmigen Entschlossenheit Platz gemacht, unter anderem auch, was die Nutzung seiner außergewöhnlichen Begabungen angeht. Er ist noch immer nicht – oder besser: noch weniger als bisher – bereit zu töten. Ansonsten hat er seine Empfindlichkeiten und Vorbehalte abgelegt. Er hat nichts mehr zu verlieren!
„Der Wahrheitsfinder“ ist schon allein durch die zugrunde liegende Historie, aber auch durch die persönlichen Verluste Davids weit düsterer geraten als „Das Jahrhundertkind“. Viel mehr noch als die Unmenschlichkeit des nationalsozialistischen Systems und die Grauen des Krieges wirkt das unausweichliche Hineinschlittern in die Katastrophe auf den Leser, der all das aus mit den Augen Davids kommen sieht, seine verzweifelten Anstrengungen miterlebt und doch im Gegensatz zu ihm bereits weiß, dass sie vergebens sind. So ähnlich muss sich der Kapitän der Titanic beim Anblick des Eisbergs gefühlt haben: Auge in Auge mit dem unvermeidlichen Untergang!
Unmöglich, sich dem Sog dieses Szenarios zu entziehen. Die vorübergehende Länge im Zusammenhang mit der Glaskugel fällt dagegen kaum ins Gewicht. Auch für dieses Buch gilt: unbedingt lesen!
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres kam der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“ heraus, im September wird „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.
Seit Jeff Fenton Waise ist, schlägt er sich mit kleinen Diebstählen und Gelegenheitsarbeiten durch. Da kommt ihm das Angebot eines gewissen Nekromanus wie ein echter Glücksfall vor. Er soll einen Tag lang in der Küche Lord Belials für ein erkranktes Küchenmädchen einspringen und dafür zwei ganze Shillinge verdienen! Pünktlich findet er sich auf dem abgelegenen Landgut ein und wird einem japanischen Koch zugeteilt, der ihm beim Putzen und Schnippeln von Gemüse ununterbrochen von seiner Heimat vorschwärmt. Letztlich landet er zu seiner Überraschung beim Servierpersonal, das allerdings im Augenblick noch die Zeit mit Warten totschlägt. Jeff meldet sich freiwillig, den Kutschern der Gäste Tee hinauszubringen. Auf dem Rückweg macht er eine brisante Entdeckung. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Jeff flüchtet Hals über Kopf …
Rund achtzehn Jahre später, auf den Glockenschlag genau um Mitternacht des ersten Januar 1900 wird in Japan David Viscount of Camden geboren, als Sohn eines Botschafters, des Earl Geoffrey of Camden. Das Baby hat schlohweiße Haare. Die Hebamme erklärt den Eltern, es sei ein Jahrhundertkind, dazu geboren, in einer Zeit, in der das Yin, der Aspekt des Bösen, ein Übergewicht gegenüber dem Yang erhalte, den Ausgleich wieder herzustellen. Schon bald zeigen sich auf unspektakuläre Art die besonderen Gaben des Kindes, das sich unter anderem mit dem Enkel des Tenno, Hiruhito, anfreundet. Die Camdens hätten recht glücklich sein können, wenn nicht Davids Vater überaus empfindsam auf jegliche Arten von umstürzlerischer Aktivität wie Attentate, Aufstände und Putsche reagiert hätte. Jede solche Nachricht stürzt ihn in immer größere Depression, und als in Davids dreizehntem Lebensjahr ein Attentat auf die Familie verübt wird, entschließen sich die Camdens, Japan zu verlassen. Die Familie zieht nach Wien, doch kaum dort angekommen, bricht der Erste Weltkrieg aus. Alle Diplomaten werden in die Heimat zurückbeordert, also kehrt Geoffrey of Camden mit Frau und Kind in sein Stadthaus in London zurück. Dort holt ihn ein Schatten aus seiner Vergangenheit heim, der seinen endgültigen Absturz in die Depression bewirkt. David kann das alles überhaupt nicht nachvollziehen. Erst als seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen und David vom Notar der Eltern das Tagebuch des Vaters erhält, findet er heraus, was für eine ungeheure Bürde ihm auferlegt ist …
Das Buch ist in drei Teile gegliedert, wobei der kurze erste Teil auf die Erlebnisse Jeff Fentons, also sozusagen die Einleitung, entfällt. Der zweite Teil erzählt von Davids Kindheit und Jugend, der dritte von der Zeit bis 1929.
In der Hauptsache ist es natürlich Davids Geschichte: seine Kindheit in Japan, seine Freunde Hito und Yoshi, seine Ausbildung in japanischer Kampfkunst, später seine Schulzeit in England und sein Freund Nick. Es ist parallel dazu, zumindest bis 1916, auch die Geschichte seines Vaters und dessen fortschreitender geistiger Zerrüttung. Vor allem aber ist es auch Geschichte! Historik!
David – und auch der Leser – erlebt das schier unaufhaltsame Hineinrutschen in den Ersten Weltkrieg hautnah mit, vor allem deshalb, weil diese Entwicklungen so eine gravierende Auswirkung auf den Gesundheitszustand seines Vaters haben. Die Schrecken des Ersten Weltkrieges erlebt David umittelbar als Soldat, und obwohl sich der Autor mit blutigen Details extrem zurückhält, gelingt es ihm, das ungeheure Ausmaß dieser Katastrophe überdeutlich zu vermitteln und nebenbei noch die Unfähigkeit und Menschenverachtung sämtlicher Heerführer herauszustreichen. Zu Recht trägt der zweite Teil des Buches die Überschrift „Jahre des Wahnsinns“. Damit ist nicht nur Davids Vater gemeint!
Der dritte Teil rückt die historischen Ereignisse etwas in den Hintergrund. Wirtschaftskrisen und ähnliches werden nur am Rande erwähnt, denn David hat endlich seine Bestimmung akzeptiert und sich daran gemacht, den „Kreis der Dämmerung“ zu suchen, jenen Zirkel, der sich dazu verschworen hat, die Menschheit auszulöschen. Nebenbei hat er sich verliebt, und so erzählt die zweite Hälfte des Buches hauptsächlich von seiner Suche nach Anhaltspunkten, von seiner Heirat und seinen Reisen, und von seiner ständigen Verfolgung durch den Schatten.
David ist der zentrale Charakter des Buches. Ein Junge mit einem einfühlsamen, freundlichen Herzen, durch seine Jugend in Japan weltoffen und vorurteilslos und mit einem scharfen Verstand begabt, der ihm schon in jungen Jahren ein gesundes Misstrauen gegenüber den Mächtigen der Welt vermittelt. Sein ausgeprägtes Mitgefühl macht es ihm unendlich schwer zu töten, was ihn an der Front, wo er sich vorzugsweise mit der Bergung verletzter Kameraden beschäftigt anstatt auf den Feind zu schießen, in ziemliche Schwierigkeiten bringt. Erst als er mit seiner großen Liebe Rebekka verheiratet ist, siegt sein Bedürfnis, sie zu beschützen, über seine Ablehnung jeglicher Gewalt.
Rebekka ist ein quirliger Wirbelwind, fröhlich und voller Leben, aber auch klug und ausnehmend hübsch. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, David zu heiraten, davon können sie auch seine Bedenken im Hinblick auf die Gefahren seiner Lebensaufgabe nicht abhalten. Rebekka ist eine starke Frau. Trotz allem, was David ihr abverlangen muss, unterstützt sie ihn in jeder Hinsicht.
Die übrigen Charaktere des Buches geben sich sozusagen die Klinke in die Hand. Denn der Schatten, der David verfolgt, neigt dazu, alle Personen aus dem Leben zu befördern, die David in irgendeiner Weise halfen oder nahe standen. Dennoch gelingt es dem Autor, ihnen allen Leben einzuhauchen, ganz gleich, wie knapp sie auch umrissen sein mögen.
Bemerkenswert ist die Figur Lord Belials. Schon der Name weckt einen bestimmten Verdacht. Isau hat darauf verzichtet, die äußere Erscheinung genauer zu beschreiben, und sich stattdessen auf Gefühle, Eindrücke, Empfindungen konzentriert, die das Böse in Jeff bewirkt. Das Grauen ist gesichtslos. Eine in der aktuellen Fantasy eher unübliche Vorgehensweise, wie sie Tolkien, der angeblich ja Vater aller Fantasy ist, ebenfalls verwendet hat. In dieser Hinsicht scheinen ihm seine Jünger allerdings eher ungern folgen zu wollen.
Eine weitere Hommage an den Vater der Fantasy findet sich im Auftreten von Tolkien selbst! David trifft ihn in Oxford in einem Pub und unterhält sich lange mit ihm. Tolkien erwähnt sein Vorhaben, den |Herrn der Ringe| zu schreiben, vor allem aber hilft er David bei seiner Suche nach dem Kreis der Dämmerung auf die Sprünge, indem er die Ursprünge des Wortes Kreis beleuchtet und damit beim Ring landet. Und vielleicht enthält ja auch das Motiv der Ringe, die Lord Belial den Mitgliedern des Kreises übergab, und dem besonderen, der ihm selbst gehörte, eine Verbeugung vor dem berühmten Schriftsteller.
Anlass zum Schmunzeln bot dagegen eine Hommage Isaus an sich selbst. So durften David und seine Frau Rebekka kurz nach ihrer Trauung Zeuge des Trauerzuges zum Gedenken an Jonathan Jabbok werden. Die |Neschan|-Trilogie war Isaus erste große Veröffentlichung.
Nicht nur Personen wurden von Ralf Isau geschickt in Davids Leben eingebaut, auch weniger bedeutsame Ereignisse sowie solche jenseits der Politik lässt er am Rande in den Handlungsfaden einfließen, ganz ohne Hänger oder Stolperer zu verursachen. So findet die Hinrichtung Saccos und Vanzettis ebenso Erwähnung wie der Untergang der |Titanic| oder die Entdeckung des Penicillins.
Aus diesen Zutaten ergibt sich eine ganz eigene Mischung. Im Grunde ist es ein Fantasy-Roman: die Bedrohung der gesamten Welt durch ein übermächtiges Böses sowie die Beschreibungen Lord Belials, seines Schattens Nekromanus und Davids magischer Fähigkeiten sind typische Kennzeichen des Fantasy-Genres. Während die meisten Fantasy-Autoren jedoch eine eigene Welt für ihre Geschichten erfinden oder diese in ferner Vergangenheit – vorzugsweise dem Mittelalter – ansiedeln, hat Ralf Isau seine Handlung an die jüngste Vergangenheit geknüpft. An unsere Vergangenheit! Die unserer Eltern und Großeltern! Isaus Geschichte spielt nicht vor langer, langer Zeit oder an einem weit entfernten Ort. Sie spielt hier. Und das Ende des letzten Jahrhunderts ist noch nicht lange her. Das war vorgestern. Er erzählt unsere Geschichte.
Durch die enge Verbindung mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts mutet die Erzählung fast ein wenig wie ein Historienroman an, allerdings in einem ganz anderen Stil, als man es sonst von diesem Literaturzweig kennt. Ralf Isau hat seine eigene Art etwas zu erzählen. Jenseits der trockenen Betrachtungsweise des Geschichtsunterrichts, der sich hauptsächlich mit dem politischen Geschehen als solchem und seinen Ursachen und Wirkungen beschäftigt, spricht der Autor von Menschen und ihrer Wahrnehmung der Ereignisse, und das in durchaus unsachlicher Weise, aber auch frei von jeder Polemik, einfach nur mit der Stimme des gesunden Menschenverstands.
Isau erzählt nicht nur einfach eine fantastische Geschichte. „Der Kreis der Dämmerung“ ist mehr als reine Unterhaltungsliteratur, er macht nachdenklich.
Lediglich eine einzige Frage stellte sich mir bezüglich der ganzen Geschichte: Warum hat Lord Belial nicht sofort nach dem Verlust seines Rings, der offensichtlich von größter Wichtigkeit für ihn ist, alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ihn wiederzubekommen? Jeff war ihm offensichtlich weit weniger gewachsen als David!
Im Hinblick auf den gelungenen Rest des Buches sei jedoch darüber hinweggesehen.
Alles in allem hat Ralf Isau mit „Das Jahrhundertkind“ einen hervorragenden Roman vorgelegt. Er ist spannend, unterhaltsam und vor allem intelligent! Sollten die drei Folgebände des Zyklus das Anfangsniveau halten, dann darf „Der Kreis der Dämmerung“ mit Fug und Recht als ganz großer Wurf gewertet werden. Auf jeden Fall erhält dieser erste Band von mir das Prädikat: unbedingt lesen!
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben begann. Aus seiner Feder stammen außer der Neschan-Trilogie und dem Kreis der Dämmerung unter anderem „Der Herr der Unruhe“, „Der silberne Sinn“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Das Museum der gestohlenen Erinnerungen“. In der Reihe Die Legenden von Phantásien ist von ihm „Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erschienen. Im Juli dieses Jahres wird der erste Band der Chroniken von Mirad unter dem Titel „Das gespiegelte Herz“, im September „Die Galerie der Lügen“ herausgegeben. In der Zwischenzeit arbeitet der Autor an den Folgebänden der Chroniken von Mirad.
Eine von Karl Konrad Koreanders herausragendsten Eigenschaften ist seine Liebe zu Büchern. Eine weitere ist die Tatsache, dass er sich selbst so gut wie gar nichts zutraut und deshalb möglichst vermeidet, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Außerdem neigt er dazu, unbequeme Fragen zu stellen, was allerdings weniger auf Mut als auf Unbedachtheit zurückzuführen ist.
Dem Antiquar Thaddäus Tillmann Trutz jedoch scheinen die Fragen des jungen Mannes zu gefallen. Und auch seine Antworten. Er bietet ihm eine Stelle in seinem Laden an mit der Option, sein Nachfolger zu werden. Koreanders kühnste Träume scheinen wahr zu werden. Doch dann ist der alte Mann plötzlich verschwunden! Und die Generalvollmacht für den Laden ist nicht unterschrieben. Formaljuristisch ein wertloser Fetzen Papier, wie ihm Trutzens Notar versichtert. Doch Herr Trutz war ein sehr kautziger alter Mann, und dementsprechend sieht auch das Testament aus. Koreander macht sich auf Empfehlung des Notars auf die Suche nach Herrn Trutz.
Das Antiquariat des Herrn Trutz stellt sich als überraschend weitläufig heraus, und die Bücher als äußerst ungewöhnlich. Als Koreander dann auf ein kleines Männlein trifft, das aussieht wie ein Bleistift und ihm erklärt, Herr Trutz sei in einer Welt namens Phantásien verschollen und außerdem die Bücherei bedroht durch ein geheimnisvolles Nichts, ist er überzeugt zu träumen. Nur deshalb lässt er sich überreden, selbst nach Phantásien zu gehen. Dort angekommen, gerät seine Überzeugung zu träumen schon bald ins Wanken …
Aufgrund dieser Angaben könnte man jetzt einen billigen Abklatsch der „Unendlichen Geschichte“ erwarten. Ist es aber nicht.
Die Intention der Legenden von Phantásien war es nicht, „Die unendliche Geschichte“ fortzusetzen, sondern eigene Geschichten mit eigenen Ideen zu verfassen und damit das Land Phantásien jedes Mal ein wenig bunter, lebendiger und vielfältiger zu machen. Wichtige Figuren aus der „Unendlichen Geschichte“ dürfen deshalb höchstens am Rande vorkommen. Ralf Isau hat sich vorbildlich an diese Vorgaben gehalten. Außer seinem Helden Koreander, der in der „Unendlichen Geschichte“ nur eine kleine Randfigur ist, kommen in seinem Buch nur noch der Gmork und Xayide vor, Letztere nicht einmal in Person, sondern nur als Abbild.
Isaus Koreander ist ein recht liebenswerter Held mit dem Herz auf dem rechten Fleck, ein wenig unschuldig und noch weit weniger bärbeißig als zu Beginn der „Unendlichen Geschichte“. Seine schlechte Meinung von sich selbst hindert ihn nicht daran, dem verschollenen Herrn Trutz nachzueilen, und sei es zunächst auch nur wegen der fehlenden Unterschrift. Gleich sein erster Schritt nach Phantásien führt ihn in ein Abenteuer, und obwohl er nur ungern Entscheidungen trifft, heißt das nicht, dass er es nicht kann, wenn es drauf ankommt! Noch eine ganze Weile hat er mit seinem eigenen Unglauben zu kämpfen, man könnte es auch Realitätssinn nennen, und doch verändert er sich ganz allmählich. Wie Herr Trutz so treffend feststellte: Phantásien verändert jeden. Angenehmerweise hat der Autor seinen Helden aber keinen strahlenden Übermenschen werden lassen, sondern ist im Rahmen der Glaubwürdigkeit geblieben.
Abgesehen davon hat Ralf Isau Phantásien um ein paar wirklich bemerkenswerte Ideen bereichert, so zum Beispiel das Haus der Erwartungen mit der Hexe Hallúzina, oder die Wolkenstadt mit dem König Kummulus und seiner Imaginárien-Sammlung, oder die beiden steinernen Hände Lux und Nox; mal verspielte, mal philosophisch angehauchte Stationen auf dem Weg zur Lösung des Rätsels um das Nichts.
Auf Atréjus Frage, was das Nichts denn nun sei, ließ Michael Ende den Gmork antworten, das Nichts sei die Weigerung der Menschen, an die Existenz Phantásiens zu glauben, die Tatsache, dass sie sich nur noch um die Realtität, nicht mehr um ihre Träume und Wünsche kümmerten. Bei Ralf Isau ist das Nichts gleichgesetzt mit dem Verschwinden von Büchern aus der Phantásischen Bibliothek und im Weitergedachten mit dem Diebstahl und Wegsperren von Ideen und Gedanken, was durchaus eine weitgehende Entsprechung zu Michael Endes Aussage bedeutet. Nur ist es in diesem Fall nicht damit getan, ein Menschenkind nach Phantásien zu bringen, das der Kindlichen Kaiserin einen neuen Namen gibt. Hier müssen auch die Bücher gerettet werden. Die Bedrohung ist also nicht unbedingt in der Masse der Menschen zu suchen, die sich für Phantásien nicht mehr interessieren, sondern eher in einigen wenigen, die diktieren wollen, was die Masse denn zu denken hat. Nicht umsonst ist Isaus Geschichte in den Enddreißigern des 20. Jahrhunderts angesiedelt!
„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ erzählt also sozusagen die Vorgeschichte zur „Unendlichen Geschichte“, was durchaus gut gemacht ist. In vielen kleinen Einzelheiten knüpft der Autor an den Vorgänger an, so in seiner Beschreibung des alten Karl Koreander in der Spiegelwabe und in seiner Angewohnheit, „ach du liebes Bisschen“ zu sagen, in Koreanders Schwert, in der Funktionsweise des Aufzugs im dunklen Elfenbeinturm und darin, etwas durch Namensgebung zu bewirken, und nicht zuletzt in der Beschreibung des roten Buches mit dem Auryn auf dem Buchdeckel. Er erreicht dadurch, dass die Geschichte einerseits eigenständig, andererseits aber auch in den großen Kontext eingebunden ist, und der Leser hat bei der Lektüre unwillkürlich den Eindruck, als hätte er beim Puzzlen ein weiteres Teil gefunden, das wirklich genau passt.
Oder fast genau. Denn ein paar kleine Logikfehler sind doch hängen geblieben, der Teufel steckt eben meist im Detail!
Nach der „Unendlichen Geschichte“ ist zum Beispiel die Bezeichnung goldäugige Gebieterin ein Titel der Kindlichen Kaiserin, kein Name. Nach Isau hat Herr Trutz der Kindlichen Kaiserin diesen Titel als Namen gegeben, was auch deshalb nicht stimmen kann, weil die Kindliche Kaiserin von Koreander einen neuen Namen braucht, und den braucht sie immer dann, wenn der vorige in Vergessenheit geraten ist.
Auch fragte ich mich, woher Herr Trutz all seine vergessenen Erinnerungen zurückbekommen hat. Laut Michael Ende kann ein Menschenkind seine vergessenen Erinnerungen nur durch das Wasser des Lebens zurückerhalten. Herr Trutz dagegen musste nur die Spiegelwabe im Haus der Erwartungen betreten.
Im Hinblick auf die Gesamtheit des Buches seien diese kleinen Schnitzer aber gern verziehen.
Die Prämisse für die Legenden von Phantásien, nämlich eine gute Geschichte zu erzählen und gleichzeitig der Welt Michael Endes weitere fantasievolle Wesen, Orte und Dinge hinzuzufügen, hat dieser Band in jedem Fall erfüllt, und, indem er nicht völlig losgelöst von Bastians Geschichte dasteht, sondern sich behutsam daran angebunden hat, sogar noch ein bisschen mehr. Auch das Layout des Buches – Design, Leseband – ist schön und liebevoll gemacht, allerdings ist der Einband nicht abwischbar. Penible Leser waschen sich also die Finger und nehmen zusätzlich vor dem Lesen den Schutzumschlag ab!
„Die geheime Bibliothek des Thaddäus Tillmann Trutz“ ist ein gelungener Einstieg in die Legenden von Phantásien, der selbst Skeptiker überzeugen dürfte. An weiteren Bänden in dieser Reihe sind bisher erschienen: „Der König der Narren“, „Die Seele der Nacht“, „Die Verschwörung der Engel“, „Die Stadt der vergessenen Träume“ und „Die Herrin der Wörter“.
Ralf Isau, gebürtiger Berliner, war nach seinem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung zunächst als Programmierer tätig, ehe er 1988 zu schreiben anfing, weil er seiner damals neunjährigen Tochter ein Buch versprochen hatte. Letztlich wurde die Geschichte aber so uferlos, dass er eine neue, kürzere begann, fertig schrieb und selbst band. Diese erschien 1994 unter dem Titel „Der Drache Gertrud“ als Bilderbuch, und ein Jahr später auch die uferlose Geschichte unter dem Titel „Die Träume des Jonathan Jabbok“ – die Neschan-Trilogie. Seither hat Isau noch weitere Jugend- und inzwischen auch Erwachsenenbücher geschrieben, darunter „Der Leuchtturm in der Wüste“, „Das Netz der Schattenspiele“ und „Der Herr der Unruhe“.