Schlagwort-Archive: Rowohlt

Patrick Lee – Dystopia

Das geschieht:

1978 öffnete sich unter der Erde des US-Staates Wyoming das „Portal“. Es führt in eine fremde, womöglich außerirdische Welt und entlässt in regelmäßigen Abständen seltsame Artefakte, die nur zum Teil verstanden oder genutzt werden können. Um das Portal (für die USA) zu schützen, entstand die ultrageheime „Tangent“-Organisation.

Aktuell hat das Portal zwei Geräte ausgespuckt, mit deren Hilfe es nicht nur möglich ist, genau 73 Jahre in die Zukunft zu blicken, sondern diese Zukunft sogar zu betreten. Was „Tangent“-Mitarbeiterin Paige Campbell dabei entdeckt, lässt sie umgehend beim US-Präsidenten Alarm schlagen: 2084 sind die Vereinigten Staaten menschenleer, die Städte zerfallen. Hinweise deuten eine globale Katastrophe im Jahre 2011 an. In der Gegenwart wird sie sich in vier Monate ereignen.

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Eugen Ruge – Cabo de Gata

Die Stadt der Katzen. Hierher, ins Nirgendwo an der spanischen Küste, verschlägt es den Icherzähler während der kalten Jahreszeit. Wo die Reiseführer von brummendem Tourismus und urtümlicher Idylle reden, findet er kaum eine Menschenseele.

Eigentlich ist er auf der Suche nach sich selbst, auch wenn er seine Auszeit als künstlerische Klausur darstellt. Er ist Schriftsteller und in einer Schaffens- und Lebenskrise, aus der ihn die Einsamkeit und das täglich sich wiederholende Schema in dem heruntergekommenen Örtchen reißen sollen. So kennt man das von berühmten Schriftstellern, und so möchte auch er zu seinem Erfolg finden. Er entwickelt einen gleichgültigen, sich aber in ständiger Wiederholung abspielenden Tagesablauf mit dem Ziel, seinen Geist soweit zu leeren, bis er von der Eingebung erfüllt werden kann. Jeden Morgen beginnt er mit einem leeren Blatt Papier, beschreibt es und verwirft das Ergebnis.

Mit der Zeit nimmt er als neuer Bestandteil des Dorfes einfache, ferne Kontakte mit den Einwohnern auf, die sich auf repetitive Geplänkel oder wortkarge Gespräche beschränken. Hin und wieder wird er von einzeln auftauchenden tatsächlichen Touristen als Gesell für den Abend genutzt und hat dabei ein einschneidendes Erlebnis, das seine Routine für die kommende Zeit etwas abwandelt.
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Peter May – Die Katakomben von Paris [Enzo Mackay 1]

Der zufällige Fund des Schädels eines mysteriös verschollenen Genies führt einen schottischen Kriminalexperten, einen Journalisten und einige Familienmitglieder auf eine aufregende Schnitzeljagd durch Frankreich, bis endlich die Mörder aufhorchen … – Einer der zahllosen Dan-Brown-Klone, der nie vorgibt, mehr als unterhalten zu wollen; die Handlung ist spannend, die Figuren sind sympathisch: solides Mittelmaß.
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Hjorth & Rosenfeldt – Die Frauen, die er kannte

Die Fälle des Sebastian Bergmanns:
„Der Mann, der kein Mörder war“ (November 2011)
Die Frauen, die er kannte
„Die Toten, die niemand vermisst“ (erscheint im Juli 2013)

 

Worum gehts?

Innerhalb von kurzer Zeit wurde bereits das dritte Opfer in Stockholm bekannt. Abermals eine junge Frau in einem hellblauen Nachthemd, die zunächst brutal vergewaltigt und anschließend durch einen Kehlenschnitt getötet wurde. Alles deutet auf einen nicht unbekannten Serienmörder hin, Edward Hinde. Seltsamerweise sitzt dieser jedoch seit Jahren im Hochsicherheitstrakt eines schwedischen Gefängnisses.

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Philip Kerr – Die Adlon-Verschwörung [Bernhard Gunther 6]

Detektiv Gunther kommt im Berlin der 1930er Jahre kriminellen Machenschaften auf die Spur, mit denen die Nazis einen Boykott der Olympischen Spiele verhindern wollen; zwei Jahrzehnte später gerät er auf Kuba unter andere Verbrecher … – Mit gut recherchiertem aber in ihrem ersten Teil dick aufgetragenem Lokalkolorit erzählt Autor Kerr eine Geschichte, die zu sehr an einschlägigen Nazi-Klischees hängt, während der zweite, später spielenden Teil deutlich spannender und überzeugender geraten ist.
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Ullrich, Allyssa / Ullrich, Hortense – Last Girl Standing: Die Wette

Diese Rezension stammt von Nadine Stifft

_Inhalt_

Charly ist ziemlich tollpatschig. Erst recht, wenn ein Mann in ihrer Nähe ist. Dann blamiert sie sich auch schon mal kräftig. Auch als sie Felix begegnet, ist es nicht anders und sie möchte im Boden versinken, denn sie hat sich ein wenig in Felix verguckt und berichtet dies später ihren vier Freundinnen Lavender, Emmy, Leonie und Sofia bei ihrem nächsten Treffen. Die fünf Damen verbringen jeden Freitagabend miteinander, um das Thema „Männer“ zu diskutieren. Und eigentlich haben sie auch gedacht, dass sie so schnell kein Mann auseinanderbringen kann. Bis Felix ihnen wegen einer Wette mit seinem besten Kumpel Tim einen Strich durch die Rechnung macht. Denn in der Wette geht es darum, an einem Abend drei Dates gleichzeitig zu haben und dabei nicht aufzufliegen. Blöderweise sucht sich Felix nun drei von den besten Freundinnen aus …

_Kritik_

„Last Girl Standing“ von Allyssa und Hortense Ullrich ist ein frischer und spritziger Frauenroman, bei dem der Humor nicht auf der Strecke bleibt. Allein auf den ersten Seiten musste ich wegen der süßen Tollpatschigkeit von Charly schon viel schmunzeln. Die Geschichte ist aus der Sicht eines Beobachters geschrieben, die Sätze sind nicht allzu lang und flüssig zu lesen. Es gibt viele und auch lustige Dialoge. Die Kapitel sind meist kurz, so dass man sich auch zwischendurch mal eine Pause gönnen kann.

Es ist sehr amüsant zu lesen, wie sich die verzwickte Geschichte entwickelt. Denn irgendwie weiß ja keiner von den Mädels, dass sie den gleichen Typen kennen gelernt haben. Und auch Felix und Tim tappen erst mal im Dunkeln. So nach und nach dämmert es den beiden aber doch. Weil Felix aber seine Wette nicht verlieren will, datet er dann trotzdem alle drei, was in einem kleinen Spektakel endet. Danach sinnen die Freundinnen auf eine kleine Rache.

Besonders gelungen finde ich, dass die Kapitel jeweils nach einem Cocktail benannt sind, dessen Rezept am Ende des Kapitels immer abgedruckt ist. Viele hören sich recht lecker an.

Negativ finde ich, dass so ein Namenswirrwarr herrscht. Bei so vielen Protagonisten bleibt es wahrscheinlich nicht aus, aber nach einer Weile blickt man doch ganz gut durch und man kann die Geschichte genießen. Leider ist es generell ein Buch, welches ein absehbares Ende hat. Also ist es meines Erachtens nicht allzu spannend.

_Autorinnen_

Hortense Ullrich ist im Saarland geboren und in Bad Homburg aufgewachsen. Nach ihrem Design-Studium in Wiesbaden arbeitete sie in einer Werbe- und PR-Agentur in Frankfurt. Nachdem sie bei verschiedenen Fachzeitschriften Redakteurin, Ressortleiterin und Chefredakteurin war, entschloss sie sich, Drehbuchautorin zu werden. Inzwischen lebt sie als erfolgreiche Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher mit ihrer Familie in Bremen.

Allyssa Ullrich lebt seit knapp zwei Jahren in Hamburg, studiert Media Management und hat nun ihren zweiten Roman geschrieben. (Verlagsinfo)

_Fazit_

„Last Girl Standing“ von Allyssa und Hortense Ullrich ist eine tolle kleine Lektüre für zwischendurch, wenn man mal Lust auf etwas Humor hat oder sich den Tag ein wenig versüßen möchte. Die Geschichte an sich ist nicht sehr lang und somit gut zu lesen. Ich kann das Buch demnach mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

|Taschenbuch: 256 Seiten
ISBN-13: 978-3499216053|
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Gabel, Claudia – Dein Blut auf meinen Lippen

„Dein Blut auf meinen Lippen“ klingt irgendwie nach einem süßlichen Liebesroman für die Hausfrau fortgeschrittenen Alters, die sich in ihrer Freizeit gern in die Arme eines gutgebauten (und doch romantisch veranlagten) Mannes träumt. Tatsächlich kommt man dem Kern der Sache näher, wenn man sich den amerikanischen Originaltitel ansieht, der ziemlich eindeutig benennt, worum es in dem Roman von Claudia Gabel geht: „Romeo & Juliet & Vampires“. Und damit ist eigentlich auch schon alles Wichtige gesagt. Erwähnenswert ist vielleicht außerdem, dass es sich um ein Jugendbuch handelt – erwachsene Leser sollten also keine tiefschürfenden Erkenntnisse erwarten, weder zu „Romeo und Julia“ noch zu Vampiren.

„Dein Blut auf meinen Lippen“ lässt sich dem gerade boomenden Genre des Mashups zuordnen. Die zugrundeliegende Idee ist, dass ein Autor sich einen existierenden Text vornimmt (in diesem Fall Shakespeares „Romeo und Julia“) und ihm ein neues (in der Regel fantastisches) Element hinzufügt – hier sind es Vampire. Dadurch erhält der eventuell angestaubte, da gemeinfreie, Text frischen Pepp und wird unter neuen Gesichtspunkten und mit anderen Schwerpunkten durch den Autor uminterpretiert. Das wohl bekannteste Beispiel für ein Mashup ist Seth Grahame-Smiths „Stolz und Vorurteil und Zombies“. Und ja, oftmals sind die Titel tatsächlich so einfallslos, wohl damit der geneigte Leser sofort erkennen kann, womit er es zu tun hat.

„Dein Blut auf meinen Lippen“ folgt also mehr oder weniger der Handlung von Shakespeares großer Tragödie, allerdings mit einigen tiefgreifenden Veränderungen. Zunächst einmal wird die Handlung nach Transsilvanien verlegt, was ziemlich seltsam wirkt, da trotzdem alle Personen italienische Namen tragen. Julia Capulet ist die Tochter einer ruchlosen und einflussreichen Vampirdynastie. In den vergangenen Jahren haben die Capulets mit Freude die transsilvanische Landbevölkerung buchstäblich ausgesagt, geduldet vom walachischen Landesfürsten Vlad. Dieser wurde nun jedoch gestürzt und sein Bruder Radu möchte für Frieden im Land sorgen. Deshalb verbietet er den Capulets, Menschen auszusaugen. Er verbietet ihnen auch bei Todesstrafe, mit ihren Erzfeinden, den Montagues, aneinanderzugeraten. Diese sind – kaum überraschend – Vampirjäger.

Die Capulets versuchen nun mit allen Mitteln, ihren Einfluss zu sichern. Dazu geben sie einen großen Ball, um Graf Paris zu umschwärmen und ihm ihre Tochter anzubiedern. Denn Paris genießt bei Radu großes Ansehen und könnte so die Interessen der Capulets vertreten. Doch Julia will von Paris nichts wissen. Sie ist ohnehin von ihrer Familie und deren fehlender Moral genervt. Zu ihrem sechszehnten Geburtstag wird sie sich in einen vollwertigen Vampir verwandeln, doch sie hadert mit ihrem Schicksal – schließlich will sie keineswegs Menschen töten! Die Situation spitzt sich zu, als sie auf dem Ball Romeo kennenlernt – einen Menschen und Vampirjäger. Die beiden verlieben sich sofort unsterblich und heiraten praktisch sofort. Doch kann eine Liebe zwischen Vampir und Vampirjäger Bestand haben? Kann Romeo akzeptieren, was aus Julia wird? Kann sie es selbst?

Keine Sorge, „Dein Blut auf meinen Lippen“ beantwortet all diese Fragen wohlwollend und in klarer Übereinstimmung mit den aktuellen Trends in der Vampirliteratur. Dass Claudia Gabel am Ende drastisch von Shakespeares Auflösung der Geschichte abweicht, ist vermutlich der größte Fauxpas, den sie sich leistet. Jugendliche Leser werden sicher begrüßen, dass Romeo und Julia schlussendlich nicht ihr Leben für die Versöhnung ihrer Familien aushauchen. Shakespeare-Fans werden wohl aufgrund solch schändlicher Abweichung vom großen Barden das Buch mit einem bitteren Nachgeschmack zuklappen.

Ansonsten kommt „Dein Blut auf meinen Lippen“ recht geradlinig daher: Alle wichtigen Handlungspunkte von Shakespeares Drama werden abgearbeitet: Das Fest, die Balkonszene, die Hochzeit, das Duell, Julias scheinbarer Tod. Abgearbeitet ist hierbei ein wichtiges Stichwort, denn oft hat man als Leser den Eindruck, vieles würde schnell und mit einigem Desinteresse abgehandelt. Dass sich Claudia Gabel entschlossen hat, ein Drama in einen Prosatext umzuschreiben, ist eine große Chance, die sie leider viel zu oft ungenutzt verstreichen lässt. Emotionen und Motive werden kaum ergründet, stattdessen dümpelt der Roman an der Oberfläche jugendlicher Liebe, ohne je wirklich tiefes Gefühl vermitteln zu können. Das liegt sicher auch an der sehr einfachen Sprache des Textes, der oftmals wie eine Schreibübung ohne einen Funken Inspiration klingt. So erscheint „Dein Blut auf meinen Lippen“ irgendwie unentschlossen: Auf der einen Seite verfährt der Roman mit der überlebensgroßen Vorlage lieblos und ohne rechte Sympathie. Andererseits gibt es zu wenige wirklich zündende Ideen der Autorin, die dem Stoff eine neue Richtung geben würden. Dadurch kann man sich nie ganz des Eindrucks erwehren, dass man auch einfach das Original hätte lesen können.

_“Dein Blut auf meinen Lippen“_ eignet sich sicherlich für jugendliche Leser, denen man Shakespeare schmackhaft machen will – Baz Luhrmanns farbenprächtige Verfilmung des Stoffes erzielt allerdings sicherlich denselben Effekt und vermittelt außerdem noch die Einzigartikeit des Shakespeare’schen Sprache – etwas, das Gabels Buch (bis auf wenige Zitate) komplett vermissen lässt. Für erwachsene Leser bietet der Roman wenig Spektakuläres und eignet sich höchstens für einen verregneten Nachmittag.

|Taschenbuch: 240 Seiten
Originaltitel: Romeo & Juliet & Vampires
ISBN-13: 978-3499257032|
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Ronald A. Knox – Die drei Gashähne

knox-gashaehne-cover-1962-kleinHat sich Mr. Mottram selbst mit Gas umgebracht oder wurde er auf geschickte Art ermordet? Ein Versicherungsdetektiv und ein Polizist ermitteln manchmal gemeinsam, manchmal getrennt und decken einen gänzlichen unerwarteten Tathintergrund auf … – Einer der ganz großen Klassiker des britischen „Whodunit“-Krimis hat als ebenso intelligentes wie witziges Spiel mit den Regeln des Genres seinen Unterhaltungswert ungemildert bewahren können.
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Davies, J. D. – goldene Berg, Der (Matthew Quinton 2)

_|Matthew Quinton|:_

Band 1: „Kapitän Seiner Majestät“
Band 2: _“Der goldene Berg“_

_Matthew Quinton ist Captain_ eines englischen Kriegsschiffs. Kein besonders guter Captain, wie er nicht müde wird zu betonen, aber er gibt sich Mühe dazuzulernen und hofft, so einen Fauxpas wie bei seinem ersten Kommando nicht noch einmal hinzulegen – da hat er nämlich aus Versehen das Schiff samt Mannschaft versenkt. Im Moment laufen die Dinge besser. Nicht nur ist sein jetziges Schiff noch nicht untergegangen und er beginnt zu hoffen, dass sie ohne weitere Probleme in den englischen Heimathafen einlaufen können. Darüber hinaus gelingt es ihm nämlich, eine Galeere aufzubringen, doch damit gehen die Probleme erst richtig los.

Der Araber, der die Galeere befehligt, stellt sich nämlich bald als waschechter Ire heraus (rothaarig sogar), der in der geistigen Tradition eines Jack Sparrow steht: Er redet sich um Kopf und Kragen und dreht die Nase immer in den Wind, sodass man nie weiß, wann er lügt und wann er ausnahmsweise die Wahrheit sagt. Um seinen Kopf aus der buchstäblichen Schlinge zu ziehen, faselt er etwas von einem Berg aus Gold, der sich im afrikanischen Busch befinden soll. Quinton hält das für eine glatte Lüge, um dem Henker noch einmal von der Schippe zu springen, doch das Schicksal ist dem Iren O’Dwyer hold – der englische König Charles II. schenkt ihm Glauben und so wird eine Expedition nach Afrika vorbereitet, um diesen ominösen Berg zu finden. Und natürlich kann nur einer diese Expedition führen, nämlich Matthew Quinton! Dieser ist von der Aussicht wenig begeistert. Zunächst einmal ist es nämlich nicht empfehlenswert, im Winter von England aus loszuschippern. Viel schwerer wiegt allerdings, dass der arme Quinton mit einer ausgewachsenen Familienintrige zu kämpfen hat. Sein Bruder nämlich (schwul, wie wiederholt angedeutet wird), soll eine Frau von zweifelhafter Herkunft ehelichen, da Quinton eigene Kinder bisher verwehrt blieben. Seine Mutter besteht aber auf einem Erben, der den Namen der Familie weiterführen kann. Doch niemand außer Mutti findet Positives an dieser Verbindung und so versuchen Quinton und seine Frau mit fast geheimdienstlerischen Methoden, das dunkle Geheimnis der zukünftigen Braut zu ergründen.

_Wer nun aber denkt_, dass „Der goldene Berg“ sich hauptsächlich um Selbigen dreht, der irrt. Der englische Autor J.D. Davies hat an den Ränkespielen des royalen Hofs mindestens genauso viel Spaß wie an der Beschreibung nautischer Details. Er beweist damit, dass er ein unglaublich vielseitiger Schriftsteller ist, etwas, das von jemandem, der bisher Sachbücher zur englischen Marinegeschichte geschrieben hat, ja nicht unbedingt zu erwarten ist. Den Sprung zur schönen Literatur gelingt ihm mit fast schlafwandlerischer Leichtigkeit, vor allem, weil er es schafft, sein Fachwissen gekonnt an den Leser zu bringen, ohne schulmeisterhaft zu wirken. Der Leser lernt sehr viel über die Seefahrt im Allgemeinen und die Periode des 17. Jahrhunderts im Besonderen. Dabei treten unter anderem auch historisch verbürgte Persönlichkeiten auf (unter anderem Samuel Pepys in einer charmant-nerdigen Nebenrolle), die der Geschichte eine gewisse Würze verleihen. Allerdings ist Davies kein großer Kriegsberichterstatter, noch nicht einmal ein Fan blutiger Schlachten. Pro forma fügt er gegen Ende noch ein klitzekleines Gefecht ein, wohl nur, damit Quintons hübsches Schiff all seine Kanonen auch einmal benutzen darf. Viel lieber wirft er sich dagegen in die verworrenen Beziehungskisten am Hof und erklärt dem Leser subtil, wie das königliche Leben damals so vor sich ging.

Nicht viel anders als heute übrigens, wie der Leser bei der Lektüre bald feststellen wird. Denn auch damals lief vieles über Beziehungen und Ränkespiele und auch damals mochte man seine Verwandtschaft nicht. Quintons genauer und scharfsinniger Blick auf seine eigene verschrobene Mischpoke liest sich dabei genauso spannend wie der in Afrika spielende Abenteuerplot. Das ist auch gut so, denn Familiengeschichte und Seefahrergeschichte halten sich im Buch die Waage – bis zur Mitte ist Quinton ja noch nicht mal aus dem Hafen ausgelaufen! Und hier liegt auch der einzige Kritikpunkt: Davies ist voller Ideen, doch scheint er sich für „Der goldene Berg“ ein bisschen viel vorgenommen zu haben. Die Expedition nach Afrika findet ein relativ unspektakuläres Ende (da fehlte definitiv ein Höhepunkt, um diesen Handlungsfaden mit einem Knalleffekt zu beenden) und auch die Familiensituation im heimischen England wird nicht befriedigend gelöst – weder für Quinton noch für den Leser. Bis man aber erstmal zum Schluss gelangt, hat man schon 400 Seiten hinter sich, vollgepackt mit wirklich toller Prosa, interessanten Charakteren und spannender Handlung. Grund zu meckern gibt es also nicht wirklich.

Das liegt – vor allem, aber nicht nur – an Davies‘ Held Matthew Quinton. Er fungiert hier als Ich-Erzähler, der als alter Mann in einem Tagebuch Rückschau auf sein Leben hält. Somit kann er teilweise durchaus ironisch auf seine eigene Vergangenheit blicken und reichlich abgeklärt sowohl seine eigenen Taten als auch die Politik dieser Zeit kommentieren. Dieser Kunstgriff des Autors gepaart mit seiner schriftstellerischen Meisterschaft beschert dem Leser einen echten Lesegenuss. Quinton ist unterhaltsam, spitzfindig, selbstkritisch und vor allem ein genauer Beobachter. Ein wenig erinnert er an Diana Gabaldons [„Lord John Grey“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=87, der es ebenso versteht, seine eigenen Abenteuer mit echtem englischen Humor zu kommentieren – trocken und pointiert. Dass sich das gut liest, versteht sich von selbst.

Und so bleibt zu hoffen, dass J. D. Davies auch weiterhin über Matthew Quintons Abenteuer zur See Romane schreiben wird. Das kann er nämlich wirklich gut!

|Taschenbuch: 448 Seiten
Originaltitel: The Mountain of Gold
ISBN-13: 978-3499252303|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

Cornwell, Bernard – Stonehenge

Bernard Cornwell kennt und schätzt man als Autor von historischen Romanen. Doch dass er sich so weit in die Vergangenheit vorwagt, so tief in die Geheimnisse der frühen Menschheitsgeschichte eintaucht, das kennt man auch von ihm nicht. Denn wie schon der Titel seines Romans „Stonehenge“ vermuten lässt, befasst er sich hier mit einem der beeindruckendsten Beispiele frühester Baukunst. Wie ist dieser Steinkreis entstanden? Und vor allem warum? Wirklich abschließende Antworten wird es auf diese brennenden Fragen wohl nie geben. Allerdings wird eines immer wahr bleiben: Der Anblick von Stonehenge beflügelt die Fantasie. Und wer sollte mehr davon profitieren als ein Schriftsteller?

So ist natürlich klar, dass in diesem Roman alle handelnden Figuren (inklusive der sie treibenden Motive) frei erfunden sind und Cornwell ein Spiel im Sinne „Was wäre, wenn …“ betreibt. Trotzdem hat er natürlich – wie immer – fleißig recherchiert, gerade was Theorien zu Stonehenges Sinn und Zweck und eventuelle Baumethoden angeht. Das ist nur logisch, schließlich braucht er dieses Wissen, um seine fiktive Stonehenge-Theorie aufzustellen.

_Im Zentrum der Geschichte_ stehen drei Brüder: Lengar soll sich als brutaler und diktatorischer Kriegsherr herausstellen, der seinen Vater tötet, um Stammesführer zu werden und der fortan ständig Raubzüge in die umliegende Gegend unternimmt und mit Vorliebe den Erzfeind, die Siedlung Cathallo, überfällt. Saban hingegen gerät nach seinem Vater – ein realistischer, zupackender Mann, der eigentlich nichts anderes will als sein Leben in Frieden zu leben. Am liebsten natürlich mit einer schönen Frau an seiner Seite und einem ganzen Haufen Kinder. Und zu guter Letzt wäre da noch Camaban, der als Kind aus dem Stamm verstoßen wurde, weil er missgestaltet war. Doch so leicht gibt Camaban nicht auf: Er versteckt sich im alten Tempel und diese frühe Zwiesprache mit den Göttern legt den Grundstein für seine steile Karriere als Zauberer. Er geht bei der bekanntesten Zauberin der Gegend in die Lehre, die ihm seinen Klumpfuß richtet (halbwegs). Er reist, um auch die letzten Geheimnisse der Welt zu ergründen und es ist seine Vision, auf der Stonehenge fußt.

Dabei muss diese Vision – wie die Hängenden Steine selbst – von Grandeur geprägt sein. Tatsächlich liegt ihr eine durchaus genau beobachtete astronomische Theorie zugrunde. So hat Camaban durch genaue Himmelsbeobachtung herausgefunden, dass Mond- und Sonnenjahr nicht gleichlang sind. Was sie aber sein sollten, denn Sonne (Slaol) und Mond (Lahanna) sind die wichtigsten Götter der damaligen Menschen. Es geht die Legende, dass Lahanna eigentlich mit Slaol vermählt werden sollte. Doch sie widersetzte sich und darin liegen Krankheit und Tod begründet. Aus seinen Beobachtungen schließt Camaban nun, dass Slaol sich immer weiter von der Erde wegbewegt. Könnte man ihn aber mit einem riesigen, beeindruckenden Tempel zurücklocken – ihn also in seine ursprüngliche Bahn zurückbringen, so kämen Lahanna und Slaol wieder zusammen. Die Welt würde wieder ins Gleichgewicht gelangen und es würde weder Winter noch Tod geben. Eine durchaus detallierte Theorie, die Camaban durch Charisma durchsetzen und mit Sabans Hilfe in die Tat umsetzen kann.

_Es ist interessant_, dass Cornwell sich nicht auf ein zyklisches Zeitverständnis einlässt. Für seine Charaktere sind die ewig wiederkehrenden Dichotomien von Leben und Tod, Werden und Vergehen, Sommer und Winter offensichtlich keine gottgegebenen Regeln. Oder vielleicht ist es auch Camabans fortschreitender Wahnsinn (und Größenwahn), der ihn dazu treibt, diese grundlegenden Gesetze der Welt anzuzweifeln. Faszinierend ist dabei vor allem Cornwells Beschreibung des Gottesglaubens. Denn die Götter sind überall – in Sonne und Mond, im Fluss, im Wald und im Himmel. Alles, was von der Norm abweicht, kann ein Omen sein: Ein aufsteigender Vogel kann Gutes bedeuten, eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt dagegen Unheil verkünden. Um dieses Omen zu interpretieren, gibt es natürlich Priester – oder wie in Camabans Fall Zauberer. Wenn sie glaubwürdig vermitteln können, dass sie in direktem Kontakt mit den Göttern stehen, so winkt ihnen absolute Macht.

Dabei begeht Cornwell nie den Fehler, diese Götter wirklich manifest werden zu lassen. Es sind letztlich eben doch nur Sonne, Mond, Fluss und Wald. Doch die Art, wie Cornwells Charaktere die sie umgebende Natur interpretieren und sie als lebendig und eben auch göttlich auffassen – das ist dem Autor wunderbar und überzeugend gelungen.

Trotzdem wird man mit den Figuren und ihren Motiven nicht so recht warm. Vielleicht liegt es wirklich einfach daran, dass 2500 v. Chr. so enorm lange her ist, dass uns mit den damaligen Lebenswelten wenig verbindet. So ist es zwar beeindruckend zu sehen, wie frühe Menschen aus reinem Glauben ein die Zeit überdauerndes Bauwerk erschaffen, dass uns noch heute fasziniert. Und doch steht dem wirklichen Zauber immer auch die modernde, abgeklärte Draufsicht entgehen, die fragen will: „Ehrlich? Ihr glaubt wirklich, die Sonne ihre Bahn verändern wird, weil ihr Steine aufeinanderschichtet?“

_“Stonehenge“ funktioniert daher_ wunderbar als abstrakte „Was wäre, wenn …“-Studie, aber es funktioniert nicht so gut als Roman, da die Figuren ihre Distanz zum Leser nie ganz aufgeben. Man schaut eben fasziniert wie in einem Museum auf diese Relikte einer lange vergangenen Zeit, aber wirkliches Verständnis, ein echtes Einfühlen, ist fast unmöglich. Somit ist „Stonehenge“ kein ganz großer Wurf, doch für alle, die sich mit der Entstehung der Hängenden Steine beschäftigen wollen, ohne ein Sachbuch zu lesen, gibt es trotzdem eine Leseempfehlung.

|Taschenbuch: 672 Seiten
Originaltitel: Stonehenge
ISBN-13: 978-3499253645|
[www.rowohlt.de]http://www.rowohlt.de

_Bernard Cornwell auf |Buchwurm.info|:_
[„Stonehenge“ 113
[„Die Galgenfrist“ 277
[„Der Bogenschütze“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 1) 3606
[„Der Wanderer“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3617
[„Der Erzfeind“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 3) 3619
[„Das Zeichen des Sieges“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6223
[„Das brennende Land“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6656

|Sharpe|:
01 [„Sharpes Feuerprobe“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5208
02 [„Sharpes Sieg“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5829
03 [„Sharpes Festung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7099
04 [„Sharpes Trafalgar“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7111

Patrick Lee – Die Pforte

Das geschieht:

Nach langen Jahren im Gefängnis schlägt sich Ex-Polizist Travis Chase als Bauarbeiter durch. Seinen Jahresurlaub verbringt er auf einer Wanderung durch die Urwälder des US-Staates Alaska. Dabei stößt er auf eine bruchgelandete Passagiermaschine der US-Regierung. An Bord: viele tote Geheimdienstler und die First Lady der USA. Sie schrieb mit letzter Kraft einen Brief, in dem sie den Finder zur patriotischen Pflichterfüllung aufruft. Die Maschine transportierte das „Flüstern“, eine außerirdische Entität, die Schurken unbedingt in ihren Besitz bringen wollen. Unweit der Absturzstelle foltern sie die Agentin Paige Campbell (jung, hübsch, Single), die das „Flüstern“ verstecken konnte, bevor sie geschnappt wurde.

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Lia Norden – Vier Wahrheiten und ein Todesfall

Inhalt

„Rette mich!“ Nur diese beiden Worte und Adresse samt Datum ein kurzer Brief, leicht pathetisch, und doch bringt er vier Frauen dazu, alles stehen- und liegen zu lassen, um so schnell wie möglich zu der kleinen norwegischen Insel zu reisen, auf der der Verfasser jetzt lebt. Matthis hat in allen vier Leben vor unterschiedlich langer Zeit eine bestimmte Rolle gespielt, eine wichtige Rolle.

Die toughe Karrierefrau Susanna fragt sich zwar den ganzen Weg über, warum sie sich das antut, aber sie kehrt nicht um. Die leicht verwahrloste, leidenschaftliche Kate bricht gern zur Rettungsaktion auf, weil sie hofft, auch sich selbst zu retten. Judith, graue Maus und wohlerzogene Familienmutti, schwebt zwar in tausend Ängsten und Zweifeln, hält aber eisern an ihrem Vorhaben fest. Und die rätselhafte Agnes scheint von ihnen allen den ausgefeiltesten Plan zu haben.

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Cornwell, Bernard – brennende Land, Das

Wenn man sich durch das umfangreiche (und immer weiter wachsende) Werk von Bernard Cornwell arbeitet, dann ist anzunehmen, dass man nach erfolgter Lektüre viel schlauer ist als zuvor. Zumindest, was englische Geschichte, Politik und Kriegshandwerk angeht, denn dies sind Cornwells Leidenschaften, die in seinen Romanen immer wieder das Grundgerüst bilden.

In „Das brennende Land“ entführt Cornwell seine Leser in das England des 9. Jahrhunderts, wobei es jedoch vermessen wäre, hier schon von „England“ zu sprechen. Stattdessen bedecken die Länder Wessex, Northumbrien und Mercien große Teile der Landschaft, die wir heute als England kennen. Held (im wahrsten Sinne) der Geschichte ist Uthred, ein Kriegsherr, dessen Eid ihn an König Alfred von Wessex bindet. Damit ist er jedoch weniger glücklich, denn Alfred ist ein Christ und umgibt sich mit einer stattlichen Anzahl von Mönchen, die auf den Heiden Uhtred herab blicken. Dieser wiederum hält das Christentum für eine lächerliche Religion, lässt es sich jedoch nicht nehmen, in brenzligen Situationen nicht nur zu seinen eigenen Göttern, sondern auch zu diesem ans Kreuz genagelten Christus zu beten. Man kann schließlich nie wissen …

Alfreds Hofstaat provoziert einen Eklat, der Uthred dazu bringt, seinen Eid auf Alfred zu brechen und stattdessen nach Norden zu gehen. Eigentlich will er mit Wessex auch gar nichts zu tun haben. Viel lieber würde er Bebbanburg, seine Heimat im Norden, wieder einnehmen. Doch dazu braucht er Gold und Männer – in dieser Reihenfolge. Also plant er, Skirnir zu überfallen, da er erfahren hat, dort solle sich ein Schatz befinden. Der Überfall gelingt zwar, doch fällt die Beute weit weniger reichlich aus als erhofft, und so steht Uthred immer noch am Anfang seines Plans. Bevor dieser jedoch weiter gedeihen kann, ruft ein anderer Eid ihn über Umwege zurück an Alfreds Seite und er muss ein weiteres Mal dessen Reich vor einfallenden Feinden schützen.

Bei „Das brennende Land“ handelt es sich um den fünften Band in Cornwells |Uthred|-Serie. Zwar kann man sich auch ohne Vorkenntnisse auf den Roman einlassen, doch wird man mehr aus der Lektüre mitnehmen, wenn man auch die Vorgängerbände kennt. So sind die politischen Verwicklungen, die Cornwell beschreibt, durchaus kompliziert und bei den unzähligen fremdartigen Namen wird es ohne Vorkenntnisse noch schwerer, den Überblick zu behalten, wer mit wem verbandelt, verfeindet oder verbündet ist. Eine kleine Hilfestellung bei der Orientierung bieten eine Karte, eine Liste mit Ortsnamen (und ihrer zugehörigen englischen Entsprechung) und ein Stammbaum der Wessex’schen Königsfamilie. Gerade die Liste der Ortsnamen ist eine echte Hilfe, da man ohne sie kaum erraten würde, wo man sich geographisch gerade befindet: Dass Cent der alte Name für die Stadt Kent ist, ist noch naheliegend. Aber wer käme schon darauf, hinter der Ortsbezeichnung Eoferwic das heutige York zu vermuten?

Den Großteil der auftauchenden Personennamen muss man sich jedoch selbst merken, wobei nur eine Handvoll davon wirklich wichtig ist. Cornwell konzentriert sich hauptsächlich auf seinen Protagonisten (darum ist der Roman wohl auch in der Ich-Form geschrieben) und arbeitet Nebencharaktere eher uninspiriert ab. Die Krieger in Uthreds Diensten bleiben, bis auf ein oder zwei Ausnahmen, durchweg farblos, und selbst der großen Gegenspielerin des Romans, der ambitionierten Skade, vermag er kaum Profil zu verleihen. Als machthungrige Schönheit hängt sie sich jeweils an den Mann, der den meisten Erfolg verspricht, und lässt ihn in dem Moment fallen, in dem ein besseres Exemplar vorbeireitet. Sie ist kaltherzig, berechnend und grausam. Doch mehr als pure Machtlust um ihrer selbst willen mag Cornwell ihr als Motivation nicht zugestehen. Es ist ein wenig schade, dass ein Charakter, der so viel Profil vermuten lässt, im Roman dann fast nichts davon einlöst.

Was Cornwell jedoch bei seinen Nebencharakteren einspart, das verwendet er samt und sonders auf Uthred, der als schillernder Kriegsheld gezeichnet wird und doch nicht eindimensional bleibt. Er ist ein echter Macher, ein Pläneschmieder und furchteinflößender Kämpfer. Kurzum, er ist ein echter Mann, der andere Männer nur dann schätzt, wenn sie mit seiner Kraft und Potenz mithalten können (darum wohl auch seine Abneigung gegen das Christentum, da ihm alle Christen als verweichlicht erscheinen). Er ist großspurig und neigt etwas zum Protzen, doch selbst diese Eigenschaften machen ihn nicht unsympathisch, sicherlich, weil der Leser realisiert, dass Uthred genügend Grund zur Eitelkeit hat. Und doch: Selbst er findet sich wiederholt als Opfer verschiedener Ränkespiele wieder und muss sich in Situationen ergeben, die sich seiner Einflussnahme entziehen. So findet er sich gänzlich gegen seinen Willen auf Alfreds Seite wieder, hat aber keine andere Möglichkeit, als zu versuchen, in der Situation etwas Positives zu finden. Ihr entfliehen kann er ohnehin nicht.

Ebenso interessant wie Uthred ist Cornwells Beschreibung des Konflikts zwischen dem aufkommenden Christentum und den alten Göttern. Uthred hängt dem nordischen Götterkreis an und wird am christlichen Hof Alfreds eigentlich nur noch geduldet, weil er so ein erfolgreicher Heerführer ist. Dass der Kampf der Religionen durchaus blutig geschlagen wurde, während andererseits in vielen Fällen auch ein friedliches Nebeneinander möglich war, das will Cornwell beschreiben. Und es gelingt ihm eindrücklich.

„Das brennende Land“ ist ein Roman für alle, die an der frühen Geschichte Englands interessiert sind und die sich – lesend, selbstverständlich – auch gern ein wenig ins Schlachtengetümmel werfen. Denn eins ist klar: Ohne eine ordentliche Schlacht lässt Cornwell keinen seiner Romane enden!

|512 Seiten, broschiert
ISBN-13: 978-3499254147
Originaltitel:| The Burning Land|
Übersetzung: Karolina Fell|
http://www.rowohlt.de
http://www.bernardcornwell.net

_Bernard Cornwell auf |Buchwurm.info|:_
[„Stonehenge“ 113
[„Die Galgenfrist“ 277
[„Der Bogenschütze“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 1) 3606
[„Der Wanderer“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 2)]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3617
[„Der Erzfeind“ (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 3) 3619
[„Sharpes Feuerprobe. 1799: Richard Sharpe und die Belagerung von Seringapatam“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5208
[„Sharpes Sieg. 1803: Richard Sharpe und die Schlacht von Assaye“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5829
[„Das Zeichen des Sieges“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6223

Nuyen, Jenny-Mai – Magierlicht (Die Sturmjäger von Aradon 2)

Die Sturmjäger von Aradon:

Band 1: „Feenlicht“
Band 2: „Magierlicht“

Nach den Ereignissen des ersten Bandes ist Aradon überzeugt davon, dass ein Angriff des Alten Reiches unmittelbar bevorsteht, und rüstet seinerseits zum Krieg. Hel und ihre Gefährten sollen unterdessen unter Führung des Magiers Olowain versuchen, den Isen zu fangen, der durch den Tod des Dämons in den Besitz des Totenlichts gelangt ist.

Karat indessen, der von Oyaras Rebellen gesundgepflegt wurde, hat sich ihrem Kampf nicht angeschlossen. Stattdessen folgt der kaum sichtbaren Schemen, die ständig auf ihn einflüstern und ihn vorantreiben, immer Richtung Norden … und verfolgt von Mercurin.

Neuzugänge bei den Charakteren sind nicht zu verzeichnen, dafür aber durchaus Entwicklung.

Hels Skepsis im Zusammenhang mit den Magiern nimmt immer mehr zu. Als ihre Befürchtungen sich schließlich auf ganz unerwartete und erschreckende Weise bestätigen, nimmt sie ihr Leben selbst in die Hand. Aber das ist auch nicht ganz einfach. Denn Hel ist sich keineswegs sicher, wie es nun mit ihr weitergehen soll.

Auch Mercurin ist unsicher. Seit er Hel kennt, ist er von der Richtigkeit seines Tuns nicht mehr so vollständig überzeugt, wie es für die Erledigung seiner Aufgabe eigentlich erforderlich wäre. Diese Unsicherheit steigert sich immer mehr, bis er eine ungewöhnliche Entscheidung trifft.

Wie immer hat Jenny-Mai Nuyen ihre Figuren ausgesprochen plastisch und intensiv gezeichnet. Vor allem Mercurins wachsende Zerrissenheit zwischen seiner Zuneigung zu Hel und seinem Auftrag ist sehr gut gelungen.

Die Handlung ist in diesem Band dafür etwas einfacher gestrickt als im Vorgänger. Das Hauptgewicht liegt auf der Gruppe um Hel, die Karat bis an den Rand der Kauenden Klippen folgt. Die übrigen Handlungsstränge, wie der um Karat oder die Druiden aus dem Alten Reich sind nur in kurzen Absätzen dazwischengestreut. Selbst als Hel sich von den Magiern trennt, entsteht kein gleichwertiger neuer Strang, denn das Augenmerk folgt ausschließlich Hel. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Handlung eingleisig oder unkompliziert wäre. Tatsächlich gibt es in jedem Handlungsstrang einen, der nach den Totenlichtern sucht, selbst in Hels Umfeld, und letzten Endes streben sie alle auf denselben Punkt zu. Das Zusammentreffen der einzelnen Parteien verläuft dementsprechend dramatisch, und doch gelingt es der Autorin, dies noch zu toppen. Der eigentliche Showdown findet letztlich in Aradon statt.

Zusätzlich zur langsam steigenden Spannung wird auch der Schauplatz weiter ausgebaut. Zum ersten Mal erfährt der Leser Details über das Alte Reich und sogar einiges von dem geheimen Wissen der Magier wird verraten. Besonders gut aber gefiel mir die Idee der Elfen. Die leuchtenden, schemenhaften Wesen, die Karat nach Norden führen, nennen sich selbst diejenigen, die immer waren und immer sein werden. Sie scheinen ziemlich mächtig zu sein, vor allem aber sind sie zornig. Denn die Menschheit, die ihre Schöpfung ist, hat sie enttäuscht, indem sie sinnlos Lirium verprasst und damit die Erde fast getötet hätte. Nun wollen sie die Menschen bestrafen. Und die Totenlichter sind ihr Werkzeug.

Was diese Geschöpfe letztlich so interessant macht, ist ihre Widersprüchlichkeit. Denn sie schüren genau jene Gefühle in den Menschen, deretwegen sie auf die Menschen so zornig sind: ihre Gier, ihren Ehrgeiz, ihre Eigensucht. Gibt der Mensch ihrem Drängen nach, verhöhnen sie ihn, tut er es nicht, verhöhnen sie ihn ebenso. Es scheint, als könnte es ihnen niemand recht machen, als wüssten sie selbst nicht, was sie wollen. Dennoch beeinflusst ihr Tun das gesamte Geschehen. Es verleiht sämtlichen Beteiligten etwas Getriebenes, Manisches, vor allem im Zusammenhang mit Hel, die unbedingt das Richtige tun will, sich aber nicht sicher ist.

Unterm Strich bleibt der Eindruck einer stimmungsvollen, eindringlichen und gleichzeitig spannenden Geschichte, mit Figuren, in die man sich hervorragend hineinfühlen kann, einer Welt, die fasziniert, und deren Spannungsfeld ohne übermächtigen Bösewicht, unausweichliche Prophezeiungen oder einzig zur Rettung befähigte Helden auskommt. Jenny-Mai Nuyens Bücher zeichnen sich durch einen angenehmen Mangel an Übertreibung aus, und sind trotzdem weder langweilig noch blass. Stattdessen bleiben sie dadurch wesentlich näher am Leser, der schließlich auch nur Durchschnitt ist. Vielleicht ist auch das ein Grund für ihren Erfolg.

Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen hat sie eine ganze Reihe von Büchern geschrieben. Die Sturmjäger von Aradon ist ihr erster Mehrteiler.

Gebundene Ausgabe: 377 Seiten
ISBN-13: 978-3570160626

www.jenny-mai-nuyen.de/
http://www.randomhouse.de/cbjugendbuch/index.jsp

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Stephen Hawking / Leonard Mlodinow – Der große Entwurf

Eine neue Erklärung des Universums versuchen die Autoren und Wissenschaftler Stephen Hawking und Leonard Mlodinow in ihrem neuen Buch zu geben. Warum gibt es etwas und nicht einfach nichts? Warum existieren wir? Warum dieses besondere System von Gesetzen und nicht irgendein anderes? Ohne Formelsammlungen und massivem Fachchinesisch erklären die beiden ihre Sicht der Welt in mikro- und makrokosmologischer Betrachtungsweise und richten sich dabei an den interessierten Laien, der nur geringe Vorkenntnisse und ein offenes Wesen braucht, um den Autoren folgen zu können.

Wer zwar interessiert genug ist, sich das Buch zu kaufen, aber mit dem Namen Leonard Mlodinow nichts anfangen kann, dem sei gesagt, dass auch Mlodinov Wissenschaftler im Bereich der Quantenmechanik ist und derzeit am California Institute of Technology als Gastdozent tätig. Einige Drehbücher für „Star Trek: The Next Generation“ hat er übrigens auch verfasst. Er war Hawkings Co-Autor bei „Die kürzeste Geschichte der Zeit“.

Relativ am Anfang des Buches stellen die Autoren fest, dass die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und einfach allem nicht „42“ ist, was den Laien nicht verwundern dürfte, aber Douglas-Adams-Fans ein Lächeln auf das Gesicht zaubert.

Nicht verwunderlich ist es auch, dass die Kirche pauschal schon im Vorfeld der Veröffentlichung ihrer Bestürzung darüber Ausdruck verliehen hat, dass Hawking und Mlodinow in ihren Theorien behaupten, dass es nicht zwangsläufig eines Gottes bedarf, um ein Universum zu erschaffen. Wobei die beiden nicht behaupten, es gebe keinen Gott, lediglich, dass man niemanden brauche, der den ersten Dominostein anschubst, damit der Rest an seinen Platz fällt.

Der Aufbau des Buches ist so gewählt, dass der Leser nicht direkt mit den neuesten Erkenntnissen torpediert, sondern langsam an die Materie herangeführt wird. So beschreiben die Autoren auch eine Geschichte der Physik und deren Gesetze und vor allem deren Gesetzgeber, die sich im Laufe der Jahrhunderte, gar Jahrtausende die Klinken und Theorien in die Hand gegeben haben – vom Glauben der Urvölker in Afrika über Newton und Einstein bis hin zur M-Theorie. Letztere sei der beste Kandidat, um tatsächlich eine einzige Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und einfach allem zu geben. Leider kann auch die M-Theorie derzeit noch nicht vollständig bewiesen werden und deshalb kommt das Wort „Theorie“ im Buch ebenso häufig vor wie das Wort „Gesetz“.

Unterstützt durch viele anschauliche Bilder und einige lustig gezeichnete Cartoons erklären Hawking und Mlodinow, dass die newtonschen Gesetze nicht unfehlbar sind, sich nicht zwangsläufig alles mit einem Gott im Hintergrund abspielen muss und dass die Naturgesetze immer weniger Gültigkeit haben, je kleiner die betrachteten Dinge werden. Auf Quantenebene verhält sich vieles nicht so, wie anfangs erwartet, und so mussten Quantenversionen der Naturgesetze gebildet werden. Diese beiden sich teilweise unterscheidenden und widersprechenden Gesetze doch unter einen Hut zu bringen, daran versucht sich die oben genannte M-Theorie.

Und so bekommt der Leser einen umfassenden Überblick darüber, wie früher und heute über die Entstehung des Universums gedacht wurde und wird, dass es jede Menge Paralleluniversen gibt und dass „Außerirdische, deren stammesgeschichtliche Entwicklung sich unter dem Einfluss von Röntgenstrahlen vollzog, gute Berufsaussichten beim Sicherheitsdienst von Flughäfen haben“ (S. 91).

Außerdem kommen gegen Ende des Buches dann die Steine des kirchlichen Anstoßes, dass nämlich die Multiversumstheorie zur Erklärung der Entstehung des Universums mit Darwins Evolutionstheorie verglichen werden kann, denn beide kommen ohne einen „gütigen Schöpfer“ aus.

Und irgendwo gibt es auch ein Universum, in dem die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und einfach allem tatsächlich „42“ ist! Nur halt nicht in unserem. Das allerdings behauptet der Rezensent, nicht die Autoren.

Wer ist die Zielgruppe?

Wie anfangs schon erwähnt, richtet sich das Buch an interessierte Laien, die sich offen und unvoreingenommen anhören möchten, was Stephen Hawking und Leonard Mlodinow zu sagen haben. Sprachlich nicht abgehoben und vieles mit Beispielen in Wort und Bild erklärend, ist es nicht schwer, den Ausführungen zu folgen.

Ob der Leser nach der Lektüre für sich auch ausschließt, dass es zwangsläufig einen Gott geben muss, bleibt jedem selbst überlassen.

Mein Fazit:

Mir hat es Spaß gemacht, auf so lockere Art und Weise Wissen vermittelt zu bekommen. Die Sprache ist sympathisch leicht und nicht oberlehrerhaft. Hier und da lockert ein Scherz den Text im richtigen Maß auf, so dass sich das Buch nicht wie eine Lehrstunde an der Universität liest, bei der der Leser mit Fakten druckbetankt wird.

Mir wurde im Buch sogar eine Frage beantwortet, die ich schon lange hatte: Was war eigentlich vor dem Urknall? Falls auch Sie sich das schon einmal gefragt haben, die Antwort steht in „Der große Entwurf“.

Gebunden: 192 Seiten
Originaltitel: The Grand Design
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
ISBN-13: 978-3-498-02991-3
www.rowohlt.de
www.hawking.org.uk

Der Autor vergibt: (5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Galchen, Rivka – Atmosphärische Störungen

Rivka Galchens Debutroman „Atmosphärische Störungen“ war in den USA ein Erfolg und heimste positive Rezensionen unter anderem im „New Yorker“ ein. Die Autorin, geboren 1976 in Kanada und aufgewachsen in den USA, verwebt in ihrem ersten Roman Psychiatrie, Meteorologie und ihre eigene Familiengeschichte zu einer höchst seltsamen Geschichte über die Liebe beziehungsweise deren Abwesenheit. Eine illustre literarische Mischung also.

_Es geht um_ Leo Liebenstein. Leo ist Psychiater und sein interessantester Patient im Moment ist Harvey, der sich einbildet eine Art Geheimagent zu sein. Von seinem Arbeitgeber, der Royal Academy of Meteorology, erhält er Aufträge, die verschlüsselt auf Seite 6 der Tageszeitung zu lesen sind. Dann verschwindet er oftmals für Tage, um seinen Auftrag auszuführen, während seine Mutter – wenig überraschend – umkommt vor Sorge. Doch das soll fürs Erste nicht so wichtig sein.

Statt dessen sieht sich Leo eines Tages bei seiner Heimkehr mit einer bösen Überraschung konfrontiert: Die junge, hübsche Frau, die plötzlich die Wohnung betritt, sieht zwar aus wie seine Ehefrau Rema. Trotzdem ist er überzeugt, dass sie es nicht ist. Sie hat einen Hundewelpen dabei – dabei mag Rema doch gar keine Hunde. Und andere Details stimmen ebenfalls nicht, kleine Ticks der „alten“ Rema, die die neue eben nicht besitzt. Kurzum, Leo ist überzeugt, seine Frau sei verschwunden, während eine Doppelgängerin mit ihm Tisch und Bett teilt. Also macht er sich schließlich auf die Suche nach der echten Rema. Eine Suche, die ihn in deren Heimatland Argentinien, zu Remas Mutter und schlussendlich zur Royal Academy of Meteorology führt, die ihm prompt einen Job anbietet. Und da wird dann auch Harvey wieder wichtig.

_Das Zentrum der_ Geschichte bildet Leo, er ist Galchens Versuchsobjekt. An ihm arbeitet sich die Autorin ab und schickt ihn abwärts in die unlogischen Tiefen der menschlichen Psyche, um dem Leser eines zu zeigen: Leo, der Ich-Erzähler, ist unzuverlässig. Das wird relativ schnell klar, denn erste Zweifel stellen sich bereits ein, als er steif und fest behauptet, die Rema in seinem Bett sei eine Doppelgängerin. Seine erzählerische Unzuverlässigkeit potenziert sich im Verlauf des Romans und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, hier in Echtzeit zu beobachten, wie ein Mensch dem Wahnsinn anheim fällt. Ironie des Schicksals: Leo ist eben Psychiater. „Es gab eine Zeit, da glaubte man, alle, die sich um Geisteskranke kümmern, würden selbst geisteskrank, und als Harveys Nachricht eintraf, streckte diese Vorstellung – die Ansteckung – ihre leichenblasse Hand aus der Vergangenheit nach meinem Geist aus“, sinniert Leo an einer Stelle des Romans. Was Leo lange nicht realisiert, ist, dass diese „leichenblasse Hand“ nicht nur nach ihm ausgestreckt wird, sondern dass sie ihn auch berührt, ihn packt und nicht mehr loslässt. Zwar wird er irgendwann Zweifel an seiner geistigen Gesundheit hegen, doch er ist Wissenschaftler. Und mit logischen Argumenten – oder dem, was er als logisch empfindet – kommt er zu dem Schluss, dass er eben nicht an einer Psychose leidet.

Nichts ist also eindeutig. Bedeutungen werden den Dingen immer von Menschen zugeschrieben und diese bringen ihre eigene Geschichte und Mentalität mit, die die Bedeutungsfindung beeinflusst. Dass nichts festgeschrieben, nichts eindeutig zuzuordnen ist, ist ein immer wiederkehrendes Thema in „Atmosphärische Störungen“. Harvey reinterpretiert die Artikel auf Seite 6, bis sie für ihn eine geheime Botschaft ergeben – einen meteorologischen Auftrag, den es zu erfüllen gilt. Leo macht es genauso. Das Diagramm eines Modellsturms, das er bei seiner Suche nach Rema in einem meteorologischen Artikel findet, wird zum Rorschach-Test. Immer wieder zieht es ihn zu dieser Grafik und jedes Mal schreibt er ihr neue Bedeutungen zu: Mal sieht sie aus wie Rema, mal wie ein einsamer Mann in einer Landschaft. Nie jedoch sieht sie für Leo aus wie das, was sie eigentlich ist: eben der Querschnitt eines Modellsturms. Und so wimmelt es im Roman nur so von Verständnisproblemen, von Freudschen Fehlleistungen und Bedeutungsübertragungen. Am enthüllendsten ist das Prinzip, wenn Leo sich einer schlecht übersetzten Speisekarte gegenüber sieht, wo aus einem Sangria Grande im Englischen plötzlich „bloody great“ wird. Ein Übersetzungsfehler und die Bedeutung hat sich vollkommen gewandelt – so wie sich Bedeutungen in „Atmosphärische Störungen“ eben auch ständig im Wandel befinden, wenn sie die Übersetzungsmaschine Leo Liebenstein durchlaufen.

Als Erzähler ist Leo also unzuverlässig. Der Leser kann nicht darauf vertrauen, dass Leo die Wirklichkeit genau – und eben wirklich – abbildet. Die Frage, die sich daraufhin geradezu aufdrängt, ist: Geht das überhaupt? Kann man Wirklichkeit objektiv abbilden? Gibt es eine Wirklichkeit oder ist es nicht eher so, dass es für jedes Individuum eine eigene Wirklichkeit gibt, eine Rorschach-Wirklichkeit, der immer wieder neue Bedeutungen eingeschrieben werden können? Das zumindest ist Galchens Überzeugung und um diese zu illustrieren, zieht sie Vergleiche zwischen der Realität, der Psychiatrie und der Meteorologie, dem Fachgebiet ihres Vaters Tzvi Gal-Chen, der ebenfalls im Roman auftaucht. Wiederholt erfährt der Leser nämlich, dass es unmöglich ist, das Wetter präzise vorauszusagen, weil man nicht einmal genug Daten hat, um sagen zu können, wie das Wetter in diesem Moment ist. Galchen möchte diesen Grundsatz auf unser Leben übertragen wissen: Nichts ist gewiss.

Nichts ist gewiss, schon gar nicht die Liebe. Denn darum geht es ja im Grunde: Leo liebt Rema, doch Rema ist plötzlich weg. Oder ist es vielleicht genau andersherum? Weil die Liebe sich verflüchtigt, bildet Leo sich ein, dass sei gar nicht die echte Rema, die da durch die Tür kommt. Er vermisst seine Frau mit ganzer Hingabe oder vermisst er vielleicht eher, was er einmal mit ihr hatte? All diese Gedankengänge drängen sich auf, doch ist Leo eben auch hier eine erzählerische Niete. Zwar analysiert er seine Situation wieder und wieder aufs genaueste. Doch kommt er eben zu Erkenntnissen, die verschoben, verschroben – eben ver-rückt klingen.

_Rivka Galchens Debut_ ist in seiner literarischen Methode faszinierend und überaus ambitioniert. Zwar ist der Roman gleichzeitig unglaublich kopflastig, doch versucht Galchen die intellektuellen Kapriolen ihrer Prosa mit kleinen Witzen aufzulockern. Dazu gehört eben auch, dass sie ihren eigenen Vater auftauchen lässt, der aus dem Jenseits mit Leo via BlackBerry kommuniziert. Da muss man schon schmunzeln, keine Frage!

|Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
ISBN-13: 978-3498025120
Originaltitel: |Atmospheric Disturbances|
Deutsch von Grete Osterwald|
http://www.rowohlt.de/

Moor, Dieter – Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht. Geschichten aus der arschlochfreien Zone

Ja, ich gestehe: Ich bin Brandenburgerin, hier geboren und aufgewachsen. Und eigentlich ist es auch ganz nett hier. Eigentlich, denn das wiedervereinigte Deutschland scheint für das märkische Land nur Spott und Kritik übrig zu haben, und so hat man uns in den vergangenen zwanzig Jahren eingeredet, in Brandenburg gäbe es nichts: keine Wirtschaft, keine Infrastruktur, keine netten Leute, weder Berge noch Meer. Kurzum – nichts, was das Land für einen Besucher auf irgendeine Weise interessant machen würde. Dass die Brandenburger selbst massenhaft die Flucht ergreifen, um in den goldenen Westen rüberzumachen, gibt dem Argument nur noch mehr Überzeugungskraft. Denn wenn es nicht mal die Ureinwohner hier aushalten, wer sollte es dann?

Offensichtlich gibt es da doch noch jemanden: Den Schweizer Fernsehmoderator Dieter Moor nämlich hat es genau in die brandenburgische Provinz verschlagen, in die sonst keiner will. Zusammen mit seiner Frau Sonja hat er sich einen Gutshof gekauft, hat in der Schweiz seine sieben Sachen (und die Pferde, Esel, Gänse, Katzen, Hunde) eingepackt und sich ins Abenteuer gestürzt. In seinem fiktionalisierten Erfahrungsbericht „Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht“ hat er nun seine Erlebnisse aufgeschrieben – eine Liebeserklärung an eine vergessene Gegend und ihre Menschen.

Natürlich weiß auch Moor um die Vorurteile. Zu Beginn des Buches rekapituliert er sie noch einmal für den Leser: „Höchste Arbeitslosigkeit Deutschlands. Dumpfe Ossis. Alkoholiker und Neonazis. Die gesunde Bevölkerung flieht. Zurück bleiben die Loser, die Alten, die Gescheiterten, die Kaputten.“ Das klingt nicht so, als müsse man da unbedingt hin. Und tatsächlich, Moors Start in dem kleinen Kaff, das er Amerika nennt (und das tatsächlich Hirschfelde heißt) ist alles andere als vielversprechend. Die Straße ins Dorf ist gesperrt. Als er schließlich ankommt, sind die Vormieter noch nicht ausgezogen. Die erste Nacht im neuen Heim wird von feiernden Dorfbewohnern gestört, die unterm Schlafzimmerfenster singend vorbeiziehen. Die Gänse werden praktisch sofort vom Fuchs gefressen. Hinter den nächsten Bäumen befindet sich ein Flughafen und der Bauer von nebenan verpachtet sein Land für Techno-Partys. Das klingt, als hätte sich Amerika gegen die Zugezogenen verschworen und Familie Moor hadert mit ihrer Entscheidung. Am Ende wird jedoch trotzdem noch alles gut ausgehen – was in einem Buch über einen „Quasi-Wessi“, den es in den wilden Osten verschlagen hat nicht gerade eine Selbstverständlichkeit ist.

Sicher, Moor kann ein Dickkopf sein. So sieht er nicht wirklich ein, warum es im Dorfladen (Glückwunsch, wie viele brandenburgische Käffer haben so etwas noch?) keine Frischmilch gibt. Er bohrt und fragt, bis die blondierte Verkäuferin irgendwann nachgibt. Doch grundsätzlich ist seine Stärke (und damit die Stärke seines Buches) die Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen und immer zu versuchen, aus den Gegebenheiten das Beste zu machen. Die preußische Geradlinigkeit hat es ihm angetan und den spröden Charme der Dorfbewohner entlarvt er als solchen, anstatt ihn als bloße Unfreundlichkeit hinzustellen. Der Brandenburger ist eben kein Südländer, er schließt nicht sofort Freundschaft. Statt dessen beobachtet er zunächst skeptisch, er fremdelt erst eine Weile bis er mit Neuem warm wird. Dieter Moor macht das nichts aus, er ist bereit zu warten und wird schließlich für seine Mühe belohnt. Er fügt sich ein ins Dorf, beweist, dass er von Landwirtschaft Ahnung hat und wird schlussendlich in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Und wenn er sich noch an seinem ersten Abend im neuen Dorf über den Lärm der Feiernden ärgerte, so endet das Buch versöhnlich. Denn nun ist er es selbst, der mit seinen neugewonnenen Freunden laut singend über den Dorfanger torkelt. Spätestens hier sollte dann auch dem letzten Leser klarwerden: Dieter Moor ist angekommen.

Moors Erfahrungsbericht ist unterhaltsam und lässt schmunzeln. Das Buch lebt vor allem von den Brandenburger Originalen, die er hier verewigt. Da wäre an vorderster Front Bauer Müsebeck zu nennen, ein Mann weniger Worte, der stattdessen anpackt und aushilft, wann immer es ihm möglich ist. Überhaupt ist Amerika ein Dorf voller tatkräftiger Menschen – ein schöner Gegensatz zu der weitverbreitenden Ansicht, der gemeine Ossi könne nur kuschen und stillhalten.

Vielleicht hilft Moors Buch, Brandenburg etwas beliebter zu machen und mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen. Für Leser aus der Mark ist die Lektüre zumindest ein erhellendes Erlebnis. Denn wie Bauer Müsebeck fragt man sich zwangsläufig: „Sie sind Österreicherin, Frau Moor, Ihr Mann Schweizer. Warum um Gottes willen verlassen Sie ihre wunderschönen Länder und kommen ausgerechnet hierher?“ Weil es eben doch schön hier ist. Und lebenswert auch. Manchmal braucht es halt den Blick eines Fremden, um einem die Augen für die Schönheit der Heimat zu öffnen. Und mal ehrlich, wer könnte sich dieser Schönheit verschließen, wenn der Rotmilan in einem azurblauen Himmel kreist, unter ihm die knallgelben, sich ewig hinziehenden Rapsfelder?

Wobei, eigentlich haben wir es insgeheim schon immer gewusst. Oder um es mit einer anderen Figur des Buches zu sagen: „Schon in Ordnung, dass de meine Heimat schön finden tust. Isse ja schließlich auch, wa?“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

|Taschenbuch: 304 Seiten
ISBN-13: 978-3499624759|

Jeffrey Konvitz – Allisons Haus

konvitz-tor-zur-hoelle-allisons-haus-cover-kleinEine junge Frau mietet sich in ein Haus ein, das sich als Portal zur Hölle entpuppt und just einen neuen Wächter benötigt … – Horror-Roman, der wie „Rosemary’s Baby“ oder „Der Exorzist“ das Erscheinen des sehr realen Teufels in der modernen Welt thematisiert: ein wenig zu ernsthaft und altmodisch aber immer noch spannend und stimmungsvoll.
Jeffrey Konvitz – Allisons Haus weiterlesen

Thorsten Nesch – Joyride Ost

Jugendliche Dummheit und ein Quäntchen Pech machen zwei Jugendliche in Thorsten Neschs Jugendroman „Joyride Ost“ zu Fahnenflüchtigen. Fahnenflüchtige in einem BMW mit einer Geisel im Kofferraum …

Tarik liebt Jana, aber Tarik ist ein Türke und Jana eine strenggläubige Baptistin. Keine besonders gute Mischung. Als ihre Eltern herausfinden, dass sich die beiden näher gekommen sind, gibt es Ärger. Frustriert laufen die beiden weg und treffen sich an der Tankstelle ihrer Kleinstadt. Als dort ein Mann vergisst, den Zündschlüssel seines BMWs abzuziehen, als er auf die Toilette geht, nutzen die beiden Jugendlichen die Chance für einen kleinen „Joyride“, wie sie es nennen.

Thorsten Nesch – Joyride Ost weiterlesen

Philip Kerr – Das Janus-Projekt [Bernhard Gunther 4]

Nach dem II. Weltkrieg versucht Privatdetektiv Gunther einen beruflichen Neuanfang, doch einer seiner ersten Aufträge führt ihn zurück in die nazibraune Vergangenheit, deren kriminelle Vertreter und Seilschaften sich in der jungen Bundesrepublik etabliert haben und Gunther für einen perfiden Plan missbrauchen… – Der neue Roman der Bernhard-Gunther-Reihe fesselt mit Zeitkolorit, ärgert durch seinen schwachen Plot und scheitert mit dem Versuch, das Phänomen des deutschen Verdrängens & Vergessens der Nazi-Jahre fassbar zu machen: lesbar, aber keine Offenbarung.
Philip Kerr – Das Janus-Projekt [Bernhard Gunther 4] weiterlesen