Schlagwort-Archive: SF

C. J. Cherryh – Die letzten Städte der Erde. SF-Erzählungen


Spuk in den Städten der Endzeit

Diese 1981 entstandene Story-Sammlung – in der deutschen Ausgabe als „Roman“ bezeichnet – behandelt nur ein Thema: die verfallenden Städte, nachdem die Menschheit in ferner Zukunft die Erde verlassen hat, um zu anderen Sternen aufzubrechen. Das Leben ist nicht mehr sicher, seitdem sich die Sonne in eine Nova zu verwandeln droht.
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Philip K. Dick – Blade Runner (Hörspiel)

Typisch Dick: Humor, Philosophie und Action

Los Angeles um das Jahr 2030: Blade Runner, Sondereinheiten der Polizei, jagen in den dunklen Straßenschluchten der Mega-Städte nach entflohenen Androiden. Rick Deckard ist einer dieser speziell ausgebildeten Prämienjäger. Mit allen Mitteln versucht er, die Unterwanderung der Menschheit durch die Androiden zu stoppen. Aber ist Deckard selbst ein Mensch? (Verlagsinfo)

Der Autor
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Fredric Brown – Das andere Universum

Metafiktion gegen die Klischees der Science Fiction

Der Blitz einer gigantischen Explosion blendet Keith Winton, und unvermittelt findet er sich in einem anderen Universum wieder: einer Parallelwelt, die zwar fast so aussieht wie seine, die aber von Aliens besucht wird und sich im Krieg mit mysteriösen Arcturiern befindet. Man will ihn töten, weil er eine verbotene Halbdollarmünze verkaufen will, und er gerät in die verdunkelten Straßen des nächtlichen New Yorks, wo unsichtbare Kreaturen ihm nach dem Leben trachten. Des Rätsels Lösung muss bei der Raumflotte zu finden sein. Doch wie soll er dorthin gelangen? Als einfallsreicher Chefredakteur fällt ihm auch dazu etwas ein …
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Joanna Russ – Alyx. Zukunftsroman

Eine Diebin als Vorbild und Vollstrecker

Winzig, aber zäh ist Alyx, die junge Trans-Temp-Agentin. Aus der griechischen Antike geholt, evakuiert die Berufsmörderin eine Gruppe Touristen auf der Siedlerwelt Paradies. Es sind nur 100 Kilometer zu Fuß, aber die haben es in sich. Doch schlimmer als der Krieg und die Winteröde dort sind diese modernen Schützlinge selbst. Alyx aber steht ihre Frau. (erweiterte Verlagsinfo)

Die Autorin
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Philip K. Dick – Eine Handvoll Dunkelheit. SF-Erzählungen

Unterschiedliche Qualität, vereinzelte SF-Klassiker

Der Storyband bietet eine Auswahl von 22 Erzählungen, die zwei Originalsammlungen entstammen: „The Preserving Machine“ (1969) und „A Handful of Darkness“ (1955). Die Qualität ist recht unterschiedlich, aber es sind ein paar Klassiker darunter, so etwa die Story, auf der der Film „Total Recall“ basiert (Nr.12). Leider fehlen die klassischen Stories „Colony“ und Impostor“ in der deutschen Ausgabe.

Der Autor

Philip Kindred Dick (1928-1982) war einer der wichtigsten und zugleich ärmsten Science-Fiction-Schriftsteller seiner Zeit. Obwohl er fast 30 Jahre lang veröffentlichte (1953-1981), wurde ihm zu Lebzeiten nur geringe Anerkennung zuteil. Oder von der falschen Seite: Das FBI ließ einmal seine Wohnung nach dem Manuskript von „Flow my tears, the policeman said“ (dt. als [„Eine andere Welt“ 198 bei |Heyne|) durchsuchen. Okay, das war unter Nixon.

Er war mehrmals verheiratet und wieder geschieden, philosophisch, literarisch und musikologisch gebildet, gab sich aber wegen des Schreibstresses durchaus dem Konsum von Medikamenten und Rauschdrogen wie LSD hin – wohl nicht nur auf Erkenntnissuche wie 1967. Ab 1977 erlebte einen ungeheuren Kreativitätsschub, der sich in der VALIS-Trilogie (1981, dt. bei |Heyne|) sowie umfangreichen Notizen (deutsch als „Auf der Suche nach VALIS“ in der |Edition Phantasia|) niederschlug.

Er erlebte noch, wie Ridley Scott seinen Roman „Do androids dream of electric sheep?“ zu [„Blade Runner“ 1663 umsetzte und ist kurz in einer Szene in „Total Recall“ (1982) zu sehen (auf der Marsschienenbahn). „Minority Report“ und „Impostor“ sind nicht die letzten Storys, die Hollywood verfilmt hat. Ben Affleck spielte in einem Thriller namens „Paycheck“ die Hauptfigur, der auf einer gleichnamigen Dick-Story beruht. Als nächste Verfilmung kam „A scanner darkly“ (Der dunkle Schirm) in unsere Kinos.

Die Erzählungen

1) |Planet für Durchgangsreisende| (Planet for Transients, 1953)

Jahre nach dem Atomkrieg ist die Erde eine radioaktive Hölle geworden. Trent macht sich auf den Weg durch die Wildnis, um Siedlungen von Überlebenden zu suchen. Was er findet, sind lediglich Mutanten wie die Käfer, die Renner, die Tümmler – sie alle können ohne Radioaktivität nicht mehr leben. Als ihm schließlich der Sauerstoff auszugehen droht und verstrahlter Schnee fällt, landet eine Rakete vor seiner Nase. Menschen steigen aus, gehen in den Untergrund der Ruinen, holen wertvolle Dinge wie Bücher oder Gemälde und wollen wieder wegfliegen. Norris erklärt ihm, warum: „Wir Menschen müssen uns eine andere Welt suchen, denn diese hier ist erstens tödlich für uns geworden und zweitens gehört sie jetzt den anderen Spezies, den Mutanten. Wenn wir hier künftig landen wollen, werden wir um Erlaubnis bitten müssen!“

Der Autor dreht das alte Klischee vom heroischen Pionier, der als Eroberer auf eine fremde Welt kommt, völlig um und zeigt so die weiteren schrecklichen Folgen eines Atomkriegs auf. Eine effektive Pointe, aber konventionell erzählt. Der Text wurde später in den Roman „Deus Irae“ aufgenommen, den Dick zusammen mit Roger Zelazny schrieb.

2) |Der berühmte Autor| (Prominent Author, 1954)

Henry Ellis ist ein kleiner Berichteschreiber, der in einer großen Firma im New York der Zukunft arbeitet. Sein Chef Miller hat ihm einen neuartigen Soforttransporter zum Testen gegeben. Mit dieser Technik benötigt er statt zwei Stunden nur noch eine Minute zum Büro. Eines Morgens bemerkt er jedoch am Boden des Dimensionstunnels ein paar winzige Gestalten, die ihm ein winziges Stückchen Papier geben. Dieses lässt er übersetzen: Es sind Fragen. Die Antworten holt er von der Bundesdatenbank ein und lässt diese in die Sprache des Originals übersetzen. Er übergibt sie den kleinen Leuten und geht frohgemut von dannen. Doch am nächsten Tag gibt man ihm neue Fragen, und zwar nicht von den gleichen Leuten. Dieses Spiel geht eine Weile und Ellis fühlt sich immer besser. Zu seinem Vergnügen bemerkt er, dass ihm die kleinen Leute einen Tempel errichtet haben und Brandopfer darbringen. Fantastisch! – Am nächsten Morgen kriegt er einen wütenden Anpfiff vom Boss, der ihm vorwirft, den Test missbraucht zu haben. Und wisse er, Ellis, eigentlich, welche Sprache, die angeblich Centaurianer sprechen, das ist, welche für ihn übersetzt wurde? Althebräisch! …

Die Story beantwortet die alte Frage, woher die Zehn Gebote und die Geschichten des Alten Testaments kommen, auf originelle und sympathische Weise. Zugleich ist sie ein Kommentar auf die Arbeit eines jeden mit Sprache arbeitenden Künstlers, wie Dick einer war.

3) |Der Baumeister| (The Builder, 1954)

Ernest Elwood baut in seinem Hinterhof ein Boot, aber es hat weder Motor noch Segel. Dass dies recht seltsam ist, findet vor allem seine Frau Liz, die immer wütender wird. Denn Ernest kann ihr überhaupt nicht sagen, warum er dieses verflixte Boot baut. Er weiß nur, dass es eilt, doch nur sein jüngerer Sohn Todd hilft ihm, während Bob, der ältere, frotzelt, es sei ein atomgetriebenes U-Boot. Elwood versteht erst, was er da tut, als die ersten dicken schwarzen Regentropfen fallen …

Die Story greift wie „Der berühmte Autor“ auf das Alte Testament zurück: Elwood ist ein moderner Noah. Doch wichtiger als diese Pointe ist die Stimmung des drohenden Dritten Weltkriegs, denn die Jungs müssen für Atomschutzmaßnahmen üben (bekanntes Motto: „Duck and cover!“). Im Büro werden rassistische Äußerungen gemacht, und auch von Kommunistenhatz ist die Rede. Es ist eine allgemeine Stimmung der Angst und Paranoia. Als der drohende Weltuntergang in Form der Sintflut schließlich wirklich eintritt, ist nur Elwood darauf vorbereitet.

4) |Die kleine Bewegung| (The Little Movement, 1952)

Die Spielzeuge proben den Aufstand – ein intelligenter kleiner Spielzeugsoldat lässt sich von einem Straßenhändler an einen Jungen verkaufen und versucht diesen Jungen zu einem gehorsamen Werkzeug seines Willens zu machen. Er und seine Kollegen wollen nämlich die Welt, die von der Rasse der „Erwachsenen“ beherrscht wird, in einem revolutionären Kampf erobern, um selbst die Herrschaft zu übernehmen. Aber „Mein Gebieter“, wie er sich nennen lässt, hat nicht mit dem Widerstand der anderen Spielzeuge gerechnet …

Eine kleine satirische Story über „toy soldiers“, die das Schicksal von Revoluzzern behandelt. Eine kleine Fehlkalkulation, und schon ist es vorbei mit der glorreichen Revolution – besonders wegen der unvermutet auftauchenden Konterrevolutionäre.

5) |Die Konservierungsmaschine| (The Preserving Machine, 1953)

Doc Labyrinth ist ein Genie und Musikliebhaber. Und als solcher ist ihm der Gedanke zuwider, dass in einem Atomkrieg all die kostbaren Partituren der wundervollen Musik Mozarts und Beethovens vernichtet werden könnten. Nach einer genialen Vision lässt er die Konservierungsmaschine konstruieren, die auch einwandfrei funktioniert. Er legt eine Partitur ein und die Maschine produziert ein Lebewesen. Aus Beethoven wird ein bulliger Käfer, aus Mozart ein wunderschöner Vogel, aus Wagner ein elegantes Raubtier. Doc lässt wie weiland Noah (s. o.) alle Tiere im nahen Wald frei. Als er mit seinem Freund, dem Ich-Erzähler, nachsieht, was aus ihnen geworden ist, erlebt er eine böse Überraschung. Die Gesetze der Wildnis haben voll zugeschlagen …

Die Story ist eine einfallsreiche Kontemplation der Beziehung zwischen höchster Kunst (Musik) und der rohen Natur (Wildnis). In einem schlagenden Experiment beweist Dick, dass es keine Brücke gibt. Die von der Wildnis veränderten Musik-Tiere produzieren eine abscheuliche Musik. Fazit: Musik kann nur im Reich des Menschen und des Geistes überleben.

6) |Der unmögliche Planet| (The Impossible Planet, 1953)

Eine alte Lady von 350 Jahren bittet zwei Raumfahrer, Norton und Andrews, um ein Ticket zur Erde. Sie haben von ihrem Großvater davon gehört: eine grüne Welt, mit blauen Meeren. Zuerst lehnen sie verblüfft ab: Diesen Planeten gebe es nicht, er sei nur Legende. Doch ein entsprechend hohes Entgelt überzeugt zumindest Andrews. Und tatsächlich finden sie einen Planeten, der als dritter mit einem Mond in einem Neun-Planeten-System existiert. Aber die Oberfläche ist eine deprimierende Hölle: eine Endzeitvision. Die beiden Betrüger, denen es nur ums Geld geht, versichern der tauben Alten und ihrem Dienstroboter, die sei wirklich die alte Erde – allerdings nach einem verheerenden Krieg gegen die Centaurianer. Während der Roboter die alte Lady im Meer bestattet, findet einer der beiden eine Metallscheibe mit der Aufschrift „E pluribus unum“(*). Er wirft sie in den Müllschlucker und fliegt nach Hause.- Die Story ist einfühlsam geschrieben und weiß durchaus zu beeindrucken, trotz des bitteren Untertons.

*: Inschrift auf einem Dollarstück, das Nationalmotto der USA: „aus vielen (Einzelteilen) eines (ein Ganzes)“.

7) |Der unermüdliche Frosch| (The Indefatigable Frog, 1953)

Prof. Hardy behauptet, dass gemäß Zenos 2000 Jahre altem Paradox vom Frosch und dem Brunnen der Frosch niemals den Brunnenrand erreichen könne. Der Grund: Mit jedem Sprung des Frosches halbiert sich die Sprungweite. Die Folge: Auch bei seinen letzten Sprüngen ist es dem Frosch unmöglich, den Brunnen vollends zu berühren – er nähert sich ihm asymptotisch. Doch Prof. Grote ist gegenteiliger Ansicht. Um dem Streit der beiden ein Ende zu bereiten, verdonnert der Dekan sie, Zenos Paradox experimentell zu beweisen. Dieses hat erst für den eingesetzten Frosch und dann auch für Prof. Grote erstaunliche Folgen.

Das Phänomen des schrumpfenden Menschen, der schließlich in submolekulare Bereiche vorstößt, war z. B. Asimov bereits 1939 bekannt. Insofern ist die Story nicht sonderlich originell. Die Physik an sich ist sogar ziemlich fantasyhaft. Kein Glanzpunkt der Sammlung.

8) |Das kreisende Rad| (The Turning Wheel, 1954)

Jahrhunderte nach dem Atomkrieg ist die Erdoberfläche noch verwüstet, aber tief unter ihr hat sich eine neue Kultur entwickelt. Sie lebt nach der Lehre des kreisenden Rades, wonach jeder auf einer Stufe der Leiter der Existenz wiedergeboren wird. Barde Sung-wu, ein Angehöriger der obersten Kaste, hat wegen einer Sünde Angst, er werde als Schmeißfliege auf einem Sumpfplaneten wiedergeboren werden – nachdem er an einer Seuche in naher Zukunft gestorben ist. – Da erteilt ihm sein vorgesetzter Barde Chai den Auftrag, auf der Oberfläche nachzusehen, was es mit diesem neuen Kult der Tinkeristen auf sich habe. Es soll sich um haarige und schmutzige Kaukasier handeln und, was noch schlimmer ist, um Technos! Als Sung-wu dort auftaucht, erlebt er mehrere Überraschungen, von denen sich die letzte und größte als recht angenehm erweist.

Diese Story präsentiert zwei ausgeformte religiöse Systeme, die die Post-Holocaust-Zukunft beherrschen: die deterministische des Kreisenden Rades und die vom freien Willen bestimmte Religion der Tinkeristen, der wir Westler heute schon anhängen. Welche davon siegen wird? Selber lesen!

9) |Nachwuchs| (Progeny, 1954)

Ed Doyle ist die 4,3 Lichtjahre von Proxima Centauri, wo er Badezimmer verkauft, zur Erde geeilt. Gerade noch rechtzeitig langt er im Krankenhaus an, um seinen frischgeborenen Sohn Peter bewundern zu können. Janet, die Mutter, ist auch schon wieder wohlauf. Die modernen Methoden helfen doch sehr, die Entbindung komplikations- und schmerzlos hinter sich zu bringen. Der Robotarzt Dr. Bish zeigt Ed seinen Sohn. Doch als Ed ihn auf dem Arm zu nehmen wünscht, löst er mit diesem Ansinnen Entsetzen aus, und Janet ist entrüstet. Nur Roboter dürfen Babys in den Arm nehmen, und nur sie dürfen Kinder aufziehen. Nicht auszudenken, welche Neurosen ihr kleiner Sohn sonst von seinen Eltern übernehmen könnte! – Aber wann er denn dann seinen Sohn sehen könne, will Ed niedergeschlagen wissen. Nun ja, nach neun Jahren sei Peters Geist voll ausgeformt und er käme in die Ausbildung, aber dort würden ihn ebenfalls Roboter in ihre Obhut nehmen. Mit 18 also. Vielleicht. – Ed fliegt wieder nach Proxima, aber nach neun Jahren kehrt er zurück. Er hat sich von Janet getrennt. Von Dr. Bish, der im Gegensatz zu Ed kein bisschen gealtert ist, erhält er die Erlaubnis, seinen Sohn 90 Minuten lang zu sehen. Das Treffen verläuft allerdings anders als geplant …

Die anschaulich und lebhaft erzählte Story ist eine erschreckende Vision von einer Zukunft, in der die Roboter das Kommando darüber übernommen haben, wie die Kinder ihrer einstigen Herren aufwachsen. Und deshalb darf es nicht verwundern, dass die Kinder nicht wie Menschen fühlen, sondern wie Roboter denken. Das Szenario erinnert an Jack Williamsons Klassiker „The Humanoids“ aus dem Jahr 1949.

10) |Die Keks-Dame| (The Cookie Lady, 1953)

Bernard Surle ist ein guter Junge, der brav seine Hausaufgaben macht. Seine Eltern erlauben ihm, Mrs. Drew, die alte Dame in der Nachbarschaft, zu besuchen, die immer so leckere Kekse backt. Heute liest ihr Bernard etwas über Peru vor, nachdem er die erste Ladung Plätzchen verputzt hat. Jedes Mal, wenn sie neben ihm sitzt, fühlt sie sich 30 Jahre jünger, doch wenn er wieder geht, kehrt das Alter zurück. – Als Bernard nach Hause kommt, fühlt er sich erschöpft. Erschrocken verbieten ihm seine Eltern, weiter zu der Keks-Dame zu gehen, das heißt: ein einziges Mal darf er noch. Doch dieses Mal wird sein letztes Mal …

Wow, eine echte Horrorstory vom Meister der Science-Fiction! Und eine richtig gruselige obendrein! Sehr stimmungsvoll, einfühlsam, ein wenig sinnlich und sogar anrührend. Sutins Meinung: Eine Abwandlung des Märchens von Hänsel und Gretel …

11) |Markt-Monopol| (Captive Market, 1955)

Edna Berthelson ist eine Ladenbesitzerin in Walnut Creek im Kalifornien des Jahres 1965. Die ältere Dame hat schon eine ganze Familie aufgezogen, doch die Kinder sind inzwischen fast alle weggezogen. Nur ihre Tochter und deren Sohn Jack leben bei ihr. Sie sind die einzigen, die mitbekommen, dass Edna jeden Samstag an einen unbekannten Ort fährt. Diesmal aber gelingt es Jack, unbemerkt mitzufahren und sich in der Ladung des Lasters zu verstecken. Großmutter lenkt ihren Wagen aber seltsamerweise nicht in die Stadt, sondern in das Gebirge des Mount Diablo und dort löst sich ihr Laster plötzlich in Nichts auf, so dass Jack in den Staub des Straßengrabens fällt. –
Was er nicht weiß: Ednas Ziel ist das Lager von abgerissenen Überlebenden eines Atomkriegs. Sie haben aus einer gestohlenen Atomrakete ein Raumschiff gebaut, mit dem sie zur Venus fliegen wollen. Edna bringt die letzten benötigten Ausrüstungsgegenstände und sie bezahlen sie mit Dollarnoten, die für sie selbst längst allen Wert verloren haben, für Edna jedoch nicht. Sie ist die einzige Händlerin für diese Kunden, und das stinkt ihnen gewaltig, weil sie sich ausgenutzt fühlen.

Nun sagen sie ihr, sie brauchen sie nicht mehr. Ihre Proteste, sie habe weitere Waren bestellt und die müssten bezahlt werden, verhallen nutzlos. Sie geht wütend wieder zurück in ihre eigene Zeit, aber sie wird sich rächen: Sie findet die Zeitlinie, in der das Raumschiff einen Defekt hat und wieder zur Erde fällt. Ihre Kunden sind für immer auf Ednas privatem Markt gefangen. (Daher der doppeldeutige O-Titel „Captive Market“: Markt der Gefangenen.)

Die böse Story wendet das Prinzip des Kapitalismus auf die Überlebenssituation nach dem Atomkrieg an – keine schönen Aussichten. Bemerkenswert ist die Art und Weise der Zeitreise: ein Gleiten von einer Dimension zur nächsten. Edna ist eine Art Präkog: Sie kann zwischen den Ereignisketten der möglichen Zukünfte wählen und findet todsicher die gewünschte heraus – Pech für die Venusfahrer.

12) |Wir erinnern uns für Sie en gros| (We Can Remember It For You Wholesale, 1966)

Die Handlung verläuft ein wenig anders als in der von Paul Verhoeven inszenierten Action-Brutalo-Oper „Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger als Douglas Quail. Quail wünschte sich in der reglementierten Realität der Erde schon immer, einen aufregenden Job zu haben, zum Beispiel auf dem Mars. Seine bodenständige Frau Kirsten spottet ihn aus.

Und so geht Dougie zur REKAL AG. Dort erhebt sich die Frage: Verfügt Douglas Quail über vom Militärgeheimdienst implantierte Erinnerungen, ein Agent auf dem Mars zu sein, oder ist er wirklich einer? In jedem Fall ist die Antwort sowohl interessant als auch verblüffend. Das Ersatzprogramm erweist sich als Desaster …

Die Story ist eine Extrapolation der Gehirnwäsche, die das Militär und dessen Geheimdienst an seinen Mitgliedern vornehmen könnte. Ein Vorbild war sicherlich der Film „The Manchurian Candidate“ von John Frankenheimer. In die gleiche Kerbe schlug übrigens 1968 John Brunner mit seinem SF-Roman „Morgenwelt“ („Stand On Zanzibar“), in dem ein harmloser Wissensarbeiter vom Militär zu einem paranoiden Superkiller umgekrempelt wird.

13) |Über der öden Erde| (Upon the Dull Earth, 1954)

Die Aliens sehen wie weiße Engel aus: geflügelt, majestätisch – und blutgierig. Silvia Everett hat sie mit Blut aus ihrer Dimension auf die Erde gerufen, denn sie will sich ihnen unbedingt anschließen – so wie eine Raupe, die auf der öden Erde umherkriecht, sich in einen frei fliegenden Schmetterling verwandeln will. Silvias Freund Rick ist hingegen skeptisch, denn er will die 19-Jährige eigentlich heiraten und mit ihr eine Familie gründen.

Doch die Aliens schnappen sich Silvia aus dem Keller des elterlichen Hauses und entführen sie in ihre Dimension. Rick erhebt sich aus der Verwüstung, klagt über Silvias verbrannten Körper und beschwert sich bei einer Abordnung der Engelartigen. Wie sich herausstellt, hat eine Fraktion der Fremden übereilt gehandelt: Silvia darf zurückkehren. Allerdings gibt es dabei einen Haken: In welchen Körper soll Silvias Seele nun zurückkehren? Als es wirklich passiert, ist das Ergebnis für Rick ebenfalls deprimierend: Jede Frau auf Erden sieht wie Silvia aus – und bald auch jeder Mann. Jeder …

Die Story beginnt sehr romantisch: mit Engeln und einer begeisterten jungen Frau. Doch ganz allmählich breitet sich zunehmendes Grauen aus, das bis zur letzten Konsequenz ausgespielt wird. Bemerkenswert ist vor allem das philosophische Konzept, dass eine Seele aus dem „Jenseits“ zurückkehren könnte, dabei jedoch mangels Ursprungskörper in ALLE verfügbaren Menschenkörper eindringt und diese verformt: „form follows function“, um einen alten Designgrundsatz zu zitieren. Es handelt sich um eine quasi-göttliche Invasion der besonders gruseligen Art. Sutins Meinung: Dicks Variation des Mythos von Orpheus und Eurydike.

14) |Ausstellungsstück| (Exhibit Piece, 1954)

Miller ist Angestellter der Geschichtsagentur im 22. Jahrhundert und betreut die Ausstellung für das 20. Jahrhundert. Er hat sich allerdings auf seine Epoche viel zu weit eingelassen, findet der Politkomissar Fleming, der Vertreter des Weltdirektorats. Miller raucht sogar Pfeife und trägt eine Lederaktentasche, es ist kaum zu fassen. – Als Miller ein Geräusch aus seiner Ausstellung hört, geht er hinein und stößt dort auf eine Mutter mit zwei Jungen. Sitzen beim Frühstück und erkennen in Muller ihren Vater bzw. Gatten George. – Miller geht zum Psychiater Dr. Grunberg, um herauszufinden, welche der beiden Welten real ist. Antwort: beide! Den Beweis findet Miller, als er zurück zur Grenze in die Welt der Geschichtsagentur geht. Sein Chef droht, die Ausstellung zu zerstören. Miller lacht und zieht es vor, in seiner neuen „Welt“ zu leben. Da erlebt er eine böse Überraschung …

Eine typische Dick-Story über Realitätsverlust, diesmal aber mit einer makaberen Pointe.

15) |Kriegsspiel| (War Game, 1959)

Generäle spielen Kriegsspiele, das weiß jeder. Aber in einer von Krieg und Militarismus beherrschten Nation (wie etwa der amerikanischen) spielen auch Kinder Kriegsspiele. Buchstäblich. Und diese muss ja jemand testen. Die Tester von der Importkontrolle erhalten Spielprototypen von einem mysteriösen Hersteller, der auf dem Jupitermond Ganymed herstellen lässt. Und die Ganymedianer sind ja bekanntlich ziemlich hinterlistige Burschen.

Den Testern ist ihnen nicht ganz klar, um wen es sich bei den Ganymedianern genau handelt, aber das Spiel ist interessant, geradezu realistisch – und didaktisch. Die Tester werden trainiert, ohne es zu merken. Aber wenn die Hersteller nun Aliens wären, die die Abwehrbereitschaft der Erde prüfen wollten?

„Kriegsspiel“ ist eine unterhaltsame und augenzwinkernde Satire auf Militär und Geheimdienst, die es in sich hat.

16) |Die Kriecher| (The Crawlers, 1954)

Gretry untersucht im ländlichen Tennessee des Jahres 1954 das Auftauchen der Kriecher. Schon wieder ist einer überfahren worden: ein weicher Körper, maximal einen Meter lang, mit Scheinfüßchen, aber einem Kopf mit erstaunlich menschlichen Augen. Diese Wesen bilden eine Kolonie und bauen in die Tiefe, weiß Gott, wie tief. Und wo kommen sie bloß her? Kann das Strahlenlabor hinter den Hügeln daran schuld sein?

Gretry besucht die Familie Higgins auf ihrer Farm. Die Alte fordert ihn auf, die Wesen möglichst rasch auszurotten, aber ihre 19-jährige Tochter hat eines der Wesen zur Welt gebracht. „Sie fressen nur Blätter und Gras“, sagt sie. Der Nachbar hat sein Kriecherjunges erschossen, aber sie und ihr Mann bringen das nicht übers Herz. Sie geben es Gretry mit, auf dass er es der Kolonie der Kriecher übergebe. Doch er hat andere Pläne: Extermination. Unterdessen wundern sich die Kriecher in der Tiefe, dass manche Mütter Missgeburten hervorbringen: Diese schreien und habe steife Gliedmaßen. Aber man kann sie schnell loswerden und für immer zum Schweigen bringen.

Die Story schildert die mutierende Wirkung radioaktiver Strahlung auf sehr drastische Weise. Unbehaglich ist die Vorstellung, dass Menschenbabys programmiert sein könnten, eine Art Maulwurfs-Kolonie zu binden. Noch unschöner ist jedoch der Gedanke, Frauen könnten Kriecher gebären und sie NICHT töten wollen. (Man sollte bedenken, dass Dick selbst drei Kinder hatte.)

17) |Kriegsveteran| (War Veteran, 1955)

Eine bis zum Schluss sehr spannende und clever konstruierte Story. Man schreibt den 4. August 2169, als ein Mann namens David Unger im Krankenhaus von New York City auftaucht, der behauptet, im Jahr 2154 geboren worden zu sein. Dabei sieht aus wie ein Neunzigjähriger. Hat er eine Zeitreise gemacht? Dr. Vachel Patterson und seine Kollegin Dr. Evelyn Cutter stehen vor einem Rätsel.

Doch was der Kriegsveteran über die Erde der Zukunft zu erzählen hat, ist brisanter Zündstoff. Denn inzwischen bahnt sich durch den von Konzernchef Gannett angeheizten Nationalismus der Erde ein Krieg an. Die Venusier werden bereits als „Schwimmfüße“ beschimpft, weil sie grüne Haut und Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen haben. Die Marsianer disqualifiziert man gleichfalls: als „Krähen“. Auch ihre Kriegsschiffe sind schwarz. Gannett hofft offensichtlich, einen Wirtschaftskrieg mit Mars und Venus gewinnen zu können.

Doch Veteran David Unger erzählt etwas anderes. Er sei der einzige Überlebende der irdischen Schlachtflotte, die unter Commander Nathan West flog und von den Flotten der zwei Kolonialwelten völlig vernichtet worden sei. In der Folge wurden sowohl die Erde durch „C-Raketen“ (Kobaltbomben vermutlich) und auch alle Archen vernichtet.

Doch Patterson entdeckt eine Unstimmigkeit: Die ID-Nummer, die David Unger vorweist, passt auf einen 15-jährigen Rekruten, aber der heißt nicht Unger, sondern Ben Robinson. Folglich kann Unger kein Mensch von der Erde sein. Ist er überhaupt ein Mensch? Aber wer hat ihn gebaut? Wahrscheinlich weiß der Venusier V-Stephens mehr, aber er ist soeben aus seiner Verwahrzelle in der Klinik entkommen …

In dieser komplexen Story vermischt der Autor zahlreiche Zutaten der Science-Fiction zu einem abenteuerlichen Garn mit einem verblüffenden Schluss. Die Story hat Novellenlänge: Sie ist 50 Seiten lang. Und jede dieser Seiten ist gespickt mit einer überraschenden Wendung und / oder mit gewalttätiger Action, bei der vornehmlich „Kältestrahler“ zum Einsatz kommen. Die Story beweist, dass Dick auch die längere Form einwandfrei und sehr unterhaltsam handhaben konnte.

18) Die Nummer eins unter den Stellvertreter-Jobs (Top Stand-By Job, 1963)

Eine feindliche Alien-Flotte greift die Ränder des Sonnensystems an und im Weißen Haus herrscht ein Notstand. Der Vizepräsident Gus Schatz ist gestorben und man holt als Ersatz Maximilian Fischer, ebenfalls einen alten Gewerkschafter. Die Gewerkschaften stellen per Gesetz den Stellvertreter des US-Präsidenten. – Zunächst erwartet Max nur ein ruhiger Job, den er mit einem Hobby ausfüllen kann. Der Vize hat ja keine Entscheidungsbefugnis, im Gegensatz zum Präsidenten. Und der Präsident wird von Unicephalon 40-D, einem leistungsfähigen Problemlösungsroboter, gestellt. Stressig wird es jedoch für Max Fischer, als die Aliens den Unicephalon 40-D durch einen Angriff ausschalten: Max ist jetzt selbst Präsident! Aber in keiner Weise dafür ausgebildet.

Die Story macht ziemlich kiritische Bemerkungen darüber, ob die Gewerkschaften in der Lage wären, das Land im Fall des Falles zu führen. Die Antwort lautet eindeutig nein. Vetternwirtschaft und Skrupellosigkeit in Kombination mit Machthunger gehen eine unheilvolle Verbindung ein.—In dieser Story tritt erstmals Jim Briskin auf, die Hauptfigur in Dicks Roman „Das Jahr der Krisen“ (The Crack in Space, 1966). Er ist in der Story der News-Clown und hat bereits die Ambitionen auf die Präsidentschaft, die sich im Roman erfüllen.

19) |Hätte es Benny Cemoli nicht gegeben| (If There Were No Benny Cemoli, 1953)

Zehn Jahre nach dem Atomkrieg trifft im Jahr 2180 die Menschenflotte von Proxima Centauri ein, um erstens den Wiederaufbau zu beginnen und zweitens die Kriegsverbrecher mit ihrer Polizei aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen. Doch in den Ruinen von New York City, wo die entsprechenden Köpfe ihr Hauptquartier aufgeschlagen haben, kann man sich an keine Kriegsverbrecher nicht erinnern. Vielleicht weiß die Zeitung mehr? Man setzt das Elektronengehirn Cephalon der „New York Times“ wieder instand und freut sich auf die erste Ausgabe.

Die Verwunderung ist groß, als in der Erstausgabe die Rede von einem gewissen Benny Cemoli ist, der einen Aufstand gegen die Invasoren von Centauri anführe und deren Barrikaden stürme. Nachforschungen ergeben, dass es sich um reine Fiktion handelt. Aber warum und wozu? Wie wie kommt eine selbstlenkende Zeitung dazu, so etwas zu erfinden?

Die Story lässt sich leicht auf die Kriegsverbrecherjagd nach dem Zweiten Weltkrieg anwenden und als recht ironischer Kommentar verstehen. Indem den Centaurianern ein fiktiver, aber gut „dokumentierter“ Sündenbock präsentiert wird, lenkt die Jagd nach ihm ihre Aufmerksamkeit von den echten Verbrechern ab. Diese residieren weiterhin in einer großen Parteizentrale in Oklahoma City …

20) |Rückzugs-Syndrom| (Retreat Syndrome, 1964)

John Cupertino wird auf dem Higway nach Los Angeles wegen überhöhter Geschwindigkeit angehalten – ein schweres Vergehen. Der „Befriedungsoffizier“ Myers ist jedoch ebenso geschockt wie seine Cops, als er sieht, wie Cupertinos Hand im Armaturenbrett des Wagens verschwindet. Gerne entspricht er dessen Wunsch, sofort seinen Psychiater sprechen zu wollen.

Dr. Gottlieb Hagopian frischt Cupertinos Gedächtnis auf. Er lebe seit drei Jahren auf Terra, nachdem er auf dem Jupitermond Ganymed beinahe seine Frau Carol umgebracht hätte. Carol hatte zuvor die Umsturzpläne der Ganymedianer, in die ihr Mann eingeweiht war, an die gleichgeschalteten Medien verraten. Daraufhin hatte Terra Ganymed abgeriegelt, und der geplante Aufstand war gescheitert. John wollte sie erschießen, verfehlte sie aber.

Cupertino ist aber felsenfest überzeugt, sie erschossen zu haben. Er fährt zu der von Hagopian angegebenen Adresse Carols bei Los Angeles. Tatsächlich: Carol lebt. Natürlich ist sie nicht gut auf ihn zu sprechen. Allerdings kann auch hier Johns Hand in das Videofongerät eindringen – dieser Ort ist nicht real. Aber wo befindet sich dann Cupertino wirklich? Und wie schafft man es, ihn in dieser terranischen Illusion gefangen zu halten? Ist er es selbst, durch sein Schuldgefühl?

Wie bei Sartre ist der Protagonist in seiner privaten Hölle gefangen, die er sich bei seinem Rückzug aus der Realität selbst gezimmert hat. Der Autor hat hier den Schritt von der Suche nach der allgemeinen zur persönlichen Wirklichkeit (koinos kosmos vs. idios kosmos) getan.

21) |Der Preis für den Kopierer| (Pay For the Printer, 1956)

Die Erde ist nach dem Atomkrieg wüst und unwirtlich, aber noch schlagen sich ein paar Siedlungen durch. Sie schaffen das, weil die Biltong, Aliens aus dem Centauri-System, für sie ihre Zivilisationsgegenstände kopieren: Objekte, Essen, Kleidung, sogar Autos und Häuser. Aber als Alle Fergesson, Charlotte, Ben Untermeyer und John Dawes zu einem der Biltongs fahren, um kostbare Originale kopieren zu lassen, werden sie bitter enttäuscht: Der Biltong liegt im Sterben. Er kann sich auch nicht fortpflanzen, weil die unnatürliche Trennung von seinen Genossen ihn geschwächt hat.

Aber die Tätigkeit des Kopierers hat die Mitglieder der Siedlung so lange Jahre verwöhnt, dass sie nun frustriert und wütend sind, als es für sie keinen Wohlstand auf Pump, sondern nur noch Not gibt. Sie töten ihn. Fergesson & Co. können dem Mob gerade noch entkommen. Aber es gibt Hoffnung: Dawes lebt schon lange ohne Biltong-Kopierer und hat eine hölzerne Tasse und ein Messer mit eigenen Händen hergestellt – unfassbar, denkt Untermeyer.

Der Autor warnt davor, sich auf Hilfe von außen zu verlassen, wenn der Fall der Fälle eingetreten ist. Das Ende der künstlichen Versorgung bedeutet nicht den Untergang der Menschheit, sondern eine Chance für den Neuanfang – sofern man sie als solche begreift, wie Dawes es tut.

22) |Was die Toten sagen| (What the Dead Men Say, 1964; 60 Seiten)

Diese Erzählung von 1964 bildet eine Vorstufe zu Dicks Roman „UBIK“ (1969).-
Im Kälteschlaf-Institut von Herbert Schönheit von Vogelsang in L.A. können Menschen im Kältepack dennoch für gewisse Zeit – das „Halbleben“ – mit ihrer Umwelt kommunizieren, etwa um Ratschläge zu erteilen und Anteil an bestimmten Entwicklungen zu nehmen. Doch Louis Sarapis, der mächtigste Industriemagnat des Sonnensystems, reagiert nicht auf Versuche, ihn im Halbleben zu reaktivieren. Stattdessen meldet er sich plötzlich aus einer Lichtwoche Entfernung aus dem Weltall, um die Nominierung seines Präsidentschaftskandidaten zu forcieren. Hintergrund dieses Phänomens ist offenbar, dass Sarapis‘ Erbin Kate Egmont Sharp, eine drogensüchtige Psychotikerin, zusammen mit diesem Kandidaten die Stimme aus dem All vorgetäuscht hat. Johnny Barefoot, einer der beiden Protagonisten der Story und Sarapis’ Ex-PR-Berater, bricht am Schluss auf, um die Frau auszuschalten, obwohl er sich in sie verliebt hat.

Wenngleich der Autor eine logische Erklärung für die Vorgänge findet, haftet der Geschichte über weite Strecken ein starkes Gefühl der Verfremdung und des Unbehagens an. Motto: Die Welt ist aus den Fugen geraten, doch Dicks Helden geben niemals den Versuch auf, die Rätsel aufzuklären. Dick hat hier das Potenzial verschenkt, die Aspekte des Halblebens im Kältepack auszuloten. Das hat er 1969 in „UBIK“ nachgeholt. Außerdem ist die Novelle über weite Strecken ziemlich langweilig, denn es passiert nichts. Die entscheidende Wende wird erst sehr spät herbeigeführt. Das Phänomen, dass Sarapis’ Sender auf allen elektronisch gesteuerten Funkkanälen (TV, Telefon, Funk, Radio) zu empfangen ist, wird nie erklärt. Das ist ebenfalls ziemlich unbefriedigend.

_Die Übersetzung_

Der Name des Übersetzers wird als Thomas Ziegler angegeben. Dahinter verbirgt sich der Autor und Übersetzer Rainer Zubeil. Seine Arbeit war offenbar schlecht bezahlt, denn er leistete sich ein paar Schnitzer, die er bei sorgfältigerer Arbeit wohl vermieden hätte. In der Story „Kriegsveteran“ ist die besagte Titelfigur mal 98 Jahre alt (Seite 272), dann aber wieder 89 Jahre alt (S. 289). Was ist nun richtig? Der Leser kann es leicht selbst ausrechnen. Das hätte der Übersetzer aber für ihn erledigen können, oder?

„Sein Antlitz verriet eisernes Entsetzen …“, heißt es auf Seite 61. Auch dieser Flüchtigkeitsfehler lässt sich zum Glück enträtseln. Statt „eisern“ muss es „eisig“ heißen. Noch eine Kostprobe gefällig? „… als er sein miniaturenes Abbild davonrennen sah.“ (S. 99) Nun ist „miniaturen“ kein deutsches Wort, passte aber offenbar so schön in die Zeile, dass der Übersetzer es stehen ließ. Richtig sollte es „miniaturisiertes“ oder „en miniature“ heißen. – Lassen wir’s mit den Beispielen dabei bewenden. Der Eindruck ist klar genug.

Unterm Strich

Diese Sammlung enthält 22 Storys Philip K. Dicks, die meistens in den fünfziger Jahren geschrieben und veröffentlicht wurden. („The Preserving Machine“ erschien zwar 1969, enthielt aber nur vier Storys aus den Sechzigern, der Rest stammte aus den Fünfzigern.)

Sie veranschaulichen demjenigen, der sich Dicks Werk erschließen möchte, Zugang zu einigen zentralen Themen der frühen Schaffensperiode darin: Immer wird das Thema des Atomkriegs durchgespielt, ganz besonders in seinen Folgen und in seiner Rechtfertigung. Die Folgen können humorvoll dargestellt werden wie in „Das kreisende Rad“, meist aber besteht eine Art Trauma.

Ganz besonders ironisch sind Post-Holocaust-Stories, in denen die Kriegsverbrecher ungeschoren davonkommen. Dagegen sind Erzählungen über Realitätsverlust wie etwa „Ausstellungsstück“ noch selten. Solche Storys sind eher in der zweiten Schaffensphase ab 1962 die Regel.

Im Nachwort umreißt Herausgeber Hans-Joachim Alpers noch einmal die grundlegenden Merkmale und Interessen des Autors, die in seinen Erzählungen und über 40 Romanen zu finden sind. Als Alpers dieses Nachwort schrieb, lebte Philip K. Dick noch. Er starb erst im März 1982.

Alpers hätte besser mal die Tatsache erklären sollen, warum die Sammlung ausgerechnet „Eine Handvoll Dunkelheit“ heißt. Eine Story dieses Titels gibt es nach meinen Informationen nicht, sondern das ist der Titel der Original-Collection. Eine mögliche Erklärung: Wenn man dieses Buch in der Hand hält, schaut man in eine Hand voll Dunkelheit …

Die Übersetzung ist gekennzeichnet von schlechtem Deutsch und von Flüchtigkeitsfehlern, was zu Punktabzug führt. Wenigstens stört das den Lesefluss meist nicht, so dass man den Text in der Regel einwandfrei genießen kann.

Taschenbuch: 464 Seiten
Originaltitel: A handful of darkness, 1955 & The preserving machine, 1969
Aus dem US-Englischen von Thomas Ziegler und Andreas Brandhorst.
ISBN-13: 9783811835436

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 3,00 von 5)

Joan D. Vinge – Bernsteinaugen und Zinnsoldaten. SF-Erzählungen

Klassische Frauen-Science-Fiction

Diese Story-Sammlung enthält die berühmtesten Erzählungen der HUGO-Preisträgerin Joan D. Vinge. Dazu gehören die zwei Titelstories „Bernsteinaugen“, mit der sie 1978 den HUGO Award errang, und „Der Zinnsoldat“ sowie „Das Kristallschiff“. Zu jeder Geschichte und zum gesamten Band liefert die Autorin jeweils ein Nachwort mit, das den jeweiligen Hintergrund zur Entstehung erläutert.

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Michael Swanwick – Vakuumblumen. Cyberpunk-Roman

Abenteuer in einem seltsamen Sonnensystem

Dies ist die Geschichte von Rebel Elisabeth Mudlark, der geklonten „Tochter“ einer biogenetischen „Zauberkünstlerin“. Sie kommt im Auftrag ihrer „Mutter“ von den Kometenwelten der Oortschen Wolke ins Innere Sonnensystem, wo sich sehr viel verändert hat. „Vakuumblumen“ ist ein farbenprächtiger, tempo- und einfallsreicher Abenteuerroman, der die raumfahrende Menschheit in einem ganz anderen Blickwinkel zeigt als die Hochglanzprospekte der NASA und der Lagrange-Gesellschaft. (Verlagsinfo)

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Hamilton, Peter F. – Den Bäumen beim Wachsen zusehen

Ein rätselhafter Mord ereignet sich an der ehrwürdigen Universität von Oxford: Im rechten Auge des Studenten Justin Ascham Raleigh steckt ein Messer. Doch weder den Mörder noch seinen Fluchtweg noch das Motiv vermag Chefinspektor Pitchford herauszufinden. Wie es scheint, haben Justins fünf engste Freunde alle ein Alibi bzw. kein Motiv.

Der Familien-Ermittler der Raleighs hofft auf den technischen Fortschritt, um die Beweismittel, wo sie auch sein mögen, herbeizuschaffen, um den wahren Mörder zu finden, zu überführen und seiner gerechten Strafe zuzuführen.

In der Tat dauert es noch 206 Jahre, bis Edward dieses Kunststück gelingt, 10.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Und im Vatikan herrschen immer noch die Borgias.

Der Autor

Peter F. Hamilton wurde 1960 in Rutland, GB, geboren. 1988 erschien seine erste Kurzgeschichte in dem Science-Fiction-Magazin „Fear“. Sein erster Roman, der erste Band der „Mindstar“-Trilogie, erschien 1993. Das Hauptwerk Hamiltons bildet bislang der (im Deutschen) sechsbändige |Armageddon|-Zyklus, eine der wichtigeren New Space Operas.

Der Sprecher

Detlef Bierstedt ist ein gefragter Synchronsprecher, der u.a. George Clooney und Jonathan Frakes (Star Trek TNG) seine Stimme leiht und mit Begeisterung Hörbücher interpretiert. Für |Lübbe Audio| hat er die Dick-Francis-Romane gelesen.

Handlung

Wir schreiben das Jahr 1832. Im englischen Oxford klingelt zu nachtschlafender Stunde das Telefon von Edward Bucahanan Raleigh, einem Ermittler der weitverzweigten Familie Raleigh. Am Apparat: Francis Haughton, der Repräsentant bzw. Unterhändler des Klans. Schlechte Nachrichten: Einer der Ihren wurde an der Uni tot aufgefunden – ermordet!

Im Elektroauto – Verbrennungsmotoren sind verboten – fahren die beiden mit dem Affentempo von 25 km/h zur Uni, ans Dunbar College. Seltsam, es sind immer noch Leute unterwegs, die Hälfte davon schwangere Frauen. Chefinspektor G. A. Pitchford empfängt die beiden Herren im Zimmer des getöteten Studenten. Es ist voller Sternkarten, Fotos und einer elektrischen Schreibmaschine. Justin Ascham Raleigh studierte hier Astronomie, nun steckt ihm ein Messer im Hirn.

Er war Mitglied einer Freundesgruppe von weiteren fünf Studenten und Studentinnen, die der Reihe nach von Inspektor Pitchford verhört werden. Peter Samuel Griffith und Carter Osborne Kenyon werden entlastet. Bethany Maria Caesar aus dem Klan der Caesars war Justins Freundin, er wollte sie heiraten und viele Kinder mit ihr haben. Sie studiert Biochemie und steht kurz vor der Entdeckung der DNS. Sie kommt ja wohl kaum als Täterin infrage.

Dann sind da noch die schwangere Christine Jayne Lockett, eine Künstlerin von lockeren Sitten, und der zwielichtige Anthony Caesar Pitt. Er macht seine Aussage nur in der Obhut des Familien-Repräsentanten Neill Heller Caesar. In der Mordnacht will Anthony in einem illegalen Spielklub des Lasters gefrönt haben. Immerhin kann Edward Raleigh Anthonys Zigarrenstummel finden und in einer Plastiktüte verstauen. Es sieht ganz so aus, als habe jeder der fünf Studenten ein gutes Alibi. Wie aber konnte der Mord verübt werden, wie konnte der Mörder entkommen? Niemand hat ihn aus Justins Zimmer kommen sehen. Ist er an der Glyzinie vor dem Fenster hinuntergeklettert?

Edward schwört bei seiner Familienehre, er werde den Mörder bis ans Ende seiner Tage verfolgen und nicht ruhen, bis er ihn – oder sie – dingfest gemacht hat. Einstweilen hinterlegt er seine Beweismittel in der Gefrierkammer des Gerichtsmedizinischen Instituts auf dem Raleigh-Hauptsitz in Southampton. Es wird von der attraktiven Rebecca Raleigh Stothard geleitet, einer klugen Frau, die zwar – wie viele der Langlebigen in den Familien — bereits über hundert Jahre alt ist, aber durch ihre Verjüngungskuren aussieht wie Mitte Zwanzig. Edward findet sie ausnehmend verführerisch. Trotz ihrer 17 Kinder.

Manhattan im Jahre unserer Herrin Maria 1853. Die anhaltende Bevölkerungsexplosion hat auch die Völker, die sich seit 1630 in Nordamerika niedergelassen haben, zu einer platzsparenden Bauweise in die Höhe gezwungen. Es gibt TV, Luft- und Raumfahrt, sogar einen Kanaltunnel. Neill H. Caesar empfängt Edward. Edward bestätigt Anthonys Alibi. Im Vatikan herrschen immer noch die Borgias.

Der Jupitermond Ganymed im Jahre unserer Herrin Maria 1920. Die „Kuranda“ legt als erstes Raumschiff der Raleighs auf einer der vielen Welten der Familie Caesar an. In der Ganymed-Hauptstadt Neu-Mailand wird Edward von Bürgermeister Ricardo Saville Caesar empfangen. Die Raleighs und Percys fragen sich besorgt, was zum Kuckuck die Caesars mit all ihren Welten vorhaben.

Edward besucht Bethany Maria Caesar auf dem vulkanischen Jupitermond Io in ihrem Forschungsinstitut. Bei ihrem Anblick ist er entsetzt: Sie sieht ALT aus! Zu seiner Bestürzung hat sie Einwände gegen die Langlebigkeit der Familien: Deren Mitglieder würden sich gegen Wandel wehren. KIs nähmen ihnen die Arbeit ab, so dass sie in Trägheit verfielen. Bethany, einst Justins Braut, entwickelt die Nanotechnologie zur Biononik.

1971, das Raleigh Familien-Institut. Bethanys Biononik hat die Menschen quasi zu Göttern gemacht. Tod, Altern, sogar Arbeit gehören der Vergangenheit an. Das Wichtigste ist nun Materie, aus der man per Biononik einfach alles herzustellen vermag. Der Bevölkerungsdruck hat die Menschheit sich auf die gesamte Galaxis ausbreiten lassen, seitdem sie mit ihren Raumschiffen durch Wurmlöcher zu den fernsten Welten gelangen kann. Im Vatikan herrschen immer noch die Borgias.

Doch der Mord an Justin Raleigh ist ungelöst, ungesühnt, und Edward, nunmehr im Obersten Familienrat der Raleighs, darf nicht ruhen. Er zitiert Christine Jayne Lockett herbei. Anders als die Familien und die meisten Kurzlebigen ist sie ein Hippie und eine Naturanhängerin, die die Langlebigkeit und Rückstellung ablehnt. Gegen ihren Willen lässt er – wie in der Dick-Story „Paycheck“ – ihr Gedächtnis auslesen und nach Erinnerungen aus der Mordnacht durchsuchen. Doch die „Zeitreise“ beweist ihre Unschuld. Wäre Edward nicht bereits so mächtig, würde sie ihn vor den Kadi zitieren.

Wieder führt Edward sein Weg zu Carter Osborne Kenyon, einem der Sechs aus Oxford. Im Jahr 2000 unserer Herrin Maria besucht er ihn in der Erdumlaufbahn. Obwohl das Gehirn des Kernphysikers nach einem schweren Unfall schwer beschädigt ist, lässt er auch dessen Gedächtnis analysieren. Und diesmal findet er auf der erneuten „Zeitreise“ ins Jahr 1832 den ersten handfesten Hinweis auf den Mörder.

Wir schreiben das Jahr unserer Herrin Maria 2038. Region Eta Carinae, eines 10.000 Lichtjahre von der alten Erde entfernten Riesensterns. Edward ist gekommen, um den Täter zu verhaften und einer, wie er behauptet, „gerechten“ Strafe zuzuführen. Doch der Unterschied zwischen Humanität und Barbarei ist manchmal nur eine Frage des Standpunktes…

Mein Eindruck

Der alternative Geschichtsverlauf, den Hamilton in seiner wunderbar spannenden Detektivgeschichte klassischen Zuschnitts zeichnet, blickt auf eine ehrwürdige britische Tradition zurück. Schon in den sechziger Jahren stellte sich der britische Autor Keith Roberts ein England vor, in dem es dem Vatikan gelungen war, die vom katholischen Glauben abgefallene Königin Elizabeth I. ermorden zu lassen, In der Folge konnte die Armada des katholischen Königs Philipp von Spanien England erobern und komplett auf katholische Werte zurückstellen.

Doch anders als bei Roberts stellt sich Hamilton vor, dass diese Wende nicht zu technischem Rückschritt – statt Telefon gibt es noch Signalmasten für die Nachrichtenübermittlung – geführt hätten, sondern wegen der Bevölkerungsexplosion zu beschleunigtem technischem Fortschritt. Eine dünne privilegierte Oberschicht, die Familien der Langlebigen, treibt die wissenschaftlichen Studien voran, während die Kurzlebigen oder „Ephemeren“ niedere Arbeiten à la Morlocks verrichten. Revolutionen hat es schon lange nicht mehr gegeben, in Rom herrschen die Kaiser und der Kongress des Zweiten Imperiums, im Vatikan die Borgias. Diese vertreten die biblische Doktrin von Johannes Paul II.: Keine Verhütung, sondern vermehret euch und bevölkert die Erde – und den gesamten Weltraum am besten gleich dazu!

Das Raffinierte und wirklich Befriedigende an dieser Erfindung Hamiltons ist, dass es genau diese Kluft zwischen Lang- und Kurzlebigen ist, die das Motiv für den Mord an Justin liefert. Edward, der unermüdliche Ermittler, muss erst diesen Balken in seinem Auge finden, bevor er überhaupt dessen Bedeutung begreift. Und so das Motiv erkennt. Seine Strafe ist furchtbar und hat nicht wenig von einem Mord und ewiger Verdammnis an sich. An diesem Punkt ist es dem Hörer überlassen, ein moralisches Urteil zu fällen: Der Mord musste gesühnt werden, in Ordnung – aber wirklich um diesen Preis?

Der Sprecher/Die Inszenierung

Detlef Bierstedt liest ausdrucksvoll, leicht verständlich, nicht zu überhastet. Den verschiedenen Figuren vermag er unterschiedliche Charakteristika zu verleihen, so dass man sie unterscheiden kann. Das einzige Detail, das ein Englischkenner einwenden könnte, ist seine Aussprache des Familiennamens Raleigh. Bierstedt spricht das [rälli] aus, als handle es sich um eine Rallye statt um eine Sippe. Ich würde es [rå:li] aussprechen, so wie die Universitätsstadt in North Carolina – oder wie in „Sir Walter Raleigh“, einem der ersten Entdecker Nordamerikas zu Elizabeths I. Zeiten.

Unterschiede zum Buch

Wieder einmal konnte ich den gesprochenen Text mit dem in Peter Crowthers Anthologie „Unendliche Grenzen“ (Bastei-Lübbe 2003, Nr. 23266) vergleichen. Dabei stellte ich fest, dass etliche Seiten gestrichen worden sind. Dies betrifft zum Beispiel ein Forschungsgebiet, das Justin beackerte. Allerdings ist das nicht weiter schlimm, wie mir scheint, denn der Begriff C-60 taucht später nie wieder auf, ist also ohne Belang. Andere Kürzungen betreffen Ausführungen über die Weiterentwicklung der Menschheit während der erzählten Zeit. Dass Bethany die Biononik (= Nanotechnologie) entwickelt hatte, entging mir zunächst, das wird aber später nochmals separat erwähnt.

Unterm Strich

Schon die erste Zeile der Story verblüfft den Hörer: ein Telefon im Jahre 1832?? Und so geht es bis zum Schluss weiter. Die Geschichte ist eine Entdeckungsreise, die ihren eigenen Reiz ausübt.

Zum anderen ist sie auch eine spannende Detektivgeschichte klassischen Zuschnitts, die eines Sherlock Holmes oder Auguste Dupin (E. A. Poe) würdig wäre. Wenn man alle Möglichkeiten ausgeschlossen hatte, bleibt frei nach Ockham und Holmes nur noch eine logische Lösung übrig, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mag. Diese spezielle Lösung jedoch bricht einem schier das Herz. Dass sie an den Kern des Problems dieser Zukunft rührt, macht sie so zwingend und überzeugend. Sie führt uns selbst zur Frage zurück, was passieren würde, wenn jeder es dem Vatikan recht machte. Selbst wenn dort nicht die Borgias herrschen.

Das Hörbuch

Bierstedts Lesung ist ein Vortrag, dem man gerne folgt (selbst wenn man sich nicht wie ich Notizen dabei macht). Man muss schon die Ohren ein wenig spitzen, um alle ironischen Abweichungen von der uns bekannten Geschichtsschreibung zu bemerken. Dennoch: Ein ernsthafter Ermittler vom Zuschnitt eines Edward Raleigh muss auch entsprechenden Ernst auszudrücken vermögen. Es geht ihm um nichts Geringeres, als den Mörder zur Strecke zu bringen, möge es auch über 200 Jahre dauern.

Diesen Ernst glaubwürdig zu vermitteln, gelingt Bierstedt meiner Ansicht nach. Auch wenn ich über die Aussprache von „Raleigh“ ganz anderer Ansicht bin.

_Michael Matzer_ © 2004ff

M. G. Wheaton – Emily Eternal. SF-Roman

Erde 2.0: Kann eine KI die Menschen retten?

Emily ist eine hochentwickelte Künstliche Intelligenz. Sie kann in Lichtgeschwindigkeit mathematische Probleme lösen und die komplexen Geheimnisse des menschlichen Geistes besser analysieren als jeder Psychologe. Doch als die Sonne zu erlöschen droht, hat auch sie kein Programm, um das zu verhindern. Dennoch fasst sie einen Plan, um die Erde zu retten… Soweit die Verlagsinfo.

Nein, die Sonne verlöscht nicht, sondern entwickelt sich zum Roten Riesen – es bleiben nur noch etwa vier Wochen Zeit, bis die Sonnenstürme alle Elektronik auf der Erde ausschalten. Und was das Rettungsprogramm angeht – das kommt zunächst von der US-Regierung. Emily lehnt es ab, sämtliche knapp acht Mrd. Menschen auf der Erde zu digitalisieren, zu speichern und dann als digitale Arche ins Weltall zu schießen. Das ergibt wenig Sinn. Aber sie stößt auf einen Funken Hoffnung…
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John Brunner – Der Schockwellenreiter. SF-Klassiker

Einer der ersten Hacker-Romane

Tüchtige Leute wie die aus der Regierung reduzieren Bürger auf Waren und Stückgut, auf „Menschenmaterial“ und Zahlen. Das ist besser für ihr Kalkül, für das „Risiko-Management“. Brunner zeigt anhand des Superhackers Nick Haflinger, was geschehen kann, wenn dieser elektronische Perfektionismus erreicht ist. Dann bedarf es nur noch einer Regierung, die politisch unter Druck gerät und korrupt und skrupellos genug ist, schrankenlos von diesem Machtmittel Gebrauch zu machen. Doch auch dagegen weiß Hacker Nick ein Mittel: den Super-Wurm, der alle Geheimnisse offenbart – der Tag der Mega-Leaks bricht an…
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Dick, Philip K. – Nach der Bombe

(Relativ) optimistischer Neuanfang nach dem Weltuntergang

Was geschieht, wenn die Bombe fällt, wenn ein weltweiter Nuklearkrieg unsere Städte dem Erdboden gleichmacht? Bedeutet dies das Ende – oder geht es danach weiter, anders, vielleicht sogar besser? Nur Philip K. Dick weiß es. Und erzählt es in dieser ungekürzten Neuübersetzung.
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Hal Clement – Der Feuerzyklus

Für große Jungs: Planeten- und Astronomie-Abenteuer

Alle 830 Sonnenumläufe (Jahre) sorgt die exzentrische Umlaufbahn von Abyormens Sonne um eine andere Sonne dafür, dass sich Abyormen unglaublich erhitzt: Alles Wasser verdampft und giftige Stickoxide bringenn alle vorhandenen Lebewesen um. Doch etwas überlebt dennoch.

Auf diesen ungewöhnlichen Zyklus und die Voraussetzungen für das Überleben gewisser intelligenter Lebewensformen stößt der junge Pilotenkadett Kruger, als er auf Abyormen strandet und sich mit einem einheimischen Piloten, der ebenfalls gestrandet ist, anfreundet. Zusammen entdecken sie die unglaubliche Wahrheit über den Feuerzyklus – und einen Weg, die Flamme der Intelligenz über den Abgrund der Vernichtung weiterzutragen.
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Piers Anthony – Steppe

Ein Uighure im Computerspiel

Längst hat sich die Menschheit über die Galaxis ausgebreitet. Die Menschen können weder lesen noch schreiben, aber sie frönen leidenschaftlich ihrer Lieblingsbeschäftigung: dem Spiel. Sie spielen Geschichte. Mit geringem Einsatz lässt sich ein märchenhaftes Vermögen auf der imaginären galaxisweiten Bühne gewinnen, auf der die Geschichte der alten Erde wiederentsteht.

Sie spielen STEPPE. Die Geschichte der Reitervölker Innerasiens zwischen dem 9. und dem Höhepunkt im 13. Jahrhundert: Dschingis Khan.

Um den Spielecomputer, der als einziger den genauen historischen Ablauf kennt, zu betrügen und illegalen gewinn zu machen, holt sich eine Spielergruppe mit einer Zeitmaschine einen Menschen vom Originalschauplatz aus dem 9. Jahrhundert und schmuggelt ihn ins Spiel: Alp, Sohn eines Uighurenhäuptlings. Alp hat die Informationen, die für den Betrug nötig sind, aber der Primitive ist gerissener als die Galaktiker geahnt haben. Er macht sich seine Erfahrungen zunutze und spielt auf eigene Rechnung.

Denn was könnte ihm vertrauter sein als das unbarmherzige Kriegsspiel der STEPPE, seien es die Weiten Innerasiens oder der Galaxis? (Verlagsinfo)

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Frank Herbert – Hellstrøms Brut

Utopie unter Tage: Menschen wie Termiten

1971 drehte der Regisseur Walon Green den Film „The Hellström Chronicle“ um den erfundenen Insektenforscher Nils Hellström, der die Insekten als die wahren Herrscher der Erde zeigt. Frank Herbert, betroffen und tief beeindruckt von Greens Film, fragte sich, welche Überlebenstechniken der Mensch wohl entwickeln müsse, um seinen Fortbestand über vergleichsweise lange Zeiträume zu sichern, und spielte den Gedanken in diesem 1972/73 veröffentlichten Roman durch. Dies ist wahrscheinlich Frank Herberts künstlerisch gelungenster Roman neben dem „Wüstenplanet“-Zyklus.
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Ian McDonald – Rebellin des Glücks

Gescheiterte Utopie

Am Ende des 21 Jahrhunderts: Dank der allmächtigen Computer ist die Welt perfekt; keine Kriege, keine Krankheiten bedrohen die Menschheit. Jedermann hat glücklich zu sein — oder er macht sich eines Verbrechens gegen die Gesellschaft schuldig. In der Megalopolis Yu lebt die Zeichnerin Courtney Hau ihr verordnetes glückliches Leben, bis einer ihrer Cartoons der allgegenwärtigen Glückspolizei missfällt. Courtney muss fliehen und lernt plötzlich die andere Seite ihrer Schönen Neuen Welt kennen. In einem düsteren Labyrinth unter der Stadt kämpfen die Ver­rückten und Verbannten von Yu ums Überleben — und träumen von einer Rebellion der Freiheit, die plötzlich Wirklichkeit werden kann. (verlagsinfo)

Der Autor
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Theodore Sturgeon – To Marry Medusa / Das Milliarden-Gehirn

Galaktisches Bewusstsein, here we come!

Bis vor einer Minute war Dan Gurlick nur ein Individuum der Spezies Homo sapiens, und noch dazu ein unterdurchschnittliches. Doch jetzt hat dieser feige, würtende, kaum des Lesens und Schreibens fähige Trunkenbold eine Spore in sich aufgenommen, die Lichtjahre weit gereist war, bevor sie unseren Planeten traf. Diese Spore hat ihrerseits Gurlick in sich aufgenommen und ihn in den Wirt für Medusa verwandelt. Medusa ist ein Schwarmbewusstsein und so immens groß, dass es die Lebensformen einer Milliarde Planeten in drei Galaxien umfasst. Und diese Schwarmintelligenz hat es nun darauf abgesehen, auch die Erde in sich aufzunehmen. (Verlagsinfo) Ob das so eine gute Idee ist, muss sich erst noch herausstellen.

Diese Besprechung beruht auf der englischsprachigen Originalausgabe.
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Michael Moorcock – Zeitnomaden. Die Abenteuer Captain Oswald Bastables

Der Brite im Tempel des Todes

Dieser Sammelband umfasst die drei OSWALD-BASTABLE-Romane, in denen Moorcock in den Jahren 1971, 1974 und 1981 die Abenteuer des Captain Oswald Bastable auf alternativen Zeitströmen schilderte:

1. Warlord of the Air, Ace Books 1971, OCLC 14007905
Die Herren der Lüfte, König 1973, Übersetzer Walter Ernsting und Rosemarie Ott, ISBN 3-8082-0052-9
2. The Land Leviathan, Doubleday 1974, ISBN 0-385-01473-2
Der Landleviathan, Heyne 1982, Übersetzerin Sylvia Pukallus, ISBN 3-453-30827-1
3. The Steel-Tsar, Mayflower / Granada 1981, ISBN 0-583-13432-7
Der Stahlzar, Heyne 1984, Übersetzerin Sylvia Pukallus, ISBN 3-453-31086-1
The Nomad of Time, Granada 1984, (Sammelausgabe von 1–3)
Zeitnomaden. Heyne 1991, ISBN 3-453-05009-6
The Flight from Singapore (1979, Kurzgeschichte) (Quelle: Wikipedia.de)

In drei Geschichten besucht der Ich-Erzähler Captain Oswald Bastable, ein Viktorianer von altem Schrot und Korn, drei unterschiedliche Welten: Eine Welt, in der bis in die 1970er Jahre die Imperialmächte (lang lebe Kaiserin Victoria!) mit Luftschiffen und Kolonien die Welt beherrschen, zweitens eine durch Kriege zerstörte Welt und schließlich eine des Russischen Bürgerkriegs. Alle drei Romane sind wunderbar illustriert von Themistokles Kanellakis.

Der Autor

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Julian May – Der Sporn des Perseus (Die Rampart-Welten 1)

Detektivthriller, Familiensaga und Abenteuerexpedition

Eine spannende Mischung aus Detektivthriller, Familiensaga und Abenteuerexpedition – so kommt der Startband einer neuen Science Fiction-Trilogie von Altmeisterin Julian May daher. Die Mischung funktioniert, doch überfordert das Buch den jugendlichen Leser in keinster Weise. Wahrscheinlich unterfordert er sogar die meisten erwachsenen Leser.

Die Autorin
Julian May – Der Sporn des Perseus (Die Rampart-Welten 1) weiterlesen

Michael McCollum – Die Lebenssonde

Revival der Space Opera

Mit diesem action- und spannungsgeladenen Abenteuer in einer fernen Galaxis präsentiert sich Michael McCollum als neuer Starautor im populären Feld der Space Opera. (Verlagsinfo) McCollum hat bei Heyne mit gleich drei Romanen debütiert: „Die Lebenssonde“ (1996), „Antares erlischt“ (1996) und „Die Wolken des Saturn“ (1995) (Heyne HSF 06/5381-5383).
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Arnold Federbush – Eis!

The Year After Tomorrow: eine neue Eiszeit

Zunächst sind es nur warnende Vorzeichen: Eine Dürrekatastrophe in der Sahelzone, in Indien bleibt der Monsun aus, Staubstürme im Mittelwesten der USA, überdurchschnittlich starke Schneefälle in Grönland.
Das sind lokale Wetterunstimmigkeiten, wie sie alle paar Jahre oder Jahrzehnte auftreten können. Doch sie häufen sich, die Dürreperioden erstrecken sich über Jahre, ganze Landstriche werden zur Wüste, das Vieh stirbt, Hunderttausende von Menschen verhungern. Doch die Meteorologen sind ratlos. Sie finden das grundlegende Muster nicht, das auf eine Klimaveränderung hindeuten würde.

Als man mit verbesserten Wettersatelliten die Erde kontrolliert, wird man gewahr, daß die Verschmutzung der hohen Atmosphäre durch Abgase und Industrieemissionen stärker ist als angenommen. Ein paar Staubstürme, ein paar großflächige Waldbrände und zwei oder drei Vulkanausbrüche, die weitere Millionen Tonnen Staub und Asche in hohe Luftschichten tragen, lassen die Erdatmosphäre »umkippen«. Ein Mechanismus wird in Gang gesetzt, der schon wiederholt zu katastrophalen Klimaveränderungen geführt hat.

Eine Simulation in einem Großcomputer macht die Tragweite des Umschwungs deutlich. Eine neue Eiszeit bricht an.
Sie kommt nicht als Wetterverschlechterung, die sich über Jahrzehnte hinzieht. Sie kommt wie ein verheerender Blizzard. Und sie trifft die menschliche Zivilisation völlig unvorbereitet… (Verlagsinfo)
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